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SWR4 Abendgedanken

15MRZ2024
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Lucy glaubt nicht an Gott. Lucy ist meine Freundin und sie fragt mich: „Anna, wie fühlt sich das an?“ Ich weiß nicht, was ich sagen soll. Also versuche ich es erstmal mit den klassischen Vergleichen und erkläre Lucy: „Gott ist für mich wie ein guter Vater oder wie eine liebevolle Mutter“. Aber egal wie gut der Vergleich ist, am Ende hinkt er immer. Und meine Worte fühlen sich seltsam hohl an. Also versuche ich es damit: „Gott ist wie ‚zu Hause ankommen‘ oder wie ‚ein wahrer Freund‘.“ Aber auch das trifft es nicht wirklich. Denn Gott ist unendlich viel mehr als das, was ich von ihm denke. Für das Wichtigste in meinem Leben fehlen mir die richtigen Worte. Das ist frustrierend.

In dieser Zwickmühle hilft mir die Geschichte vom „Goldenen Kalb“ aus der Bibel:

Moses und das Volk Israel sind auf ihrer langen Reise durch die Wüste. Eben hat Gott sie aus der Sklaverei in Ägypten befreit und jetzt geht Moses auf den Berg Sinai. Er will mit Gott sprechen, während der Rest der Reisetruppe unten warten muss. Und sie warten lange. Denn Moses kommt einfach nicht zurück. Da werden die Israeliten ungeduldig und müssen etwas tun. Bei dem unsichtbaren Gott, der so lange auf sich warten lässt, halten sie es einfach nicht mehr aus. Sie beschließen, selbst zu handeln. Also gießen sie sich ein goldenes Kalb und fangen an, es anzubeten und zu feiern. Sie holen Gott zu sich herunter, in das, was sie sehen und verstehen können.*

Ich glaube, hin und wieder versuche auch ich Gott in eine Form zu gießen. Zum Beispiel, wenn ich Gott in die schönsten Vergleiche zwängen will, um ihn für Lucy und mich verstehbar, ja irgendwie handfest zu machen. Aber mein Gott sprengt jede Form. Er passt in keine noch so goldenen Worte. Und vielleicht befreit mich genau das. Denn wenn Gott nicht meinen Worten unterworfen ist, dann kann er auch so viel mehr sein als ich jemals sagen kann. Oder wie es an anderer Stelle im Alten Testament heißt: "Wenn wir auch viel sagen, so reicht es doch nicht aus. Mit einem Wort: Gott ist das All."**

 

*Vgl. Ratzinger, Geist der Liturgie, 19.

**Sir 43, 27.

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SWR4 Abendgedanken

14MRZ2024
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„Do ut des“. Das klingt wie eine Zauberformel, ist aber Latein und heißt übersetzt: „Ich gebe, damit du gibst“. Nach diesem Grundsatz sind die Menschen in der Antike mit ihren Göttern umgegangen. Wer etwas von den Göttern wollte, der musste ihnen etwas opfern. Ein faires Tauschgeschäft sozusagen.

Das hört sich vielleicht erstmal veraltet oder naiv an, dieses „do ut des“, aber ehrlich gesagt, erwische ich mich manchmal selbst dabei. Und zwar, wenn ich zu Gott bete. Oft bitte ich Gott dann um etwas. Etwa um die Kraft, bei einem schwierigen Gespräch ruhig und verständnisvoll zu bleiben.

Dabei ist mir aufgefallen: Ich bete oft so, als könnte ich Gott überreden. Wenn ich nur genug bete oder Gott einen guten Deal vorschlage, dann wird er sich schon breitschlagen lassen. Wenn mein Gebet aber nicht erhört wird, muss ich wohl etwas falsch gemacht haben. Dann habe ich nicht genug geleistet.

Psychologen und Pädagogen haben herausgefunden, dass sich der Glaube in Stufen entwickelt. Das „Do-ut-des“ ist dabei typisch für eine der Anfangsstufen, in der man sich Gott wie eine Art Handelspartner vorstellt. Viele Menschen glauben: Ich kann Gott beeinflussen und für meine Wünsche in Anspruch nehmen. Dafür bin ich aber auch auf Gott angewiesen und muss ihn zufriedenstellen.

