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SWR2 Wort zum Tag

21FEB2024
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Da sitzt er bei der Pressekonferenz: Jürgen Klopp, die Trainerlegende des Fußballs. Der 2015 mit seinem Charisma und seiner Kompetenz von Dortmund nach Liverpool ging. Um einen Verein ganz neu aufzubauen. Einen Verein, der einen großen Namen gehabt hat, aber schon lange keine großen Erfolge mehr. Doch mit Jürgen Klopp sind die Erfolge wiedergekommen: der Gewinn der Champions League und dann, nach über 30 Jahren und mindestens genauso heiß ersehnt, 2021 die englische Meisterschaft. Gegen Pep Guardiola und die Übermannschaft Manchester City. Da sitzt also einer der erfolgreichsten Fußballtrainer der Gegenwart und sagt: „Ich habe da langsam nicht mehr die Energie für. Ich kann das nicht mehr immer und immer wieder machen. Und ich schulde Euch wenigstens die Wahrheit über diese Dinge.“

Einer, dem immer alles gelungen ist, spricht von seinen Grenzen. Davon, was er nicht mehr lange kann. Ich frage mich: Was ist eigentlich die größere Leistung von Kloppo: sein Team so fit zu bekommen, dass sie gemeinsam die Champions League gewinnen? Oder dann öffentlich zu sagen: „I am running out of energy – ich habe keine Energie mehr?“ Hier sind meine Grenzen. Hier geht es für mich nicht mehr weiter. Das schaffe ich nicht mehr.

Ich will das gar nicht gegeneinander ausspielen. Aber mich beeindrucken die Sätze dieser Pressekonferenz genauso wie die großen Erfolge. Dass er seine Grenzen so gut wahrnehmen kann. Und dann öffentlich benennt. Das ist Selbstreflexion auf Champions-League-Niveau. Ausweis einer eigenen inneren Meisterschaft. Es ist ein Ausweis von Stärke, sagen zu können, dass man gerade nicht stark ist. Gerade für einen starken Menschen ist es ein Ausweis von Stärke, die eigenen Grenzen zu erkennen. Denn das ermöglicht, Hilfe und Kraft von außen anzunehmen. Und die brauchen wir alle, egal, wie stark wir sind.

Woher hat Jürgen Klopp diese ganz eigene Stärke? Das hat er bei der Pressekonferenz nicht gesagt. Aber an anderer Stelle hat er darauf hingewiesen, dass er überzeugter Christ ist. Aus seinem Glauben lebt. Vielleicht kennt er den Satz aus der Bibel, in dem Gott sagt: „Meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ Wenn ich mir und anderen meine Schwäche und meine Grenzen eingestehe, öffne ich mich für Gott, damit er mir neue Kraft gibt. Und so frage ich mich: Wo bin ich heute so stark, dass ich die Grenzen meiner Stärke erkenne? Und öffentlich benenne – in der Familie oder bei der Arbeit? Mit Gottes Hilfe: Wo mache ich heute den Kloppo?

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SWR2 Wort zum Tag

20FEB2024
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Vor ein paar Wochen habe ich mit meiner Konfirmandengruppe Ewigkeitskisten gebastelt. Ewigkeitskisten sind Schuhkartons, in die die Jugendlichen ihre eigenen Vorstellungen der Ewigkeit hineinbasteln.

Dazu gibt es buntes Papier und goldene Pappen, Wollknäule in den verschiedensten Farben, Knet und Kleber. Zuerst wurde viel gekichert.  Aber dann haben unsere Konfirmanden immer ernsthafter damit angefangen, ihren Vorstellungen der Ewigkeit Gestalt zu verleihen. Und als wir einander nach einer Stunde die Ergebnisse präsentiert haben, haben wir darüber gestaunt, wie unterschiedlich die Ewigkeitskisten geworden sind. Aber eins hatten sie alle gemeinsam: Die Ewigkeit ist wunderschön. 

