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SWR2 Wort zum Tag

05MAI2023
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Gott tanzt. Und lädt uns ein, mit ihm mitzutanzen. Das hat nicht irgendein atemloser Student am Ende einer durchfeierten Nacht gesagt. Sondern einer der berühmtesten Mönche der Antike: Johannes von Damaskus. Heute ist sein Geburtstag, ein guter Tag, sich an ihn zu erinnern. Und an seine grundlegende Einsicht: dass Gott tanzt.

Johannes wurde im Jahr 650 in eine einflussreiche christliche Familie hineingeboren. Später ist er in das Kloster Mar Sabbah bei Jerusalem eingetreten und hat wichtige Texte geschrieben. Er hat dabei so von Ideen gesprudelt, dass er den Beinamen „goldener Strom“ erhalten hat.

Eine der eindrücklichsten Ideen von ihm lautet, dass Gott tanzt. Und zwar mit sich selbst. Denn Gott, das sind im christlichen Glauben drei Personen: Vater, Sohn und Heiliger Geist. Viele Jahrhunderte lang hat Theologen die Frage beschäftigt, wie das Verhältnis zwischen diesen drei göttlichen Personen aussieht. Was verbindet sie, was trennt sie? Johannes hatte dazu eine geniale Idee. Er sagt: Die drei sitzen nicht unbeweglich und jeweils für sich auf einem Thron nebeneinander im Himmel. Vielmehr sind Vater, Sohn und Heiliger Geist aufs engste miteinander verbunden. Und sie sind ständig in Bewegung. Johannes nutzt dafür ein griechisches Wort: peri-chorese. Peri, das heißt: um-herum, oder auch: miteinander. Und Choreo heißt: sich bewegen. So wie Tänzer sich im Ballett in einer Choreographie bewegen. – So also ist Gott: Vater, Sohn und Heiliger Geist sind wie Tänzer, die aufs engste verbunden sind und sich miteinander bewegen. Quasi Stehblues tanzen: Ganz eng und doch in Bewegung. – Im Zentrum des Universums steht der Tanz. Gott tanzt. Gott ist der Tanz zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist.

Mich fasziniert dieser Gedanke. Denn wenn es stimmt, was Johannes von Damaskus sagt - dann ist auch die Grundbewegung meines Lebens nicht das Gehen. Oder das Arbeiten. Nein, die Grundbewegung meines Lebens ist der Tanz. Und dabei ist es ganz egal, ob ich die Schrittfolgen beim Walzer oder beim Tango beherrsche. Es ist egal, ob ich erst neulich einen Tanzkurs gemacht habe oder ob ich mich auf den Festen einfach dem Rhythmus der Musik anvertraue und drauf los groove – Der Tanz als Grundbewegung des Lebens: Die enge Beziehung zu anderen Menschen. Die Bewegung und der Schwung. Die gemeinsamen Schritte, die man geht. Und die ständige Veränderung.  –Wo werde ich heute in die Grundbewegung Gottes eintreten und mit einem anderen Menschen einen kleinen Tanz wagen? Darf ich bitten?

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SWR2 Wort zum Tag

04MAI2023
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Die Grenze zwischen Nord- und Südkorea ist die am stärksten militarisierte Grenze der Welt: überall Raketen und Soldaten. Ich habe es mit eigenen Augen gesehen. Denn vor einigen Wochen bin ich zusammen mit anderen Ludwigsburger Pfarrern nach Südkorea geflogen, hin zu unserer Partnerkirche in Seoul. Am dritten Tag sind wir an die innerkoreanische Grenze gefahren. Sie besteht seit 70 Jahren, seit dem Ende des Koreakrieges.

