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SWR2 Wort zum Tag

25APR2024
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Immer wieder drängt sich im Leben die Frage auf, was denn das alles soll. Gerade wenn es wie derzeit so viel Leid und Elend in der Welt gibt. Wenn jeden Tag von der Eskalation eines bestehenden oder dem Ausbruch eines neuen Konfliktes die Rede ist. Klimakrise, Krieg in Gaza, Krieg in der Ukraine. Und das sind nur die größten Geschehnisse, von denen wir täglich hören. Es gibt noch so vieles mehr, wo die Welt nicht so genau hinschaut. Da frage zumindest ich mich oft, warum das alles sein muss. Was das alles für einen Sinn haben soll.

Aber der Blick in die große Politik ist nicht einmal nötig, auch in meinem kleinen Alltag kommt sie immer wieder hoch: Die Frage nach dem Sinn. Ich habe beispielsweise ein Buch geschrieben, aber niemand interessiert sich dafür. Oder wenn ich mich verliebt habe, aber vom anderen kommt nichts zurück. Das sind so Situationen, in denen das Leben nicht das hält, was es verspricht oder ich mir von ihm erhofft habe. Die mich zweifeln lassen am Sinn und Zweck des Ganzen. Wozu soll ich mich noch abmühen, wenn sowieso nichts dabei rauskommt. Es gibt solche Momente. Ich denke, jeder kennt das. Der Sinn des Lebens ist eine der großen Menschheitsfragen, die philosophische Literatur ist voll davon. Auch das Christentum sichert mir den Sinn des Lebens zu. Zumindest verstehe ich das „Fürchte Dich nicht“ so, von dem in der Bibel immer wieder die Rede ist, das Gott seinen Geschöpfen quasi immer wieder zuruft. Aber manchmal reichen alle Lehren, aller Glaube und alles Vertrauen eben nicht aus. Da brauche ich mehr.

Mir hilft es da, mich an den sinnvollsten Moment meines Lebens zu erinnern: Eine gute Freundin von mir ist schwanger gewesen. Der Vater des Kindes hatte sich aus dem Staub gemacht, sie war gerade in eine neue Stadt gezogen, aber wegen Corona gab es kaum Möglichkeiten jemanden kennenzulernen. Sie wollte unbedingt eine Hausgeburt, die Hebamme hat dem aber nur zugestimmt, wenn sie während und nach der Geburt nicht alleine ist. Schließlich hat sie mich gefragt, ob ich da sein könnte. Und so bin ich Zeuge dieser Geburt geworden. Ein bisschen konnte ich auch helfen. Und ich habe dieses kleine Wesen auf die Welt kommen sehen, habe seinen ersten Schrei gehört. Als einer der ersten Menschen hab ich den Kleinen berührt und in den Arm genommen. Das war das bewegendste, das ich je erlebt habe. In diesem Moment war alles sinnvoll. Es war alles richtig. Es war richtig, dass dieses Kind auf die Welt kommt und es war richtig, dass es Leben gibt, dass es Menschen gibt. Seither denke ich, dass der Sinn des Lebens das Leben selbst sein könnte. Dass mit jedem neuen Leben auch sein Sinn geboren wird.

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SWR2 Wort zum Tag

20JAN2024
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Ich freue mich immer, wenn jemand von meinen Freunden oder Bekannten heiratet. Ganz besonders wenn dann Kinder kommen und sie eine Familie gründen. Ich finde Familie sehr wichtig, sie ist der Ort an dem ein neu geborener Mensch zum ersten Mal anderen Menschen begegnet. Der Ort, der seine Anfänge prägt.

