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Mit zwei Enkelinnen, sieben und fünf Jahre alt, bin ich in der Stadt unterwegs. Am Straßenrand sehen wir einen Mann, der dort sitzt und bettelt. Der fasziniert und irritiert die Kinder zugleich. Warum sitzt er da, was will er haben – das Gespräch führt schließlich zu der Frage: Wie können wir ihm helfen? Das ältere Mädchen meint: Ich würde ihm Geld geben. Meine jüngere Enkelin sagt: Ich würde ihn mit nach Hause nehmen. Diese Antwort verblüfft mich. Ich dachte eigentlich mehr an Sozialstaat, Caritas und Ehrenamt. Aber ihn mit nach Hause nehmen?
Ohne es zu wissen hält sie mir einen Spiegel aus der Bibel vor, wo es auch darum geht, wen ich zu mir einlade: Dort wird erzählt, Jesus ist bei einem führenden Pharisäer eingeladen und schaut sich die übrigen Gäste an. Vermutlich alles so ehrenwerte angesehene Menschen wie der Gastgeber. Eine Gesellschaft, in der man sich gerne aufhält. Doch Jesus sagt zu dem Gastgeber: Wenn Du ein Essen gibst, lade nicht deinesgleichen ein. Die laden dann dich wieder ein und alles ist ausgeglichen. Lade lieber Arme, Krüppel, Lahme und Blinde ein, die es dir nicht vergelten können, und vertraue darauf, dass es Dir von Gott vergolten wird.
Ich gestehe ein, ich schaffe das nicht, die Menschen vom Straßenrand zu mir einzuladen. Natürlich haben sich die Zeiten geändert. Zur Zeit Jesu wäre die Einladung zu einem Essen für viele Arme die einzige Möglichkeit gewesen, überhaupt zu einer Mahlzeit am Tag zu kommen. Heute gibt es – wie gesagt – Sozialstaat, Caritas und Ehrenamt. Aber die Antwort meiner Enkelin piekst mich wie ein Stein im Schuh. In ihrer spontanen Reaktion macht sie darauf aufmerksam: Es geht um mehr als Essen. Es geht um Zugehörigkeit und Zuwendung, um Anerkennung und Respekt. Deshalb schlägt Jesus dem Pharisäer vor, Arme und Kranke zu sich einzuladen. Nicht damit sie abgefüttert werden, sondern damit sie dazu gehören.
Staatliche und gesellschaftliche Hilfe, Suppenküchen und Sozialämter sind hilfreich und bis auf weiteres unersetzlich. Keine Frage. Aber trotzdem bleibt etwas offen, mit dem ich noch nicht fertig bin und das in der Antwort meiner Enkelin liegt, wenn sie zu mir sagt: Ich würde ihn mit nach Hause nehmen.
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Ich habe mich in einem anderen Menschen getäuscht. Und in mir selbst.
Meine Frau und ich sitzen in unserer Lieblingspizzeria beim Mittagessen. Am Nebentisch essen vier gut gekleidete Männer. Offenbar freuen sie sich über einen beruflichen Erfolg, lachend und großspurig. Der Wortführer fällt mir besonders auf: Mit großen Gesten, lautstark und erfolgsverwöhnt redet er, mir ist er einfach unangenehm. - Der Verkäufer einer Obdachlosenzeitung geht von Tisch zu Tisch, bietet seine Zeitung an, bittet um eine Spende. Er kommt auch an den Tisch der vier Männer. Na, denke ich, die vier werden ihm was erzählen. Doch der großspurige Erfolgstyp wechselt den Ton und sagt: Eine Zeitung möchte ich Ihnen nicht abkaufen. Aber ich lade Sie zu einer Pizza und einem Getränk ein, nehmen Sie doch bitte Platz. Und der Verkäufer setzt sich an einen Tisch und bestellt sein Essen.