Dahinter steckt ein großer Sinn für Gerechtigkeit und das Vertrauen in ein Prinzip, das in unserem Leben grundsätzlich gilt: Wer gibt, soll auch bekommen und umgekehrt. Trotzdem ist es ein Glaube, der noch nicht erwachsen geworden ist. Weil er sowohl Gott als auch den Menschen klein hält. Aber Gott will mich nicht klein und abhängig halten. Er berechnet nicht. Gott kann viel mehr. Und ich auch. Davon bin ich überzeugt.

Ab und zu rutsche ich beim Beten trotzdem in mein altes Muster zurück. Dann denke ich, ich müsste für Gott etwas tun. Und erst dann bin ich etwas wert. Aber ich brauche Gott nichts zu geben, damit er mich belohnt. Er verlangt von mir keine Gegenleistung. Gott liebt mich bedingungslos. Und vielleicht kann ich so auch mein Beten besser verstehen: dass auch ich mich Gott zuwende, ganz ohne Bedingungen.

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SWR4 Abendgedanken

13MRZ2024
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„Seid heilig, wie Gott heilig ist!“* Und: „Liebt einander, wie Jesus euch geliebt hat!“**

Puh. Heilig sein wie Gott? Lieben wie Jesus? Das steht in der Bibel und bei so himmelhohen Ansprüchen muss ich erstmal schlucken. Wie soll ich das denn schaffen: So heilig und so voller Liebe zu sein? So überirdisch gut bin ich einfach nicht.

Da konfrontiert mich mein Glaube mit Ansprüchen, die ich gar nicht erfüllen kann. Wäre es nicht besser, wenn die Erwartungen realistischer wären? Sie würden dann viel besser zu meiner Lebenswirklichkeit passen. Statt „Liebt einander wie Jesus euch geliebt hat“, könnte es heißen: „Liebt einander, solange ihr euch miteinander wohlfühlt.“

Ich glaube aber, das würde nicht funktionieren. Denn dann wäre das, was eine Beziehung zwischen zwei Menschen sein soll, ja einfach identisch mit dem, was sie leider oft ist: also nicht ideal.

In der Bibel werden uns Ideale vorgestellt, eben zum Beispiel: „Wir sollen einander lieben wie Gott uns geliebt hat.“ Wenn ich dieses Ideal der unendlichen Liebe jetzt ändere, weil Beziehungen und Freundschaften zerbrechen, dann wäre das so, als würde ich sagen: Wir sollten aufhören, nach Gerechtigkeit zu streben, weil es immer Ungerechtigkeiten geben wird. Oder: Wir sollten nicht mehr an der Wahrheit festhalten, weil jeder Mensch lügt. Dabei ergibt all das erst umgekehrt einen Sinn: Lügen ist verpönt, weil es die Wahrheit gibt. Ungerechtigkeit wird bekämpft, weil Gerechtigkeit gut ist. Und zerbrochene Beziehungen sind deshalb so schmerzhaft, weil ich mich nach einer Liebe sehne, die kein Ende kennt.

Gerade dann, wenn alles so gar nicht ideal läuft, können mir die hohen Ansprüche aus meinem Glauben Orientierung geben. Wie zum Beispiel in der Freundschaft zu meiner ehemaligen Nachbarin. Seit ich in einer anderen Stadt wohne habe ich mich schon lange nicht mehr bei ihr gemeldet. Ich habe es nicht geschafft, eine „ideale“ Freundin zu sein. Aber ich kann ihr trotzdem eine gute Freundin sein und mir jetzt gleich das Telefon schnappen und bei ihr anrufen.

Ich glaube, genau das ist bei so hohen Idealen wie Liebe und Gerechtigkeit ganz wichtig. Sie wollen mich nicht verurteilen und klein machen, weil ich sie nicht erreiche. Sondern sie können mir ein Ziel zeigen, auf das ich mich zubewegen kann.

Liebt einander, wie Jesus euch geliebt hat! Und: Seid heilig, wie Gott heilig ist!

– das soll mich nicht überfordern. Es will mich motivieren!

