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SWR2 Wort zum Tag

02JAN2021
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Es ist kein schlechter Gedanke, ein Jahr unter ein bestimmtes Motto zu stellen. Wir kennen das zum Beispiel im Blick auf Gedenkereignisse und Jubiläen besonderer Geistesgrößen oder Kulturschaffender: das Reformations- und Lutherjahr 2017, das Hölderlin- oder Beethovenjahr 2020; in diesem Jahr Friedrich Dürrenmatt oder Dante Alighieri.

Ein Thema oder Motto für ein Jahr gibt auch die sogenannte „Jahreslosung“ aus, das ist ein per Los gezogenes Bibelwort. Für das Jahr 2021 wurde als biblisches Motto ein Vers aus dem Lukasevangelium ermittelt, ein Zitat Jesu: „Seid barmherzig, wie auch euer Vater barmherzig ist!“

Wenn Jesus vom „Vater“ spricht, meint er in der Regel Gott. Doch „barmherzig“ oder „Barmherzigkeit“ – das ist in unserem Sprachgebrauch ein aus der Mode gekommenes Wort, ähnlich wie „Gnade“ oder „Milde“. Was soll das sein?

Am ehesten begegnen uns Spuren dieser Begriffswolke noch im juristischen Kontext, wenn von einem „gnädigen Urteil“ die Rede ist oder davon, dass ein Richter bei seiner Entscheidung „Milde“ und „Barmherzigkeit“ walten ließ – oder aber im Blick auf radikale ethisch motivierte Lebensentwürfe wie zum Beispiel bei Mutter Theresa, die als Vorbild an Barmherzigkeit beschrieben wird.

Eher gebräuchlich ist da schon das Gegenteil: „unbarmherzig“. Und auch das ist eine Zeitansage, dass wir offenbar leichter mit dem Attribut „unbarmherzig“ umgehen als mit dem Wort „barmherzig“.

Schaut man in die Bibel, dann ist die Rede von Barmherzigkeit keine Randerscheinung, sondern geradezu zentral, auch und gerade im Alten Testament. In der Bibel hebräischer Sprache verweist die Wortwurzel auf den Mutterleib, also den Ort, an dem neues Leben empfangen wird und entsteht. Hier ist das Organ, mit dem Barmherzigkeit empfunden und geübt wird. Barmherzigkeit kommt aus dem Bauch, und sie erweist sich gegenüber dem kleinen, dem jungen, dem sich erst noch entfaltenden Leben.

Gottes Barmherzigkeit ist ein Vorschuss seiner Liebe gegenüber unserem noch nicht gelebten Leben. Am Beginn eines neuen Jahres ein wertvoller und ermutigender Gedanke! Von solch einer zuvorkommenden Haltung seien auch unsere Beziehungen geprägt; nicht nur in der Begegnung mit anderen, sondern auch mit uns selbst: „Seid barmherzig!“

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SWR2 Wort zum Tag

01JAN2021
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Am Neujahrsmorgen liegt das neue Jahr wie ein leeres Buch vor uns. Gewiss, manches nehmen wir aus dem alten Jahr mit herüber. Wer den Jahreswechsel zum Beispiel in einer Klinik erlebt, für den wirkt dieses Datum selbst wahrscheinlich weniger einschneidend. Da wird der Tag der erhofften Genesung und Entlassung das ereignisreichere Datum sein.

Und so mancher Terminkalender hat sich für das Jahr 2021 bereits gut gefüllt. Da wirkt das neu aufgeschlagene Jahresbuch gar nicht so leer. Immerhin gibt es so manche Planvorhaben, die auf den einzelnen Seiten vermerkt sind.

Freilich, mit Plänen ist das so eine Sache, wie das zurückliegende Jahr lehrt. Sie sind nicht in Stein gemeißelt, sondern mit Bleistift geschrieben – und für Korrekturen hoffentlich offen. Da muss ausradiert, überschrieben, umgeplant werden.

Wenn ich mir das neue, heute noch offen vor mir liegende Jahr als ein Notiz- oder Skizzenbuch vorstelle, dann stellt sich die Frage: Wie werde ich dieses Jahresbuch be-schreiben – im buchstäblichen Sinn? Was wird tatsächlich eingetragen werden auf diesen heute noch leeren Seiten meines Buchs; sozusagen Tag für Tag?

