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SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Raumschiff Enterprise ist eine super Sciences Fiction-Serie. Sie gehört zu meiner Kindheit und ich mag sie bis heute. Diese Geschichten von einer Zukunft, die sehr wahrscheinlich gar nie so sein wird. Aber die Fragen stellen, ob es vielleicht mal so sein könnte. Das ist ja das Spannende. Wie sich Menschen heute ausmalen, wie wir in drei- oder fünfhundert Jahren leben werden.
Es gibt ein paar Elemente, die in diesen Geschichten um das Raumschiff Enterprise immer wieder auftauchen. Zum Beispiel Außerirdische oder Roboter, die sich fragen, was es heißt Mensch zu sein, weil sie merken, wie unterschiedlich sie sind. Sie fragen dann, wie das so ist, als Mensch zu fühlen und zu lieben. Diese Szenen mag ich besonders, weil dann plötzlich nicht nur etwas von der Zukunft erzählt wird, sondern ich mich selbst frage: „Was heißt das denn für mich, Mensch zu sein?“
An eine solche Szene erinnere ich mich besonders gut. Ein Roboter und Captain Picard stehen gemeinsam vor einer alten Weltraumrakete. Der Captain staunt und legt seine Hand vorsichtig auf die Hülle der Rakete und schließt seine Augen. Der Roboter fragt ihn dann: „Was tun sie da?“. Und bekommt die Antwort: „Menschen können durch Berührung eine Verbindung zu etwas aufbauen. Es ist eine sehr persönliche Möglichkeit, dass mir die Dinge wirklicher erscheinen.“
In dieser Szene wird ein Bedürfnis dargestellt, das zutiefst menschlich ist: Etwas zu berühren. Kindern merkt man das an, wenn sie alles Mögliche anfassen wollen und ihre Eltern dann sagen: „Mit den Augen wird geschaut, nicht mit den Händen.“ Ich verstehe, dass Eltern ihre Kinder abhalten, alles anzutatschen. Aber ich halte es für falsch. Wir schauen natürlich nicht mit den Händen, aber wir begreifen die Welt auch, indem wir Dinge anfassen. Daher kommt ja unser Wort: „Be-Greifen“. Wir haben etwas begriffen, wenn wir es ganz nah bei uns haben. Quasi mit Händen greifen können. Mir ist zum Beispiel bis heute ein gebundenes Buch lieber, als es digital zu lesen. Die Schwere des Buches in der Hand zu halten, darin zu blättern und es ins Regal stellen zu können. Irgendwie habe ich das Gefühl, dass mir dadurch die Geschichte darin näher ist. Manche Bücher verbinden mich auch mit den Menschen, die sie mir geschenkt haben.
Beides kommt dann zusammen: Dass ich etwas berühren kann, aber auch selbst dadurch berührt werde.
Ich spreche heute in den SWR4-Sonntagsgedanken davon, dass wir unser Leben nicht nur mit dem Kopf begreifen, sondern auch mit den Händen. Wenn ich zum Beispiel die Rinde eines Baumes berühre, nehme ich den Baum anders war, als wenn ich ihn nur anschaue.
Was für die Dinge gilt, stimmt erst recht für menschliche Beziehungen. Während Corona ist mir das besonders aufgefallen. Als ich mit meinem guten Freund Peter nur noch telefonieren konnte. Da habe ich gemerkt, wie sehr mir seine Umarmung fehlt. Viele unserer Beziehungen bauen nicht nur auf Gespräche auf, sondern drücken sich auch körperlich aus.