Eine Kiste glänzt vor lauter Goldpapier: nicht nur der Boden des Schuhkartons, sondern auch die Wände sind ganz golden ausgestaltet. In der Mitte auf dem Boden findet sich ein Tor aus gelbem Knet, und ein Weg aus glänzendem Tonpapier führt dorthin. Eine Jugendliche sagt: „Wir haben einmal gehört, dass wir wie in ein helles Licht hineingehen, wenn wir sterben. So als ob Gottes Herrlichkeit überall da ist. Aber wenn man dann wirklich tot ist – geht man nochmal woanders hin. Wie durch ein Tor. Da wird alles in mir hell, von Gott her.“

Eine andere Kiste hat einen ganz anderen Ansatz: Sie zeigt nicht den Himmel, sondern die Erde. Dazu teilt sie den Boden des Schuhkartons in vier Bereiche. Berge sind dort zu sehen und das Meer. Ein kleiner Wald und ein Haus. Und ein Weg, der alle vier Bereiche miteinander verbindet. „Das sind die Lieblingsorte des Toten“, sagt eine Jugendliche, „vielleicht ist die Ewigkeit ja eher eine Art von Reise. Man begibt sich nochmal an die Orte, die einem besonders wichtig waren. Und entdeckt die Lieblingsorte von anderen Menschen.“

Ich mag die Idee dieser Kiste. Dass die Ewigkeit für uns nicht nur ein fester Ort bei Gott ist. Nicht nur helles Licht im Himmel und Goldglanz. Sondern, dass ich in der Ewigkeit in Bewegung bin.

Dadurch bekommt auch mein jetziges Leben mehr Gewicht. Es ist, als ob der Goldglanz der Ewigkeit bereits hier manchmal aufleuchtet. In einer schönen Situation, bei einer wunderbaren Begegnung mit einem anderen Menschen. Und auch dann, wenn ich traurig bin über den Tod eines Menschen – vielleicht ist dieser Tote heute an seinem Lieblingsort? Es tröstet mich, dass ich mich dem Toten nahe fühle - und dass er zugleich umstrahlt ist vom Goldglanz Gottes

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SWR2 Wort zum Tag

19FEB2024
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Vor hundert Jahren war das eine echte Sensation: Die US-Amerikanerin Margaret Mead ist im Alter von gerade einmal 23 Jahren auf die kleine Inselgruppe Samoa in den südlichen Pazifik gereist. Ohne Begleitung. Sie hat dort einige Jahre lang gelebt und mit heranwachsenden jungen Frauen Gespräche über ihre Rolle in den traditionellen Gesellschaften geführt. Das daraus entstandene Buch hat das Verständnis menschlicher Verhaltensweisen stark beeinflusst und ist ein echter Bestseller geworden. Denn Margaret Mead hat herausgefunden, wie stark Menschen durch ihre jeweilige Kultur und Gesellschaft geprägt sind. Auch in der grundlegenden Frage, was uns Mensch zu Menschen macht.

Als sie später eine berühmte Professorin war, hat eine Studentin diese grundlegende Frage aufgenommen und sie einmal gefragt, was ihrer Meinung nach das erste Zeichen der Zivilisation ist. Wo also die Trennlinie zu ziehen ist zwischen tierischen und menschlichen Verhaltensweisen.

Die Studentin hatte wohl erwartet, dass Mead über das Feuer sprechen würde oder über Angelhaken, Tontöpfe und Schleifsteine. Aber nein, Mead hatte einen ganz anderen Ansatz. Sie hat gesagt: „Das erste Zeichen, das uns sicher zeigt, dass wir es mit Zivilisation zu tun haben, ist ein Oberschenkelknochen. Genauer: ein gebrochener und wieder verheilter Oberschenkelknochen. Warum das so ist? Nun, ein Tier stirbt, wenn es sich das Bein bricht. Denn wenn Tiere sich ein Bein gebrochen haben, können sie nicht mehr vor einer Gefahr fliehen. Sie können auch nicht zum Fluss gehen, um etwas zu trinken oder nach Nahrung zu suchen. Als Tier mit gebrochenem Bein bist du nur noch Fleisch für andere umherstreifende Tiere. Kein Tier überlebt einen Beinbruch lange genug, damit der Knochen heilen kann.