Eine Besonderheit des christlichen Glaubens ist, dass auch Gott in Menschengestalt auf die Welt gekommen ist. Und auch er ist zum ersten Mal in seiner Familie als Mensch anderen Menschen Aug in Aug begegnet. Ich finde es spannend, was das denn für eine Familie war, in die Gott geboren wurde. Da ist eine unehelich schwangere Frau, die mit ihrem Verlobten, der nicht der Vater des Kindes ist, diese Familie gründet. Man kann da nicht gerade von grundsoliden Verhältnissen sprechen. Es ist keine Familie, die den Idealvorstellungen der Kirche entspricht, in die Jesus da hineingeboren wird. Im Gegenteil. Die Amtskirche hätte in den folgenden 2000 Jahren so einiges an diesen Verhältnissen auszusetzen gehabt. Ich finde das eigentlich verwunderlich. Denn einerseits hat die Kirche eine klare Definition davon, was als Familie gilt und was nicht. Verkürzt gesagt: Verheiratete Eltern, eigene Kinder. Andererseits beruft sie sich aber auf Jesus, der in eine Familie geboren ist, die diesem kirchlichen Idealbild nicht entspricht. Ich finde es grundsätzlich nicht schlimm und nicht falsch ein bestimmtes Familienbild zu bevorzugen. Das ist völlig in Ordnung, aber ich finde es schwierig ein solches Bild als das einzig richtige zu propagieren. Denn es gibt eben nicht nur diese eine ideale Form. Vermutlich ist das Ideal sogar eher selten geworden und gerade heute gibt es eine Vielzahl von Möglichkeiten Familie zu bilden, zu pflegen und zu leben. Und mein Eindruck ist, dass diese Möglichkeiten nicht zwangsläufig schlechter sind als die klassische Vorstellung. Sie sind nur ein bisschen anders. Ich stelle mir vor, dass Maria, Joseph und Jesus trotz der von den gesellschaftlichen Forderungen her gesehenen schwierigen Voraussetzungen, eine glückliche Familie gewesen sind. Auch wenn sie vielleicht die verlangte Form nicht ganz eingehalten haben, sie haben ihr Zusammensein mit Leben und mit Liebe gefüllt. Das ist doch das Wichtigste. Ich glaube, die Autoren der Evangelien haben die heilige Familie ganz bewusst ein bisschen unheilig dargestellt. Weil sie einen Blick für die Wirklichkeit hatten. Weil sie wussten, wie es läuft bei den Menschen. Da sind sie manchen  kirchlichen Vorstellungen weit voraus. Sie sind von der Wirklichkeit ausgegangen, nicht von einer Idealvorstellung. Das hätte der Amtskirche zu allen Zeiten in vielen Bereichen auch gut getan. Und würde ihr auch heute noch guttun.

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SWR2 Wort zum Tag

19JAN2024
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Große Liebe habe ich zum ersten Mal in der Kirche gespürt. Ganz konkret als Jugendlicher im Gottesdienst. Allerdings hatte das wenig mit Gott oder der Messe selbst zu tun. Das gab nur den Rahmen vor. Ich war 15 und schwer verliebt. Das Ziel dieser meiner Liebe war so alt wie ich und wunderschön. Jeden Sonntag saß sie mit ihren Eltern in der Kirche. Ganz vorne. So, wie es ihr gebührte. Sie ist so ein Mensch für die erste Reihe gewesen. Davon war ich damals überzeugt. Ich bin hinten gesessen, irgendwo in der riesigen Kirche meiner Heimatstadt, wo es ein bisschen dunkler war. Jeden Sonntag bin ich in den Gottesdienst. Freilich, weil ich das Bedürfnis dazu hatte, aber eigentlich wegen ihr. Um sie zu sehen, um vielleicht einen Blick von ihr zu erhaschen oder – noch besser – ein Zunicken oder gar ein Lächeln. In den Liedern, die gesungen wurden, habe ich sicherlich Gott verherrlicht, aber eigentlich sie. Wenn ich vor dem Allerheiligsten gekniet habe, dann habe ich eigentlich vor ihr gekniet. Wenn es darum ging still zu beten, dann habe ich nicht gebetet, sondern an sie gedacht. Wenn von der Liebe Gottes die Rede war, so habe ich nur die Liebe zu ihr im Sinn gehabt. Ich habe bei der Wandlung nicht auf den vom Priester empor gehaltenen Leib Christi geschaut, sondern auf ihren Rücken und ihren Hinterkopf und habe dort alles Anmutige der Welt entdeckt. Ich hätte alles für sie getan und stellte mir das auch so vor. Wie es nun mal so ist, mit 15, den Gefühlen und Sehnsüchten schutzlos ausgeliefert, habe ich mich diesen völlig hingegeben. Heute kann ich darüber schmunzeln, finde mein Fühlen sogar ein bisschen bedenklich, in jedem Falle kitschig. Damals aber war es der Mittelpunkt meines Lebens, dem ich alles untergeordnet habe.

