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SWR1 Begegnungen

10MRZ2024
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Barbara Janz-Spaeth Copyright: Ulrich Pfeiffer

… und mit Bärbel Janz-Spaeth. Sie ist Theologin und Autorin – und kennt sich aus in der Bibel. Vor allem, wenn es um Frauengeschichten dort geht. Ich treffe sie in ihrem Büro in Stuttgart, und wir schauen nochmals in die vergangene Woche. Vorgestern sind Frauen weltweit im Mittelpunkt gestanden, am Weltfrauentag. An diesem Tag frage ich mich jedes Jahr: Was wäre eigentlich, wenn für Frauen und Männer in der katholischen Kirche gleiche Rechte gelten würden: Hätte das nicht Auswirkungen auf die ganze Gesellschaft?

Natürlich, da könnte Kirche ganz viel bewirken, sie könnte ihre Botschaft in der Praxis verkünden, indem sie hier wirklich Gerechtigkeit einfordert. Und das heißt auf Augenhöhe miteinander umzugehen, aber nicht in Pseudostrukturen.

Die Botschaft des Christentums ist uralt. Gerade wenn’s um die Stellung von Frauen geht. Sie ist in der Bibel grundgelegt. Bärbel Janz-Spaeth wiederholt sie, sicher zum x-tausendsten Mal. Aber immer noch mit leidenschaftlicher Überzeugung:

Wir sind Geschöpfe Gottes und als solche kommt uns allen wirklich die gleiche Würde zu. Und das heißt, jeder Mensch ist zunächst einfach gut, so wie er sie ist und in Ordnung und wertvoll und Teil dieser Erde. Und in jedem Mensch steckt etwas von dieser göttlichen Kraft und göttlichen Spur. Und das will ich auch mit Menschen entdecken, wenn ich unterwegs bin.

Unterwegs ist Bärbel Janz-Spaeth oft. Im Gepäck hat sie Geschichten von Frauen in der Bibel und ne ganze Menge Lebenserfahrung. Sie gestaltet Gottesdienste für Frauen; und immer wieder nimmt sie sich Zeit, um junge Frauen zu begleiten, die Fragen stellen. Ans Leben, an die Zukunft, an ihre eigene Zukunft als Frau in dieser Gesellschaft.

Wie kann man Familie in Zukunft leben? Ist es nur die Ehe? Wären's nicht offenere Lebensformen wie die WGs, wo sehr wohl Partner, Partnerinnen, Familie miteinander in einem gemeinschaftlichen Wohnen zusammen sind, Kinderbetreuung sich aufteilen, die Haushaltsarbeit aufteilen, aber auch politisch sich engagieren? Da denken die drüber nach.

Könnte sie das als katholische Christin guten Gewissens mittragen, frage ich sie? Das entspricht doch ganz und gar nicht dem klassischen Familienbild der Kirche? Ihre Antwort überrascht mich, weil sie wieder an die Anfänge des Christentums zurückgeht.

Das ist ja zutiefst biblisch, weil sozusagen das Christentum eine neue Familie geschaffen hat, wo alle miteinander die Familie bilden, also als Gemeinschaft derer, die an diesen Gott und an diesen Jesus Christus glauben. Da ging es überhaupt nicht darum, ob die verheiratet sind oder sonst was.

Das wäre in der Tat eine ganz andere Lebenssituation für Frauen und Kinder. Bärbel Janz-Spaeth ist da mittlerweile ganz klar in ihrer Haltung und findet, dass Kirche längst die vielen unterschiedlichen Formen des Zusammenlebens würdigen sollte und damit anerkennen würde:

Von unserem Verständnis, was Menschsein ausmacht, aber auch wirklich Gottes Gemeinschaft ausmacht, das praktiziert ihr! Mir geht es gar nicht darum, jetzt Familie abzuschaffen, sondern zu sagen: Offensichtlich gibt es noch mehr Möglichkeiten, als wir uns vorgestellt haben.

Bärbel Janz-Spaeth arbeitet als Referentin für Bibelpastoral in Stuttgart. Einen besonderen Blick hat sie auf die Geschichten über Frauen in der Bibel. Weil sie findet, dass sie uns noch heute inspirieren können, neu nachzudenken.

Sie erzählt mir zum Beispiel von Rebekka im Buch Genesis im Alten Testament. Die wehrt sich gegen die Tradition, dass nur ihr ältester Sohn den Segen des Vaters bekommt. Oder die Frau von Tobit. Deren Mann wird im Alter blind und traut ihr nicht mehr. Sie beklagt sich, wie er sie nach so vielen Ehejahren so behandeln kann.

Sie haben ganz viele Erzählungen in diesen biblischen Texten, die diese patriarchalen Muster aufbrechen, in Frage stellen, hinterfragen und da sage ich: Da müssen Frauen fantasievoll werden, einfallsreich werden. Und dann ändern sie einfach normativ Strukturen, indem sie Dinge nicht mehr machen oder ganz anders machen.

Ich frage sie nach einem Beispiel, wo das heute in der Kirche überhaupt möglich ist. Bärbel Janz-Spaeth denkt sofort an die Reformbewegung in der katholischen Kirche, Maria 2.0. Weil Frauen endlich kreativ darauf reagiert haben, dass sie aus der Kirche ausgeschlossen sind.

Das haben sie deutlich gemacht, indem sie einfach alles vor der Kirche auf dem Kirchhof gemacht haben. Und ich sage schon lange: Geht auf den Marktplatz, geht an ganz andere Plätze und verkündet euren Glauben. Weil Glaube verkünden, Glaube, leben, Glaube praktizieren, hängt nicht ausschließlich davon ab, dass das im Kirchenraum stattfindet.

Ich möchte zum Ende nochmals zurück zu den jungen Frauen, die Bärbel Janz-Spaeth begleitet. Weil mich interessiert, was sie denkt: Wächst da eine Generation heran, die es anders macht, die das Potenzial hat, Gesellschaft und vielleicht sogar Kirche zu verändern? Ihre Antwort ist nicht so eindeutig, wie ich es gehofft hatte:

Ich erlebe einen Teil sehr klar und politisch sehr deutlich engagiert, die ganz reflektiert Positionen vertreten. Ich erlebe einen anderen Teil als sehr angepasst. Und ich erlebe einen Teil, der Rollenbilder nicht in Frage stellt, sondern Rollenbilder vertritt, von denen ich dachte, die wären längst überwunden.