Inmitten dieser öden, hochmilitarisierten Umgebung haben wir  Pfarrer Jon getroffen. Ein Mann um die 60, sehr fröhlich, sehr gebildet, sehr willensstark. Bis vor 15 Jahren ist er Pfarrer einer großen, angesehenen Gemeinde mitten in Seoul gewesen. Mit gutem Einkommen und allen Annehmlichkeiten des modernen Großstadtlebens. Doch ihn hat eine prophetische Unruhe hinausgetrieben aus der Stadt, hin an die Grenze. Jetzt steht er auf einer Baustelle und lächelt. Er erzählt: „Ich will hier ein Zeichen setzen: dass die Logik des Militärs nicht das letzte Wort hat.  Schau mal hier“, sagt er und zeigt auf seine Baustelle: „Dort entsteht ein Gästezimmer für Menschen, die an der Grenze entlangwandern. Junge Menschen aus aller Welt sind das. Pilger, die damit ein Friedenszeichen setzen wollen. Und dort drüben, in dem Haus, das wir schon länger besitzen, da essen wir alle gemeinsam, jeden Tag.“ Sein Projekt nennt er „Border Peace School“: Grenzschule des Friedens.

Gerade als Pfarrer Jon mit uns spricht, fliegt ein Schwarm von Kranichen über unsere Köpfe hinweg. In großer Ruhe und mit majestätischen Bewegungen segeln die wunderschönen Vögel durch die Luft. Pfarrer Jon sagt zu mir. „Sie fliegen über die Grenze, hinüber nach Nordkorea. Dort finden sie reichlich Nahrung. Und dann fliegen sie wieder zurück und schauen, was es hier Gutes für sie gibt. Die Kraniche sind für mich Botschafter der Freiheit: Sie überwinden jede Grenze. Und sie erinnern uns daran, dass wir nicht aufhören sollen zu träumen. Grenzen sind menschengemacht. Sie wurden aufgebaut von uns Menschen und können daher auch wieder von uns Menschen abgebaut werden. – Das bringt mich zu meiner Grundüberzeugung“, sagt Pfarrer Jon. „Frieden ist keine Illusion. Frieden ist ganz konkret. Frieden ist eine Praxis, die wir einüben. Jeden Tag, an jedem Ort, egal, wo wir gerade sind.“

Ja, meine Reise nach Südkorea hat mich sehr beeindruckt: Mit den Kranichen träumen. Von der Freiheit und davon, dass Grenzen durchlässig werden. Und mit Pfarrer Jon darum wissen, dass Frieden keine Illusion ist und keine bloße Idee. Sondern eine Praxis, für jeden einzelnen Tag.

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SWR2 Wort zum Tag

08FEB2023
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Es riecht nach Spätzle mit Soße. Meine Vorfreude auf ein gutes Essen steigt. Aber ich bin auch ein bisschen aufgeregt. „Herzlich willkommen und schön, dass Sie uns besuchen!“ Die freundliche ältere Dame lächelt mich an und hält mir die Tür auf. „Bitte gehen Sie nach dort drüben, wir zeigen Ihnen gleich, wo Sie sitzen können“, spricht mich ein weiterer Herr an. Auch er sieht mich so freundlich an und schenkt mir ein breites Lächeln. Ungefähr 100 Menschen sind schon da. Sie sitzen zu viert oder zu fünft zusammen, essen gemeinsam, unterhalten sich, lachen. Mein Blick fällt auf die liebevoll gedeckten Tische, mit Schneeglöckchen in kleinen Vasen auf grünen Tischdecken. Und ich sehe die junge Frau mit weiß gestärkter Schürze, die mit großer Hingabe einen der Tische neu eindeckt. „Das ist ja wie in einem Sterne-Restaurant“, denke ich mir und freue mich.

