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SWR1 Begegnungen
Annette Bassler trifft Bettina Klünemann, Notfallseelsorgerin, Flughafenpfarrerin Frankfurt/Main
Teil 1- Halt im freien Fall
Bettina Klünemann ist Pfarrerin am Frankfurter Flughafen und war schon immer Notfallseelsorgerin. Angefangen hat sie damit in den USA. Im Brennpunktviertel einer Großstadt. Im Krankenhaus dort war sie Teil des Teams. Das hat im Emergency-Room die akuten Notfälle aufgenommen und behandelt.
Das war jetzt Downtown, das heißt, wir hatten jede Nacht Leute, die mit Stichverletzungen, nach irgendwelchen Bandenkriegen, mit Schussverletzungen angekommen sind. Leute, die nach Autounfällen angekommen sind.
Und in der Situation hat sie sich erst mal um die Angehörigen gekümmert.
Und dann konnte ich einfach versuchen, den Druck von dem Rest des Teams wegzunehmen, um zu erklären, was sind die Prozesse im Krankenhaus, was ist, was brauchts, wie werden sie versorgt und sowas.
Ein Theologe hat mal gesagt: „Dem Hungrigen erscheint Gott als ein Stück Brot.“ Also- Gott erscheint immer als das, was Leben rettet. Das Ärzteteam behandelt dazu den Körper. Was „behandelt“ Bettina Klünemann?
Die Leute brauchen Unterstützung. Denen gibt man nicht nur einen Stuhl und ein Glas Wasser, sondern da ist es gut, wenn da jemand noch mit dabei ist, einfach Zeit mit denen verbringt und hilft, einfach so eine Leitplanke zu sein in der Situation.
Da sein- mit viel Zeit und Aufmerksamkeit. Das leuchtet mir ein. Aber wie kann man Leitplanke sein für Menschen, die von jetzt auf gleich in eine Katastrophe geraten sind und die den Boden unter den Füßen verloren haben? Die gerade ins Bodenlose fallen?
Vielleicht dadurch, dass man selber Halt ist, mit seiner ganzen Person?
Dieses Sprichwort „Not lehrt beten“ ja also, wenn die Menschen selbst in dem Moment das nicht gekonnt haben. Aber dann haben sie mich vielleicht auch gebeten. Und wussten, dann ist es da in guten Händen. Oder: „Die findet vielleicht jetzt Worte, wo ich keine Worte finden kann.“
Es ist ein großes Geschenk, wenn jemand sich in der Not plötzlich gehalten fühlt. Das kann man nicht machen. Als Notfallseelsorgerin erlebt Bettina Klünemann aber oft, dass ihr Vertrauen ansteckend ist. Das Vertrauen, dass man nicht tiefer fallen kann als in Gottes Hand. Das wirkt weiter. Sogar bei Muslimen. Als Seelsorgerin am Frankfurter Flughafen hat sie heute öfters mit Muslimen zu tun. Und immer sind die dankbar, wenn sie da ist.
Weil die oftmals in dem Moment, wo sie hören, dass ich Pfarrerin bin, dann wissen: das ist ein Mensch, der glaubt! Also das ist jemand, der hat irgendwie eine Verbindung zu einer höheren Macht! Das ist auch jemand, der betet zu Gott! Und dann, ist das wie so oft, dass wir auch miteinander beten können. Oder dass sie auch sagen: Beten Sie für uns!
So schrecklich die Not dann ist, kann sie aber auch ein Auslöser dafür sein, neue, gute Erfahrungen mit Gott und den Menschen zu machen.
Teil 2- Notfallseelsorgerin werden
Notfallseelsorge ist bei kleinen und großen Katastrophen kaum noch wegzudenken. Bettina Klünemann war schon immer als Notfallseelsorgerin im Einsatz. Erst im Krankenhaus, dann in der Gemeinde und jetzt, mit 59 Jahren am Flughafen Frankfurt. Immer wieder kommt es vor, dass Reisende ganz plötzlich versterben, dass deren Angehörige in der Fremde völlig orientierungslos sind, dass aus Krisengebieten Leute nur mit den Kleidern auf der Haut ankommen und versorgt werden müssen. Was macht sie dann?
Bevor ich meine Jacke überziehe, überlege ich wirklich: Bin ich jetzt im Moment die Richtige? Auch wenn ich noch nicht genau weiß, was mich da erwartet. Aber in dem Moment, ich muss wirklich auch für mich innerlich abchecken, was hab ich an dem Tag gemacht? Hab ich die Kapazitäten innerlich und haben es auch die Leute die mit mir kommen?
Die mitkommen, das sind Leute aus allen möglichen Berufen, die ehrenamtliche Notfallseelsorger sind. Die werden zuerst auch von Bettina Klünemann dafür ausgebildet. Und sie lernen: das allererste und Wichtigste ist- achtsam zu sein.
Was ist da? Einfach mal die Situation wahrzunehmen, möglichst alles wahrzunehmen. Also diejenigen, die da gerade am Arbeiten sind vom Rettungsdienst, vom Notarzt, Notärztin, von der Polizei eventuell. Alle die, die da gerade in Aktion sind.
Dabei ist es wichtig, den spontanen Gefühlen und Impulsen nicht gleich zu folgen. Sondern genauer hinzusehen, auch auf sich selbst. Hinhören, sich einfühlen und- die Nähe aushalten zu den Betroffenen. Das muss man wollen. Das kann man aber auch lernen in so der Ausbildung. Mitbringen sollte man eine gewisse körperliche Fitness für Einsätze im Freien und eine gewisse Lebenserfahrung. Am wichtigsten aber ist die Freude, sich auf Menschen einzulassen. Ohne darauf zu schauen, welches Alter, welche Religion, welche Kultur dieser Mensch hat, der da Hilfe braucht.
In der Bibel kennen wir die Geschichte vom barmherzigen Samariter. Und das ist genau der, der anders ist, der anders glaubt und der auch anders lebt und der andere Grundsätze erstmal hat und Werte.
Mit dieser Geschichte hat Jesus erzählt, wie wir das Gebot der Nächstenliebe verstehen sollen. Nächstenliebe kennt nämlich keine Grenzen. Sie gilt über die eigene Nation hinaus. Über die eigene Ethnie und die eigene Religion hinaus. Christliche Nächstenliebe gilt allen Menschen, weil alle Menschen Gottes Geschöpfe sind. Und deshalb kann die Kirche, die Nächstenliebe lebt, immer nur eine Kirche für alle Menschen sein. Bettina Klünemann erinnert sich an eine junge Frau. Die war aus der Kirche ausgetreten, hat sich aber zur Notfallseelsorgerin ausbilden lassen. Und die sagte mal:
Weißt du, Bettina. Ich hab jetzt erst hier am Flughafen verstanden, warum es eigentlich Kirche gibt und für was Kirche da ist! Und dann denke ich mir: Mensch, das ist gut. Ja, das ist wirklich gut. Dass wir für andere da sind.
SWR1 Begegnungen
Sein ganzes Leben hat der Arzt und Psychotherapeut Rainer Matthias Holm-Hadulla über das Thema „Kreativität“ geforscht. Und er ist überzeugt: Verzweiflung, Hass und Gewalt kann man kreativ bewältigen. Für ihn ist es auch die wichtigste Aufgabe unsrer Kultur. Ich denke an die aktuellen Kriege in der Ukraine und Israel und frage mich: Wie ist sowas heute möglich?
Ich denke, das sind die Rückfälle in die Barbarei. Freud sagte: das Eis der Vernunft ist dünn. Eine dauerhafte Kulturarbeit versagt immer wieder. Und ich denke, dass man da immer wieder neu anfangen muss und neu aufbauen muss.
Immer wieder neu anfangen? Also ich spüre eher den Wunsch, abzutauchen, nichts wissen zu wollen. Dabei weiß ich ja – Probleme, vor denen man sich drückt, verschwinden nicht, sie tauchen immer wieder auf und werden eher. Also hinschauen und – was dann?
Wir müssen die Information, die wir bekommen, auch verarbeiten, wir müssen sie transformieren können in Gedanken, in Ideen, in Pläne und auch in alle Strategien, wie wir damit umgehen können.
Informieren ja, aber sich nicht überfluten lassen. Also nur so viel aufnehmen, dass man handlungsfähig bleibt. Rainer Holm-Hadulla nennt das „Alltagskreativität“. Man kann aber auch eine außergewöhnliche Kreativität entwickeln.
Also ich unterscheide ja außergewöhnliche und alltägliche Kreativität. Der wichtigste Unterschied ist, dass die außergewöhnliche Kreativität auch für viele andere von Bedeutung ist.