Wir sind uns dann irgendwann sogar näher gekommen und ein Stück gemeinsam gegangen. Letztendlich habe ich das dann gründlich vermasselt. Danach haben wir uns aus den Augen verloren. Jeder hat seine eigene Richtung eingeschlagen.

Ich verbinde Gottesdienst und Kirche ganz stark mit dieser Geschichte und diesen Gefühlen. Wahrscheinlich, weil es dort angefangen hat. Wahrscheinlich, weil meine ungezügelte Verliebtheit irgendetwas mit Gott zu tun hat. Vielleicht ein religiöses Moment hat. Wie dem auch sei. Ich hoffe, es geht ihr gut und sie ist glücklich. Sie ist nicht mehr in meinem Leben. Gott ist geblieben.

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SWR2 Wort zum Tag

18JAN2024
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Kürzlich habe ich mich mit einer Freundin unterhalten, die derzeit etwas überlastet ist. Sie hat geklagt, dass ihr alles zu viel werde. Irgendwann ist dann der Satz gefallen, der häufig in solchen Gesprächen vorkommt: „Aber das ist ja alles Jammern auf hohem Niveau“. Das ist eine Aussage, die ich natürlich erstmal verstehen kann, aber sie regt mich auch auf. Denn ich weiß nicht, was das eigentlich soll. Sie klagt über ihren Kummer und relativiert ihn dann, indem sie behauptet, dass das gar kein wirklicher Kummer ist. Zumindest im Vergleich zu den Sorgen anderer. Das klingt edelmütig und weitblickend. Aber ich glaube, das ist es nicht. Mir kommt es so vor, als würde sie sich ein schlechtes Gewissen machen, weil sie unter keinen „richtigen Problemen“ leidet. Aber nur um dadurch ein scheinbar reines Gewissen zu bekommen, weil es ihr ja bewusst ist. Doch in Wirklichkeit wird sie von ihren Sorgen gequält und fühlt sich noch dazu schlecht, weil es irgendwie keine „richtigen“ Sorgen sind.

Das erinnert mich an etwas aus meiner Kindheit. Ich war das, was man ein „näschiges“ Kind nennt. Ich wollte eigentlich nur Spätzle essen, sonst nichts. Aber es wurde immer wieder verlangt, dass ich von allem probiere. Und zwar oft mit der Begründung, dass „Die Kinder in Afrika“ dankbar wären, wenn sie das hätten, was ich hatte. Das wären sie wahrscheinlich, aber bei mir hat es nur folgendes ausgelöst: Ich hatte ohnehin ein schlechtes Gewissen, weil mir nichts geschmeckt hat. Zusätzlich fühlte ich mich dann noch schuldig, weil es anderen viel schlechter ging. Das Ergebnis war nicht, dass ich alles gegessen, sondern dass ich mich doppelt geschämt habe. Und den „Kindern in Afrika“ hat es auch nichts gebracht, dass sie dafür herhalten mussten mich zur Demut zu erziehen. Ähnlich scheint es bei diesem „Jammern auf hohem Niveau“ zu sein.

