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SWR1 Begegnungen

19FEB2023
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Clemens Fuchs Foto: Sabine Winkler

Rottenburg am Neckar ist nicht nur Bischofsstadt, sondern in diesen Tagen auch Fasnets-Hochburg. Dort treffe ich Clemens Fuchs. Er ist Mitglied und der Archivar der Rottenburger Narrenzunft. An der Fasnet ist er aktiv als „Ahland“ unterwegs, das heißt als „weißer Teufel“. Der Schwabe schlüpft dann in sein Narrenkostüm, auch Häs genannt, und das schon seit knapp 50 Jahren:

Das war schon immer ein Kindheitswunsch Ahland zu sein. Aber meine Eltern haben mir das nie gekauft oder ermöglicht. Auf jeden Fall habe ich mir diesen Herzenswunsch von meinem ersten Lehrlingsgehalt erfüllt.

Der Name Ahland ist vom Charakter her eigentlich ein Teufel. Der Name Ahland kommt von Fahland, „der zu Fall Bringende“ und ja der Ahland verkörpert dann einfach auch diese Funktion. Wobei er von seinem Häs her eigentlich ein untypischer Teufel ist, weil er hat ein weißes Leinengewand, das bemalt ist.

Der Teufel verkleidet im weißen Gewand, also sozusagen mit weißer Weste, so kommt es mir vor. Der Teufel steht für mich als Figur für das Böse. Dass es ihn als Wesen mit zwei Hörnern gibt, glaub ich nicht. Aber dass es Böses auf der Welt und auch teuflische Gedanken gibt, dass glaub ich sehr wohl. Und vielleicht steht ja auch die Teufelsfigur dafür, dass das Böse sich versteckt und nach außen hin sich verkleidet.

Der Ahland scheint mir jedenfalls ein eher freundlicher Teufel zu sein, der gerne neckt. Und da stimmt mir Fuchs zu. Denn in seiner Rolle als Ahland treibt er gerne sein Späßchen mit den Zuschauern während den Umzügen. Aber immer zur Freud, niemals zum Leid.  

Wenn Sie jetzt irgendwo am Tisch sitzen im Lokal und jetzt kommt da einfach eine Hexe rein oder paar Hexen und die setzen sich zu Ihnen. Die sagen erst mal vielleicht gar nix und dann beginnt von alleine eine närrische Konversation. Und da haben alle Freud, der, der im Häs steckt und die, die am Tisch sitzen, weil das ist was Spannendes. Was ist das für einer? Wo kommt der her? Und kennt der uns? Und dann verstellt er seine Stimme und sagt dann: „Ja, ich kenne dich, du bist heute Morgen ganz spät heimgekommen!“ Oder ja, einfach irgendwas Lustiges und dann lachen alle am Tisch. Und das ist das Eigentliche, was Fasnet ausmacht.

Fasnet ist Begegnung pur. Dabei verhalten sich die Menschen anders als unter dem Jahr. Sie sind freundlicher, aufgeschlossener und ausgelassener. Man hat Freude, redet miteinander kommt ins Gespräch. Es spielt einfach keine Rolle, wer ich bin, welchen Vorstandsposten ich innehabe, wie viel Geld auf meinem Konto ist oder welches Auto ich fahre. Man begegnet sich auf Augenhöhe und ist zusammen unterwegs.

 

Gleich erfahren Sie was darüber hinaus die Fasnet mit der Kirche verbindet.

 

(TEIL 2)

Das Zunfthaus, in dem ich den Narrenzünftler Clemens Fuchs antreffe, liegt fußläufig zum Bischofssitz. Sicher man kennt sich, aber wie eng sind Fasnet und Kirche wirklich miteinander verwoben?

Wir feiern mittlerweile am Fasnet-Samstag eine Zunftmesse in der Sankt Moritz Kirche. Einfach zu Beginn unserer Straßen-Fasnet, die dann im Anschluss an den Gottesdienst stattfindet. Und das ist natürlich ein Zeichen der Verbundenheit zur Kirche.

