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SWR2 / SWR Kultur

 

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SWR Kultur Wort zum Tag

10FEB2025
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Vor Kurzem habe ich die Wieskirche in der Gemeinde Steingaden im Allgäu besucht. Ihr vollständiger Name lautet: „Wallfahrtskirche zum gegeißelten Heiland auf der Wies“. Im Zentrum der Verehrung steht also, wie der Name schon sagt, der gegeißelte Christus, der dort auch dargestellt ist. Er steht da, in Ketten gelegt. Er ist gebeugt und verletzt. Man sieht ihm die Folter an. Es wird die ganze Gewalt, die Menschen einander antun können, gezeigt. Eine Geißelung ist wirklich nichts Schönes, sie ist blutig und brutal. Ich persönlich habe trotzdem etwas für solche Darstellungen übrig. Ich finde es gut, wenn die Wirklichkeit gezeigt wird.

Im angrenzenden Wirtshaus allerdings wurde ich Zeuge eines Gespräches. Eine Frau, die das offensichtlich ganz anders sah, unterhielt sich mit einer alten Ordensschwester. Die Frau war unheimlich aufgebracht und schimpfte über den „Geißelkult“, wie sie es genannt hat. Sie hat sich verärgert über den Katholizismus ausgelassen, der mit seiner Todessehnsucht und seinen gewaltverherrlichenden Darstellungen den Menschen nichts als Angst machen würde. Was sei das denn für ein Leben, in ständiger Angst vor dem Tod und ständiger Erinnerung an das Leid, sagte sie. Das Leben biete doch viel mehr und sei doch viel bunter und schöner, als die Katholiken glauben machen wollten. Die Ordensschwester ließ die Frau ruhig ausreden, lächelte und sagte nur: „Sie haben recht, das Leben ist schön ... Aber das Leid ist eben auch da.“

Das hat mich bewegt. Es stimmt: Das Leid ist eben da. Das Leben ist mit Schmerzen, mit Verlust, mit Krankheit, Trauer und Angst verbunden. Wir können versuchen all das zu lindern, aber wir können uns ihm nicht entziehen. Da ist mir wieder die Bedeutung des gegeißelten Heilands aus der Kirche wirklich bewusst geworden. Von Jesus, der die Passion durchlitten hat. Von Gott, der geblutet hat und in den Dreck geworfen worden ist. Der Tränen vergossen hat. Der ist ein Gott, der das Leid, der unser Leid, nicht ausspart. Der es sieht und selbst trägt. Es ist kein entrückter mystischer Gott, den man nur erahnen kann, der irgendwo in einem sterilen Himmelreich sitzt und sich anbeten lässt. Sondern einer, der mitgeht, mitfühlt, mitleidet. An dem die ganze Fülle und Herrlichkeit des Seins sichtbar wird, aber eben auch die Kehrseite: Der Makel, die Schwäche, das Leid. Der Gedanke ist nicht neu und er hätte mich nicht so sehr bewegt, wäre er nicht aus dem Munde dieser alten Ordensschwester gekommen, die ihr Leben in den Dienst dieses Gottes gestellt hatte. Wie sie da gesessen ist, klein und gebeugt, dazu noch ein großes Glas Bier vor sich. Wie sie gelächelt hat und wie sie gesagt hat: „Das Leben ist schön. Aber das Leid ist eben auch da“.

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SWR Kultur Wort zum Tag

06NOV2024
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Schon als Kind haben mich die Geschichten der großen Bergsteiger fasziniert. Ich habe alle Expeditionsberichte und alle Erzählungen über die Erstbesteigungen der höchsten Berge der Welt gelesen und bin oft in dieser Welt versunken.

Mein Idealbild war der starke Mensch, der sich allen Widerständen zum Trotz gegen die Natur durchsetzt und als ihr Bezwinger letztendlich auf dem Gipfel steht. Und ich glaube, das ist auch ungefähr das, zu was die Bergsteiger in vielen Zeiten stilisiert wurden. Sie sind dadurch auch oft als Helden für übersteigerten Nationalismus und sonstige geistige Irrwege der Menschheit missbraucht worden. Manche haben da gerne mitgemacht, anderen war das zuwider. Auf jeden Fall aber bieten sich diese Geschichten durchaus an, so gedeutet zu werden. Es sind Geschichten der Stärke, des unbedingten Willens, der Tüchtigkeit und eben des Sieges über den Berg. So wollte ich als junger Mensch auch sein: Allen Gefahren trotzen. Bis ich das Buch über die Erstbesteigung des 8188m hohen Cho Oyu gelesen habe. Dieses Buch hat meinen Blick auf das Bergsteigen verändert, hat mich demütiger gegenüber der Natur gemacht.