Rainer Holm-Hadulla hat sich die Lebensgeschichten von außergewöhnlich kreativen Menschen angeschaut wie Mozart, Goethe, Madonna, Mick Jagger und andere. Und da ist ihm aufgefallen:
Wenn man dann außergewöhnliche Kreative betrachtet, dann merkt man doch, dass die große Kreativität immer – ich würde sagen immer aus einer Bewältigung von Leid, Verzweiflung, Hass und Gewalt entsteht. Kunstwerke, die das nicht spüren lassen, ist Kitsch. Nehmen wir das Jahrtausendgenie Mozart. Von frühester Kindheit an muss er sich mit dem Tod auseinandersetzen, sein Vater und seine Mutter haben 5 Kinder vor ihm verloren.
Ähnliches gilt für Goethe und Musikgrößen wie John Lennon, Madonna oder Jimi Hendrix.
Sie schaffen wunderbare Werke, weil sie es müssen. Weil sie einerseits ein persönliches Leiden bewältigen müssen und andererseits andere damit inspirieren wollen.
Gerade, wenn man an die Großen denkt, das machen sie immer, immer ganz radikal in Bezug auf einen anderen. Ja, Mozart spricht Menschen an. Seine Musik besteht darin, andere zu verlebendigen, nicht nur sich selbst.
Die Welt ist in Aufruhr. Nachrichten von entfesselter Gewalt fluten unsere Wohnzimmer. Wie damit umgehen? Bei den Menschen mit außergewöhnlicher Kreativität fällt auf: Sie sind offen für die Not Anderer. Und zugleich können sie sich abgrenzen und diszipliniert an Lösungen arbeiten.
Ich glaube, das wird ein bisschen auch in unserer – sagen wir mal „hedonistischen“ Kunstauffassung unterbelichtet. Dass die Arbeit – also etwas für andere zu tun und nicht nur für mich, ein Lebenselixier ist.
Dazu aber brauchen wir Schutzräume. Schutzräume durch gute Beziehungen. Und Schutzräume, in denen wir mit anderen das Leben feiern. Für Rainer Holm-Hadulla sind das auch die Kirchen.
Also ich bin kein bibeltreuer Christ, ich weiß gar nicht, ob ich überhaupt Christ bin und an was ich genau glaube. Aber was ich weiß, ist, dass dieser Begegnungsraum mir Ideen ermöglicht. Und die Musik, die ich sonst nicht hätte... im Sinne einer erfüllten Erfahrung.
Ich würde das Ritual eines Gottesdienstes so beschreiben: Ich trete gemeinsam mit anderen vor Gott, mache mich ganz ehrlich mit dem, was mich bedrängt. Und mit Blick auf den gekreuzigten und auferstandenen Jesus vertraue ich darauf, dass sich Böses in Gutes verwandelt. Das ist mein Glaube an die Auferstehung. Hier und jetzt. Das kann ich nicht machen. Aber ich kann es spüren. Auch als so etwas wie ein neues Urvertrauen.
Der alt werdende Picasso sagt „jetzt kann ich endlich malen wie ein Kind“. Und das ist ja auch die Gotteskindschaft, die, an die wir glauben. Dass wir durch dieses Transformationsritual irgendwie erlöst werden.
Ich wünsche mir, dass wir erlöst werden von Verzweiflung, Hass, Gewalt und Dummheit. Dass wir darin nicht versinken, sondern dem etwas dagegensetzen. Unsere Kreativität! Mit der wir anfangen zu arbeiten und einfach mal was machen. Etwas Neues probieren, auch wenn es Angst macht. Rainer Holm-Hadulla hat zum Beispiel in Heidelberg ein Betreuungsangebot für geflüchtete Kinder eingerichtet. Und er hat Studierende dafür gewonnen, etwas für traumatisierte Kinder zu tun.
Und da war eine Studentin, die hatte schon Angst. Und die ist dann doch hingegangen und hat einen halben Tag dort verbracht. Und ich bin dann dazugekommen und bevor wir gesprochen haben, kam ein Kind, hat diese Studentin an der Hand genommen „Bitte, bitte, komm wieder!“ Und diese Studentin hatte Tränen in den Augen und hat gesagt: „Ja, das ist es.“
Lit: Rainer M. Holm-Hadulla, Die kreative Bewältigung von Verzweiflung, Hass und Gewalt, Psychosozial- Verlag 2023
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38742SWR1 Begegnungen
Annette Bassler trifft Dr. Jennifer Achten- Gozdowski, stellv. Leiterin des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN
Als promovierte Finanzwissenschaftlerin kennt Jennifer Achten sich aus in allen volkswirtschaftlichen Fragen und auf dem Aktienmarkt. Dort könnte sie auch viel Geld verdienen. Aber sie hat die evangelische Kirche in Hessen und Nassau als Arbeitgeberin gewählt. Warum?
Kirche ist eine Institution, die eine Pluralität an Meinungen beinhaltet und damit auch fertig wird. Die Mitglieder sind alle sehr vielfältig, haben ganz unterschiedliche Hintergründe und natürlich auch unterschiedliche Meinungen und Auffassungen zu Themen. Und das finde ich toll gerade heutzutage und nicht dichtmacht, in irgendein Extrem abdriftet, sondern wir halten das aus, wir gehen damit um.
Mit ihrem Fachwissen könnte Jennifer Achten eine Firma beraten, die auf dem Markt groß werden will. Aber sie will lieber in einem Kompetenzzentrum arbeiten, in dem es darum geht, christliche Werte in der Gesellschaft groß zu machen.
Also zum Beispiel: was dient den Menschen, um in Würde zu leben? Und das sind Fragen, die mich immer angetrieben haben. Jetzt als Wirtschaftswissenschaftlerin ist mir auch noch wichtig, dass sich Kirche auch mit wirtschaftspolitischen Fragestellungen auseinandersetzt.
Was ja heißt, sich tief in die aktuellen Konflikte der Gesellschaft einzuarbeiten. Mit Fachwissen und klarem Werte- Kompass. Soll Kirche sich einmischen? Kann sie das überhaupt? Ja, meint Jennifer Achten, sie muss es sogar, will sie ihrem Auftrag treu bleiben.
Also es geht um die Liebe zu Gott, aber auch um die Liebe zu den Menschen. Es geht natürlich um geistliches Innehalten, aber auch um Weltverantwortung. Und daraus ergibt sich eben, dass sich Kirche als gesellschaftliche Akteurin für das Wohl der Gesellschaft einsetzt, für ein gelingendes Leben und damit natürlich auch sich zu politischen Fragestellungen äußert.
Deshalb gibt es in dem Kompetenzzentrum, in dem sie arbeitet, Agrarwissenschaftlerinnen, Soziologen, Ökonomen und Theologen, die sich in die gesellschaftlichen Fragen einarbeiten. Und dann auf der Ebene des Landes und mit dessen Institutionen beratend tätig sind. Diese Arbeit wird von den Kommunen und dem Land sehr geschätzt. Was „Kirche“ tut in der Gesellschaft, das entscheidet nicht eine führende Geistlichkeit. Das entscheiden nach langem Beratungsprozess die vielen, die sich engagieren.
Kirche besteht ja nicht nur aus Hauptamtlichen, wir haben ja unheimlich viele Ehrenamtliche, die in der Kirche tätig sind. Das heißt, wir sind ein sehr komplexes Gebilde mit unglaublich viel Fachwissen und deswegen bin ich der Meinung, dass wir der Komplexität der Politik bestens gewachsen sind.
Das ist auch der Schatz, den Demokratie ausmacht. Auch wenn sie mühsam ist, ist die Chance groß, am Ende gute Entscheidungen zum Wohl von vielen zu finden. Jennifer Achten steht für kluge Entscheidungen im Umgang mit Besitz und Geld.
Mit ihren 38 Jahren befindet sie sich grade in der „Rush- hour des Lebens“. Das ist, wenn erste Familien- und Berufsjahre zusammenkommen. Jennifer Achten liebt ihre Kinder, ihre Familie. Und sie liebt ihre Arbeit als promovierte Finanzwissenschaftlerin. Im Zentrum gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau kann sie viel Segensreiches tun. Zum Beispiel Frauen darin zu unterstützen, sich eine eigene wirtschaftlichen Existenz aufzubauen.
