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SWR3 Gedanken
Früher wurde in der Fastenzeit vor allem auf Fleisch verzichtet. Heute wird moderner gefastet: Auf Verpackungen, aufs Meckern oder auf schlechte Gewohnheiten verzichten. Dieses Jahr schlagen die Kirchen Klimafasten vor. Sieben Wochen mit sieben unterschiedlichen Schwerpunkten und praktischen Tipps: Vom Beleuchtung-Sparen übers Anders-Einkaufen bis zum Wertschätzen der Natur.
Den Wert der Natur zu schätzen finde ich schwierig. Aber es gibt Wissenschaftler, die versuchen, dafür einen Preis zu errechnen. Einer von ihnen ist der Münchner Professor und Biochemiker Frederic Vester. Er hat den Geldwert eines Rotkehlchen untersucht. Neben dem reinen Materialwert bekämpft es Schädlinge und erfreut Menschen. Damit kommt es auf einen Geldwert von 150 Euro. Oder eine Buche: Sie reinigt die Luft, spendet Schatten und bietet Heimat für ganz viele Kleintiere. Sie erwirtschaftet stattliche 250.000 Euro.
Bei diesen Rechenspielchen bin ich hin- und hergerissen. Auf der einen Seite bin ich strikt dagegen, dass die Natur durch eindeutige Preise vom Kapitalismus vereinnahmt wird. Denn was einen Preis hat, das kann ich auch kaufen. Auf der anderen Seite ist so eine konkrete Zahl auch gut, um den wahren Wert der Natur zu erkennen. Denn noch bezahlt niemand dafür, wenn er die Luft verpestet, Insekten oder Pflanzen zerstört oder Regenwürmer zu asphaltiert.
Man hat herausgefunden, dass keine der 20 größten Wirtschaftsbranchen profitabel arbeiten könnte, wenn sie dafür bezahlen müsste, was sie kaputt macht. Vielleicht also doch keine so schlechte Idee, wenn an ganz vielen Dingen kleine imaginäre Schilder wären: in einem Fluss, auf einer Blumenwiese, an einer Schnake oder in einem Steinbruch. Und auf diesen Schildchen sollte neben dem Preis stehen: „Mensch, behandle mich gut, ich bin wertvoll!“
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Bei einer Hochzeitsfeier wird ja normalerweise gut und viel aufgetischt. Wer schon mal eine Hochzeitsfeier in orientalischen Ländern erlebt hat, der hat keine Fragen mehr. Meistens gehen die Feierlichkeiten mehrere Tage lang, der halbe Ort ist auf den Beinen, und es gibt Essen und Trinken soweit das Auge reicht. Peinlich, wenn da auf einmal etwas alle ist. Doppelt peinlich, wenn es gerade der Wein ist.
Und genau das ist passiert im Städtchen Kana, schon ein Weilchen her. Maria ist auch unter den Gästen und erlebt das Debakel mit: Der Wein ist tatsächlich ausgegangen. Aber Maria weiß, dass ihr Sohn Jesus auch unter den Hochzeitsgästen ist, und dass er ein echter Alleskönner ist. Endlich findet sie ihn und raunt ihm zu: „Stell dir vor Jesus, sie haben keinen Wein mehr.“
Jesus ist etwas genervt – als ob es nichts Wichtigeres gäbe! Vielleicht ist Maria penetrant geblieben, oder Jesus hatte Mitleid mit dem blamierten Hochzeitspaar. Jedenfalls deutet er irgendwann auf die Wasserkrüge zum Händewaschen und sagt zu den Dienern: „Füllt sie mit Wasser und bringt sie in die Küche.“ Sechs Krüge schleppen die Diener zum Küchenmeister. Der probiert und traut seinem Gaumen kaum. Ungläubig geht er zum Bräutigam und fragt: „Warum rückst du jetzt erst raus mit dem guten Wein?“
Diese Geschichte stammt aus dem Johannesevangelium. Und es ist das erste Wunder von Jesus, das dort beschrieben wird. Ich habe früher auch gedacht: Als ob es nichts Wichtigeres gäbe als Wasser in Wein zu verwandeln. Zum Beispiel Not lindern oder Kranke heilen. Aber inzwischen bin ich überzeugt: Nein, es war genau richtig, mit so einem eigentlich überflüssigen Wunder anzufangen. Es soll nämlich zeigen, dass Gott etwas von seiner himmlischen Herrlichkeit in unsere Welt gibt. Jesus zeigt uns ein Stück vom Paradies. Er lässt uns wie durch einen Türspalt ins Reich Gottes spicken. Und er sagt uns, dass dies auch auf der Erde schon ein bisschen möglich ist. Mit Jesus bricht eine neue Zeit an – Wein-Zeit statt Wasser-Zeit sozusagen.