Es geht um ein allgemeines Besinnen untereinander darauf, dass Spaß an der Fasnet erlaubt ist, aber um der Freude Willen. Dass an den Nächsten gedacht wird, und dass niemand zu Schaden kommt. Darauf besinnen sich die Narren und holen sich Zuspruch und den Segen, dass es gut geht.

In diesen Narrengottesdiensten zeigt sich aber auch, dass die Kirche selbst närrisch kann:

Der jeweilige Pfarrer oder Prediger hält die Predigt dann in Reimform. Und da gab es also schon manchmal eher die Situation, dass der Pfarrer quasi die Rolle des Hofnarren übernommen hat und auch gegenüber der Verwaltung oder dem Bischof das eine oder andere deutliche Wort gesprochen hat.

Vielleicht erscheint es befremdlich, wenn Kirche sich so närrisch zeigt. Dabei ist die Verbindung von Fasnet und Kirche durchaus eine enge. Die Brauchtums-Forscher sind sich mittlerweile einig, dass die Fasnet vor allem als Schwellenfest, als bewusstes Fest vor der Fastenzeit entstanden ist:

Die katholische Kirche hat ja die Fastenzeit sehr streng gehandhabt. Und deswegen hat man in der Nacht vor dem Fasten, also vorm Aschermittwoch noch kräftig gegessen, getrunken, gefeiert, getanzt, geheiratet.

Fasnet ist also ein katholisches Fest durch und durch. Und die Kirche ist sogar an der Entstehung der ersten Narrenfigur beteiligt gewesen.

Die Kirche hat versucht, durch Bilder die Heilsgeschichte quasi zu erläutern. Und in der Heilsgeschichte ist natürlich sowohl ein Engel vorgekommen, aber auch ein Teufel. Es gibt Nachweise, dass Teufelslarven über die Fasnacht beim Mesner ausgeliehen werden konnten. Und so sind die ersten Larven und Masken eigentlich in die Fasnet gewandert und der Teufel war die erste Fastnachtsfigur.

Um es besser zu verstehen: Die Larve ist die Vorstufe zur Maske. Erst wenn man sie trägt, wird sie zur Maske. Von der Larve stammt auch der Begriff des Entlarvens, also wenn jemand demaskiert wird. Und darum soll’s ja auch in der anschließenden Fastenzeit wieder gehen: Gott zeigen, wie ich wirklich bin.

Fastnacht oder Fasnet – es ist ein großes Fest im Kalender, dass vielerorts kräftig gefeiert wird. So wie Clemens Fuchs diese fünfte Jahreszeit allerdings beschreibt, zeigt es mir doch, dass in diesem Fest viel mehr als Party und Krawall zu sehen ist. Es ist ein christliches Fest, dass das Leben feiert.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11FEB2023
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Es ist mir unangenehm. Ich habe vor kurzem versucht eine Person zu beschreiben und gar nicht mitbekommen, dass ich diese Person beleidige. Ich habe „taubstumm“ gesagt und nicht gewusst, dass dieses Wort Gehörlose beleidigt. Denn sie sind nicht stumm, im Gegenteil sie können sich sehr wohl verständigen. Das funktioniert nur eben anders, wie ich es gewohnt bin. Und so tut es mir leid, dass ich diesen Personen scheinbar etwas abgesprochen habe, was gar nicht meine Absicht gewesen ist. Ich bin von meinem Verständnis ausgegangen. Denn ich rede mit dem Mund und wenn jemand nicht wie ich redet, dann ist er halt stumm. Simple Logik von mir, nur leider nicht richtig und auch nicht zu Ende gedacht. Und so habe ich erlebt, wie schnell Worte verletzen können.

Unabhängig von dieser Situation erlebe ich immer wieder, wie schwer es in manchen Situationen ist, die richtigen Worte zu benutzen. Insbesondere, wenn es darum geht mit oder über Personengruppen zu sprechen, die eher eine kleine Gruppe in unserer Gesellschaft darstellen und vielleicht deshalb gar nicht so präsent im Kopf sind.

Zum Beispiel, wenn ich statt Hörerinnen und Hörer, Hörer:innen sage. Also mit einer kurzen Pause zwischen der männlichen und weiblichen Form, weil ich damit auch diejenigen ansprechen möchte, die sich vielleicht nicht als Mann oder Frau verstehen.

