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SWR4 Abendgedanken

09AUG2023
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Heute mit Anna Görder und mit Nina und Erik aus meiner Reli-Klasse. Gemeinsam haben sich die Elftklässler vor den Ferien gefragt, was die alten Geschichten der Bibel mit unserem Leben heute noch zu tun haben könnten. Ich finde, die Gedanken der jungen Leute sind klasse. Darum sollen sie diese Woche in den Abendgedanken das Wort haben sollen:

Nina:
Hallo, ich bin Nina. Ich möchte ihnen eine Situation beschreiben, die ich beobachtet habe: Ein junges Pärchen, zwei Männer, gehen miteinander in die Stadt. Vielleicht wollen sie einfach nur eine Tasse Kaffee trinken. Eine Gruppe Jungs kommt ihnen entgegen. „Ihr Schwuchtel!“, schreien sie dem Paar entgegen. „Das ist doch krank!“, höre ich einen von ihnen sagen. Das Pärchen geht zügig weiter. Was sollen sie auch tun? Aber auch sonst sagt niemand etwas, obwohl viele Menschen auf der Straße unterwegs sind. Was würden Sie tun? Sich für die schwächere Partei einsetzen, auch wenn die Stärkeren so deutlich in der Übermacht sind?

Die Bibel besteht aus Erzählungen von Erfahrungen mit Gott. In der Geschichte von Schifra und Pua (2.Mose 1,15ff) machen zwei Hebammen die Erfahrung, dass Gott sie stützt, als sie gegen einen vermeintlich stärkeren Gegner vorgehen: Als der Pharao ihnen anordnet, die neugeborenen Jungen aus dem Volk Israel umzubringen, lügen sie ihn an. Damit riskieren sie ihr Leben. Aber sie wissen: Gott sagt „Man soll nicht töten!“. Er liebt alle und jeden.

Wären Sie so weit gegangen? Hätten Sie sich getraut, sich dem König zu widersetzen?

Widerstand an den Tag legen, um für seine eigene Meinung einzustehen, ist heute vielleicht manchmal leichter. Wir sind durch Gesetze geschützt. Aber: Würden Sie dem jungen Paar helfen?

Erik:
Guten Abend. Ich bin Erik und ich denke: Schifra und Pua, die hebräischen Hebammen, zeigen einen unglaublich mutigen Widerstand gegen die Unterdrückung durch den Pharao. Sie handeln einzig und allein so, wie es ihnen ihre eigene Überzeugung sagt. Egal, was die Konsequenzen für sie sind. Egal, was die Leute dazu sagen.

Mir macht diese Geschichte Mut. Es wird klar, dass auch eine Minderheit sehr wohl etwas machen kann. Auch ich probiere, mich für Minderheiten stark zu machen und für deren Rechte zu kämpfen. Ich gehe zum Beispiel zum Christopher Street Day, einer Demonstration, die sich für die Rechte von Personen einsetzt, die Lesbisch oder Schwul oder Trans usw. sind. Auch das ist nicht immer einfach. Manchmal wird man ausgelacht. Oder sogar beleidigt. Aber ich finde es wichtig, dass jede und jeder in Deutschland und der Welt ganz frei und ohne Angst sagen kann: „Das bin ich!“

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SWR4 Abendgedanken

08AUG2023
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Heute mit Anna Görder und mit Mareike, einer Schülerin aus meiner Reli-Klasse. Gemeinsam haben sich die Elftklässler vor den Ferien gefragt, was die alten Geschichten der Bibel mit unserem Leben heute noch zu tun haben könnten. Ich finde, die Gedanken der jungen Leute sind klasse. Darum sollen sie diese Woche in den Abendgedanken das Wort haben sollen:

Mareike:
Guten Abend. Ich bin Mareike: „Probieren geht über Studieren“ – Das ist ein bekanntes Sprichwort, und ich denke, wir haben alle schonmal was ausprobiert. Aber haben wir auch alle schon mal etwas riskiert, wobei wir wirklich Mut aufbringen mussten?