Es ist von Herbert Tichy. Er hat diesen sechsthöchsten Berg der Erde mit als erster bestiegen und er war, wie er selbst geschrieben hat, kein Bergsteiger, sondern ein Wanderer. Sein Geld hat er weitgehend als Reiseschriftsteller verdient.

In seinem Buch über die Cho Oyu Besteigung erzählt er viel von der Natur der Region. Er erzählt von den Völkern, die dort leben, die am Fuße der hohen Bergen wohnen und dort ihre Kultur und ihr Brauchtum vollziehen. Er erzählt von Gastfreundschaft und von rauschenden Festen. Von dem guten Bier, das dort gebraut wird. Er erzählt von der Herzlichkeit der Menschen und davon wie sie ihn und seine Begleiter unterstützen. Er berichtet von seiner Angst und seiner Schwäche und betont, wie wichtig seine Begleiter für ihn sind. Dass er ohne sie niemals auf einen so hohen Berg gekommen wäre. Und er spricht das riesige Glück an, das die Expedition gehabt hat. Es ist ein wunderschönes Buch, das von einer herausragenden alpinistischen Leistung erzählt, aber ganz ohne Heldentum und ganz ohne Selbstinszenierung auskommt. Es geht dem Autor nicht darum, wie er den Gipfel besiegt hat. Sondern es geht demütig darum, die Schönheit des Ortes den Menschen nahe zu bringen und vor allem, wie wichtig die Gemeinschaft ist. Wie sehr er auf die anderen angewiesen ist. Sein Buch heißt: „Cho Oyu – Gnade der Götter“. Da schimmert durch, dass es neben der eigenen und der Gemeinschaftsleistung noch auf mehr ankommt. Auf eine Kraft, die hinter allem steht. Auf einen Beistand, eben auf Gnade. Eine Kraft, die, wie ich finde, hinter allem stehen muss, wenn es gelingen soll. Eine göttliche Kraft.

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SWR Kultur Wort zum Tag

05NOV2024
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Immer wenn ich im weiteren Umkreis meiner schwäbischen Heimat über Land fahre, fallen mir die vielen Kirchen auf. Jedes Dorf hat seine eigene Kirche. Und das sind häufig keine bescheidenen Gotteshäuser, sondern im Verhältnis zu der kleinen Ortschaft oft riesige Gebäude. Ich wundere mich dann immer, wie das möglich ist, wer das wie finanziert hat. Ich glaube nicht, dass die Menschen dort damals besonders reich gewesen sind.

Natürlich hat das alles einen Beigeschmack. Aus heutiger Sicht könnte man sagen, die Kirche hat ihren Besitz in Prachtbauten gesteckt, anstatt sich um die Menschen zu kümmern. Hat sie vielleicht auch noch besonders geschröpft, um all diese Projekte zu verwirklichen. Das ist alles möglich. Wahrscheinlich auch wahr. Zugleich könnte man aber auch sagen, die Leute haben all diese Kirchen gebaut, weil sie ihnen wichtig waren. Weil Gotteshäuser wichtig waren. Und wenn man all den eitlen, menschlichen Popanz, die ganze Protzerei und die Machtspielchen mal beiseite lässt, hat das, wie ich finde, etwas sehr Schönes: Dass das Göttliche einen Platz in unserer Mitte hat. Und keinen Kleinen. Gerade heute ist das ein wichtiger Gedanke.

Früher hatte der Glaube noch eine viel stärkere Relevanz. Eigentlich war alles irgendwie vom Göttlichen oder von göttlichem Wirken durchdrungen. Im Guten wie im Schlechten. Heute schauen wir ganz anders in die Welt, die weitgehend erschlossen, in großen Teilen entzaubert ist. In der Geschäftigkeit des Alltags gibt es kaum Platz für Göttliches oder Heiliges. Aber auch wenn wir offenbar nicht mehr so genau hinschauen, ist es dennoch da. Gibt es Bereiche in unserem Leben, die eben noch nicht erschlossen, noch nicht gänzlich entzaubert sind, die geschützt sind.