Und trotzdem sagt Bärbel Janz-Spaeth, sie kann von allen jungen Frauen lernen. Auch was deren Einsatz für die Schöpfung, für Klimagerechtigkeit und nachhaltigen Lebensstil angeht:

Sie tun es einfach. Und machen einem dadurch deutlich: Denk mal drüber nach, wohin deine Lebensweise führt. Und dann gucke ich meine vollen Schränke an und denke: Hier kannst du lernen, wie du entrümpelst. Also das ist schon auch als Anfrage an unsere Generation gedacht und praktiziert. Und zu Recht.

Der Austausch zwischen den Generationen, der ist wichtig und wertvoll, sagt sie. Wenn es dabei allerdings ums Thema Kirche geht, dann hört sie von vielen jungen Frauen unmissverständlich:

Geschlechtergerechtigkeit, diese Missachtung in der katholischen Kirche, die ist wirklich ein wesentliches Motiv zu sagen: Hier werde ich mich nicht mehr engagieren und hier kämpfe ich auch nicht mehr. Bevor sich das nicht ändert.

Es gibt also viele Gründe, weshalb Kirche da unbedingt die Strukturen aufbrechen muss! Und bis dahin werde ich weiter hoffen und mich fragen: Wie würde sich unsere Gesellschaft verändern, wenn Kirche die Botschaft tatsächlich leben würde - vor Gott sind alle gleich!

 

Barbara Janz-Spaeth/Hildegard König/Claudia Sticher, „Zeigt euch! – 21 Porträts namenloser Frauen der Bibel“, Patmos Verlag

 

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

13JAN2024
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Ich bin mitten in den Bergen, auf einem großen Parkplatz im Schnee. 200 junge Leute stehen stramm, sie tragen Militäruniform. Sie sind angetreten zum Gelöbnis. Drumherum mehrere hundert Besucher; Eltern, Freunde und eben auch ich, weil meine Tochter bei den Soldatinnen und Soldaten steht. Und dann höre ich, was die jungen Leute sagen: „Ich gelobe, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen, so wahr mir Gott helfe.“

Den letzten Zusatz muss man nicht sagen. Aber gefühlt haben ihn alle gesagt. Wie ernst jede und jeder das gemeint hat, kann ich natürlich nicht beurteilen. Ich weiß nur: Für mich ist es wichtig, dass diese Worte ausgesprochen werden, in aller Öffentlichkeit.

Wo von Gott gesprochen wird, hoffe ich darauf, dass der Mensch eben nicht die letzte Instanz ist. Da müssen Verantwortliche ihre Entscheidungen auch vor Gott verantworten. Da gibt es Raum, kritisch zu bleiben, und immer wieder darüber nachzudenken, worum es geht. Und, da ist jeder Mensch gleich vor Gott.

Nach dem Gelöbnis hat eine Bekannte zu mir gesagt: „Du hast dir doch sicher etwas Anderes für deine Tochter vorgestellt.“

Ich muss nachdenken. Zuallererst habe ich einen Riesenrespekt, dass die jungen Leute sich auf diesen Dienst einlassen. Denn was da geleistet wird, das geht an die Grenzen, körperlich und vom Kopf her. 4.30 Uhr aufstehen, in zehn Minuten fertig gerichtet zum Antreten. Putzen, frühstücken. Dann Kälte und Schnee, marschieren mit 30 Kilo auf dem Rücken, nachts draußen im Zelt schlafen, immer nur für ein paar Stunden, dann wieder raus aus dem Schlafsack und sich bei absoluter Dunkelheit im Wald orientieren. Das ist hartes Training, um im Ernstfall bereit zu sein. Ich hätte das nicht gekonnt.

Ich habe mir für meine Tochter keinen bestimmten Beruf vorgestellt. Nur eines war und ist mir immer wichtig gewesen, für alle jungen Leute: Dass sie da, wo sie gerade sind, auch für andere da sind und helfen. Und wenn es notwendig ist, sich gegen populistische Sprüche wehren. Sich also im Kleinen für Recht und Freiheit einsetzen. Das kann man in einem Büro genauso wie in der Kneipe, und auf Facebook ebenso wie in einer Kaserne. Und wo dann die Worte des Apostels Petrus gelten „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg 5,29), da ist in jedem Fall ein guter Ort.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

12JAN2024
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Wenn ein Jahr beginnt, mache ich gerne Reisepläne. Ich überlege, wo ich einmal hinfahren und was ich gern sehen möchte. Eigentlich sind es mehr Wünsche als Pläne. Denn am Ende vom Jahr sind meistens noch reichlich Wünsche übrig.

Allerdings: ein ganz bestimmtes Reiseziel will ich nun nicht mehr verschieben. Ich habe das Gefühl, jetzt ist es an der Zeit, mich auf die Suche zu machen – nach einer Wiese. Nach einer Wiese mit Kühen und einer Frau. Das klingt wahrscheinlich seltsam. Die Wiese, von der ich erzähle, kenne ich von einem Ölgemälde. Das Bild hing im Esszimmer bei meinen alten Tanten; als Kind habe ich die Wiese bei jedem Kaffee-Besuch gesehen. Als eine der Tanten gestorben ist, hat die andere noch zwanzig Jahre bei uns im Haus gelebt – die Wiese hing all die Jahre in ihrem Zimmer.

Meine Tanten sind wie die ganze Familie meiner Mutter nach dem Zweiten Weltkrieg vertrieben worden, aus den ehemaligen deutschen Ostgebieten; ihre Heimatstadt liegt heute in Polen. Das Bild mit der Wiese zeigt eine typische Szene von der Landschaft dort, möglicherweise ist die Frau auf dem Bild sogar meine Tante. Ich denke mir, dass ein altes Foto als Vorlage gedient hat und die Tanten das Gemälde mit Wiese hier in Deutschland haben anfertigen lassen. Als Erinnerung.

