Zeige Beiträge 1 bis 10 von 157 »
SWR1 Begegnungen

Anja Bremer ist Pfarrerin aus Leidenschaft. Sie liebt die Vielfalt der Aufgabenfelder, die sie in ihrem Beruf beackern kann. Ihre größte Liebe aber gilt der Gestaltung von Trauerfeiern. Dabei kommt der Tod doch eigentlich immer zur Unzeit. Und der Termin für eine Beerdigung mit all ihren notwendigen Vorbereitungen auch.
Ich mache Beerdigungen sehr, sehr gerne. Das gibt mir ganz viel. Es ist etwas, wo ich den Eindruck habe, da bin ich ganz gefordert und kann ganz da sein. Und das ergibt ganz viel Sinn, wenn ich da begleiten kann.
Woher diese besondere Vorliebe bei ihr kommt? Vielleicht daher, dass der Tod im Leben von Anja Bremer schon viel zu oft unaufgefordert aufgekreuzt ist. Und ihr keine Chance gelassen hat, die Auseinandersetzung mit dem Sterben auf einen späteren Zeitpunkt zu verschieben.
Mein Bruder ist ganz früh gestorben, mit 32, mein Vater mit 56. Ich hatte mal eine große Kopfoperation mit einem Tumor im Gehirn, mit 29. Dass ich lebe, dass ich heute lebe, das ist für mich jeden Tag auch wieder ein neues Geschenk.
Und dieses Geschenk gibt sie nun auf vielfache Weise in ihrer Arbeit als Seelsorgerin zurück: Anja Bremer geht ohne Scheu und mit offenen Augen und Ohren in Gespräche mit Hinterbliebenen, sieht und hört genau hin. Sie hat Trostworte im Gepäck und Gebete. Manchmal sorgt sie aber auch für ganz handfeste Nahrung. So wie bei der Beerdigung der „besten Streuselkuchenbäckerin der Welt“:
Und ich habe dann am Abend vor der Bestattung Streuselkuchen gebacken und habe Päckchen abgepackt und habe die Trauerfeier zum Thema der drei wichtigstenZutaten für Streuselkuchen benannt. Das ist, glaube ich, sehr gelungen, weil wir dann zum Schluss am Grab miteinander Streuselkuchen gegessen haben.
Butter, Zucker und Mehl: Zutaten für duftende Streusel! Und weil für Anja Bremer das Evangelium mitten ins Leben gehört, ist es bei ihr nur ein kurzer Weg von der Backstube hin zu Glaube, Liebe und Hoffnung. Diese biblischen drei, meint sie, sind nämlich die besten Zutaten für ein gelingendes Leben.
Und was mit der Nase gut funktioniert, klappt fast noch besser mit den Ohren. Anja Bremer weiß, dass auch die richtige Musik eine ganz wichtige Zutat ist, wenn eine Trauerfeier Menschen berühren soll.
Es macht großen Spaß, sich mit der Pfarrerin Anja Bremer über ihre liebevoll gestalteten Trauerfeiern zu unterhalten. Z.B. wenn sie erzählt, wie sie in einem Trauergespräch die ganze Zeit krampfhaft versucht hat, ihre rot lackierten Fingernägel zu verbergen, bis die Witwe plötzlich mit einem Blick darauf gesagt hat: „Das hätte meinem Heinz gefallen!“
Und als die Trauerfeier war, und ich will die Witwe und ihre Töchter begrüßen, in dem Moment hält sie mir beide Hände hin und die Tochter daneben auch. Und alle haben rot lackierte, knallrot lackierte Nägel. Also hatten wir dann mindestens 30 Finger an dem Tag, die knallrot waren, weil es Heinz so gut gefallen hätte. Und das sind schon auch ganz besondere Formen, zu erleben, wie Menschen auch in Resonanz gehen, wenn ich denn bereit bin, auch Resonanz zu bieten.
Anja Bremer will Menschen berühren. In Resonanz gehen bedeutet für sie, in den von Trauer gelähmten Seelen der Menschen wieder etwas zum Schwingen zu bringen. Und sie weiß: Musik ist da eine begnadete Türöffnerin. Manchmal transportiert ein Choral aus dem Gesangbuch Trost und Seelenwärme. Aber auch Leierkastenmänner haben bei ihr schon aufgespielt. Oder es gab Oasis. Und einmal auch Peter Alexander mit seiner „kleinen Kneipe in unserer Straße“.