Im Reli-Unterricht haben wir eine Bibelgeschichte gelesen. Sie steht im 2. Buch Mose. Es geht um zwei hebräische Hebammen, die vom König von Ägypten den Befehl bekommen haben, alle Söhne von hebräischen Müttern bei der Geburt zu töten. Denn der König hatte Angst, dass das Volk der Hebräer sonst zu stark werden könnte. Die Hebammen ließen die Kinder aber am Leben, denn sie wussten, dass Gott ganz sicher keinen Mord an den Kindern seines Volkes wollte. Und: Die Sache ging gut aus! Gott half dem Volk Israel, die Hebammen wurden von ihm gesegnet.

Für mich ist das Faszinierendste an dieser Geschichte, dass Schifra und Pua ja nicht wussten, ob es klappt. Und trotzdem den Mut hatten zu handeln. Sie wussten nicht, ob sie die Jungen retten können. Sie haben es trotzdem probiert. Die beiden haben etwas riskiert, um anderen zu helfen. Ich denke, man muss auch heute manchmal etwas riskieren, wenn man anderen helfen will, auch wenn man nicht weiß, ob es funktioniert. Denn wenn man das nicht macht, wird man sich im Nachhinein immer fragen: „Was wäre wenn? Was wäre, wenn ich mich dafür eingesetzt hätte? Was wäre, wenn ich es probiert hätte?“

Mutig sein ist immer schwierig. Man muss dabei über seinen Schatten springen. Wenn wir zum Beispiel an den Klimawandel denken. Um unseren Planeten zu retten, müssen wir etwas riskieren. Wir müssen schon lange bestehende Systeme umändern. Das ist ein Risiko und erfordert Mut. Aber was bringt uns eine wahnsinnig boomende Wirtschaft, wenn wir nicht mehr leben können? Wenn es überall Hitze, Überschwemmungen und Waldbrände gibt, wenn Menschen- und Tierleben in ständiger Gefahr sind?

Es wäre schön, wenn wir am Ende nicht sagen müssen „Was wäre, wenn wir es probiert hätten unsere Erde zu retten?“ Die Geschichte von Schifra und Pua sagt uns: „Gott wird uns helfen. Lassen Sie uns es probieren!“

A

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SWR4 Abendgedanken

07AUG2023
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Heute mit Anna Görder und mit Fieda und Yannik, zwei Schülern aus meiner Reli-Klasse. Gemeinsam haben sich die Elftklässler vor den Ferien gefragt, was die alten Geschichten der Bibel mit unserem Leben heute noch zu tun haben könnten. Ich finde, die Gedanken der jungen Leute sind klasse. Darum sollen sie diese Woche in den Abendgedanken das Wort haben sollen:

Frieda:
Hallo, ich bin Frieda. Stellen Sie sich einmal vor, Sie leben in einem Land, das von einem Diktator regiert wird. Eines Tages gibt dieser Diktator Ihnen den Befehl, alle männlichen Neugeborenen aus ihrem Volk zu töten. Was tun Sie? Führen Sie den Befehl aus? Oder verweigern Sie ihm den Gehorsam? – Genau vor diesem Dilemma standen einmal zwei hebräische Hebammen, Schifra und Pua, die mit ihrem Volk in Ägypten als Sklavinnen leben mussten. So erzählt es die Bibel (2.Mose 1,15ff). Dem Pharao nicht zu gehorchen war gefährlich für sie. Trotzdem haben sie sich entschieden, ihn anzulügen, um die Kinder ihrer Landsleute zu schützen. Die Kinder wurden gerettet.

Wenn ich diese Geschichte lese, dann denke ich an den Krieg in der Ukraine. Die Geschichte von Schifra und Pua sollte den unterdrückten Israeliten Mut und Hoffnung machen, damit sie sich nicht alles gefallen lassen. Kann sie auch den Menschen in der Ukraine neuen Mut geben? Und ich finde, die Geschichte kann auch uns hier Mut machen, gegen Unrecht zu protestieren, selbstlos zu handeln, auch mal ein Risiko einzugehen. Wie Schifra und Pua sollten wir alle mit offenen Augen durch die Welt gehen, um Unrecht zu erkennen und dagegen vorzugehen.

