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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24JAN2023
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„Unterm Mond“. So heißt ein Film, den ich bei einem Wettbewerb für junge Filmemacher gesehen habe. Die Teilnehmenden haben darin ihre Ansicht zum Thema „Wie sind wir „Wir“?“ dargelegt. Es geht also um die Frage, wodurch wir uns als Gemeinschaft auszeichnen oder eben auch nicht. Der Beitrag „Unterm Mond“ hat den dritten Platz bekommen und ich muss ehrlich sagen, ich habe ihn zuerst gar nicht verstanden.

In dem Film geht es um zwei Frauen, die viel Sport treiben und sich parallel dazu mit dem Mond beschäftigen. So, als würden sie sich darauf vorbereiten, demnächst selbst zum Mond zu fliegen. Dabei wirken sie sehr ehrgeizig. Und dann ein Bruch. Eine der beiden Frauen ist wütend, sie fühlt sich von der anderen verraten. Scheinbar hat etwas nicht funktioniert. Scheinbar das, was sie sich vorgenommen hat. Aus dem im Film angedeuteten Wunsch nach den Sternen zu greifen, wird nichts. Sie fliegt nicht zum Mond, sondern bleibt auf dem Boden der Tatsachen zurück. Für die andere ist das kein Drama. Soweit zum Film.

Ich habe zunächst nicht verstanden, wer diese beiden Frauen sind und was sie da treiben. Sind es Astronautinnen oder sogar Außerirdische? Denn es wird viel über die Erde und den Mond geredet. Aber dann ist mir wieder das Thema des Wettbewerbs eingefallen: „Wie sind wir „Wir“?“ Und da habe ich dann eine Lesart für mich gefunden: Die beiden Frauen stellen uns als Gesellschaft dar. Wie wir versuchen immer höher, weiter und schneller aufzusteigen, sogar bis zum Mond. Wir können es nicht lassen, wir müssen immer weitermachen. Und dabei verausgaben wir uns, gehen an die Grenzen unseres menschlichen Könnens, in der Wissenschaft, aber auch in der Arbeitswelt. Immer höher, schneller, weiter. Wir spornen uns dabei gegenseitig an.

Ich verstehe den Film deswegen als gute Kritik zu unserem gesellschaftlichen Miteinander. Schließlich wirft er die Frage auf, was mit unserem „Wir“ passiert, wenn uns unsere Vorhaben nicht gelingen.

Und gerade dann braucht es für mich ein „Wir“. Es braucht eine Gemeinschaft, um füreinander da zu sein. Es braucht ein „Wenn etwas nicht klappt, dann bin ich für dich da und fange dich auf.“ Das heißt für mich auch Christ sein. Ich sehe den anderen, nicht nur, wenn er erfolgreich ist, sondern auch wenn ihm etwas misslingt und es ich dann nicht so gut geht. Ich lasse ihn nicht allein.

Denn für mich muss nicht jeder Stern erreichbar sein, dafür reich ich aber gerne meine Hand. Denn auf der Erde ist das das Nächste und darauf kommt es für mich an.

 

Film-Link: https://www.swr.de/ard-themenwoche/visio-wettbewerb-swr-100.html

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23JAN2023
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Ich bin immer noch fasziniert von dem, was ich in den Niederlanden erlebt habe. Ich stehe in einem Café an der Theke und will meine Bestellung aufgeben. Der Haken: Der Barista spricht nicht meine Sprache. Gut, in den Niederlanden kann man sich in der Regel auf Englisch verständigen, doch das ist nicht der Knackpunkt. Auch die vielen Zubereitungsarten, wie Flat White, Café Latte, Latte Macchiato, Lungo oder Moccachino – auch die sind nicht mein Problem. Sondern: Der Barista ist gehörlos, er verständigt sich lediglich in Gebärden und ich kann seine Sprache nicht.

Normalerweise ist das eher umgekehrt: Alle sprechen eine Sprache und ein Gehörloser kann nicht mitreden, weil er nicht sprechen kann. In diesem Café ist es aber anders: Alle sprechen die Sprache des gehörlosen Baristas.

Ich bin also an der Reihe. Der Barista lächelt mir freundlich zu, merkt wie hilflos ich bin und zeigt dann auf ein Tablet. Ich atme auf. Auf dem Tablet werden die verschiedenen Kaffeezubereitungsarten namentlich angezeigt. Prima, hier kann ich also meine Bestellung aufgeben, denke ich. Als ich dann aber auf Latte Macchiato tippe, erscheint ein Video, das mich verblüfft. Das Video zeigt die Gebärde zu Latte Macchiato, dreimal. Damit hab ich nicht gerechnet. Ich wiederhole die Gebärde und versuche sie mir zu merken. Dann schaue ich den Barista wieder an und präsentiere ihm mein Gelerntes. Er lächelt, nickt und bereitet mir meinen Kaffee zu.