Diese Begebenheit erinnert mich an eine Geschichte, die Jesus erzählt: Zwei Männer gehen zum Beten in den Tempel, ein Zöllner und ein Pharisäer. Der Pharisäer ist ein respektierter, frommer Gelehrter. Der Zöllner ist ein verachteter Helfer der verhassten Römer, den die Leute meiden. Der Pharisäer fängt gleich an zu beten und legt Gott dar, wie er in jeder Hinsicht fromm und gottgefällig lebt. Und er dankt Gott, dass er nicht ist wie die anderen, wie zum Beispiel dieser Zöllner da hinten. Der bleibt nämlich ganz hinten stehen und sagte nur: Gott sei mir Sünder gnädig. Und Jesus lobt den Zöllner, der um Vergebung bittet, und nicht den Pharisäer, der glaubt – selbstsicher und arrogant wie er ist –, keine Vergebung zu brauchen.
Wann immer ich diese Geschichte lese, möchte ich mich gerne in dem Zöllner wiedererkennen, möchte meiner Fehler bewusst sein und um Vergebung bitten. Doch bei der Begebenheit in der Pizzeria finde ich mich unversehens in der Rolle des Pharisäers wieder. Da bin ich selbst in die Falle getappt und habe im Stillen gedacht: Na, so einer bin ich aber nicht, der sich da unangenehm großtut und herumprahlt. Doch die Großzügigkeit des anderen hat mich beschämt. Es ist nämlich nicht immer so klar, wer hier eigentlich der Pharisäer ist.
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Bis vor wenigen Jahren betonten die Wahlprogramme der Parteien die Werte „Freiheit, Solidarität und Gerechtigkeit“. Die einen sahen sich der Freiheit verpflichtet, andere mehr der Solidarität und wieder andere betonten die Gerechtigkeit. Meist kam eine Mischung aus den drei Werten heraus und gab dem Programm einen Rahmen. Durch Terrorismus und Kriege kam dann ein vierter Wert hinzu: Sicherheit. Nachvollziehbar, denn ohne Sicherheit sind die anderen Werte kaum zu verwirklichen.
Seit der Europawahl sehe ich aber eine wesentliche Veränderung. Auf den Plakaten und in den Programmen erscheint ein neuer Wert: Wohlstand. Und der verdrängt andere Werte. So plakatierte eine Partei nur noch: Freiheit, Sicherheit, Wohlstand. Gerechtigkeit und Solidarität kommen nicht mehr vor.
Ich verstehe Menschen, die Angst um ihren Wohlstand haben. Inflation, schrumpfende Wirtschaft und hohe Ausgaben für Krankheit und Pflege, Klima und Krieg – das kann ernsthaft beunruhigen. Zugleich frage ich, um wessen Wohlstand es der Politik geht. Die wirklich Wohlhabenden haben Mittel und Wege, ihren Wohlstand zu sichern. In der Pandemie steigerten die Milliardäre weltweit ihr Vermögen sogar um 60%. Wenn es wirklich um Wohlstand geht, dann doch um den gefährdeten oder den fehlenden Wohlstand derer, die nur knapp oder gar nicht über die Runden kommen: Viele Geringverdiener, Alleinerziehende, gesundheitlich Eingeschränkte, Menschen mit kleinen Renten und andere. Da geht es um eine gerechte und solidarische Beteiligung am Wohlstand unseres Landes. Und es geht auch darum, dass Menschen in anderen Ländern, die unseren Wohlstand sichern, Gerechtigkeit und Solidarität erfahren. Deshalb gehören für mich Wohlstand, Gerechtigkeit und Solidarität zusammen.
Der Apostel Paulus hat dafür ein ganz einfaches Rezept: Einer trage des anderen Last, sagt er, so erfüllt ihr das Gesetz Christi. Wer Lasten tragen kann für andere, insbesondere Ärmere, der soll das tun. Selbst wenn er für sich nichts erwarten kann. Denn er hilft so, unsere Gesellschaft etwas gerechter und solidarischer zu machen. Und darum sollte es in der Politik schließlich gehen.
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Mitten in der vielfältigen Kirchenkrise ermutigt mich, wie Jesus mit seinen Jüngerinnen und Jüngern umgeht. Er ruft seine zwölf engsten Freunde zusammen und sagt ihnen: Geht und verkündet: Das Himmelreich ist nahe. Heilt Kranke, weckt Tote auf, macht Aussätzige rein, treibt Dämonen aus!