Manche Bücher haben am Beginn ein Widmungsblatt. Da ist die erste Seite – noch vor der Inhaltsübersicht und dem ersten Kapitel, vor einem Vorwort oder Prolog – mit einer Widmung versehen. Wenn ich ein neues Buch in den Händen halte, lese ich gerne auch solche Widmungen. In der Regel sind es wichtige Menschen im Leben des Autors oder der Autorin, denen die Widmung gilt: Ehepartner, Eltern, Kinder, Enkel oder Freunde…

Ich stelle mir also die Frage: Was schreibe ich auf die erste Seite meines neuen Jahresbuchs? Ist da vielleicht Platz für eine Widmung? Sozusagen ein kurzes Innehalten, bevor es so richtig losgeht. Und wem widme ich diesen besonderen Platz und damit mein neues Jahr?

Der Widmungseintrag für mein neues Jahr könnte natürlich einem oder mehreren Menschen gelten, die in meinem Leben eine besondere Rolle spielen. Ich möchte aber noch eine andere Widmungsidee bedenken: Wie wäre es, wenn ich mein neues Jahr Gott widmete?

Ich kann mir heute Morgen, am Beginn eines neuen noch unbeschriebenen Jahres vorstellen, dass ich es in einer besonderen Weise Gott widme. Das meine ich jetzt nicht einmal so, dass ich mein Leben mit seinen Möglichkeiten in den Dienst Gottes stelle. Das wäre zwar auch eine Widmungsidee, aber was mir vorschwebt, ist weitaus niederschwelliger.

Am Beginn dieses neuen Jahres breite ich das, was da offen vor mir liegt, vor Gott aus und lege es ihm hin. Ich vertraue mich und die unbeschriebenen Seiten meines Jahresbuches 2021 Gott an. Ich weiß ja nicht, was kommen wird. Das Leben ist unverfügbar. Ich kenne vielleicht manche kurzfristige Perspektive, habe Pläne und Erwartungen. Es gibt Wünsche, vielleicht auch Vorsätze im Blick auf das neue Jahr. Doch heute ist das wie ein Lufthauch in mir. Was tatsächlich daraus wird, wird sich weisen. In dieser Ungewissheit will ich mich aber nicht von Sorgen und Ängsten bestimmen lassen, sondern schaue im Vertrauen auf Gottes Begleitung in meine unverfügbare Zukunft.

Die Widmungsseite meines neuen Jahresbuches möchte ich darum mit Gottvertrauen füllen – oder anders gesagt, ich schreibe auf ihr ein Gebet nieder. Es könnte zum Beispiel so lauten: „Gott, ich weiß nicht, was das kommende Jahr für mich und meine Familie bereithält, für meine Freunde, für dieses Land, diese Welt. Aber ich lege es in deine Hände, mit allen Plänen, die ich mache. Wo sich etwas von meinen Vorhaben und Erwartungen realisieren lässt, da will ich dankbar sein, und wo ich enttäuscht werde, da gib du mir die Kraft, diese Enttäuschungen auszuhalten und zu tragen.“

Vielleicht lässt sich ein Jahr, das mit einer solchen Widmung eröffnet wird, entspannter und sorgenfreier angehen.

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SWR2 Wort zum Tag

31DEZ2020
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Zum Jahresende gibt es Rückblicke allenthalben: im Fernsehen, in Zeitungen, in Kabarettsendungen… Sie enthalten das, was das gesellschaftliche, das öffentliche Leben betrifft. Ich selbst komme dabei nur am Rande vor, als Randfigur sozusagen. Da ist es gut, den allgemeinen Rückschauen eine ganz persönliche beizulegen: Woran denke ich, wenn ich auf die letzten zwölf Monate zurückblicke?

Das Jahr 2020 hat so gut wie nur ein Thema: die Corona-Pandemie mit all ihren Auswirkungen und Folgen. Daran kommt auch mein persönlicher Jahresrückblick nicht vorbei. Wenngleich es einen für mich vergleichsweise unbeschwerten Sommer gab, in dem Corona schon fast wieder an den Rand gedrängt schien – im Mittelpunkt meiner Rückschau stehen Erfahrungen mit Verlusten, mit Beschränkungen, mit Verzicht.