Es heißt in dem Lied irgendwie, „da wo das Leben noch lebenswert ist und wo dich keiner fragt, was du hast oder bist.“ Na, christlicher geht es ja gar nicht!
Anja Bremer findet überall biblische Botschaften. Und so eine Entdeckerfreude wünscht sie auch ihrer Kirche. Wie schön wäre es, wenn die sich noch mehr als Dienstleisterin verstehen würde und immer weniger als „Amtskirche“.
Und da muss ich sagen, erhoffe ich mir und wünsche mir immer mehr, dass die Kirche da noch durchlässiger wird, dass wir von der Erlaubnis doch stärker noch zur Ermöglichung kommen.
Nicht lange nachfragen, was erlaubt ist, sondern Dinge ermöglichen, die den Menschen dienen. Das wäre nach Anja Bremer denn auch so recht im Sinne von Jesus. Der hat einen kranken Menschen einmal gefragt: Was willst du, dass ich dir tun soll? Und sich dann am Wunsch seines Gegenübers orientiert und ihn geheilt.
Macht sie sich eigentlich auch Gedanken über ihre eigene Beerdigung? Anja Bremer zeigt mir ihr frisches Tattoo am Unterarm:
Da steht der Name eines Liedes drauf: „Abide with me“, und das ist die englische Form von unserem deutschen Gesangbuchlied „Bleib bei mir, Herr“. Und mich berührt dieses Lied sehr. Und ich habe es bei mir, weil ich es als großen Schatz empfinde.
Eine schlichte Bitte, dass Gott sie auch in Momenten größter Not nicht allein lassen möge. Dieses Gebet auf dem Unterarm berührt mich sehr. Wie die große Ernsthaftigkeit, die sich bei Anja Bremer mit einer heiteren Gelassenheit verbindet. Und mit einem Augenzwinkern:
Ich erinnere meinen Mann regelmäßig daran, dass er, bevor ich mal eingeäschert werde, vielleicht noch mal auf meinen linken Unterarm guckt, welches Lied ich gerne gesungen hätte, falls er es vergessen hat. Das wäre sinnvoll. (lacht)
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38802SWR1 3vor8
Mit einem freundlichen Augenzwinkern hat mein katholischer Priesterkollege aus Heidelberg unsere evangelische Gemeinde immer „Sankt Frieden“ genannt. Seine katholische Gemeinde hatte selbstverständlich, wie sich das gehört, einen richtigen Namenspatron: St. Vitus oder den Heiligen Veit. Den Namen einer historischen Persönlichkeit, die etwas für ihren Glauben und ihre Kirche geleistet hat. Die evangelische Sitte, einer Gemeinde auch mal einen nicht personalisierten Namen zu geben, hat der Kollege schmunzelnd quittiert: Ihr da aus Sankt Frieden!
Heute wünschte ich, wir hätten tatsächlich einen Heiligen Friedhelm oder eine heilige Friedlinde. Gerne würde ich denen und dem Anliegen, das sie im Namen tragen, jede Menge Kerzen anzünden. „Heilig, ja sogar selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen“, sagt Jesus im Evangelium zum heutigen Festtag Allerheiligen.
Wo sind die heiligen Friedensstifterinnen? Wir brauchen sie so sehr! Eine sitzt in Teheran im berüchtigten Evin-Gefängnis. Narges Mohammadi hat gerade den Friedensnobelpreis bekommen. Vielleicht ist sie nicht nur eingesperrt, sondern auch Peitschenhieben oder anderen Folterungen ausgesetzt, so wie sie es als Journalistin für die Zustände in iranischen Gefängnissen aufgedeckt und mutig angeprangert hat. Nun ist der Strahl der Öffentlichkeit auf ihre Gefängniszelle gerichtet in der Hoffnung, dass das Regime, das sie mundtot machen möchte, gar nicht anders kann als sie freizulassen, damit sie am 10. Dezember ihren Preis persönlich entgegennehmen kann.
Wo sind die heiligen Friedensstifter? Einer war auf dem Musikfestival in der Negev-Wüste, als dort früh am Morgen des 7. Oktober die ersten Raketen der Hamas einschlugen und Panik ausbrach. Ben hatte sich bereits in Sicherheit gebracht, war raus aus der Gefahrenzone. Dann ist er umgekehrt, um zu helfen. Acht Menschen hat er gerettet. Und ist noch einmal zurück. Drei Menschen konnte er noch rausholen. Dann ist er umgebracht worden.