Wie genial ist das bitte schön? In diesem Café wird darauf geachtet, dass sich alle verständigen können. Sprechende werden charmant angeleitet sich in die Welt der Sprachlosen zu begeben und Gebärden zu sprechen. Dank des Tablets und der Videos hat jeder Zugang und es ist wirklich einfach die Gebärden zu wiederholen. Der gehörlose Barista kann so normal arbeiten. Er muss sich nicht Gedanken machen, wie er mit den Gästen kommuniziert. Die Gäste sind selbst gefordert zu Gebärden. Und das ist nicht zu viel verlangt, schließlich wollen sie ja auch etwas von ihm. Auf ihn einzugehen und ihn so anzusprechen, wie er es versteht, ist da das Mindeste, was sie tun können.

In diesem Café in den Niederlanden wird Inklusion selbstverständlich gelebt, für mich sogar auf eine sehr menschenwürdige Weise. Hier wird niemand aufgrund einer fehlenden Fähigkeit ausgegrenzt, sondern es wird danach geschaut, wie der Rest, also die Gesellschaft, damit umgehen kann. Es wird einfach umgekehrt gedacht.

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Anstöße sonn- und feiertags

22JAN2023
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Tage der Orientierung. So heißt ein Angebot der Kirche für Schülerinnen und Schüler, egal ob sie gläubig sind oder nicht. Eine Schulklasse sucht sich ein Thema aus, z.B. „Meine Zukunft“ oder „Liebe und Partnerschaft“ - und fährt dann drei Tage weg von der Schule und von zu Hause. Die Jugendlichen können sich dann mit einem Thema beschäftigen, dass sonst in der Schule zu kurz kommt.

Während meines Studiums habe ich oft und gern dabei mitgearbeitet, weil ich das sinnvoll fand. Die Schülerinnen und Schüler haben so erfahren, dass sie ihre Fragen, Sorgen oder Probleme nicht mit sich allein ausmachen oder herumtragen müssen. Im Gegenteil: Durch den Austausch haben sie gemerkt, dass es anderen ähnlich geht. Und wir haben Wege mit ihnen gemeinsam erarbeitet, wie sie mit ihren Situationen klarkommen oder wo sie vielleicht Orientierung herbekommen können. Und da hat dann mein Glaube als Beispiel geholfen.

Ich erinnere mich noch gut an eine Hauptschulklasse. In der Schule hat sich alles um den Abschluss gedreht. Tatsächlich hat die Jugendlichen aber vielmehr beschäftigt, was danach sein wird. Also mit welchem Beruf sie auch eine Familie gründen können. Sie haben sich Sicherheit und genügend Einkommen gewünscht. Ein Schüler hat sich aber auch um das benachbarte Kernkraftwerk gesorgt, nicht dass da etwas passiert… Andere haben sich gewünscht, dass sie auch mit Hauptschulabschluss in der Gesellschaft etwas wert sind oder haben sich gefragt, wie sie später den oder die richtige Partnerin für eine Familie finden. Am Ende dieser Kleingruppe sind Sorgen, Ängste, aber auch viele Wünsche im Raum gestanden.

Ich hab den Schülerinnen und Schülern dann etwas angeboten, was mir hilft, wenn mir so viel durch den Kopf geht und was ich aus dem Gottesdienst kenne: Fürbitten aussprechen. Das habe ich dann mit ihnen sinngemäß umgesetzt. Wir haben uns ein gemütliches Plätzchen im Grünen gesucht und ich habe Zettel, Stifte, eine Schale, etwas Kohle und Weihrauch mitgebracht. Alle hatten dann die Möglichkeit entweder etwas aufzuschreiben und zu verbrennen oder aber es auszusprechen und dann etwas Weihrauch auf die brennende Kohle zu legen. Unsere Gedanken, Wünsche und Bitten sind dann als Rauch zum Himmel aufgestiegen und wir haben sie ein Stück weit aus der Hand gegeben und losgelassen.

Für die Jugendlichen ist es entlastend gewesen. Mir gibt dieses Ritual jedoch auch Mut und Kraft. Ich muss nicht alles mit mir allein ausmachen, sondern kann Gott meine Sorgen, Bitten, aber auch meinen Dank entgegenbringen.

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SWR1 Begegnungen

11DEZ2022
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Friedenslicht: Rike & Iryna Foto: Privat und Logo der Friedenslichtaktion.

Jedes Jahr am dritten Advent bringen Pfadfinderinnen und Pfadfinder das „Friedenslicht aus Bethlehem“ nach Deutschland. Es ist eine kleine Kerzenflamme, die von Person zu Person weitergereicht wird. Für Pfadfinder ist es ein großes Event, denn die Flamme soll möglichst viele Menschen erreichen, ohne dass sie dabei aus geht.