 

* Vgl. Petr 1, 16.

** Vgl. Joh 15, 12.

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SWR4 Abendgedanken

12MRZ2024
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Seit einem Jahr ist meine Tochter eine Königin. Und zwar auf den Tag genau. Denn heute vor einem Jahr wurde sie getauft.

Für meinen Mann und mich war dieser Tag etwas ganz Besonderes. Wir glauben beide an Gott, sind selbst als Kinder getauft worden und in der katholischen Kirche und ihrem Glauben aufgewachsen. Auch wenn unsere Tochter noch klein ist und ihren ganz eigenen Weg gehen wird, wünschen wir ihr, dass sie Gott und seine Liebe kennenlernt. Dass sie in diesen Glauben von Anfang an hineinwachsen kann. Und heute an ihren Tauftag feiert meine Tochter ihren ganz persönlichen Königinnentag. Denn als getaufte Christin ist sie Königin!

Das Wort „Christin“ kommt von „Christus“ und das stammt wiederum vom hebräischen Wort „Messias“. Das heißt übersetzt „der Gesalbte“. In der Zeit der Bibel bedeutet dieser Titel etwas ganz Besonderes, denn nur Könige wurden gesalbt und auf diese Weise direkt von Gott eingesetzt. Die Salbung war also eine Art Krönung.

Bei ihrer Taufe wurde meine kleine Tochter auch gesalbt.  Der Pfarrer hat etwas geweihtes Öl genommen, den sogenannten „Chrisam“, und vorsichtig auf ihren Kopf gestrichen. Das soll zeigen: Dieses Kind soll eine Königin sein, so wie Jesus Christus ein König ist.

Denn Jesus war ein besonderer König. Er wollte nicht über alle anderen herrschen, sondern im Gegenteil: Er wollte allen dienen. Jesus hat zu den Menschen gesagt: „Wenn wir alle in Gottes Königreich leben wollen, dann muss einer dem anderen helfen, dann müssen die Armen und Ausgestoßenen auf den Ehrenplatz sitzen. Dann muss der Kleinste unter uns der Größte sein.“

Christin oder Christ sein heißt also genau das: Eine Königin, ein König sein. Es ist nicht mehr nur einer König über alle anderen, sondern in Gott haben alle diese besondere Würde. Nur, dass Christen eben ganz andere Könige sind. Sie sollen nicht aus Macht herrschen, sondern aus Liebe dienen. Eine Demokratisierung der Monarchie könnte man das vielleicht auch nennen.

Zu ihrem ersten Geburtstag hat unsere Tochter eine bunte Geburtstagskrone geschenkt bekommen. Heute, an ihrem Tauftag, darf sie diese Krone auch wieder tragen. Nur dass sie die Krone dann nicht alleine trägt. Denn in Gottes Augen sind wir alle Königinnen und Könige.

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SWR4 Abendgedanken

11MRZ2024
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Ich möchte Ihnen heute Abend eine Parabel erzählen. Sie stammt vom englischen Schriftsteller Gilbert Keith Chesterton:

Zwei Freunde laufen eine Straße entlang. Sie kennen ihr Ziel und den Weg dorthin. Jedenfalls glauben sie das. Denn plötzlich steht mitten auf der Straße ein Zaun. Für den einen Freund ist die Sache völlig klar: „Der Zaun muss weg, denn er versperrt uns den Weg!“ Der andere Freund erklärt: „Wir dürfen den Zaun nicht einfach einreißen. Wir wissen ja gar nicht, warum er dort steht. Was, wenn die Straße dahinter unpassierbar geworden ist? Oder wenn der Weg im Nirgendwo endet? Es muss einmal einen guten Grund für diesen Zaun gegeben haben. Die Frage ist nun: Besteht dieser Grund bis heute?“

Soweit die Geschichte.

Es gibt Zäune, bei denen wir nicht mehr wissen, warum sie da sind. Zum Beispiel, wenn es um das Verbot der Sterbehilfe geht. Eigentlich war der Grund dafür einmal ganz klar: Jedes Leben ist kostbar. Egal was ein Mensch leistet, ob er gesund ist oder nicht – jeder Mensch hat die gleiche Würde und das gleiche Lebensrecht. Niemand darf daran rühren. Auch nicht man selbst. Auf diesen Gedanken gründet der Zaun, der das Leben jedes Einzelnen schützt.