Wo sind die heiligen Friedensstifter? Lasst uns ihre Geschichten erzählen, ihre Namen rufen, eine Kerze für sie entzünden. Denn sie sind es, die mitten in Krieg und Terror Friedensorte schaffen. Und heilig, ja selig sind, die Frieden stiften, denn sie werden Gottes Kinder heißen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38675SWR2 Wort zum Tag
Martin Luther soll ja ein sehr ängstlicher Mann gewesen sein. In seinen jungen Jahren hat nichts darauf hingedeutet, dass er seiner Kirche einmal mutig den Kampf ansagen würde. Das geschah am 31. Oktober 1517: Thesenanschlag in Wittenberg! Ich will heute aber nicht an den hämmernden, sondern an den ängstlichen Luther erinnern, denn ich glaube, dass Luther überhaupt erst zum Reformator wurde, weil er sich mit dieser Lebensfrage auseinandergesetzt hat: Wie begegne ich meinen großen Ängsten?
Ganz wie zu Luthers Zeiten beherrschen auch heute wieder sehr konkrete, aber auch viele diffuse Ängste die Welt. Was hilft, sie zu überwinden? Erst einmal: genau hinschauen und unterscheiden. Luthers diffuse Ängste wurden geschürt von grauenhaften Bildern, die im ausgehenden Mittelalter gezielt eingesetzt wurden, um Menschen zum Spielball ihrer Ängste zu machen: Schreckensszenarien von Hölle, Tod und Teufel. Dazu kamen aber auch sehr konkrete Todesängste. Einmal hat Luther sich als Student mit seinem Degen an der Schlagader seines Oberschenkels verletzt und wäre fast verblutet. Und dann – die berühmte Geschichte – geriet er unterwegs in ein furchtbares Gewitter. Der Blitz hat ihn nur knapp verfehlt. Später im Kloster hat er unter regelrechten Panikattacken gelitten. Und in der Panik – das muss auch ein Luther erfahren - versagen alle Argumente. Mit vernünftigem Zureden allein ist der Angst nicht beizukommen.
In intensiver Auseinandersetzung mit den biblischen Texten entdeckt Luther aber nach und nach einen neuen Weg, mit seinen Ängsten umzugehen. In den biblischen Psalmen findet er Worte, seine Angst vor Gott auszudrücken: „Ich schütte meine Klage vor ihm aus und zeige vor ihm an meine Not.“ Er spürt: Der erste Schritt zur Überwindung der Angst ist, sie anzunehmen und auszusprechen. Das schafft Erleichterung. Und dann lernt Luther, die Trostworte der Bibel für sich in Anspruch zu nehmen, sie als Zusage bedingungsloser Gnade zu lesen und zu glauben. Und allmählich schwinden manche Ängste, und in den leer gewordenen Räumen macht sich die Zuversicht breit.
Worte der Bibel zu lesen und ihre tröstenden Wirkstoffe in sich aufzunehmen, ist eine gute Übung am Reformationstag. Probieren Sie es mal mit diesem Wort: „Gott ist mein Licht. Er befreit mich und hilft mir. Darum habe ich keine Angst.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38707SWR2 Wort zum Tag
Unter freiem Himmel ist eine lange Tafel aufgebaut. Mitten in der Stadt Tel Aviv. Der Tisch festlich gedeckt. Weiße Tischtücher, weiße Stühle, schöne Teller und Gläser. Es sieht einladend aus. Aber die Plätze bleiben leer; die Gäste kommen nicht. Auch dann nicht, als sich die Tafel nach und nach füllt mit Obst und Brot, mit Blumen und Wein. Die hier so sehnlich erwartet werden, können nicht kommen. Sie werden gefangen gehalten, sind in der Hand von Terroristen, dienen als menschliche Waffen in einem unmenschlichen Krieg. Über 200 Menschen sind in der Gewalt von Geiselnehmern, darunter 30 Kinder.
„Schabbat-Essen“ heißt die Sonderausstellung des Tel-Aviv-Museums an einem Freitag im Krieg. Das Bild von der leeren Tafel hat sich mir eingeprägt, weil es in seiner schlichten Eindrücklichkeit daran erinnert: Wo Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden, am Essen und Trinken und an der Mahlgemeinschaft gehindert werden, da sind die Gesetze der Mitmenschlichkeit aufs grausamste verletzt. Wo aber Menschen zum Essen zusammenkommen können, Brot und Wein und Geschichten miteinander teilen, da wäre Frieden.