Ich denke, alle Sorgen sind erstmal echt. Auch wenn sie noch so klein scheinen, auch wenn sie bei uns natürlich oft aus unserem überschäumenden Wohlstand heraus entstehen. Wenn sie mir zusetzen, sind sie da. Indem ich sie relativiere, kann ich mich vielleicht als ehrlich oder achtsam inszenieren, aber die Probleme sind damit nicht gelöst, sondern eher vergrößert.

Wenn ich tatsächlich der Ansicht bin, dass meine Sorgen klein und nichtig sind und ich darunter leide, dass es mir zu gut geht, dann ist es wohl besser etwas an meinem Leben oder zumindest an meiner Haltung dazu zu ändern. Es könnte ein guter Anfang sein dankbar dafür zu sein, wie ich leben kann, anstatt mich deswegen schuldig zu fühlen. Und aus dieser Dankbarkeit heraus wirksam werden für die, denen es schlechter geht.

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SWR2 Wort zum Tag

09DEZ2023
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Jürgens Todestag war auf den 18. August festgesetzt worden.

Ich habe den Sommer in den Bergen auf einer Hütte verbracht. Jürgen war das Schwein, das auf der benachbarten Alm aufgewachsen ist. Am genanntem Datum sollte ein kleines Fest dort oben stattfinden. Zu diesem Anlass sollte Jürgen geschlachtet werden. Sein Leben war also auf diesen Tag hin angelegt und sollte da in einen Festbraten münden. Weil ich gerne und viel laufen gehe, bin ich zwei Monate lang beinahe täglich an Jürgens Gehege vorbeigekommen. Ich habe gesehen, wie er in der Erde gewühlt hat, gefressen hat und gewachsen ist. Als dann der 18. August immer näher gekommen ist, bin ich ab und zu an seinem Zaun stehengeblieben und habe ihm zugeschaut. Er hat unbekümmert die Sachen gemacht, die er eben macht. Nichts von seinem nahen Tod ahnend. Mein Vegetarierherz hat natürlich geblutet.

Am  Tag vor seinem Tod, stand ich wieder am Zaun. Da hatte ich das große Bedürfnis ihn zu warnen. „Morgen wirst Du geschlachtet“, habe ich ihm zugerufen. „Heute ist Dein letzter Tag“. Ich habe mir eingebildet, dass er das wissen sollte. Ich habe auch kurz darüber nachgedacht ihn zu befreien, ihm eine Chance zu geben davonzukommen. Aber er hat auf meinen Zuruf nicht einmal reagiert, es hatte geregnet und er sich in einer Dreckpfütze gesuhlt.

Am 19. August kam ich in der Frühe wieder vorbei. Jürgens Gehege war leer. Ich bin mit einem sonderbaren Unbehagen am Zaun gestanden. Ich weiß nicht, wie ein Schwein denkt und fühlt, aber ich konnte es nicht verhindern mich an seinem Gehege mit ihm zu vergleichen. Jürgen hat bis zu seinem Lebensende kerngesund und grunzend in seinem Element gelebt. Im Vergleich zu den meisten seiner Artgenossen hatte er ein privilegiertes Leben. Er war wahrscheinlich ein glückliches Tier. Ich lebe auch ein privilegiertes Leben, ich bin ein freier, selbstbestimmter, glücklicher Mensch. Ich will noch lange leben. Und ich hatte gedacht, Jürgen will das sicher auch. Deshalb habe ich ihn gewarnt, dass er geschlachtet werden soll. Aber er hat nicht reagiert. Natürlich konnte er mich nicht verstehen, ich habe ihn vermenschlicht und mich selbst auf ihn projiziert. Er hat einfach weitergemacht mit dem, was er immer gemacht hat. Er hat sich nicht dafür interessiert, wann er sterben muss. So habe ich es gedeutet. Und irgendwie, glaube ich, dass er damit recht gehabt hat.

Denn ich denke, es ist gut, dass wir den Zeitpunkt nicht kennen, an dem wir sterben müssen. Ich zumindest will es gar nicht wissen. Ich will weiterleben in der Hoffnung, dass es weitergeht. Bis es irgendwann vorbei ist. Irgendwann - Das genügt, mehr muss ich gar nicht wissen.

