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SWR3 Gedanken

13APR2024
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Er wolle kein „betreutes Moderieren“. So ähnlich hat sich Thomas Gottschalk geäußert vor seiner endgültig letzten Wetten-Dass-Show. Da war er 73. Ob Gottschalk wirklich zu alt ist für den Job? Keine Ahnung. Aber ich frage mich manchmal, was das überhaupt heißen soll? Zu alt sein für irgendwas! Sicher, ein 70-Jähriger dürfte einem Fußballteam mit lauter 20-Jährigen auf dem Platz keine echte Hilfe sein. Und auch ein Dachdecker wird im hohen Alter eher nicht mehr auf steilen Dächern rumklettern. Kraft, Beweglichkeit und manches andere lassen im Alter einfach nach. Das merke ich selbst. Aber warum sollte der 70-Jährige mit viel Erfahrung nicht das Team coachen, der versierte Dachdecker junge Kollegen anleiten? Und selbst ein 81-Jähriger, der das politische Geschäft seit vielen Jahrzehnten beherrscht, kann ja ein guter US-Präsident werden? Vorausgesetzt, er ist im Kopf fit und beweglich geblieben.

Je älter ich selbst werde, umso mehr ärgere ich mich über solche Alters-Diskussionen. Weil so viele davon unwürdig sind. Weil da manchmal unausgesprochen mitzuschwingen scheint, dass jeder über 70 ein grenzdebiler Zausel sein muss. So alt bin ich zwar noch nicht. Aber ganz so weit ist es bis dahin eben auch nicht mehr. Wenn es mal soweit ist, dann würde ich mich jedenfalls freuen, wenn mich Jüngere trotzdem noch um Rat fragen. Und wenn mein Geist eines Tages dann auch nicht mehr richtig mitmacht, dann hoffe ich, dass andere viel Verständnis mit mir haben. Und nicht nur den senilen Opa sehen, sondern den Menschen mit ganz viel Lebenserfahrung, der ich war und immer noch bin.

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SWR3 Gedanken

12APR2024
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Ich mags grün. Auch wenn so Mancher allein beim Wort „grün“ ja schon rot sieht. Ich steh trotzdem drauf. Besonders jetzt, wo der Frühling immer deutlicher zu spüren ist. Wo an den Bäumen hinterm Haus überall die ersten zarten Blätter zu sehen sind. Und wo auch in der Natur jetzt Grün „freie Fahrt“ bedeutet. Freie Fahrt fürs Leben.

Dafür gibt’s sogar ein Wort: Grünkraft. Es stammt von Hildegard von Bingen. Für mich eine der stärksten Frauen des Mittelalters. Hildegard war Ordensfrau, aber auch Gelehrte, Politikerin, Mystikerin. Und sie hat ziemlich genau gewusst, was uns guttut. Das war schon damals gar nicht so viel anders als heute. Diese Grünkraft, von der sie spricht, meint nämlich viel mehr als grüne Blätter. Es ist all das, was mich antreibt, mir Kraft gibt, mich leben lässt. Und ich merke ja selbst, wie ich schon nach kurzer Zeit unzufrieden und mies gelaunt bin, wenn ich tagelang nur im Haus hocke. Nicht raus komme in die Natur. Keine Menschen treffe. Hildegard empfiehlt deshalb auch, bewusst raus zu gehen, in die Schöpfung, die mich umgibt. Immer dann, wenn ich merke, dass meine inneren Akkus schwächer werden. Meine Energie langsam zur Neige geht.

Für sie war das aber viel mehr als irgendeine Naturromantik. Für sie hing alles mit allem zusammen. Wir Menschen, die Schöpfung, die uns umgibt, und Gott, der mit seiner Kraft alles durchdringt. Für mich als Christ ergibt das durchaus Sinn. Aber auch, wenn ich das nicht glauben kann, bleibt es trotzdem einen Versuch wert. Das mit der Grünkraft. Gerade jetzt, draußen, in der Natur.