Auch die Beschreibung „behinderte Menschen“ finde ich schwierig. Denn da sollte auch niemand als defizitär dargestellt werden. Vielmehr lohnt es sich, wenn ich mal darüber nachdenke, wer eigentlich wen behindert?

In der Bibel stehen viele Geschichten, in denen Jesus versucht hat möglichst viele Menschen zu erreichen. Auch diejenigen, mit denen wir im Alltag vielleicht nicht so viel zu tun haben. Er hat eben auch an die kleinen Personengruppen in unserer Mitte gedacht. Und dabei hat er sie nicht beleidigt, sondern ist ihnen auf Augenhöhe begegnet. Und das ist doch ein Maßstab für Christen: Sich darüber Gedanken zu machen, wie ich über und vielmehr mit Menschen rede. Das hat nichts mit „ich werde ja wohl noch sagen dürfen“ zu tun, sondern damit, dass ich dafür verantwortlich bin, was bei meinem Gegenüber ankommt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

09FEB2023
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Ich komme mir vor wie eine Komplizin! Ich sitze in der Bahn und werde Zeugin eines Plans. Um genauer zu sein, eines Lebensplanes. Ein paar Sitze weiter sitzen zwei junge Mädels und unterhalten sich über ihre Zukunft. Der Anlass sind wohl die vergangenen Halbjahreszeugnisse. Ich schätze sie so auf kurz vor ihrem Abschluss. Die Mädels sind jedenfalls guter Dinge und erzählen sich von ihren geradlinigen Plänen.

Also nach der Schule müsse ja ein Freiwilligendienst gemacht werden und danach braucht es dann noch zwei Praktika. Und wenn sie das nicht machen, haben sie ja eh keine Chance in der Job-Welt. Außer eine von ihnen hat noch ein bisschen Vitamin B übrig. Aber Hauptsache ist, dass ein roter Faden im Lebenslauf erkennbar ist, ohne Lücken oder Abweichungen. Weil sonst wären sie Verlierer.

Ich bin perplex, als ich die beiden so reden höre. Für mich klingt das nach jeder Menge Stress und Druck. Sie hören sich so an, als würden sie ständig lernen und ihren Plan optimieren und wahrscheinlich sind gute Noten für sie der Schlüssel für alles.

Am liebsten hätte ich mich zu den beiden hingesetzt, leider steigen sie aus der Bahn aus. Schade. Aus eigener Erfahrung hätte ich ihnen nämlich dann gesagt, dass mein Berufsleben nicht zielstrebig verlaufen ist, sondern dass ich ein paar Irrwege betreten habe. Und gerade das ist für mich sehr wertvoll gewesen. Und Noten haben mir bei allem am wenigsten geholfen.

Ich hab zum Beispiel verschiedene Jobs ausprobiert, so, wie sie sich gerade ergeben haben. Manche Jobs habe ich erst gar nicht bekommen und manche haben nur sehr wenig Geld gebracht, aber dafür habe ich sehr viel gelernt. Und manche habe ich nach zwei Monaten auch wieder sein lassen, weil es einfach nicht für mich gepasst hat. Aber keinen dieser Jobs habe ich bereut. Jede Erfahrung war wertvoll. Ich habe mich ausprobiert und festgestellt, was mir liegt und was nicht.

Was mir aber bei allem am meisten geholfen hat, ist glauben und vertrauen. Und zwar in erster Linie an mich selbst, dass ich mehr wert bin als jedes Zeugnis. Und ich habe immer darauf vertraut, dass es irgendwie weitergeht, auch wenn ich noch nicht gesehen habe, wie. Und so war es dann auch.