Ein gebrochener Oberschenkelknochen, der verheilt ist, ist dagegen ein Beweis dafür, dass sich jemand die Zeit genommen hat, bei dir zu bleiben. Auf dich aufzupassen. Er hat deine Wunde verbunden, dich in Sicherheit gebracht und dich während der Genesung betreut.Und genau das ist der Beginn der Zivilisation: Jemand anderem zu helfen, wenn er in Schwierigkeiten ist.“

Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Antwort heutzutage umstritten. Aber ich nehme den Impuls gern auf, der in der Position von Margaret Mead liegt: Jede menschliche Zivilisation gründet darin, dass wir einander helfen. Wenn jemand sich ein Bein gebrochen hat oder das Herz. Wir werden dadurch zu Menschen, dass wir einander unterstützen in Situationen der Not. Ich finde: In einer Gesellschaft, die über zunehmende Verrohung klagt, ist die Entdeckung von Margaret Mead aktueller denn je.  

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SWR2 Wort zum Tag

21OKT2023
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Im Sommer bin ich mit meiner Familie in Schweden gewesen, zwei Stunden nördlich von Stockholm. Es war ein Urlaub wie aus dem Bilderbuch: Tatsächlich haben wir in einer rotweißen Ferienhütte mit einer riesengroßen Wiese davor gewohnt und ganz viel Wald um uns herum. Ich hätte da einfach stundenlang nur vor mich hinträumen können, aber nach ein paar Tagen hat meine Tochter zu mir gesagt: „Du hast uns doch ein echtes Abenteuer versprochen! Wie wär’s, wenn wir heute mal draußen schlafen.  In unserem Zelt. Das haben wir doch extra mitgenommen.“

Also gut. Mitten auf der Wiese haben wir das Zelt aufgeschlagen und dabei das Überzelt weggelassen. Denn auf diese Weise können wir direkt nach oben schauen, in den Himmel. Als die Dämmerung angebrochen ist, haben wir die Isomatte und den Schlafsack genommen mitsamt dem extragemütlichen Kopfkissen und sind ins Zelt gezogen. Es war erstaunlich bequem auf dem Rücken, so fest verbunden mit der Erde, die Blicke in die letzte Helligkeit über uns. „Guck mal, Papa, da drüben – ganz klein, der erste Stern, siehst Du ihn auch schon?“ hat meine Tochter gesagt. Und da hat sich bereits der zweite gezeigt und der dritte. Und schon ging es los, worauf meine Tochter gehofft hatte: ein echtes Abenteuer.

Denn bald ist der ganze Himmel übersät gewesen mit Sternen. Eben noch habe ich festverbunden auf der sicheren Erde gelegen und irgendwo über mir die Sterne gesehen. Doch plötzlich hat es sich so angefühlt, als wären wir mittendrin in dieser Sternenwelt: über mir Hunderte, links und rechts davon auch. Wir: wie eingesogen vom Nachthimmel. Wie Schweben für Anfänger.  Meine Tochter, das Zelt, ja selbst Wiese und Wald hatten alle Erdenschwere hinter sich gelassen. Grandios, das zu spüren: ein Teil des Universums zu sein. Umgeben von Milliarden von Sternen, die alle größer sind als unsere winzige Welt.

Und in dieses Staunen hinein stiegen Teile eines Kinderliedes in mir auf, das ich oft für meine Tochter gesungen habe: „Weißt Du wie viel Sternlein stehen – an dem blauen Himmelszelt? – Und die Antwort: Gott der Herr hat sie gezählet – dass ihm auch: nicht eines fehlet – an der ganzen großen Zahl – an der ganzen großen Zahl“ – Und als ich das dann angefangen habe zu summen, hat sich meine Tochter zu mir gedreht und gesagt: „..kennt auch Dich und hat Dich lieb – kennt auch Dich und hat Dich lieb.“  

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SWR2 Wort zum Tag

20OKT2023
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Auf dem Weg in den Sommerurlaub bin ich in meiner alten Heimat vorbeigekommen, in Bremen. Am Nachmittag bin ich dort auf den Deich gestiegen und da standen sie wie eh und je: ganz viele Schafe, wollig und weiß. Dazwischen die jungen Lämmer, die aufgeregt durcheinander laufen. Und dann diese Geräusche: ein zartes „mäh“ hier, ein energisches Mutter-„mä-hä“ dort. Und dazu weht ein warmer Wind, wie direkt vom Paradies her.