Aber der Raum, in dem ich bin, ist kein Sternerestaurant. Es ist der Kirchenraum der Friedenskirche in Ludwigsburg. Für drei Wochen ist er umgebaut worden, damit dort die Vesperkirche stattfinden kann. So, wie überall im Land in der kalten Jahreszeit Kirchen und Gemeindehäuser ihre Türen öffnen und für einige Wochen zu Vesperkirchen werden. Jeden Tag kommen Menschen mit und ohne viel Geld, um zu essen und Gemeinschaft zu haben. Sie zahlen 1,50 Euro und werden dann umfassend versorgt. Mit dem Motto der Vesperkirche in Ludwigsburg: „Miteinander für Leib und Seele.“ 

Was mich daran besonders fasziniert: Hier werden die Menschen angeschaut wie in einem Sternerestaurant. Mit freundlichen Blicken. Aufmerksam und zuvorkommend. Und zwar alle Menschen, egal, ob sie arm oder reich sind, jung oder alt. 

Ich merke, wie gut mir das tut. Ich entspanne mich. Ich beginne, meinen Blick zu heben und die anderen Menschen anzulächeln, obwohl ich die meisten gar nicht kenne. Denn ich erlebe das als Gast der Vesperkirche, was laut einer kürzlich veröffentlichten Umfrage auch für obdachlose Menschen am wichtigsten ist: dass ich nicht ignoriert werde, sondern mich jemand freundlich und direkt anschaut.   

Und plötzlich erschließt sich mir die Jahreslosung noch einmal ganz neu.  „Du bist ein Gott, der mich sieht“. Hier in der Vesperkirche werde ich so freundlich angesehen, wie der barmherzige Gott mich auch ansieht.

Ich will mir diesen Blick merken. Und am heutigen Tag die Menschen um mich herum auch so anschauen. Egal, ob ich in der Vesperkirche bin oder irgendwo in meinem Alltag.

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SWR2 Wort zum Tag

07FEB2023
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„Viel Glück und viel Segen auf all Deinen Wegen – Gesundheit und Wohlstand sei auch mit dabei“ – das singe ich oft bei Geburtstagen. Ich singe es mit Inbrunst und meistens, ohne mir allzu viel dabei zu denken. Doch neulich habe ich mich gefragt: „Wie hängt das eigentlich zusammen – der Segen und die Gesundheit?“

Manchmal nehme ich wahr, wie gesund ich bin. Zum Beispiel früh am Morgen, wenn ich gerade aufwache und in mich hineinspüre. Schlafwärme überall, die Glieder noch etwas schwer, aber ganz entspannt, um mich herum die warme Decke. Noch im Halbschlaf seufze ich vor Dankbarkeit. Und denke: Was für ein Segen, dass ich so gesund bin!

Und wenn ich krank bin – so wie mein älterer Nachbar, nur ein paar Häuser weiter? Er ist bettlägerig und nach einer Hüftoperation nicht mehr richtig auf die Beine gekommen. Wenn ich ihn besuche, dann ist er manchmal ganz unglücklich. Die Schmerzen, das Liegen, die Langeweile. Einfach ist sein Leben nicht. Aber ist er deshalb weniger gesegnet als ich? Nein, denke ich mir, denn er hat ja seine Frau. Was für ein Segen! Sie sorgt sich um ihn. Kocht für ihn, pflegt ihn, lebt mit ihm. „Mein Engel“, sagt er manchmal zu ihr, und ich denke mir: Das stimmt. Sie ist sein Engel, seine Segensträgerin.  - Ja, durch andere Menschen kommt Segen zu uns. In Gesundheit und in Krankheit gleichermaßen.

Segen kann sich darin zeigen, dass ich gesund bin. Aber als gesegnet kann ich mich auch dann erleben, wenn ich nicht gesund bin. Und wenn ich kaum von menschlichen Segensträgern begleitet bin. Denn Segen ist Gottes gute Gegenwart für mich. Eine ganz eigene Dimension der Wirklichkeit. Manchmal erlebe ich es, dass sich diese Gottesgegenwart mit dem verbindet, was mir das Leben erleichtert – mit Gesundheit oder mit der Fürsorge eines anderen Menschen. Das macht mich dankbar.