Vor einigen Jahren haben meine Eltern dann die Wohnung der Tante ausgeräumt und renoviert. Und plötzlich war das Bild weg. Sie hatten es zum Flohmarkt gebracht. Verständlich, es hatte keinen besonderen Wert und es war auch nicht besonders schön. Aber mir hat es gefehlt. Als ob da etwas aus meinem Leben verschwunden wäre. Etwas, das ich aber in der Wirklichkeit gar nicht kannte. Ich habe immer den Wunsch in mir gefühlt: Ich muss da mal hin. Ich möchte dort stehen, wo meine Mutter und ihre Familie hergekommen sind. Die Landschaft sehen, die Farben. Vielleicht das Dorf finden, in dem die Eltern eine Bäckerei hatten. Und dann den Weg abfahren, den Fluchtweg in Richtung Westen.

Ich bin damals zu dem Flohmarkt gefahren und habe das Bild gesucht. Und gefunden. Und wieder zurückgekauft. Mit dem festen Entschluss, es nicht mehr wegzugeben, bevor ich mich nicht auf die Reise begeben habe; auf die Suche nach dieser Wiese mit Kühen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11JAN2024
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Wir hatten wirklich Glück! Und mit uns viele, viele andere Eltern. Weil unsere Kinder bei Heidi im Kindergarten waren. Fast zehn Jahre lang haben wir ihr unsere drei Kinder anvertraut. Jeder Morgen hat gleich begonnen. Heidi ist in die Hocke gegangen, hat jedes Kind angestrahlt, das zur Tür reingekommen ist und gesagt: „Guten Morgen, schön, dass Du da bist!“ Und dann hatte sie einfach Geduld und Zeit. Für die einen, die sich schwergetan haben mit dem Sprechen. Für die, die im Streit immer wieder aufeinander los sind. Für Kinder, die noch keinen Stift halten konnten. Und für solche, denen es schwerfiel, die Mama wieder gehen zu lassen. Für mich war es eine Freude ihr zuzuschauen, mit welcher Leidenschaft sie jedes einzelne Kind begleitet hat.

Ich habe die Diskussionen um frühkindliche Bildung und die Pisa-Studie Ende letzten Jahres verfolgt. Und ja, die Ergebnisse sind erschreckend. Viele Kinder können nicht gut lesen und rechnen. Nur: Wo beginnt dieses Problem? Bestimmt hängt es auch damit zusammen, wie wir Kinder in den ersten Lebensjahren fördern und welche Bedingungen es dafür gibt.

Heidi hat sich immer lieber als „Kindergärtnerin“ bezeichnet, nicht als Erzieherin. Sie hat die Kinder gerne mit einem Garten verglichen und gesagt: „Jede Pflanze wächst anders, mit jeder muss ich anders umgehen. Das lehrt uns, Geduld und Zeit zu haben.“ Und genau dafür fehlen heute die Voraussetzungen in nahezu allen Kindertageseinrichtungen. Es gibt viel zu wenig Fachpersonal und viel zu viel Bürokratie.

Unsere Kinder haben bei Heidi kein Englisch gelernt, es gab keinen Experimentierkasten und schon gar kein Tablet. Heidi hatte einen anderen Ansatz: Sie hat die Kinder immer spüren lassen: Du bist ein besonderes Kind, Du bist es wert, dass ich mir Zeit für Dich nehme. Dann kommt die Neugier von ganz allein: Was passiert mit dem Froschlaich, den wir aus dem Tümpel geholt haben? Was macht die Biene auf der Apfelbaumblüte? Warum bleibt mein Gummistiefel im Matschloch stecken?

In diesen Tagen geht Heidi in den Ruhestand, 30 Jahre hat sie den katholischen Kindergarten in meiner Heimatgemeinde geleitet. Es gibt einen Satz von Heidi, der mir in Erinnerung geblieben ist. Er drückt aus, worum es eigentlich geht, wenn man mit Kindern arbeitet. Sie sagt: „Wir müssen die Seele der Kinder wachsen lassen.“ Ich glaube, wenn die Seele wachsen darf, dann sind auch die Chancen groß, dass Matheaufgaben richtig gerechnet und Sätze fehlerfrei geschrieben werden.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10JAN2024
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In unserem Schrank stehen zwei besondere Tassen. Meine Kinder nennen sie die „Beten-Tassen“. Ich habe sie von einer Veranstaltung mitgebracht, es war ein Werbe-Geschenk. Auf diesen Tassen steht: „Mir reicht's, ich geh beten!“ Die Tassen haben etwas ausgelöst, das ich nicht erwartet hatte. Meine Kinder holen sie immer wieder ganz bewusst aus dem Schrank, wenn sie Tee machen. Ich dachte: So eine Beten-Tasse ist Jugendlichen bestimmt peinlich, und ich muss sie bald wieder aussortieren. Das Gegenteil ist der Fall. Meine Kinder animiert diese Tasse, lockere Sprüche zu machen. Zum Beispiel: „Ich nehm heute die Beten-Tasse, hilft vielleicht gegen Hausaufgaben.“ Oder: „Gib mir die Beten-Tasse, ich brauch sie dringender als du.“

Und manchmal passiert auch Folgendes: Wenn ich wieder einmal zu viel auf meinen Sohn einrede und sein Verhalten kommentiere, dann kann es gut sein, dass er aufsteht, mich angrinst und sagt: „Mama, mir reicht's. Ich geh beten“. Und dann verschwindet er in sein Zimmer. Ob er da wirklich betet, weiß ich nicht. Das ist auch nicht entscheidend. Für mich ist es das Signal: Jetzt ist es genug, jetzt braucht er Zeit und einen Raum für sich.