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SWR2 Wort zum Tag

08DEZ2023
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Vor Kurzem musste ich mal wieder eine Vollbremsung hinlegen. Ich weiß nicht mehr was gewesen ist, vielleicht habe ich am Radio was verstellt, vielleicht - ich gestehe es – am Handy rumgedrückt. Auf jeden Fall war ich kurz unaufmerksam. Als ich wieder auf die Straße geschaut habe, war da plötzlich ein Müllaster, der vorher noch nicht dagewesen ist. Ich bin auf die Bremse gestiegen und konnte gerade noch rechtzeitig halten. Aber fast wäre es schiefgegangen und es hätte möglicherweise böse Folgen haben können. Glück gehabt! habe ich gedacht. Ich war danach eine Weile lang ganz schön angespannt, erst allmählich ist der Schreck von mir abgefallen. Und auf der restlichen Fahrt habe ich darüber nachgedacht, in wie vielen Situationen ich schon Glück gehabt habe. Wie oft es knapp gewesen ist.

Nicht nur beim Autofahren, auch mit dem Fahrrad, oder wenn ich zu Fuß unterwegs gewesen bin. Es gibt ja allerhand Gefahren. Ganz banale Sachen. Nasses Laub zum Beispiel, auf dem ich schon oft ausgerutscht bin oder vereiste Pfützen im Wald. Wenn man nicht aufpasst, kann schnell was schief gehen. Aber nicht nur die eigene Unaufmerksamkeit ist gefährlich, auch die der anderen. Sieht mich der Autofahrer nachts, wenn ich mit dem Rad unterwegs bin?

Ich bin auf jeden Fall schon in einigen brenzlichen Situationen gewesen. Aber mir ist noch nie etwas passiert. Ich habe mir noch nie was gebrochen, mich noch nie schwer verletzt. Auch zuhause, die meisten Unfälle, heißt es ja, passieren im Haushalt. Auch da ist mir - Gott sei Dank - noch nie etwas Ernstes zugestoßen. Keine Schnittverletzungen in der Küche, kein Ausrutschen in der Dusche. Irgendwie, so mein Eindruck, bin ich ein Glückskind. Sonst wäre ich wohl schon lange nicht mehr hier. Das wird mir immer klarer, je älter ich werde.

Vielleicht hält jemand eine schützende Hand über mich. Vielleicht gibt es so etwas wie einen Schutzengel. Ich weiß es nicht. Jedenfalls hatte ich bislang mehr Glück als Unglück, wenn es um die alltäglichen Gefahren geht. Vielleicht auch mehr Glück als Verstand. Dafür bin ich sehr dankbar, denn das ist nicht selbstverständlich. Neulich hatte ein Freund von mir einen schweren Unfall. In einer Situation, die ich schon hundertmal heil überstanden habe.

Es ist so eine Sache mit dem Glück. Man braucht viel davon, jeden Tag. Und ich wünsche mir, dass es genug davon für alle gibt. Denn, das weiß jeder, das hat jeder schonmal im eigenen Umfeld oder am eigenen Leib erlebt. Oft genügt es nur einmal Pech zu haben. Und alles ist anders.

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SWR2 Wort zum Tag

07DEZ2023
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Vor Jahren bin ich mal nach einer langen Wanderung in einem typischen alpenländischen Urlaubsort gelandet. In den Straßen ist mir an vielen Häusern ein Schild mit der Aufschrift Fremdenzimmer aufgefallen.