Die leere Tafel erinnert mich auch an ein Gleichnis, das Jesus erzählt hat. Auch in seiner Geschichte bleiben die festlich gedeckten Tische leer. Denn die zum Festmahl geladenen Gäste haben einer nach dem anderen wohlfeile Ausreden, warum sie nicht kommen können. Sie stehen mitten im Leben, müssen dringenden Geschäften nachgehen, danach Zeit mit der Familie verbringen, Sport machen, sich mit Freunden verabreden. Ganz anders die mehr als 200 Menschen heute: Was würden die drum geben, um mit ihren Lieben an dieser Tafel zu sitzen! Nichts haben sie sich zuschulden kommen lassen. Nur leben wollen sie, essen und trinken, schlafen und aufstehen, zur Arbeit gehen und murren, spielen und lachen.
In Jesu Gleichnis bleiben die Tische am Ende nicht leer. Denn der Gastgeber lässt nicht locker. Nichts lässt er unversucht, um seine Tafel vollzukriegen bis auf den letzten Platz. Und so ist es auch Gottes Wunsch und Wille, dass an der Schabbbat-Tafel in Tel Aviv jeder einzelne Stuhl besetzt, wird mit jedem einzelnen Menschen, für den da ein Platz freigehalten wird. Und ich bete mit Worten aus einem Psalm: „Gott, Gastgeber des Lebens, bringe zurück unsere Gefangenen, dass sie essen und trinken und sich des Lebens freuen an diesem Tisch.“
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38706SWR4 Sonntagsgedanken
„Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“ Das hat der Pfarrer bei meiner kirchlichen Hochzeit vor fast 30 Jahren vorgelesen. Der Satz steht in der Bibel. Jesus hat ihn in einem Streitgespräch mit Gelehrten gesagt. Die wollten von ihm wissen, ob ein Mann sich von seiner Frau scheiden lassen kann. Seine Antwort: „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“
Nun, wir haben es nicht bis zur Silberhochzeit geschafft. Nach 24 Ehejahren haben mein Mann und ich uns getrennt, im 26. Jahr wurde unsere Ehe geschieden. Ich erinnere mich an den Termin beim Heidelberger Amtsgericht: eine ziemlich nüchterne Angelegenheit. „Sie sind ja beide noch jung“, meinte die Richterin zum Schluss, „und können noch einmal von vorn beginnen“. Das sollte wohl ein Trost sein. Ich war 52 und gehörte nun also auch zu denen, deren Ehe gescheitert war. Lange habe ich gedacht, dass mir das nicht passieren könnte. Schließlich hatten wir viele gute Jahre gehabt, drei Kinder bekommen und großgezogen, uns jahrelang einen Job geteilt und uns gegenseitig unterstützt. Und bei vielen kirchlichen Trauungen haben wir den Brautpaaren, die vor uns standen, diesen Satz vorgelesen: „Was nun Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden.“
Dass die Wirklichkeit oft ganz anders aussah, haben wir natürlich auch erlebt. Auch in unserem Umfeld und Freundeskreis häuften sich im Lauf der Jahre die Scheidungen. Dass auch wir mit unserer Beziehung am Ende waren, keine Liebe mehr füreinander aufbringen konnten und nur noch wenig Verständnis, haben wir lange nicht wahrhaben wollen. Wir doch nicht! Wir hielten uns für Profis, mit allen Wassern gewaschen, immer noch trotz vieler Herausforderungen ein gutes Team, wenn es drauf ankam. Sich einzugestehen, was uns fehlte, tat weh, es voreinander auszusprechen, noch viel mehr, und schließlich zu merken, dass wir den Punkt verpasst hatten, an dem wir das Ruder noch einmal hätten herumreißen können und wollen, war schmerzhaft. Am Ende hat dann doch nicht der Tod, sondern der Tod unserer Liebe uns geschieden.
Und ich habe mich gefragt, ob ich mit meiner Scheidung nicht nur an meinen eigenen Ansprüchen, sondern auch an Gottes Gebot gescheitert bin. Ich meine: Nein. Denn der Satz „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“ steht noch in einem größeren Zusammenhang.