Ich habe Rike Bechstein vom Verband Christlicher Pfadfinderinnen und Pfadfinder getroffen. Ihre Gruppe veranstaltet heute Nachmittag (am 11. Dezember) in Stuttgart eine Aussendungsfeier, zu der Pfadfinder aus der ganzen Region kommen werden, um sich die Flamme abzuholen.

Rike ist 16 Jahre alt und Pfadfinderin, seit sie denken kann. Jedes Jahr freut sie sich auf das Friedenslicht:

Das ist dieses Feuer, was in der Geburtsstätte von Jesus entzündet wird und was dann in die ganze Welt verteilt wird und das hat sehr viel damit zu tun, mit Leuten in Kontakt zu kommen und sich zu begegnen. Das interessiert mich, glaube ich, am meisten daran, dass dieses Friedenslicht was ist, was man weitergeben kann. Dass man was hat, was alle irgendwie so ein bisschen vernetzt, das ist halt wirklich dieses eine Feuer, was überall verteilt wird und das an alle weitergegeben wird. Und ich finde, es ist irgendwie ein sehr schönes Symbol für Frieden

Der Österreichische Rundfunk hat das Friedenslicht 1986 ins Leben gerufen. Seitdem zündet jedes Jahr ein österreichisches Kind in der Geburtsgrotte Jesu in Bethlehem ein Kerzenlicht an und bringt es in einem Flugzeug nach Wien. Dort holen es deutsche Pfadfinder ab und verteilen es anschließend so weiter, dass möglichst viele Personen daran beteiligt sind und ein Gemeinschaftsnetz entsteht. Das Licht wird auch grenzüberschreitend verteilt, sogar bis in die Ukraine, wie mir Iryna Dobut von den Ukrainischen Pfadfindern aus Stuttgart erzählt:

Also an der deutschen Grenze nach Polen wurde (es) übergeben und dann an der polnisch-ukrainischen Grenze, wurde (es) dann den ukrainischen Pfadfindern übergeben und von dort in die ganze Ukraine verteilt. Zum Beispiel an den Präsidenten der Ukraine und in verschiedene Kirchen, die gehen auch in die Altersheime oder Kinderheime.

Iryna Dobut ist 43 Jahre alt, seit knapp fünf Jahren Pfadfinderleiterin und hat zwei Söhne, die ebenfalls Pfadfinder sind. Ihr gefällt das Pfadfinden sehr und die Friedenslichtaktion ist für sie die Pfadfinderaktion schlechthin.

Ohne diese Zusammenarbeit zwischen allen Pfadfindern würde das gar nicht auf der Welt funktionieren. Weil das ist tatsächlich … von einer einzigen Kerze wird das in der ganzen Welt verteilt. Und das funktioniert nur, wenn man Hand in Hand miteinander arbeitet, wenn man Vertrauen hat. Und das wollte ich einfach den Kindern zeigen, dass es da so ein breites Netzwerk an Pfadfindern auf der ganzen Welt gibt. Und genau das war damals für mich so der Trigger…

… nach der Aktion im Netz zu suchen und ob es eben nicht auch eine Verteilung in Stuttgart gibt. Und so sind sie dann letztes Jahr in Stuttgart dabei gewesen, dort wo Rikes Pfadfindergruppe aktiv ist.

 

Was die beiden Pfadfinderinnen mit Frieden verbinden, dass erfahren Sie gleich, nach ein wenig Musik.

 

(TEIL 2)

Iryna Dobut und Rike Bechstein sind Pfadfinderinnen aus Stuttgart, die heute Nachmittag (am 11. Dezember) das „Friedenslicht aus Bethlehem“ abholen und dann weiterverteilen.

Für beide gehören die Pfadfinderarbeit und das Thema Frieden eng zusammen. Das führen sie auf den Gründer der Pfadfinderbewegung Robert Baden-Powell zurück.

Er war ja beim Militär und er hatte keine Lust mehr auf Krieg. Er wollte, dass dieser Gedanke von „Wir sind eins, wir sind gemeinsam und wir haben gewisse Ziele, wo wir uns daran halten“ was (ist), was halt Frieden stiftet. Und ich glaube, dass es uns Pfadfinder erst mal daran erinnert, dass wir das versprochen haben, dass wir uns dafür einsetzen.

Damit ist die Friedenslichtflamme für Pfadfinder nicht nur ein Zeichen, sondern ein Symbol der Zusammenarbeit und auch ein Auftrag: Nämlich am Frieden mitzuarbeiten. Deshalb habe ich beide gefragt, was sie denn selbst im Alltag für den Frieden tun?

Also nehmen wir mal an, ich fühle mich irgendwie von einer Freundin vernachlässigt. Dann ist es zwar doof, aber es muss mir nicht so zu Herzen gehen. Also ich kann versuchen, dass ich in mir selber so ein bisschen diesen, Frieden habe, dass ich mit mir selber so okay bin, dass ich sage okay, dann haben wir gerade dieses Problem und dann ist sie vielleicht mir ein bisschen wichtiger als ich ihr, aber dann ist es so und dann gucke ich, dass es mir damit gut geht und dann wird dieser Streit auch nicht so ein Ausmaß haben, weil dann hängt bei mir nicht so eine starke emotionale Last dran und dann kann man ganz offen drüber reden. dann pendelt sich sowas auch ganz schnell wieder ein.