Hier mutet Jesus seinen Anhängern eine Menge zu – Kranke heilen, sogar Tote auferwecken. Wunderbare Heilungen waren zur Zeit Jesu nicht so außergewöhnlich wie sie uns heute erscheinen. Sie waren jedoch einzelnen Wundertätern vorbehalten. Jesus aber beauftragt gleich eine ganze Jüngerschar. Und er mutet ihnen das nicht nur zu, er traut es ihnen auch zu. Er verleiht ihnen dazu seine Vollmacht. Er hütet seine Sendung und Vollmacht nicht ängstlich wie ein Magier sein Geheimwissen oder ein Zauberkünstler seine Tricks. Sondern er gibt sie weiter an seine Jünger. Er beteiligt sie aktiv an seinem großen Heilswerk. Das ist überraschend, wenn nicht ein Wunder. Und ein weiteres Wunder ist: Die Jünger machen mit. Sie sind Fischer, Steuereinnehmer und anderes, aber keine Mediziner oder Wunderheiler. Keiner sagt, tut mir leid, wie man mit Netzen und Steuern umgeht, das weiß ich, aber für’s Medizinerhandwerk habe ich zwei linke Hände. Sie vertrauen auf Jesus, auf die ihnen verliehene Kraft – und legen los. Und später wird Jesus noch viel mehr Menschen aus seiner Anhängerschaft beauftragen und so seinem Werk Breite und Wirkung verleihen.
So schickt Jesus voller Vertrauen seine Leute los: Er mutet ihnen etwas zu, aber er traut es ihnen auch zu. Er gibt ihnen reichlich von seinem eigenen Vermögen, seiner eigenen Vollmacht. Und er grübelt nicht, ob die Frauen und Männer wohl genug wissen und können, um dem Auftrag gerecht zu werden.
Ich finde das ungeheuer ermutigend für jede und jeden, die heute versuchen, an dem Werk Jesu mitzuarbeiten. Aller Schuld, allem Zweifel, allem Versagen zum Trotz dürfen Christinnen und Christen auf diesen Auftrag vertrauen. Weil Jesus es ihnen zutraut.
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Worte können verletzen, ja regelrecht vernichten. Anfeindungen und Drohungen in den sozialen Netzwerken, Kränkungen und Beleidigungen perlen nicht einfach ab. Sie machen Angst und verwunden. Ehrenamtliche geben ihr Engagement auf, Kommunalpolitiker ihr Amt, weil sie den Shitstorm, die Anfeindungen gegen sich und ihre Familien nicht mehr ertragen. Dabei hat die Anonymität eine besondere Bedeutung: Sie erleichtert hinterhältige Gemeinheiten und erschwert die Gegenwehr.
Das Problem ist nicht neu, es existiert nicht erst mit dem Internet. Die Bibel ist voller Klagen über Verleumdung, Spott und üble Nachrede. Zunge und Mund, aus denen die verletzenden Worte kommen, werden als scharfes Messer, als Schwert und spitze Pfeile bezeichnet, die schlimmstenfalls töten können. Kein Wunder, dass viele Beter sich an Gott wenden und um Schutz bitten vor übler Nachrede und Beschimpfung.
Die Bibel schaut aber auch auf die Spötter, Lügner und Verleumder und was ihre hasserfüllten Reden mit ihnen selbst anstellen. Wer hasst, schadet nicht nur seinem Opfer, er verdirbt sich selbst, bringt sich selbst in Schwierigkeiten. Denn Hass ist wie ein seelischer Krebs, er verzehrt den Hassenden von innen, bringt ihn um gute Tage und verdunkelt sein Leben. Ganz anders, wer sich von Verleumdung und Lüge fernhält. Den vergleicht die Bibel mit einem lebendigen Baum, der ans Wasser gepflanzt keinen Mangel leidet, sondern Blätter treibt und Früchte bringt. Einfach mal den Mund halten und Ärger oder Wut nicht in die Tasten hacken – dann geht es einem vielleicht selbst besser.
Das hilft aber nicht denen, für die Hassreden im Netz ein Weg sind, sich selbst aufzuwerten, sich wichtig zu machen. Denn durch Schweigen und Selbstbeherrschung fällt man im Netz nicht auf. Hier macht die Bibel einen anderen Vorschlag: Öffne deinen Mund für die Stummen, für das Recht aller Schwachen, verschaffe dem Bedürftigen und Armen sein Recht. Auch mit dem Einsatz für andere kann ich mir Gewicht verschaffen und Bedeutung – ohne dass es mich innerlich zerfrisst.