Yannik:
Hallo, ich bin Yannik: ich finde auch, dass Schifra und Pua bemerkenswerte Frauen gewesen sind. Sie haben sich mutig dem Befehl des Pharaos widersetzt und haben die Neugeborenen am Leben gelassen. Das hätte sie das Leben kosten können. Ich finde, wir sollten aus der Geschichte lernen, uns gegen den Druck anderer zu wehren, wenn es notwendig ist. Dann müssen wir Mut zeigen und für die Menschenrechte kämpfen. Die beiden Frauen haben Gott vertraut, obwohl die Situation brandgefährlich und die Konsequenzen für sie ungewiss waren. Daran würde ich mir gern ein Beispiel nehmen.

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SWR4 Abendgedanken

30JUN2023
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In Tübingen gibt es einen Kinder- und Jugendzirkus, den Zambaioni. Das ganze Jahr über trainieren und proben dort die jungen Zirkuskünstlerinnen und Zirkuskünstler: Jonglieren und Einrad fahren, am Trapez turnen, Clown sein und Menschenpyramiden bauen… Und die ganze harte Arbeit und der ganze verrückte Spaß münden dann in eine riesengroße Aufführung. Im echten Zirkuszelt. Mit toller Beleuchtung und großem Orchester. Mit viel Kreativität, Popcorn und frenetischem Applaus. Ich finde es jedes Jahr auf’s Neue ein Wunder, was die Jugendlichen da auf die Beine stellen.

In diesem Jahr habe ich dort in dem Zirkus etwas ganz Besonderes erlebt:
An meiner Schule gibt es eine Schülerin. Ich habe sie gar nicht selbst im Unterricht, kenne sie also kaum. Aber sie ist mir schon oft aufgefallen: Sie ist still, ruhig, sitzt meist irgendwo, tief in ein Buch vergraben. Blicken weicht sie eher aus. Ganz unscheinbar und manchmal verschüchtert wirkt sie in der Schule.

Diese Schülerin ist beim Zambaioni. Und ich habe sie während der Aufführung kaum wiedererkannt: Sie hat getanzt, gelacht, ihr Können gezeigt. Mal stand sie selbst mitten im Rampenlicht: Beim Jonglieren mit Feuerkeulen, als kunterbuntes Einhorn, als seilspringende Hexe. Mal hat sie ausgeholfen, wo jemand gefehlt hat. Schnell eine Matte rausgetragen, kurz mal eben irgendwo mitgemacht, damit die Show für alle funktioniert. Man hat fast den Eindruck gehabt, sie ist durch die Manege geschwebt. Sie war in ihrem Element. Sie war ganz sie selbst: Selbstsicher, aufrecht, stark. Sie hat gestrahlt.

Ich glaube, dass Gott sich genau dies für uns Menschen wünscht, dass er sie fördern und ihnen Orte geben will, an denen sie genauso werden können: selbstsicher, aufrecht und stark. Menschen, die aufblühen und leuchten. Und so die Welt ein bisschen heller machen. Darum heilt Jesus die Kranken. Darum sagt er zu denen, die Unrecht getan haben, dass ihnen vergeben ist. Darum tröstet er. Und darum tritt er dafür ein, dass Gerechtigkeit herrscht und den Armen geholfen werden soll. Gott wünscht sich Menschen, die aufblühen und leuchten dürfen. Im Zirkus. Und in der Welt. Und die andere dann anstrahlen können.

„Wandelt als Kinder des Lichts.“, heißt es im Epheserbrief (Eph 5,8). Im Zirkus habe ich verstanden, was das bedeuten kann.

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SWR4 Abendgedanken

29JUN2023
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Gestern war eigentlich ein ganz normaler Tag. Aber abends habe ich gemerkt, dass ich mich so richtig beschenkt gefühlt habe. In ganz vielen kleinen Dingen. Und das, obwohl der Tag erstmal grau und mit ordentlich Kopfweg angefangen hatte. Ab liebsten wäre ich im Bett geblieben…

Morgens wollte ich dann, wie immer, mit dem Fahrrad zur Arbeit fahren. Und habe als erstes ein dickes Büschel frisch gepflückten Löwenzahn vor der Haustür gefunden. Irgendjemand aus der Nachbarschaft hatte also schon für unsere Kaninchen vorgesorgt. Ein erstes Lächeln hat sich da in mein Gesicht gemogelt. Super, darum musste ich mich also schon mal nicht mehr kümmern. Sehr schön!

