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SWR2 Wort zum Tag

Woher holen wir den Atem? Für die meisten Menschen ist ihr Atmen so selbstverständlich, dass sie gar nicht auf die Idee kommen, diese Frage zu stellen. Nicht so Navid Kermani.

Der Orientalist und Schriftsteller, der im letzten Jahr den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhielt, bewegt sich auf faszinierende Weise immer wieder zwischen den Welten der östlichen und westlichen Kulturen und Religionen. In seinem Buch „Zwischen Koran und Kafka“ deckt er Motive in der Weltliteratur auf, die zeigen, wie sehr sich religiöse Traditionen des Ostens und des Westens wechselseitig inspiriert haben. Ein Kapitel widmet er Johann Wolfgang von Goethe und überschreibt es „Gott-Atmen“.

Allen Glaubens- und Gottesvorstellungen voraus ist für Kermani der Atem „die grundlegende religiöse Erfahrung, die wir bestreiten oder anerkennen können“. Und er zitiert Goethe aus dem „West-östlichen Divan“:

Im Atemholen sind zweierlei Gnaden:

Die Luft einziehn, sich ihrer entladen.

Jenes bedrängt, dieses erfrischt;

So wunderbar ist das Leben gemischt.

Du danke Gott, wenn er dich preßt,

Und dank‘ ihm, wenn er dich wieder entläßt.

Auch wenn der Atem rein physiologisch erklärt werden kann, vermag doch – so Kermani – „nichts so sehr wie der Atem selbst das nüchternste Gemüt erschüttern.“ Mindestens der erste Atemzug bei der Geburt eines Kindes und beim Sterben eines Menschen der letzte. „Ich bin mir sicher“, sagt er, „dass Gott für den Menschen entstanden ist in ebensolchen Situationen wie der Geburt des eigenen Kindes, in denen das Bedürfnis einen überwältigt, seinen Dank auszusprechen. Denn zu danken bedeutet: jemandem oder etwas zu danken.“

In diesem Zusammenhang zitiert Kermani Goethe mit einem Absatz aus Wilhelm Meisters Lehrjahren:

„Wie glücklich war ich, dass tausend kleine Vorgänge zusammen, so gewiß als das Atemholen Zeichen meines Lebens ist, mir bewiesen, dass ich nicht ohne Gott auf der Welt sei! Er war mir nahe, ich war vor ihm. Das ist’s, was ich mit geflissentlicher Vermeidung theologischer Systemsprache mit größter Wahrheit sagen kann.“

Ohne „theologische Systemsprache“: Goethe traut seiner eigenen Sprache, um möglichst nahe an dem zu sein, wie er die Nähe Gotte erfährt. Damit lobt er Gott – wie der Beter des Psalms „Alles was atmet, lobe den Herrn.“ (Ps 150)

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SWR2 Wort zum Tag

Charakteristisch für die Predigt Jesu ist eine Radikalisierung der Gebote. Er lenkt den Blick vom äußeren Tun auf die innere Haltung. Entscheidend für das Urteil über gut und böse ist nicht erst das nach außen erkennbare Handeln, sondern die innere Haltung, der Geist. Aber was ist dieser Geist?

Im Johannesevangelium wird diese Frage immer wieder an Jesus gestellt. Das erste Mal will ein Gesetzeslehrer wissen, wie ein erwachsener Mensch aus dem Geist neu werden, neu geboren werden kann. Und Jesus antwortet, dass Gottes Geist nichts ist, was man festhalten und worüber man verfügen kann. Er sagt: „Gottes Geist ist wie der Wind, der weht, wo er will, du hörst sein Brausen, weißt aber nicht, woher er kommt und wohin er geht. (Joh 3,8) Ein anderes Mal spricht Jesus mit einer Frau über ihre unterschiedlichen religiösen Traditionen. Sie fragt ihn nach dem rechten Ort, um Gott anzubeten. Und Jesus antwortet: „Gott ist Geist, und die ihn anbeten, werden ihn in Geist und Wahrheit anbeten. (vgl. Joh 4,23) Beide Male lenkt Jesus den Blick seiner Gesprächspartner in eine neue Richtung: von außen nach innen. Von einer sichtbaren hin zu einer unsichtbaren, nicht fassbaren und nicht verfügbaren Wirklichkeit.