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Ich höre und lese es immer wieder: Die jungen Leute wollen nicht mehr so viel arbeiten. Sie wollen nicht mehr all ihre Kraft und Energie in Beruf und Karriere stecken. Sie wollen mehr Zeit für sich, für Familie und wichtige Dinge außerhalb der Erwerbsarbeit. Die junge Generation sei nicht bereit, den erreichten Wohlstand kraftvoll zu sichern, sich etwas abzuverlangen. Bequemlichkeit, mangelnde Einsatzbereitschaft werden unterstellt.
In krassem Gegensatz dazu steht eine Aktion, die heute beginnt: Heute startet die 72-Stunden-Aktion der katholischen Jugend in Deutschland. „Uns schickt der Himmel“ heißt ihr Motto. In nur 72 Stunden stellen bis zu 100.000 Kinder, Jugendliche und junge Erwachsene komplette Projekte auf die Beine. Das kann ein Mehrgenerationenfrühstück für 1000 Menschen sein. Oder der Aufbau von Klettergerüsten in einer Kita. Oder die Anlage eines Nutzgartens auf einem Abenteuerspielplatz und eines Volleyballfeldes bei einer Unterkunft für Geflüchtete. Noch viele hundert andere soziale und ökologische, politische und religiöse Projekte gehören dazu. Die jungen Leute wollen ihrem Glauben Hand und Fuß geben, so sagen sie. Und sie wollen die Welt ein Stück besser machen. Das soll konkret und sichtbar geschehen. Dafür hängen sie sich 72 Stunden rein, bringen vollen Einsatz. Ohne materiellen Vorteil oder Gewinn. Vielmehr aus Glauben, sozialer Verantwortung und Einsatzbereitschaft.
Diese Aktion gehört auch zum Bild der jungen Leute von heute. Möglicherweise ist diese Generation gar nicht bequemer oder weniger einsatzbereit. Sie setzt nur andere Akzente. Statt des persönlichen Fortkommens in Beruf und Karriere ist ihnen vielleicht wichtiger, dass die Welt ein Stück besser wird. Dafür müssen sie dann auch Zeit haben neben Familie und Beruf. Und zugleich zeigen die Kinder und Jugendlichen: Man kann wirklich etwas ändern, schon in 72 Stunden. Das macht Mut. Zum einen denen, die sich um die junge Generation sorgen. Und zum anderen allen, die sich auch eine bessere Welt wünschen. Die Jungen machen‘s vor.
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Keine Mauer hilft auf Dauer. Schon die Römer konnten mit Palisaden und Wällen die Germanen nicht aufhalten. Die Chinesische Mauer ist nur noch eine Touristenattraktion und das DDR-Regime konnte sich letztlich auch nicht hinter seiner Mauer halten. Alle Mauern wurden irgendwann niedergelegt, überrannt oder umgangen.
Daran denke ich bei der aktuellen Debatte, wie sich Europa gegen Menschen auf der Flucht abschotten könnte. Doch wie sollten Kontrollen und Zäune verzweifelte Menschen aufhalten, die nichts zu verlieren, aber viel für sich und ihre Familien zu gewinnen haben. Selbst das Mittelmeer mit inzwischen zig-tausend Toten überwinden sie, wie soll sie da eine noch so ausgeklügelte Grenze oder Mauer aufhalten!
Ich verstehe zugleich die Sorge, die vielen Flüchtlinge könnten uns überfordern. Wie ein wirksamer Lösungsbeitrag aussehen kann, zeigen Gespräche mit Flüchtlingen. Die meisten würden lieber in ihrer Heimat bleiben, wenn da nicht Krieg und Korruption, Krankheit und Armut herrschten. Es sind diese Fluchtursachen, die sie aus dem Land treiben. Wer will, dass sich nicht jedes Jahr Tausende auf die lebensgefährliche Flucht begeben, muss diese Fluchtursachen bekämpfen. Gerne erzählen Politiker, dass sie das doch tun, dass es aber nichts oder nicht genug nützt. Aber staatliche Entwicklungspolitik muss immer mit den Regierungen vor Ort paktieren. Und da die häufig selbst Teil des Problems sind, können staatliche Maßnahmen nur „in Grenzen“ erfolgreich sein.