Das Schöne ist, wenn ich zurückblicke, dann ist da trotz all meiner Irrwege ein roter Faden erkennbar. Es ergibt alles Sinn und nichts ist falsch gewesen. Deshalb hätte ich den Mädels gerne gesagt: Plant nicht so viel und auch Noten sind nicht alles. Es gibt viel mehr und vor allem seid ihr viel mehr wert! Ihr dürft Fehler machen und euch ausprobieren.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08FEB2023
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Kann ich als Christ auch Pate bei einem muslimischen Kind sein? Im Zug hat ein Mann erzählt: Er – Christ - ist von einer muslimischen Familie gefragt worden, ob er das Patenamt für das Kind der Familie übernehmen möchte. Und der Mann hat „ja“ gesagt. Dann hat er erzählt, dass er es total schön findet, dass ihm die Familie da so vertraut. Er darf das Kind seiner Freunde auf dem Weg zum Glauben begleiten, obwohl er selbst kein Muslim ist.   

Jetzt sagen vielleicht die einen: Im Islam, da gibt es doch keine Paten! Ich weiß leider nichts Näheres von dem Mann, wie das bei ihm und der Familie angedacht ist. Aber ich finde die Idee sehr spannend und hätte gerne mehr dazu gehört. Vor allem, wie der Mann damit umgeht, dass da zwei Religionen aufeinandertreffen. 

Für mich als Christin heißt nämlich Pate sein, eine Begleiterin zu sein. Dass ich für jemanden da bin, bei Lebensfragen und auch wenn es um Gott geht. Also etwa, wenn ich Pate für ein Kind bin, dass getauft wird oder für einen Jugendlichen, wenn er zur Firmung geht. Dann will ich als Patin nicht nur bezeugen, dass diese jungen Menschen getauft oder gefirmt wurden, sondern ich will ihnen auch eine Stütze in ihrem Leben sein. Und wenn sie mich dann mal nach Gott fragen sollten oder woran ich glaube, dann erzähle ich ihnen davon gern. Das gleiche gilt natürlich auch für andere Lebensfragen. Ich bin dann einfach jemand zusätzliches, neben den Eltern, an den sich die jungen Menschen wenden können.

Ich kann mir vorstellen, dass so eine Patenschaft, wie die von dem Mann im Zug, bereichernd sein kann. Vorausgesetzt, das Kind weiß schon einiges über seinen eigenen Glauben und ist da auch etwas gefestigt. Das ist dann vielleicht erst im Teenie-Alter der Fall, aber dann ergeben sich bestimmt spannende Gespräche. Denn ein anderer Glaube heißt auch neue Fragen und Gedanken. Und wenn ich mich damit auseinandersetze, dann werden womöglich meine bisherigen Werte auf den Prüfstand gestellt. Und ich kann meine eigenen Sichtweisen überdenken und weiten. Der Blick von außen kann mir so Neues bieten.

Ich sehe jedenfalls in einer Patenschaft zwischen zwei Religionen einen Mehrwert.  Und es geht für mich dabei nicht drum, dass der Pate oder das Kind die Religionen vermischen oder jemand überzeugt werden soll, dass die andere Religion besser ist. Ich finde, das Mehr einer solchen Patenschaft besteht darin, dass es mich im eigenen Glauben weiterbringen kann. Es geht also um das Miteinander trotz aller Verschiedenheit.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

07FEB2023
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Baby-Boom. In meinem Freundeskreis ist gerade Baby-Zeit. Und immer, wenn ich die Nachricht von bevorstehendem Nachwuchs höre, freue ich mich sehr für die Eltern. Allerdings gibt’s nicht immer nur freudige Nachrichten. Manchmal habe ich auch schon von Sternenkindern erfahren. So werden Kinder bezeichnet, die die Geburt nicht schaffen. Manchmal vor, während oder kurz nach der Schwangerschaft. Und das ist dann schon sehr traurig. Ein Leben ist zu Ende, noch bevor es angefangen hat.

Mama und Papa haben gerade erst richtig begreifen können Mama und Papa zu werden und dann wird aus dem erwarteten Kind nichts. Da fehlen mir dann auch irgendwie die Worte.

Allerdings kann so etwas sehr häufig in den ersten Wochen und Monaten einer Schwangerschaft vorkommen. Und das ist dann auch ein natürlicher Vorgang. Während der voranschreitenden Schwangerschaft wird es dann immer weniger wahrscheinlich, dass ein Kind stirbt, es kann aber nie ganz ausgeschlossen werden. Der menschliche Körper entscheidet einfach, ob das Kind lebensfähig ist oder nicht und reagiert dann. Niemand, weder Arzt noch Mutter können das beeinflussen.