Für die 16-Jährige Rike ist also eine mögliche Sache: In Streitgesprächen erstmal Frieden mit sich selbst zu finden. Und was empfiehlt Iryna Dobut?  

Bei sich in der Familie jeden Tag im Kleinen an den Frieden denken. Nicht vielleicht wegen Kleinigkeiten noch mit den Kindern schimpfen oder auch mit dem eigenen Mann, sondern tatsächlich versuchen, die Sachen, das Ganze friedlicher zu lösen. Also ob in eigene Familie oder mit den Freunden oder auf der Arbeit. Frieden beginnt mit dir, im Sinne, dass man präventiv handelt.

Frieden, das ist eine Aufgabe, an die ich als Christin jedes Jahr aufs Neue erinnert werde, wenn ich auf Weihnachten zu gehe. Gott wird an Weihnachten Mensch, weil er es mit uns gut meint. Da liegt es an mir, meinen Teil hinzugeben, dass es eine friedliche Welt wird, in die er kommt.

Also Weihnachten – es ist ja so eine fröhliche Botschaft: Gott sendet uns seinen Sohn. Und das ist für mich einfach unzertrennlich. Frieden, Liebe, das gehört irgendwie zusammen.

Sowohl im Gespräch mit Iryna Dobut, als auch mit Rike Bechstein höre ich raus, dass das Thema Friede für die Pfadfinder niemals aufhört. Es passt wunderbar zur christlichen Botschaft von Weihnachten, aber darüber hinaus, ist es auch etwas, dass alle angeht.

Deshalb ist beiden Frauen auch so wichtig, dass das Friedenslicht jedes Jahr auf neue verteilt wird und nicht ausgeht. In der Hoffnung, dass der kleine Friedenslicht-Funke zu einem Lichtermeer wird. Und so verteilen sie heute Nachmittag (am 11. Dezember) in Stuttgart das Licht weiter.

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SWR1 Begegnungen

23OKT2022
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Adolf Bayer Foto: privat.

Es ist ein altes Fachwerkhaus in der Altstadt von Esslingen, in dem der Winzer Adolf Bayer seinen Besen hat. Und mit Besen meine ich jetzt nicht einen Stiel mit Bürste, sondern seine Wirtschaft, die nur für eine ein paar Wochen im Jahr geöffnet ist, damit er seinen eigenen Wein darin verkaufen kann. Im Badischen und Pfälzischen würde man dazu Strauße sagen.

Dieser Besen von Adolf Bayer ist klein, urig und etwas Besonderes. Und das liegt vor allem an Adolf Bayer selbst und wie er mit seinen Gästen umgeht:

Im Prinzip bin ich im Besen ein Seelsorger. Ich habe so viele Sachen erlebt… Die können reinkommen, die hat geheult, der hat mich umarmt, hat gesagt meine Tochter ist verunglückt. Oder ich bin jetzt irgendwie entlassen worden... Und die brauchen irgendjemand, wo zuhört und das ist ganz, ganz wichtig, denn es gibt, verdammt viele Menschen, wo alleine sind.

Allein sein soll niemand in seinem Besen. Deshalb bringt Bayer seine Gäste auf wenigen Quadratmetern zusammen, und zwar bunt gemischt. Egal, ob jung oder alt, ob mit oder ohne Anhang.

Zumindest bis zur Pandemie. Die auch in seiner Besenwirtschaft vieles durcheinandergebracht. Die Leute dicht aneinandersetzen in einem urigen Fachwerkhaus? In den letzten zwei Jahren nicht denkbar!

Das hält ihn aber davon nicht ab, weiterhin Gastgeber zu sein: Unter freiem Himmel schenkt er auf seinem Hof weiter seinen Wein aus. Tische und Stühle stehen bereit. Und man kann trotzdem, wenn auch mit Abstand zusammenkommen. Ich habe es selbst erlebt. Er begrüßt jede und jeden herzlich und fragt „Wie viele seid ihr?“ und dann weist er einen Tisch zu.

Das ist wie bei einem Blind Date: Man weiß nie, wen man in der nächsten Stunde kennenlernt und welche Gesprächsthemen einen erwarten. Unterhaltsam wird es aber allemal werden. Bayer hat nämlich ein gutes Händchen dafür, wen er zu wem setzten muss. Und manchmal verändert eine Begegnung sogar das eigene Leben.