Und noch etwas könnte dieses Weinwunder bedeuten: Jesus verwandelt Wasser in Wein. Oder er verwandelt das Alltägliche in etwas ganz Besonderes. Wenn ich die Botschaft Jesu in meinem Leben umsetze, dann kann auch bei mir Wasser zu Wein werden. Wenn ich Menschen auf Jesus-Art behandle, also wenn ich großherzig bin, wenn ich Menschen integriere, wenn ich vergeben kann, wenn ich auch mal einen klaren aber unbequemen Standpunkt vertreten kann - dann kann mein Leben eine neue Qualität bekommen. Wein statt Wasser eben.
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Heute ist St. Patrick´s Day. Die Iren auf der ganzen Welt feiern ihren Nationalheiligen Patrick. Er hat im 5. Jahrhundert den christlichen Glauben auf die Insel gebracht.
Den meisten Iren geht es aber vermutlich weniger um den Heiligen Patrick als um einen guten Grund zu feiern - und das am besten ganz in grün: grüne Klamotten, grüne Bärte, grüne Accessoires und sogar grünes Bier wird ausgeschenkt.
Neben der Farbe Grün spielt auch das dreiblättrige Kleeblatt eine wichtige Rolle - das „Shamrock“. Es soll auf den Hl. Patrick zurückgehen. Der Legende nach hatte der einen öffentlichen Streit mit einem Druiden, einem keltischen Priester. Dabei ging es um die christliche Überzeugung, dass Gott „dreifaltig“ sei, also Gott als Vater, Sohn und Heiliger Geist. Der Druide spricht aus, was viele heute auch denken: „Wenn ihr Christen nur an einen Gott glaubt, wie kann der dann in drei Gestalten auftreten?“
Patrick hat immer gerne anschaulich und einfach erklärt. Es wird erzählt, er soll sich erstmal hilfesuchend umgeschaut haben. Aber er sieht nur die erwartungsvollen Gesichter und viel Grün. Da hat er eine Idee: Er pflückt ein Kleeblatt und sagt: „Dieser Klee besteht auch aus drei einzelnen Blättern und ist doch eine Pflanze.“
Und so ist es auch mit Gott: der Vater hat sich den Menschen in Jesus gezeigt und wirkt bis heute weiter im Heiligen Geist. Ein Gott in drei Erscheinungsformen also. Das hat der Heilige Patrick mit seinem Kleeblatt anschaulich demonstriert. Und bis heute wird er von den Iren verehrt mit Paraden, mit grünem Bier, und bestimmt auch mal mit einem kleinen Stoßgebet.
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Wenn mich jemand fragen würde, nach was ich mich am meisten sehne, dann würde ich antworten: für ein Jahr nach Irland gehen. Dort ein Buch schreiben, Musik machen, an den Klippen entlang spazieren und viele Pubs besuchen. Auch meine Frau träumt von Irland und einem Cottage am Meer. Da wir aber weder das Geld, noch die Zeit dafür haben, verschieben wir diesen Traum immer wieder auf übermorgen: Wenn die Kinder mal groß sind oder wenn wir mal im Lotto gewinnen – also eher in Richtung Sankt Nimmerleinstag.