Ich glaube, das ist auch ein entscheidender Punkt, um Ostern zu verstehen. In einer der biblischen Geschichten von Ostern geht es um den ungläubigen Thomas; der für mich gar nicht so ungläubig ist. Darin wird zunächst erzählt, wie Jesus nach seiner Auferstehung den anderen Jüngern erscheint. Thomas ist nicht dabei. Wir wissen nicht, wo er gerade war. Ob er im Keller einen Krug Wein geholt oder einen Freund besucht hat. Auf jeden Fall kommt er zurück und die anderen Jünger erzählen ihm brühwarm von ihrer Begegnung. Sie sagen: „Jesus lebt. Wie haben ihn gesehen“. Thomas glaubt das nicht. Ich halte ihn deswegen noch lange nicht für ungläubig. Im Gegenteil. Ich mag diesen Thomas genau deswegen. Wo kommt man denn hin, wenn man alles einfach glaubt, was andere einem erzählen? Thomas sagt seinen Freunden: „Wenn ich Jesus nicht anfasse, seine Wunden, die er vom Tod am Kreuz hat, nicht berühren darf, dann glaube ich das nicht, was ihr mir da erzählt.“ Er hätte genauso gut sagen können: „Wenn ich ihn nicht umarmen darf, begreife ich nicht, was ihr mir da erzählt habt.“
Ich verstehe diesen Thomas. Die anderen haben gut reden. Wenn sie Jesus wirklich gesehen haben, können die das alles leichter glauben.
Und eine Woche später sind die Jünger dann wieder zusammen. Dieses Mal mit Thomas. Und Jesus kommt wieder und bietet Thomas an, ihn zu berühren. Ob er es dann getan hat, werden wir nie erfahren. Das erzählt die Geschichte nicht. Aber er hätte es gekonnt. Und das hat etwas in ihm verändert. In seiner Beziehung zu Jesus. Er antwortet nämlich: „Mein Herr und mein Gott.“
Die Geschichten um Ostern erzählen nicht einfach von der Idee, dass es ein Leben nach dem Tod gibt. Zuallererst erzählen sie, dass dieser Jesus, der tot war, Menschen zum Greifen nahe kam. Wie nach Corona. Als ich zum Beispiel meinen alten Freund Peter wieder umarmen durfte: Das war ein bisschen wie Ostern.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=42032SWR4 Abendgedanken
Ich habe mich mit einem Mönch über den kommenden Sonntag unterhalten. Den sogenannten Palmsonntag. Ich sage ihm, dass ich diesen Tag nicht so mag. Da steckt viel zu viel drin für einen einzigen Gottesdienst. Jesus kommt nach Jerusalem, wird überschwänglich empfangen, bejubelt. Und gleichzeitig geht es um seinen Tod, der immer näher kommt, dass er angeklagt wird, zum Tod verurteilt, schließlich am Kreuz stirbt und dann auch noch um seine Auferstehung. Ich komm da gar nicht hinterher. Bruder Benedikt sagt mir darauf, dass er diesen Tag genau deswegen so mag, weil da alles drin ist. Für ihn wird an diesem Tag die ganze Kar- und Osterwoche schon ein wenig gefeiert. Jubel, Angst, Tod, neues Leben. Alles wird im Gottesdienst am Palmsonntag komprimiert. Wo wir sonst nur an das eine oder andere denken und es nacheinander feiern, wirkt der Palmsonntag wie ein Brennglas, das alles bündelt. Und er sagt weiter zu mir: „Unser Leben ist doch auch so. Es ist nicht einfach eingeteilt: Hier sind die schönen Momente und eine Woche später kommen die schweren. Die Welt wartet nicht auf mich, damit gerade nur das passiert, was mir jetzt in den Kram passt. Es passiert doch auch in meinem Leben so vieles gleichzeitig. Da höre ich in den Nachrichten von einem neuen Anschlag, wo jemand mit dem Auto in eine Menschenmenge fährt. Sowas nimmt mir fast den Atem, wenn ich an die Menschen dort denke. Die Toten, die so sinnlos gestorben sind. Die Trauernden, die jemanden verloren haben. Aber auch die, die jetzt Angst haben, auf die Straße zu gehen. Und am gleichen Tag besucht mich ein alter Freund und als er vor mir steht und mich umarmt, freue ich mich so, dass wir uns wiedersehen. Das alles geschieht an einem Tag. Manchmal sogar innerhalb weniger Minuten. Unser Leben geschieht nicht in Abschnitten, so, wie ich es gerne hätte, sondern es geschieht gleichzeitig. Ich komme da manchmal selbst gar nicht hinterher, was da in so kurzer Zeit alles los ist. Was ich alles fühlen soll. Und was mich gleichzeitig beschäftigt. Deshalb finde ich es richtig gut, dass es einen Tag im Jahr gibt, der das genauso aufnimmt. Und das ist der Palmsonntag.“
Der Gedanke von Bruder Benedikt beschäftigt mich. So hatte ich es nie wahrgenommen. Aber er hat Recht. Ein Gottesdienst ist dafür da, dass mein Leben darin vorkommt. Mit allem, was mich beschäftigt. Gerade mit all dem, was ich so oft gleichzeitig fühle. Freude, Angst, Trauer und Hoffnung.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41914SWR4 Abendgedanken
Worte können Wunder bewirken.