Wir haben heute in der wahrscheinlich kein so klares Bild mehr von Göttlichem oder Heiligem. Diese Dinge sind unschärfer geworden. Weniger definiert. Es gibt nicht mehr den einen Glauben, religiöses oder spirituelles Leben ist viel weiter gefasst und viel breiter gefächert. Und es gibt weniger Zeit und weniger Raum dafür.

Da bin ich dankbar für all diese Kirchen. Sie sind für mich ein steinernes Zeichen dafür, dass das Göttliche auch in unserer heutigen Welt da ist. Egal wo ich bin, ich gehe immer in die örtliche Kirche. Nicht weil ich besonders fromm wäre, sondern weil sie für mich ein Ort ist, an dem ich herausgenommen bin. An dem es nicht um mich und nicht um all das geht, was auf mich draußen so einprasselt. In diesen Kirchen schwappt das Göttliche oder meinetwegen allgemeiner gesprochen, das Transzendente in unsere Welt hinein. Ich finde es wichtig, dass das möglich ist.

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SWR Kultur Wort zum Tag

04NOV2024
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Individualismus steht derzeit hoch im Kurs. Letztens habe ich sogar irgendwo vom „Zeitalter des Individualismus“ gelesen. Es geht viel um das Ich, um die Selbstbefreiung, um Selbstfindung oder Selbstentfaltung. Um „Selfness“ und „Me Time“, um die Anerkennung eigener Bedürfnisse, um die Erfüllung der eigenen Wünsche und Ziele.

Das ist alles wunderbar und ich bin froh in einer Zeit und an einem Ort zu leben, wo das alles möglich ist. Allerdings tu ich mich etwas schwer, wenn das eigene Ich allzu radikal in den Mittelpunkt gestellt wird. Wenn es nur noch um das Ich, das eigene, persönliche Glück geht. Das kann mir dann schon zu viel werden. Wenn jemand nur noch von sich redet und sich nur noch um sich selbst kümmert. Oder darum bemüht ist, sich unter allen Umständen von allen anderen abzugrenzen. Oder sich sogar selber über alle anderen stellt.

Denn mir geht es so, dass ich mich selber, also mein eigenes „Ich“, nur schwer von anderen Menschen abgetrennt vorstellen kann. Ich glaube nämlich, mein Ich ist nicht allein. Das klingt vermutlich etwas sonderbar, aber so empfinde ich es.

Als meine Großmutter gestorben ist, habe ich das zum ersten Mal gespürt. Beim Tod meiner Mutter noch stärker. Tatsächlich war es so, als sei mit diesen Menschen, die für mich mit die Wichtigsten gewesen sind, ein Teil von mir selbst gestorben.

Überhaupt bin ich mit meinen Zeitgenossen tief verbunden. Ich wäre ohne die anderen nicht durchs Leben gekommen. Wie oft hat mir ein Freund geholfen, mit gutem Rat, Geld, einem gemeinsamen Erlebnis. Ohne die Anderen gäbe es mich nicht. Mir kommt es so vor, als sei das, was man “mein Ich“ nennt zu großen Teilen aus den Menschen zusammengesetzt, die wichtig für mich sind. Und andersherum bin ich auch ein Teil von deren Leben. Wir sind tief miteinander verzahnt und vermischt. Und es ist schwer herauszufinden, was mein eigener individueller Kern ist. Was an mir reines Ich ist.

Ich selber glaube, dass ich das gar nicht ganz herausfinden kann. Auf jeden Fall kann ich mich selbst nicht losgelöst von Anderen verstehen. Deshalb denke ich, dass wenn ich mich zu stark auf mich selbst konzentriere, ich das aus dem Blick verliere, was um mich herum ist. Die Menschen, die existentiell mit mir verbunden sind. Ja, ich denke, wenn ich mich zu stark auf mich selbst konzentriere, verliere ich letztendlich mich selbst aus dem Blick.

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SWR Kultur Wort zum Tag

25SEP2024
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Ein paar Jahre ist es schon her, als ich auf einem kleinen Provinzbahnhof auf meinen Anschlusszug gewartet habe. Der Bahnhof war nahezu verlassen. Bis auf zwei Männer, die auf dem Bahnsteig gegenüber miteinander diskutiert haben. Ich habe nicht mitbekommen, worum es ging, aber beide waren unübersehbar etwas angetrunken. Ihre Diskussion wurde heftiger und lauter und schließlich schrieen sie sich nur noch an. Irgendwann nahm einer seinen Rucksack und schickte sich an wegzugehen. Als er das Bahnhofsgelände schon beinahe verlassen hatte, drehte er sich noch einmal um und rief „Du wirst schon sehen: Großmut kommt vor dem Fall!“ Dann verschwand er.