Plötzlich höre ich wieder ein „mäh“, aber dieses Mal ganz verzweifelt. Ich drehe mich um und sehe ein kleines schwarzes Lämmlein. Es scheint zu humpeln, und von der Herde ist es getrennt durch einen breiten Graben. Wahrscheinlich ist es die Wiese langgelaufen und ist dann einmal zu viel falsch abgebogen. Hinüber über den schmalen Steg, der über den Graben führt, der Steg ist halb eingebrochen, vielleicht hat es sich dabei verletzt. Und jetzt steht es da, auf der anderen Seite, ganz allein. Getrennt von mir und den anderen Schafen durch diesen Graben.

Das kenne ich auch gut, dass ich irgendwo allein stehe. Vielleicht habe ich einen Fehler begangen – ich habe gesprochen, ohne hinreichend nachzudenken, und dabei jemand anderes verletzt. Oder ich habe mich selbst isoliert durch eine blöde Bemerkung. Oder ich weiß, dass ich meinem Nachbarn hätte helfen sollen. Aber ich habe es nicht getan, und ich kann mir das nur schwer verzeihen. Solche Situationen trennen mich von Anderen. Ich fühle mich wie das schwarze Lämmlein auf dem Deich.

Da höre ich von ferne eine weitere Stimme, dieses Mal eine menschliche. „Ruhig, Kleines, ich komme ja schon“, höre ich. Von weitem kommt der Bauer hergelaufen in seinen hohen grünen Gummistiefeln. Beruhigend redet er auf das Lamm ein. Das Lamm humpelt ihm freudig entgegen. Der Bauer nimmt es vorsichtig unter den Arm. „Das ist ja nochmal gutgegangen“, sagt er zu mir, „ich freue mich ja immer so sehr, wenn ich einen von den kleinen Ausreißern wieder einfange.“ Spricht’s, winkt mir zu und setzt sich wieder in Bewegung. 

Ich fange auch an, mich zu freuen. Ein biblisches Bild legt sich über das, was ich gerade erlebt habe: Wenn ich heute etwas falsch mache oder irgendwo schräg abbiege, dann ist Gott der gute Hirte schon unterwegs zu mir. Und ich kann ihm entgegenhumpeln, und er wird mich hochheben und zurücktragen ins warme, volle Leben. 

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SWR2 Wort zum Tag

19OKT2023
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Es herrscht Krieg im Libanon, viele Kinder verlieren ihre Eltern. Nicht nur heute, auch im Jahr 1860 war das schon so. Ein Mann reist mutig und großherzig ins Kriegsgebiet und holt sechs Waisenkinder zu sich. Einige Monate später sind es schon über 40 Kinder, die bei ihm wohnen. 143 Jahre ist das jetzt her. Seit vielen Jahren tragen diese Schulen seinen Namen und sind ein Leuchtfeuer des interreligiösen Lernens: Es sind die Schneller-Schulen. Und heute ist der Schneller-Gedenktag.

Johann Ludwig Schneller war ein armer Bub von der Schwäbischen Alb. 1820 wird er in eine Bauernfamilie hineingeboren, bekommt aber die einmalige Chance, sich zum Lehrer ausbilden zu lassen und nach Basel zu gehen, zur Chrischona-Missionsschule. Zusammen mit seiner Frau Magdalene lässt er sich 1854 hinausschicken in den Nahen Osten. Ein pietistischer Missionar unter anderen. Aber bald kauft er vor den Toren Jerusalems ein eigenes Grundstück und beginnt das aufzubauen, wofür er bis heute berühmt ist: seine Schule für Waisenkinder.

Schnellers Motivation heißt: „Was ist bildsamer, was ist verheißungsvoller als ein Kind?“ Und er meint damit: jedes Kind ist verheißungsvoll, unabhängig von seiner Nationalität. Er nimmt sie alle auf und bildet die Kinder zuerst rein schulisch, ehe sie ab 14 Jahren eine handwerkliche Ausbildung machen. „Hilfe zur Selbsthilfe“ nennen wir das heute, und Schneller eröffnet dafür eine Bäckerei und eine Töpferei. Als Schneller 1896 stirbt, leben 200 Kinder aus unterschiedlichen Nationen zwischen 4 und 17 Jahren in seinem „Syrischen Waisenhaus“. Dessen Gelände umfasst ein größeres Gebiet als die damalige Jerusalemer Altstadt!    