Wenn Jesus sagt: „Was Gott zusammengefügt hat, das soll der Mensch nicht scheiden“, dann hat er nicht zwei Menschen vor dem Traualtar im Blick, sondern die Schöpfungsgeschichte der Bibel. Dort wird nämlich erzählt, dass Gott den Menschen als Mann und Frau geschaffen hat zu seinem Ebenbild. Mann und Frau sind also gemeinsam Gottes Abbild. Und sollen entsprechend miteinander umgehen. Dabei ist die Liebe das Größte, was Menschen erfahren und einander schenken können. Deshalb plädiert Jesus für die lebenslange Ehe als Schutzraum für diese Liebe. Aber Menschen scheitern mit ihren Ansprüchen und an ihren Versprechungen. Auch in ihren Beziehungen. Auch in der Liebe. Auch in einer Ehe. Deshalb lässt Jesus die Möglichkeit der Scheidung gelten - als Ausdruck der Barmherzigkeit Gottes.
Ich habe zum Glück durch meine Scheidung keinerlei Nachteile erfahren und noch nicht einmal scheele Blicke geerntet. Aber es ist noch gar nicht so lange her, da war das auch in Teilen der evangelischen Kirche noch ganz anders. Da haben Kirchenvertreter verzweifelten Männern und Frauen den Beistand verweigert. Obwohl sie nach dem Vorbild Jesu doch gerade den Menschen nahe sein sollten, die unter ihrem Versagen und ihrer Schuld leiden, die sich selber Vorwürfe machen und die schmerzhaften Folgen ihres Handelns tragen. Schon Martin Luther hat die Tür dafür geöffnet, bei dieser Frage sinnvolle und humane Lösungen zu finden, dadurch dass er die Ehe als „ein weltlich Ding“ angesehen hat. Nichts Vollkommenes. Für die menschliche Wirklichkeit des Misslingens muss es eben auch menschliche Regelungen geben.
Ich habe übrigens inzwischen ein zweites Mal geheiratet. Ja, ich will es noch einmal versuchen. Der lebenslangen Liebe noch einmal eine Chance geben. Bis dass der Tod uns scheidet.
Und Ihnen, ganz egal in welchen Beziehungsverhältnissen Sie gerade leben, wünsche ich einen gesegneten Sonntag:
Wer in seiner Ehe glücklich ist, sei dankbar dafür.
Wer trotz Unvollkommenheiten an einer Ehe festhält, möge spüren,
was diese Haltung Gutes in sich birgt.
Wer in einer Beziehungskrise steckt, bemühe sich,
die tieferen Gründe zu verstehen und suche sich Unterstützung,
um, wenn irgend möglich, die Liebe zu retten.
Wessen Ehe zerbrochen ist,
der wisse sich dennoch mit großer Barmherzigkeit von Gott angenommen.
Wer alleine lebt und sich nach einer Beziehung sehnt, verzage nicht.
Wer sich für die Lebensform des Alleinlebens entschieden hat,
möge sich als vollständigen und gesegneten Menschen erfahren.
Und wer einen Menschen seines eigenen Geschlechtes liebt, lasse seine Liebe leuchten.
SWR2 Lied zum Sonntag
„Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Davon war der Philosoph Ludwig Wittgenstein überzeugt. Nur was in logisch einwandfreien Sätzen ausgedrückt werden kann, ist für ihn überhaupt der Rede wert. Ich bin der Meinung, dass es noch eine Alternative geben könnte zum Schweigen über die Dinge, „die uns zu groß und wunderbar sind und die wir nicht begreifen.“ Sie lautet: Wovon man nicht sprechen kann, davon soll man singen. Denn gerade das Singen bietet eine wunderbare Gelegenheit, die Grenzen des Sagbaren zu überschreiten. Hören Sie selbst:
Ich singe dir mit Herz und Mund, Herr, meines Herzens Lust.
Ich sing und mach auf Erden kund, was mir von dir bewusst.
Vielleicht ist es sogar die angemessene Art, von Gott zu reden, dass wir singenderweise kundtun, was uns als Menschen von ihm bewusst ist. Und dadurch auch anerkennen, dass vieles uns nicht bewusst ist und verborgen bleibt von diesem Geheimnis der Welt. Paul Gerhardt, der Dichter dieses Liedes, kommt mit seinem Gesang aber nicht schnell an eine Grenze. Achtzehn Strophen lang fällt ihm etwas ein, das er von Gott singen und sagen möchte, und es kommt ihm anscheinend auch ganz leicht aus Herz und Mund:
Ich weiß, dass du der Brunn der Gnad und ew‘ge Quelle seist,
daraus uns allen früh und spat viel Heil und Gutes fleußt.