Wenn jemand zu mir sagt: „Ich mag Dich“, könnte ich platzen vor Glück.
Worte beeinflussen ganz klar meine Gefühle und meine Stimmung.
Und nicht nur die Worte, die mir andere sagen. Auch die Worte, die ich mir selber sage, beeinflussen mich.
Als ich beim Radio begonnen habe, war ich anfangs in Sprecherziehung, damit ich meine Gedanken so erzählen kann, dass die Hörer sie gut verstehen. In einer dieser Übungen hat mein Sprecherzieher gesagt: „Such Dir einen Satz, der Dich an etwas Schönes denken lässt. Der Satz muss gar nichts mit Deinem Beitrag zu tun haben. Und wenn Du dann im Studio sitzt, erinnere Dich kurz an diese Worte und dann erst beginnst Du mit Deinem Beitrag. Denn so ein Satz hilft zu lächeln, damit Du möglichst freundlich bist, wenn Du sprichst.“
Ich habe seinen Rat auch heute wieder befolgt. Zu meinem Satz muss man wissen, dass ich sehr gerne essen. Vor allem Frittiertes. Egal, ob Pommes oder Berliner. Deshalb heißt der Satz, an den ich auch gerade vorhin gedacht habe: „Was mal im heißen Fett gelegen hat, kann nicht falsch sein.“ Das klingt ein wenig absurd, aber diese Worte bringen mich genau in die richtige Haltung, um Ihnen mit einem Lächeln auf den Lippen meine Gedanken erzählen zu können.
Deswegen: Auch Worte, die wir uns selbst zusagen, haben eine Wirkung.
Es gibt noch einen Satz, der mir sehr wichtig ist. Den ich jeden Abend spreche. Es sind Worte, die mein Gebet abschließen, bevor ich schlafen gehe. Sie lauten: „Herr, auf Dich vertraue ich. In Deine Hände lege ich mein Leben.“
Diese Worte beruhigen mich. Lassen mich auch immer ein wenig lächeln. Darüber, was unnötig kompliziert war, viel zu aufgeregt. Sie helfen mir meinen Tag abzuschließen. All die Gedanken, die mich den ganzen Tag beschäftigt haben, loszulassen und nicht mit ins Bett und in die Nacht zu nehmen. Ich richte mich damit noch einmal auf Gott aus und sage ihm: „Ich geh jetzt ins Bett, ich hab genug getan. Ich vertraue Dir, Gott, alles, was mich ausmacht an, auch alle Menschen, die mir wichtig sind. Pass heute Nacht auf alle auf und morgen…morgen ist ein neuer Tag.“
All das schwingt für mich in diesen wenigen Worten mit:
„Herr, auf Dich vertraue ich, in Deine Hände lege ich mein Leben.“ Auch nachher werde ich so wieder beten.