Schnellers Söhne leiten die Schule weiter, ehe die Arbeit im Ersten Weltkrieg schwieriger wird. Zu Beginn des Zweiten Weltkrieges schließen die Briten die Schule sogar. Aber Schnellers Sohn Helmut gründet Anfang der 1950er Jahre eine Schneller-Schule im Libanon und sein Enkel in den 1960er Jahren eine in Jordanien.

Beide Schneller-Schulen gibt es bis heute. In ihnen leben und lernen muslimische und christliche Kinder aus verschiedenen Ländern nicht nur Mathe und Schreinern, sondern vor allem: gut zusammenzuleben. Die Ereignisse der letzten Woche haben uns in furchtbarer Weise in Erinnerung gerufen, dass der Grundansatz von Schneller aktueller ist denn je: Leben zu teilen. Gemeinsam Projekte anzugehen. Um im Alltag zu lernen, dass die Andere genauso ein Mensch ist wie ich. So sind die Schneller-Schulen auch heute ein Leuchtturm des Friedens im Nahen Osten und für die ganze Welt.

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SWR2 Wort zum Tag

26JUL2023
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eute ist für viele hunderttausend Kinder und Jugendliche in Baden-Württemberg ein ganz besonderer Tag: der letzte Schultag! Und das heißt für die kids auch: Heute gibt`s Zeugnisse!

Ich sehe es noch wie in einem Film vor mir, wie das damals bei mir gewesen ist: Ich sitze in der Klasse und Frau Niebuhr hält den Stapel mit den Zeugnisheften in der Hand. Langsam kommt sie auf mich zu. Mein Herz pocht, als ich das Zeugnisheft vorsichtig aufschlage. Mich überkommt eine Flut verschiedener Gefühle. Die Freude, dass ich in Geschichte die eins bekommen habe. Da hat sich der Einsatz doch gelohnt! Der Frust, dass ich in Mathe wieder nur bei einer drei gelandet bin. Und die Scham, dass ich in Erdkunde so schlecht bin. Wenn ich ehrlich bin, hätte ich da einfach mehr für machen können. - Da klingelt es schon, Zeit, nach Hause zu gehen und das Zeugnis den Eltern zu zeigen.

Wie würde es aussehen, wenn ich das Zeugnis nicht meinen Eltern zeigen würde – sondern Gott? Würde Gott sich mein Zeugnis überhaupt anschauen? Ich meine: Ja. Gott sind Noten nicht einfach egal. Ich glaube, dass Gott sich über gute Schulnoten freut. Er hat uns Talente mitgegeben und wir sollen sie nutzen. Davon erzählt Jesus in einem Gleichnis: Das Himmelreich ist wie ein Mann, der außer Landes geht und vorher dem einen Knecht einen Taler gibt, einem anderen zwei Taler und einem dritten fünf Taler. Nach einigen Jahren kommt der Mann zurück und erkundigt sich, was die Knechte aus ihren Talern gemacht haben. Der eine Knecht hat seine fünf Taler gut genutzt und dadurch fünf weitere dazugewonnen. Der zweite hat seine zwei Taler dazu genutzt, aus den zweien vier zu machen. Nur der Knecht mit dem einen Taler hat ihn einfach in der Erde vergraben. Da schimpft der Mann mit dem Knecht, der seinen einen Taler nicht gebraucht hat und lobt die anderen Knechte. So ist es auch mit Gott: Er will, dass wir die Talente nutzen, die wir von ihm empfangen.

Ja, Gott würde sich mein Zeugnisheft anschauen. Aber dann würde er es langsam zuschlagen. Er würde mich direkt ansehen und lächeln. Und sagen: „Noten sind nicht egal. Und nächstes Schuljahr lernst Du mal von Anfang an für Erdkunde. Aber jetzt sind erstmal Ferien. Und da lebst Du mit Freuden das aus, was immer überall stimmt: Egal welche Noten Du hast, Du bist mein geliebtes Gotteskind.“