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SWR3 Gedanken

11APR2024
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Es war vor über 20 Jahren, am Ende einer intensiven Ausbildungswoche. Am letzten gemeinsamen Abend sitzen wir nochmal zusammen, erzählen, feiern ein bisschen. Aber unser Ausbilder entschuldigt sich, sagt ab. Seine Begründung: Er sei müde, fühle sich nicht gut, und dann wörtlich: „So wie ich drauf bin, will ich mich euch nicht zumuten.“ An den Satz erinnere ich mich noch heute. Für mich ist er seitdem ein Beispiel, wie ich Anderen mit Respekt begegnen kann. Sicher, mancher, der schlecht drauf ist, braucht einfach Hilfe. Einen Menschen etwa, der ihm zuhört. Aber wie oft erlebe ich auch, dass mir Leute ihre miese Laune einfach vor die Füße kippen. Schimpfen, maulen, an allem rummäkeln. Irgendwelche Gründe gibt’s ja immer. Vielleicht hat einer mies geschlafen oder sich kurz vorher mit seiner Freundin gefetzt. Aber muss er mich dann ungefragt damit behelligen? Und wahrscheinlich passiert mir das selbst auch hin und wieder. Dass ich nur schwer zu ertragen bin für andere.

Meinen Nächsten wertschätzen, ihm oder ihr was Gutes tun. Das heißt nicht nur, dem anderen meine Hilfe anzubieten. Manchmal kann es eben auch bedeuten, mich, sobald es geht, bewusst zurückzuziehen. Mich anderen Menschen gerade nicht zuzumuten. Und wenn ich das dann auch noch so nett und transparent erklären kann wie unser Ausbilder damals, dann wird mir das sicher auch keiner krummnehmen.

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SWR3 Gedanken

10APR2024
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In dem Imbiss, in dem ich mittags manchmal etwas esse, geht die Tür auf. Eine Frau kommt breit lächelnd herein. Sie scheint zu einer Gruppe zu gehören, die in der Mainzer Innenstadt um Almosen bettelt. Erwartungsfroh steht sie da. Sie hofft wohl, eine Portion Suppe abstauben zu können. „Nein, nicht jeden Tag“, sagt der junge Mann hinter der Theke freundlich, aber bestimmt. „Ab und zu machen wir das, aber nicht jeden Tag.“ Nach einer Weile kramt die Frau widerwillig dann doch ein paar Münzen hervor. Münze für Münze. Am Ende hat sie zwei Euro beisammen. So eine Suppe kostet eigentlich sechs, aber die jungen Leute hinter der Theke geben ihr nun doch etwas, für ein Drittel des Preises. Wie voll sie das Gefäß machen, kann ich zwar nicht sehen. Aber die fremde Frau zieht sichtlich zufrieden mit ihrer Suppe wieder ab.

Geht doch, hab ich mir gedacht. Bereit zu sein, einem Menschen in prekärer Lage zu helfen, ist essentiell für unsere Gesellschaft. Das finde ich vor allem auch als Christ. Aber niemand, ob nun Christ oder nicht, will sich einfach ausnutzen lassen. Und so gesehen haben in der kleinen Szene im Imbiss irgendwie doch beide gewonnen. Die jungen Leute haben bewiesen, dass sie zu helfen bereit und keine hartherzigen Unmenschen sind. Und die Frau? Die hat doch noch ihr warmes Essen bekommen. Für sehr wenig Geld.

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SWR3 Gedanken

09APR2024
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„Ihr seid doch alle“. Manchmal hören Mails so auf, oder emotional hitzige Gespräche. Ihr seid doch alle: Nazis, Kinderschänder, Sozialschmarotzer, usw., usw. … Das Vokabular lässt sich beliebig erweitern. All das gibt es natürlich, aber eben nie pauschal. Wer zum Beispiel für die Kirche arbeitet rechtfertig dadurch ja nicht Kindesmissbrauch. Und wer von Bürgergeld lebt ist noch lange kein Sozialschmarotzer. Solche Plattitüden machen einem vielleicht das Leben leichter.  Sortieren die Welt einfach in Schwarz und Weiß. Am Ende aber führen sie nur in den Hass. Im schlimmsten Fall sogar in den Krieg. Wer etwa immer noch glaubt, in der Ukraine irgendwelche Nazis zu bekämpfen, dem ist nicht mehr zu helfen. Und die russischen Soldaten auf der anderen Seite sind auch keine außerirdischen Orks, sondern Menschen. So wie in jedem Konflikt. Gute, schlechte, fanatisierte, verpeilte, was auch immer. Aber immer Menschen.