Doch manchmal erlebe ich diese Verbindung auch nicht. Das ist dann bisweilen schwer zu ertragen. Es macht mich ungeduldig, manchmal geradezu verzweifelt. Gott, hast Du mich verlassen? Gegen meine eigenen Fragen aber versuche ich, daran zu glaube, dass der Segen trotzdem da ist. Auch, wenn ich ihn in diesem Moment gerade nicht spüre. Denn Gott hat das ja zugesagt: dass er in seiner Gegenwart für mich dableibt. Und so werde ich ruhiger. Vorsichtige Vorfreude steigt auf in mir: Wie werde ich Gottes Segen wieder erleben? Wer wird mir heute zum Segensträger? Und kann ich einem anderen Menschen zum Segensträger werden? 

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SWR2 Wort zum Tag

06FEB2023
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Jane Miller habe ich nach meinem Abitur mitten in der zerstörten Innenstadt von Detroit kennengelernt. Sie gehört zu den Menschen, die mich am meisten beeindruckt haben in meinem Leben. Jetzt ist sie schon seit zehn Jahren tot. Aber oft denke ich noch an sie und an ihre Arbeit:   

Nach meinem Abitur habe ich ein Freiwilliges Soziales Jahr in Kanada gemacht. In diesem Rahmen habe ich auch die kleine Organisation des „Friedensgartens“ in Detroit besucht. Als wir durch die Außenbezirke von Detroit gefahren sind, haben wir uns noch gefühlt wie in einer ganz normalen amerikanischen Stadt. Weiße und schwarze Menschen bunt gemischt, ein lebendiges, fröhliches Treiben.

Doch als wir uns der Innenstadt näherten, fuhren wir in eine andere Welt. Der Fahrer unseres Busses hat erzählt: „Hier haben 1967 furchtbare Unruhen getobt. Arme schwarze Bewohner im Kampf gegen die Polizei. Die Innenstadt wurde fast ganz niedergebrannt. Bis heute ist die Innenstadt von Detroit einer der gefährlichsten Orte der USA. Verschiedene schwarze Gangs haben dieses Gebiet unter sich aufgeteilt. Und ich sage Dir, das sind wirklich harte Jungs, schwer bewaffnet, und immer wieder kommt es zu Kämpfen.“

Hinter der nächsten Ecke sind wir an unserem Ziel angekommen. Inmitten dieser Innenstadt-Wüste liegt hinter einem hohen Zaun ein riesengroßer Gemüsegarten, saftigstes Grün, eine Reihe von Himbeerbüschen, danach eine Reihe von Karotten. Viele Menschen arbeiten darin, vor allem junge Schwarze.

Uns kommt Jane entgegen, die alte Dame und Gründerin des Gartens. Weißhaarig ist sie und so dünn, dass ich mir denke: Sie ernährt sich nur noch von den Karotten, die sie selbst im Garten anpflanzt. Aber sie ist von einer ganz eigenen inneren Kraft erfüllt und sagt: „Ja, das ist erstaunlich, nicht wahr? Die jungen Schwarzen, die hier arbeiten, kommen von überall her aus verschiedenen Gangs. Siehst Du hier – der große Tisch – da müssen sie ihre Messer ablegen, wenn sie hereinkommen. Dafür bekommen sie dann eine Schaufel oder eine Hacke und gehen damit in die Beete. Schaufeln statt Messer. Das ist meine Variante des Jesaja-Spruches, der sagt: Schwerter zu Pflugscharen.

Genau zehn Jahre ist Jane nun tot. Aber ihren Gemüsegarten gibt es noch heute. Und ihre Grundidee fasziniert mich weiterhin: dass es Orte gibt, an dem sich zerstrittene Menschen begegnen. An dem sie ihre Waffen ablegen, ihre Aggression und ihre Feindschaft, und anfangen, miteinander zu arbeiten. Diese Vision kann auch heute noch Wirklichkeit werden.