Das heißt, es ist unheimlich wichtig, dass Frauen über ihre eigenen Finanzen Bescheid wissen. Dass sie wissen: was bekomme ich eigentlich aus der gesetzlichen Rentenversicherung? Gibt es bei meinem Arbeitgeber noch zusätzliche Möglichkeiten über eine private Altersvorsorge? Und was mache ich vielleicht selbst noch?
Denn Altersarmut ist noch immer weiblich. Und auch die Rente ist inzwischen alles andere als sicher. Deshalb empfiehlt Jennifer Achten jeder Frau, privat vorzusorgen und - an die Börse zu gehen. Wie das funktioniert, das erklärt sie Frauen online oder in übergemeindlichen Seminaren in einfachen Worten. Dabei zitiert sie gerne mal einen ihrer Lehrer.
Wenn es um langfristige Altersvorsorge geht- kaufen Sie sich ein paar Aktien. Streuen Sie das ein bisschen, um ihr Risiko etwas gestreut zu haben. Und dann gehen Sie in die Apotheke, kaufen Schlafmittel und schlafen zehn Jahre.
„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“ weiß schon ein alter Psalm. Man soll also durchaus nachdenken und klug entscheiden. Dann aber die Sorgen loslassen- Gott überlassen. Mit Gottvertrauen hat man nämlich die Hände frei für Andere. Damit die Welt auch für sie ein besserer Ort zum Leben wird.
Tatsächlich sind die Kirchen, würde ich sagen Pioniere in dem Bereich der ethisch nachhaltigen Geldanlage. Die Banken bieten sogenannte grüne Produkte an oder nachhaltige Produkte. Damit kennt sich die Kirche schon ganz lange aus und ist da auch schon ganz lange sehr aktiv und setzt sich dafür ein.
Geld ist dazu da, dass es für das Gute arbeitet. So habe ich Jennifer Achten verstanden. Das Geld der Kirche kann Firmen unterstützen, die Gutes tun für die Menschen. Als Großaktionärin hat die Kirche sogar noch eine Marktmacht, das heißt, sie kann Firmen dazu bringen, ein bisschen mehr für das Wohl aller zu tun- man nennt das „Engagement- Strategie“.
Das bedeutet: die Kirche ist als Aktionärin an einem Unternehmen beteiligt. Obwohl sie der Meinung ist, dass dieses Unternehmen noch einen gewissen Weg zu gehen hat in puncto Nachhaltigkeit, in puncto soziale Gerechtigkeit und so weiter. Weil sie einfach eine ganze Menge Aktien von diesen Unternehmen hält, hat sie aber natürlich andere- sag ich mal- Mitsprachemöglichkeiten als ein Einzelaktionär.
Und so kann Kirche positive Entwicklungen beschleunigen. Jesus hat mal gesagt: „Macht Euch Freunde mit dem schnöden Mammon!“ Denn Geld ist weder gut noch schlecht. Es ist das, was man draus macht. Gut also, wenn möglichst viele Menschen das Geld für etwas Gutes arbeiten lassen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37601SWR1 Begegnungen
Annette Bassler trifft Malte Budde, Generaldirektor eines 4-Sterne-Hotels in Mainz
Teil 1: Was einen professionellen Gastgeber ausmacht
Ein festlich gedeckter Tisch, lecker gekochtes Essen, ein gemütliches Bett zum Schlafen- herrlich! Gastfreundschaft. Für mich eine Wonne. Malte Budde hat diese Gastfreundschaft zu seiner Profession gemacht. Schon früh wollte er mal „was mit Hotel“ machen. Da war er fünf und mit seinen Eltern in einem Hotel in Budapest. Eins mit Liftboy.
Und dieser Liftboy hat mich genauso behandelt wie jeden anderen Gast. Und ich fand das als Kind natürlich ganz toll mit diesem Liftboy -der hatte weiße Handschuhe an- immer auf abzufahren mit diesem Aufzug. Und er hat -meine Eltern haben in der Lobby Kaffee getrunken- hat mir die Tür aufgehalten, ist mit mir in die fünfte Etage, hat mich rausgelassen. Ich bin wieder runter in die Lobby. Ich bin in die zehnte Etage, bin wieder in die Lobby und er hat eine Stunde lang mich hin und hergefahren. Und das ist mir so im Kopf geblieben, dass ich seitdem wirklich gesagt habe: das will ich später auch mal machen!
Also hat er „Hotel“ von der auf Pike gelernt: Zimmer putzen, kochen, bügeln, servieren, also alle Arbeiten, die in einem Hotel anfallen plus ein Betriebswirtschaftsstudium. Heute leitet der 44jährige Vater von zwei kleinen Kindern ein 4- Sterne Hotel in Mainz. Was muss man können, wenn man professioneller Gastgeber werden will? Nix, meint er. Nur eins:
Man muss mit Menschen umgehen wollen und können, und das kann man nicht lernen. Das - muss man lieben. Alles andere kann man den Leuten beibringen.
Menschen gerne weiterhelfen, Menschen mögen mit all ihren Schrullen und Besonderheiten- für Jesus das höchste Gebot der „Nächstenliebe“. Für Malte Budde die Voraussetzung dafür, ein guter Gastgeber zu sein.
Jeden Tag sind wir Gastgeber von 200, 300, 400 Menschen, die alle ihre Wehwehchen und ihre Probleme haben. Und man muss für diese Menschen da sein. Man muss sich um diese Leute kümmern, die alle ihren persönlichen kleinen Rucksack mit sich tragen, und sei es Gäste, sei es Mitarbeiter. Und das kann man nicht lernen, das muss man mögen.
Wie gerne er Gastgeber ist, das hat er während in der Zeit der Pandemie gespürt. Da hat er das ganze Hotel schließen, alle Mitarbeiter in Kurzarbeit schicken und alles auf Notstrom umstellen müssen. Drei Jahre mussten alle blitzschnell agieren und sich auf täglich neue Coronaverordnungen umstellen. Wie das ging? Durch finanzielle Rücklagen, Optimismus und ein Team, das sich gegenseitig unterstützt hat. Ohne das Engagement und die Solidarität im Team ein Ding der Unmöglichkeit. Was geblieben ist:
Sagen: ok, machen wir! Wir wissen, dass wir es nicht ändern können, aber wir wollen aus der Situation das Beste machen. Das hat Team auch unheimlich eng zusammengebracht, also nicht nur die Leitung, sondern auch alle einzelnen Mitarbeiter unheimlich eng zusammengebracht.
Heute beherbergt das Hotel nicht nur VIPs und reiche Geschäftsleute, sondern auch Geflüchtete und die, die alles verloren haben.
Teil 2: Reich und Arm unter einem Dach
Malte Budde ist Generaldirektor eines 4- Sternehotels in Mainz. Zum Gespräch hat er mich in die Präsidentensuite eingeladen. Weil die grade frei war. Mit herrlichem Rundblick über den Rhein. Hier haben schon Olaf Scholz und das belgische Königspaar gesessen. Ein paar Etagen tiefer haben aber auch Geflüchtete aus dem Ahrtal und der Ukraine gewohnt. Kostenfrei. Sich für Menschen in Not zu engagieren, ist Malte Budde ein Herzensanliegen. Und das ist so, seit er Verantwortung trägt für seine Mitarbeiter.
Wir haben natürlich viele auch internationale Mitarbeiter, die ja überall auf der Welt ihre Familien haben. Jetzt haben wir aktuell die Situation in der Türkei, in Syrien.
Und so hat er einen Mitarbeiter kurzerhand in die Türkei zu seiner Familie geschickt. Das Team übernimmt seine Arbeit und sein Gehalt läuft weiter.
Kurz nach dem Beginn des Ukrainekrieges hat er 60 Geflüchtete für mehrere Wochen im Hotel aufgenommen. Kostenfrei. Als Chef kann er das. Aber wie finanziert er das?
Ein leerstehendes Zimmer ist ein leerstehendes Zimmer. Letztes Jahr war Corona. Da hatten wir nicht die Situation, dass wir immer ausgebucht waren. Da ging das sehr gut. Da konnte man das machen ohne Probleme. Wir haben die Zimmer nicht gereinigt. Dann entstehen uns ehrlicherweise keine Kosten.
Die Liste solcher Hilfsaktionen ist lang und vieles passiert geräuschlos. Unbelegte Zimmer, Mitarbeiter, die sich ehrenamtlich engagieren und sich gegenseitig vertreten. Natürlich muss man klug überlegen, was machbar ist. Aber die Frage nach den Kosten ist für Malte Budde die falsche Frage. „Wenn du gibst, dann soll die linke Hand nicht wissen, was die Rechte tut!“ würde Jesus dazu sagen. Malte Budde macht einfach. Weil er davon überzeugt ist: Das Gute, das man tut, kommt irgendwie auch wieder zurück. Und das erlebt er auch so.