Wo es nämlich keine Menschen mehr gibt, bleiben nur noch anonyme Hassobjekte. Und gegen die sinken Hemmungen viel leichter. Was dagegen hilft, auch in meinem Alltag? Vielleicht mal aufhören, sich gegenseitig runterzumachen. Dem Anderen zuhören, reden, miteinander streiten. Wenn‘s sein muss, auch heftig. Und zumindest versuchen, auch die Gegenseite zu verstehen. Klar ist das mühsam und auch ziemlich anstrengend. Viel anstrengender jedenfalls als tumber Hass. Trotzdem der einzige Weg den ich kenne, um halbwegs zivilisiert miteinander klarzukommen. Ob uns das irgendwann gelingt? Keine Ahnung. Aber ein bisschen Hoffnung ist ja erlaubt.

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SWR3 Gedanken

08APR2024
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Als gläubiger Mensch fühle ich mich Leuten, die so wie ich an Gott glauben und in die Kirche gehen spontan erstmal verbunden. Ist irgendwie normal. Als Mitglied einer Partei sind mir die eigenen Parteianhänger ja auch näher als die der Konkurrenz. Und als Fan von Mainz 05 mag ich andere Mainz-Fans sicher auch mehr als zum Beispiel die Anhänger des VfB Stuttgart. Und doch ist das nur der erste Blick. Ein zweiter lohnt sich immer.

In meiner Kirche zum Beispiel gibt es Leute, die zwar auch an Gott glauben, mir mit ihren Ansichten aber mächtig gegen den Strich gehen. Und wie oft erlebe ich stattdessen, dass mir einer, der vielleicht gar nicht glaubt, menschlich aber ziemlich nahesteht. Weil wir ähnlich ticken. Weil wir dieselben Filme oder Bücher lieben. Weil wir dieselben Werte haben, die uns wichtig sind im Leben. Denn darauf kommt es an.

Das hat sogar Jesus so gesehen. All die Menschen, die im Sinne Gottes leben, die seien seine Geschwister, hat er sinngemäß mal gesagt. Ihm war egal, wer sie waren, was sie vorher gemacht haben, welche Nationalität sie hatten. Weil für ihn der Mensch gezählt hat, jeder Mensch. Und nicht die richtige Clique oder Parteizugehörigkeit. Ich merke selbst, dass das oft mühsam ist, mir einiges abverlangt. Weil ich meine eigene Blase, den Tellerrand, der mir Sicherheit verspricht, auch mal überwinden muss. Am Ende aber kann ich gewinnen. Einen weiteren Horizont sowieso und vielleicht sogar einen neuen Freund.

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SWR3 Gedanken

07APR2024
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Vielleicht kennen Sie das auch: Da leihen Sie einer Nachbarin oder einem Bekannten ein Werkzeug oder ein Buch. Sie sagen: Wenn du fertig bist, bring es mir einfach wieder zurück. Nur, das passiert nie. Irgendwann weiß ich dann selbst nicht mehr, wo das Teil geblieben ist. Und wenn es mir doch wieder einfällt bin ich meistens ziemlich sauer. Ärgere mich darüber, wie schludrig sie oder er mit meinen Sachen umgeht.

So eine ähnliche Geschichte gibt’s in der Bibel. Da geht’s allerdings um Geld, das sich einer leiht und nicht zurückzahlt. Etwas also, das die Gemüter oft noch mehr kochen lässt. Die Bibel meint dazu: Du sollst dem schludrigen Ausleiher trotzdem vergeben. Auch öfters und wenn nötig sogar immer und immer wieder. Schon heftig! Denn auch als Christ frisst mich sowas ja an. Schon bei so banalen Sachen wie einem Buch. Vor allem, wenn ich es dann auch noch verdreckt oder mit Eselsohren zurückbekomme.

Trotzdem glaube ich, dass die Richtung stimmt. Dass es wichtig ist, barmherzig mit anderen zu sein, auch wenn es schwerfällt. Barmherzig sein ist ja keine Einladung, das rücksichtslos auszunutzen. Ein Recht darauf gibt’s nicht. Barmherzigkeit ist immer geschenkt! Aber keiner ist fehlerlos. Ich auch nicht und manchmal hoffe ich auch selbst auf Barmherzigkeit. Wenn also jeder nur ein bisschen barmherziger auf die Schwächen des anderen schauen würde, dann wäre wahrscheinlich schon eine Menge erreicht. 