Dann bin ich, wie jeden Morgen, mit dem Fahrrad zur Schule gefahren. Plötzlich ruft jemand „He, Sie da, Sie da, mit dem Fahrradanhänger!“ – „Oh je!“, habe ich sofort gedacht, „Was will der denn jetzt? Bin ich irgendwo gegen gefahren? Was gibt es zu meckern?“ Genervt habe ich mich umgedreht. Und, was kam? „Ihr Rucksack ist offen. Nicht, dass Sie was verlieren!“ – Total nett. Da hing nämlich tatsächlich mein Laptopkabel schon halb raus. Manche Menschen sind doch einfach super!

In der Schule angekommen, bin ich noch schnell auf die Toilette geflitzt. Für’s Lehrerinnen-Klo war die Zeit zu knapp, also bin ich in die Schülerinnen-Toilette. Und was sehe ich: Alles vollgekritzelt. Aber, auch da hat eine Überraschung auf mich gewartet: Irgendjemand hatte an die Klowand geschrieben: „Wenn ich diese beschissene Ausbildung geschafft habe, leer ich mir so einen rein und überleg mir was Neues. Am Besten Sterben. Bin eh zu dumm für alles…“ Und drunter stand in einer anderen Farbe und mir Herzchen verziert: „Brauchst Du Hilfe? Red‘ dir keinen Quatsch ein. Niemand ist zu dumm!“ Ob die Trost-Botschaft angekommen ist?

Und dann, als ich nachmittags wieder zu Hause bin, kommt noch unser Nachbar vorbei und fragt, ob er nicht bei uns schnell Rasen mähen soll. Er sei eh gerade dabei und wir hätten doch letzten Sommer die Blumen gegossen, als sie im Urlaub waren. Da wurde also mein Rasen gemäht, während ich gemütlich mit meinen Kindern gespielt habe. Kann man sich was Besseres vorstellen?

Was für ein Tag! Liebe deinen Nächsten wie Dich selbst, heißt es in der Bibel Das durfte ich an diesem Tag tatsächlich erleben. Ganz klein. An ganz unerwarteten Ecken. Unspektakulär. Aber: Ich habe mich gefreut. Was gibt es doch für tolle Leute!

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SWR4 Abendgedanken

28JUN2023
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Haben Sie auch die Krönungszeremonie von König Charles im Mai im Fernsehen gesehen? Ich habe mir diesen ganzen Prunk und Protz in voller Länge angeguckt. So viel Gold, Glitzer, Orden, Juwelen auf einem Haufen. Meine Güte! Aber, ja, irgendwie halt doch faszinierend. Die Inszenierung, die Show war gut. Kann ich nicht anders sagen, auch wenn ich eigentlich kein großer Fan der britischen Monarchie bin.

Glanz und Glitzer haben mich beeindruckt. Aber noch viel mehr beeindruckt hat mich die Botschaft, die mitklang. Ich weiß nicht, ob man sagen kann, dass sie bestimmend war. Denn ehrlich, die Fanfaren und der Glamour waren schon ziemlich dominant. Aber: Wenn man genau zugehört hat, dann waren doch auch andere Töne zu hören. Und die konnte ich gut hören und, ehrlich, dafür hätte es den ganzen Punkt und Protz eigentlich auch gar nicht gebraucht.

Die ersten Worte des Krönungsgottesdienstes spricht ein Kind. Es begrüßt den König im Namen des Königs der Könige. Im Namen Gottes. Und Charles antwortet, wie es das Protokoll vorschreibt: „Ich bin nicht gekommen um mir dienen zu lassen, sondern um zu dienen. Und ich musste schmunzeln: So viel Prunk und Protz für den neuen König. Und als erstes wird er an seinen rechten Platz gerückt: Gott ist der Herrscher der Welt, in seinem Namen wird Charles begrüßt. Und kurz mal ein bisschen kleiner gemacht.

Und genau das passierte immer wieder in dem Gottesdienst in Westminster Abbey. Charles wird daran erinnert, dass er dient. Dass er Gott und seinen Untertanen dient. Dass er in Jesu Auftrag für Gerechtigkeit sorgen soll, sich für die Armen einsetzen soll. Dass er zwar mächtig, aber nicht allmächtig ist.