Es erdet sehr, wenn wir mit unseren Gästen zu tun haben. Also- das Wasser ist nicht warm genug, der Kaffee ist nicht warm genug. Das sind so die Herausforderungen, die man dann so hat. Dann regen wir uns darüber auf, dann versuchen wir, das zu lösen-
Aber das gelingt oft nicht so schnell. In solchen Situationen geht Malte Budde gerne mal weg. Besucht die, denen es nicht so gut geht. Menschen im Altenheim zB. Wo er mit der dortigen Pfarrerin ein Projekt gestartet hat.
Mir ist es tatsächlich wichtig, solche Sachen zu machen in diesem Arbeitsleben mittendrin und dann geht man kurz vor Weihnachten, wo hier alles auf Caterings und Gans essen und so weiter ist, um 17 Uhr in den Gottesdienst im Altenheim, dann ist man in einer komplett anderen Welt. Dann- ja, ordnet das die Probleme. Wo man dachte, der kalte Kaffee war das größte Problem des Tages. Das kann man auch ganz gut den Mitarbeitern transportieren, ihnen das Gefühl geben: geht nach Hause, kümmert euch um eure Lieben, um eure Familien. Der Kaffee- das Problem klären wir morgen.
Malte Budde hat mich dazu angeregt, ein bisschen mehr Gastgeberin zu sein. Runterzukommen von überzogenen Ansprüchen an mich und andere. Und mit Menschen, die denen das guttut, das Leben zu feiern. Weil ich glaube: da gibt Gott seinen Segen dazu.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=37206SWR1 Begegnungen
Annette Bassler trifft Dr. Jennifer Achten-Gozdowski, stellv. Leiterin des Zentrums Gesellschaftliche Verantwortung der EKHN
Als promovierte Finanzwissenschaftlerin kennt Jennifer Achten sich aus in allen volkswirtschaftlichen Fragen und auf dem Aktienmarkt. Dort könnte sie auch viel Geld verdienen. Aber sie hat die evangelische Kirche in Hessen und Nassau als Arbeitgeberin gewählt. Warum?
Kirche ist eine Institution, die eine Pluralität an Meinungen beinhaltet und damit auch fertig wird. Die Mitglieder sind alle sehr vielfältig, haben ganz unterschiedliche Hintergründe und natürlich auch unterschiedliche Meinungen und Auffassungen zu Themen. Und das finde ich toll gerade heutzutage und nicht dichtmacht, in irgendein Extrem abdriftet, sondern wir halten das aus, wir gehen damit um.
Mit ihrem Fachwissen könnte Jennifer Achten eine Firma beraten, die auf dem Markt groß werden will. Aber sie will lieber in einem Kompetenzzentrum arbeiten, in dem es darum geht, christliche Werte in der Gesellschaft groß zu machen.
Also zum Beispiel: was dient den Menschen, um in Würde zu leben? Und das sind Fragen, die mich immer angetrieben haben. Jetzt als Wirtschaftswissenschaftlerin ist mir auch noch wichtig, dass sich Kirche auch mit wirtschaftspolitischen Fragestellungen auseinandersetzt.
Was ja heißt, sich tief in die aktuellen Konflikte der Gesellschaft einzuarbeiten. Mit Fachwissen und klarem Werte- Kompass. Soll Kirche sich einmischen? Kann sie das überhaupt? Ja, meint Jennifer Achten, sie muss es sogar, will sie ihrem Auftrag treu bleiben.
Also es geht um die Liebe zu Gott, aber auch um die Liebe zu den Menschen. Es geht natürlich um geistliches Innehalten, aber auch um Weltverantwortung. Und daraus ergibt sich eben, dass sich Kirche als gesellschaftliche Akteurin für das Wohl der Gesellschaft einsetzt, für ein gelingendes Leben und damit natürlich auch sich zu politischen Fragestellungen äußert.
Deshalb gibt es in dem Kompetenzzentrum, in dem sie arbeitet, Agrarwissenschaftlerinnen, Soziologen, Ökonomen und Theologen, die sich in die gesellschaftlichen Fragen einarbeiten. Und dann auf der Ebene des Landes und mit dessen Institutionen beratend tätig sind. Diese Arbeit wird von den Kommunen und dem Land sehr geschätzt. Was „Kirche“ tut in der Gesellschaft, das entscheidet nicht eine führende Geistlichkeit. Das entscheiden nach langem Beratungsprozess die vielen, die sich engagieren.
Kirche besteht ja nicht nur aus Hauptamtlichen, wir haben ja unheimlich viele Ehrenamtliche, die in der Kirche tätig sind. Das heißt, wir sind ein sehr komplexes Gebilde mit unglaublich viel Fachwissen und deswegen bin ich der Meinung, dass wir der Komplexität der Politik bestens gewachsen sind.
Das ist auch der Schatz, den Demokratie ausmacht. Auch wenn sie mühsam ist, ist die Chance groß, am Ende gute Entscheidungen zum Wohl von vielen zu finden. Jennifer Achten steht für kluge Entscheidungen im Umgang mit Besitz und Geld.
Mit ihren 38 Jahren befindet sie sich grade in der „Rush- hour des Lebens“. Das ist, wenn erste Familien- und Berufsjahre zusammenkommen. Jennifer Achten liebt ihre Kinder, ihre Familie. Und sie liebt ihre Arbeit als promovierte Finanzwissenschaftlerin. Im Zentrum gesellschaftliche Verantwortung der Evangelischen Kirche von Hessen und Nassau kann sie viel Segensreiches tun. Zum Beispiel Frauen darin zu unterstützen, sich eine eigene wirtschaftlichen Existenz aufzubauen.
Das heißt, es ist unheimlich wichtig, dass Frauen über ihre eigenen Finanzen Bescheid wissen. Dass sie wissen: was bekomme ich eigentlich aus der gesetzlichen Rentenversicherung? Gibt es bei meinem Arbeitgeber noch zusätzliche Möglichkeiten über eine private Altersvorsorge? Und was mache ich vielleicht selbst noch?
Denn Altersarmut ist noch immer weiblich. Und auch die Rente ist inzwischen alles andere als sicher. Deshalb empfiehlt Jennifer Achten jeder Frau, privat vorzusorgen und - an die Börse zu gehen. Wie das funktioniert, das erklärt sie Frauen online oder in übergemeindlichen Seminaren in einfachen Worten. Dabei zitiert sie gerne mal einen ihrer Lehrer.
Wenn es um langfristige Altersvorsorge geht- kaufen Sie sich ein paar Aktien. Streuen Sie das ein bisschen, um ihr Risiko etwas gestreut zu haben. Und dann gehen Sie in die Apotheke, kaufen Schlafmittel und schlafen zehn Jahre.
„Den Seinen gibt’s der Herr im Schlaf“ weiß schon ein alter Psalm. Man soll also durchaus nachdenken und klug entscheiden. Dann aber die Sorgen loslassen- Gott überlassen. Mit Gottvertrauen hat man nämlich die Hände frei für Andere. Damit die Welt auch für sie ein besserer Ort zum Leben wird.
Tatsächlich sind die Kirchen, würde ich sagen Pioniere in dem Bereich der ethisch nachhaltigen Geldanlage. Die Banken bieten sogenannte grüne Produkte an oder nachhaltige Produkte. Damit kennt sich die Kirche schon ganz lange aus und ist da auch schon ganz lange sehr aktiv und setzt sich dafür ein.
Geld ist dazu da, dass es für das Gute arbeitet. So habe ich Jennifer Achten verstanden. Das Geld der Kirche kann Firmen unterstützen, die Gutes tun für die Menschen. Als Großaktionärin hat die Kirche sogar noch eine Marktmacht, das heißt, sie kann Firmen dazu bringen, ein bisschen mehr für das Wohl aller zu tun- man nennt das „Engagement- Strategie“.
Das bedeutet: die Kirche ist als Aktionärin an einem Unternehmen beteiligt. Obwohl sie der Meinung ist, dass dieses Unternehmen noch einen gewissen Weg zu gehen hat in puncto Nachhaltigkeit, in puncto soziale Gerechtigkeit und so weiter. Weil sie einfach eine ganze Menge Aktien von diesen Unternehmen hält, hat sie aber natürlich andere- sag ich mal- Mitsprachemöglichkeiten als ein Einzelaktionär.
