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SWR4 Abendgedanken

16FEB2024
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Wenn man endlich mal wieder mit alten Freunden telefoniert, kann man überrascht werden.

Mit meiner alten Freundin Anna war das so. Wir telefonieren endlich mal wieder miteinander und sie erzählt mir von einer eher traurigen Überraschung. Sie sagt: „Das Jahr hat für uns nicht so gut begonnen.“

Und dann erzählt sie, dass Ihr Mann Marco wegen Nierensteinen ins Krankenhaus musste und mit einer Tumordiagnose wieder nachhause gekommen ist. Tennisballgroß. Am Zwerchfell.

Schon ein paar Tage nach dem Telefonat stand die Operation an.

Am gleichen Abend noch schickt mir Anna dann eine Sprachnachricht, dass alles gutgegangen ist. Dass sie nun die Untersuchung abwarten müssen, aber total glücklich sind, dass es so weit gut verlaufen ist. Sie klingt erleichtert und sagt: „Marco möchte, sobald es geht, eine Wallfahrt machen. Er hat gleich heute Abend davon gesprochen. Wir möchten nach Assisi fahren, denn wir sind so dankbar.“

Ich bin mir nicht sicher, wann ich das schonmal gehört habe.  Dass jemand aus Dankbarkeit für etwas eine Wallfahrt machen möchte.

Ehrlich gesagt hört sich das für mich erstmal irgendwie altbacken an.

Die beiden sind in meinem Alter, also Mitte vierzig. Und ok, Anna kommt aus Oberschwaben und Marco aus Italien. Die beiden sind also schon katholisch geprägt, aber sie sind nicht ungewöhnlich fromm.

Eine Wallfahrt machen, das heißt in meiner Fantasie, dass Menschen mit Gott einen Kuhhandel machen und ihn damit ein wenig bestechen wollen, damit er ihnen wohlgesonnen ist. So nach dem Prinzip: Ich tu was für Dich und Du dann auch bitte für mich. So stelle ich es mir vor, aber ob es wirklich so ist?

Wenn ich länger darüber nachdenke, finde ich eine Wallfahrt auf Annas und Marcos Art eine echt schöne Sache. Marco sagt einfach: „Es ist nicht selbstverständlich, dass es mir wieder gut geht, deswegen möchte ich etwas tun.“

Ich selbst kenne Assisi und kann gut verstehen, warum Menschen dorthin reisen, um zu beten. Die Kirchen und Kapellen, die Olivenhaine dort und die Geschichten um Klara und Franziskus sind etwas Besonderes. 

In der Haltung, in der Anna und Marco nach Assisi fahren möchten, ist ihre Wallfahrt alles andere als ein Kuhhandel, um Gott zu bestechen. Ihre Fahrt ist einfach ein „Dankeschön.“ Das wirkt so selbstverständlich, und es spricht für eine ganz freundschaftliche Beziehung, die sie zu Gott haben.

Danke sagen kann man auf ganz unterschiedliche Weise. Ich wünsche den beiden auf jeden Fall eine gute Reise für und mit dem lieben Gott.

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SWR4 Abendgedanken

15FEB2024
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Ich weiß nicht, wie ich das immer hinbekomme…

Meine Brille ist wieder mal verbogen. Ich merke, dass sie an einem Ohr drückt und am anderen leicht hochsteht. Nicht viel, aber genug, dass es mich stört.

Auf meinem Weg von der Arbeit heim gibt es einen Optiker, da habe ich meine Brille zwar nicht gekauft, aber weil es so schön praktisch ist, flüchte ich mich da immer hin, wenn es mal wieder so weit ist.

Es ist mir schon ein wenig unangenehm, wenn ich da wieder mit meiner verbogenen Brille stehe und wieder um Hilfe bitte. Die Optikerin dort lächelt mich wie jedes Mal an und sagt: „Kein Problem. Geben sie sie mir.“

Sie verschwindet hinter einem Vorhang und ich höre, wie sie sich an die Arbeit macht.

Nach ein paar Minuten kommt sie wieder, reicht mir die Brille und sie passt perfekt. Ich frage wie immer ein wenig kleinlaut: „Was bekommen Sie dafür?“

Jedes Mal, wirklich jedes Mal, strahlt sie mich an und sagt: „Nichts.“

Ich hab noch nie etwas in diesem Laden gekauft. Ich bin ein echt schlechter Kunde. Aber, wenn ich aus diesem Brillengeschäft rausgehe, ist für meinen restlichen Nachhauseweg alles gut. Wenn nicht sogar länger. Weil die Verkäuferin mir nicht nur meine Brille zurechtgebogen hat, sondern auch meinen ganzen Tag. Mit wenigen Worten, einem Lächeln und dieser unglaublichen Herzlichkeit.

Auf meinem Weg nachhause ist mir sonnenklar: „Es braucht so wenig. Es reichen ein paar Worte, wenn sie ehrlich sind und so eine freundliche Zuwendung in ihnen steckt.“ Seinen Mitmenschen etwas Gutes zu tun ist so einfach. Ok, ich kann keine Brille zurechtbiegen. Aber ich kann den Alltag meiner Mitmenschen zurechtbiegen.