Eine Frau ist mal reinkommen und hat gesagt „Sie Herr Bayer, mein Mann ist vor drei Jahren gestorben. Darf ich überhaupt bei Ihnen reinkommen?“ Da sag ich: Ist doch kein Problem setzen sie sich einfach hierhin. Sie kriegen auch ne Traubensaftschorle, aber natürlich auch ein guter Wein. Und wenn sie Glück haben, setzt sich denn irgendjemand zu Ihnen, da wird der Abend ganz toll. Und dann ist ein Mann reinkommen, da ist genau das Gleiche. Die Frau ist auch erst verstorben. Dann sag ich: „Guck a mol, da sitzt eine ganz nette Frau, die ist eigentlich immer so traurig, weil ihr Mann gestorben ist. Jetzt sitz doch einfach daneben hin und gucket mal, dass ihr miteinander redet!“ Und die haben sich dann immer wieder bei uns getroffen und nach sechs Jahren haben die geheiratet, mit 75. Und das ist doch gigantisch.

Mit seiner Familie führt Adolf Bayer einen kleinen Betrieb. Vom Weinanbau über die Verarbeitung der Trauben, bis hin zur Vermarktung und dem persönlichen Ausschank – alles wird selbst gemacht.

Das liegt ihm im Blut. Er ist ein alteingesessener Esslinger. Sein Vater hat Gemüseanbau betrieben, entsprechend kennt er die Landwirtschaft von klein auf. Aber gelbe Rüben sind dann doch nur gelbe Rüben für ihn und nicht mehr. Er interessiert sich für den Weinanbau und die Produktion, lernt und studiert sie.

(TEIL 2)

Adolf Bayer ist Winzer in Esslingen, hat seine eigene Kellerei und führt eine Besenwirtschaft. Moment mal, der Mann heißt Adolf? Ein Gedanke, den viele seiner Gäste haben, wenn sie seinen Vornamen hören.

Mein Vater hat geheißen Adolf, mein Opa Adolf geheißen, der Ur-Opa hat Adolf geheißen… Meine Kinder heißen jetzt nicht mehr Adolf, aber  warum soll ich mich ändern? Ich bin doch kein Rechtsradikaler.

Ich hab mir gesagt, ich will des verkörpern, dass ich zu die Leute freundlich bin und das positiv denke, auch wenn ich Adolf heiße.

Und so, wie ich ihn wahrnehme, ist er das auch. Er ist ein toller Gastgeber, der die Gäste bunt zusammengewürfelt an den Tisch zu setzen weiß. Und der statt Wein auch Traubensaft parat hält. 

Die Menschen wieder zusammenzuführen. Und dass sie nicht getrennt sind. Und das ist ganz, ganz wichtig für mich.

Was ihm wichtig ist und was er macht, hat biblischen Charakter. Denn schon da heißt es, dass der Mensch nicht allein sein soll (Gen 2,18).

Und seine Gäste kommen immer wieder, weil sie sich bei ihm wohl fühlen. Das hört er vor allem auch dann, wenn unterschiedliche Generationen aufeinandertreffen:

Und dann kam dann auch wieder einer auf mich zu. Ein junger Mann und sagt, Sie Herr Bayer, es war so wahnsinnig, solche Leute lernt man nur bei Ihne kennen. Der alte Mann ist jetzt 85 oder 90, hat mir Geschichten erzählt vom Krieg und ich bin als Junger dagesessen und hab mit großen Ohren dem zugehört, was er erlebt hat, und Hochachtung vor den älteren Leuten, das lernt man eigentlich nur hier kennen.

Bayer hat einen Ort, in dem sich Menschen begegnen können und wo eine Gemeinschaft entsteht, wenn auch nur einen Abend lang. Was er da macht, ist für mich christlich. Hat das auch was mit seinem Glauben zu tun?

Also, ich glaube an Gott. Das ist mir damals in die Wiege gelegt worden. Und ja, ich glaube, dass sich vielleicht die Welt zum Besseren verändern wird. Ich bin jetzt nicht einer, wo jeden Tag in die Kirche geht. Für mich ist Christlich Sein Nächstenliebe. Das ist mal das erste und die Mitmenschen genauso lieben, wie einer wo jetzt gegen mich ist denn Liebich genauso wie einen, der wo für mich ist. Und Zusammenhalt. Das ist genauso christlich. Das ist für mich die Kirche eigentlich.

Dass er die Leute zusammenbringen will, klingt dann fast wie seine persönliche Mission fürs Leben. Die Leute sollen zusammenfinden und dadurch wird die Welt ein Stückchen besser. Er selbst liefert nur den Rahmen: Eine warme Stube, guten Wein oder Traubensaft und was zu essen.

Ich will einfach eine Harmonie haben, und ich kann das nicht ertragen, wenn irgendein Haß aufkommt oder wenn sie gegenüber schimpfen oder so. Es gibt so viel Menschen, wo alleine sind. Und ich sage immer:Warum bist du eigentlich alleine? Komm setzt dich an den Tisch und vielleicht kommen ja noch ein paar andere dazu. Und wenn es dann gegen Abend wird es sind die lustig gewesen. Da hat einer ne Gitarre mitgebracht und dann war das ne Gemeinschaft …

Das tut mir gut, das tut den Menschen gut und ich hoff bloß, dass viele da mal drüber nachdenken, vielleicht auch in der schlechteren Zeit, wo kommt, dass man einfach miteinander wieder viel zusammen macht.  