Ich finde, genau das passiert beim Beten. Da öffnet sich ein Raum. Ich kann mich dorthin zurückziehen, ich kann ruhig werden, ich kann erzählen. Einfach an Gott das abgeben, was mich gerade beschäftigt. Dazu braucht es keine eingeübten Formulierungen. Beten kann man so, wie einem der Schnabel gewachsen ist. Ich selber habe mir angewöhnt, dass ich abends bete, wenn ich im Bett liege und mich in die Decke gekuschelt habe. Das ist für mich der Moment, wo ich meinen Gedanken freien Lauf lassen kann. Um ins Beten reinzukommen, beginne ich immer mit dem Vaterunser. Und dann kommt all das, was mir gerade durch den Kopf geht. Manchmal bitte ich für jemanden, manchmal sage ich danke. Manchmal formuliere ich Gedanken, die ich sonst gerade keinem sagen kann.

Wenn die Kinder mal ausziehen und die Tassen bis dahin überlebt haben, dann packe ich sie ihnen in die Umzugskiste. Als Erinnerung daran, dass das eine Form von Beten sein kann. Zu sagen: „Mir reicht's“, wenn es mal zu viel wird. Sich dann einen Tee aufzugießen und sich, vielleicht grinsend, mit der Beten-Tasse zurückzuziehen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

09JAN2024
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Eine gesplitterte Scheibe, in der Mitte ein rundes Loch. Ein Einschuss-Loch. So sieht die Balkontür von Ahmads Eltern aus. Ahmad lebt nicht mehr. Im Oktober ist er auf diesem Balkon erschossen worden, im Krieg zwischen Israel und der Hamas. Von einem Scharfschützen.

Ahmads Mutter sitzt auf dem Sofa in ihrer Wohnung, auf dem Schoß hält sie das Bild ihres 17-jährigen Sohnes, ihr Blick ist nach innen gekehrt. Viel ist ihr nicht geblieben: ein Hemd von Ahmad, sein Schulranzen – und sein Lachen auf diesem Bild. Was ich beschreibe, ist auf einem Foto festgehalten. Es tut mir in der Seele weh, diese Mutter so zu sehen.

Andy Reiner hat das Foto gemacht, der Fotograf aus Oberschwaben war kurz vor Weihnachten in Israel und in den palästinensischen Gebieten. Ich habe ihn gefragt, ob ich die Geschichte von Ahmad erzählen darf. Er hat ja gesagt und mir dann erzählt, wie fertig ihn diese eine Stunde bei der Familie gemacht hat. Obwohl er nur die Geschichte aushalten muss. Und nicht dieses ganze Leben.

Die Familie von Ahmad lebt in Bethlehem, in einem palästinensischen Flüchtlingslager. Sie haben drei Söhne. Ahmad war der älteste; aufgeweckt und neugierig. Jeden Tag stand er im Schlafzimmer der Eltern und hat durchs Fenster geschaut, zur Universität gegenüber. „Mama“, hat er gesagt, „da werde ich einmal studieren.“ Die Familie lebt seit Jahrzehnten im Lager. Sie haben die Hoffnung auf eine bessere Zukunft nie aufgegeben.

Mit Ahmad stirbt ein junger Mensch. Und mit ihm Ziele und Träume. Da stirbt eine bessere Zukunft. Wo auf Kinder geschossen wird, da ist Friede kaum vorstellbar. Bei der Geschichte von Ahmad gibt es keine Wende, da wird nichts gut.

Trotzdem muss ich sie erzählen. Weil der Name Ahmad stellvertretend steht für viele hundert namenlose Kinder, die in diesem Krieg getötet wurden. Und für viele namenlose Familien in den Flüchtlingslagern.

Ich schaue nochmals auf das Foto: Ahmads Mutter mit dem Bild ihres Sohnes auf dem Schoß, den Blick nach innen gekehrt. Das Bild ist für mich wie eine moderne Pietà, also eine Schmerzens-Maria. Genauso wie Ahmads Mutter wird auch Maria auf manchen Bildern dargestellt, die Mutter Jesu. Ihr totes Kind auf dem Schoß, den Blick nach innen gerichtet.

Und das ist das einzig Tröstliche, das mir bei dieser Geschichte über die Lippen kommt: Ich hoffe für die Familie von Ahmad, dass auch der Tod ihres Sohnes am Ende nicht umsonst war. Dass Friede wird. Dass etwas Neues beginnt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

08JAN2024
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Wir hatten uns mal wieder in den Haaren. Mein Ältester und ich. Er war damals fünf oder sechs Jahre alt und hatte einfach viel Blödsinn im Kopf. Und ich habe viel mit ihm geschimpft. Was diesmal der Anlass war, weiß ich gar nicht mehr genau. Ich glaube, er hatte mein gutes Geschirr aus der Küche geholt und damit im Garten Matsch- und Sandspeisen gekocht. Woran ich mich aber bis heute erinnere, ist, wie er auf mein Gemeckere reagiert hat. Als er am Abend im Bett liegt und ich nochmals zum Gute-Nacht-Sagen in sein Zimmer komme, da schaut er mich an und sagt: „Gell Mama, ich hab jeden Tag eine neue Chance“.

Noch heute muss ich schmunzeln, wenn ich an diesen Satz denke. So, wie er ihn gesagt hat, hat er meine ganze Mutterliebe herausgefordert. Denn er hat eigentlich gar nicht nach der Chance gefragt, er hat angenommen, dass er sie hat.

Das neue Jahr hat gerade begonnen. Da liegen ganz viele Tage und ganz viele Chancen vor uns. Ich weiß natürlich: Keiner lebt ohne seine Vergangenheit. Weder das alte Jahr noch so manches falsche Verhalten lassen sich einfach ungeschehen machen.

Mir hilft es zu glauben, dass ich mit und bei Gott immer wieder neu beginnen kann. Jesus hat das gesagt und gelebt. Er hat gezeigt, worauf es ankommt, wenn es um eine neue Chance geht. Ein Beispiel ist die Geschichte von Zachäus, dem Zöllner. Der hat gut davon gelebt, andere übers Ohr zu hauen und ist reich geworden, weil er andere betrogen hat. Als Jesus in seine Stadt kommt, spricht er Zachäus an. Gerade Zachäus, von dem sonst eigentlich niemand etwas wissen will. Jesus signalisiert ihm damit: Ich interessiere mich für Dich, erzähl mir von Deinem Leben, und spar die Schwächen nicht aus.