Trotzdem geraten Menschen in Situationen, in denen sie diesen Zaun einreißen wollen. Wie zum Beispiel beim Vater meines Freundes Stefan. Bei Stefans Vater wurde eine unheilbare Krankheit diagnostiziert. Als Stefan mit seinem Vater darüber sprechen will, was man tun kann, damit er später einmal gut versorgt ist, lehnt sein Vater entschieden ab. Er sagt: „Darüber musst du dir keine Gedanken machen. Wenn es so weit ist, falle ich dir nicht zu Last. Dann beende ich mein Leben selbst.“

Ich glaube, Stefans Vater kann das nur deshalb so selbstverständlich sagen, weil der Zaun, der das Leben schützt, schon längst durchbrochen worden ist. Zumindest gesellschaftlich: In der Schweiz ist die Sterbehilfe erlaubt, und auch in Deutschland wird über eine Neuregelung nachgedacht.

Ich möchte auf keinen Fall über fremde Schicksale und Entscheidungen urteilen. Aber ich mache mir Sorgen, wohin der Weg führt, wenn der Wert des Lebens verhandelbar ist. Wenn das Leben jedes Einzelnen nicht mehr unumstößlich in seiner Würde umzäunt ist.

In Chestertons Parabel geht es nicht darum, jeden alten Zaun einfach hinzunehmen. Aber bevor ich mich über eine Grenze hinwegsetze, muss ich verstehen, warum sie da ist. Dazu muss ich innehalten und mir Zeit nehmen, den Zaun zu verstehen.

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SWR4 Abendgedanken

21JUL2023
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Wie kann ich ein guter Mensch sein? Das habe ich mich schon oft gefragt. Und das ist ganz konkret gemeint. Also wie gehe ich richtig mit meiner Tochter um und wie kann ich gut sein, wenn ich wieder auf meinen schwierigen Nachbarn treffe? Was ich dabei aber noch nie gemacht habe, ist, die Frage einfach umzudrehen. Ich habe mich noch nie gefragt: Wie kann ich ein schlechter Mensch sein?

Dazu gibt es ein Buch, das ich super interessant finde, sozusagen ein Anti-Ratgeber, das heißt:  „Dienstanweisungen an einen Unterteufel“. In dem durch und durch ironischen Büchlein beschreibt der Autor C.S. Lewis, wie der Teufel, bzw. sein Unterteufel die menschlichen Schwächen ausnutzt. Ziel ist es dabei, einen ganz normalen jungen Mann auf die schiefe Bahn zu bringen. Der Mann heißt „Mr. Spike“.

Mr. Spike hat eigentlich eine ganz gute Beziehung zu seiner Mutter. Aber der Unterteufel geht gleich an die Arbeit und überlegt: Wie könnte man die alltägliche Kommunikation zwischen den beiden möglichst effektiv verdrehen und durcheinanderbringen? Zum Beispiel beim Frühstück oder Spazieren gehen. Der Unterteufel soll nichts weiter zu tun, als darüber zu wachen, dass Mr. Spike seine eigenen Eitelkeiten pflegt. Er soll sich immer als Opfer fühlen. Er soll sich dauernd missverstanden fühlen von seiner Mutter. Aber anstatt mit ihr darüber zu sprechen, sorgt der Unterteufel dafür, dass Mr. Spike alles in sich hineinfrisst. Immer verbitterter wälzt er die immer gleichen Vorwürfe gegen seine Mutter in sich herum. Für den Teufel ein voller Erfolg. Denn so werden die kleinen Risse in der Beziehung zwischen Mutter und Sohn unbemerkt immer größer, bis das Zusammenleben schließlich ganz zu zerbrechen droht.

Mir gefällt diese Geschichte von Mr. Spike und dem Teufel deshalb so gut, weil ich mich selbst darin wiedererkennen kann. Die humorvolle Anleitung zum Schlecht sein von C.S. Lewis macht mich mit einem Augenzwinkern auf die „teuflischen“ Fallstricke aufmerksam, die in mir selber lauern – mein eigener Stolz oder meine Eitelkeit zum Beispiel.