Ich schätze, damit bin ich nicht allein. Viele Menschen müssen ihre Träume immer wieder aufschieben, weil sie ein bisschen zu groß sind: eine eigene Fotoausstellung, auf Safari nach Kenia, das eigene Bauernhaus, die Route 66, eine eigene Kneipe eröffnen - alles schwierig zu verwirklichen. Und dann kapitulieren die Menschen - genau wie ich - und gewöhnen sich das Träumen ab.
Schade eigentlich, denn sich nach etwas sehnen oder träumen macht doch eigentlich Spaß. Mir jedenfalls tut es gut, ab und zu mit meiner Frau von Irland zu träumen. Und wir haben sogar einen kleinen Trick entwickelt, damit wir nicht resignieren. Wir führen ein „Sehnsuchtsbuch“. Das ist ein Heft mit vielen leeren Seiten. Dort schreiben wir alles rein, was wir irgendwann einmal machen wollen, wenn wir mal viel Zeit und Geld übrig haben sollten. Wünsche festzuhalten ist ein erster Schritt, obwohl das mich dem Ziel noch nicht unbedingt näher bringt.
Eine Ordensschwester hat mir einmal einen Tipp gegeben. Sie hat gesagt: „Sie müssen ja nicht immer gleich alles wollen. Manchmal reicht es, etwas nur teilweise wahr zu machen. Die Dinge etwas kleiner denken“ „Hm, ob mir das wohl reicht?“, habe ich gedacht.
Aber dann kam die Chance, es auszuprobieren. Oma war da. Sie hat die Kinder übernommen und uns einen freien Abend geschenkt. Wir wollten uns gerade ins Sofa fallen lassen, denn für einen Abend brauchst du nicht nach Irland zu reisen. Da hatte meine Frau eine super Idee: „Lass uns ins Irish Pub gehen!“
Yes, das war´s. Es hat so gut getan, unserem Traum ein bisschen nahe zu sein. Gemütlich unter irischen Fähnchen ein Guinness zu trinken, dazu Salt & Vinegar Chips und irische Musik mit Fiddle und Flöte. Wir lieben einfach diese irische Art, gesellig zu sein und locker mit dem Leben umzugehen.
Unsere große Sehnsucht nach Irland wurde durch diesen Abend nicht gestillt, aber sie wurde beflügelt.
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Messi und Messias – das klingt schon so ähnlich. Und in Argentinien bedeutet es auch so gut wie das gleiche. Spätestens seit Messi die Argentinier zum WM-Titel geführt hat und zum siebten Mal zum Spieler des Jahres gewählt geworden ist. Und seit der Chef des argentinischen Fußballverbandes Chiqui Tapia einen Clip bei Twitter gepostet hat, der Messi als den Messias darstellt. Im Video wachsen Messi erst Engelsflügel, dann bekommt er einen Heiligenschein, und schließlich sieht er aus wie Jesus. Der Clip endet mit den Worten „Danke, Messias!“
Ich würde so etwas als Verbandchef nicht posten, aber ich finde solche Vergleiche auch nicht schlimm. Messi spielt nun mal genial, und das argentinische Volk hat nach diesem Titel gelechzt. Ich hab mal über den Begriff „Messias“ nachgedacht. Es ist das hebräische Wort für das griechische „Christus“ und heißt so viel wie „Gesalbter“. In der frühen Zeit der Bibel wurden die Nachfolger von König David zum König gesalbt und dann „Messias“ genannt. Später, als man gemerkt hat, dass die auch nur mit Wasser kochen, wurde der Begriff nur noch für einen zukünftigen Super-König benutzt, den die Menschen herbeigesehnt haben, wie die Argentinier den WM-Titel. Von diesem Super-König wurde erwartet, dass er paradiesische Zustände schafft: dass alles gerecht zugeht, dass das Land fruchtbar ist, dass es keinen Krieg mehr gibt und so weiter.