So behandelt zu werden, darin steckt für Zachäus die Chance, sich zu ändern und nochmals neu zu starten. Er hat sie genutzt. Klar, da gehört auch dazu, seine Fehler zuzugeben und der ehrliche Wille, Dinge anders zu machen. Damit Menschen aber an so einen Gott der zweiten Chance glauben können, müssen sie genau das durch andere erfahren.

Meine Antwort an meinen kleinen Sohn von damals gilt noch heute für den jetzt über 20-jährigen: „Ja klar, Du hast jeden Tag eine neue Chance! Bei mir sowieso; und bei Gott auch.“

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Anstöße sonn- und feiertags

07JAN2024
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In der Arktis gibt es einen Plan B für unsere Welt. Unter Fels und dicken Eisschichten liegt ein Tresor. Mit allen notwendigen Informationen, damit wir überleben können; genauer gesagt: damit wir nicht verhungern. Es ist der globale Saatgut-Tresor. In diesem Gebäude lagern über eine Million Saatgut-Muster aus der ganzen Welt; von allen wichtigen Kulturpflanzen und von ihren wilden Artverwandten. Zum Beispiel vom Weizen, von Mais, Reis, Hirse und tausenden Obst- und Gemüsesorten.

Das Gebäude ist wie ein Stollen in den Berg hineingebaut, nur der Eingang ist von außen zu sehen. Innendrin sind minus 18 Grad. Der Saatgut-Tresor kann Katastrophen überstehen. Erdbeben oder Orkane - auch Kriege. Selbst wenn die Umgebung auftaut, würde es noch etwa 100 Jahre dauern, bis es im Stollen drin zu warm wäre.

Dieses Projekt macht mir Hoffnung! Zum einen, weil alles da ist, damit das Leben auf der Erde weitergehen kann. Dieser Saatgut-Tresor auf Spitzbergen erinnert an eine moderne Arche Noah. Die Bibel (Gen 6-9) erzählt, dass Noah damals mit der Arche seine Familie vor der Katastrophe gerettet hat, vor der Sintflut. Auf das Schiff hatte er von jeder Tierart ein Paar mitgenommen. So hatte Gott es ihm angewiesen. Denn das war die Voraussetzung für einen Neuanfang, diese Artenvielfalt.

Und genau die brauchen wir heute wieder. Weil wir bereits mittendrin sind in der Katastrophe: Dreiviertel aller Kulturpflanzensorten sind schon verloren gegangen. Künftige Generationen sind angewiesen auf die genetische Vielfalt, die da im Eis liegt. Denn durch den Klimawandel brauchen Pflanzen andere Eigenschaften, um wachsen zu können; zum Beispiel an Orten, wo es wärmer und trockener sein wird als heute.

Noch etwas gibt mir Zuversicht: Fast alle Staaten der Welt schicken Saatgut-Muster ins Eis. Und das könnte doch bedeuten: Im Grunde ist allen wichtig und bewusst, dass wir das Leben und die Vielfalt auf der Erde bewahren müssen. Trotz aller Kriege und Auseinandersetzungen. Vielleicht gibt es sie doch, diese gemeinsame Verantwortung für den Planeten. Die Ahnung, dass eine gute Zukunft nur funktioniert, wenn Staaten und Menschen zusammenarbeiten und sich nicht abschotten. Diese gemeinsame Adresse im Eis, der Tresor auf Spitzbergen, der könnte ein Hoffnungsschimmer sein, ein Anfang.

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SWR1 Begegnungen

06JAN2024
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Hartmut Rosa Copyright: Manuela Pfann

Manuela Pfann trifft den Soziologen und Hobbyastronom Hartmut Rosa

Heute an Dreikönig ist noch einmal Weihnachten. Für die orthodoxen Christen auf jeden Fall. Der Evangelist Matthäus erzählt es so: Drei Astronomen aus dem Orient sind einem Stern gefolgt, der über dem Stall von Bethlehem stehen bleibt; dort, wo Jesus geboren wurde. Was es mit diesem Stern von damals auf sich hat, darüber spreche ich heute mit Hartmut Rosa. Der ist im Hauptberuf Professor für Soziologie in Jena und ist weltweit unterwegs und gefragt. Doch zuhause, in seinem Garten im Schwarzwald, da hat er seine eigene kleine Sternwarte. Wenn der Himmel klar ist, dann sind in den ersten Tagen des neuen Jahres regelmäßig Kinder und Erwachsene zu Besuch, um mit ihm in die Sterne zu gucken. Wie kam’s dazu, dass er Hobby-Astronom geworden ist?

Ich erinnere mich wirklich, als ich, ich glaube, da war ich fünf oder sechs, noch nicht in der Schule, da habe ich sogar davon geträumt, dass ich mit meinem kleinen Plastiklaster raus in den Garten fuhr und plötzlich die Sterne über mir sehen würde.

Und dieser Traum ist bis heute Realität, der Sternenhimmel über dem Garten. Den kann man von hier aus ganz wunderbar sehen, weil Hartmut Rosas Heimatort Grafenhausen fast 1000 Meter hoch liegt; und nachts ist es da wirklich richtig dunkel.

Und irgendwie hatte ich schon seit frühester Zeit an dieses Gefühl, dass es da eine Verbindung gibt zwischen mir und den Sternen. Und deshalb wollte ich da wissen, was da eigentlich leuchtet und wie es aussieht. Und so sind die Teleskope immer größer geworden.

Und er kommt noch immer ins Schwärmen:

In die Sterne zu gucken ist fast so interessant wie ein Märchenbuch zu lesen, weil eben diese Weiten und diese Größenverhältnisse und die Prozesse, die da draußen sind, so unvorstellbar sind.

Ich habe bisher immer nur mit bloßem Auge in den Sternenhimmel geguckt. Warum ist es Hartmut Rosa wichtig, Menschen etwas von dem zu zeigen, was er gesehen hat? Warum also sollten wir alle einmal durch ein Teleskop geschaut haben?