Dem Autor Lewis geht es in seinem Buch dabei nicht darum, die eigenen Fehler zu verteufeln. Das finde ich ganz wichtig. Aber mit seiner Hilfe schlage ich dem Teufel sozusagen einen Haken: Ich schaue ihm einfach in die Karten.

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SWR4 Abendgedanken

20JUL2023
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Meine Freundin Jana ist zu Besuch. Wir sitzen auf dem Boden, spielen mit meiner kleinen Tochter und unterhalten uns. Wir landen beim Thema Familienplanung und da sagt Jana gleich geradeheraus: „Ich will keine Kinder. Warum sollte ich denn ein Kind in diese Welt setzen, wenn es die Welt sowieso nicht retten kann?“ Ich hake nach: „Du meinst also, dass ich meinem Kind so eine Welt nicht zumuten kann?“ „Ne“, sagt Jana, „ehrlich gesagt mein ich das umgekehrt: Du kannst dieser Welt, die eh schon so schlecht dasteht, nicht noch ein Kind, oder halt noch weitere Menschen zumuten. Die machen die Lage für den Planeten ja nur noch schlimmer! Denk doch nur mal an den Klimawandel.“

Ich bin ehrlich gesagt ganz schön baff, als ich das höre.

Es gibt viele Gründe, die bei der Entscheidung für oder gegen Kinder zu bedenken sind. Und dabei ist glaube ich das Wichtigste: Niemand sollte sich deswegen rechtfertigen müssen! Aber dadurch, dass Jana mir ihre Gründe erzählt, fragt sie auch meine Entscheidung an. Denn ich habe ja schließlich ein Kind bekommen. Meine Tochter also dieser Welt zugemutet.

Ich erzähle Jana von einem jüdischen Sprichwort, das mir in dieser Frage viel bedeutet. Es lautet: „Wer ein Menschenleben rettet, rettet die ganze Welt.“ Ich finde, in diesem Satz steckt viel Wahrheit. Und er ist das genaue Gegenteil von Janas Standpunkt. Sie hat ja gesagt: Wer die Welt retten will, der muss die Menschen abschaffen.

Mein Mann und ich haben uns ein Kind gewünscht, aber dass dieser Wunsch wahr geworden ist, ist alles andere als selbstverständlich. Gute Freunde von mir probieren es schon seit einigen Jahren vergeblich. Eine andere Freundin hat den Wunsch mittlerweile aufgegeben. Ich fühle mit ihnen.

Gleichzeitig habe ich mit vollem Herzen Ja zum Leben sagen können. Bei mir war das auch ganz unabhängig davon, wie ich zu dieser Welt stehe. Ob ich sie gut oder schlecht finde.

Ich mache mir auch Sorgen um die Zukunft und ich sorge mich um meine Tochter. Ich glaube, wer liebt, der hat immer Sorgen. Aber wer Liebe hat, der hat auch den besten Grund der Welt, für eine bessere Zukunft zu sorgen. Die Zukunft, die meinem Kind und nicht mir gehört. Und ich sollte sie ihm nicht nehmen. Nicht aus diesem Grund. Denn das Leben ist ein Geschenk.

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SWR4 Abendgedanken

19JUL2023
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„Ich bin doch nicht aus Zucker!“ Das sage ich, wenn mir jemand zu wenig zutraut. Dabei könnte ich als Christin eigentlich noch viel besser kontern. Und zwar mit dem Satz: „Hey, ich kann das, ich bin aus Salz.“ In der Bibel jedenfalls macht Jesus seinen Freunden dieses ungewöhnliche Kompliment. Er sagt: „Ihr seid das Salz der Erde.[1]

So wie meine Spaghetti im Topf, ist also laut Jesus auch diese Welt gesalzen – und zwar durch die Menschen.