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22OKT2022
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Ich bin in ein Fettnäpfchen getreten. Gegenüber meinem Kollegen habe ich flapsig behauptet, der Schwabe ist geizig und teilt ungern. Dagegen hat er sich sofort gewehrt und ich habe dann auch schnell zugegeben, es sind ja nicht alle Schwaben gleich.

Ich bin im schwäbischen Ländle geboren, aber meine Eltern stammen nicht von dort und deswegen sind mir dann in der Kindheit Dinge aufgefallen, die ich als schwäbische Eigenheiten abgetan habe. Meine Eltern haben mir etwas anderes vorgelebt.

Bei mir zu Hause ist es beispielsweise üblich, dass sobald ein Gast im Haus ist, auch Essen und Trinken hermuss. Der Gast soll sich ja wohlfühlen. Das galt für alle die kamen, auch für meine Schulfreunde. Die ersten Fragen sind bei uns immer: „Was willst du trinken? Kann ich dir was anbieten?“ Und dann gibt’s was zu knabbern und zu trinken. Selbst wenn jemand Samstagmittag mitten beim Putzen vorbeischaut. Dann freuen wir uns, lassen alles stehen und liegen und kümmern uns um den Gast. Bei uns heißt es „Gast im Haus, Gott zu Haus!“.

Bei Schulfreunden habe ich das so nicht unbedingt erlebt. Manchmal musste ich erst fragen, ob ich ein Wasser haben könnte. Und das ist mir auch ziemlich unangenehm gewesen beziehungsweise ich hab mich als Kind manchmal gar nicht getraut zu fragen.

Deswegen habe ich zum Kollegen gesagt: Schwaben sind geizig und teilen nicht gern.

Und dann hat er mir vom „schwäbischen Versucherle“ erzählt, dass es bei ihm zu Hause gibt. Es ist nämlich so: Es kann schonmal vorkommen, dass man beim Nachbarn klingelt und „Hier! Nimm mal, ein Versucherle“ sagt und ihm dann zum Beispiel einen Kuchen anbietet. Einfach ein Stück von dem, was man gerade selbst in der Küche fabriziert hat. Und da geht’s dann nicht darum, dass man eine Rückmeldung möchte „Hmm, schmeckt lecker“ sondern, dass man einfach gibt, was man hat. Weil es schön ist zu teilen.

Manchmal ist es auch Marmelade, die weitergereicht wird oder Konzertkarten! Wenn man von einem tollen Konzert erfährt, dann kauft man einfach gleich ein paar Karten mehr und verteilt sie dann. Es wird einfach für andere mitgedacht und mitgesorgt. Das Schöne daran sei, meint er, an anderer Stelle käme es auch wieder zurück. Es ist ein Geben und Nehmen. „Und ein „Versucherle“ allemal“, sag ich ihm, „denn man weiß ja nie, was einen erwartet. Aber es ist ein Versuch wert, es auszuprobieren!“

Ich finde, dieses schwäbische Versucherle hat sehr viel gemein mit einer christlichen Fürsorge gegenüber dem Nächsten. Ich denke einfach für den Nächsten mit, ganz uneigennützig gebe ich etwas oder teile, was ich habe.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

21OKT2022
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Eine Freundin erzählt mir von ihrem Urlaub. Sie ist in Ávila im Herzen von Spanien gewesen und jetzt schwärmt sie mir von der beeindruckenden und gut erhaltenen Stadtmauer mit ihren Türmen. Ein Highlight bei Nacht! Und sie erzählt viel von Theresa, einer Nonne, die in Ávila kurz nach 1500 gelebt und eigene Klöster gegründet hat. Klöster mit neuen Denkanstößen für die religiöse Praxis. Und das als Frau.

Ich kenne die Heilige Theresa von Ávila. Sie hat ihre Gedanken über Gott und den Glauben in einer sehr bildhaften Sprache verfasst und war recht schlagfertig. Sie war zum Beispiel der Meinung, um Gott zu begegnen, muss man nicht asketisch leben, sondern da darf man auch genießen und sich richtig freuen. Deshalb hat sie gesagt: „Hätte Gott nicht gewollt, dass Menschen fröhlich lachen, dann hätte er die Welt nicht so herrlich gemacht.“ Ihr Weg ist damals neu gewesen und auch ein Kontrastprogramm zu dem, was sonst gelebt wurde.

Theresa lebt in einer Zeit, in der die Menschen Angst haben nach dem Tod in die Hölle zu kommen. Gott ist der strenge Richter, der am Ende entscheidet, ob man gut oder schlecht gelebt hat. Theresa hat Angst etwas falsch zu machen, betet deshalb viel und tritt ins Kloster ein. Allerdings sind viele spanische Klöster damals weniger geistliche Zentren, sondern mehr gehobene Pensionate.