Ein drittes Mal verheißt Jesus denen, die an ihn glauben, dass ihre eigene Quelle in ihnen zu lebendigem Wasser wird. „Wer Durst hat, der komme zu mir, und es trinke, wer an mich glaubt. Wie die Schrift sagt: ‚Aus seinem Innern werden Ströme von lebendigem Wasser fließen‘.“ (Vgl. Joh 7,37-39) Der Evangelist Johannes fügt hinzu: „Damit meinte er den Geist, den alle empfangen sollten, die an ihn glauben“.

Das Johannesevangelium geht davon aus, dass sich Religionen durch äußere Merkmale unterscheiden: Orte, Feste und Gebetsformen. Diese sind jedoch für Jesus weniger wichtig als der Geist. Menschen sollen sich weniger durch das bestimmen lassen, was in ihrer Religion nach außen sichtbar wird als durch die Gegenwart des Geistes in ihnen. Im Vertrauen auf den Geist in ihrem Innern werden sie ihren eigenen Weg gehen, innerhalb ihrer Religionsgemeinschaft und in der Freiheit mündiger Menschen.

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SWR2 Wort zum Tag

Jesus fragt einmal: „Was meint ihr? Wenn einer hundert Schafe hat, und es verirrt sich eines von ihnen, wird er dann nicht die neunundneunzig auf den Bergen zurücklassen und sich aufmachen, das verirrte zu suchen?“  

Was meinen Sie, was würden Sie tun? Das Evangelium stellt seine Hörer, bzw. Leser vor eine Frage, die uns auch heute keine Wahl lässt: Auch heute müssen wir unsere eigene, unsere persönliche Antwort geben; auf eine Frage, die Jesus im 18. Kapitel des Matthäusevangeliums seinen Jüngern stellt.

Was ist wichtiger: sich um das Wohl der vielen, der großen Zahl, der Mehrheit in einer Familie, in einem Volk zu sorgen – oder sich einem Einzelnen, wenigen Menschen, einer Minderheit mit aller Kraft zuzuwenden; um den Preis, die vielen anderen außer Acht zu lassen, sich selbst zu überlassen. Eben das tut ja der Hirte, der die 99 Tiere seiner Herde allein lässt, und sich auf die Suche nach dem einen verirrten oder verletzten Tier begibt, das verloren gegangen ist.

Was ist wichtiger? Das ist doch klar! Das Wohl der großen Mehrheit kann nicht aufs Spiel gesetzt werden, weil ein einzelnes Glied der Gemeinschaft in Not ist. Allerdings trifft eben auch zu, dass die Vielen in diesem Augenblick sicher sind. Sie sind gesund und nicht allein, sie sind in einer Situation sind, die keine besondere Aufmerksamkeit benötigt. Die weitere Frage ist also: wer braucht unsere Aufmerksamkeit? Die vielen in einer Gemeinschaft, die da sind, die allem Anschein nach gut zurechtkommen – oder einer aus dieser Gemeinschaft, der nicht mehr mithalten kann und in dem Sinn nicht mehr dabei ist? Jetzt ist die Antwort schwieriger.

Die Aufmerksamkeit für den Einzelnen hat immer auch etwas Anstößiges: Soviel Zeit, soviel Kraft, soviel Geld in das Wohl eines einzelnen investieren, der verletzt ist, der sich verirrt hat, der in Not ist, wie das eine von den hundert Schafen – das kann doch nicht sein! Das ist unverhältnismäßig; das kommt uns ungerecht vor. Und doch gibt es diese eigenartige Erfahrung: Die Aufmerksamkeit, die in die Zuwendung eines einzelnen Menschen investiert wird, kann sich auf die größere Gemeinschaft, zu der er gehört, so auswirken, dass für alle etwas überraschend Neues aufbricht.

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SWR2 Wort zum Tag

In vielen Klöstern kommen Ordensleute zu einer Nachtwache zusammen, die mit einem Hymnus, einem Lied beginnt. In französischen Texten für das Stundengebet fand ich ein solches Lied, das in fünf Strophen immer wieder eine Nacht besingt: Die Nacht der Anfänge von allem. Die Nacht der Geburt des Jesus von Nazareth. Die Nacht seines Todes am Kreuz. Die Nacht seines unbegreiflichen Sieges über den Tod. Und schließlich die lange Nacht eines jeden menschlichen Lebens.