Und bitte auch nie vergessen: „Was mal im heißen Fett gelegen hat, kann nicht falsch sein.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41913SWR4 Abendgedanken
Heute vor achtzig Jahren wurde im KZ Dachau ein Mann hingerichtet. Georg Elser von der schwäbischen Ostalb. Er hatte 1939 ein Attentat auf Adolf Hitler verübt.
In wenigen Tagen ist aber auch der 80. Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau.
Und bald jährt sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum achtzigsten Mal.
Achtzig Jahre ist eine lange Zeit. Wesentlich mehr als ich mir vorstellen kann.
Was kann in einem Lebensalter alles geschehen? Was kann gelernt und auch wieder vergessen werden?
Eine Freundin sagt immer wieder zu mir: „Knapp achtzig Jahre Frieden haben Europa nicht gut getan.“ Sie meint damit nicht, dass Frieden etwas Schlechtes ist. Ganz sicher nicht. Sondern, dass wir in Europa nach knapp achtzig Jahren dabei sind zu vergessen, wie wertvoll Frieden ist. Was Nationalsozialismus und Populismus vor gut hundert Jahren in unserem Land, in Europa und weit darüber hinaus angerichtet haben. Was Menschen wie Georg Elser für so einen Frieden auf sich genommen und wie viele Menschen in den Konzentrationslagern und an der Front ihr Leben verloren haben.
Ich bin Ende der siebziger Jahre geboren. Europa hat für mich immer Frieden bedeutet, Sicherheit und Grenzenlosigkeit. Ich weiß schon noch, als ich an der Grenze kontrolliert wurde und wie ich meine Deutsche Mark in Schilling, Franc und Lire wechseln musste. Und heute, heute fahre ich einfach in diese Länder, ohne Grenzkontrollen, weil unsere Reisepässe gleichwertig sind, ohne lästiges Geldwechseln und sogar mein Internet am Handy kennt diese Grenzen nicht mehr.
Ich will, dass es so bleibt. Aber ich frage mich gleichzeitig – wie meine Freundin: Wie lange noch? Wenn ich höre, dass jüdische Bürger heute wieder Angst haben müssen in unserem Land zu leben. Oder wie derzeit über Grenzpolitik und Abschiebungen diskutiert wird. Wann wird es bei uns heißen: „Germany first“? Ob achtzig Jahre Frieden Europa wirklich nicht gut getan haben? Manchmal fühle ich mich hilflos gegenüber den politischen Entwicklungen in den letzten Jahren.
Zwei Dinge helfen mir dann. Zum einen bin ich überzeugt, dass Frieden im Kleinen anfängt. In dem, wie ich mit den Menschen umgehe, denen ich auf der Straße, beim Einkaufen oder im Zug begegne. Dass ich dort eben keine Grenzen ziehe, sondern versuche zu allen gleich offen zu sein. Egal, welche Sprache sie sprechen und egal welche Hautfarbe sie haben.
Und noch etwas hilft mir: Immer wieder um Frieden zu beten.
Europa ich bete für Dich.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41912SWR4 Abendgedanken
Vincent hat Downsyndrom. Er ist 23 Jahre alt und mäht gerne Rasen.
Sein Papa macht immer den Anfang, mäht einmal außen rum und dann darf Vincent loslegen. Er setzt die Kopfhörer auf und schiebt los. Sein Papa arbeitet dann irgendwas anderes. Nur ab und zu schaut er rüber, ob alles in Ordnung ist. Letztes Mal hat er dann gesehen, dass Vinzent gar nicht brav seine Bahnen mäht, sondern völlig kreuz und quer.
Er ärgert sich und denkt: „Was macht der Junge da nur.“ Und geht, um seinen Sohn einzuspuren. Doch noch bevor er bei ihm ist, hält Vincent an, nimmt seine Kopfhörer ab, strahlt über beide Ohren uns sagt: „Papa, es ist so cool, mal völlig kreuz und quer zu mähen.“ Auf einen Schlag fällt aller Ärger von ihm ab. Er merkt, die üblichen Bahnen zu mähen, das ist nur seine Vorstellung, wie man es richtig machen sollte. Wenn es Vincent so Spaß macht, ist doch alles perfekt. Als gäbe es nur einen richtigen Weg, einen Rasen zu mähen.