Da steckt viel drin. Und ich habe gedacht: Vielleicht sollte man das allen, die Macht haben, ab und an mal klarmachen: Ihr herrscht nicht um eurer selbst willen. Es geht nicht um euch. Ihr seid alle gar nicht so wichtig. Wichtig sind die Menschen, wichtig ist unsere Welt. Um die geht es. Um sie sollt ihr besorgt sein. Für sie sollt ihr eintreten. Und zwar besonders für die, denen es nicht gut geht. Daran wird entschieden, ob ihr gute Herrscher seid, in eurem Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit, für die Liebe zu allen Menschen. Herrschen im Sinne Gottes heißt Dienen.

Diese Einsicht ist bestimmt nicht nur für Könige gut, sondern für alle, die Macht ausüben. Industriebosse, Geschäftsführerinnen, Pfarrerinnen und Lehrer, Filialleiter und Trainerinnen:

Wir alle können uns immer wieder neu das sagen lassen, was der Erzbischof von Canterbury am Ende als Segen der ganzen Gemeinde zugesprochen hat:

„Christus, unser König, gebe Dir Treue und Stärke nach seinem Willen zu handeln. (…) Amen.“

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SWR4 Abendgedanken

27JUN2023
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„Ostern kann das ganze Jahr über sein.“ Als ich das meinen Schülerinnen gesagt habe, haben sie mich ziemlich irritiert angeguckt. Und es war schnell klar: Ne, Frau Görder, Ostern ist im Frühling. So wie Weihnachten im Dezember ist. Und natürlich hat auch jemand gesagt: „Das müssten Sie als Relilehrerin doch wissen!“

Klar weiß ich das. Aber ich wollte ja auch provozieren. Denn ich finde wirklich: Ostern kann das ganze Jahr über sein! Ehrlich!

An Ostern feiern wir Christinnen und Christen, dass Jesus auferstanden ist. Er wurde gekreuzigt. Als er tot war, hat man ihn in ein Grab gelegt. Und drei Tage später ist er auferstanden.

Meine Schülerinnen und Schüler fanden diese Geschichte größtenteils erst mal ziemlich unglaubwürdig. Auferstanden? Wie kann das denn möglich sein? Ist er jetzt wirklich so richtig mit dem ganzen Körper wieder aufgestanden? Oder war das mehr so ein Gefühl von bleibender Nähe, das Jesus Freunde und Freundinnen gespürt haben? So nach und nach haben wir dann gemeinsam herausgearbeitet, dass das „Wie?“ vielleicht gar nicht so entscheidend ist. Viel wichtiger ist doch das „Was?“ Was will uns die Geschichte denn sagen? Was sagt sie über Gott und über uns Menschen?

Und das haben meine Schülerinnen und Schüler ganz wunderbar aufgeschrieben. Ich lese Ihnen mal einige Antworten vor:

Eine Schülerin schreibt: „Ostern zeigt, dass, wenn es mal schwer ist im Leben, dass dann auch wieder andere Zeiten kommen. Dass, wenn man denkt, dass man tiefer nicht mehr sinken kann, es plötzlich wieder Berg auf gehen kann. Denn wenn sich eine Tür schließt, dann öffnet sich eine andere.“

Eine andere Schülerin sagt: „Ich denke, die Auferstehung Jesu kann auch heute vielen Menschen Hoffnung geben. Ein tröstendes Gefühl, dass ein Mensch, den man verloren hat, trotzdem immer da sein wird, auch wenn er nicht sichtbar bei uns ist.“

Und dann noch: „Die Auferstehung von Jesus bedeutet für mich einen Neuanfang. Man hat eine schlechte Zeit durchgemacht und findet am Ende des Tunnels ein Licht. Man versöhnt sich vielleicht. Du siehst die Welt mit anderen Augen und fühlst dich wieder gut.“

Eigentlich haben die Schülerinnen damit ihre Frage, warum das ganze Jahr Ostern sein kann, schon selbst beantwortet. Ostern ist Auferstehung. Und Auferstehung ist Hoffnung, Neuanfang. Und dass kann uns immer passieren, das ganze Jahr über.