Warum wird ausgerechnet die Nacht besungen? Das Dunkel der Nacht steht doch für alles, was gefährlich sein kann und Angst macht. Das Dunkel verbirgt all das, was den Tod bringt. Bei Tageslicht können wir einer Gefahr wenigstens ins Auge blicken. Das Dunkel der Nacht ist der Ort der Ereignisse, die uns überraschen. Der Ort all dessen, was uns unvorbereitet und ungewappnet trifft und was wir auch nicht mit Erklärungen in unsere Macht bekommen können. So steht die Nacht für all das, was sich uns für immer entzieht.

Die Herkunft des Menschen, der Ursprung der Welt liegt im Dunkel. Im Dunkel liegt für Christen der Ursprung, die Herkunft des Menschen Jesus: das Wunder dieses Menschen, der den Lauf der Geschichte mit etwas Neuem unterbricht. Im Dunkel liegt jene Nacht auf dem Hügel vor den Toren der Stadt Jerusalem, als sich der Himmel verfinsterte und ein unschuldiger Mensch gequält und getötet wurde. Im Dunkel liegt, was im Grab geschah an jenem Tag, als die Jüngerinnen und Jünger Jesu begannen, den Lebenden nicht mehr unter den Toten zu suchen. Und im Dunkel liegt auch die Nacht, die das Leben eines jeden Menschen zu einem Rätsel macht.

Diese Nacht besingt das Lied der Mönche in der letzten Strophe: die lange Nacht, in der Menschen wandern und in der nichts mehr zu existieren scheint als die zerbrochenen Hoffnungen. Doch bereitet Gott in dieser und in jeder Nacht die Erde für sein Kommen. Jede Nacht birgt die Verheißung einer endgültigen Verwandlung, in der neues Leben anbricht, wie ein nicht endender Tag.   

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SWR2 Wort zum Tag

Francesco Tuccio lebt und arbeitet als Schreiner auf der Insel Lampedusa. Er gehört zu den vielen Inselbewohnern, die wütend sind, weil sich an der unerträglichen Situation der ankommenden Flüchtlinge so wenig ändert. Schon seit Jahren nehmen sie deshalb vieles selbst in die Hand, was den Flüchtlingen beim Start in ein neues Leben helfen kann. Francesco Tuccio sagt: „Es ist zu traurig, die Menschen kommen zerstört hier an; sie haben ein unbeschreibliches Leid an sich“.

2009, als der resolute Italiener besonders wütend über die Trägheit der Behörden war, kam ihm eine Idee: Er nahm zwei Stücke Holz, Trümmer eines gekenterten Flüchtlingsbootes, und fertigte daraus ein Kreuz. „Die Motivation dazu“ – so erzählt er -  „ist aus dem Leiden geboren, das ich in diesen erloschenen und müden Augen gesehen habe, in denen gleichzeitig ein Hoffnungsschimmer liegt.“ Für einen Christen sei das Kreuz immer auch die Hoffnung auf ein neues Leben, eine neue Geburt.

Eben dies ist die Botschaft, die das Kreuz zum Erkennungszeichen des Christentums macht. Es steht für Tod und Leben zugleich. Es steht für das Scheitern Jesu, der sich in allem, was er tat und sagte, dafür einsetzte, dass Menschen Zugang bekamen zu einem Leben in Freiheit und Würde, entsprechend ihren eigenen Begabungen und Quellen. Für ihn war ein Leben in Fülle der Wille Gottes für alle Menschen. Und das unbeirrbare Eintreten für diese Botschaft brachte ihn ans Kreuz. Das Kreuz ist aber zugleich das Zeichen für Christen, dass Leiden und Sterben nicht das letzte Wort haben. Denn Gott hat diesen Gekreuzigten zum ersten Menschen einer neuen Schöpfung gemacht, in der das Leben auf immer siegt.

Die Kreuze, die in den letzten sieben Jahren Teil von Tuccio’s Arbeit geworden sind, haben in Italien und darüber hinaus auch hier in Deutschland zahlreiche Verbreitung gefunden. Für ihre Reise gibt Tuccio ihnen Wünsche mit: „dass überall dort, wo das Kreuz Orte des Leidens berührt, sich die Menschen damit identifizieren können, die ihre Heimat verlassen mussten und in ein neues Leben aufgebrochen sind. So kann das Kreuz eine Botschaft der Liebe und der Freiheit bringen.“

 

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SWR2 Wort zum Tag

Erwartung, erwarten ist auf den ersten Blick etwas ganz und gar Einseitiges. Ich erwarte einen Gast. Ich bereite alles für sein oder ihr Kommen. Ich warte auf jemanden, mit dem ich verabredet bin. Er verspätet sich. Ich verliere die Geduld. Ich bin unsicher, ob ich das Warten lieber aufgebe.