Es führt deshalb auch zu nichts, die Schuld bei sich selbst zu suchen, wenn das Kind es nicht geschafft hat. Es passiert einfach.

Als ich das gehört habe, ist mir klar geworden: Leben ist echt nicht selbstverständlich.

Da tun Mama und Papa manchmal alles, um ein Kind zu kriegen, und können dann nur noch hoffen. Hoffen und beten. Dass es funktioniert und gut ausgeht. Mehr können sie nicht tun. Es ist verrückt: So vieles im Leben habe ich selbst in der Hand, aber das eben nicht.

Und zu akzeptieren, dass etwas nicht mehr ist, was doch gerade noch lebendig war, ist und bleibt schwer. Und da hilft leider auch keine unbedachte Bemerkung wie „aber du hast doch schon ein Kind, konzentrier dich jetzt darauf“. Solche Aussagen tun weh und werden dem Sternenkind und dem, was sich die werdenden Eltern gewünscht oder vorgestellt haben, nicht gerecht.

Viel mehr hilft es, einen Weg zu finden, das kurze Leben des Sternenkindes zu würdigen und dann später zu schauen, wie das Leben mit diesem Verlust gelebt werden kann.

Jede bisherige Nachricht über Nachwuchs habe ich deshalb umso mehr schätzen gelernt. Für mich wird so jedes Leben das entsteht, noch kostbarer, weil es nicht selbstverständlich ist. Und damit ist für mich auch jeder Mensch kostbar, egal, ob er mir gerade auf den Keks geht oder nicht. Jedes Leben ist ein Wunder, egal wie lang es ist oder war.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

06FEB2023
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Abtreiben kommt für sie nicht in Frage. Anna ist 14 Jahre alt als sie erfährt, dass sie schwanger ist. Es ist ein Schock für sie, denn sie geht noch zur Schule, aber sie will das Kind. Ich habe sie in einem Kinder-Familienzentrum kennengelernt. Dort hat sie mir erzählt, dass sie es anfangs nicht wahrhaben wollte. Sie ist doch erst 14 Jahre, hat keinen Abschluss und verheiratet ist sie ja auch nicht. Angst hat sie gehabt. Was sollen ihre Freunde und ihre Familie von ihr denken? Deswegen hat sie sich nicht getraut mit irgendjemandem darüber zu reden. Die Schwangerschaft hat sie verdrängt, solange sie konnte. Solange, bis sich der Bauch nicht mehr verstecken ließ. Dann musste sie reden.

Es hat Anna sehr viel Kraft gekostet auf ihre Eltern zuzugehen, aber es hat sie auch erleichtert: Endlich alles loswerden, endlich nicht mehr allein sein. Ihre Eltern mussten die Nachricht zunächst verdauen. Dann haben sie aber Anna unterstützt, wo sie konnten. Sie haben nach Wegen gesucht, wie Anna trotzdem die Schule fertig machen kann und wie das Baby betreut werden kann. Heute hat Anna einen kleinen Sohn und geht wieder zur Schule, macht ihren Abschluss. Eine kirchliche Einrichtung unterstützt sie bei der Betreuung ihres Kleinen.

Ich bin von diesem jungen Mädchen sehr beeindruckt. Ich stell mir das unglaublich belastend vor, was sie durchgemacht hat. Zumal ich selbst weiß, was es heißt, schwanger zu sein. Annas Situation kann ich deshalb zumindest vage nachempfinden und kann mir aber sehr gut vorstellen, wie unsicher sie gewesen ist.

Dabei werden gerade dieser ungeplante Rahmen und die Unsicherheit schon bei einer anderen Schwangeren in der Bibel erwähnt: Bei Maria. Auch sie ist, wie Anna, unverheiratet. Und als sie erfährt, dass sie schwanger ist, hat auch sie ziemliche Angst. Mit wem soll sie darüber reden? Sie braucht jemanden, der ihr sagt: „Fürchte dich nicht“. In der Bibel wird es ein Engel sein, der das tut.