Also ich glaube wirklich, es ist der Blick in diese Tiefen des Weltalls. Das erzeugt, glaube ich, in Kindern wie in Erwachsenen den Sinn einer lebendigen Verbindung. Für mich sind die Sterne das Umgreifende, das Äußerste, was wir sehen können. Die letzte Realität da draußen und der Blick durch die Sterne gibt einem irgendwie den Sinn. Das hat was mit mir zu tun.

Ich schaue etwas skeptisch – die Sterne haben etwas mit mir zu tun? Hartmut Rosa weiß natürlich, dass ich an Horoskope denke und bestätigt gleich …

…  dass auch die Astrologie davon lebt, von dieser Vorstellung, dass die Bewegung der Sterne irgendwas mit meiner Seele zu tun haben. Aber ich glaube, man braucht gar keine Astrologie. Die Astronomie alleine tut es auch schon.

Ich spüre die Freude, wenn Hartmut Rosa von dem erzählt, was er durchs Teleskop in seinem Garten im Schwarzwald sieht. Mir kommen dabei die Worte des Evangelisten Matthäus in den Sinn. Der hat über die heiligen drei Könige geschrieben: „Als sie den Stern sahen, wurden sie von sehr großer Freude erfüllt.“ Geht es ihm auch so, wenn er die Sterne sieht?

Das ist ganz eigenartig, aber es geht mir wirklich so. Vielleicht hat es auch was Tröstliches, irgendwie zu wissen, dass bei den ganzen Schwierigkeiten, die wir hier auf der Welt haben und bei den Sorgen, in denen wir stecken, diese kosmischen Geschehnisse so unendlich weit und eben doch real sind.

Und er findet einen schönen Vergleich, wenn er an das denkt, was sich am Himmel und in den Tiefen des Alls abspielt.

Es kommt mir wirklich immer wie ein Schmuckkästchen vor. Du siehst auf engem Raum Sterne, die grün und blau leuchten und irgendwie wie so eine Sammlung von Edelsteinen aussehen. Vielleicht entsteht da der Sinn, dass da eine Schönheit ist, die nicht beeinträchtigt werden kann von unseren irdischen Wirrnissen und nicht mal von einem Krieg oder einer Klimakatastrophe.

Ich möchte nochmals zurück in die Zeit von Jesu Geburt. Auch wenn es natürlich schwierig ist, sich das vorzustellen; trotzdem reizt mich die Frage – wenn Hartmut Rosa damals einer der drei Sterndeuter gewesen wäre, wie hätte er auf den Stern reagiert?

Ich hätte das vielleicht als Zeichen interpretiert; dass da was passiert, was wichtig ist. Aber eben in diesem Sinne, dass diese äußere Erscheinung vermutlich etwas mit meiner Seele zu tun hat. Ich glaube, das hätte ich jedenfalls damals gedacht. Ja, ziemlich sicher. Das geht mich existenziell etwas an.

Der Stern weist auf Jesus hin – und dieses Kind im Stall wird also jemand sein, der unsere Seelen bewegt und die Welt verändert. So verstehe ich Hartmut Rosa. Bis heute kann man den Stern von Bethlehem naturwissenschaftlich nicht klar deuten. Das ist für Rosa aber nicht entscheidend.

Also aus meiner Sicht geht es eindeutig um die Symbolik. Was man da in dieser biblischen Geschichte auch schön sieht, ist sozusagen die Mutter-Vater-Kind-Situation in der Krippe, im Stall, im ganz Kleinen. Also das Innerste, was auch unser innerstes Wesen berührt, die Geburt Christi. Die Idee ist jetzt, dass da auch am Himmel eine Reaktion sein muss.

Für Hartmut Rosa bleibt sein Schwarzwälder Himmel etwas, das zu seinem Jahreslauf gehört. Und seinen Blick aufs Leben prägt.

Mir geht es tatsächlich so, dass wenn ich diese Objekte schweigend ihre Bahn ziehen sehe und dann vielleicht fällt lautlos eine Sternschnuppe, dann bekräftigt das in mir diesen Sinn, dass ich da verbunden bin mit dem Universum. Das ist ein Sinn, wie er auch in der Religion entstehen kann.

Und Hartmut Rosa erklärt mir am Ende an einem Beispiel, wie er das genau meint:

Es sind Kirchen, es sind Religionen, die uns nämlich genau diesen Sinn geben. Da ist einer, der hat dich bei deinem Namen gerufen, der hört dich. Was tun wir, wenn wir beten? Eigentlich versuchen wir, unser Innerstes zu öffnen und in eine Verbindung zu setzen mit einem umgreifenden Äußeren. Und dieser Sinn, diese Haltung können wir auch gewinnen, wenn wir ins Universum schauen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39127
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Christvesper

Herzlich Willkommen zur Christvesper an diesem Heiligen Abend.

Dieser Abend ist für viele Menschen besonders. Familie, Christbaum, Geschenke, der Duft von Weihnachtsplätzchen und vielleicht der Abendgottesdienst gehören ganz selbstverständlich dazu. Aber für zahlreiche Menschen ist all das heute keine Realität. Menschen, die einsam sind, in Kriegsgebieten leben oder aus ihrer Heimat flüchten mussten. Und für all diejenigen, denen heute, aus welchem Grund auch immer, vor lauter Angst und Sorge nicht nach feiern zumute ist.

Kann diese Nacht heilig sein, in dieser Zeit? JA, das glauben wir! Denn die Geburt Jesu vor über 2000 Jahren hat etwas verändert. Gott ist Mensch geworden – und zeigt uns damit: Das Leben soll anders werden! Gemeinsam mit Ihnen machen wir uns in der nächsten halben Stunde auf den Weg. Mit Musik und Texten wollen wir von der Kraft erzählen, die in der Krippe ihren Anfang genommen hat.

Die Nacht ist vorgedrungen (Ensemble Encore)

Wir hören nun das Weihnachtsevangelium, gelesen von Peter Binder.

In dieser Zeit befahl der Kaiser Augustus, dass alle Bewohner des römischen Reiches namentlich in Listen erfasst werden sollten. Eine solche Volkszählung hatte es noch nie gegeben. Sie wurde durchgeführt, als Quirinius Statthalter in Syrien war. Jeder musste in die Stadt gehen, aus der er stammte, um sich dort eintragen zu lassen.