Erwartung und Enttäuschung liegen nahe beieinander. Ich erwarte beispielsweise von einer Reise, einem bestimmten Ereignis etwas für mich: Freude, Bereicherung, eine gute Stimmung. Was dann aber eintrifft, lässt mich vielleicht unbefriedigt.

Eine Erwartung ist also stark persönlich geprägt: von der eigenen Geschichte, von den Ansprüchen, die jemand an sein Leben hat, und auch von den Ängsten. Von der Bereitschaft, eher das Negative zu sehen, oder das Gute zu erhoffen.

So hat auch die Erwartung der Christen in diesen Wochen vor Weihnachten eine sehr persönliche Färbung. Das Entscheidende aber, das die christliche Erwartung zu einer Hoffnung macht, liegt anderswo. Meine Hoffnung ist, dass ich erwartet werde, dass Gott mir mit seinem Warten entgegenkommt.

Das schönste Gleichnis dafür ist in den Evangelien das vom Sohn, der aufbricht und weggeht, um sein Erbe in die Hand zu nehmen. Der Vater gibt ihm seinen Anteil und lässt ihn ziehen. Der Sohn erspart sich nichts in seinem Leben. Als er am Ende ist, kehrt er zum Vater zurück. Von dem, worin er zuvor sein Glück gesucht hat, ist nichts mehr geblieben. Nur noch das Haus des Vaters ist seine Hoffnung. Und  nun geschieht das Unerwartete: Der Vater kommt dem Sohn entgegen. Vielleicht sieht er die Ausweglosigkeit des Sohnes. Aber größer ist seine Freude, ihn wiederzusehen und in die Arme schließen zu können. In dieser Freude geht er ihm entgegen. Seine Geste zeigt, wie sehr er den Sohn erwartet hat, die ganze Zeit, in der dieser fern von ihm war.

So – sagt das Gleichnis - werden Menschen erwartet. Die christliche Hoffnung gilt einem Gott, der jeden Menschen erwartet und ihm in ungeduldiger Freude entgegenkommt. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=21089
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SWR2 Wort zum Tag

Die vier Wochen vor Weihnachten sind von einem Warten bestimmt, das eine uralte Geschichte hat. Christen warten darauf, dass Jesus Christus wiederkommt, und stehen damit in der viel älteren Tradition gläubiger Juden, die auf den Messias warten.

Ein solches Warten findet Ausdruck in einem Lied, das französische Mönche oft  beim Morgengebet singen. Es beschreibt die eigentümliche Stimmung bei Tagesbeginn und nimmt sie zum Anlass, um vom Wachsen und Reifen der Erwartung zu sprechen. Einige Zeilen habe ich übersetzt:

„Wie ein Nebel, der zerreißt, und einen Gipfel enthüllt, so lässt uns dieser Tag einen anderen Tag erraten, unaussprechlich.

Dieser Morgen mit seinem Glanz einer Verheißung nimmt uns mit auf unserem Weg, Tag für Tag, wie der Schimmer einer Morgenröte, die nicht vergeht.

Komm, Geist, damit wir lernen, in diesem hell werdenden Tag den Raum zu sehen, in dem unser Warten reift auf den Tag Gottes hin, der unsere Hoffnung ist.“ Soweit der Text dieses Liedes.

In dieser Zeit des zu Ende gehenden Jahres dauert es lang, bis der Tag hell geworden ist. Aber dann taucht plötzlich etwas auf: klare Umrisse von Bäumen, Häusern, ein Horizont. Dieses Aufleuchten von etwas, das vorher kaum oder gar nicht zu erkennen war, hat etwas Überraschendes, wie wenn da etwas Neues ist. Das Tagwerden birgt eine Verheißung: Es taucht aus der Dämmerung etwas auf, etwas, was wir wiedererkennen und was doch unbekannt erscheint. Wie wenn das, was wir gestern noch gesehen haben, heute nicht mehr dasselbe ist. Wie wenn der mühsam heller werdende Morgen verspricht, dass alles neu wird. Und insgeheim ist da ein Warten auf das Licht, in dem alles anders wird.