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SWR2 Wort zum Tag

08OKT2022
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Im Gespräch mit einer alten Frau habe ich neulich ein Wort gehört, das mich seitdem beschäftigt. Sie hat mir von ihrer „Mutter im Glauben“ erzählt, die auf einem großen Bauernhof lebte: „Da stand diese riesengroße Scheune. Halbdunkel war’s, und wir Kinder sind immer ganz nach oben geklettert, auf den Heuboden. Vom obersten Heuballen sind wir runtergesprungen. Wir sind uns richtig mutig vorgekommen. Und zugleich haben wir uns so sicher gefühlt. Danach sind wir zum Brunnen gegangen und haben dort Eimer mit Wasser gefüllt. Ab aufs Feld haben wir sie getragen, hin zu den Schafen. Wir haben uns wie echte Hirten gefühlt – was sind wir stolz gewesen! Danach sind wir schnell zum Mittagessen ins Bauernhaus meiner Tante gelaufen. Auf dem Tisch hat schon die Suppe gedampft.

Und dann hat meine Tante mit uns ein Gebet gesprochen. Und angefangen zu erzählen. Von Gott, der wie ein Hirte ist. Der sich um uns Menschen kümmert wie um seine Schafe. Und dass das Leben im Glauben so ist, wie wenn man vom Heuboden springt: immer wieder aufregend, immer wieder ein Abenteuer. Ein Sprung, bei dem man nicht genau weiß, wo man landet. Aber man spürt, dass man gut aufgefangen wird. Von Gott.“

Die alte Frau erzählt weiter: „So ein Gebet und so ein Gespräch war etwas ganz Neues für mich. Ich komme aus einer kirchenfernen Familie. Bei uns wurde nicht gebetet. Aber wir durften im Urlaub zu meiner Tante fahren, und die hat dann mit uns gebetet. Meine Tante hatte ja keine eigenen Kinder. Doch durch die Urlaube bei ihr wurden wir so etwas wie ihre Kinder. Ihre Glaubens-Kinder, Kinder im Glauben. Als es dann bei ihr ans Sterben ging, habe ich mich ausdrücklich bei ihr bedankt. Dafür, dass sie meine Mutter im Glauben gewesen ist. Ja, sie war eine der wichtigsten Personen in meinem Leben“, hat die alte Frau gesagt.

Mich hat diese Erzählung der alten Frau ins Nachdenken gebracht.  Ich frage mich: Wer sind meine Mütter und Väter im Glauben? Menschen, die nicht meine leiblichen Eltern sind und auch nicht von Berufs wegen zu Vorbildern wurden, wie etwa mein Pfarrer. Menschen, durch die ich gemerkt habe: Das ist ja aufregend mit dem Christentum. Oder tröstlich. Oder hilfreich.

Wer ist das bei mir gewesen? Der größere Jugendliche, der damals am Lagerfeuer in der Konfirmandenzeit von Gott erzählt hat? Die ältere Nachbarin, die mich auf dem Weg zurück von der Kirche immer so freundlich gegrüßt hat?

Ich nehme mir vor, heute Abend an einen oder zwei von ihnen zu denken. Und mich bei ihnen zu melden, wenn ich ihre Adressen noch habe. Um mich nochmal ausdrücklich für das zu bedanken, was sie für mich geworden sind: Eltern im Glauben.

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SWR2 Wort zum Tag

07OKT2022
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Vor ein paar Wochen bin ich in Brüssel gewesen. Es war einer der letzten heißen Tage, die Sonne hat mit aller Kraft vom Himmel gebrannt. Am späten Nachmittag bin ich vor der Hitze und dem grellen Sonnenlicht in eine der vielen Kirchen in der Innenstadt geflohen. Meine Augen haben eine Weile gebraucht, um sich an das Halbdunkel zu gewöhnen – dann habe ich gesehen, was mich bis heute fasziniert: Überall auf dem Boden der Kirche waren herrlich bunte Lichtflecken. Hier ein großer, roter Kreis, so intensiv wie die Liebe selbst. Daneben ein blaues Dreieck, strahlend fast wie der Himmel da draußen. Etwas weiter hinten ein grüner Halbkreis, leuchtend wie frisches Frühlingsgras. Überall auf dem Boden der Kirche strahlende Lichtflecken, vielfach kombiniert in ihren Farben und Formen. Wie ein riesengroßer Blumenstrauß im Hochsommer.