Und so kann Kirche positive Entwicklungen beschleunigen. Jesus hat mal gesagt: „Macht Euch Freunde mit dem schnöden Mammon!“ Denn Geld ist weder gut noch schlecht. Es ist das, was man draus macht. Gut also, wenn möglichst viele Menschen das Geld für etwas Gutes arbeiten lassen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=36666SWR1 Begegnungen
Annette Bassler trifft Dr. Birgit Pfeiffer, Präses der EKHN
Teil 1: Kirche im Wandel- hin zur Demokratie
Seit 75 Jahren gibt es nun die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau- die EKHN. Ein fröhliches Fest in schwieriger Zeit. Die Krisen in Politik und Wirtschaft überschlagen sich und auch die Kirchen als Institution stehen in der Kritik. Birgit Pfeiffer engagiert sich seit ihrer Konfirmation ehrenamtlich in der evangelischen KircheSeit diesem Jahr ist sie die Präses, das ist das höchste Ehrenamt der EKHN. Warum?
Es ist ein Wertesystem, was mir hilft. Und es ist ein Wertesystem, was über ein politisches Wertesystem hinausgeht. Also mein Menschenbild ist von der Bibel geprägt, und ich möchte in meinen Mitmenschen auch immer ein Stück von Gott sehen. Und ich glaube, wer also ein stabiles Wertesystem und einem ein gutes Menschenbild hat, der ist auch gefeit vor politischen Irrungen und Wirrungen oder vor so Erfahrungen wie im Nationalsozialismus.
Genau diese Erfahrungen haben sich bei der Gründung der EKHN in ihrer Verfassung niedergeschlagen. DIE Gründungsväter- Mütter hat es damals nicht gegeben- sie wollten durch die Struktur der Kirche im Ansatz unterbinden, dass es so etwas wie einen Führerkult oder blinden Gehorsam in der Kirche gibt. Deshalb gibt es auch keinen Bischof, sondern ein Kollegium- ein so genanntes Leitendes Geistiges Amt. Bestehend aus dem Kirchenpräsidenten und geistlichen Repräsentanten aus den Regionen. Die Gesetze aber werden im Kirchenparlament beschlossen von 120 gewählten Vertretern aus dem ganzen Kirchengebiet und allen Arbeitsbereichen der Kirche.
Die Kirchensynode ist sehr demokratisch aufgebaut. Es ist ein Arbeitsparlament, das heißt, die trifft sich zweimal im Jahr über mehrere Tage. Aber dazwischen tagen die Ausschüsse, und die Ausschüsse bereiten alle wichtigen Entscheidungen mit vor oder bearbeiten das weiter, so ein bisschen wie im Landtag oder im Bundestag auch-
und im kirchlichen Parlament ist Birgit Pfeiffer die Präsidentin. Ihre Rolle ist es nicht, Entscheidungen zu treffen, sondern die Synode zu unterstützen, dass sie gute Entscheidungen treffen kann. Also zu moderieren. Als Ärztin, Mutter und Großmutter bringt sie dafür beste Voraussetzungen mit.
Moderieren heißt auch einfach bei den Tagungen der Synode dafür zu sorgen, dass alle zu Wort kommen, die, was sagen möchten, dass das geordnet passiert. Dass es respektvoll passiert. Das ist die Moderationsaufgabe.
Das Amt der Präses ist ehrenamtlich und es ist Nichttheologen vorbehalten. Gerne ist Birgit Pfeiffer auch Gesicht und Repräsentantin der EKHN, liebt es, mit den unterschiedlichsten Menschen ins Gespräch zu kommen, sie miteinander zu vernetzen. Für ihr ehrenamtliches Engagement- nicht nur innerhalb der Kirche- wurde sie mit dem Bundesverdienstkreuz ausgezeichnet.
Teil 2 Was evangelisch sein ausmacht
Birgit Pfeiffer engagiert sich schon seit ihrer Konfirmation ehrenamtlich in der evangelischen Kirche. Ihren Beruf als Ärztin hat sie zwölf Jahre lang an den Nagel gehängt, um ihrem Mann den Rücken freizuhalten und die Familie zu managen. Aber das Ehrenamt hat sie sich nicht nehmen lassen, denn das konnte sie gut an die familiären Notwendigkeiten anpassen. Birgit Pfeiffer hat das genossen.
Ich sage immer: „Ehrenamt tut gut!“ Denen die es machen und auch denen, für die es eingesetzt wird. Ich habe sehr hilfreiche Fortbildungen auch gemacht. Ich habe viel gelernt, viel von dem, was ich heute so einsetze. Meine Landeskirche, die EKHN hat mich auf Kurse geschickt, hat mir Coachings angeboten, hab ich alles mitgenommen… also ich hab auch sehr viel zurückbekommen.
Bildung- das war und ist schon immer ein urprotestantisches Anliegen. Genau wie der Einsatz für Menschen in Not. Als im Jahr 2016 viele Geflüchtete aus Syrien bei uns angekommen sind, haben sich rund um die Kirchengemeinden Unterstützerkreise gebildet. Koordiniert und begleitet von Pfarrerinnen und Diakonen haben Ärzte, Rechtsanwältinnen, Handwerker und viele mehr ihre Kompetenz ehrenamtlich eingebracht, um geflüchteten Familien zu helfen. Parteilichkeit in politischen Fragen ist evangelisch.
Zum Beispiel waren wir mit einer der ersten, die die Segnung von gleichgeschlechtlichen Paaren dann auch als Trauung bezeichnet haben. Ich finde, die EKHN meldet sich zu Wort, die Synode gibt Resolutionen raus und ermahnt die Politik, ermahnt sie zur Bewahrung der Schöpfung, zum um fairen Umgang mit allen Menschen.
Das mag von außen so erscheinen, als ob evangelische Kirche einem Zeitgeist hinterherläuft. Vielleicht ist es aber umgekehrt. Dass der Zeitgeist in manchem immer evangelischer wird. Was würde Jesus dazu sagen? Diese Frage hat einer der Gründungsväter der EKHN, Martin Niemöller seiner Kirche ins Stammbuch geschrieben. Birgit Pfeiffer schöpft mit ihrem Engagement aus zwei Ressourcen. Freiheit und Verantwortung.
Ich kann selber in meinem Verhältnis zu Gott und im Gottesdienst Vergebung erfahren. Ich mache Fehler. Ich weiß, ich werde immer wieder Fehler machen. Aber ich habe einen gnädigen Gott, der mir solche Fehler dann auch vergeben kann. Und damit kann ich auch im Kontakt zu Menschen in Beziehungen immer wieder neu anfangen.
Einander vergeben zu können ist oft ein seltenes Geschenk. Wenn ich aber an einen gnädigen Gott glaube, dann verlieren die, die mich abschreiben und auf Fehler festlegen wollen, ihre Macht. Gott mehr zu glauben als den Menschen, das macht mich frei.
Wenn ich selber diese Freiheit erfahren habe und wieder neu anfangen darf - diese Liebe, diese Zuwendung, die muss sich auch anderen dann geben. Also die andere Seite gehört unbedingt dazu. Und das sind so zwei Elemente, wo ich im Lauf der Zeit gemerkt habe, dass das für mich das so das Evangelisch sein ausmacht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=36281SWR1 Begegnungen
Annette Bassler trifft Michael Eckes
Teil 1: Wirtschaftswunder und Familienunternehmen
Am Sonntagnachmittag ein Likörchen. Für meine Eltern war das Kult. Das Wirtschaftswunder der 60er Jahre schmeckte auch nach Kirschlikör, nach „Eckes Edelkirsch“. Und den hat seine Familie produziert. Michael Eckes gehört zur 5. Generation eines Familienunternehmens, das zum Marktführer in alkoholischen Getränken und Fruchtsäften wurde. Geboren 1944, hat Michael Eckes den Reichtum seiner Familie aber kaum gespürt.
Speziell eben im Falle eines Bruders und mir wurden wir sehr sparsam erzogen. Es hieß immer. „Ihr bekommt keinesfalls mehr als einer eures Alters. Da gabs auch gar keine Diskussion darüber. Wenn ich meckerte über mein Studentenquartier, ohne fließend Wasser und ohne Heizung, dann hat sich mein Vater drauf entschlossen, da mal in München bei einer Ausstellung dort zu wohnen und zu zeigen, dass das so die Richtigkeit hat.
Michael Eckes hat von Anfang an erlebt: Reichtum ist nichts, was man einfach nur hat. Man hat ihn, um was Gutes draus zu machen. Für die Firma, für die Mitarbeiter und die Region. Reichtum ist immer auch verbunden mit sozialer Verantwortung.