Und das sind für mich gleich mehrere wunderbare christliche Botschaften: Zum einen, dass es nicht den perfekten Zeitpunkt für eine Familienplanung gibt. Sondern es ist immer Zeit dafür. Wenn man sich für das Leben entscheidet, lässt sich auch ein Weg finden, wie das drumherum gestaltet werden kann. Und zum anderen, dass ich ungewollt Schwangere nicht verurteilen sollte, sondern stattdessen mich ihrer Situation annehmen, sie stärken und schützen sollte. Ich begrüße es deshalb sehr, dass es auch kirchliche Einrichtungen gibt, die dies für junge werdende Mütter tun. Menschen, die den Verzweifelten sagen „fürchte dich nicht“, es wird gut.

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Anstöße sonn- und feiertags

05FEB2023
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Mein Bus fährt am Waldrand vorbei. Gedankenverloren schaue ich aus dem Fenster, doch dann höre ich zwei Kinderstimmen miteinander reden: „Also Emma, wenn wir beide groß sind, dann können wir den Wald schön machen, oder?“ Und dann sehe ich, was die Mädchen zwei Sitze weiter meinen: Am Waldrand liegt überall Müll rum. Ein Taschentuch hier, ein Pappbecher dort und Dinge, die sich so schnell nicht erkennen lassen. Für die Mädchen kein schöner Anblick. Da haben sie Recht muss ich ihnen zugestehen. Und obwohl ich fast jeden Tag daran vorbeifahre, ist mir dieser Müll noch gar nicht aufgefallen. Bin ich etwa so Alltagsblind? Ich hoffe es nicht und denke über die Aussage „wenn wir groß sind“ nach.

Was habe ich mir nicht als Kind alles vorgestellt zu machen, wenn ich groß bin. In einem Freundebuch aus der Schulzeit steht drin, dass ich Tierärztin werden will und in einem anderen, dass ich Lehrerin werden will. Ich habe jede Menge Wünsche und Träume gehabt. Vor allem wollte ich immer die Welt zu einer besseren Welt verändern. Das war mir wichtig. Und als Kind hab ich da genaue Vorstellungen gehabt, wie das geht. Was ich dazu machen muss und was das Richtige ist. Auf die Natur achten ist da immer vorne mit dabei gewesen.

Genau wie bei den beiden Mädchen und wie sie es auch jetzt wissen: Der Wald muss aufgeräumt werden. Beinahe hätte ich den Mädchen gesagt: „Wenn ihr groß seid, habt ihr andere Probleme, als den Wald schön zu machen.“ Denn weder bin ich Tierärztin noch Lehrerin geworden. Und auch so manch anderen Traum habe ich nicht mehr verfolgt. Als Kind habe ich mir vieles einfach vorgestellt. Inzwischen sind aber ein paar Jahre verstrichen und ich weiß, dass vieles leider komplexer ist. Da kann ich nicht mehr mal eben was verändern. Aber vielleicht sind es auch nur Ausreden. Denn ich frage mich gerade ernsthaft, wo das Kind in mir geblieben ist, dass einfach handelt, weil die Dinge einfach erscheinen und richtig sind?

Die beiden Mädels klingen jedenfalls so zuversichtlich, dass ich mich nun für die Erwachsenenwelt schäme. Es gibt schließlich so viele Mülleimer, da sollte es doch ein leichtes sein, den eigenen Müll zu entsorgen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

28JAN2023
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Was für eine Betonwüste! Das dachte ich mir früher auf dem Weg zur Arbeit. Da gibt es nämlich diese Fußgänger-Überführung, die meinen Bahnhof, ein Parkhaus und ein Einkaufszentrum verbindet. Der ganze Bereich ist aus Beton und sieht entsprechend trostlos aus.

Die Stadt hatte deshalb die Idee, den Künstler Thilo Droste damit zu beauftragen etwas aus dieser Betonwüste zu machen. Und dieser hat dann daraus das Projekt „Den Teppich ausrollen“ gemacht. Auf Kunstrasen hat er verschiedene Teppichmotive drucken lassen und diesen dann auf der gesamten Fußgänger-Überführung ausgerollt.

In der Folge bin ich dann nicht mehr auf grauem Boden von A nach B gekommen, sondern über viele interessante und bunte Teppichmotive gelaufen.