Die Vorstellung, dass es für alles ein klares richtig und falsch gibt, zeigt sich in vielen Situationen. Dass Menschen meinen, Dinge müssen auf eine ganz bestimmte Weise getan werden. Mir hat zum Beispiel jemand mal erzählt, wie wichtig es ist, jeden Tag einen Rosenkranz zu beten und, dass das jeder tun sollte. Das kann man schon so sehen. Und da ist nichts dagegen einzuwenden. Aber ich glaube, es ist nicht die einzige Art und Weise, wie man beten kann und sollte. Mir ist es zum Beispiel viel wichtiger morgens zu beten und dabei eine Bibelstelle zu lesen und abends eine Zeit lang still zu sein und nochmals auf den vergangen Tag zu schauen. Für mich ist es gut so zu beten, aber ich würde nie behaupten, dass das alle so tun müssen. Als würde es nur eine Art und Weise geben mit Gott zu sprechen…
Die Geschichte von Vincent und seinem Papa „erzählt“ mir etwas über Toleranz. Was für mich richtig ist, muss für andere noch lange nicht richtig sein. Auch, wenn ich noch so überzeugt von meiner Methode bin. Ich bin nicht das Maß aller Dinge. Wenn der andere es anders macht, Freude daran hat und es ihn zum Ziel führt, dann ist es richtig.
Was ich von Vinzent gelernt habe: Toleranz beginnt beim Rasenmähen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41911SWR4 Abendgedanken
Ich habe vor kurzem einen ganz zauberhaften Film gesehen. Darin spricht ein älteres Paar über seine inzwischen 40jährige Beziehung. Sie werden nach dem Geheimnis ihrer langen Partnerschaft gefragt. Die Frau antwortet auf die Frage lächelnd: „Ich habe lange gebraucht, um zu erkennen, dass er ein völlig anderes Gehirn hat als ich. Und ich verstehe bis heute manche Dinge nicht, warum er sie so tut, wie er sie tut“. Sie schaut zu ihm rüber, legt ihre Hand auf seinen Schenkel, sie lächeln sich an und sie sagt: „Ich hab mich damit abgefunden.“
Es ist keine große Erkenntnis, dass wir alle verschieden sind. Dass wir unterschiedliche Gehirne haben. Und dass das sehr herausfordernd sein kann. Das fängt ja im ganz Kleinen an. Wie kann man zum Beispiel Nutella mit Butter auf dem Brot essen? Das werde ich nie verstehen. Oder ich habe immer wieder Menschen erlebt, die mich schon bei der zweiten Begegnung umarmen und ich dann denke: „Oh...das ist mir zu nah. So gut kennen wir uns nicht.“ Jeder empfindet da anders.
Es ist für mich kein Problem, dass wir alle unterschiedlich sind. Die Frage ist: Wie wir damit umgehen. Und da mag ich sehr, was die ältere Dame über die Beziehung zu ihrem Mann gesagt, bzw. wie sie es gesagt hat. Sie hat nicht gesagt: „Ich habe ihn abgeschrieben.“ Sondern: „Ich habe mich damit abgefunden.“ „Abfinden“ klingt für manche vielleicht negativ. So wie: „Ich hab kapituliert“. Aber im Wort „Abfinden“ steckt das Wort „finden“. Es heißt für mich, die Beiden sind noch in Beziehung. Sie finden sich trotz aller Unterschiedlichkeit immer wieder. Ich höre in dem Satz der älteren Dame auch: „Ich habe meinen Frieden mit unserer Unterschiedlichkeit gemacht.“
Unsere unterschiedlichen Gehirne können manchmal ganz schön anstrengend sein. Deswegen neige ich dazu, mich mit Menschen zu umgeben, die meiner Meinung sind. Jetzt nicht gerade beim Thema Nutella mit oder ohne Butter, aber wenn es zum Beispiel um Politik oder Kirche geht. Ist ja auch logisch. Weil es anstrengend ist, sich mit anderen Meinungen und Gehirnen auseinandersetzen. Das Problem dabei ist: Die, die eine andere Meinung haben, kommen mir dann noch fremder vor.