Also ich weiß noch, dass auf einmal die Senioren beschlossen, viele, viele Grundstücke zu kaufen in Nieder-Olm um die Firma herum. Und die wurden praktisch kostengünstig oder geschenkt an Mitarbeiter, die sich da ansiedeln wollten, zur Verfügung gestellt.
Und es wurden Tennisplätze, eine Festhalle und vieles mehr gebaut. Das war gut für die Mitarbeiter und gut für die Region. Aber auch gut für das Standing des Unternehmens in der Region.
Während ich mit 15 Jahren einfach nur zur Schule gegangen bin, wurde Michael Eckes schon in unternehmerische Investitionen in Millionenhöhe eingebunden. Das hat ihm schon Respekt eingeflößt.
Diese Angst, die fiel bei mir weg nach einer Indienreise über mehrere Monate mit einem VW-Bus, mit wenig Geld und viel Abenteuer und ohne Absicherung. Und nachdem man das überstanden hat, hab ich gesagt: Also, wir können andere Länder ausprobieren. Man kann mich irgendwo hinschicken, es muss nicht Rheinhessen sein.
Und so ist es gekommen. Mit 28 Jahren wurde er zuständig für die vom Onkel gekauften Orangenplantagen in Brasilien. Dort war er dann auch immer wieder mit seiner Frau und seinen 6 Kindern.
Dann sind wir da, also auch in den Sommerferien statt an die See oder nach Italien, sind wir auf die Farm gezogen und haben gesehen, wie das funktioniert. Und meine Kinder haben mit den Kleinen dort, die die Schule besuchten, sich angefreundet.
Und so ist er langsam ist er in die Kultur Brasiliens hineingewachsen. In der es abenteuerlich ist, Unternehmer zu sein.
Teil 2: Wirtschaften in einer anderen Kultur
Wie ist das, wenn man in eine reiche Familie hineingeboren und schon früh Verantwortung trägt für Gewinne, Arbeitsplätze, millionenschwere Investitionen? Michael Eckes war für das Auslandsgeschäft des Getränkeunternehmens Eckes verantwortlich. Er hat in vielen Ländern gelebt und gearbeitet. Ich bewundere seine Fähigkeit, Menschen anzunehmen, wie sie sind. In all ihrer kulturellen Verschiedenheit. Als Unternehmer rät er den Jungen neben fachlicher Kompetenz vor allem eins:
Also ich beobachte: wenn einer durch die Gegend läuft und meint, er weiß alles, verrennt er sich und verliert Zeit mit Umkehrmaßnahmen oder Verlusten. Also sich einbinden lassen in gutem Rat und vor allem ganz wichtig: hinschauen- zuhören.
Mit 28 Jahren hat er im Nordosten Brasiliens die Verantwortung für die Pflanzungen und die Herstellung von tropischen Säften übernommen. Damals war das für ihn eine andere Welt.
Wenn man Orangen einkauft oder Orangen von den Pflückern übernimmt, dann weiß man sehr schnell, dass da also zigtausend Leute arbeiten. Wir hatten auch brasilianische Partner, ein Krankenhaus für Unfälle in den Plantagen zu bauen. Das konnte nur klammheimlich gemacht werden, weil man sagte: Ihr Deutschen, seid viel zu sozial orientiert, so läuft das hier nicht.
Trotzdem konnte er einiges durchsetzen, wie zum Beispiel eine Schule für die Kinder der Plantagenarbeiter. Um die sich jetzt einer seiner Söhne kümmert. Als Michael Eckes im Auftrag des Familienunternehmens eine Stiftung errichten wollte, hat MariaRosa seinen Plänen widersprochen. Als Brasilianerin, die die Gegend kennt, wusste sie genau, wo die Not am größten ist. Und dass Bildung allein der Schlüssel ist für einen Weg aus der Armut. Und so haben Michael Eckes und MariaRosa vor gut 20 Jahren das Hilfswerk „Human network do Brasil“ gegründet.
Es geht im Wesentlichen um Förderung von Ausbildung in diesen speziellen Orten. Mal fehlt eine Vorschule, mal fehlt eine Grundschule, mal fehlt ein Dach, mal fehlt ne Tür, mal Wasserfilter, ganz unterschiedlich.
Das alles managt von Anfang an MariaRosa, die zweite Ehefrau von Michael Eckes. Seit vielen Jahren leben die beiden je die Hälfte des Jahres in Deutschland und in Brasilien. Und dort kümmern sie sich persönlich um die Einrichtungen und Projekte für die Kinder der Ärmsten. Politisch hat sich dadurch in der Region nichts geändert. Trotzdem bleiben sie dabei. Auch nur einer Familie, einem Kind die Chance auf ein besseres Leben zu geben- das macht für sie einen himmelweiten Unterschied.
Wir haben kein System, um zu erfassen, was aus den Kindern, ursprünglich waren das Straßenkinder oder eben aus den Favelas, was aus denen geworden ist. Aber in der Gegend bleiben doch relativ viele. Und die begegnen einem immer wieder und die winken einem zu, die sprechen einen an und sagen: du hast mir geholfen, dass ich immer noch da bin. Dass ich jetzt Parkwächter bin. Also die Dankbarkeit ist sehr groß.
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Annette Bassler trifft Pfarrerin Sabine Müller- Langsdorf, Friedenspfarrerin der EKHN
Teil 1: Frieden beginnt mit Ernüchterung
Sabine Müller-Langsdorf ist die Friedenspfarrerin der evangelischen Kirche von Hessen und Nassau. Und jetzt ist Krieg in Europa. Ich habe sie besucht, weil ich nicht nur tief betroffen bin, sondern auch verwirrt. „Frieden schaffen ohne Waffen“ - dieses christliche Motto hat mich zeitlebens geprägt. Aber die russischen Panzer in der Ukraine walzen auch meinen Glauben an diesen Frieden nieder. Die klare Haltung, die Sabine Müller- Langsdorf hat, tut mir gut.
Ich bin ernüchtert. Und ich bin auch bitter darum, dass funktionierende Errungenschaften von friedlichem Aushandeln von Konflikten, also durch Regelungen von Recht, durch Abrüstungsverhandlungen, durch Absprachen, die verlässlich waren- und auch die wurden ja erarbeitet, die hat es nicht immer schon gegeben- dass das um Jahre und Jahrzehnte zurückgeschmissen ist.
Frieden ist immer zerbrechlich. Im Politischen wie im Privaten. Dennoch ist mir wichtig zu verstehen, was da schief gelaufen ist all die Jahre? Sabine Müller- Langsdorf sieht den Kern des Zerwürfnisses zwischen Ost und West in - ja mangelnder Aufrichtigkeit.
Es ist auch eine Geschichte der gebrochenen Versprechen, der nicht eingehaltenen Absprachen der unklaren Absprachen und irgendwann auch der Lüge. Und des einander etwas Vorgaukelns.
Der Krieg in der Ukraine lehrt mich, genauer hinzuschauen und das mit der Ehrlichkeit ernster nehmen. 100 Milliarden Euro für die Verteidigung Deutschlands- sie sind ein Symbol für die Zeitenwende, in der wir leben. Diplomatie allein genügt nicht. Es braucht auch eine glaubwürdige Abschreckung von Angriffslust. Mehr allerdings nicht.
Die ganzen kirchlichen Verlautbarungen richten sich darauf aus, für einen gerechten Frieden zu sorgen. Das ist das Fachwort dafür. Also zu suchen nach einem gerechten Frieden, in dem auch die Güter gerecht verteilt sind-
In dem Friede und Gerechtigkeit sich küssen, wie die Bibel das formuliert. Wenn du den Frieden willst, dann bereite ihn vor, heißt es in der evangelischen Friedensdenkschrift. Den Frieden in dir, den mit den Nächsten, den anderen Völkern, mit dem Klima. Und den Frieden mit Gott. Denn Frieden ist eine komplexe Sache.
Das Schöne am christlichen Glauben ist ja, dass Gott in den Frieden mit eingedacht wird, dass Gott uns Frieden schenkt und dass er uns in Jesus Christus auch gezeigt hat, wie Frieden gelingen kann. Und damit haben wir ein Stück Frieden in uns als Christinnen und Christen und aus diesem Frieden heraus zu leben, das kann uns ja auch sehr ermutigen für gerechten Frieden zu sorgen.
Wie das gelingen kann, davon erzählen die Geschichten rund um die Passion Jesu, die heute beginnt.