Zwar blieben meine Familie und ich von Todesfällen in Zusammenhang mit Corona verschont, doch lang geplante Familienfeiern mussten abgesagt oder verschoben werden. Bei runden Geburtstagen im hohen Alter ist das schon ein Verschieben auf den Sankt-Nimmerleins-Tag. Unmöglich in den schwersten Wochen des Jahres war auch der Zugang zu meinen beiden alten Eltern: Besuchsverbot in der Klinik oder im Pflegeheim. Da wird der Telefonkontakt – wenn überhaupt möglich – zum schwachen Ersatz.

Vermisst habe ich so manchen Besuch bei den Enkeln – und ich merke: Monate ihrer Entwicklung gehen dahin, ohne dass ich daran direkt teilhaben könnte. Demgegenüber empfinde ich ausgefallene Kulturereignisse als nicht so gravierend, doch auch sie fehlen mir mehr und mehr.

Das Jahr 2020 – ein Jahr der Defizite? Am Ende nur Wehmut, Schmerz oder Sehnsucht? Ich habe in diesem Jahr auch eine andere Seite des Lebens für mich wieder neu entdeckt: die Enthaltsamkeit. Fast schon vergessen, dass es das auch einmal gab: Fastenzeiten als Zeiten des bewussten Verzichts. Und Verzicht kann man auch dann bewusst üben, wenn er nicht freiwillig geleistet, sondern einem abverlangt wird.

Die Erfahrungen, die ich dabei machen konnte, lassen sich für mich so beschreiben: Es ist nichts selbstverständlich im Leben. Das, was es gibt, was möglich ist, lässt sich neu schätzen lernen. Gerade dort, wo es einmal fehlte. Ich habe für mich neu gelernt, das Leben mit seinen Möglichkeiten dankbar anzunehmen – als Gabe aus Gottes Hand.

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SWR2 Wort zum Tag

21OKT2020
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Jedes Lebensalter hat seine Vorzüge und seine Defizite. Manchmal erkennt man das erst spät oder gar nicht – und meistens sieht man nicht, was unmittelbar vor Augen liegt. Menschen neigen dazu, Vergangenes im Leben zu vergolden, und gewiss: die spielerische Neugier des Kindes oder die ungestüme Weltverbesserungsperspektive der Jugend haben ihre Stärke und ihren Charme.

Doch es gibt auch in anderen Lebensphasen Glanzlichter: ob es das Gefühl ökonomischer Unabhängigkeit oder beruflichen Erfolgs ist, das Glück der eigenen Kinder und später der Enkel. Und man spricht auch von der erfahrungsgesättigten Weisheit des Alters.

In einem Weisheitswort der Bibel heißt es: „Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend, ehe die bösen Tage kommen und die Jahre sich nahen, da du sagen wirst: Sie gefallen mir nicht.“ Nicht schwer vorzustellen, wer so etwas schreibt. Da ist jemand im Alter angekommen, hat die Blüte des Lebens kennen gelernt, die er jetzt verwelken sieht. Und nun wendet er sich an die Jugend mit dem Aufruf: „Freut euch eures noch blühenden Lebens! Es wird nicht besser!“

Das weisheitliche Wort aus dem biblischen „Prediger“-Buch kann man so hören: als Mahnung, die Schönheit und Stärke jugendlicher Erfahrungen zu schätzen, bevor Leib und Geist dem natürlichen Alterungsprozess anheimfallen.

Doch ich kann es auch anders verstehen: als eine Art inneren Dialog. Jedes Lebensalter hat einem anderen etwas zu sagen. Meine eigene Jugend hat eine Botschaft an mich in meinem Alter.