Ich musste schmunzeln, denn es war offensichtlich, dass ihm angesichts der Hitze der Debatte und wahrscheinlich auch wegen der paar Bier, die er getrunken haben mag, das Sprichwort, mit dem er einen Strich unter den Streit ziehen wollte, etwas verrutscht war. Sicher wollte er: „Hochmut kommt vor dem Fall“ sagen, hat aus dem Hochmut aber die Großmut gemacht.

Dieses verunglückte Sprichwort geht mir seitdem nicht mehr aus dem Kopf. Immer wieder muss ich darüber nachdenken. Großmut ist für mich ein wichtiger Begriff. Er bezeichnet die Fähigkeit, anderen und sich selbst etwas gönnen zu können. Die Großmut ist eine gute Charaktereigenschaft oder Tugend. Oft denke ich mir, wenn es in der Welt großmütiger zuginge, dann gäbe es weniger Neid, weniger Rachsucht, weniger Kleinkariertheit. Dafür mehr Nachsicht, mehr Verständnis, mehr Großzügigkeit. Der Großmütige freut sich für den anderen mit, lässt ihm seinen eigenen Raum, seine eigene Entwicklung und Entfaltung. Der Großmütige lässt auch mal 5 gerade sein. Ich finde, das sind ausnahmslos positive Assoziationen.

Und jetzt ist da dieses verunglückte Sprichwort: „Großmut kommt vor dem Fall“. Und ich frage mich, ob da nicht auch etwas dran sein könnte…

Wahrscheinlich kommt es, wie so oft, auf die Dosis an. Der Großmütige droht zu fallen, wenn er zu großmütig ist. Wenn er zu nachsichtig, zu verständnisvoll, zu großzügig ist. Wenn er nicht nur die 5, sondern auch die 7 und die 9 gerade sein lässt. Denn dann wird er irgendwann nicht mehr ernst genommen. Dann wird er zum gutmütigen Trottel, mit dem man alles machen kann. Weil es keine Grenzen, keine Ordnung mehr gibt. Dann wird der Großmütige ausgenutzt. Und er fällt.

So kann aus einer durchwegs positiven Eigenschaft der Untergang werden. Und wahrscheinlich würde ich an dieser Stelle, genauso wie ich eben den Mangel an Großmut vielerorts beklagt habe, den Überfluss davon beklagen. Denn – das ist eine altbekannte Erkenntnis – zu viel von etwas ist genauso ungesund wie zu wenig.

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SWR Kultur Wort zum Tag

24SEP2024
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Ich habe mich in meinem Leben weitgehend denkend mit dem Glauben und mit Religion allgemein beschäftigt. Habe die wichtigsten Kirchenväter und Philosophen gelesen, habe deren Probleme nachempfunden, bin deren Gedanken nachgegangen. Habe mir meine eigenen dazu gemacht. Das fand ich toll und finde das auch heute noch. Ich liebe es mich in theologischen oder philosophischen Überlegungen zu verlieren. Dem nachzuspüren, was die Welt im Innersten zusammenhält. Die großen Fragen des Lebens und die Frage nach Gott treiben mich um, wie wahrscheinlich viele Menschen. Aber wenn ich ehrlich bin, bin ich so nicht sonderlich weit gekommen. Auch wenn ich behaupten möchte, dass ich alle wesentlichen Aussagen über Gott und Religion kenne oder zumindest schon einmal davon gehört habe. Gott hat mich das keinen Zentimeter näher gebracht. Für mein persönliches religiöses oder spirituelles Leben, oder wie man es auch immer nennen mag, hat mir mein „Studierstubenansatz“ wenig gebracht. Ich habe darin zwar Gottes Wort gelesen, Deutungen kennengelernt, es aber nicht wirklich gehört. Ich habe es bestenfalls zur Kenntnis genommen, es aber nicht erfahren. Das gelingt mir mittlerweile eher in Bereichen, die ich früher als seicht oder naiv bezeichnet hätte. Bereiche und Erlebnisse, die nichts mit meinem Intellekt, nichts mit meinem Denken zu tun haben. Zum Beispiel, wenn ich einen frischen Schluck Wasser aus einem Gebirgsbach trinke, nachdem ich den halben Tag schon bergauf gestiegen bin und die stechende Sonne mich ausgelaugt gemacht hat.