Brunnen und Quelle – das sind biblische Bilder für Gott, für seine unerschöpfliche Tiefe und Fülle. Und sie erinnern mich an den Apostel Paulus, der so viel über Gott zu sagen wusste, aber an entscheidender Stelle mit seinen Worten dann auch an eine Grenze gerät und nur noch ausrufen kann: „Was für eine Tiefe des Reichtums, beides, der Weisheit und der Erkenntnis Gottes! Wie unbegreiflich sind seine Gerichte und unerforschlich seine Wege! Denn von ihm und durch ihn und zu ihm sind alle Dinge.“ Zu ihm, zu Gott hin, führen auch in Paul Gerhardts Lied alle Fragen:
Was sind wir doch, was haben wir auf dieser ganzen Erd,
das uns, o Vater, nicht von dir gegeben wird?
Und weiter: „Wer hat das schöne Himmelszelt hoch über uns gesetzt?
Wer ist es, der uns unser Feld mit Tau und Regen netzt?
Wer wärmet uns in Kält‘ und Frost, wer schützt uns vor dem Wind?
Wer macht es, dass man Öl und Most zu seinen Zeiten findt?“
Wer gibt uns Leben und Geblüt, wer hält mit seiner Hand
den güld‘nen, werten, edlen Fried in unserm Vaterland?
Eine Antwort auf all diese Fragen bleibt er nicht lange schuldig:
Ach, Herr, mein Gott, das kommt von dir, du, du musst alles tun.
Du hältst die Wacht an unsrer Tür und lässt uns sicher ruhn.
Und da geschieht es, dass der große Gott, der Ursprung aller Ding, von dem eigentlich zu schweigen wäre, weil man nicht erschöpfend über ihn sprechen kann, mir beim Singen plötzlich ganz nahekommt. Zu meinem persönlichen Gott wird, der sich um mich und mein Leben kümmert. Singend kann ich mich der Gegenwart Gottes versichern, ihm lobend näherkommen als mit Worten allein. Und darum frohen Mutes sein.
Wohlauf, mein Herze, sing und spring und habe guten Mut.
Dein Gott, der Ursprung aller Ding, ist selbst und bleibt dein Gut.
---------------------------------------------------------
Musikangaben:
Text: Paul Gerhardt (1653)
Musik: Johann Crüger (1653)
„Ich singe dir mit Herz und Mund“ für gemischten Chor und Orchester aus:
Ich bete an die Macht der Liebe. Große geistliche Chöre
Ausführende: Motettenchor Pforzheim und Schlagwerkgruppe unter der Leitung von Rolf Schweizer
SWR1 3vor8
Alles landet heute schnell auf dem Müll: Lebensmittel, die ein Mindesthaltbarkeitsdatum überschritten haben, Klamotten, die nach einer Saison nicht mehr gefallen, Elektrogeräte, die keiner mehr reparieren will. Selbst wer nachhaltig leben möchte, auf Verpackungsmüll verzichtet, in Secondhandläden einkauft und sein Handy bis zur Erschöpfung von Mensch und Material nutzt, kommt nicht drumherum: Wir leben in einer Wegwerfgesellschaft. 646 Kilogramm Abfall hat im Jahr 2021 jeder Deutsche produziert. Ist das nicht zum Verzweifeln?
Gegen solche Wegwerfmentalität wendet sich der Verfasser des biblischen Hebräerbriefs mit zwei einfachen Sätzen. Mir tun sie richtig gut. Der erste heißt: “ Werft euer Vertrauen nicht weg!“ Und ich verstehe ihn so: „Werft nicht auch noch euer Vertrauen weg! Es landet sowieso schon viel zu viel auf dem Müll, und euer Vertrauen ist kostbar. Auch wenn es schwer beschädigt ist, vielleicht sogar irreparabel kaputt und nicht mehr funktioniert, weil es schon so oft enttäuscht wurde. Holt es heraus aus den Abstellkammern, in denen es vor sich hingammelt, weil ihr gedacht habt, dass es sich nicht mehr lohnt, es zu benutzen. Ihr habt gedacht: Vertrauen war gut, Kontrolle ist jetzt besser. Oder Vorsicht. Oder ein angeblich gesundes Misstrauen. Aber glaubt mir, Vertrauen ist gut. Es gehört nicht auf den Müll. Nehmt es vorsichtig in die Hand. Pustet den Staub von seiner Oberfläche. Poliert es blank. Setzt es ein.