Vielleicht ist es mit meiner zurechtgebogenen Brille und dem Lächeln, wie mit dem Senfkorn, von dem Jesus einmal erzählt hat. Das hat er als Vergleich hergenommen, wie aus etwas Kleinem etwas Großes werden kann. Ein einziges Lächeln ist was Minikleines und trotzdem kann es eine große Wirkung haben.

Wahrscheinlich ist der Optikerin gar nicht bewusst, wie gut sie meinen ganzen Tag gemacht hat. Und ich weiß nicht, was ich mit meinem Lächeln bewirke. Ein kleiner Moment kann alles verändern.

Meine Brille wird irgendwann wieder verbogen sein. Und ich freue mich jetzt schon darauf, dort wieder zu sein. Für die paar Minuten, die wenigen Worte und dieses wunderbare Lächeln.

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SWR4 Abendgedanken

14FEB2024
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Heute Morgen war ich im Aschermittwochsgottesdienst und wie an diesem Tag üblich, habe ich Asche auf Kopf gestreut bekommen. Und dazu diesen einen Satz gehört, den empfinde ich jedes Jahr als unangenehm. Dieser Satz heißt:

„Bedenke Mensch, dass du Staub bist und zu Staub zurückkehren wirst.“

Das fühlt sich gar nicht gut an, wenn ich so an die eigene Endlichkeit erinnert werde.

Ein ganz ähnliches Gefühl hatte ich neulich zuhause bei meinen Eltern. Da hatte ich einen richtigen Aschermittwochsmoment. Meine Eltern werden nicht jünger und wir sind gerade dabei alles Mögliche zu regeln. Was mein Bruder und ich später mal erben werden und wie das mit den Vollmachten geregelt werden soll. Deswegen sitze ich mit meiner Mama zusammen und fülle ihre Patientenverfügung mit ihr aus. Ich versuche ihr zu erklären, welche Situationen gemeint sind, in der ein Wiederbeleben nicht mehr gewünscht wird und welche Medikamente noch gegeben werden sollten, wenn sie vielleicht einmal im Sterben liegt.

Wenn ich mir diese Situationen vorstelle, hat das wirklich etwas von Aschermittwoch. Dass ich begreife: ich werde nicht ewig leben. Egal, ob ich es möchte oder nicht. „Bedenke Mensch…“ Und es geht dabei ja nicht nur um mich, sondern auch um die Menschen, die ich liebe.

Klingt alles eher deprimierend. Zum Glück gibt es heute am Aschermittwoch auch noch eine andere Aufforderung. Nämlich: „Kehr um, und glaub an das Evangelium“.

Für mich heißt das: Wechsel die Perspektive! Schau nicht nur auf die Asche! Nicht nur das Schwere und Verbrannte im Leben. Alt und krank werden, den Tod. Eben die Asche. Sondern, glaub an das, was Jesus aus Nazareth den Menschen vor 2000 Jahren vorgelebt hat. Dass Gott es gut mit den Menschen meint, und sie begleitet über den Tod hinaus, also über die Asche hinaus. Kehr um und mach dir klar, dass das Leben viel mehr ist, als das, was du davon siehst.

Denn es bleibt ja nicht beim Aschermittwoch, sondern der ist nur der Anfang der Fastenzeit, die auf Ostern zugeht.

Klar wäre es mir lieber, es gäbe gar keinen Aschermittwoch und ich müsste keine Patientenverfügung mit meiner Mama ausfüllen. Aber beides führt mich weiter, auch, wenn es unangenehm ist.

Mein Glaube hilft mir mit der Asche, dem Alter und dem Sterben umzugehen. Und darüber hinaus noch viel weiter und mehr zu sehen.

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SWR4 Abendgedanken

13FEB2024
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Was hat Ausmisten mit der Fastenzeit zu tun?

Meine Kollegin Maria-Theresia hat es mir klar gemacht. Sie musste ihr Elternhaus ausräumen und das prägt jetzt ihre Fastenzeit. Es war so:

Ihr Vater war gestorben und ihre Mutter ist zu ihrer Schwester gezogen.

Maria-Theresia  erzählt mir: „Dieses Haus. Vom Keller bis zum Dachboden war es voll mit Zeug, das sich über Jahrzehnte angesammelt hatte. Ich sag dir, das war eine Mammutaufgabe. Natürlich gab es da auch viele Erinnerungsstücke, die sind wirklich schön. Aber jedes Teil musst du in die Hand nehmen und entscheiden.“

Ich stelle mir das alles unglaublich anstrengend vor. Vor allem, weil meine Kollegin von der Menge erzählt, die in so einem Haus versteckt sein kann.

Das sind nicht nur ein paar abgewohnte Möbel und alte Teppiche, die keiner mehr braucht. Da ist veraltetes Werkzeug, da sind Küchenutensilien, die in die Jahre gekommen sind, bis zu kistenweise Fasnetsverkleidungen aus den letzten Jahrzehnten.