Nachdem ich eine Weile fasziniert in dieses Farbenvielfalt auf dem Kirchenboden eingetaucht bin, habe ich mich umgeschaut. Woher kommt die Farbenpracht? Ich entdecke an der linken Seitenwand vier hell erleuchtete Kirchenfenster. In ihnen sind Personen dargestellt, in bunten Farben. Szenen aus der Bibel sind es. Das Sonnenlicht strahlt mit seiner ganzen Kraft in eine Maria hinein, die dort dargestellt ist. Und auch in ihre Schwester Marta. So kraftvoll werden die beiden von der Sonne angestrahlt, dass das Rot und das Blau ihres Gewandes die herrlichen Lichtflecken auf den Kirchenboden werfen. Die Umrisse der Gestalten haben sich aufgelöst, aber ihre Leuchtkraft ist geblieben.

Ich denke mir: Was ich hier sehe, ist wie ein Gleichnis auf das Leben außerhalb dieses Kirchengebäudes. Immer wieder begegne ich Menschen, die etwas ausstrahlen. Eine Frau wie Marta, die dreimal in der Woche einer Ukrainerin hilft. Ein Mann wie Maria, der beim Beten eine große Kraft ausstrahlt.  Das macht mein Leben so bunt und vielfarbig wie der Kirchenboden hier drin. Und ich glaube: Diese Menschen strahlen etwas aus, weil sie selbst angestrahlt werden. Von einer größeren Lichtquelle, der wahren Sonne. Von Gott. So, wie die Sonne in die Kirchenfenster hineinstrahlt und die Personen in den Kirchenfenstern dadurch vielfarbige Lichtflecken auf den Boden werfen, so bringt Gott Menschen zum Strahlen. Ihr Auftreten und ihr Tun wird vielfarbig und hell.

Wie gut, dass Gott Menschen nutzt, um durch sie hindurch Licht in die Welt zu bringen. Heute will ich besonders aufmerksam sein: Wenn mir ein Mensch etwas Gutes tut, was mein Leben bunter macht und zum Leuchten bringt – dann will ich der wahren Lichtquelle dahinter danken. Gott, der Sonne des Lebens.

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SWR2 Wort zum Tag

06OKT2022
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Manchmal kann ich nachts nicht schlafen. Ich liege dann eine Stunde wach oder zwei. Mich umkreisen dunkle Gedanken. Ich frage mich: „Hätte ich für diesen Menschen in Not nicht noch viel mehr machen müssen? Und bin ich gut genug vorbereitet für den kommenden Tag?“ Diese Gedanken bedrängen mich. Die Christen aus alter Zeit hätten gesagt: Sie sind wie Dämonen, die mich attackieren. – Manchmal mache ich in diesen Nachtstunden das Fenster auf und horche hinaus in die Dunkelheit. Dann scheint es mir so, als ob ich von weit her Gesang höre und Gebete. Vielleicht steigen diese Geräusche auch nur aus meiner Seele auf, denn ich weiß ja: Da sind noch andere, die wachen. Die singen und beten, auch mitten in der Nacht.

Tatsächlich widmet sich ein ganzer Orden dieser Tätigkeit: der Kartäuserorden, gegründet von Bruno von Köln. Heute ist sein Gedenktag. Das, was Bruno da ins Werk gesetzt hat, fasziniert mich ebenso, wie es mich in seiner Radikalität erschreckt. Und manchmal, nachts, tröstet es mich auch.  

