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SWR4 Sonntagsgedanken

31OKT2021
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Im Mai des Jahres 1720 beschrieb die Herzogin Elisabeth Charlotte von Orleans ein ungewöhnliches Mittel gegen ihreSchlaflosigkeit. Die Herzogin ist bekannt unter dem Namen Lieselotte von der Pfalz. Drei Nächte hintereinander habe sie kein Auge zu machen können. Das Rheuma raube ihr den Schlaf und dann -was noch viel schlimmer sei- habe sie sich vor allem noch tausend Sorgen um ihre Kinder und ihre Familie machen müssen, schreibt sie in einem ihrer Briefe. Selbst ihr Arzt sei hilflos. Und dann bemerkt sie:

Da fiel mir das bewährte Mittel meines Vaters ein. Sogleich bestellte ich eine Kutsche und ließ mich ins nächste Kloster zum Gottesdienst fahren. Kaum hatte der Priester die ersten Worte gesprochen, da sank ich schon in den Schlaf. Drei Stunden dauerte der Gottesdienst, und ich erwachte erst, als der Priester zu Ende war. Ich fühlte mich wie neugeboren, mein Kopf war frei und meine Beine die einer jungen Frau.“

Ein Gottesdienst als Schlafmittel!? Die Herzogin fühlte sich in der ihr vertrauten Kirche geborgen. Der Gottesdienst bestärkte in ihr das Gefühl bei Gott zu sein und zur Ruhe kommen zu dürfen. Trotz all ihrer Sorgen. All den Erwartungen an Sie als Monarchin, Ehefrau und Mutter. In der Kirche musste sie nichts tun und brauchte nicht perfekt zu sein. Hier konnte sie ganz einfach loslassen und abschalten.  

Zur Ruhe kommen. Leichter gesagt als getan. Wer kennt sie nicht diese quälenden Fragen vor dem nicht einschlafen können. Fragen, die mich beschäftigen. Auch tagsüber.

Habe ich heute alles richtig auf der Arbeit gemacht? Bin ich für meine Kinder ein guter Vater? Eine gute Mutter? Schaffe ich all die Anforderungen, die mir morgen wieder gestellt werden? Den Spagat zwischen Beruf und Familie.

Als Jesus lebte war das alltägliche und religiöse Leben bis ins Detail genauestens geregelt. Die Menschen lebten in Angst etwas vor Gott, oder im Zusammenleben mit ihren Mitmenschen falsch zu machen. Deshalb gab es neben den zehn Geboten weitere 634 Gesetze. Hinzu kamen unzählige Einzelvorschriften, Auslegungen und Konkretisierungen. Wie erfülle ich Gottes Wille? Bin ich gut genug? Mach ich alles richtig? Diese Frage quälte die Menschen bei Tag und in der Nacht. Eine Lösung sahen viele nur in der peniblen Einhaltung aller Gebote. Auch Jesus stellt die Gebote nicht grundsätzlich in Frage. Aber er erinnert an ihren tieferen und eigentlichen Sinn. Und das kann ganz schön entlastend sein.

 

Eine Geschichte aus der Bibel, die heute im katholischen Sonntagsgottesdienst vorgelesen wird, erzählt, wie fromme Gesetzeslehrer Jesus einmal auf die Probe stellen wollten und ihn angesichts der vielen Regeln mit einer Fangfrage konfrontierten: Jesus sag uns, welches Gebot in all den Gesetzen ist das Wichtigste? Jesu Antwort ist souverän: "Du sollst deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und mit ganzer Kraft. Das ist das wichtigste und erste Gebot. Ebenso wichtig ist das zweite: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst." Für Jesus ist klar. Dort wo Menschen Gott die Treue halten und ihre Mitmenschen so achten, wie sie selbst geachtet werden wollen, werden alle Vorschriften, Verbote und Gesetze überflüssig. Weil sie dann erfüllt sind.

Das war eine ganz neue Lehre und befreite die Menschen damals aus ihren Zwängen und Ängsten. Ihre quälende Frage, wie sie Gottes Willen im Leben erfüllen, bekam durch Jesus eine ganz einfache Antwort. Eben alleine durch die Liebe. Das genügt.

Das genau feiern heute evangelische Christen am Reformationstag. Die Katholiken sollten ihn mitfeiern. Denn auch ein Martin Luther wurde in jungen Jahren von Ängsten und Zwängen gequält. Ja vor Gott nichts falsch zu machen, das war seine Hauptsorge. Er meinte sich durch möglichst viele gute Werke und Gebete Gottes Nähe verdienen zu können. Das bereitete ihm nicht nur schlaflose Nächte. Denn nie fühlte er sich gut genug. Luther hatte furchtbare Angst vor dem strafenden Gott, der nach dem Tod über den Menschen Gericht hält. All das führte ihn und seine Zeitgenossen in die Verzweiflung und Depression. Erst langsam kam er zum Glauben, dass er bei Gott überhaupt nichts vorweisen muss. Weil Gott immer da ist. Bei allem was wir tun. Und weil er uns gerade dann nahe ist, wenn wir nicht alles 100%ig machen. Uns buchstäblich liebevoll unter die Arme greift.