Und um das tun zu können, braucht es dann wohl auch noch den zweiten Satz aus dem heutigen Predigttext. Der heißt nämlich: „Geduld habt ihr nötig!“ Denn vertrauensbildende Maßnahmen sind oft eine mühselige und langwierige Angelegenheit. Das geht nicht von heute auf morgen. Ihr werdet Geduld und Spucke brauchen, Rückschläge erleben, wieder neu investieren müssen. Aber glaubt mir, am Ende kommt ihr mit Vertrauen weiter. Am Ende retten diejenigen die Welt, die darauf vertraut haben, dass sie zu retten ist. Übt euch also in Geduld. Aber werft euer Vertrauen nicht weg!
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38451Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Als wir vor drei Jahren die Idee hatten, den Balkon auf der Südseite des Hauses mit einer Weinlaube zu überdachen, war ich zunächst ein bisschen skeptisch. Ich habe es mir zwar schön vorgestellt, dort an heißen Spätsommerabenden mit einem Glas Wein im kühlen Schatten zu sitzen, aber große Geduld für das Experiment hatte ich nicht. Aber die Garten-Rubrik in meiner Wochenzeitung hat mir Mut gemacht. Da steht nämlich: „Alles dauert ewig und die Hälfte misslingt. Trotzdem gibt es nichts Schöneres als Gärtnern.“ Also haben wir es angepackt. Zuerst musste die Glyzinie raus. Eine traurige Arbeit. Dann haben wir einen Weinstock gepflanzt. Und siehe da, schon im dritten Jahr haben sich vor kurzem an den Drähten überm Balkon zum ersten Mal die Ranken geschlossen. Am Balkongeländer hängen nun unzählige Reben mit Trauben ohne Ende.
Ich staune über die unbändige Triebkraft dieses einen Weinstocks. Nicht von ungefähr dient er wohl in der Bibel als Grundlage für eines der kraftvollsten Bilder, das Jesus für sich und seine Anhänger gefunden hat. Da sagt er einmal: „Ich bin der Weinstock, ihr seid die Reben. Wer in mir bleibt und ich in ihm, der bringt viel Frucht.“ Wenn ich das höre und dazu das grüne Gewölbe auf meinem Balkon betrachte, schießt mir unmittelbar Kraft ein. So wie der Weinstock seinen Reben Kraft und Lebenssaft zufließen lässt. Und solche Kraft brauche ich als Christin in einer Zeit, in der so viel von schwindenden Kräften die Rede ist. Davon, dass Gemeinden kleiner werden und Kirchengebäude stillgelegt und verkauft werden müssen. Davon, dass die religiösen Bindekräfte in der Gesellschaft immer weiter abnehmen. Ich bin eigentlich ein sehr zuversichtlicher Mensch, aber dieser permanente Abwärtstrend setzt mir zu. Deshalb tut es mir gut, mich ab und zu in die Weinlaube zu setzen. Und dem nachzuspüren, dass es nicht meine gärtnerischen Bemühungen sind, die die Kirche am Leben halten werden. Dass die Kräfte dazu anderswo herkommen. Direkt aus der Erde. Direkt vom Schöpfer, der mit Christus einen starken Weinstock gesetzt hat. Und dass wir viele sind. Viele Reben an einem Weinstock. Wenn auch alles ewig dauert und die Hälfe misslingt. Trotzdem bleibe ich da dran.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38327Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Der kleine Ort Waterloo liegt rund 35 km südlich von Brüssel. Hier hat Napoleon im Jahr 1815 seine letzte Schlacht geschlagen und verloren, besiegt von einer alliierten Armee mit Soldaten aus sieben Ländern. Seither steht der Name des belgischen Städtchens im übertragenen Sinn für eine vernichtende Niederlage. „Da hab ich mein ganz persönliches Waterloo erlebt“, das heißt: An diesem Punkt bin ich mit einem Vorhaben endgültig gescheitert. Dass man mit Waterloo aber auch Siege einfahren kann, hat die schwedische Band Abba eindrucksvoll gezeigt. Mit ihrem gleichnamigen Titelsong haben sie 1974 den europäischen Grand Prix de la Chanson gewonnen. Mit Napoleon hält sich das Lied freilich nicht lange auf. Es erzählt eine andere Geschichte. Eine Liebesgeschichte.