Was hat Bruno getan? – Mitte des 11. Jahrhunderts hat er gegen bestechliche Kirchenfürsten gekämpft. Dann aber hat er die Berufung zu anderen Kämpfen gespürt: „Ich will um die Reinheit der Seele kämpfen. Und wie Jesus fechte ich diese Kämpfe in der Einsamkeit aus. In der Wüste. Dort kämpfe ich mit den Dämonen. Das reinigt meine eigene Seele. Und ich kann dann Fürbitte halten für andere Menschen.“ So hat Bruno gedacht.

Doch er hat in Frankreich gelebt, und dort gibt es bekanntlich keine Wüsten. Daher ist er mit seinen sechs Gefährten in ein Wüsten-ähnliches Gebiet gegangen: in die Einsamkeit der Alpen nördlich von Grenoble. Im Jahr 1084 hat er dort das Mutterkloster der Kartäuser gegründet, die Grande Chartreuse.

Doch Bruno hat sich nicht nur einem Wüsten-Ort ausgesetzt, sondern auch einer Wüsten-Zeit: der Mitte der Nacht. Da erleben Menschen vielleicht am stärksten ihre Einsamkeit. Da werden wir manchmal von unseren dunklen Gedanken umkreist wie von Dämonen. Deshalb halten die Kartäusermönche bis heute ihren Hauptgottesdienst mitten in der Nacht: von Mitternacht bis 2 Uhr morgens. Wie Wächter für die ganze Welt stehen sie da vor Gott. Sie loben ihn und beten für die Menschen, denen es schlecht geht.

Menschen wie mich, wenn ich mal wieder nicht schlafen kann. Aber wenigstens weiß ich: Es gibt andere Menschen, die beten. Für mich und für alle, die sich einsam und bedrängt fühlen, mitten in der Nacht. So werde ich Teil einer großen Gemeinschaft, über alle Länder- und Konfessionsgrenzen hinweg.  

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SWR2 Wort zum Tag

13JUL2022
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Trottellummen sind bezaubernde kleine Vögel. Schwarz mit weißer Brust, 15 Zentimeter groß. Fast ihr ganzes Leben verbringen sie draußen auf dem Meer. Außer, wenn sie Junge bekommen. Dann kommen sie nach Helgoland. Dort nisten sie auf den winzigen Vorsprüngen einer Felswand und brüten ihre Eier aus.

Vor vier Wochen war ich dort und habe sie mit eigenen Augen gesehen.  Es war schon spät, gegen 22 Uhr. Hoch im Norden ist es noch hell, aber auch hier beginnt die Sonne, langsam unterzugehen. Ich wandere auf der Hochebene im hinteren Inselteil. Dort liegt der berühmte Vogelfelsen.  Eine Felsformation, an der die Hochebene abbricht. Blanker, roter Fels, 60 Meter geht es steil hinunter, und unten direkt das Meer. In diesem Felsen, und um ihn herum Vögel, tausende von Vögeln. Kreischende Möwen ziehen ihre Kreise über mir, eine flattert direkt vor meine Füße und schaut mich neugierig an.

Aber die eigentliche Sensation dieses Vogelfelsens sind die Trottellummen. Bei den Küken kommt drei Wochen nach dem Schlüpfen ihr großer Tag: der Tag des Lummensprungs. Die kleinen Lummen müssen ins Meer, um dort ihr Fressen selbst zu besorgen. Aber sie können noch nicht fliegen. Daher müssen sie springen – 40 Meter tief, von ihrem kleinen Felsvorsprung direkt ins Meer. – Neben dem kleinen Lummen steht die Mutter und feuert es an. Unten im Wasser schwimmt der Vater, schaut nach oben und ermuntert das Junge mit seinen Rufen zu springen. Verständlicherweise zögert das Kleine, geht zwar einen halben Schritt vor und schaut nach unten, traut sich aber nicht.  Dann nimmt es allen Mut zusammen – und springt. Raus aus seiner Kinderstube, rein ins neue Leben. Der Vater, ganz stolz, nimmt es unten in Empfang und zeigt ihm, wie das geht: sich selbst zu versorgen.