Am Ende waren es mehrere Container voll.

Maria-Theresia hat sich jetzt vorgenommen, dass sie niemals so viel Zeug ansammeln möchte und dass die Fastenzeit ihr dabei helfen wird. Denn, wenn sie all das, was nur rumliegt, nicht jetzt wegwirft, dann müssen es irgendwann andere tun. Aber je älter man wird, desto schwieriger wird es vermutlich Dinge wegzuwerfen. Wenn man älter ist, kann man das alleine nicht mehr schaffen.

Und gerade deshalb gefällt mir der Entschluss, den Maria-Theresia gefasst hat.

Ab morgen, dem Aschermittwoch, wird täglich aussortiert. Nur ein bisschen, aber beständig. Jeden Tag will Maria-Theresia mindestens eine Sache wegwerfen oder hergeben. Und wenn es nur die alte Rolle Geschenkpapier ist, die keinem mehr gefällt. Oder dieser Ordner mit den Unterlagen, die schon zehn Jahre niemand mehr braucht. Zeug findet sich genug.

Ich mag dieses Vorgehen. Nicht nur, weil es pragmatisch ist, sondern weil ich auch glaube, dass es der Fastenzeit entspricht. Ausmisten. All die Dinge wegschmeißen, die überflüssig sind. Die nicht nur einfach rumstehen, sondern die auch wertvollen Platz wegnehmen. Und zwar Platz, den ich für Neues gut gebrauchen könnte.

Und das trifft für mich genau den Kern der Fastenzeit. Nicht nur altes Zeug ausmisten, sondern auch Platz für neue Möglichkeiten schaffen. Wer weiß, was dieser Freiraum dann mit sich bringt?

Ich fühle mich jedes Mal befreit, wenn ich ausmiste. Irgendwie atme ich dann auf. Das tut mir gut. Das Buch, das morgen wegkommt, hab ich schon rausgesucht.

Mal schauen, was übermorgen rausfliegt.

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SWR4 Abendgedanken

12FEB2024
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Ich bin sowas von gar kein Faschingsnarr.

Ich mag mich nicht verkleiden, noch weniger in der Kälte am Straßenrand rumstehen und den Alkoholkonsum in diesen Tagen sehe ich auch ziemlich kritisch. Vielleicht wurde mir der Karneval oder die Fasnet oder wie auch immer, einfach nicht mit in die Wiege gelegt.

Trotzdem gebe ich zu: wenn ich zufällig einen Umzug im Fernsehen sehe, kann ich schon hängen bleiben. Oder wenn mir Freunde begeistert erzählen, wie sie sich in ihrer Zunft engagieren und was sie da für einen Zusammenhalt haben! Und die vielen Menschen, die an verschiedensten Orten heute und morgen unterwegs sind. Unzählige haben schon so lange und mit viel Herzblut Büttenreden, Sitzungen und Umzüge vorbereitet.

Auch wenn es gar nicht mein Ding ist, ich sehe schon, wie so viele, gerade heute, in diesen unfriedlichen Zeiten, friedlich und ausgelassen gemeinsam feiern.

Irgendwie mag ich Fasching also doch: Denn: Fastnacht, Karneval oder Fasching ist eine eigene Art von Demonstration. Und Demos sind wichtig.

So, wie es in der jüngerer Vergangenheit, jenseits des Faschings, genug Anlässe gab, warum Menschen auf die Straßen gegangen sind. Weniger freudig. Und mit keinen schmunzelnden, sondern mit sehr direkten Worten.

Ich denke da natürlich gleich an die vergangenen Wochenenden. Allein bei uns in Tübingen waren tausende unterwegs, um gegen Rechtsextremismus in unserem Land zu demonstrieren. Das waren Studierende und Professoren, Alte und Junge, ganze Familie waren da. Es war vielleicht ein bisschen weniger bunt, aber zum Teil lauter als so mancher Faschingsumzug.

Alle gemeinsam haben gezeigt, dass Demokratie kein Selbstläufer ist, sondern immer neu verhandelt und beschützt werden muss.

Gott sei Dank lebe ich in einem Land, in dem Meinungsfreiheit ein hohes Gut ist, gesetzlich verankert und geschützt.

Und genau deswegen dürfen Menschen hier offen auf der Straße ihre Stimme erheben. Und eben auch frei und friedlich zusammen Rosenmontag und Fastnachtsdienstag feiern. Das ist in vielen Ländern gar nicht möglich.

Natürlich ist mir bewusst, dass die Faschingsumzüge keine Demonstrationen sind. Aber die beiden haben doch etwas gemeinsam: Sie können etwas verändern, und zwar zum Guten hin.

Denn es geht heute und morgen bestimmt nicht nur darum, ausgelassen zu feiern, bevor die Fastenzeit beginnt. Es geht auch darum zu zeigen: dass Menschen sich nicht nur die Köpfe einschlagen oder sich abschieben wollen, sondern auch, dass sie so unglaublich gut zueinander sein können und einfach nur glücklich miteinander feiern.