Der englische Text lässt eine frisch verliebte Frau zu Wort kommen. Die singt davon, wie schön es ist, von der Liebe besiegt zu werden: „Meine Güte, ich hab zwar versucht, dich zurückzuhalten, aber du warst stärker. Es sieht ganz so aus, als müsste ich den Kampf nun aufgeben. Selbst wenn ich wollte, ich könnte dir nicht mehr entkommen. Mir bleibt nichts anderes übrig, als mich diesem Waterloo zu stellen.“ Wenn sie das Lied kennen, es tausend Mal mitgesungen oder dazu getanzt haben, werden sie mir zustimmen: Was für ein fantastischer Untergang! Denn so ist die Liebe: Sie stellt die Welt auf den Kopf, dreht alle Maßstäbe um. Was aussieht wie eine Niederlage, ist in Wirklichkeit ein Gewinn auf der ganzen Linie. Im Abba-Sound: “I feel like I win when I lose.” Ich fühl mich gerade dann stark, wenn ich mich verliere.
Von solchen Verlusten, die sich wie ein Hauptgewinn anfühlen, erzählt auch die Bibel. Im Jesus O-Ton: „Wer sein Leben erhalten will, wird es verlieren. Wer sich aber zu mir bekennt und deshalb sein Leben verliert, wird es erhalten.“ Und dann setzt er noch eins drauf mit der Frage: „Was hilft es dem Menschen, wenn er die ganze Welt gewinnt, aber mit einer beschädigten Seele durchs Leben läuft?“ Die Antwort liegt nicht nur für Napoleon auf der Hand: Das nützt gar nichts. Und dein ganz persönliches Waterloo muss noch längst nicht das Ende sein.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38326Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Sie ist ein echtes Schnäppchen, die Kirche in der kleinen Gemeinde Gretna auf der australischen Insel Tasmanien. Für umgerechnet 90 000€ ist sie zu haben samt Grundstück. Nun möchte ich nicht unbedingt in Australien wohnen, aber in einer umgebauten Kirche – das stelle ich mir durchaus spannend vor. Dort zu leben, wo Menschen 175 Jahre lang gesungen und gebetet haben. So lange war das historische Gebäude aus der Gründerzeit nämlich als Kirche in Betrieb, bis es für die 200 Einwohner im Dorf nicht mehr gebraucht wurde. Sie fahren jetzt zum Gottesdienst in den Nachbarort; das scheint überall auf der Welt eine ähnliche Entwicklung zu nehmen. Das ehemalige Gotteshaus steht leer und zum Verkauf. Es muss ein durch und durch von Segen getränkter Raum sein. Natürlich müsste er zuerst einmal grundlegend umgebaut werden. Das neugotische Fenster aus dem Chorraum macht sich sicher gut in einem Wohnzimmer. Und vielleicht könnte dort, wo jahrzehntelang der Altar gestanden hat, auch später wieder ein Tisch hin, um den alle sich zum Essen versammeln? Nur ein paar von vielen kniffligen Fragen, die zukünftige Bewohner werden lösen müssen.
Und dann wäre da noch die Sache mit dem Garten. Eine neue Eigentümerin erwirbt mit dem Kauf des historischen Gebäudes nämlich auch den umliegenden Friedhof. Und der soll weiterhin in Gebrauch bleiben und von den neuen Besitzern sogar gepflegt und verwaltet werden. Das ist wahrscheinlich nicht jedermanns Sache, jedes Mal beim Heimkommen den Weg über den Friedhof nehmen zu müssen. Andererseits könnte es auch eine schöne und lebensdienliche Übung sein, die Vergänglichkeit auf diese Weise ins alltägliche Leben zu integrieren. Ob der Tod etwas von seinem Schrecken verliert, wenn er im Vorgarten zuhause ist? Und ob die Hoffnung auf ein Leben nach dem Tod, die hier gepredigt wurde, aus den Ritzen der alten Mauern kriecht und sich tröstlich um die Seele legt, wenn draußen jemand beigesetzt wird? Wer weiß das schon. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden“, heißt es in einem biblischen Psalm. In diesem Sinne wünsche ich der Kirche St. Mary the Virgin kluge Bewohnerinnen und uns auf dem Weg zur letzten Ruhestätte eine gute Bleibe.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38325Zeige Beiträge 1 bis 10 von 157 »