Ich bin dann in ein Wirtshaus gegangen, das völlig überfüllt gewesen ist. Ich habe nur noch Platz an einem Tisch gefunden, an dem schon eine Gruppe gesessen hat. Wie sich herausstellte, waren es lauter Einheimische. Wir kamen ins Gespräch und unterhielten uns über die Berge der Region. Die interessantesten Routen durch die Wände, die idyllischsten Seen, die urigsten Almen und die schönsten Aussichtspunkte. Weil ich schon oft dort in der Gegend gewesen war und mich einigermaßen auskannte, konnte ich gut mitreden und ich hatte den Eindruck gehabt, dass ich akzeptiert wurde. Da es allesamt ältere Männer gewesen sind und es mich immer interessiert, wie es früher gewesen ist, fragte ich schließlich, wie sehr sich der Ort gewandelt hat. Wovon die Leute hier leben und wie groß der Einfluss des Tourismus ist. Dabei bin ich auch auf die auffallend vielen Fremdenzimmerschilder zu sprechen gekommen. Ich hatte den Eindruck, dass jeder, der hier lebt, sein Geld mit Tourismus verdient oder zumindest die Kasse ein wenig damit aufbessert. Das war auch so, habe ich zur Antwort bekommen. Von der Landwirtschaft zu leben lohne sich nicht mehr, sagten sie, viele von den Jungen arbeiteten in der Stadt und pendelten hin und her, einige lebten ganz vom Tourismus. Aber beinahe jeder vermietete Zimmer an Touristen. Einer von Ihnen sagte, dass er auch zwei Fremdenzimmer anbiete. Aber eigentlich, fügte er hinzu, kämen dort seit vielen Jahren immer die gleichen Gäste, die hier Urlaub machen. Das sei bei den meisten so. Man kenne sich mittlerweile und freue sich immer schon, wenn zu den entsprechenden Zeiten die entsprechenden Gäste kommen. Die anderen am Tisch stimmten zu, dass es bei ihnen auch so sei und auch bei allen, die sie kannten.

Natürlich geht es bei dem ganzen um Tourismus, auch darum Geld zu verdienen. Die Gäste, auch wenn sie schon lange kommen, zahlen vermutlich die normalen Tarife. Aber dennoch, ich finde, es ist ein schönes Bild. Wenn man überlegt, was passieren kann, wenn man Fremdenzimmer anbietet. Es ist gut zu wissen, dass in all den Fremdenzimmern mittlerweile Freunde wohnen. 

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SWR2 Wort zum Tag

08JUL2023
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Vor Kurzem war ich mit einem Freund beim Klettern in den Alpen. Wir sind ganz darauf konzentriert gewesen den Weg nach oben zu finden und die Sicherungen zu legen. Irgendwann sind wir auf einen kleinen Absatz gekommen, auf dem loses Geröll gelegen ist. Auf der Suche nach dem Weiterweg haben wir mit dem Seil ein paar Steinbrocken in die Tiefe gestoßen. Zum Glück konnte die Seilschaft, die nach uns geklettert ist, rechtzeitig reagieren und es ist nichts passiert. Wäre jemand getroffen worden, wäre das schlimm ausgegangen. Da ist mir wieder klar geworden, dass man nicht nur nach oben, sondern auch nach unten schauen muss. Dass andere zu Schaden kommen können, wenn ich nicht genug Rücksicht nehme...

Hätte ich diese kleine Geschichte jetzt gehört, würde ich mich wahrscheinlich fragen: Warum erzählt der uns das? Das ist doch selbstverständlich: Man muss Rücksicht aufeinander nehmen. Man muss im Blick haben, was um einen herum geschieht.

Es stimmt: Das weiß doch jeder. Diese Geschichte ist einfach. Geradezu alltäglich.

Ich glaube, dass das mit den meisten wesentlichen Dingen so ist. Wir wissen doch Bescheid. Wir wissen darüber Bescheid, dass Kriege nichts bringen, und die Welt kaputt geht – um nur die großen Themen zu streifen. Im Kleinen wissen wir, dass es wichtig ist zuzuhören, verständnisvoll, nachsichtig und rücksichtsvoll zu sein. Jeder weiß, dass er nicht allein ist auf der Welt. Natürlich gibt es Dilemmata und Krisen, die schwer zu lösen sind. Aber die grundsätzlichen Pfeiler für ein gelingendes Leben und Zusammenleben haben wir doch schon lange erkannt und verstanden. Zumindest ist das Wissen darüber verfügbar. Es gibt keinen Erkenntnismangel. Man könnte sagen: wir sind so gescheit - aber irgendwie werden wir nicht gescheiter.