Für die Christen war dann aber klar, dass mit diesem Messias nur Jesus gemeint sein kann. Allerdings nicht zu Lebzeiten, sondern später - irgendwann einmal. Da ist es natürlich leichter, an einen Messias zu glauben, der jetzt für Begeisterung sorgt – und für Tore. Und der heißt eben Lionel Messi.
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Ich finde, Eulen sind faszinierende Vögel. Sie jagen nachts und bewegen sich fast lautlos. Besonders hübsch finde ich das herzförmige Gesicht. Das kommt daher, dass um Schnabel und Augen herum weiße Federn in Herzform wachsen. Sie helfen der Eule beim Hören, denn die feinen Federn leiten schon leiseste Geräusche direkt in die Ohren.
Ein Herz, das beim Hören hilft – das hätte auch gerne König Salomo. Aber er meint es ein bisschen anders als bei der Eule.
König Salomo ist der Sohn von König David aus dem Alten Testament. Ihm wird nachgesagt, er sei unheimlich weise gewesen. Als es um die Geschichte des Herzens geht, das beim Hören helfen soll, ist Salomo erst ganz kurz im Amt. Im Traum erscheint Gott dem jungen König und sagt: „Wünsch dir was, Salomo, und ich werde es dir erfüllen.“
Salomo wäre nicht der weise Salomo, wenn er nicht erst gründlich überlegen würde. Denn so eine Chance, dass Gott einen Wunsch erfüllt, das erlebt man nicht alle Tage - das ahnt er gleich. Also poltert er nicht gleich los mit Reichtum oder Gesundheit oder Macht. Sondern er sagt etwas, was mir nie eingefallen wäre, wahrscheinlich nicht einmal im Traum. Salomo sagt: „Gib mir ein Herz, das mir beim Hören hilft. Damit ich leichter das Gute vom Bösen unterscheiden kann und ein guter König werde.“ Das ist beeindruckend, finde ich.
Gott scheint nicht weniger beeindruckt zu sein. Und er antwortet Salomo: „Weil du gerade diese Bitte ausgesprochen hast und nicht um das Übliche gebeten hast, werde ich deine Bitte erfüllen.“ Der Rest der Geschichte ist bekannt: Salomo ist tatsächlich ein sehr weiser König geworden. Er soll fähig gewesen sein, genau hinzuhören, gut abzuwägen, Kompromisse zu finden, das gute Ergebnis vor persönliche Eitelkeiten zu stellen. Und noch heute sprechen wir von einem „salomonischen Urteil“, wenn etwas besonders gut gelöst wird.
Manchmal habe ich das Gefühl, dass die heutigen „Könige“ aus Politik und Wirtschaft auch gut so ein Herz gebrauchen könnten, das beim Hören hilft. Zum Beispiel wenn ich höre, wie viel Geld in Rüstungsexporte fließt und wie wenig Geld in Entwicklungshilfe. Wenn ich sehe, wie viel Grünflächen versiegelt werden, oder wie viel Urwald abgeholzt wird. Wenn ich vergleiche, wie viel ein Fußballspieler und eine Altenpflegerin verdienen.
Ein „hörendes Herz“ – das wünsche ich ganz vielen. Und eigentlich nicht nur den Königen, Managern und Machern, sondern auch mir selbst. Ein „hörendes Herz“, das spürt, was Gut und was Böse, was richtig und was falsch ist.
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Chat GPT ist in aller Munde: die künstliche Intelligenz, die mühelos Hausaufgaben, Referate und Statements für einen verfasst, ohne dass es groß auffällt. Prima, hab ich mir gedacht, dann könnte ich ja einfach mal einen SWR3 Gedanken von ChatGPT generieren lassen. Dann hab ich entdeckt, dass das so ähnlich schon einer versucht hat.