Deswegen gefallen mir die Worte dieser älteren Dame so gut. Ich denke, wenn das das Geheimnis ihrer langen Partnerschaft ist, dann könnte darin auch das Geheimnis für manch eine persönliche, gesellschaftliche oder politische Diskussion liegen. Nämlich: Schreibt einander nicht ab, sondern findet Euch miteinander ab.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41910Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Wann habe ich zuletzt meine Meinung geändert? Also bei etwas, von dem ich wirklich überzeugt war? Die Politikaktivistin Claudine Nierth stellt genau diese Frage in den Raum. „Wann ändern wir unsere Meinung?“ Ihre Antwort: Sehr, sehr selten. Wenn wir mal von etwas überzeugt sind, dann ändern wir fast nie unsere Meinung. Sie sagt das auch von sich selbst. Obwohl sie sehr offen wirkt und viel über politische Meinungsbildung redet.
In der Regel wollen wir gar keine andere Meinung hören, sondern meist nur unsere eigene bestätigt sehen. Sich wirklich mit anderen Gedanken auseinanderzusetzen, ist erstens anstrengend und könnte zweitens ja am eigenen Weltbild rütteln.
Wie ist das bei mir? Wenn mich Menschen zum Beispiel in eine Diskussion über Kirche verwickeln, merke ich nach zwei Sätzen, ob sie wirklich eine andere Meinung hören wollen oder ob sie nur ihre eigene bestätigt haben wollen. Meistens ist es letzteres. Und wer weiß, wie oft ich selbst unbewusst auch so agiere.
Auf einmal verstehe ich besser, warum gesellschaftliche und politische Debatten aktuell oft ablaufen, wie sie ablaufen. Sie bilden mehr Fronten, als dass sie in einen offenen Dialog führen. Und diese Erkenntnis sorgt mich im Blick auf die anstehende Bundestagswahl. Wie sollen wir uns als Bürger in unserem Land auf etwas einigen, wenn Meinungsbildung so unbequem ist? Da ist es auch nicht verwunderlich, dass die Parteien scheinbar alle dasselbe sagen.
Die große Politik kann ich nicht ändern, aber Politik fängt, wie so oft, in meinem persönlichen Umfeld an. Ich muss erst die Argumente meines Gegenübers anhören und sie mit meinen eigenen Gedanken konfrontieren. Erst dann entscheiden und reden. Denn ein wirklicher Dialog kann nur geschehen, wenn ich die Möglichkeit offenhalte, dass der andere auch Recht haben könnte. Demokratie lebt davon, dass sich Menschen informieren und sich ihre Meinung bilden. Sie auch mal ändern. Nicht darauf beharren.
Mir persönlich fällt das auch nicht immer leicht. Ein Satz aus der Bibel hilft mir dabei. Mich jeden Tag daran zu erinnern. Er hängt bei mir zuhause eingerahmt an der Wand und ist mein persönliches Programm für die anstehende Bundestagswahl. Er heißt: Sei stets bereit zum Hören, aber bedächtig bei der Antwort[1]!
[1] Jesus Sirach 5,11
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41313Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Manche Menschen denken ja, die Kirche sollte beim Thema Sexualität einfach mal die Klappe halten. Nach all den Missbrauchsfällen, den ewigen Diskussionen über den Zölibat oder die veraltete Sexualmoral.