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SWR2 Wort zum Tag

25JUL2023
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Vor einigen Wochen habe ich den Evangelischen Kirchentag in Nürnberg besucht. An einem Morgen bin ich in einem Saal gewesen, der brechend voll war, vielleicht 500 Menschen, dicht an dicht, und ich mittendrin. Das Besondere: Im Saal war nicht nur das übliche Kirchentagspublikum, sondern eine auffällig bunte Mischung unterschiedlichster Typen.  Da habe ich ein paar ältere weiße Männer wie mich selbst gesehen. Aber eben auch viele Menschen anderer Hautfarben. Und dann erst das Podium: ein Fest der Vielfalt. Und von ihnen allen die Auffälligste, die Strahlendste: die Frau mit dunkler Hautfarbe und pinkem Hosenanzug, eine der bekanntesten Persönlichkeiten des ganzen Kirchentages – Sarah Vecera. Insta-Queen, erfolgreiche Autorin, vor allem: Anti-Rassismus-Kämpferin, und der Star dieser Veranstaltung.

Ihr Thema: Kirche als „safe space“, als „sicherer Ort“ – für queere Menschen und für Menschen verschiedener Hautfarben, für People of Colour.  „Ja“, so das Fazit von Sarah Vecera, „leider gibt es auch in der Kirche viel Rassismus und viel Queer-Feindlichkeit. Daher ist es wichtig, dass die Kirche ein sicherer Ort für alle wird, ein ‚safe space‘. Und um das zu werden, muss die Kirche vor allem auch noch etwas Anderes sein: nicht nur ein safe space, sondern auch ein ‚brave space‘ – ein Ort des Mutes. Ein Ort, an dem wir zusammen mutig sind.“ Diese Formulierung ist mir hängen geblieben: a brave space. Ein Ort, an dem wir uns trauen, das zu sagen, was wir wirklich meinen. Ein Ort, an dem wir uns trauen, die allzu Sicheren aufzuschrecken, um auch den Suchenden sichere Räume zu bieten. Und denen, die diskriminiert werden. Und vor allem: Wir sollten ein Ort sein, an dem wir uns trauen, mit ganz neuen Ideen und auf ganz neue Weise Kirche zu sein. Gerade so sind wir Kirche Jesu Christi.

Seitdem überlege ich, wie ich in meinem Umfeld dazu beitragen kann, mutiger zu sein. Und anderen Mut zu mehr Mut zu machen. In der Kirche und außerhalb der Kirche. Vielleicht lasse ich meinen Arbeitskollegen zehn Minuten lang seine Sicht der Dinge erzählen, auch wenn er ganz anderer Meinung ist als ich? Und ich unterbreche ihn dabei nicht? Oder ich höre mir einen Podcast von einer Person an, die mir von ihren Diskriminierungserfahrungen erzählt? Und dann gehe ich zu meiner Kirchengemeinde und beginne, mit den Verantwortlichen vor Ort darüber zu reden, wie wir für unsere Gemeinde offener werden können, glaubwürdiger. Eben: ein echter brave space. 

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SWR2 Wort zum Tag

24JUL2023
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3 Minuten vor 8 – und was habe ich heute Morgen schon alles nicht gemacht! Ich war bisher nicht joggen und werde daher nicht fit in den Tag starten. Auch das Radio habe ich gerade erst eingeschaltet und schaue daher gänzlich uninformiert in meine Kaffeetasse. Ich habe einfach vor mich hingewurschtelt und bin sogar fast zu müde, um mir klarzumachen, was ich schon alles verpasst habe.

Und wie wird das erst heute Abend sein, um 3 Minuten vor 11 – was ich da alles nicht gemacht haben werde! Wahrscheinlich wird die Wäsche noch nicht im Wäschetrockner sein und das schöne Sommerkonzert werde ich wieder verpasst haben. Mein Tag wird weiterhin dasselbe Durcheinander gewesen sein wie so oft. Ich werde manches schwungvoll beginnen, anderes routiniert weiterführen und vieles nicht zu Ende bringen. Weil ich ständig unterbrochen werde von dem, was das Leben fordert.