Nach und nach empfindet sie die Klosterpraxis als nicht richtig und gründet ihr eigenes. Fromm runtergebetete Rituale und der bisherige Lebensstil im Kloster helfen ihr bei ihrer Suche nach Gott nicht. Sie entwickelt einen neuen Weg: Es geht nicht mehr darum etwas zu tun, sondern um loszulassen. Und: Gott wandelt sich dabei vom strengen Richter zum guten Freund, dem sie sich anvertrauen kann in allem, was sie tut.

Ich verstehe Gott ebenfalls als einen guten Freund, mit dem ich reden kann. Nur mit den Gesprächszeiten ist das so ne Sache. Meistens sprechen wir morgens oder abends.

Theresa von Ávila ist für mich da ein kleiner Stolperstein geworden, denn ich will auch zwischendurch mit Gott reden, also mitten am Tag, zum Beispiel bei der Hausarbeit. Nur denk ich nicht immer daran oder kann nicht loslassen. Aber ihr Blick hilft mir und ihre Alltagsweisheit, nämlich, dass Gott auch zwischen Pfannen und Kochtöpfen unterwegs ist.  

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

20OKT2022
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Eine Reise nach Assisi in Italien, ich kann’s nur empfehlen. Mich hat das kleine umbrische Städtchen auf dem Hügel verzaubert. Es ist nur noch optisch malerisch schön, sondern ist auch die Heimat des Heiligen Franz und fast jede Ecke dieser Stadt erzählt eine kleine Geschichte aus seinem Leben. Aber der Reihe nach:

Franz lebt um 1200 und stammt aus einer wohlhabenden Tuchhändler Familie. Er hat eine gute Ausbildung gemacht und ist seitdem als Kaufmann im Geschäft seines Vaters tätig. Entsprechend gutverdienend weiß er auch, wie man Partys feiert und wie man Geld ausgibt. Es geht ihm gut und ein paar Jahre später will Franz noch mehr: Ritter sein und Ruhm und Ehre genießen. Deshalb zieht er in Kriege. Allerdings wird er gefangen genommen, krank und depressiv. Er kehrt nach Hause und beginnt sich zurückzuziehen. Gibt sich mit Bettlern und Kranken ab, tauscht sogar seine gute Kleidung mit ihnen und verteilt die guten Waren seines Vaters. Irgendwie verständlich, wenn sein Vater jetzt verärgert reagiert. Aber Franz setzt noch einen drauf: Auf dem Marktplatz von Assisi zieht er sich nackt aus und übergibt seinem Vater seine Kleidung. Er will lieber arm sein und unter dem Schutz der Kirche stehen.

Ist das nicht verrückt, alles hinzuschmeißen, was man hat, für nichts? Es klingt für mich nach einer Sinn-Suche. Ein Bekannter von mir, der im Job ziemlich erfolgreich gewesen ist, hat mit Ende Zwanzig nach einem Burnout sein komplettes Eigentum verkauft, um dann wegzufahren und ne Pause zu machen. Es ist also gar nicht mal so abwegig und altbacken, was Franz damals getan hat.

Und seine Geschichte geht weiter: Franz gründet einen Bettelorden. Er beruft sich auf die Bibel und will ein einfaches Leben ohne Besitz und in Einklang mit der Natur leben. Und er geht weiter, er will, dass der Papst diesen Orden anerkennt. Das ist sicherlich nicht einfach, denn der Papst strebt nach wirtschaftlichen und politischen Einflüssen, in einer Kirche, die zerrissen ist und in der es viele Streitereien gibt. Ein starker Kontrast zu dem, was Franz möchte. Er möchte sich nicht abspalten von der Kirche, sondern innerhalb der Kirche neu orientieren. Und er schafft es und überzeugt den Papst.

Dieser Franz zeigt, dass es möglich ist, sich als kleiner gläubiger Mensch den Großen kritisch, aber auch konstruktiv mit Erfolg entgegenzustellen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

19OKT2022
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Dich schickt doch der Himmel! Das habe ich mir gedacht, als mir folgendes passiert ist: Mein Tag bei der Arbeit ist alles andere als prickelnd verlaufen. Der Computer wollte nicht, Besprechungen wurden verlegt und Abgabetermine vorgezogen. Ein Chaos vorne und hinten, ich bin viel zu spät aus dem Büro gekommen.

Und dann musste ich auch noch rennen, damit ich meinen Zug erwische. Wenigstens habe ich ihn erreicht. Ich bin eingestiegen und schon ist er losgefahren. Ich setze mich auf den letzten freien Platz in einem Vierer-Bereich neben drei älteren Frauen und atme erstmal durch. Nur um dann festzustellen, dass ich gar kein Ticket gelöst hab und meinen Geldbeutel auch noch im Büro vergessen habe. Aber wenn es läuft, dann läuft es. Denn zu allem Überfluss kommt keine fünf Minuten später ein Fahrkartenkontrolleur vorbei.