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SWR1 3vor8

01APR2024
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Unter all den biblischen Geschichten gibt es eine, die ich ganz besonders mag. Sie ist heute Morgen in den katholischen Gottesdiensten zu hören. Da machen sich zwei Menschen auf den Weg. Sie wollen zu einem Dorf namens Emmaus, einen Tagesmarsch von Jerusalem entfernt. Drei Tage vorher ist dort ihr Freund und Lehrer Jesus brutal hingerichtet worden. Voller Trauer sind die beiden jetzt und ernüchtert, denn alle Träume und Hoffnungen, die sie mit ihm verbunden hatten, sind geplatzt. Leere und Sinnlosigkeit machen sich breit. Sie wollen nur noch weg von dort. Unterwegs können sie gar nicht anders, als immer wieder von ihm zu sprechen. Sich immer wieder zu erinnern, wie es war mit ihm. Das kenne ich auch. Ich weiß noch, wie gut mir das vor ein paar Jahren getan hat, als mein Vater gestorben war. Dass ich von ihm erzählen konnte, immer wieder. Es hat mir geholfen, den Verlust zu begreifen. Weil Menschen da waren, die mir geduldig zugehört haben. So, wie in dieser biblischen Geschichte, in der sich ein unbekannter Fremder zu den beiden gesellt. Er hört ihnen zu, fragt nach. Ganz behutsam. Und sie spüren, wie gut ihnen das tut. Der fremde Zuhörer lässt sie nicht allein, bleibt bei ihnen, begleitet sie. In diesen beiden Wanderern finde ich mich wieder.

Am Ende der Geschichte wird den beiden Freunden klar, dass es Jesus selbst gewesen sein muss, der sie da begleitet hat. Er ist nicht mehr der, den sie mal gekannt haben. Der ist gestorben. Und doch ist er da. Bei ihnen, ganz nah. Das spüren sie in ihren Herzen. Und in dem Augenblick, in dem ihnen das bewusst wird, sehen sie ihn nicht mehr, heißt es in der Geschichte.

Als ich damals ganz am Anfang meiner Trauer stand, musste ich mir das Bild meines Vaters immer wieder anschauen. Wie in einer Angst, ich könnte ihn verlieren oder vergessen. Am Ende aber ist mir immer deutlicher geworden, dass diese Angst unbegründet war. Weil ich gemerkt habe, dass er mir nah ist und bleibt, auch wenn ich ihn nicht mehr sehe. Trauer ist ein mühsamer Weg, der Zeit und Raum braucht. Kein Sprint, eher eine Langstrecke. Und der Weg ist erst dann geschafft, wenn Leere und Hoffnungslosigkeit nach und nach einer gewissen Dankbarkeit Platz machen. Für diesen Menschen, den ich kennen und lieben durfte, und der nun da ist, wo ich nicht sein kann.

Es gibt einen Weg von der Verzweiflung zu neuer Zuversicht, von der Dunkelheit ins Licht. Davon erzählt die Geschichte. Davon erzählt Ostern.

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SWR1 Begegnungen

31MRZ2024
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Kerstin Fleischer Copyright: Photo Feuerstein, Speyer

… und mit Kerstin Fleischer, die als Seelsorgerin in einem Bereich arbeitet, den die Meisten zwar schon erleben mussten, aber möglichst weit von sich fernhalten. Die 47-Jährige begleitet sterbende und trauernde Menschen. Trauer, so heißt es ja oft, mache einsam. Wer einem Trauernden begegnet fürchtet oft, sich an der Traurigkeit des anderen quasi anzustecken. Was viele vergessen: Eine Welt ohne Trauer wäre auch eine Welt ohne Liebe.

Trauer hat immer irgendwie auch was mit Verlust zu tun. In der Begleitung arbeite ich dann mit den Trauernden heraus, dass Trauer Liebe ist. Und wer trauert, liebt und wer liebt, trauert. Und je tiefer und inniger die Bindung und Beziehung war, desto größer ist der Schmerz. Und den Schmerz aushalten zu müssen, das ist so was, das macht man nicht gern, das schiebt man gern weg, weil man Angst hat vor dem, was kommt.