Denn das Klima kippt, es herrscht Krieg, es gibt Armut, Hunger, Ungerechtigkeit – Die Liste ließe sich endlos fortführen. Warum lassen wir, um das Bild vom Anfang noch einmal aufzugreifen, andauernd Steinbrocken auf andere fallen, obwohl wir wissen, dass das falsch ist?

Das frage ich mich schon lange. Denn ich selbst scheitere ja auch immer wieder an meinem Anspruch. Zum Beispiel will ich zuverlässiger sein, als ich es oft bin.

Es ist fast so, als würde all das schöne Wissen nichts bringen. Etwas Wichtiges fehlt.

Ich nenne das gerne: Fleischwerdung. Wenn die Erkenntnis nicht vom Kopf in den Leib und von da ins Handeln sickert, bringt sie nichts. Wir kommen nicht weiter, wenn wir nur klug daherreden. Unsere Erkenntnis muss Fleisch werden – Wirksam werden.

Und die Idee ist nicht von mir. Ich hab sie mir von Gott geliehen.

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SWR2 Wort zum Tag

07JUL2023
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„Wer mit 20 kein Kommunist ist, hat kein Herz, wer es mit 40 immer noch ist, keinen Verstand“. Dieses Zitat, das Winston Churchill zugeschrieben wird, beschreibt – natürlich etwas überspitzt – ganz gut die Entwicklung eines Menschen. Das Älterwerden und den damit einhergehenden Wandel: In seinen Einstellungen, seinen Idealen, seinen Hoffnungen.

Der Kommunismus steht hier, wie ich es verstehe, für eine ideale Welt, in der alle gleich sind und friedlich miteinander leben. Er drückt den jugendlichen Elan aus, der die meisten mit 20 erfüllt, wenn die Welt für sie offen steht und alles möglich erscheint. Ich kenne das sehr gut. Ich bin auch so gewesen. Ich glaube, ich war davon überzeugt, dass die Welt nur auf mich wartet und gerettet ist, wenn sie auf mich hört.

Heute ist vieles von diesem Idealismus verloren gegangen. Manches kann ich kaum mehr nachvollziehen, ich bin nüchterner geworden, sachlicher, erfahrener. Obwohl ich immer noch jung bin. Zumindest wird mir das oft gesagt. Aber ich fühle mich heute – mit 42 – oft den 60-Jährigen näher als den 20-Jährigen. Als gäbe es mit dieser Altersgruppe für mich eine größere Schnittmenge. Manchmal erschrecke ich vor mir selbst, wie konservativ ich in manchen Bereichen geworden bin im Vergleich zu früher. Mein jugendliches Ich hätte mein heutiges wahrscheinlich als langweiligen Spießer bezeichnet. Angepasst und eingefahren. Mein heutiges Ich ist andererseits froh, kein Luftikus mehr zu sein, sondern reifer, realistischer und wie ich finde, weitsichtiger. In gewisser Weise findet das, was man Generationenkonflikt nennt, also in mir selbst statt. Ich denke, das ist bei vielen Menschen ab einem gewissen Zeitpunkt so.