Teil 2: Willst du Frieden, bereit ihn jetzt vor
Frieden ist das Ergebnis von harter Arbeit. Und Friede ist ein Geschenk, er hat was mit Gottes Kraft und Nähe zu tun, meint Sabine Müller- Langsdorf. Die 59-Jährige ist Friedenspfarrerin der ev. Kirche in Hessen und Nassau. Das schönste Sinnbild für „Frieden“ ist für sie ein Gemälde von Picasso.
Es gibt dieses schöne Bild von Picasso mit dem Mädchen mit einer Taube in der Hand. Und das Mädchen hält diese Taube ja ganz zart. Und als könnte sie hinfallen und zerbrechen, wie Glas oder könnte davonfliegen. Und für mich ist an dem Bild so stark, dass das den Weg ausdrückt, der Frieden bringt.
Es ist also eine Illusion zu glauben, man könne den Frieden sichern in Mappen von Friedensabkommen und Verhandlungsergebnissen. Diese Illusion entlarvt sich selber täglich durch die schrecklichen Bilder aus der Ukraine. Derzeit dient Gewalt dazu, eine noch größere Gewalt zu stoppen. In der Hoffnung, dass die Waffen bald schweigen. Dann beginnt das, was eigentlich nie aufhören darf: den so zerbrechlichen Frieden wieder zum Leben zu erwecken. Denn Frieden, so Sabine Müller-Langsdorf-
-hängt viel mehr damit zusammen, auch im Gespräch miteinander zu bleiben, den Dialog nicht abbrechen zu lassen und in Verhandlungen klar aufzutreten und Schritt für Schritt kleine Formen der Abstimmung zuverlässig zu schaffen.
Und zwar ohne Erpressung und Gewalt. Das aber scheint den Menschen nicht auf den Leib geschneidert zu sein. Das ist ein Lernprozess, in den jeder Mensch etwas investieren muss.
Wir müssen investieren in Frieden und vor allem in zivile Mittel. Ich glaube, auch diese Klimafrage gehört dazu. Wenn ich die Fridays-for-Future-Bewegung ansehe, die gehen seit drei Jahren auf die Straße und sagen „kehrt um!“. Und das „kehrt um“ ist ja ein sehr biblisches Motto. Ja, also werdet bescheiden.
Bescheidenheit. Das heißt: seine eigenen Bedürfnisse nicht auf Kosten anderer ausleben. Stattdessen mit den anderen aushandeln, wie wir miteinander gut leben können. Dazu gehört auch, miteinander ehrlich zu bleiben. Die Passionsgeschichte Jesu, die heute beginnt, ist voll von Geschichten, die davon handeln. Geschichten, die ich dieses Jahr sicher anders hören werde als sonst. Sabine Müller- Langsdorf möchte sie uns ans Herz legen.
Ich habe mir für die Karwoche vorgenommen, diese Geschichten nochmal zu lesen. Weil ich glaube: darin ist viel Verständnis für ganz unterschiedliche Empfindungen, von Angst, von wegducken, von hinschauen, von mitgehen, von Mitleiden auch nochmal der Blick auf die Gewalt und den Tod, die Massivität, die wirklich Gewalt auch bringt. …. diese Geschichten können, glaube ich, uns ja trösten und auch einen realistischen Blick vermitteln.
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Annette Bassler trifft Christoph Kaiser, Schauspieler
In dem Film „Schattenstunde“ verkörpert er den Theologen und Liederdichter Jochen Klepper. Der ist mit seiner jüdischen Frau und deren Tochter in den Freitod gegangen. Zwei Jahre lang ist Christoph Kaiser alle Wege gegangen und war an allen Orten dieses Mannes, der sein Leben hingegeben hat für die, die er liebte.
Es war ja nicht in seiner Macht in den Freitod zu gehen, das ist aus christlicher Sicht Gottes Entscheidung. Und trotzdem sah er keinen Ausweg. Trotzdem hat er immer versucht: wo ist das Zeichen Gottes, dass ich es doch tun kann? Weil- ich kann es nicht anders tun, ich kann meine Familie nicht in den Tod gehen lassen und dabei zuschauen. Und ich kann sie auch nicht alleine gehen lassen. Ich muss sie begleiten, auf die andere Seite.
Miteinander ins Licht gehen, dieser Gedanke hat Jochen Klepper getröstet. Bis zum Schluss behielt er sein Vertrauen in Gott. Und das klingt auch in all seinen Liedern an, die mich geprägt haben. Liedern wie dieses:
Er weckt mich alle Morgen, Er weckt mir selbst das Ohr.
Gott hält sich nicht verborgen, führt mir den Tag empor,
daß ich mit Seinem Worte begrüß das neue Licht.
Schon an der Dämmrung Pforte ist Er mir nah und spricht.
Das Gottvertrauen von Jochen Klepper hat auch Christoph Kaiser nachhaltig verändert.
Ich hatte ja zu Gott so ein zwiespältiges Verhältnis. Mein Vater war damals sehr, sehr schwer krebskrank. Und ich war 15 Jahre alt. Da kam der Tag seines Todes. Meine Mutter war gerade genau an diesem Tag am Sterbebett ihrer Mutter, also außerhalb unserer Wohnung. Und ich war mit meinem Bruder allein bei meinem Vater, habe ihn in den Arm gehalten und wirklich bis zum letzten Atemzug bei mir gehabt und wollte ihn einfach nicht gehen lassen. Und habe gebeten und gebettelt „Gott, lass doch meinen Vater hier!“ Und das war da nicht so. Und ich habe dann Gott dafür die Schuld gegeben. Du hast meinen Vater weggenommen, du hast es zugelassen.
Mein Gott, warum hast du mich verlassen? Über vierzig Jahre hat Christoph Kaiser diese Frage in sich vergraben.
Ich war böse mit ihm. Und jetzt mit der Auseinandersetzung der Rolle von Jochen Klepper, das hat mich natürlich erstmal angeregt, auch wieder tiefer in meine Vergangenheit zu schauen. Und mir ist bewusst geworden, dass ja nicht Gott die Krankheit in Krebs ausgelöst hat und ihn nicht genommen hat, sondern dass er dafür seine Aufgabe sieht, wie das erträglich zu machen. Dass ich damit klarkomme.
Das alles war ein längerer Prozess. Der Film „Schattenstunde“ will das Leben von Klepper und das Schicksal der vielen ans Licht bringen, die aus Liebe zu ihrer jüdisch angeheirateten Familie mit ihr in den Tod gegangen sind. Am Holocaustgedenktag im kommenden Jahr soll der Film in die Kinos kommen.
Besonders beeindruckt hat ihn, wie standhaft er war und an seinen Werten festgehalten hat.
An den Werten wie Liebe „bis der Tod uns scheidet“, wie Treue. Und das mit einer Hartnäckigkeit! Aber auch mit einer gewissen Sicherheit zu wissen: Ich muss diesen Weg gehen, um meine Familie zu schützen. Und ich muss diesen Weg gehen, mit ihnen gemeinsam, um sie nicht alleine gehen zu lassen und alle Repressalien dafür auf sich zu nehmen.
Jochen Klepper war Pfarrerssohn und wäre selbst gerne Pfarrer geworden. Aber aus gesundheitlichen Gründen konnte er sein Theologiestudium nicht abschließen und arbeitete als Journalist und Schriftsteller.
Man hat seine Werke geschätzt. Man hat seine Romane geschätzt. Nur kam dann irgendwann dieser Goebbelsche Ausruf „Beruf oder Ehr!“ Und da mussten sich eben Menschen, die sich in -man nannte es damals- „Mischehe“ befanden, entscheiden: Gehe ich meiner Karriere, meinem Beruf nach und trenne mich von meinem jüdischen Partner oder tu ich es eben nicht.
Und Jochen Klepper tat es eben nicht. Obwohl er immer wieder mit Berufsverbot belegt wurde. Aber er fühlte sich als Deutscher und sagte immer:
Ich bin der Letzte, der hier gehen wird, weil hier ist meine Leserschaft hier ist meine Hörerschaft und von wo aus kann ich sie besser erreichen als von hier vor Ort in Deutschland. Und ich glaube, er hat auch immer noch gehofft und gebangt, dass dieser Spuk mal aufhört und es sich wieder zum Guten wendet.
Bis zum Schluss hat Klepper gehofft, seine Familie könnte durch Ausreise einer Deportation ins KZ entgehen. Als die unmittelbar bevorstand, hat er sich mit seiner 15 Jahre älteren Frau und seiner erwachsenen Stieftochter in ihrem Haus in Berlin das Leben genommen. Da war Jochen Klepper gerade 39 Jahre alt. Christoph Kaiser hat die drei auf dem Friedhof in Berlin- Nikolassee besucht.