Ein Wiener Pfarrer hat sich von ChatGPT eine Predigt schreiben lassen. Dann hat er auch noch selbst eine verfasst und beide bei Youtube hochgeladen. Er wollte, dass die Leute selbst beurteilen, welche besser ist. Eine kleine Predigt-Battle sozusagen, Mensch gegen Maschine. Für mich war das Ergebnis klar.
Die künstliche Predigt war zwar sachlich richtig, fundiert und gar nicht so leicht als künstliches Produkt zu enttarnen. Aber die handgemachte Predigt war einfach tiefsinniger, persönlicher, mit ein bisschen Witz garniert. Und ich finde, so muss man auch von Gott reden. Was hilft mir alles Wissen dieser Welt und geschliffene Formulierungen, wenn ich nicht aus eigener Erfahrung sprechen kann? Mich interessieren die persönlichen Geschichten. Wo Gott ins Leben sickert, wo ich Glück finde oder wie ich mit dem Leben hadere. Und Sie entscheiden selbst, ob Sie ein Häppchen davon mitnehmen oder nicht.
Mensch und Maschine – im Optimalfall ist das ein Miteinander, das sich gut ergänzt. In vielen Dingen sind uns Computer überlegen, gerade wenn es um große Mengen an Daten geht. Aber es gibt auch ganz viel, worin wir Menschen unerreicht bleiben: ein liebender Blick, ein verständnisvoller Unterton, echtes Mitleid, tiefschürfende Gespräche oder ein herzliches Lachen – das sind unsere Trümpfe. Also, setzen wir sie ein!
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Mit einer Gruppe von Motorradfahrern bin ich unterwegs nach Vézelay. Ein Wochenende durchs Burgund kurven, Frankreich genießen und die Seele baumeln lassen. Das geht in dem mittelalterlichen Städtchen besonders gut, finde ich. Es ist auf einen Hügel gebaut und ganz oben ist eine alte gotische Kathedrale. Ich war schon öfter dort, und deshalb weiß ich, dass um 18 Uhr ein Abendgebet stattfindet, das sich lohnt. Neben der Kathedrale wohnen Nonnen und Mönche. Sie nennen sich „Gemeinschaft von Jerusalem“ und treffen sich drei Mal am Tag, um in der Kirche zu beten und zu singen. Und genau deshalb treibe ich meine Bikergruppe ein bisschen an: Wenig Pausen und nicht rumtrödeln, ich will pünktlich sein.
Kurz vor sechs parken wir direkt vor der imposanten Kirche und steigen noch etwas steif von der Fahrt die Treppenstufen zum Hauptportal hoch. Drinnen ist es schon schummrig. Ich lasse mich gerade auf einer knarzenden Holzbank nieder, da gehen vorne die Lichter an, und das Abendgebet beginnt. Es ertönt ein Gesang, der direkt aus dem Himmel zu kommen scheint – so schön ist er. Mehrstimmig und glockenrein. Diese Musik trifft mich mit voller Wucht: Gänsehaut, der Stress der Fahrt fällt von mir ab, Tränen steigen auf, ich bin dankbar für alles: für meine Familie, für die Natur, für die Menschen, die diese Kathedrale erbaut haben. Und ich bin überwältigt, weil die da vorne so schön singen.
Früher dachte ich, dass Ordensleute statt zu beten lieber den Menschen helfen sollten, Kranke versorgen oder Suppe für Obdachlose kochen, was ja viele auch tun. Aber die Ordensleute von Vézelay haben sich nur dem Singen verschrieben. Sie haben extra Proben und Gesangsunterricht und singen einfach nur, um Gott zu loben. Und vielleicht auch, um Menschen wie mich anzurühren und ein Stück vom Himmel zu zeigen.