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Christvesper

Herzlich Willkommen zur Christvesper an diesem Heiligen Abend.

Dieser Abend ist für viele Menschen besonders. Familie, Christbaum, Geschenke, der Duft von Weihnachtsplätzchen und vielleicht der Abendgottesdienst gehören ganz selbstverständlich dazu. Aber für zahlreiche Menschen ist all das heute keine Realität. Menschen, die einsam sind, in Kriegsgebieten leben oder aus ihrer Heimat flüchten mussten. Und für all diejenigen, denen heute, aus welchem Grund auch immer, vor lauter Angst und Sorge nicht nach feiern zumute ist.

Kann diese Nacht heilig sein, in dieser Zeit? JA, das glauben wir! Denn die Geburt Jesu vor über 2000 Jahren hat etwas verändert. Gott ist Mensch geworden – und zeigt uns damit: Das Leben soll anders werden! Gemeinsam mit Ihnen machen wir uns in der nächsten halben Stunde auf den Weg. Mit Musik und Texten wollen wir von der Kraft erzählen, die in der Krippe ihren Anfang genommen hat.

Die Nacht ist vorgedrungen (Ensemble Encore)

Wir hören nun das Weihnachtsevangelium, gelesen von Peter Binder.

In dieser Zeit befahl der Kaiser Augustus, dass alle Bewohner des römischen Reiches namentlich in Listen erfasst werden sollten. Eine solche Volkszählung hatte es noch nie gegeben. Sie wurde durchgeführt, als Quirinius Statthalter in Syrien war. Jeder musste in die Stadt gehen, aus der er stammte, um sich dort eintragen zu lassen.

Weil Josef ein Nachkomme Davids war, der in Bethlehem geboren wurde, ging er von Nazareth in Galiläa nach Bethlehem in Judäa. Josef musste sich dort einschreiben lassen, zusammen mit seiner Verlobten Maria, die ein Kind erwartete.

Als sie in Bethlehem waren, brachte Maria ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe im Stall, weil es im Gasthaus keinen Platz mehr gab.

In dieser Nacht bewachten draußen auf dem Feld einige Hirten ihre Herden. Plötzlich trat ein Engel Gottes zu ihnen, und Gottes Licht umstrahlte sie. Die Hirten erschraken sehr, aber der Engel sagte: „Fürchtet euch nicht! Ich bringe euch und allen Menschen eine große Freudenbotschaft: Heute ist für euch in der Stadt, in der schon David geboren wurde, der lang ersehnte Retter zur Welt gekommen. Es ist Christus, der Herr. Geht und überzeugt euch selbst: Das Kind liegt, in Windeln gewickelt, in einer Futterkrippe!“

Auf einmal waren sie von unzähligen Engeln umgeben, die Gott lobten: „Gott im Himmel gehört alle Ehre! Denn er wendet sich den Menschen in Liebe zu und bringt der Welt den Frieden.“ Nachdem die Engel in den Himmel zurückgekehrt waren, beschlossen die Hirten: „Kommt, wir gehen nach Bethlehem! Wir wollen sehen, was dort geschehen ist und was der Herr uns verkünden ließ.“ Sie machten sich sofort auf den Weg und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Futterkrippe lag. Als sie es sahen, erzählten die Hirten, was ihnen der Engel über das Kind gesagt hatte. Und alle, die ihren Bericht hörten, waren darüber sehr erstaunt. Maria aber merkte sich jedes Wort und dachte immer wieder darüber nach.

Schließlich kehrten die Hirten zu ihren Herden zurück. Sie lobten und dankten Gott für das, was sie in dieser Nacht erlebt hatten. Alles war genauso gewesen, wie es der Engel angekündigt hatte. (Lk 2,1-20)

Zu Betlehem geboren (Harmonic Brass)

„Als sie in Bethlehem waren, brachte Maria ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt.“

Das ist Weihnachten. Das ist es, was wir heute feiern. Am Heiligen Abend. Ich habe allerdings das Gefühl, dass viele Menschen nur diesen Satz in der Weihnachtsgeschichte hören. Vielleicht noch das mit den Engeln und den frohen Hirten. Weil am Heiligen Abend immer alles irgendwie schön sein soll. Friedvoll und nett.

Aber, wenn man diese alte Geschichte genau anschaut, dann hat die Geburt so gar nichts zu tun mit Friede, Freude und heiler Welt: Angefangen mit Maria, die einfach so schwanger wird. Durch, Gottes Wirken, wie es heißt. Und Josef, der wahrscheinlich andere Pläne für sein Leben hatte und tatsächlich überlegt hat, ob er Maria verlassen soll. Dann diese beschwerliche Reise von Nazareth nach Betlehem und dort dann weit und breit kein keine Unterkunft.