Diese Stimmung ist häufig einem Tagesbeginn eigen, und vielleicht besonders dem beginnenden Tag im Winter. Es ist, wie wenn die Welt darauf wartet, dass eine Verheißung sich enthüllt, die sie noch nicht kennt und die sie zugleich wie ein Wunder erhofft. Diese Stimmung macht den Morgen zum Bild für einen Morgen, der nicht mehr vergeht. In dessen Licht alles neu wird.

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SWR2 Wort zum Tag

Advent, das ist eine Zeit der Erwartung. Christen erwarten, dass zur Vollendung kommt, was mit der Geburt Jesu begonnen hat. Viele Menschen teilen diese Erwartung nicht. Sie sagen, sie leben gut ohne dieses Hoffnung, sie sehen den Sinn des Lebens im Leben selbst. Eine solche Haltung fordert dazu auf, über die christliche Hoffnung nachzudenken. Die Evangelien erzählen in Gleichnissen, wie unterschiedlich Menschen eine Zeit der Erwartung ausfüllen.

Ein Gleichnis ist das von den Knechten. (Mt 24, 45-51) Der Besitzer des Anwesens, in dem sie arbeiten, ist verreist. In seiner Abwesenheit hat er einem der Knechte die Verantwortung übertragen, für das Wohl der anderen zu sorgen. Und nun erzählt das Gleichnis zwei Möglichkeiten. Ein Knecht tut, was der Hausherr ihm aufgetragen hat. Ein anderer denkt, dass der Hausherr nicht so bald zurückkehren wird, und unterdrückt seine Mitknechte, um auf ihre Kosten leben zu können. Bei seiner Rückkehr handelt der Hausherr an den beiden Knechten so wie sie in der Zeit seiner Abwesenheit gehandelt haben. Der eine wird bestätigt, der andere erfährt die Gewalt, die er anderen angetan hat, an sich selbst.

Das Gleichnis ist pragmatisch. Es legt den Akzent auf die Weise des Handelns, an der sichtbar wird, ob Menschen in einer Erwartung leben. Der Knecht, der seine Mitknechte misshandelt, erwartet nicht, dass der Hausherr zurückkommt. Der andere Knecht hingegen, der seine Verantwortung wahrnimmt, lässt dadurch erkennen, dass er in der Erwartung eines gerechten Herrn lebt.

Was zeigt das Handeln eines Menschen, dem das Wohlergehen seiner Mitmenschen nahegeht? Was zeigt das Engagement derjenigen, die heute beispielsweise sich um die ankommenden Flüchtlinge sorgen und von dieser Sorge ihr Leben verändern lassen? Es zeigt, dass diese Menschen daran glauben, dass das Leben wert ist, gelebt zu werden, dass es nicht ins Leere läuft, dass es nicht gleichgültig ist, ob wir lieben oder hassen. Diese Menschen sind überzeugt davon, dass es sich lohnt, sich für ein Leben in Freiheit, Würde und Sicherheit einzusetzen. Sie sind wie der Knecht, der auch in Abwesenheit des Hausherrn seiner Verantwortung treu ist.

 

 

 

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SWR2 Wort zum Tag

„Gott spricht immer nur Ja.“ Das sagt Angelus Silesius, der zur Zeit des 30jährigen Krieges lebte. Ein Mystiker in einer Zeit, in der ein solcher Satz mindestens so anstößig war wie er es heute ist. In einer Welt der Konflikte und Kriege, des Sterbens von Menschen, die in ein besseres Leben fliehen, der Gewalt gegenüber schutzlosen Kindern und Frauen – in einer Welt, in der so leichtfertig getötet wird, ist dieser Satz unmöglich: „Gott spricht immer nur Ja“. Das kann kein Mensch hören, ohne sich dagegen aufzulehnen. Welcher Gott ist das, der nichts ist als Zustimmung, so wie ihn der Mystiker Angelus Silesius erkennt? Gottes Ja zum Leben ist doch ganz eindeutig zugleich ein Nein zu allem, was Leben verachtet und es tötet.