Ich sehe den Lummensprung und denke mir: So ist das auch bei uns Menschen – auch wir müssen manchmal ganz schön große Sprünge machen. Hinein in die Freiheit, in ein neues Leben. Ich habe selbst erfahren, dass Gott mir den Mut gibt, so zu springen. Und dass Gott mir Menschen zur Seite stellt, die dabei helfen. Als ich aus dem Norden hierher nach Süddeutschland gezogen bin. Erst kannte ich hier fast niemanden, und nun freue ich mich an so vielen Freunden und Bekannten.

Ich frage mich: Welcher Mensch braucht heute meine Ermutigung, um selbst loszuspringen? Oder welchen Menschen muss ich in Empfang nehmen und ihn loben, weil er einen großen Sprung hinter sich hat?

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SWR2 Wort zum Tag

12JUL2022
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In Bremen sagt man zur Begrüßung „Moin“. Ich bin dort geboren und weiß: „Es heißt nicht „Hallo“ und auch nicht „Moin, Moin“. „Moin, Moin“ ist schon Gesabbel, sagen die Bremer, also: zu viel gesagt. Und zu viel zu sagen ist dort sehr verpönt.

Weil ich das von zuhause so gewohnt bin, grüße ich auch hier in Süddeutschland immer mal wieder mit „Moin“. Die Menschen erkennen mich dann meist als Norddeutschen und wissen ungefähr, was gemeint ist. Und insgesamt komme ich damit gut durch den Tag.

Aber neulich war ich wieder im Norden. Auf einmal sahen mich die Leute nach meinem Moin-Gruß so merkwürdig an, und nach einer Weile wusste ich auch, warum. Ich benutzte zwar das norddeutsche Wort „Moin“. Aber ich habe es auf süddeutsche Weise gesagt. Ich habe viel zu schnell gesprochen. Zu aktivistisch, mit zu viel Tatendrang. Die Norddeutschen sagen das ganz tiefenentspannt. So, dass der Wind und die Weite der Landschaft in dem Wort Platz haben. Ich sage: „Moin“, und die Norddeutschen sagen: „Moooin.“   

Ich denke mir: Wie interessant! Was jemand sagt, sagt noch nicht viel darüber aus, zu welcher Menschengruppe er gehört. Innerlich. Da sagt einer „Moin“, aber innerlich ist er vielleicht gar kein Norddeutscher mehr. Oder jemand sagt „Salam aleikum“. Aber innerlich gehört er gar nicht mehr zu den Arabern. Oder er sagt „Grüß Gott“, aber er ist kein Bayer mehr. Zumindest nicht ausschließlich, nicht so, dass er sich selbst ganz und gar dadurch definiert. Wir sind innerlich vielfältiger, als es unsere Worte zum Ausdruck bringen. In mir leben gleichermaßen meine Bremer Herkunft, die Jahre im Ausland und meine süddeutsche Gegenwart. Alle prägen mich in eigener Weise. Wenn mich in Zukunft jemand begrüßt, will ich seinen ersten Worten weniger Gewicht geben. Ich will stärker entdecken, welche verschiedenen Einflüsse ihn prägen.

Und dann denke ich mir noch: Nichts gegen die Tatkraft von Süddeutschland – aber manchmal vermisse ich die Gelassenheit des Nordens. Den Wind und die Weite. Das, was im „Mooooin“ zwischen all den o-s zum Ausdruck kommt. Und ich überlege mir, was mir auch fern der Heimat ein dieses Gefühl von Gelassenheit und von Weite geben kann. Mir fällt ein Psalmvers ein: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum.“ Ja, so will ich den Tag heute angehen: In der Gewissheit, dass Gott mir Weite schenkt. Und den nächsten Menschen, den ich treffe, werde ich in Ruhe grüßen: mit einem ganz gelassenen „Moooin“.

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