Dieses gar nicht mal so süße Bild beschreibt für mich sehr gut, was es heißt, in dieser Welt als Christin zu leben. Denn ob die Nudeln gesalzen sind oder nicht – das sieht man ihnen erstmal nicht an. Und so sieht man auch einem Menschen nicht an, ob er glaubt oder nicht. Nur „schmeckt“ dieser Mensch vielleicht irgendwie anders. Denn ein Christ kann sich und sein Umfeld mit der Art und Weise würzen wie er oder sie lebt. Und da ist die Dosis entscheidend.

In der Sprache des biblischen Bildes wäre ein religiöser Fanatiker allerdings ein Mensch, der nur Salz löffelt. Einer, der alle Bereiche seines Lebens ausschließlich auf seine Religion reduzieren will und nichts anderes gelten lassen kann.

Umgekehrt sagt Jesus aber auch: „Wenn das Salz seinen Geschmack verliert, womit kann man es wieder salzig machen? Es taugt zu nichts mehr.“[2]

Ich verstehe Jesus da so: Wenn das Salz nicht mehr nach Salz schmeckt, dann bleibt das Essen fad. Wenn ich also meinen Geschmack oder meinen Glauben verliere, dann fehlt das, was ich eigentlich von Gott her beizutragen habe. Das mag vielleicht gar nicht so viel sein. Aber das, was jeder und jede ganz persönlich von Gottes Liebe weitergibt, das kann von nirgendwo anders hergeholt werden.

Und noch etwas spricht mich in diesem Vergleich mit dem Salz an: Salz erschafft in der richtigen Dosis keinen neuen Geschmack. Salz hebt nur auf geheimnisvolle Weise den Geschmack hervor, den das Essen bereits hat.

Und so verstehe ich mein Christ-sein: Ich füge der Welt nichts Fremdes hinzu, sondern ich will das hervorheben, was schon an Gutem vorhanden ist. Das heißt für mich beispielsweise, liebevoll die Stärken in einem Menschen sehen, Verständnis zeigen und meine Mitmenschen anerkennen und fördern.

Denn das traut mir Jesus zu, wenn er sagt: „Ihr seid das Salz der Erde.“

 

[1] Mt 5, 13.

[2] Ebd.

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SWR4 Abendgedanken

18JUL2023
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Zum Thema: In der Kirche bleiben oder gehen, habe ich diesen Satz gelesen: „Es geht gar nicht mehr um die Frage `Gehen oder Bleiben`, sondern ob es moralisch überhaupt vertretbar ist, zu bleiben.“[1]

Es geht also darum, ob ich überhaupt noch in der Kirche sein darf. Ob das noch „in Ordnung“ ist.

Mein Freund Jonas hat mir seinen Austritt so in der Art auch erklärt: „Für mich ist die Kirche eine Missbrauchsinstitution, die die Verbrecher schützt. Die Taten versucht man zu vertuschen. Sowas will ich mit meinen Kirchensteuern nicht finanzieren. Sonst würde ich mich ja quasi zum Komplizen machen!“ Für Jonas ist die ganze Kirche und alle Menschen in ihr, nichts anderes mehr. Er findet es deswegen moralisch geboten und gut, aus der Kirche auszutreten.

Ich war getroffen, als ich das gehört habe. Denn damit wirft Jonas mir ja auch indirekt vor, dass es falsch ist, wenn ich in der Kirche bleibe.

Mein Freund, der weiß, dass ich nicht nur in der Kirche bin, sondern sogar für sie arbeite. Wie oft habe ich ihm erzählt, wie gerne ich meine Arbeit mache. Mit Familien, die einen Menschen verloren haben und die ich bis zur Beerdigung und darüber hinaus begleite. Und ich denke an die Schülerinnen und Schülern, die im Religionsunterricht kritische Fragen stellen und auf der Suche nach Antworten sind. Und jeden Tag erlebe ich in den Kirchengemeinden engagierte Frauen und Männer, die sich dafür einsetzen, dass dort für Viele eine sichere Heimat entsteht, in der man Gott erfahren kann. 

Ich verstehe sehr gut, warum man über den Missbrauch in der Kirche empört ist. Ich bin es auch. Und ich verstehe sehr gut, warum sich deswegen Menschen von der Kirche abwenden. Ich tue es nicht.