Das Einzige, was wirklich niemand mehr braucht, ist, dass man vorschreibt, wen man lieben darf und wen nicht. Andererseits glaube ich, wir als Kirche hätten in den Bereichen Körperlichkeit und Sexualität sehr wohl was zu sagen. Doch hier zeigt sich noch ein anderes Problem. Viele Menschen, gerade in der Kirche, tun sich sehr schwer, über ihre Sexualität zu reden.
Ich denke zum Beispiel an die Klosterschwester, die noch in ihrer Ausbildung beigebracht bekommen hat, dass alles im Bereich Sexualität eine Sünde ist. Sie glaubt das inzwischen zwar nicht mehr. Aber niemand möchte mit ihr darüber reden. Sie würde es aber gerne, weil es einfach ein Teil ihres Lebens ist. Und das Schweigen ihrer Gemeinschaft darüber sie so bedrückt. Oder ich denke dabei auch an die Theologiestudentin, die in einer Gesprächsrunde erwähnt, dass sie noch nie mit irgendjemand über Selbstbefriedigung gesprochen hat.
Ich glaube, diese Sprachlosigkeit ist kein speziell kirchliches Problem, sondern ein gesellschaftliches.
Natürlich. Sexualität ist etwas sehr Privates und das soll auch so bleiben. Wenn ich über so etwas Privates rede, mache ich mich angreifbar. Vielleicht ist auch immer die Angst dabei: Was denkt der andere jetzt über mich?
Es wäre fatal, allen alles zu erzählen. Aber ich glaube, es ist wichtig mindestens einen Menschen zu haben mit dem man über alles frei reden kann.
Ich selbst habe mich auch lange Zeit sehr schwergetan, über meine Körperlichkeit, über Selbstbefriedigung oder meine sexuellen Bedürfnisse zu sprechen. Aber ich habe, Gott sei Dank, einen guten Freund gefunden, bei dem ich es gelernt habe. Und ich merke, wie gut mir das tut. Weil es mir die Angst genommen hat, irgendetwas an meiner Sexualität komisch oder schlimm zu finden. Weil daran nichts Schlimmes ist. Ganz im Gegenteil. Es gehört zu mir, wie es zu jedem Menschen gehört. Ja, ist sehr privat, aber auch ganz wunderbar. Sexualität ist ein Geschenk. Und das dürfen wir beim Namen nennen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41312Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Ich bin bei einem Improtheater-Workshop. Der Referent erzählt uns zuerst ein paar grundsätzliche Dinge zum Improvisieren und fängt dann an mit uns zu üben.
Eine der Übungen soll uns ins Erzählen bringen. Sie geht so: Wir sind jeweils zu dritt zusammen und sollen eine Geschichte entwickeln. Das Thema: Wohin wollen wir verreisen. Der erste sagt einen Ort, an den er gerne reisen würde und der nächste soll einfach erzählt, wohin und wie die Reise von dort aus weitergeht. Egal, wie absurd es wird. Es gibt nur eine klare Vorgabe. Wir dürfen nie „Ja, aber“ im Weitererzählen sagen, sondern immer nur „Ja, und“.
Zum Beispiel sagt der erste: Wir fahren mit dem Fahrrad nach Afrika. Dann darf ich als nächster nicht sagen: „Ja, aber, mit dem Fahrrad dauert das ewig.“ Ich könnte stattdessen sagen: „Ja, und auf dem Weg halten wir in Ägypten und klettern auf eine Pyramide.“
Was erstmal ziemlich albern klingt, ist eine ziemlich coole Übung. Zum einen um mal ohne Hemmungen draufloszureden. Zum anderen aber, ist mir beim Erzählen aufgefallen, was dieses „Ja, und“ an Möglichkeiten bietet und nicht immer gleich alles in Frage stellt.