Es sind aber nicht irgendwelche Motive gewesen, sondern Bilder von echten Teppichen, die tatsächlich bei Anwohnerinnen und Anwohnern zu Hause zu finden sind. Thilo Droste hat nämlich die Bewohner der Gegend um Fotos von ihren Teppichen gebeten und so hat er private Teppiche öffentlich zugänglich gemacht.

Er hat die Leute aber auch noch um Geschichten zu den Teppichen gefragt. So wollte er zum Beispiel wissen, was der glücklichste Moment gewesen ist, den sie auf dem Teppich erlebt haben. Oder wie sie den Teppich gekriegt haben. Die Antworten dazu konnte man dann auf Tafeln neben den Teppichen lesen.

Jedes Mal habe ich etwas Neues entdeckt und es hat mir richtig Spaß gemacht über diese Überführung zu laufen. Sie ist nicht nur bunt gewesen, sondern ich hab auch sehr viel über die Stadtgegend erfahren, wer hier wohnt, wie diese Menschen leben und was sie so erlebt haben. In diesem Teppich sind die Geschichten der Leute hineingewebt worden und ich bin durch ihn ein wenig in Kontakt mit ihnen getreten. Jedoch das Schönste an diesem Teppich ist für mich gewesen, dass es sich für mich wirklich so angefühlt hat, als hätte mir jemand den Teppich ausgerollt. Damit ich es weicher habe, wenn ich zur Arbeit gehe. Als würden die Anwohnerinnen und Anwohner es gut mit mir meinen und mich mit ihren Teppichen willkommen heißen. Das Kunstprojekt ist aber nun zu Ende. Eigentlich, denn noch sind die Teppiche nicht weggeräumt, noch habe ich die Chance auf diesen Teppichen zu gehen. Und wenn’s nach mir geht, dann sollten sie dauerhaft bleiben.

Sie motivieren mich nämlich auch darüber nachzudenken, für wen ich in Zukunft sozusagen meinen Teppich ausrolle, damit sie oder er auch ein schönes Gefühl erleben kann. Vielleicht reicht da auch schon ein kleines Lächeln gegenüber den Menschen, denen ich so im Vorbeigehen begegne.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

26JAN2023
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Es ist doch so: Man erlebt immer dann etwas Schönes, wenn man es gar nicht erwartet. Und bei mir ist das manchmal sogar so, dass ich ausgerechnet dann ganz schön überrascht werde, wenn etwas so gar nicht nach meinem Plan verläuft.

Ich habe Feierabend gehabt, bin raus aus dem Bahnhof und wollte meinen Heimweg durch die Stadt einfach nur rasch hinter mich bringen. Die Fußgängerampel ist aber wie selbstverständlich rot und so muss ich warten. Wenigstens habe ich meine Kopfhörer dabei und kann Musik hören. Doch, wie könnte es auch anders sein, ich werde gestört. Jemand spricht mich von der Seite an. Und ich frage mich nur, ob die Person nicht sieht, dass ich Kopfhörer aufhabe und gerade abschalten möchte. Für mich sind Kopfhörer ein Zeichen, dass da jemand gerade was Spannendes hört oder einfach nicht reden möchte. Ich ziehe einen Ohr-Stöpsel raus. In welche Richtung es zum Marktplatz geht, will der Typ in meinem Alter wissen. Weil ich tatsächlich in dem Augenblick keine Lust auf eine lange Beschreibung habe, die Ampel grün wird und ich ohnehin in die Richtung laufe, sage ich ihm einfach nur „Mir folgen“. Gesagt, getan. Der Typ läuft neben mir her und weil alles andere merkwürdig wäre, versucht er natürlich ein Gespräch anzufangen. 

Ich lasse mich darauf ein. Er findet Esslingen sehr schön. Er fährt sehr gerne von Stuttgart rüber. Heute trifft er sich sogar mit jemandem, um die schönen Fachwerkhäuser der Altstadt zu zeichnen. Erst jetzt bemerke ich, dass er entsprechend dafür ausgerüstet ist. Und wie wir so weiter über die schönen Seiten von Esslingen reden und welche Ecken uns besonders gut gefallen, finden wir sogar heraus, dass wir uns eigentlich kennen könnten. Er ist nämlich der Freund einer Freundin! Zufälle gibt’s. Hätte ich mich nicht auf meinem Heimweg von ihm stören lassen, hätte ich einen der besten Freunde einer Freundin nicht kennengelernt.