Ich bleibe in der Kirche, eben weil ich auch empört bin. Ich bleibe, damit nicht die Täter, Vertuscher und Schweiger, sondern die Opfer das letzte Wort behalten. Ich möchte zusammen mit vielen anderen für eine bessere Kirche kämpfen. Und ich bin überzeugt, dass ich mit dieser Kirche auch für eine bessere Welt kämpfen kann.

Das muss nicht für jeden der richtige Weg sein. Aber ich habe Hoffnung für diese Kirche. Und ich finde: Auch wer die Hoffnung verloren hat, darf sie anderen nicht absprechen. Denn es gibt so viele Menschen, die sich für eine bessere Kirche und eine bessere Welt einsetzen. Weil sie hoffen.

 

[1]https://www.katholisch.de/artikel/45335-jesuit-es-ist-nicht-mein-job-leute-in-der-kirche-zu-halten (letzter Aufruf: 10.06.23).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38052
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SWR4 Abendgedanken

17JUL2023
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Jeder Mensch hat 13 Geheimnisse. Im Schnitt. Das haben Forscher in einer Studie herausgefunden.[1] Die Psychologen haben erforscht, was Menschen lieber für sich behalten und inwiefern sie das belastet. Denn obwohl ein Geheimnis ja per se nichts Negatives sein muss, in der Studie geht es in erster Linie um Belastendes. Die Psychologen nennen das „schlechte“ Geheimnisse.

Ich glaube, dass Problem bei schlechten Geheimnissen ist: Sie machen besonders einsam.

So habe ich das jedenfalls bei mir selbst erlebt. Denn eine Zeit lang habe ich viel für mich behalten. Es war jede Menge Ballast, den ich mit mir rumgeschleppt habe. Klar, wenn ich erzählt hätte, was mich belastet, zum Beispiel eben demjenigen, gegenüber dem ich mich schuldig gefühlt habe, dann hätte der bestimmt gesagt: „Ach was, halb so tragisch! Schon vergeben und vergessen.“ Aber weil ich es niemanden erzählt habe, konnte mir auch niemand vergeben. Und so habe ich damals versucht meine schlechten Geheimnisse einfach zu verdrängen und zu vergessen.

Irgendwann habe ich mich aber getraut. Ich habe alles erzählt. Und zwar als ich zum ersten Mal als Erwachsene gebeichtet habe. Ein Freund hat mich dazu ermutigt, er hat mir erzählt: „Das Besondere an der Beichte ist: Du kannst Vergebung tatsächlich erleben und zwar von Gott her. Du kannst einem Geistlichen erzählen, was dich belastet und es ehrlich bereuen. Außerdem ist dabei wichtig, dass man sich wirklich vornimmt, es in Zukunft besser zu machen.“ 

Als ich das gehört habe, dachte ich mir: „Ok, ich kann es wenigstens mal versuchen.“ Trotzdem hatte ich ziemlichen Bammel. Aber dann habe ich angefangen, zu erzählen.

Der Priester hat einfach nur zugehört. Für mich war das so, als ob Gott mir zuhört. Ich konnte spüren, ich erzähle das gerade nicht nur diesem Menschen, sondern auch Gott.

Als ich fertig war, habe ich trotzdem befürchtet, dass jetzt eine Art Quittung kommt. Stattdessen hat der Priester ganz freundlich gesagt, dass Gott sich bestimmt sehr freut, dass ich heute einen neuen Weg zu ihm und zu mir selbst gefunden habe. Und dann hat er ganz schlicht gesagt: Ich spreche dich los von all deinen Sünden.

Das wars.

Seit dieser Beichte weiß ich: Erst wenn ich aufhöre, meine schlechten Geheimnisse für mich zu behalten und erst, wenn ich anfange, sie Gott zu erzählen – erst dann verändert sich etwas. Weil Gott jemand ist, der mir immer vergibt. Dann fange ich an, mich so zu sehen, wie er mich sieht – und das ist so viel mehr als einfach nur „vergeben und vergessen“.

 

[1] Vgl. https://www.spektrum.de/news/psychologie-warum-wir-geheimnisse-haben/1568206 (letzter Aufruf 15.06.23).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38051
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