Wie Maria und Josef sich wohl gefühlt haben müssen? Nicht willkommen zu sein, so abgewiesen zu werden und so auf die Hilfe von anderen angewiesen zu sein. Und dann zwischen den Tieren dort ein Kind auf die Welt zu bringen. Diese heilige Nacht muss wirklich ziemlich erbärmlich gewesen sein.

Dass es Nacht war, wissen wir übrigens nur, weil erzählt wird, dass die Hirten nachts gewacht haben. Die Nacht ist hier auch ein Symbol.  Eines für die Nacht der Welt, für alles, was schwer ist, ungemütlich und schlimm.

Als Gegenstück dazu, wird in vielen Darstellungen die Krippe in Licht getaucht, ja mit einem Licht, dass aus der Krippe selbst kommt. Und dieses Licht steht für die Hoffnung, die es trotz aller Dunkelheit gibt. Die man nicht so einfach erklären kann.

Aber an den Hirten merkt man es. Sie kommen, sehen das Kind und gehen beschwingt und froh zurück. Dabei hat sich für sie nichts verändert. Sie haben ein einfaches Kind gesehen. In einem Stall. In einer Krippe, die eigentlich für das Futter der Tiere bestimmt war. Aber dieses Kind ist für sie das Zeichen, dass sie nicht alleine sind. Das Zeichen, dass Gott sie nicht alleine lässt. Weder in dieser Nacht noch sonst. Dass es jemanden gibt, der an sie denkt und für sie da ist, wenn das Leben schwer wird, in den einsamen Stunden. Und das ist für mich Weihnachten! Die Erinnerung daran, dass ich, egal, ob ich abgewiesen werde, mich alleine fühle oder nicht weiß wohin, egal, was auch kommen mag – eben nicht alleine bin.

Zündet die Lichter der Freude an (Jugendchor St. Kolumban, Wendlingen)

Eine heilige Nacht

Meine Kinder und ich, wir waren gerade umgezogen. Die Kisten noch nicht ausgepackt. Nur die Betten sind aufgebaut und ein bisschen Geschirr steht in der Küche. Und heute ist Heiligabend. Mit Mini-Tannenbaum im Topf, ohne Lichterkette, ohne Kugeln, die haben wir im Umzugstrubel nicht gefunden. Dafür stehen drei große Holzengel auf dem Boden im Wohnzimmer. Sie sind erst ein paar Tage alt, ich habe sie beim Weihnachtsbasteln im Kindergarten gemacht. Ich finde, die sind richtig schön geworden. Ein dicker Holzscheit und oben drauf als Kopf eine weiße Gipskugel und hinten, quasi auf dem Rücken, große weiße Gips-Flügel; die sehen aus wie bei einem Schmetterling.

Es ist das erste Weihnachten nach der Trennung von meinem Mann. Die Kinder sind bei mir. Zusammen gehen wir ins Krippenspiel, in unsere alte Kirchengemeinde, da, wo wir alle kennen. Anschließend fahren wir zurück, in ein fremdes Haus, an einen fremden Ort. Immerhin, wir haben ein Dach über dem Kopf.

Wir brutzeln rote Wurst auf dem Tischgrill, Kartoffelsalat haben wir vom Metzger geholt. Der Papa kommt zum Essen vorbei, die Kinder freuen sich. Und das ist mir wichtig. Singen und die Weihnachtsgeschichte lesen, darauf hat in diesem Jahr niemand richtig Lust. Die Stimmung ist trotzdem nicht so schlecht. Wir reden. Über das, was kommt, wie wir die Zimmer einrichten wollen, dass man von hier zur Schule nur 5min braucht, und dass es sogar einen Fußballverein für Mädchen gibt.

Irgendwann wird mir kalt, ich friere. Vielleicht bin ich einfach übermüdet. Also setze ich eine Kanne Früchtetee auf; der hilft wenigstens gegen die Kälte. Und bin in diesem Moment sehr froh über die große Dose mit Plätzchen und Lebkuchen von der Oma; die ist jetzt genau richtig. Irgendwann fragt der Jüngste: Kannst Du was vorlesen? Was aus „Engel, Hase, Bommelmütze“? Klar kann ich das. Ich hole das Buch mit den 24 Adventsgeschichten, das habe ich griffbereit in der Handtasche. Wir sind in diesem Jahr nur bis Tag 14 gekommen, dann mussten wir Kisten packen.

Während ich lese, wird es immer kälter. Und irgendwann ist klar: Die Heizung tut nicht mehr. Ich habe keine Ahnung, wen ich anrufen könnte. Es würde eh keiner kommen an Heiligabend. Die Kinder wissen sich zu helfen und suchen und finden tatsächlich ihre Schlafsäcke. Und dann fangen sie an, mitten im Wohnzimmer ein Lager zu bauen. Zwischen den Umzugskisten, mit Decken und ihren Kuscheltieren. Ich hole mir noch eine Jacke und lese dann, eine Geschichte nach der anderen. Irgendwann bin ich bei Nummer 24 angekommen, beim Finale. Der kleine Engel weiß endlich, was er dem Christkind schenken kann; die ganze Adventszeit hat er sich Gedanken gemacht. Und auf einmal ist ihm klar: Er hat doch schon das schönste Geschenk: Es sind all die Geschichten, die er in den letzten Wochen auf der Erde erlebt und gehört hat. Von Menschen, die gehofft oder geheult haben, die einsam oder glücklich waren, ungeduldig oder neugierig. Oder voller Sehnsucht.