In eine andere Richtung weisen zum Beispiel Caritas und Diakonie. Diese kirchlichen Hilfswerke paktieren nicht mit den Mächtigen, sondern arbeiten mit Gruppen vor Ort zusammen – die wissen am besten, was wirklich gebraucht wird und was wirklich hilft, gegen Hunger und Krankheit. Gemessen am eingesetzten Geld ist diese partnerschaftliche Hilfe seit vielen Jahren deutlich erfolgreicher als staatliche Maßnahmen. Denn sie bekämpft wirklich das Elend – und damit die Fluchtursachen.
Solche Hilfe ist eine Alternative zu Zäunen und Mauern. Und wenn ich will, kann ich sie sogar durch meine Spenden unterstützen.
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Wenn die Supermarktkette den Preis für ein Waschmittel senkt, dann jubelt der Sprecher in der Werbung, als ob er einen Lottogewinn zu verkünden hätte. Wenn mein Enkel zwei Lego-Steine im Computerspiel aufeinander setzt, dann bekommt er Beifall aus dem Lautsprecher, als ob er den Mainzer Dom nachgebaut hätte. Und wenn ich in meinem Online-Sprachkurs auch nur einen Satz richtig übersetze, beglückwünscht mich eine Comicfigur enthusiastisch zu meinem Sprachgenie.
Mir geht dieser Dauerjubel auf die Nerven. Zum einen sind es banale Anlässe, die da bejubelt werden – zwei Legosteine, eine Preissenkung. Zum anderen ist offensichtlich, was dieser Jubel bezweckt: Ich soll ja nicht wirklich für meine außerordentliche Leistung belohnt werden. Ich soll vielmehr bei der Stange bleiben, soll weiter in diesem Supermarkt kaufen, Lego-Steinchen aufschichten und das Sprachprogramm benutzen. Dieser Jubel ist eine seidene Fessel, die mich weiter an Produkte und Dienstleistungen binden soll.
Dabei hat Jubel gar nichts mit Fesseln oder Binden zu tun. Jubel ist vielmehr der befreite Freudenschrei, wenn sich eine bedrohliche Situation zum Besseren wendet. In der Bibel jubeln Menschen vor allem, wenn sie befreit werden. Als Gott die Israeliten am Roten Meer vor den Ägyptern rettet, da jubelt Moses mit dem ganzen Volk über die phantastische Rettung. Als Jesus einen Menschen von seiner Blindheit befreit, da jubeln die Umstehenden und preisen Gott. Befreiung lässt spontanen Jubel aufkommen. Und solche Anlässe zum Jubeln haben wir auch heute. Wenn verschüttete Bergleute in Indien nach Tagen befreit werden können, dann ist das ein Grund zum Jubeln. Wenn Geiseln freikommen oder ein Konvoi zu den Hungernden im Katastrophengebiet durchkommt, aber auch wenn Kranke genesen – das alles sind Gründe zum Jubeln. Und der Jubel bleibt berechtigt, trotz allen Elends auf der Welt. Wir sollten unbedingt immer wieder in so einen berechtigten Jubel ausbrechen. Denn es gibt die rettende Tat und das befreiende Ereignis, trotz allem. Und die verdienen bejubelt zu werden. Mehr als Waschmittel und Legosteine.
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Ich bin über einen Satz des Philosophen Peter Sloterdijk gestolpert. Er sagt: „Wir haben ein Problem mit Gott, weil er uns nicht mehr imponiert.“ Vielleicht hat er ja recht. Gott imponiert uns nicht mehr. Wir wollen uns lieber selbst imponieren. Zum Beispiel mit Städten, die wir dem Meer abringen wie in Dubai. Oder mit unserem Ausgreifen in den Weltraum bis zum Anfang des Universums. Oder mit einer künstlichen Intelligenz, die vieles besser und schneller kann als der Durchschnittsmensch. Das – und vieles mehr – sind imponierende Errungenschaften. Und dann drehe ich mich um und sehe, dass es uns nicht einmal in Europa gelingt, den Frieden zu sichern. Dass immer noch Millionen hungern. Ja, nicht einmal unsere Ehen und Familien können wir immer zu einem glücklichen Ende führen. Da geht dem Imponiergehabe die Luft aus, wie einem angestochenen Luftballon. Und Gott – wie könnte er mir imponieren? Vielleicht indem er all die Dinge geradebiegt, die mir misslingen. Das würde mir imponieren.