Weil Josef ein Nachkomme Davids war, der in Bethlehem geboren wurde, ging er von Nazareth in Galiläa nach Bethlehem in Judäa. Josef musste sich dort einschreiben lassen, zusammen mit seiner Verlobten Maria, die ein Kind erwartete.

Als sie in Bethlehem waren, brachte Maria ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt. Sie wickelte ihn in Windeln und legte ihn in eine Futterkrippe im Stall, weil es im Gasthaus keinen Platz mehr gab.

In dieser Nacht bewachten draußen auf dem Feld einige Hirten ihre Herden. Plötzlich trat ein Engel Gottes zu ihnen, und Gottes Licht umstrahlte sie. Die Hirten erschraken sehr, aber der Engel sagte: „Fürchtet euch nicht! Ich bringe euch und allen Menschen eine große Freudenbotschaft: Heute ist für euch in der Stadt, in der schon David geboren wurde, der lang ersehnte Retter zur Welt gekommen. Es ist Christus, der Herr. Geht und überzeugt euch selbst: Das Kind liegt, in Windeln gewickelt, in einer Futterkrippe!“

Auf einmal waren sie von unzähligen Engeln umgeben, die Gott lobten: „Gott im Himmel gehört alle Ehre! Denn er wendet sich den Menschen in Liebe zu und bringt der Welt den Frieden.“ Nachdem die Engel in den Himmel zurückgekehrt waren, beschlossen die Hirten: „Kommt, wir gehen nach Bethlehem! Wir wollen sehen, was dort geschehen ist und was der Herr uns verkünden ließ.“ Sie machten sich sofort auf den Weg und fanden Maria und Josef und das Kind, das in der Futterkrippe lag. Als sie es sahen, erzählten die Hirten, was ihnen der Engel über das Kind gesagt hatte. Und alle, die ihren Bericht hörten, waren darüber sehr erstaunt. Maria aber merkte sich jedes Wort und dachte immer wieder darüber nach.

Schließlich kehrten die Hirten zu ihren Herden zurück. Sie lobten und dankten Gott für das, was sie in dieser Nacht erlebt hatten. Alles war genauso gewesen, wie es der Engel angekündigt hatte. (Lk 2,1-20)

Zu Betlehem geboren (Harmonic Brass)

„Als sie in Bethlehem waren, brachte Maria ihr erstes Kind, einen Sohn, zur Welt.“

Das ist Weihnachten. Das ist es, was wir heute feiern. Am Heiligen Abend. Ich habe allerdings das Gefühl, dass viele Menschen nur diesen Satz in der Weihnachtsgeschichte hören. Vielleicht noch das mit den Engeln und den frohen Hirten. Weil am Heiligen Abend immer alles irgendwie schön sein soll. Friedvoll und nett.

Aber, wenn man diese alte Geschichte genau anschaut, dann hat die Geburt so gar nichts zu tun mit Friede, Freude und heiler Welt: Angefangen mit Maria, die einfach so schwanger wird. Durch, Gottes Wirken, wie es heißt. Und Josef, der wahrscheinlich andere Pläne für sein Leben hatte und tatsächlich überlegt hat, ob er Maria verlassen soll. Dann diese beschwerliche Reise von Nazareth nach Betlehem und dort dann weit und breit kein keine Unterkunft.

Wie Maria und Josef sich wohl gefühlt haben müssen? Nicht willkommen zu sein, so abgewiesen zu werden und so auf die Hilfe von anderen angewiesen zu sein. Und dann zwischen den Tieren dort ein Kind auf die Welt zu bringen. Diese heilige Nacht muss wirklich ziemlich erbärmlich gewesen sein.

Dass es Nacht war, wissen wir übrigens nur, weil erzählt wird, dass die Hirten nachts gewacht haben. Die Nacht ist hier auch ein Symbol.  Eines für die Nacht der Welt, für alles, was schwer ist, ungemütlich und schlimm.

Als Gegenstück dazu, wird in vielen Darstellungen die Krippe in Licht getaucht, ja mit einem Licht, dass aus der Krippe selbst kommt. Und dieses Licht steht für die Hoffnung, die es trotz aller Dunkelheit gibt. Die man nicht so einfach erklären kann.

Aber an den Hirten merkt man es. Sie kommen, sehen das Kind und gehen beschwingt und froh zurück. Dabei hat sich für sie nichts verändert. Sie haben ein einfaches Kind gesehen. In einem Stall. In einer Krippe, die eigentlich für das Futter der Tiere bestimmt war. Aber dieses Kind ist für sie das Zeichen, dass sie nicht alleine sind. Das Zeichen, dass Gott sie nicht alleine lässt. Weder in dieser Nacht noch sonst. Dass es jemanden gibt, der an sie denkt und für sie da ist, wenn das Leben schwer wird, in den einsamen Stunden. Und das ist für mich Weihnachten! Die Erinnerung daran, dass ich, egal, ob ich abgewiesen werde, mich alleine fühle oder nicht weiß wohin, egal, was auch kommen mag – eben nicht alleine bin.

Zündet die Lichter der Freude an (Jugendchor St. Kolumban, Wendlingen)

Eine heilige Nacht

Meine Kinder und ich, wir waren gerade umgezogen. Die Kisten noch nicht ausgepackt. Nur die Betten sind aufgebaut und ein bisschen Geschirr steht in der Küche. Und heute ist Heiligabend. Mit Mini-Tannenbaum im Topf, ohne Lichterkette, ohne Kugeln, die haben wir im Umzugstrubel nicht gefunden. Dafür stehen drei große Holzengel auf dem Boden im Wohnzimmer. Sie sind erst ein paar Tage alt, ich habe sie beim Weihnachtsbasteln im Kindergarten gemacht. Ich finde, die sind richtig schön geworden. Ein dicker Holzscheit und oben drauf als Kopf eine weiße Gipskugel und hinten, quasi auf dem Rücken, große weiße Gips-Flügel; die sehen aus wie bei einem Schmetterling.