Ein praktisches Beispiel aus meiner Arbeit: Eine junge Frau kommt ins Pfarrbüro. Sie kommt nicht aus dieser Kirchengemeinde, möchte aber ihr Kind hier taufen lassen. Als nächstes erzählt sie, dass sie aus der Kirche ausgetreten ist und demnächst ihre Partnerin heiraten wird. Klingt konstruiert? Ist mir genau so geschehen. Die junge Frau hätte drei Mal „Ja, aber“ hören können. Ja, aber sie wohnen nicht auf unserem Pfarrgebiet. Ja, aber sie müssten erst Mitglied dieser Kirche sein. Ja, aber das entspricht nicht unserer Sexualmoral.
Ich würde allem widersprechen und sage: Ja, und? Sollten wir nicht froh sein, dass diese Frau, trotz allem ihr Kind hier taufen lassen möchte? Obwohl sie einige Gründe hätte mit der katholischen Kirche nichts zu tun haben zu wollen. Ich sage zu ihr: Ja, und hier ist die Anmeldung. Herzlich willkommen. Das heißt nicht, dass man immer alles möglich machen kann. Und ich wünsche mir von meiner Kirche, dass darin weniger „Ja, aber“ und mehr „Ja, und“ gesagt wird.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41311Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Vier Menschen mit völlig unterschiedlichen Berufen sitzen zusammen: ein Herrenausstatter, ein Schlagersänger, eine Suchttherapeutin und eine Bestatterin. Das klingt wie der Anfang eines ziemlich klischeehaften Witzes. Ist es aber nicht. Ich sitze bei einer Podiumsdiskussion im Publikum, und genau diese Menschen sitzen dort gemeinsam auf der Bühne. Eine wirklich wilde Mischung. Sie werden zu Beginn gefragt: Was tut ihr den Menschen Gutes? Und da können die vier viel erzählen. Auf ihre ganz eigene Weise. Wie viel sicherer sich ein Mensch fühlt, wenn er gut angezogen ist. Wie glücklich viele Fans nach einem Konzert nachhause gehen. Wenn jemand es geschafft hat, seine Drogensucht zu überwinden. Oder wenn jemand nach einem Todesfall erfährt: Ich bin nicht alleine. So unterschiedlich alle in ihren Berufen sind, so unterschiedlich sind sie für Menschen da.
Als die vier dann gefragt werden, was ihrer Erfahrung nach, die Menschen brauchen, sind sich alle einig. Vor allem zwei Dinge: Wahrgenommen zu werden und Gemeinschaft.
Wie recht sie haben. Wie sehr auch ich diese Grundbedürfnisse habe. Aber dann denke ich: Seltsam. So sehr alle anscheinend gesehen sein wollen und sich nach Gemeinschaft sehnen, so wenig kriegen wir das als Gesellschaft gerade gebacken. Wie viele Interviews habe ich in den vergangenen Monaten gehört, in denen Menschen erzählt haben, dass sie sich von Politik und Gesellschaft nicht wahrgenommen fühlen. Erzieherinnen, die in ihrem Kindergarten völlig unterbesetzt sind. Pfleger genauso. Oder Menschen in den östlichen Bundesländern, die sich abgehängt fühlen. Überall gibt es Nachwuchsprobleme. Parteien, Chöre, Kirchengemeinden, Sportvereine. Viele Menschen haben Sehnsucht nach Gemeinschaft, wollen sich aber nicht länger an eine Gemeinschaft binden.
Trotzdem zeigen mir diese vier Menschen auf diesem Podium: Jeder kann auf seine Weise Gutes tun und gemeinschaftlich wirken.
Ich denke dabei auch an die Verkäuferin beim Metzger, die so herzlich ist, dass ich immer mit einem Lächeln rauslaufe. Oder an meinen Nachbarn, der Landwirt ist, und dafür sorgt, dass ich manchmal mit anderen Menschen am Tisch sitzen kann und gutes Essen habe.
Vielleicht ist es gar keine Frage: Was tut ihr Menschen Gutes? Sondern eine Grundhaltung: Ich kann Menschen Gutes tun.
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