Und dann lese ich die letzten Sätze vor und erzähle den Kindern, wie der Engel all diese Geschichten mit in den Himmel nimmt – und ich sehe, dass die Kinder eingeschlafen sind. In ihrem Lager zwischen den Umzugskisten. Die Schlafsäcke hochgezogen bis an die Nasenspitze, ihre Kuscheltiere fest im Arm.

Diese heilige Nacht war eine friedliche Nacht, wirklich ganz unerwartet friedlich. So können heilige Nächte sein.

Hark the herald angels sing (Berdien Stenberg)

Gott, Du bist zu uns gekommen, als Kind in einer Futterkrippe, in einem abgelegenen Stall. Und Du hast es geschafft, dass von diesem Ort neue Hoffnung ausgeht.

Wir bitten Dich heute für alle, die an unwirtlichen Orten leben – in Blechhütten vor den Städten, in Zelten und Turnhallen, auf der Straße oder im Park.

Wir bitten Dich für alle, die Angst haben – vor Gewalt, vor dem nächsten Bombenangriff, vor aller Ungewissheit, weil sie auf der Flucht sind.

Wir bitten Dich für alle, denen es gerade heute nicht gut geht – weil sie traurig oder einsam sind, weil es Streit in der Familie gibt oder der Kontakt zu den Liebsten abgerissen ist.

Wir bitten Dich für uns selbst:
Lass uns diesen Anfang im Stall wachhalten. Damit die Hoffnung bleibt: auf Friede, Freude und Gerechtigkeit.

Alle Bitten, die jetzt ausgesprochenen wurden und alle, die in unseren Gedanken und Herzen sind, wollen wir im „Vater unser“ zusammennehmen. Lassen Sie uns gemeinsam beten:

VATER UNSER IM HIMMEL

GEHEILIGT WERDE DEIN NAME.

DEIN REICH KOMME.

DEIN WILLE GESCHEHE

WIE IM HIMMEL SO AUF ERDEN.

UNSER TÄGLICHES BROT GIB UNS HEUTE.

UND VERGIB UNS UNSERE SCHULD,

WIE AUCH WIR VERGEBEN UNSERN SCHULDIGERN.

UND FÜHRE UNS NICHT IN VERSUCHUNG,

SONDERN ERLÖSE UNS VON DEM BÖSEN.

DENN DEIN IST DAS REICH UND DIE KRAFT UND DIE HERRLICHKEIT

IN EWIGKEIT.

AMEN.

Nun freut euch ihr Christen (Matthias Degott, Jürgen Ochs, Rastatter Hofkapelle)

Gott,
an vielen Orten auf der Welt herrscht Krieg,
auch heute Nacht
Viele Menschen sind einsam
auch heute Nacht.

Und trotzdem:
viele Menschen hoffen,
gerade heute Nacht.

Segne diese Nacht, Herr.
Und segne uns und all unsere Begegnungen.

Du, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Amen.

 

Mit dem Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ geht die Christvesper nun zu Ende. Am Mikrofon waren Manuela Pfann und Pfarrer Wolfgang Metz von der katholischen Kirche. Wir wünschen Ihnen gesegnete Weihnachten und eine friedvolle heilige Nacht.

Stille Nacht, heilige Nacht (SWR Vokalensemble Stuttgart)

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SWR4 Abendgedanken

24NOV2023
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Heute in einem Monat ist Heiligabend.

Wenn ich das höre, denke ich: Oh, nein, ich sollte mir langsam überlegen, wem ich an Weihnachten etwas schenken möchte und vor allem was. Und wann ich die Weihnachtpost erledige…denn das war bei mir in den letzten Jahren alles immer auf den letzten Drücker.

Ich mag Weihnachten sehr. Den Christbaum im Wohnzimmer, die Krippe, den Duft von Weihnachtsgebäck und ganz besonders die Lieder in der Christmette. Aber es kommt immer so plötzlich…

Zum Glück gibt es bis dahin noch die Adventszeit und die ist ja extra dafür da, dass ich mich auf Weihnachten vorbereiten kann. Und bis zum Ersten Advent ist es ja auch noch eine Woche.

Und die werde ich nutzen, weil ich weiß: Wenn ich mir nicht vorher ein paar Gedanken mache, was ich in dieser Adventszeit wann machen möchte, wird es wieder stressig.

Deswegen überlege ich mir jetzt schon, wie der Advent dieses Jahr für mich ablaufen soll. Am 4. Advent wird der Heilige Abend sein, das heißt der Advent ist in diesem Jahr genau drei Wochen lang.