Der Apostel Paulus versteht Jesus Christus als den Menschen, in dem das grenzenlose Ja Gottes in die Welt eingetreten ist. Am Anfang des 2. Briefes an die Korinther steht der erstaunliche Satz: „Ja ist in ihm geworden.“

Was bedeutet also das grenzenlose Ja Gottes? Es bezieht sich nicht auf etwas, nicht auf eine gute und auch nicht auf eine böse Welt. Es ist losgelöst von allem, absolut. Es kann daher nicht durch seinen Bezug auf etwas verstanden werden, sondern nur in Bezug auf die Person dessen, der es sagt. Wer ein solches Ja sagt, grenzt sich nicht ab. Jedes Nein zieht ja eine Grenze. Wer ein Nein sagt, grenzt Eigenes ab – wir wissen, wie wichtig es für ein Kind ist, Nein zu sagen, um die eigene Persönlichkeit zu stärken. Ein Gott jedoch, der nichts ist als Zustimmung, behält nichts Eigenes für sich zurück.

Gott, der „immer nur Ja“ spricht, grenzt sich nicht ab. Er enteignet sich. Er behält nichts für sich. Er hat auch keinen eigenen Namen. Bei einem französischen Theologen fand ich diese Deutung der alttestamentlichen Erzählung vom brennenden Dornbusch: In ihm – sagt er - verbrennen alle besonderen Namen und Aussagen, alles, womit wir Gott bezeichnen und Zugriff auf ihn haben wollen. Als Mose Gott bittet, ihm seinen Namen zu nennen, erhält er zur Antwort: „Ich habe keinen Namen als das, was dich aufbrechen lässt.“ Seit Menschengedenken ist das Ja Gottes also im Aufbruch von Menschen verborgen als ein Ruf, als ein Wort, das sie bewegt.

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SWR2 Wort zum Tag

Die Ordensfrau Teresa von Avila ist zu Beginn des 16. Jahrhunderts geboren in einer Zeit des Umbruchs, der alle Bereiche des Lebens betraf. Die politischen und religiösen Ordnungen lösten sich auf. Die Stimme Gottes schien unhörbar geworden zu sein, und die vertrauten Worte ungeeignet, um zu ihm zu sprechen. Um sich in dieser neuen Realität zu verständigen, braucht es neue Worte, ein neues Sprechen.

In dieser Zeit gehört Teresa zu den Menschen, die besonders sensibel und schöpferisch auf den Umbruch reagierten und die Notwendigkeit spürten, ihre eigene Sprache zu finden. Sie ist mit Johannes vom Kreuz eine der herausragenden Gestalten der Mystik. Diese war im 16. Jahrhundert zunächst als „mystische Wissenschaft“ zum Gegenstand mehrerer Bücher geworden. Als Wissenschaft erfand die Mystik ein neues Sprechen.

Auf Bitten der Beichtväter, denen sie sich anvertraut, soll Teresa von dem schreiben, was sich in ihr ereignet, wenn sie zu Gott spricht. Sie will schreiben, ist aber zugleich voller Fragen, die radikaler nicht sein könnten: „Wie kann ich wissen, ob ich genau da bin, wo du – Gott - mich haben willst. Und ob es genau das ist, was du von mir willst?“ Ihr Nichtwissen verstört sie: „Ich weiß nicht, was ich sage, noch auch, wo ich bin.“  Teresa kann Gott nur bitten, durch sie zu sprechen. So kommt es zu einem inneren Gespräch, und dieses innere Gespräch nennt sie „Seele“. Sie freut sich darüber, ein neues Wort gefunden zu haben, das ihr ermöglicht, von sich und zugleich von viel mehr als sich zu sprechen.

Sie sagt: „Ich finde nichts, womit ich die gewaltige Schönheit einer Seele und ihre riesige Fassungskraft vergleichen könnte. … Wie scharf unser Verstand auch sein mag, so dürfte er doch kaum ausreichen, die Seele zu begreifen, genauso wenig wie er ausreicht, um sich Gott auszudenken.“ Dieses Ringen macht Teresa zu einer modernen Heiligen: das Ringen darum, von sich selbst so zu sprechen, dass das unzugängliche Geheimnis dieses Ich geachtet wird. Sie ermuntert Menschen heute dazu, ihrem inneren Fragen und Suchen Raum zu geben.

Es geht nicht darum, für überlieferte Inhalte neue Worte zu finden, sie neu zu übersetzen, sondern darum, für das eigene tastende Bemühen, für die persönliche Suche nach Gott, die eigene Sprache zu finden. Wo das geschieht, werden Menschen voll Staunen feststellen, dass sie sich auch untereinander neu verständigen können.

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