„Denk an deinen Schöpfer in deiner Jugend…“ – das kann für mich auch heißen: „Schau auf deine Lebenszeit als junger Mann, auf die Aufbruchsstimmung damals. Aber fang nicht an, dem nachzutrauern wie einem verlorenen Schatz! Du hast ja diesen Schatz auch heute noch in dir – als Erfahrungsschatz. Also lerne von ihm! Lerne es, Gott dankbar zu sein für die Schönheit und Blüte deines Lebens, für die Augenblicke, da du die Lebenskräfte in dir spürtest, die Gott in dich hineingelegt hat.“

Die Mangelerfahrungen des Alters machen den Dank bisweilen etwas schwer. Doch aus den eigenen jüngeren Jahren kann ich davon etwas für mich gewinnen – gerade in den Tagen, von denen ich sagen möchte: „Sie gefallen mir nicht.“

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SWR2 Wort zum Tag

20OKT2020
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Einer meiner Lieblingsverse der Bibel ist das Psalmwort: „Gott spricht: Ich stelle deine Füße auf weiten Raum.“ Gott als ein Gott des weiten und offenen Raums, ein Gott der Freiheit.

Ich bin in religiösen Verhältnissen aufgewachsen, die von der Weite dieses Psalmworts nur wenig erkennen ließen. Als Jugendlicher habe ich die Grenzen konservativer Moral zu hören und zu spüren bekommen – ob es um die in diesem Alter so brennenden Fragen von Liebe und Sexualität ging, um das Verhältnis zu Autoritäten oder um die politische Moral, die sich in meiner Jugend vor allem an Themen der Friedenssicherung und der Ökologiebewegung abarbeitete.

„Ich stelle deine Füße auf weiten Raum.“ Das meint im unmittelbaren biblischen Kontext die Befreiung aus Erfahrungen, die bedrängen und einengen. Die körperlich nahe gehende Auseinandersetzung mit denen, die einem nach dem Leben trachten. Der weite Raum ist dagegen ein Hort neu gewonnener Sicherheit, der erst einmal aufatmen lässt.

Eine bedrängende Erfahrung – das kann auch eine berufliche Situation sein, in der man sich kontrolliert und eng angebunden fühlt, noch ehe die eigene Kreativität wirksam werden darf, um Herausforderungen mit Phantasie und Mut anzugehen. Oder wenn der Terminkalender so dicht gefüllt ist, dass er für Atem- und Kunstpausen keine Luft lässt.

„Ich stelle deine Füße auf weiten Raum“ – das heißt für mich: Bei Gott gibt es zunächst einmal keine Denkverbote. Freilich, nicht alles ist richtig und tragfähig, was ich mir in meinem Kopf zusammenreime. Ich muss korrekturfähig bleiben, nicht zuletzt durch die Worte der Bibel oder die Erfahrungen in einer Gemeinschaft von Mitchristen. Aber am Anfang steht der weite Raum, die Freiheit drauf los zu denken und nicht gleich möglichen Bedenken Rechnung tragen zu müssen.

Etwas Zweites kommt hinzu: Weiter Raum ist auch das Gegenteil von engem Horizont. Das ist mehr als die eigenen vier Wände oder der beschauliche Vorgarten. In einen weiten Raum mit offenem Horizont wird vieles sichtbar – auch manches, das mir vielleicht auf den ersten Blick nicht gefällt: eine andere Sicht der Dinge, ein anderer Lebensstil, eine kritische Anfrage an mich. Und ich vertraue darauf, dass Gott mir die innere Beweglichkeit und Offenheit schenkt damit umzugehen.

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SWR2 Wort zum Tag

19OKT2020
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An Schnitt- und Wendepunkten des Lebens tun wegweisende Worte gut. Auch der Übergang in eine neue berufliche Aufgabe ist ein solcher Wendepunkt. Vor kurzem wurde ich in ein neues Arbeitsfeld als Pfarrer eingesetzt. Im Rahmen des Gottesdienstes zur Einführung erhielt ich ein Segenswort zugesprochen, den Psalmvers: „Gott spricht: Ich will dich mit meinen Augen leiten.“

Mich hat es berührt und es ist mir nachgegangen. Die unmittelbare Bedeutung dieses Verses liegt ja auf der Hand. Man kann es sich ganz praktisch vorstellen, wie bei einem Berg- oder Wanderführer. Wenn der sagt: „Ich werde dich bei unserer Unternehmung mit meinen Augen leiten“, dann kann ich mich sicher fühlen. Ich weiß, er wird die Orientierung unseres Wegverlaufes übernehmen. Ich vertraue auch darauf, dass mein Begleiter in schwierigem Gelände genau hinschauen wird, wie meine Füße sicheren Tritt fassen.