Denn am Ende geht es immer um eines: Ums Abschiednehmen. Und Abschiede tun meistens weh. Doch wenn es gelingt, sie bewusst zu gestalten, sagt Kerstin Fleischer, kann ich besser damit umgehen.

Junggesellinnenabschiede, die vollzieht man bewusst. Man trifft sich, man sitzt beisammen, man feiert, man erinnert sich, man nimmt mit, was man erlebt hat, man bedankt sich. Und ich würde mir wünschen, dass es viel mehr auch in diesem Übergang vom Leben zum Tod, diese bewusste Gestaltung möglich sein wird.

Und wie kann sowas konkret gelingen?

Zum Beispiel haben wir das Ritual des Sterbesegens, wo noch einmal bewusst mit den Angehörigen am Sterbebett Abschied genommen wird.

Da ist das ganze Leben noch mal gebündelt. Alles, was gut war, das Schöne, was bleibt. Aber auch - und das finde ich das Starke - was misslungen ist, was man vielleicht hier auf dieser Erde in diesen Zeiten gar nicht mehr regeln kann. Das vertraue ich jetzt Gott an und bitte ihn in dieser Situation um seinen Segen, seine Begleitung.

Und wenn ein Mensch nicht glauben und auch nicht beten kann oder will?

Manche entschuldigen sich und sagen Frau Fleischer, ich bin gar nicht katholisch. Und dann sage ich: Ich glaube, das spielt jetzt keine Rolle. Und dann kommt man miteinander ins Gespräch. Und das Gespräch ist, glaube ich, das Entscheidende. Einfach diese Präsenz, dieses Da sein.

Denn am Ende ist etwas anderes wichtig. Und das gilt für jeden Menschen, ob gläubig oder nicht.

Mein Ansatz ist es zu sagen: Die Trauer muss nie zu Ende sein, aber sie muss sich wandeln ... Ein Trauernder muss nicht loslassen. Er hat schon losgelassen. Ich muss den Verlust nicht verarbeiten, sondern ich muss lernen, mit diesem Verlust zu leben. Und wenn ich den Verlust spüre, aber er schmerzt nicht mehr so sehr, dann habe ich wieder Schritte ins Leben getan.

Um die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod und das, worauf Kerstin Fleischer selbst hofft, geht es gleich.

… ich spreche mit meiner Kollegin Kerstin Fleischer, die im Bistum Speyer als Seelsorgerin für trauernde und sterbende Menschen da ist. Auch an einem besonderen Ort, dem Hospiz. Eine Einrichtung, in der Menschen ihre letzten Lebenswochen oder -tage verbringen können. Ein Ort, mit dem Viele vor allem wohl Traurigkeit und Tod verbinden.

Das ist oft die Angst und die Scheu, an diesen Ort zu gehen, weil es dann ernst wird. Und im Nachhinein, im Rückblick sagen viele: Schade, dass ich nicht schon viel früher die Entscheidung getroffen habe, ins Hospiz zu gehen, weil sie erleben, dass nicht dieses Sterben-müssen im Mittelpunkt steht, sondern tatsächlich das Leben.

Die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod. Macht sie das Abschiednehmen leichter?

Wenn ich einen Glauben habe, wenn ich eine Idee habe, was passiert mit diesem Menschen, wenn er stirbt? Wo ist dieser Mensch? An was glaube ich? Das trägt und das macht mir den Abschied, glaube ich, tatsächlich ein bisschen leichter. Weil ich nicht das Gefühl habe, jetzt kommt ein Loch oder ein Nichts, sondern ich weiß oder ich glaube daran, er oder sie ist bei Gott oder an einem guten Ort. Und diese Hoffnung, das ist wirklich was ganz, ganz Entscheidendes.

Worauf sie persönlich hofft drängt Kerstin Fleischer aber keinem auf. Darüber spricht sie nur, wenn sie jemand ausdrücklich danach fragt, und ich habe sie gefragt.

Ich für mich, ich glaub, dass im Moment des Sterbens Gott mir seinen Engel schickt, der mich führt von Dunkelheit und Nacht ins Licht, und dass ich in diesem Licht leben darf, in diesem Osterlicht. Das ist mein Glauben, meine Hoffnung. Und das tröstet mich, wenn ich Abschied nehme von meinen Lieben.