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SWR4 Abendgedanken

26JUN2023
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Kennen Sie Bernhard Paul, den Clown Zippo und Gründer des Zirkus Roncalli? – Er hat vor einiger Zeit ein Interview in der „Zeit“ gegeben.[1] Darin erzählt er, dass sein Zirkus 1986 in Moskau gastiert hat. Und da habe die Rote Armee dem Zirkus geholfen, das Zirkuszelt aufzustellen. Und dann sagt er den genial verrückten Satz: „Soldaten sollten dafür da sein, Zirkussen beim Aufbau zu helfen.“

Welch eine Vorstellung: Anstatt aus Schützengräben heraus auf Menschen zu schießen, anstatt Bomben zu werfen, anstatt zu zerstören, stehen die Soldaten im Kreis, ziehen und zerren an den dicken Seilen, rufen „Hau ruck, hau ruck!“ und klatschen sich stolz ab, wenn das Zelt schlussendlich fest vertäut steht. Und am Abend sitzen sie vergnügt bei der Premiere und freuen sich an akrobatischen Höhenflügen und dem Geblödel der Clowns.

Ein Wunschtraum. Klar. Soldaten sind Soldaten. Ihre Aufgabe hat nichts mit dem Zirkus zu tun. Aber: Ist das nicht ein wunderbarer Wunschtraum? „Soldaten sollten dafür da sein, Zirkussen beim Aufbau zu helfen.“ Total verrückt. Wie aus einer anderen Welt.

Ich glaube fest, dass wir solche verrückten Wunschträume aus einer anderen Welt brauchen. Wir brauchen sie, um nicht die Hoffnung zu verlieren. Wir brauchen sie als Gegenbilder zu dem, was tagtäglich auf uns einstürzt: Die erschreckenden Bilder, die furchtbaren Geschichten, die Angst, die uns kalt den Rücken runterläuft.

Jesus hat von solchen Wunschträumen, scheinbar aus einer anderen Welt, erzählt. Zum Beispiel vom barmherzigen Samariter. Der kümmert sich um einen Menschen, der unter die Räuber gefallen ist. Obwohl er ihn nicht kennt. Obwohl er nicht zu seiner Religion oder zu seinem Volk gehört. Er hilft. Uneigennützig. Ohne Dank zu erwarten. Damit will Jesus sagen: Kümmert Euch umeinander. Liebt einander. Überwindet Grenzen über Völker und Religionen hinweg. Jeder ist Dein Nächster.

Wunschträume aus einer anderen Welt: Soldaten, die Zirkussen helfen. Und Menschen, die einander beistehen und helfen. Und, Achtung, Jesus sagt: Genau das passiert doch schon. Schon jetzt. Mitten unter Euch. Der Wunschtraum ist Wunschtraum. Aber er ist auch schon Realität. Macht Euch auf! Es geht!

[1] „Eigentlich sollte ich alles hinschmeißen“, Interview von Jens Tönnesmann, Die Zeit vom 30.3.2023, S. 22.

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SWR4 Abendgedanken

06APR2023
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Gründonnerstag: Heute Abend feiern Christinnen und Christen auf der ganzen Welt das Abendmahl. Im Gottesdienst erinnern sie sich an das letzte Abendessen, das Jesus mit seinen Jüngern – seinen engsten Freunden - geteilt hat. Zum letzten mal Gemeinschaft, zum letzten mal Geborgenheit, zum letzten mal Kraft tanken. Nun wird Jesus sterben, auf grausame Weise. Er, der allen, die ihm nahe waren, die Hoffnung gegeben hat, dass nun eine neue, bessere Zeit anbricht. Zerbricht diese Hoffnung jetzt?