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Nach dem Erdbeben in der Türkei und in Syrien ist ein Bild um die Welt gegangen. Es ist mir ganz schön unter die Haut gegangen. Da sitzt ein Vater in Warnweste mitten in den Trümmern seines Hauses. Er hält die Hand seiner toten Tochter, die aus dem Schutt herausragt. Den Rest ihres Körpers hat das Erdbeben unter Betonplatten begraben. Man spürt genau: obwohl sich die Hand kalt und leblos anfühlt, möchte er sie einfach nicht loslassen. Er will unbedingt die Verbindung halten.
Kann das gehen – die Verbindung halten, obwohl jemand tot ist? Vieles geht nicht mehr: sich umarmen, miteinander lachen, telefonieren oder einen Gutenachtkuss geben. Aber die Verbindung muss trotzdem nicht abbrechen. An jemanden denken, sich erinnern, die gemeinsame Zeit lebendig halten – das alles geht. Und ich kann auch offen sein für Worte, Blicke oder Gesten, die die vermisste Person jetzt machen würde.
Ein guter Freund von mir ist vor 10 Jahren gestorben, und trotzdem lebt er in unserem Freundeskreis weiter. Oft sagen wir: „Wenn er jetzt da wäre, dann würde er seinen Spruch wieder bringen.“ Wenn mir was misslingt, dann höre ich förmlich sein etwas spöttisches Lachen mit einem lieb gemeinten Unterton. Und manchmal meine ich sogar einen Kommentar von ihm aus dem Off zu hören. Ich habe einfach das Gefühl, die Verbindung steht trotz allem.
Ich wünsche dem türkischen Vater, dass auch bei ihm die Verbindung zu seiner Tochter bestehen bleibt. Und nicht nur ihm wünsche ich das, sondern den tausenden von Angehörigen, die traurig und verzweifelt sind. Die tote Hand, die aus den Trümmern ragt, hat der Papa irgendwann loslassen müssen, aber die Verbindung kann trotzdem bleiben.
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Verzichten in der Fastenzeit – das wäre ja nur halb so schwierig, wenn nicht ständig eines dieser berühmten Teufelchen mit unverschämten Angeboten auf meiner Schulter landen würde.
Und so war´s auch schon vor 2000 Jahren. Der junge Jesus hatte sich gerade für 40 Tage zum Fasten in die Wüste zurückgezogen. Er wollte Klarheit und Kraft sammeln. Und dann landet bei ihm der Teufel höchstpersönlich. Er stellt Jesus drei Mal auf die Probe und sagt zuerst: „Du kannst doch Wunder. Mach aus diesen Steinen hier Brot, dann ist Schluss mit Hungern!“ Auch heute noch ist essen, trinken und genießen für viele ständig eine Versuchung.
Im zweiten Anlauf schlägt der Teufel Jesus vor: „Wenn du Gottes Sohn bist, dann könntest du doch locker deine Arme ausbreiten und losfliegen. Was glaubst du, wie die Leute glotzen würden.“ Diese Versuchung ist schon etwas subtiler. Sie spielt mit dem Bedürfnis nach Anerkennung. Ganz viele sehnen sich danach, dass ihre Arbeit gesehen wird: der tägliche Einkauf, die zuverlässigen Mitschriebe, die vielen Anrufe bei Tante Friedel.
Und schließlich der dritte Angriff auf die persönliche Fastenzeit von Jesus. Der Teufel bietet ihm Macht an. Er sagt: „Du musst dich nur vor mir niederwerfen, und schon gebe ich dir die Macht über die ganze Welt.“ Auch das ist nicht nur für Jesus eine Verlockung. Macht im Kleinen heißt, dass ich Partnerin oder Kollegen im Griff habe.
Erfolg hat der Teufel nicht. Jesus lässt ihn einfach abblitzen. Eine Scheibe von Jesus abschneiden hieße für mich, dem ein oder anderen Teufelchen auch mal die kalte Schulter zeigen zu können. Vielleicht finde ich so in der Fastenzeit ein wenig zu mir selbst.
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