Im übertragenen Sinn kann ich das auf die Lebensbegleitung Gottes anwenden: Er wird mir nahe sein und mich orientieren auf meinem Weg – auch im unbekannten Gelände neuer beruflicher Aufgaben.

Doch der Psalmvers hat mich noch zu anderen Überlegungen veranlasst. Wenn Gott sagt: „Ich will dich mit meinen Augen leiten“, dann liegt es nahe zu fragen, was Gott mit seinen Augen sieht. Eine spannende Frage! Mir fällt auf Anhieb manches dazu ein:

Gottes Augen sehen zum Beispiel – so heißt es am Anfang der Bibel – die Wunder und Schönheiten der Schöpfung. Gott sah, was er gemacht hatte, und siehe: es war sehr gut.

Oder ich erinnere mich an eine Geschichte aus der Bibel, in der eine von ihrem Mann verstoßene Frau mit ihrem Sohn in der Wüste beinahe umkommt. Am Ende wird sie dennoch gerettet und lobt Gott mit einem neuen Namen: „Du bist ein Gott, der mich und meine Not gesehen (und gewendet) hat.“ Hier rückt die Bibel mit Gottes geschärften Augen ein Opfer männlicher Gewalt in den Blick. Wer seine Augen davon leiten lässt, kann nicht einfach wegsehen.

Wenn Gott mir zuspricht: „Ich will dich mit meinen Augen leiten“, dann bedeutet das wohl auch: „Ich will dir die Augen öffnen für das, was ich sehe.“ Und damit durchs Leben zu gehen, weitet nicht nur den Blick, sondern auch das Herz.

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SWR2 Wort zum Tag

01AUG2020
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Nützt es etwas zu beten? Die Antwort auf diese Frage hängt wohl davon ab, wie wir das Wort „beten“ und die Wendung „es nützt etwas“ verstehen. Wenn der „Nutzen“ des Gebets darin liegen soll, dass sich damit einfach alle meine persönlichen Wünsche erfüllen, dann ist das wohl ein Missverständnis. Beten hat keine Wunscherfüllungsgarantie. Nirgendwo in der Bibel wird das gesagt.

Beten ist nicht der Ersatz für zupackendes und zielführendes Handeln. Dass Handeln und Beten auseinanderfallen oder gar einen Widerspruch darstellen, ist ein altes Vorurteil. Beten ist aber auch nicht die magische Kunst, dasjenige mit irgendwelchen übernatürlichen Mitteln zu bewerkstelligen, was sich meinem direkten instrumentellen Zugriff entzieht.

Beten ist zunächst einmal ein Einstimmen auf das Wesen und den Willen Gottes. Im Gebet mache ich mich mit Gott und seinem Willen eins. Deshalb lautet eine der Anfangsbitten des Vaterunsers: „Dein Wille geschehe.“ Deshalb spricht Jesus vom Beten „in seinem Namen“.

Beten verändert, ja, aber es verändert zunächst einmal mich selbst. Und es verändert das übliche Denkmuster, die Wirklichkeit nach meinen Wünschen formen zu wollen. Der Erfolg des Betens könnte also geradezu darin bestehen, dass ich von Wünschen frei werde. Wie gesagt: „könnte“.

Das Gebet filtert und reinigt mein oberflächliches Wunschdenken. Ich will an einem Beispiel zeigen, was ich meine. Mein Gebet könnte so aussehen: Gott, der du mir als Mensch ganz nahe gekommen bist in unserem Bruder Jesus Christus: Ich darf dich „Vater“ nennen, weil du mich liebst wie dein eigenes Kind. Du hast mir zugesagt, meine Bitten, die ich in deinem Namen vor dir ausspreche, zu erhören. Doch nicht wie ich es will, sondern wie du willst, soll es geschehen.

Im Gebet prüfe ich meine Wünsche. Zunächst einmal werde ich mir beim Beten dessen klar, was mein Leben vor Gott bedeutet. In diesem neuen Licht besehen mag es dann immer noch vieles geben, was mich umtreibt, was mir Sorgen bereitet, ja, was ich mir an Gutem, oder besser: an Segen wünsche – für mich und die lieben Menschen, die mir nahe stehen, für die Beziehungen, in denen ich lebe, und für die Gemeinschaften, in denen ich stehe, für diese Welt und ihre Menschen. Im Vertrauen auf Gott lege ich diese Wünsche vor ihn hin, vertraue sie ihm und seinem Willen an.