Denn das musste sie selbst, als ihr Vater in der Coronapandemie starb.

Ich habe vielleicht in dem Moment in dieser Zeit noch so stark wie nie zuvor erlebt, wirklich von Menschen, von Gott getragen zu sein. Und das war für mich eine großartige Erfahrung, das auch spüren zu dürfen. Und ich für mich wünsche mir, dass ich auch in 20 Jahren bei irgendeinem Ereignis noch traurig sein darf, dass mein Papa das jetzt nicht mehr erleben darf. Dann bin ich keine Trauernde. Aber ich bin traurig über diesen Moment. Ich habe diesen Schmerz, aber nach und nach wandelt sich dieser Schmerz in eine kostbare Erinnerung. Und das bleibt. Und das darf ich mit hinein in mein Leben nehmen.

Heute, an Ostern, feiern Christen ja die große Hoffnung, dass der Tod nicht das letzte Wort ist.

Genau das, was wir an Ostern jetzt feiern, das darf ich auch erleben. Auch wenn mir jemand Liebes stirbt, geh ich aus diesem Weg durch die Trauer hindurch wieder zurück ins Leben. Und das ist Ostern!

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SWR1 3vor8

03MRZ2024
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Von wegen sanft, von wegen friedfertig! Es gibt ein paar Geschichten in der Bibel, die fromme Christen vielleicht nicht so gerne erzählen. Weil sie einen Jesus zeigen, der so gar nicht zum Bild des immer sanften, lieben Menschenfreunds passt, das so gern gemalt wird. Die vielmehr über einen Mann berichten, der sich respektlos benimmt, ja, der sogar zu Gewaltausbrüchen fähig ist. So eine Geschichte ist zumindest heute in den katholischen Kirchen zu hören. (Joh 2,13-25). Erzählt wird, wie Jesus nach Jerusalem geht. Er will das jüdische Paschafest mitfeiern. Als er in den Vorhof des Tempels kommt, ist dieser, wie üblich zu dieser Zeit, voll mit Händlern, die alles Mögliche, vor allem aber Opfertiere anbieten. Die werden nämlich im Tempel gebraucht. Damals nichts Besonderes. Auch Jesus wusste das. Nur dieses Mal nervt es ihn offenbar ganz gewaltig. Im Tempel, so meint er, habe so etwas nichts verloren. Nicht mal im Vorhof. Es ärgert ihn so, dass er anfängt zu wüten. Er wirft die Stände der Händler um, macht sich sogar eine Geißel und drischt damit auf die Leute ein. Zugegeben, sympathisch und vorbildlich wirkt so ein Ausraster nicht gerade. Manche Gelehrten meinen, dass er mit dieser Aktion überhaupt erst in den Fokus der damaligen Behörden geraten sei. Als potenziell gefährlicher Unruhestifter.

Wie dem auch sei. Geschichten wie diese eignen sich hervorragend, um mit dem Finger auf Christinnen und Christen zu zeigen. Um zu sagen: Da habt ihr's doch! Derjenige, den ihr da immer als leuchtendes Vorbild hinstellt, war auch nicht besser als alle anderen. Für mich erscheint Jesus hier aber vor allem als Mensch. Einer wie Sie und ich. Einer, der Emotionen hatte, die auch mal mit ihm durchgegangen sind. Weil er für seine Sache zutiefst gebrannt hat. Und weil ihm dieser Ort der Begegnung mit Gott viel zu wichtig, ja heilig war, um auch als Platz für Geschäftemacher durchzugehen. Und das macht ihn für mich dann doch zum Vorbild.

Im kollektiven Gedächtnis ist letztlich auch nicht diese Episode hängen geblieben, sondern Sätze von ihm wie „Liebt eure Feinde und tut Gutes denen, die euch hassen“, oder „Selig die Sanftmütigen, denn ihnen gehört das Himmelreich“. Sätze für die Ewigkeit. Allein das schon spricht für sich. Und wie die Bibel es schildert, hat er das auch nicht nur gesagt. Er hat es gelebt und ist sogar dafür gestorben. Am Ende kommt es auf die Gesamtbilanz eines Lebens an. Jedes Lebens. Auch meines eigenen. Denn sie ist es, die vor Gott zählt, den Jesus liebevoll Abba, Papa, genannt hat.

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