Als ich dann so diese Gräber gesehen habe und diese Inschriften, da gab es so etwas- man kann es nicht erklären- man hatte das Gefühl, keiner von denen war allein. Sie haben es zusammen gemacht und werden bei Gott auch angekommen sein. Das hat etwas friedvolles gehabt, finde ich.
Die Geschichte von Jochen Klepper ist für mich eine Karfreitagsgeschichte, die sagt: Der Tod ist grausam. Immer. Aber die Liebe ist stärker als der Tod und nimmt ihm die Macht. Der Film „Schattenstunde“ unter der Regie des kongenialen Benjamin Martins bringt das unter die Haut. Durch seine Rolle als Jochen Klepper hat Christoph Kaiser nach vielen Jahren mit dem Tod seines Vaters und mit Gott Frieden schließen können.
Ich bin regelmäßig an seinem Grab, und wir kommunizieren miteinander. Ich habe das Gefühl, ja, er ist lebendig. Und da ist mir so klar geworden: vielleicht ist das ja Gott, der durch ihn spricht, oder mein Vater spricht durch Gott und wie auch immer. Und wenn es so ist, dann gibt es auch für mich Gott wieder.
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„Schattenstunde“ – das Leben und Sterben von Jochen Klepper
Kinostart: 27. Januar 2022 (Holocaustgedenktag)
mit Christoph Kaiser als Jochen Klepper
Drehbuch und Regie: Benjamin Martins
Produktionsfirma: Herbsthundfilme
SWR1 Begegnungen
Annette trifft Prof. Gerald Hüther, Neurobiologe, Vorsitzender der Akademie für Potentialentfaltung
Wie es Kindern so geht
Und Gerald Hüther. Lange Jahre hat er darüber geforscht, wie das menschliche Gehirn funktioniert und sich entwickelt. Sein Ergebnis: es sind die Beziehungen. Die zu den Eltern, Lehrern, Freunden. Sie machen, dass ein Kind seine Potentiale entfaltet. Deshalb arbeitet Gerald Hüther heute mit Bildungseinrichtungen zusammen, hat ein Institut für Potentialentfaltung gegründet. Per video haben wir miteinander gesprochen. Und ich wollte wissen: was bedeutet es für Kinder, wenn sie seit fast einem Jahr ihre Kontakte einschränken müssen?
Das ist der soziale Raum, in dem sie die wichtigsten Erfahrungen machen und ein Jahr ohne solche Erfahrungen, das ist schon nicht so ganz ohne. Das heißt, wenn ich als Kind jetzt sieben Jahre alt bin, ist ein Jahr ein Zehntel. Ich bin jetzt fast 70, da wäre ein Zehntel dessen zehn Jahre. Stellen Sie sich vor, zehn Jahre müsste ich so leben, da wäre ich doch hinterher gar nicht mehr wiederzuerkennen!
Was macht ein Kind, das seine elementaren Bedürfnisse noch nicht aufschieben kann?
Es muss versuchen sein Bedürfnis, die Oma zu besuchen, in sich selbst zu unterdrücken. Das ist, was viele Kinder geschafft haben. Die haben dann auch das Bedürfnis, mit anderen Kindern zu spielen, unterdrückt. Die haben das Bedürfnis, auch mal zu raufen und zu toben und einfach auch mal ganz wild zu sein. Alles mussten die unterdrücken.
Dieses „Unterdrücken“ aber hinterlässt Spuren, meint Hüther, das kindliche Gehirn baut sich um. Das elementare Bedürfnis nach Nähe und Kontakt wird weniger. Es verliert etwas von seiner Lebendigkeit. Während Eltern durch ihre Mehrfachbelastung selbst am Limit sind. Was bleibt dann noch? Vielleicht dies.
Es lässt sich alles besser aushalten, wenn man versuchen würde, etwas liebevoller mit sich selbst umzugehen. Sich mal fragen: Was kann ich mir heute mal Gutes tun?
Was würde mir persönlich- was würde uns als Familie heute guttun? Darüber könnte man miteinander reden. Sich dafür Zeit frei schaufeln. Und versuchen, es dann auch umzusetzen. Warum das so wirksam ist?
Sie kommen wieder in das Gefühl, Gestalter ihres eigenen Lebens zu sein, … nur noch das zu machen, was ihnen guttut. Anstatt gegen das anzurennen, was sie sowieso nicht ändern können.
Was tut mir, was tut uns jetzt gut? Ich habe zum ersten Mal meinen Enkeln per Video abends was vorgelesen. Und die haben mit den Eltern Pläne und Absprachen gemacht, was sie tagsüber unternehmen.
Kinder können auf einmal lernen, Teil dieser Familie zu sein. Und sie können gemeinsam mit den Eltern versuchen, es sich so schön wie möglich zu machen, trotz der Einschränkungen. Und dann merken sie plötzlich: wow! Ich habe eine gute Idee. Mama hat ne gute Idee, Papa hat ne gute Idee. Und dann sucht man sich die Freiräume, die gehen unter Einhaltung der Bestimmungen und Verordnungen.
Vertrauen wagen und loslegen
Wie kann ein Kind am besten seine Potentiale entfalten? Darüber hat Gerald Hüther lange geforscht als Neurobiologe. Sein Fazit: Kinder, die ihre elementaren Bedürfnisse leben dürfen, bekommen die beste Bildung für ein gelingendes Leben. Das Bedürfnis nach Geborgenheit und Gemeinschaft ist eines. Ein anderes ist es, etwas bewirken, Probleme lösen zu können.
Wenn jetzt Eltern versuchen, ihrem Kind alle Probleme aus dem Weg zu räumen, brauchen Sie sich nicht zu wundern, dass dieses Kind nie lernt, wie ein Problem gelöst wird. Und damit hat es keine eigenen Kompetenzen. Und damit ist es hoch anfällig für Angstmacher. Weil es nicht auf eigene Kompetenzen zurückgreifen kann.
Genauso wichtig ist es aber auch, die Kinder nicht mit Problemen zu überhäufen, die es nicht lösen kann. Wenn das Kind mit Einschränkungen leben muss, ist es wichtig, ihm zu vermitteln, dass man es verstehen kann. Dass man selber auch Angst hat. Aber trotzdem auch irgendwie darauf hofft, dass es gut ausgehen wird. Das vorzuleben ist für Kinder das Wichtigste. Gerald Hüther nennt es Gottvertrauen.
Und das ist eben auch ein kulturelles Gut, selbst wenn man nicht in der Kirche ist, ist dieses Kulturgut ja nicht für einen unsichtbar. Und insofern hat es sicher vielen Menschen geholfen, dass sie sich vorstellen konnten, dass es wieder gut wird. Und dass irgendwie Gott die Hand schützend über sie hält. Und dann haben sie losgelegt.
Vielleicht brauchen Kinder heute mehr denn je Erwachsene, die aus diesem Vertrauen heraus „loslegen“. Die einfach mal anfangen und etwas tun, was das Leben besser macht. Mit einer Grundhaltung, die dem, was derzeit so müde macht, etwas entgegenhält: Respekt vor der Würde des Kindes.
Das, worum es nämlich geht, ist, dass wir keinen anderen Menschen in so einer Gemeinschaft zum Objekt machen. Zum Objekt Ihrer Belehrung, Ihrer Erwartungen, Ihrer Maßnahmen, Ihrer Bewertungen. Sowohl in den Schulen, aber auch schon in den Elternhäusern.
Und das stelle ich mir anstrengend vor! Nicht nur reden, sondern ernsthaft zuhören und nachfragen. Ganz bei sich sein, aber auch ganz bei Anderen. Ideen entwickeln, aber sie auch wieder einpacken können. Kurzum: Solidarität leben, Schwarmintelligenz entwickeln. Gerald Hüther ist davon beseelt.
Wenn die Mitglieder einer Gemeinschaft es schaffen, dass die aufhören, sich gegenseitig zum Objekt zu machen, dann ist die Entfaltung der in diesen Mitgliedern und der ganzen Gemeinschaft angelegten Potenziale unabwendbar.
Alles ist möglich denen, die glauben. Hat Jesus gesagt. Weil bei Gott nichts unmöglich ist. Vielleicht ist die Zeit reif, Vertrauen zu wagen- in die Möglichkeiten Gottes. Für Gerald Hüther jedenfalls ist Vertrauen der Anfang von allem.
Das ist die Grundmelodie. Und Kinder können die schon begreifen. Die Botschaft heißt nämlich: es gibt Probleme im Leben ja! Aber es wird auch wieder gut.
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