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SWR2 Wort zum Tag

31JUL2020
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„Alles Gute kommt von oben“ – heißt es in einer Redensart. Wenn man auf den Regen schaut, den die Natur im Sommer so nötig braucht, leuchtet das unmittelbar ein. Doch der Aussagegehalt des Sprichworts reicht weiter: Das Gute, das von oben kommt, meint den Segen Gottes. Und das passt gut zusammen mit so mancher biblisch-christlichen Vorstellung, dass Gott seinen Segen auf die Menschen legt, dass er seinen Segen wie Regen über sie ausgießt.

Ein schönes Bild: Unter dem Segen Gottes kann menschliches Leben wachsen und gedeihen. Es kann aufblühen. Doch wo und wie kommt mir solcher Segen zu? Bisweilen erscheint mir das Leben, das ich lebe, als eine reichlich trockene Angelegenheit. Da sind Durststrecken zu überwinden, und ich lechze nach frischer Lebensenergie wie eine durstige Pflanze nach dem lebenspendenden Regenwasser.

Doch ich kenne auch die andere Erfahrung: dass Gottes Segen wirklich auf mich herabregnet. Und eigenartigerweise ganz anders als beim natürlichen Regen: Hier habe ich den Eindruck, dass ich selbst etwas dazu tun kann, zumindest mich dafür bereit machen kann, Segen zu empfangen.

Ich erzähle hier einfach von einer persönlichen Übung, die mir dabei hilft, empfänglich zu werden für Gottes Segen. Mir gelingt das am besten in der persönlichen Stille und im Gebet. Ob am Morgen eines Tages oder am Abend. Ob täglich, wöchentlich oder einmal im Monat. Ob zuhause, beim Spazierengehen im Wald oder in einer offenen Kirche. Der Augenblick des Innehaltens macht es aus; das kurze Aussteigen aus einer Alltagsmaschinerie, die mich permanent weitertreibt.

Ich beginne dann oft mit einer kleinen Geste des Dankes: Wofür kann ich dankbar sein in diesen Tagen, die ich gerade erlebe? Worin erlebe ich die Wohltaten Gottes? Dann kommen meine Fragen, meine Sorgen, meine Wünsche: Welche Herausforderungen liegen vor mir? Was benötige ich dafür an Kraft?

Dabei wird mir oft bewusst, wie sehr all mein menschliches Vermögen in einer höheren Macht wurzelt, nämlich in der Kraft Gottes selbst. Mit meinem bisweilen kleinen Glauben, mit meiner empfundenen Ohnmacht, meinen Zweifeln und meinem Verzagtsein kann ich mich an Gott wenden und ihn um die rechte Kraft für meinen Alltag bitten – täglich neu; und er wird sie spenden, ausregnen lassen, alle Tage aufs Neue.

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SWR2 Wort zum Tag

30JUL2020
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„Über den Wolken muss die Freiheit wohl grenzenlos sein…“ – nicht nur in diesem Lied von Reinhard Mey verbindet sich das Fliegen mit dem Gefühl von Freiheit. Bisweilen dichten wir sogar den Vögeln eine besondere Freiheitserfahrung an. Ernüchternd wirkte auf mich einmal die Feststellung eines Ornithologen: „Vögel fliegen nicht, weil sie Lust dazu haben, sondern weil sie es müssen!“

Dennoch kann ein Blick in die Natur gleichnishaft sein und mir neue Sichtweisen im Blick auf menschliches Leben eröffnen, ja auf das Leben überhaupt.

Seit einigen Monaten beobachten meine Frau und ich über eine Webcam eine Storchenfamilie in ihrem Nest irgendwo in Brandenburg: Es begann mit dem Ausbrüten der Eier und dem Schlüpfen der Nestlinge.

Wir nehmen das aus menschlicher Perspektive wahr, finden es süß und putzig. Doch dann geschieht etwas, das auf menschliche Gefühle irritierend wirkt: Eines Tages nahm einer der erwachsenen Störche ein Junges und schleuderte es durch die Luft, bis es reglos im Nest liegen blieb. Eine Form der Selektion! Nur die Stärksten überleben. Vorsicht also mit der Vermenschlichung der Natur!