Doch Gott legt es offenbar gar nicht darauf an, zu imponieren. Wer als Kind kleiner Leute in die Welt kommt, der will nicht imponieren. Wer sich um die Kranken, Armen und Randexistenzen sorgt wie Jesus Christus, der will nicht beeindrucken. Gott geht es darum, dass Kranke gesund werden, Bedrückte sich aufrichten und Elenden ein Ausweg eröffnet wird. Alles nicht imponierend – aber voller Liebe, voller Zuneigung und Sorge.
Wenn ich einen Gott haben will, der mir imponiert, dann schaue ich in die Weite des Weltraums, in die Tiefe des menschlichen Bewusstseins und auf das Geheimnis des Lebens. Dann sehe ich staunend Gottes imponierende Schöpfung. Zugleich löst das keines meiner Probleme. Wenn ich aber auf den liebenden Gott schaue, wie er sich in Jesus Christus zeigt, dann ahne ich, dass dieser Gott nicht nur imponierend ist. Sondern dass er mir nahe sein will, dass er sich für mich interessiert, gerade, auch wenn mein eigenes Imponiergehabe zusammengebrochen ist und ich Hilfe und Orientierung brauche.
Wir haben ein Problem mit Gott, weil er uns nicht mehr imponiert – meint Peter Sloterdijk.
Nein, ich glaube eher, wir haben ein Problem mit Gott, wenn wir nicht seine Liebe und Zuneigung ahnen. Wenn wir ihn vor lauter eigenem Imponiergehabe nicht mehr wahrnehmen können. Gott will nicht imponieren. Er will lieben.
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„Ich bin nun mal so“. Diesen Satz höre ich immer mal wieder. Zum Beispiel von Leuten, die gerade eine abwegige oder bedenkliche Meinung geäußert haben. Vielleicht haben sie gerade alle Arbeitslosen in einen Topf geworfen und sich lauthals über deren Desinteresse an harter Arbeit beklagt. Oder sie entschuldigen so ihr eigenes Verhalten, das nicht ganz hasenrein ist. Haben vielleicht gerade einen Autofahrer angepöbelt, der ihnen die Vorfahrt genommen hat. Alles nicht ganz fein, aber was soll man machen: „Ich bin nun mal so“, das muss man verstehen, da kann man nichts machen, da kann man nichts ändern.
Dieser Satz „Ich bin nun mal so“ hat eine religiöse Parallele. Die lautet: „Gott liebt dich so, wie du bist“. Da kann ich ja aufatmen und muss nichts ändern, wenn Gott mich liebt, so wie ich bin. Also weitermachen wie bisher.
Ich kann mit beiden Sätzen nichts anfangen. Ich halte sie beide für Ausreden, damit ich nichts ändern muss: Ich bin nun mal so, und Gott liebt mich so, wie ich bin. Nein, ich glaube nicht, dass Gott mich so liebt, wie ich bin. Ich glaube nicht, dass er an mir liebt, was ich selbst nicht an mir mag, meine Bequemlichkeit, meine Vorurteile, meine Rücksichtslosigkeit oder Schlimmeres. Ich glaube viel mehr, dass er mich als Mensch liebt. Dass er mich liebt als sein Kind. Nicht wegen meiner Fehler, auch nicht mit meinen Fehlern, sondern mich als Person. Aber wenn das so ist – muss ich dann noch was ändern? Schließlich bin ich doch geliebt. Um von Gott geliebt zu werden, muss ich nichts ändern. Er liebt mich ja schon. Aber wenn ich will, kann ich etwas ändern, kann ich mich ändern. Aus der Sicherheit und mit der Kraft von Gottes Liebe kann ich ruhig auf mich und mein Verhalten schauen. Ich muss nichts mehr beschönigen. Ich kann eingestehen, was mir an mir selbst nicht gefällt und was ich deshalb ändern möchte. Ich muss mich vor Gott nicht verteidigen oder entschuldigen für meine Fehler und Schwächen. Ich kann mich ändern und muss nicht mit der faulen Ausrede kommen „Ich bin nun mal so“. Ich kann nämlich auch anders.
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