Oder die Kinderzeichnungen, die mir früher mein Neffe strahlend in die Hand gedrückt und dazu sagt: „Das ist für Dich“. Auch ein frisches kaltes Bier, dass ich zusammen mit meinem Vater trinke, nachdem er mir dabei geholfen hat, die Autoreifen zu wechseln.

Das sind Erfahrungen, die das Leben ausmachen. Über die brauche ich nicht viel nachzudenken, sie passieren mir einfach, ich muss sie nur sehen, schmecken, aufsaugen. Und ich glaube, das sind Momente, in denen Gott oder das Göttliche oder wie man es auch immer nennen mag, aufleuchtet und ganz da ist. Das Einzige, was dafür zu tun ist, ist offen und empfänglich dafür zu sein.

Ich glaube, wenn in solchen Momenten nicht das Wort Gottes liegt, dann hat Gott nie gesprochen.

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SWR Kultur Wort zum Tag

23SEP2024
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Ich habe aufgehört mit meinem Freund Werner zu diskutieren. Werner ist über 70, ich kenne ihn schon lange. Immer wieder lädt er mich ein und ich lebe für ein paar Tage sein Leben mit. Er ist ein alter Klassenkämpfer und hat einen Hang zum realexistierenden Sozialismus. Er findet das meiste dumm und falsch in unserer Gesellschaft und hasst vieles. Am meisten hasst er aber die Katholische Kirche. Das sei ein männerbündischer Haufen von Pädophilen, der nur Leid und Elend über die Welt gebracht hat. Weil er weiß, dass ich katholischer Theologe bin, drückt er solche Sätze besonders drastisch aus. Und ich bin jahrelang bei unseren Begegnungen sofort darauf eingestiegen und wir haben losdiskutiert. Es waren harte Diskussionen voller Bier und Tabak, immer abends bei ihm zuhause oder im Wirtshaus nebenan. Aber es ist in all den Jahren nichts dabei herausgekommen. Tagsüber war es aber immer ganz anders. Wir haben zusammen seine Nachbarn besucht, er wohnt in einem Dorf in einer, wie man sagt, strukturschwachen Gegend. Alles alte Leute in zu großen Häusern, denen er, der noch rüstig ist, immer hilft. Und wenn ich da war, wurde ich immer eingespannt. Wir haben entrümpelt, Gärten gerichtet oder sind für die Leute einkaufen gegangen. Manchmal bin ich stundenlang mit an irgendwelchen Küchentischen gesessen und habe zugehört, wie Werner mit den anderen darüber gesprochen hat, wie es früher gewesen ist. Vor allem bei den verwitweten Frauen konnte ich erleben, wie witzig und charmant mein alter Freund eigentlich ist. Er ist in jedes Haus gegangen und war überall willkommen.

Auch wenn er ein grantiger, schimpfender und vielleicht auch verbitterter alter Mann sein mag, so ist er zugleich ein feiner Kerl und wir mögen uns unheimlich gern. Aber über die Kirche diskutieren will ich nicht mehr mit ihm, was eigentlich unüblich für mich ist. Denn ich bin der Meinung, dass man über alles reden kann. Hier stoße ich aber an meine Grenzen. Wir sind in diesem Punkt einfach anderer Ansicht. In unseren Welterklärungsmodellen kommen wir nicht zusammen. Das habe ich gelernt stehen zu lassen. Aber ganz konkret, in der Art und Weise, wie wir unsere gemeinsame Zeit verbringen, in den Besuchen im Dorf, da harmonieren wir wunderbar. Wir haben endlich damit aufgehört uns gegenseitig missionieren zu wollen. Unsere Grundsatzdiskussionen haben zu nichts geführt. Wir tun etwas gemeinsam aus unterschiedlichen Motiven heraus und sind dabei ein gutes Team. Vielleicht gibt es noch etwas Grundsätzlicheres als unsere Grundsätze. Etwas, das uns über alle Unterschiede hinweg verbindet. Ich möchte es Mitmenschlichkeit nennen.