Ich werde die kommenden Tage nutzen, um diese drei Wochen zu planen. So ganz klar habe ich es noch nicht, was ich machen werde, aber ein paar Dinge weiß ich: Eine Woche soll für mich sein, eine für meine Mitmenschen und eine für Gott.

In der ersten Woche will ich mir mehr Zeit für mich nehmen. Einen Abend lang nur ein gutes Buch lesen, einen langen Spaziergang möchte ich machen und ab und an einfach mal nichts tun. Auf jeden Fall den Kalender bewusst leerer lassen.

In der zweiten Woche sind dann meine Mitmenschen dran. Ich werde meine Weihnachtspost schreiben, mir in Ruhe Zeit nehmen, um zu überlegen, was ich dieses Jahr verschenke und die Geschenke auch besorgen und ich möchte den ein oder anderen anrufen, von dem ich schon länger nichts mehr gehört habe. Vielleicht auch jemanden besuchen.

Und in der letzte Woche? Die kriegt, wie gesagt, Gott. In diesen Tagen möchte ich mir mehr Zeit für Stille und Gebet nehmen, vielleicht auch für ein paar geistliche Gedichte, aber ganz sicher meine Krippe in Ruhe aufbauen. Denn die erinnert mich daran, warum wir Weihnachten feiern.

Ich bin schon gespannt, wie das wird.

Der Advent ist die Vorbereitungszeit auf Weihnachten und die Tage der nächsten Woche sind für mich die Vorbereitungszeit für den Advent.

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SWR4 Abendgedanken

23NOV2023
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Ich habe so großen Respekt vor Schwester Barbara.

Sie ist Dominikanerin, also eine Ordensfrau und wohnt in München. Sie hat dort lange als Krankenschwester in der mobilen Pflege gearbeitet.

Jetzt hat sie vor kurzem die Stelle gewechselt. Schon allein das beindruckt mich, dass sie sich mit Anfang sechzig nochmals aufmacht und sich in eine ganz neue und andere Aufgabe einarbeitet. Sie ist jetzt in einem Haus für psychisch kranke Frauen, die kein Zuhause mehr haben. Das klingt schon nicht einfach. Offiziell heißt es: ein Haus für psychisch kranke Frauen, die von Obdachlosigkeit betroffen oder gefährdet sind.

Schwester Barbara und ich haben vor vielen Jahren eine Fortbildung miteinander gemacht und uns lange nicht mehr gesehen. Sie erzählt mir von ihrer neuen Aufgabe. Und ich merke, wie ich still werde, weil mir das alles so fremd ist. Die Frauen dort wissen, dass Barbara eine Ordensfrau ist, auch wenn sie kein Ordensgewand trägt. Und wenn sie Nachtdienst hat und alleine im Haus ist, kommt immer wieder die eine oder andere zu ihr und erzählt ihre Geschichte.

Die meisten haben eine schwierige Vergangenheit. Manche wohnten lange Zeit auf der Straße, einige haben Probleme mit Alkohol oder Drogen und viele haben sexuelle Übergriffe erfahren oder haben als Prostituierte gearbeitet. Und all das spielt bei manchen auch jetzt noch eine Rolle.

Schwester Barbara erzählt mir auch, dass sie dort gelernt hat, nur zu geben, ohne zu erwarten, dass sie etwas dafür zurückbekommt. Weil viele der Frauen kein „Danke“ mehr über die Lippen bekommen. Manche sind durch Sucht und schlimme Erlebnisse psychisch so verletzt, dass sie fast nicht mehr in der Lage sind eine Beziehung zu jemandem aufzubauen.

Ich kann mir kaum vorstellen, wie man das aushalten kann. Jeden Tag diese schlimmen Geschichten zu hören. Jeden Tag sich neu darauf einzulassen und immer nur zu helfen, aber oft nichts dafür zurückzubekommen.

Sie sagt zu mir, dass das nur geht, weil sie zuhause oft lange in Stille betet. Sie bekommt dadurch Abstand zu dem, was die Frauen ihr erzählt haben. Und gleichzeitig legt sie sie Gott ans Herz, wenn sie betet.

Dieses Haus in München ist für die Gesellschaft unsichtbar, wie viele solcher Einrichtungen. Für mich ja auch. Aber es ist so wichtig, dass es solche Einrichtungen gibt. Und auch Menschen, wie Schwester Barbara. Die sich um die kümmern, die niemanden haben. Und denen zuhören, die keinen zum Reden haben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38829
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SWR4 Abendgedanken

22NOV2023
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Ich hatte eine echt blöde Woche und ich habe mich viel zu viel geärgert.

Eine Kollegin hatte gekündigt und die Stelle musste neu ausgeschrieben werden. Sowas kann ich aber nicht alleine entscheiden. Denn bei solchen Ausschreibungen sprechen alle möglichen Leute mit. Dienstvorgesetzte, die Mitarbeitervertretung und die Personalabteilung. Natürlich möchte ich die neue Stelle so schnell wie möglich besetzen, weil meine andere Kollegin und ich sonst alles auffangen müssen. Und wir haben weiß Gott schon genug zu tun.