Immerzu verpasse ich etwas, und das nervt mich ganz schön. Ein Freund aus England hat mir dazu neulich einen guten Rat gegeben. Er hat gesagt: „Schau, es gibt auch eine Freude daran, etwas zu verpassen, auf Englisch: – a joy of missing out. – Freu Dich doch darüber, dass Du nicht überall mit dabei sein musst.“

Dieser Gedanke hat meine Perspektive verändert. Ich merke, dass die ‚joy of missing out‘ für mich zweierlei bedeutet. Zum einen die Freude darüber, dass Gott die ganze Welt mit Gutem überschüttet. Wie es im Psalm heißt: ‚Herr, Deine Güte reicht, soweit die Wolken gehen‘. Freue Dich darüber, dass es so viel Gutes gibt. Zum anderen: Nimm auch wahr, dass Du nur ein Mensch bist. Als Mensch kannst Du nicht bei allem mitmachen. Aber Du musst es auch nicht. Ein Grund zur Freude!

Ich nehme mir für heute Abend vor, das einmal auszuprobieren. Statt mich zu ärgern, will ich mich darüber freuen, dass ich Dinge verpasse. Dinge, die mich nerven: Prima, heute muss ich nicht die Steuererklärung machen. Aber ich will mich auch daran freuen, dass ich an manchem Schönen nicht teilhabe. Ja, dieses Sommerkonzert ist fantastisch, aber ich werde heute Abend da nicht hingehen. Es ist gut für mich, stattdessen zu Hause zu sitzen. Ganz in Ruhe. Nur für 10 Minuten. Das will ich in Freuden genießen. Und mit Gelassenheit betrachten, dass ich nicht überall dabei bin. Heute Abend, da will ich es einmal ganz bewusst spüren: the joy of missing out.     

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SWR2 Wort zum Tag

06MAI2023
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„Lege Wert auf gute Gesellschaft – auch wenn Du allein bist“ – diesen Spruch habe ich auf einer Postkarte bei einer alten Dame entdeckt, die ich neulich besucht habe. Als die Frau  gesehen hat, dass ich den Spruch gelesen habe, hat sie mir zugelächelt. „Ja“, sagt sie, „das ist ein altes ungarisches Sprichwort. Als mein Mann gestorben ist, hat mir eine Freundin diese Karte geschenkt. Und seitdem lebe ich entsprechend: Ich lege Wert auf gute Gesellschaft – auch, wenn ich alleine bin.“

Da bin ich neugierig geworden: „Wie wird man sich denn selbst zur guten Gesellschaft?“, will ich wissen. „Es gibt dafür kein Patentrezept“, antwortet sie, „aber für mich sind drei Aspekte wichtig. Zuerst einmal muss ich meine Situation annehmen. Ich darf mich nicht davor verstecken, dass nur ich es bin, die ich gerade als Gesellschaft habe. Ich darf mich nicht vor mir selbst verstecken. Das heißt für mich: Jeden Morgen mache ich nach dem Wort zum Tag das Radio aus und lege die Zeitung zur Seite. Ich atme ruhig ein und aus und spüre in mich hinein. Ich kann mir nur dann selbst eine gute Gesellschaft sein, wenn ich weiß, wie es mir gerade geht. – Und dann mache ich am Tag mindestens eine Sache, die mir guttut. Ich gehe spazieren oder ich rufe eine Freundin an. Ohne weiteren Grund, nur, weil es mich erfreut. Manchmal tut es mir auch gut, an einem Tag ganz wenig zu machen. Solche ruhigen Tage braucht man öfter, wenn man älter wird. Dazu muss man gnädig mit sich selbst sein: einen gnädigen Blick auf sich selbst einüben, das ist wichtig.“

„Und der dritte Aspekt?“ frage ich. „Manchmal fühle ich mich nicht nur allein, sondern einsam. Also verloren und traurig. Und dann erinnere ich mich daran, dass ich eigentlich nie so ganz einsam bin. Weil da noch einer ist, der mir nah ist. Gott. Es gibt ein wunderbares Psalmwort, das genau passt: ‚Von allen Seiten umgibst Du mich. Und hältst Deine Hand über mir‘. Ich spüre dem nach, wo Gott gerade ist. Auf welche Weise er mich umgibt. Begegne ich Gott in der Lebendigkeit meines Atems? Oder im Aufblühen der Blume auf meinem Fensterbrett? Oder in einem Bibelwort? Wenn ich Gottes Gegenwart nachspüre, geht es mir oftmals wieder besser. Und ich kann mir selbst wieder das sein, worauf ich so großen Wert lege: eine gute Gesellschaft.“  

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