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SWR Kultur Wort zum Tag

03AUG2024
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Meine Laufkarriere ist zu Ende. Für mich ist das eine große Sache. Ich bin jahrzehntelang wie ein Wilder gelaufen. Marathon, Ultramarathon, Bergläufe. Zehntausende von Kilometern habe ich laufend zurückgelegt. Und jetzt geht es nicht mehr. Mein Körper sagt: Nein. Er will nicht mehr mitmachen. Das ist ein großer Einschnitt. Ich muss etwas aufgeben, das ich sehr geliebt habe und das mir sehr geholfen hat. Beim Laufen hatte ich immer gute Gedanken. Beim Laufen konnte ich meine Gefühle sortieren und meine Wut loswerden. Dass das jetzt nicht mehr geht, verändert mein Leben, verändert meinen Alltag, verändert auch mein Selbstverständnis. Früher habe ich die Warnungen der Älteren in den Wind geschlagen, wenn sie meinten, ich solle es nicht übertreiben. Das hat mich nicht interessiert. Ich war so etwas wie unsterblich. Strotzte vor Kraft und Energie. Heute, mit 43, denke ich: hätte ich doch bloß auf sie gehört, mich mehr geschont, vorausschauender gehandelt. Aber das ist nicht mehr zu ändern. Und genau das ist es, was mich beschäftigt: Es ist nicht mehr zu ändern. Irgendwann im Leben, sind manche Dinge vorbei. Damit gilt es zurechtzukommen. Dem sind wir alle ausgeliefert. Ich glaube sogar, es ist die größte Herausforderung des Lebens eben damit umzugehen, dass alles irgendwann vorbei ist. Dass Menschen mich verlassen, dass ich manche Sachen irgendwann einfach nicht mehr kann. Dass ich Vieles aufgeben und zurücklassen muss.  Aber ich schiebe das gern beiseite. So wie die langsam aufkommenden Schmerzen beim Laufen in den letzten Jahren. Ich wollte sie nicht wahrhaben, bis ich sie nicht mehr ignorieren konnte. Bis sie ganz da waren.

Mein zukünftiges Leben wird anders aussehen. Ohne die von mir so geliebte Gewohnheit nahezu jeden Tag eine Runde Laufen zu gehen.  Das bereitet mir Kummer und ich weiß noch nicht genau, wie ich das hinbekommen soll. Natürlich werde ich mich auf andere Sportarten konzentrieren, ich brauche ja meine Bewegung. Dennoch wird es mir sehr fehlen, das Laufen. Aber ich bemühe mich darum, nicht die Kilometer zu beklagen, die ich nicht mehr laufen kann, sondern dankbar für die zu sein, die ich laufen durfte. Wie gesagt, ich bemühe mich darum. Das ist schwerer, als es sich anhört. Aber es scheint mir ein guter Weg zu sein. Ich werde mit den Jahren noch vieles aufgeben müssen. Daran führt kein Weg vorbei. Aber ich kann nur das verlieren, was ich habe. Daran erkenne ich, wie reich mein Leben doch ist.

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SWR Kultur Wort zum Tag

02AUG2024
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Im Sommer helfe ich immer auf einer Berghütte. Die ist weitgehend autark. Wir produzieren unseren Strom selber, versorgen uns mit Regenwasser, kochen hauptsächlich auf einem alten Küchenofen. Und wir haben nur das, was man allgemeinhin ein Plumpsklo nennt. Da wir im Sommer einige tausend Menschen bewirten, ist dieses am Ende der Saison immer voll. Deshalb müssen wir es jedes Frühjahr ausräumen. Man kann sich vorstellen, dass das keine sehr angenehme Arbeit ist. Ich will nicht zu sehr ins Detail gehen, aber es sind drei Tanks, die von Hand ausgeschaufelt und ausgekratzt werden müssen. Das wird dann alles in Fässer gefüllt und ins Tal in die Kläranlage gebracht. Die Aktion dauert meist einen ganzen Vormittag. Wir sind da immer fünf oder sechs Personen. Alles freiwillige Helfer, die zu diesem Zweck 800 Höhenmeter auf den Berg steigen und abends wieder hinunter. Da kommt natürlich die Frage auf, warum man sich sowas antut. Es ist eine Knochenarbeit, die wirklich ganz furchtbar stinkt. Dennoch freue ich mich immer auf den Termin. Und auch die anderen kommen gerne. Nicht wegen der Aufgabe, sondern weil wir immer eine wirklich gute Truppe sind. Man ist zusammen in einer sehr bescheidenen Situation, aber es wird dabei viel gelacht und wir machen das Beste daraus. Und das ist das Wichtigste.