Und so etwas ist mir schon ein paar Mal passiert. Menschen oder kleine Dinge sind mir über den Weg gelaufen, die mich in meinen Alltagtrott unterbrochen haben und mir etwas Schönes gezeigt oder beschert haben. Der katholische Theologe Johann Baptist Metz hat einmal gesagt: „Die kürzeste Definition von Religion ist Unterbrechung.“ Es geht also darum, dass ich bereit bin, mich immer wieder anstoßen zu lassen. Und so kommt es mir in diesen Begegnungen dann auch vor. Aber das geht nur, wenn ich nicht nur Augen für mich habe. Deshalb versuche ich inzwischen aufmerksamer meine Wege zu gehen. Weil: wer weiß, wen oder was ich ansonsten verpasse.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25JAN2023
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Geht das wirklich? Kann eine Künstliche Intelligenz einen Partner in der Beziehung ersetzen? Der Film „Ich bin dein Mensch“ behandelt dieses Thema. Die Wissenschaftlerin Alma nimmt an einer Studie teil. Sie soll einige Wochen mit einem Roboter verbringen, der rein äußerlich nicht von einem Menschen zu unterscheiden ist. Er passt sich an ihre Wünsche und Bedürfnisse an, da er darauf programmiert ist, der perfekte Partner für Alma zu werden. So richtig einlassen kann sich Alma auf das Experiment allerdings zu Beginn nicht. Sie kann es nicht fassen und es macht für sie auch keinen Sinn, sich in einen Roboter zu verlieben. Aber der Roboter gibt sein Bestes und so nimmt die „Beziehung“ ihren Lauf.

Ein Film, der eine wichtige Frage aufwirft: Wie wichtig ist uns der perfekte Partner? Ich selbst bin kein Fan von Perfektionismus und ich bin auch nicht perfekt. Entsprechend erwarte ich es auch nicht von meinem Mann. Wir haben Ecken und Kanten und daran reiben wir uns manchmal ganz schön. Aber wir sind nun mal nicht perfekt.

Auch wenn es schon schön wäre, wenn mir mein Mann meine Wünsche erfüllen könnte, noch bevor ich sie ausspreche – eine kleine Massage hier oder einmal Kind abholen dort, damit ich nicht raus in den Regen muss. Ein perfekter Partner, wie der Roboter von Alma im Film, würde das machen.

Aber ganz ehrlich? Ich habe einen Mann geheiratet und kein perfektes, ja fast schon göttliches Wesen. So etwas behalte ich allein Gott vor. Und deshalb gestehe ich meinem Mann und mir Platz für Träume zu. Gerade das und die Sehnsucht, dass wir uns noch mehr bieten können, es aber gleichzeitig nicht sicher ist, ob, wie und wann wir es umgesetzt bekommen. Genau das zeichnet uns als Menschen aus. Es ist nichts vorprogrammiert oder optimiert.

In dem Film werden auch Menschen gezeigt, die Probleme haben einen passenden menschlichen Partner zu finden. Ihnen helfen die Roboter, die auf sie abgestimmt sind und ihnen permanent geben, was sie suchen. Dadurch haben sie keine Konflikte in ihrer Beziehung und wirken glücklich. Aber ist man so wirklich glücklicher? Wenn mir permanent nur gesagt wird, wie großartig ich bin und so weiter und so fort?

Weder weiß ich, noch beherrsche ich von Geburt an alles. Ich muss Dinge lernen und mache auch Fehler dabei. Genau da ist es doch wichtig, wenn mir andere das auch mal sagen können.  

Ich mag es, wenn es in meiner Beziehung rund läuft. Aber ich mag es genauso, wenn sie unperfekt ist und damit offen. Dann ist nämlich viel Raum für Fehler und ich kann noch überrascht werden.

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