Es ist schrecklich, wenn Menschen ihre Hoffnungen verlieren. Wenn es scheinbar kein Morgen mehr gibt, nur noch der Tod bleibt. Die junge ukrainische Rapperin Alyona Alyona hat Worte gefunden, wie sich das anfühlt. Sie singt ein Klagelied für die gefallenen Kämpfer und Kämpferinnen in der Ukraine:

„Sie wünschten sich Flügel, mit denen sie auf der Welt leben können,
voll geblähte Segel auf ihrem Schiff. (…)
Nun haben sie den Himmel erreicht und sind fort.
Sie nehmen Hoffnungen und Erwartungen ihrer Mütter mit sich,
und die erwartungsvolle Witwe wartet auf jemanden auf dem Hof. (…)
Wenn die, die jung sind, begraben werden, mit einem Schrei in der Brust,
schweigt das Universum.“

Das ist ein Klagelied von vielen, die gerade in unserer Welt gesungen werden. In der Ukraine, in Russland, in Syrien, in der Türkei, im Kongo, hier und dort und überall.

Was ist denn eigentlich los im Moment, möchte man fragen. Hört endlich auf mit diesem Wahnsinn, möchte man den Menschen entgegenbrüllen. Meine eigene Hilflosigkeit angesichts der Schrecken dieser Welt macht mich manchmal ganz wahnsinnig.

Die Welt klagt. „Wenn die, die jung sind, begraben werden, mit einem Schrei in der Brust, schweigt das Universum.“ Schweigen. Stille. Ende. Aber nach diesen Zeilen singt Alyona Alyona noch weiter: „Lasst sie mit uns tun, was sie wollen. Denn sie wissen nicht, dass unsere Körper Samen sind.“ Schimmert da Hoffnung durch?

An Ostern wird Jesus auferstehen. Herr, lass es bald Ostern werden in dieser unserer Welt!

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SWR4 Abendgedanken

05APR2023
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In Tübingen gibt es eine Unterführung unter den Bahn-Gleisen hindurch. Ein hässlicher Ort: Gefliest, zugig, dreckig und alle Menschen versuchen nur, möglichst schnell auf die andere Seite zu kommen. Ich selbst fahre dort häufig mit dem Fahrrad durch, schnell und zackig und achte höchstens auf die anderen, um sie nicht umzufahren. Aber wissen Sie was: Ausgerechnet an diesem unangenehmen Ort habe ich eine Ahnung davon bekommen, wie es sich vielleicht früher angefühlt hat, Jesus zu begegnen.

In dieser Unterführung sitzt manchmal ein Musiker, ein Akkordeonspieler. Er spielt und spielt und spielt, völlig vertieft in seine Musik. Meist sind es ruhige, eher traurige Melodien, die ich nicht kenne. Es klingt nach Volksmusik, vielleicht irgendetwas osteuropäisches. So radele ich an ihm vorbei und vergesse ihn meist im Alltagstrubel schnell wieder.

Aber vor ein paar Tagen spielte sich in der Unterführung eine Szene ab, die ist mir Gedächtnis geblieben: Eine alte, gebückte Frau kam auf den Akkordeonspieler zu. Bedächtig lehnte sie ihren Krückstock an die Wand neben ihm. Sie stelle sich vor ihn und hob die Hände, so auf Brusthöhe. Ich bremste mein Fahrrad ab. Was ging denn da vor sich? Und dann begann die Frau zu tanzen. Bedächtig. Sehr konzentriert. Sie tanzte. Der Akkordeonspieler änderte seine Melodie. Sie wurde fröhlicher, wilder. Blicke trafen sich. Menschen lachten sich an. Und die alte Frau tanzte, aufrecht, mit einer unglaublichen Leichtigkeit.

Und dann war es auch schon wieder vorbei. Die beiden verbeugten sich voreinander. Die Frau nahm ihren Krückstock und ging weiter. Ein kleines, fast freches Lächeln umspielte ihren Mund. Der Akkordeonspieler sah ihr noch einen Moment nach. Dann spielte er wieder seine traurigen Melodien. Und ich stieg wieder auf mein Fahrrad und fuhr weiter.

Ich glaube, dass genau das passiert ist, wenn früher Menschen Jesus begegnet sind: Sie haben sich aufgerichtet, einen Moment aufgeatmet, ihre eigene Schönheit und die Schönheit der Welt erfahren. Und sind dann mit dieser Erinnerung im Herzen weitergegangen auf ihrem Lebensweg. Verändert weitergegangen. Zumindest ein wenig.

Ich wünsche uns allen immer wieder solche „Jesus-Momente“. Spitzen Sie die Ohren und halten Sie die Augen auf! Es gibt sie! Auch heute noch…

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