Ich bin fix und fertig. Erschöpft, voller Frust und jetzt leicht panisch. In Gedanken versuche ich mir Worte zu Recht zulegen, die meine Situation beschreiben und hoffe, dass mir der Kontrolleur glauben wird. Und dann werde ich beim Denken unterbrochen. Denn die Frau neben mir beugt sich plötzlich zu mir rüber und flüstert mir zu: „Sie können auch bei uns mitfahren, wir haben ein Ticket für 5 Personen.“

Das gibt’s doch nicht. Dich schickt doch der Himmel! Da sitzt doch tatsächlich jemand neben mir, der anscheinend gemerkt hat, was mit mir gerade los ist und will mir aus der Patsche helfen. Ich bin sprachlos und alles, was ich hervorbringe, ist ein Einfaches „Danke“. Ich bin so erleichtert.  

„Dich schickt der Himmel“– diesen Satz habe ich in meinem Leben schon mehrfach sagen können. Für mich ist das ein Hinweis dafür, dass es diesen Himmel geben muss. Den Himmel, in dem ein Gott zu Hause ist, der es gut mit uns Menschen meint. Und deshalb lässt er uns auch das immer wieder über kleine Botschaften spüren: Wir sind nicht allein. Nämlich dann, wenn sich zum Beispiel Menschen für andere einsetzen, die geflüchtet sind. Dann, wenn Menschen anderen Menschen beistehen, die etwas oder vielleicht sogar alles verloren haben. In ungewöhnlichen Situationen, wenn Menschen keinen Ausweg sehen oder auch dann, wenn es gar nicht erwartet wird, wie beispielsweise bei meiner Begegnung im Zug. Und dann spielt es auch keine Rolle, ob man sich kennt oder nicht. Was zählt ist wachsam sein und zusammenzuhalten!

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

18OKT2022
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Die Italiener nennen ihn den „guten“ Papst: Johannes XXIII. Er ist der Sohn eines einfachen Landarbeiters und knapp fünf Jahre Papst gewesen, 1958 – 63. Er soll bescheiden und volksnah gewesen sein. Jetzt im Oktober ist sein Gedenktag.

Papst zu sein stelle ich mir nicht einfach vor, vor allem nicht in diesen Zeiten. Und so hat wohl auch Johannes XXIII. großen Respekt vor diesem Amt gehabt. Womöglich konnte er deshalb zu Beginn eine Zeitlang nicht schlafen. Eines nachts soll ihm dann ein Engel gesagt haben: „Nimm dich nicht so wichtig, Johannes!“ – von da an ging das besser mit dem Schlafen. Denn Johannes XXIII. hat sich diesen Satz zu Herzen genommen und losgelassen. Inzwischen ist dieser Satz für ihn berühmt geworden. „Nimm dich nicht so wichtig, Johannes“. Es geht um Demut. Dass ich mich selbst zurückzunehme und trotzdem den Mut und Engagement aufbringe, um meine Aufgaben zu erledigen.

Und dieser Papst ist in meinen Augen nicht nur demütig, sondern auch mutig gewesen, wenn nicht sogar ein kleiner Revoluzzer. Er hat nämlich überraschend das Zweite Vatikanische Konzil einberufen. Eine Versammlung der Kirchenobersten, um frischen Wind in die Kirche zu bringen. Grundsätze der Kirchenlehre sollten hier aktualisiert und damit an die Gegenwart angepasst werden.

Und das ist tatsächlich auch in einigen Punkten gelungen: Die Versammlung hat beispielsweise die Menschenrechte der Vereinten Nationen anerkannt und auch die Religionsfreiheit. Im Gegensatz zum bisherigen religiösen Absolutheitsanspruchs der Katholischen Kirche ist das ein Novum.

Und sie hat Mann und Frau als in der Gesellschaft gleichberechtigt anerkannt. Gut, als Frau muss ich sagen, da ist immer noch viel Luft nach oben! Allein in der Ämterfrage innerhalb der Kirche. Aber, dass die Kirche den Frauen die gleichen Rechte in der Gesellschaft zuspricht und sie als selbstbestimmend wahrnimmt ist immerhin ein erster und wichtiger Schritt und auch ein Konter zu dem Bild, dass Frauen hinter den Herd gehören. Es ist ein Zeichen, wenn auch ein kleines.

Innerhalb seiner kurzen Amtszeit hat Johannes XXIII. einiges in dieser alten Katholischen Kirche angestoßen und das sicherlich nicht ohne Gegenwind.

 „Der gute Papst“ – für mich ein sehr mutiger Mann, der gewusst hat, sich selbst bei allem nicht zu wichtig zu nehmen. Vielleicht das Geheimnis seiner Erfolge.

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