Was mich geärgert hat: Die ersten Mails von mir wurden teilweise einfach nicht beantworten. Aber mir saß diese Ausschreibung im Nacken. Also schreibe ich nochmals. Drängender. Es kommt eine Antwort. Aber nur: Der und der ist gerade im Urlaub oder das und das muss mit der Abteilung noch abgesprochen werden. Und so zieht sich das Ganze in die Länge.

Irgendwann werde ich im Ton echt ruppig. Und plötzlich geht es.

Die ganze Sache hat mich an sich schon genug Nerven gekostet. Aber was mich besonders geärgert hat: Warum muss ich erst unangenehm deutlich werden, bis etwas läuft und mir jemand zuhört? Eigentlich will ich so nicht sein.

Und dann weiß ich nur zu gut, was Jesus dazu sagt: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst.

In solchen Situationen fällt mir beides schwer. Meinen Nächsten zu lieben, der mir nicht antwortet oder nicht so, wie ich will. Und mich selbst mag ich in solchen Situationen auch nicht mehr. Weder, wenn ich mich so ärgere, noch, wie ich dann meinen Ärger an anderen auslasse.

Mir hilft dabei ein Gedanke, den eine Kollegin neulich zu mir gesagt hat:

Es ist wichtig, sich immer auf Augenhöhe mit seinem Gegenüber zu unterhalten. Noch besser ist es aber, sich auf Herzhöhe zu begegnen. „Herzhöhe“…was für ein wunderschönes Wort.

Das heißt: Ich kann versuchen, mein Gegenüber zu verstehen und mich nicht über ihn zu stellen. Und mehr noch: Ich kann immer versuchen, egal, wie die Situation auch ist, wohlwollend und freundlich zu bleiben.

Meinen Nächsten zu lieben ist manchmal wirklich schwer, aber ihm auf „Herzhöhe“ zu begegnen… ich glaube, dass krieg ich hin.

Wenn ich das nächste Mal wieder so dasitze und mich aufrege, werde ich kurz meine Augen schließen, durchatmen und mich an die „Herzhöhe“ erinnern.

Und erst dann werde ich anfangen meine nächste Mail zu schreiben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38828
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SWR4 Abendgedanken

21NOV2023
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Jeder Mensch hat einen Namen. Und doch lag da einer vor mir, der gerade formal keinen mehr hat.

Ich war in Tübingen in der Anatomie der Uni-Klinik. Und mir war ehrlich gesagt ein bisschen mulmig zumute. Denn vor mir lag dieses sogenannte „Präparat“.

Mir widerstrebt es eigentlich, so zu sprechen, denn das ist ja ein Körper, ein Mensch, ein Verstorbener, der einen Namen hat.

Aber jetzt ist es nur noch ein Präparat mit einer Nummer.

Das klingt für mich erst einmal richtig schlimm. Wie kann man jemandem einen Teil seiner Persönlichkeit so wegnehmen, ja, ihn so entmenschlichen? Aber der Medizinprofessor dort erklärt mir, dass dies ein Schutz für die Studierenden ist. Diese werden im sogenannten Präparationskurs vieles, was sie nur theoretisch gelernt haben, zum ersten Mal hier praktisch an einem menschlichen Körper sehen und üben.

Sie werden diesen Körper „präparieren“, d.h. aufschneiden und genau betrachten.

Für viele von ihnen ist das sicherlich auch nicht einfach, weil sie zum ersten Mal einen toten Menschen vor sich haben. Aber gerade für sie, als angehende Mediziner ist es wichtig, dass sie einen professionellen Abstand lernen und diese Menschen erst einmal nur als Körper, ja als Präparat sehen.

Deshalb verliert jeder Mensch, der seinen Körper für die medizinische Forschung spendet, dort an der Pforte der Anatomie seinen Namen und bekommt eine Nummer.

Ich bin als Pfarrer dabei, weil es am Ende des Semesters eine Gedenkfeier geben wird, die ich mit den Studierenden vorbereite. Zu der werden dann die Angehörigen derer eingeladen, die ihren Körper für die medizinische Forschung gespendet haben.

Wunderschön an dieser Feier finde ich, dass dort deren Namen wieder verlesen werden. Sie bekommen dann sozusagen ihre Namen zurück.

Sie bleiben zum Glück nicht namenlose Präparate, denn dies ist nur eine zweckmäßige Notwendigkeit.

Und die Gedenkfeier ist auch dafür da, „Danke“ zu sagen. Danke, dass es Menschen gibt, die Ihre Körper für die Medizin zu Verfügung stellen. Damit junge Studierende lernen können und so die Möglichkeit bekommen, gute Ärzte zu werden.

Ich finde es wichtig, dass es am Ende des Kurses die Möglichkeit zu so einer Feier gibt. Dass es eben nicht nur um Präparate und Unikurse geht, sondern um Menschen, um ihren Namen, um ihre Würde. Und die geht auch nicht verloren, wenn deren Körper präpariert wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38827
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