Das ist für mich eine wichtige Erkenntnis. Denn der äußerliche Generationenkonflikt wird schärfer. Junge Klimaschützer werfen den Alten vor das Klima zerstört zu haben. Auch die digitalen Möglichkeiten scheinen mir immer stärker eine alte und eine neue Welt zu schaffen, die auseinander driften. Obwohl ich pauschale Gegenüberstellung wie alt gegen jung nicht mag, weil dabei vieles ausgespart bleibt, erkenne ich eine gewisse Tendenz in diese Richtung. Aber einerseits den Alten Ignoranz und andererseits den Jungen Naivität vorzuwerfen, bringt uns nicht weiter. Ich glaube, der Blick in sich selbst hinein, kann hier helfen. Wenn ich mich an mein eigenes junges Ich erinnere, kann ich die heutige jungen Menschen vielleicht besser verstehen. Wenn ich mich auf die Lebenserfahrung der Älteren einlasse und sie nicht nur als Besserwisserei abtue, kann ich mich auch dieser Weltwirklichkeit öffnen. So können wir zusammenkommen. Denn wir alle sind Formenwandler- wir alle verändern uns. Die Jungen bleiben nicht jung und die Alten waren nicht immer alt.

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SWR2 Wort zum Tag

06JUL2023
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Die Yagan sind ein Volk von Wassernomaden auf Feuerland. Dort, in ihrem angestammten Gebiet haben sie Jahrhunderte lang gelebt, bis weiße Siedler auf sie gestoßen sind. Heute sind sie nahezu ausgestorben.

In der Sprache der Yagan gibt es ein Wort, das es als das „prägnanteste Wort“ sogar ins Guinnessbuch der Rekorde geschafft hat. Ich kann es nicht aussprechen, nur ablesen. Es lautet in etwa so: Mamihlapinatapai.

Ins Deutsche übersetzt, drückt es in etwa Folgendes aus: „Das Austauschen eines Blickes zwischen zwei Personen, von denen jeder wünschte, der andere würde etwas initiieren, was beide begehren, aber keiner bereit ist, zu tun.“

Ich finde das wundervoll. Es beschreibt eine Situation, die vermutlich jeder kennt. Wenn etwas zwischen zwei Menschen da ist, eine Erwartung, ein Wunsch oder eine Sehnsucht. Aber jedem fehlt der Mut es auszudrücken. Diese Stimmung ist sehr komplex und lässt sich in unserer Sprache kaum greifen. Die Yagan haben dafür nur ein Wort. Vielleicht, weil sich ihr Blick auf die Welt und das Leben mehr auf solche Dinge beziehen. Weil ihre Prioritäten so gelagert sind, dass ihre Sprache dieses „ Austauschen eines Blickes zwischen zwei Personen, von denen jeder wünschte, der andere würde etwas initiieren, was beide begehren, aber keiner bereit ist, zu tun“ leicht ausdrücken kann. Wahrscheinlich würden Sie sich dafür mit einem Wort wie „Bußgeldbescheid“, eher schwer tun

Aber, wie schon gesagt, sie sind nahezu ausgestorben. Mit Ihnen ihre Kultur, ihre Lebensweise, ihre Sprache. Die Art und Weise wie sie auf das Leben geschaut und es ausgedrückt haben, gibt es fast nicht mehr.

Dadurch ist die Welt ärmer geworden.

Wie sich die Entdecker und Eroberer der Erde dort aufgeführt haben, ist heute bekannt.

Einer ihrer Beweggründe war es, das „Wort Gottes“, das Evangelium in alle Welt zu tragen. Darin ist viel von Heil, Erlösung und Frieden die Rede. Aber was sie getan haben, hat damit wenig zu tun gehabt. Auch was da im Namen des Christentums geschehen ist, lässt sich in unserer Sprache kaum ausdrücken. Vielleicht hätten die Yagan ein Wort dafür zur Verfügung gehabt. Das müsste in etwa Folgendes bedeuten: „Das Gegenteil von dem tun, was man behauptet zu tun und danach darauf beharren, das getan zu haben, was man behauptet hatte, tun zu wollen“. Dieses Wort, wie auch immer es klingen könnte, würde einen großen Bereich unserer Geschichte gut umschreiben. Unsere Sprache liefert dagegen viele Begriffe, die darauf antworten könnten: „Einsicht“, zum Beispiel, oder „Wiedergutmachung“. Und ganz bestimmt dieses: „Aus den Fehlern lernen“.

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