Oft, so scheint es mir, kommt es nicht darauf an, was man zu tun hat, sondern mit wem man es tut. Wie gut die Gruppe funktioniert, deren Teil man ist. Das ist mir in meinem Arbeitsleben oft schon so gegangen. Der größte Stress ist erträglich, solange es mit den Kollegen funktioniert. Aber wenn es in der Gruppe oder dem Team nicht stimmt, dann wird jeder Arbeitstag zur Qual.

In der Zeitung habe ich in den letzten Wochen immer wieder gelesen, dass Deutschland wirtschaftlich immer stärker abfällt, weil die Deutschen das Arbeiten verlernt hätten. Wir seien faul geworden, bräuchten mehr „Mut zur Überstunde“. Ich weiß nicht, ob das das größte Problem ist. Ich kenne kaum jemanden, der zu faul ist und kenne auch keinen, der nicht Überstunden machen würde. Ich habe nicht den Blick in das große Ganze, aber wenn es tatsächlich in der Arbeitswelt nur noch stockend vorangeht, dann ist es vielleicht auch ein bisschen die Folge eines etwas beschädigten Miteinanders. Dass etwas mit dem Zusammenhalt in unserem Land nicht richtig stimmt. Da hilft es nicht, wenn Politiker den Bürgern Faulheit unterstellen. Das vergiftet die Stimmung nur noch mehr. Wir gehen unsicheren Zeiten entgegen, die sollten wir gemeinsam angehen und uns nicht noch unnötig irgendwas vorwerfen. Da muss ich wieder an unseren Arbeitseinsatz auf der Hütte denken. Gemeinsam kriegen wir auch die schmutzigste Aufgabe gelöst.

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SWR Kultur Wort zum Tag

01AUG2024
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Wenn ich als Jugendlicher mal wieder eine 4 nach Hause gebracht habe, habe ich meiner Mutter gerne erklärt, dass das nicht so schlimm sei. Ein bestimmter Klassenkamerad, hat nämlich eine 5 gehabt und sei deshalb noch viel schlechter als ich. Meine Mutter fragte dann immer nach der Note eines anderen Schülers, der grundsätzlich viel besser in der Schule war. Der hatte meistens eine eins oder eine zwei bekommen. Nach meiner Einschätzung bin ich mit meiner 4 ganz gut weggekommen, nach der Meinung meiner Mutter hätte ich noch viel besser sein können. Es ist eben immer eine Frage, womit man sich vergleicht, ob man nach oben oder nach unten schaut. Meine Mutter hatte mehr von mir erwartet, mir selbst hat das gereicht, was ich hatte. So ist es geblieben. Und darüber bin ich sehr froh. Die Geschichte mit der Schulnote ist ja noch recht simpel, aber in viel größeren Bereichen des Lebens ist das auch ein wichtiges Thema. Zum Beispiel, wenn es um Reichtum geht. In vielen Gesprächen, die ich führe, beklagen sich Menschen, wie schlecht es Ihnen geht. Andere scheffeln Millionen, fahren 5-mal im Jahr in Urlaub und so weiter. Das stimmt natürlich. Verglichen mit den oberen 10 000 bin ich arm. Sehr arm wahrscheinlich. Aber wenn ich auf das Gesamte schaue, auf die große Masse der Menschen, die auf der Erde wohnen, dann, muss ich sagen, bin ich doch sehr reich. Sehr reich wahrscheinlich. Noch dazu lebe ich in einem freien Land, in einer stabilen Demokratie, in einem guten Gesundheitssystem, in einem guten Sozialstaat. Auch wenn viele sagen, dass das alles am Kaputtgehen ist und es früher besser war. Auch wenn viele sagen, dass unser Wohlstand gefährdet sei. Auch wenn es in Zukunft vielleicht etwas weniger werden könnte. Ich, für mein persönliches Leben, bin sehr dankbar für das, was ich habe und für die Art und Weise, wie ich leben kann. Auch ohne Millionen zu scheffeln oder 5-mal im Jahr in Urlaub zu fahren. Häufig wirft mir jemand, wenn es um das Thema geht, vor, dass ich naiv sei und mir das Leben schönrede. Vielleicht kann man es so sehen. Ich selber aber sehe das anders. Ich denke, was ich gerade beschrieben habe, ist einfach die Wahrheit. Denn wie die Schulnote vier ist das, was ich in meinem Leben habe: ausreichend.

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