Es ist das erste Weihnachten nach der Trennung von meinem Mann. Die Kinder sind bei mir. Zusammen gehen wir ins Krippenspiel, in unsere alte Kirchengemeinde, da, wo wir alle kennen. Anschließend fahren wir zurück, in ein fremdes Haus, an einen fremden Ort. Immerhin, wir haben ein Dach über dem Kopf.

Wir brutzeln rote Wurst auf dem Tischgrill, Kartoffelsalat haben wir vom Metzger geholt. Der Papa kommt zum Essen vorbei, die Kinder freuen sich. Und das ist mir wichtig. Singen und die Weihnachtsgeschichte lesen, darauf hat in diesem Jahr niemand richtig Lust. Die Stimmung ist trotzdem nicht so schlecht. Wir reden. Über das, was kommt, wie wir die Zimmer einrichten wollen, dass man von hier zur Schule nur 5min braucht, und dass es sogar einen Fußballverein für Mädchen gibt.

Irgendwann wird mir kalt, ich friere. Vielleicht bin ich einfach übermüdet. Also setze ich eine Kanne Früchtetee auf; der hilft wenigstens gegen die Kälte. Und bin in diesem Moment sehr froh über die große Dose mit Plätzchen und Lebkuchen von der Oma; die ist jetzt genau richtig. Irgendwann fragt der Jüngste: Kannst Du was vorlesen? Was aus „Engel, Hase, Bommelmütze“? Klar kann ich das. Ich hole das Buch mit den 24 Adventsgeschichten, das habe ich griffbereit in der Handtasche. Wir sind in diesem Jahr nur bis Tag 14 gekommen, dann mussten wir Kisten packen.

Während ich lese, wird es immer kälter. Und irgendwann ist klar: Die Heizung tut nicht mehr. Ich habe keine Ahnung, wen ich anrufen könnte. Es würde eh keiner kommen an Heiligabend. Die Kinder wissen sich zu helfen und suchen und finden tatsächlich ihre Schlafsäcke. Und dann fangen sie an, mitten im Wohnzimmer ein Lager zu bauen. Zwischen den Umzugskisten, mit Decken und ihren Kuscheltieren. Ich hole mir noch eine Jacke und lese dann, eine Geschichte nach der anderen. Irgendwann bin ich bei Nummer 24 angekommen, beim Finale. Der kleine Engel weiß endlich, was er dem Christkind schenken kann; die ganze Adventszeit hat er sich Gedanken gemacht. Und auf einmal ist ihm klar: Er hat doch schon das schönste Geschenk: Es sind all die Geschichten, die er in den letzten Wochen auf der Erde erlebt und gehört hat. Von Menschen, die gehofft oder geheult haben, die einsam oder glücklich waren, ungeduldig oder neugierig. Oder voller Sehnsucht.

Und dann lese ich die letzten Sätze vor und erzähle den Kindern, wie der Engel all diese Geschichten mit in den Himmel nimmt – und ich sehe, dass die Kinder eingeschlafen sind. In ihrem Lager zwischen den Umzugskisten. Die Schlafsäcke hochgezogen bis an die Nasenspitze, ihre Kuscheltiere fest im Arm.

Diese heilige Nacht war eine friedliche Nacht, wirklich ganz unerwartet friedlich. So können heilige Nächte sein.

Hark the herald angels sing (Berdien Stenberg)

Gott, Du bist zu uns gekommen, als Kind in einer Futterkrippe, in einem abgelegenen Stall. Und Du hast es geschafft, dass von diesem Ort neue Hoffnung ausgeht.

Wir bitten Dich heute für alle, die an unwirtlichen Orten leben – in Blechhütten vor den Städten, in Zelten und Turnhallen, auf der Straße oder im Park.

Wir bitten Dich für alle, die Angst haben – vor Gewalt, vor dem nächsten Bombenangriff, vor aller Ungewissheit, weil sie auf der Flucht sind.

Wir bitten Dich für alle, denen es gerade heute nicht gut geht – weil sie traurig oder einsam sind, weil es Streit in der Familie gibt oder der Kontakt zu den Liebsten abgerissen ist.

Wir bitten Dich für uns selbst:
Lass uns diesen Anfang im Stall wachhalten. Damit die Hoffnung bleibt: auf Friede, Freude und Gerechtigkeit.

Alle Bitten, die jetzt ausgesprochenen wurden und alle, die in unseren Gedanken und Herzen sind, wollen wir im „Vater unser“ zusammennehmen. Lassen Sie uns gemeinsam beten:

VATER UNSER IM HIMMEL

GEHEILIGT WERDE DEIN NAME.

DEIN REICH KOMME.

DEIN WILLE GESCHEHE

WIE IM HIMMEL SO AUF ERDEN.

UNSER TÄGLICHES BROT GIB UNS HEUTE.

UND VERGIB UNS UNSERE SCHULD,

WIE AUCH WIR VERGEBEN UNSERN SCHULDIGERN.

UND FÜHRE UNS NICHT IN VERSUCHUNG,

SONDERN ERLÖSE UNS VON DEM BÖSEN.

DENN DEIN IST DAS REICH UND DIE KRAFT UND DIE HERRLICHKEIT

IN EWIGKEIT.

AMEN.

Nun freut euch ihr Christen (Matthias Degott, Jürgen Ochs, Rastatter Hofkapelle)

Gott,
an vielen Orten auf der Welt herrscht Krieg,
auch heute Nacht
Viele Menschen sind einsam
auch heute Nacht.

Und trotzdem:
viele Menschen hoffen,
gerade heute Nacht.

Segne diese Nacht, Herr.
Und segne uns und all unsere Begegnungen.

Du, der Vater, der Sohn und der Heilige Geist.
Amen.

 

Mit dem Lied „Stille Nacht, heilige Nacht“ geht die Christvesper nun zu Ende. Am Mikrofon waren Manuela Pfann und Pfarrer Wolfgang Metz von der katholischen Kirche. Wir wünschen Ihnen gesegnete Weihnachten und eine friedvolle heilige Nacht.

Stille Nacht, heilige Nacht (SWR Vokalensemble Stuttgart)

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39022
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