Inzwischen sitzt nur noch ein Jungstorch im Nest. Die Eltern kommen gelegentlich vorbei, um ihm Nahrung zu bringen. Er kann ja noch nicht ausfliegen, um sich selbst zu versorgen. Seine ersten Flugstunden werden diejenigen zu Beginn seines großen Flugs in den Süden sein.

Nehme ich die Beobachtung des Jungstorchs als Sinnbild, dann erinnert es mich an meine eigenen Vorstöße ins Unbekannte, ins Offene. Irgendwann gilt es. Dann musst du raus aus dem Nest.

Das gibt es im Grunde jeden Tag, vor allem aber an Wendepunkten des Lebens: beim Antritt einer neuen Arbeitsstelle, bei einem Umzug, beim Eintritt in den Ruhestand.

Immer wieder gibt es solche Wagnisse, denn ein Wagnis ist es: Du musst das tun, was in dir angelegt ist. Du musst es wagen. Ohne einen Erst- oder Zweitversuch. Es gibt nur diesen Augenblick.

Und zugleich führt mich das Bild vom Jungstorch kurz vor seinem großen Aufbruch zurück an mein Grundvertrauen: Du kannst es. Gott hat es in dich hineingelegt. Also wage es! Pack die Zukunft an! Brich auf, hinein in einen neuen Tag.

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SWR2 Wort zum Tag

20MAI2020
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„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“ Das ist ein Satz aus dem Neuen Testament, aus dem biblischen „Hebräerbrief“ – und er hat es in sich. Er hat ein fast schon „philosophisch“ zu nennendes Gewicht, und er verdient es meditiert zu werden, gerade in diesen Tagen.

Ich erlebe die gegenwärtige Gesellschaft als im höchsten Maße verunsichert: Die Erfahrungen einer Virus-Pandemie wirbeln viele Übereinkünfte und Selbstverständlichkeiten durcheinander, die unser alltägliches Leben sonst so verlässlich regulieren. Auf der anderen Seite sind die Erfahrungen, die wir mit dieser Viruserkrankung machen, noch zu dürftig, um wirklich Schlüsse daraus ziehen zu können, die Entspannung bringen und uns zur Tagesordnung übergehen lassen.

Deshalb schweben über uns die Fragen: „Wie lange noch?“, „Mit welchen Folgen?“, „Wie verwundbar sind wir – wie belastungsfähig?“ Ich spüre, auf diese Fragen in jenem Satz aus dem Hebräerbrief eine Antwort erhalten zu können – zumindest eine erste Orientierung.

„Es ist aber der Glaube eine feste Zuversicht auf das, was man hofft, und ein Nichtzweifeln an dem, was man nicht sieht.“

Glaube und Hoffnung werden hier eng aufeinander bezogen, ineinander verschränkt. „Die Hoffnung stirbt zuletzt“, sagt man so beiläufig. Ein schlechter Satz! Konkrete Erwartungen können „sterben“. Sie können enttäuscht werden. Aber Hoffnung ist für mich mehr: Dass ein Mensch überhaupt Zukunft hat und auf sie bewusst und offen zugeht, ohne gleich in Ängsten zu versinken - das ist für mich das Grundprinzip Hoffnung. Offen zu sein für morgen.

An dieser Zukunftsperspektive festzuhalten, sich auf sie hin zu orientieren – das nennt der Hebräerbrief „Zuversicht“, und eben dies, zuversichtlich zu sein, ist „Glaube“; mit anderen Worten also ein Vertrauen auf die Lebenszeit, die vor mir liegt.

Woher kommt solches Vertrauen? Worauf gründet es sich? Der Satz aus dem Hebräerbrief spricht es selbst nicht aus, aber der Zusammenhang verrät es: Vertrauen kann nur dort wachsen, wo mir meine Zukunft aus der Hand Gottes entgegenkommt. Weil sie letztlich seine Handschrift trägt, kann ich zuversichtlich, voll Vertrauen sein. Auch und gerade dann, wenn es noch nichts zu sehen gibt.

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