Bei allen Geboten und Verboten das Wichtigste nicht vergessen. Nämlich das allein die Liebe zählt und Gott uns liebt. Egal was wir machen. Wir dürfen trotz all den Sorgen und Anforderungen zur Ruhe kommen. Daheim. Im Gottesdienst. Wo auch immer. Heute am Sonntag. Vielleicht bei einem langen Mittagsschlaf. Das wünsche ich Ihnen.

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SWR4 Sonntagsgedanken

11JUL2021
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Gerne mache ich das nicht. Meinen Koffer packen vor einer Reise. An was ich da immer alles denken muss!? Und wie schnell habe ich in der Hetze vergessen, etwas Wichtiges einzupacken. Für alle Eventualitäten will ich gerüstet sein. Das entspricht meiner Sicherheits-Mentalität. Ärgerlich war das vor Jahren zum Beispiel, als ich mir einen völlig überteuerten Rasierapparat im Urlaub kaufen musste. Und das war nicht das erste und sicher auch nicht das letzte Mal, dass ich etwas vergesse. Inzwischen habe ich mir eine Checkliste angelegt. Vor jeder Reise wird sie ergänzt und beim Packen all das abgehakt, was in den Koffer kommt.

Im Text der Bibel, der heute im Katholischen Gottesdienst vorgelesen wird, geht es auch um eine Checkliste. Sie stammt von Jesus und die hat es in sich. Er ruft seine Freunde zusammen und schickt sie in die umliegenden Dörfer und Städte. Immer zu zweit und nie alleine sollen sie den Menschen auf ihrer Reise von Gott erzählen. Besonders den Kranken und Geplagten sollen sie nahe sein. Und dann bestimmt er:

Nehmt nichts mit auf den Weg. Nur einem Wanderstab, ein Hemd und an den Füßen Sandalen. Kein Brot. Keine Tasche. Kein Geld. Und keine zwei Hemden.

Jesus möchte, dass sie auf die Gastfreundschaft der Menschen vertrauen, denen sie auf dem Weg begegnen. Das bedeutet für sie: Essen und Trinken, ein Dach über dem Kopf erhalten sie nur, wenn sie auf andere Leute zugehen und offen sind für Begegnungen auf ihrem Weg. All das, was ihnen auf der Reise Sicherheit gibt, sollen sie zurücklassen. Unnötigen Ballast erst gar nicht mitnehmen. Die Unsicherheit sollen sie aushalten.

Auch dort, wo man sie bewirtet und im Haus aufnimmt rät Jesus dazu, nur kurz zu bleiben. Bleibt in Bewegung, gibt er ihnen mit auf den Weg.

Ohne Anspruch auf Sicherheit und Vorsorge geben sie zu erkennen, dass sie zu Jesus gehören, denn der hatte immer wieder gesagt:

Macht euch also keine Sorgen und fragt nicht: Werden wir genug zu essen haben? Und was werden wir trinken? Was sollen wir anziehen?

Nur Menschen, die Gott nicht kennen, lassen sich von solchen Dingen bestimmen. Euer Vater im Himmel weiß doch genau, dass ihr dies alles braucht. Setzt euch zuerst für Gottes Reich ein und dafür, dass sein Wille geschieht. Dann wird er euch mit allem anderen versorgen. 

MUSIK  

Um die Frage, was wir wirklich brauchen, darum geht es heute morgen in den SWR4 Sonntagsgedanken.

Jesu Freunde unterscheiden sich von all den anderen Wanderpredigern, die im Namen irgendwelcher Gottheiten im Land umherziehen. Die wollen die Leute beeindrucken. Auf ihre Spenden haben sie es abgesehen. Bereichern wollen sie sich auf ihrer Wanderschaft. Immer voller werden ihre Taschen. Bei Jesus ist es anders. Kein Brot. Keine Vorratstasche. Kein Geld. Kein zweites Hemd. Nur einen Wanderstab und Sandalen nehmen sie mit.

Doch die biblische Geschichte von vor 2000 Jahren nur zu kopieren und als Christ in Zukunft auf das Kofferpacken zu verzichten wäre zu einfach und tatsächlich auch kaum praktikabel. Wer tritt schon eine Reise an ohne Koffer!? Auch ich werde ihn weiterhin packen. Aber mich auch unterwegs darüber ärgern, dass ich mir wieder zu viele Klamotten eingepackt habe.

Doch es bleibt die Frage:  Was kann ich getrost auf meiner „Lebensreise“ loslassen und zurücklassen. Damit ich anderen Menschen und auch Gott nahe bleibe? Was sollte ich an Ballast abwerfen, damit ich freier werde und offener dafür, was mir von anderen Menschen geschenkt wird. Das ist eine Wohltat in einer Zeit des Überflusses, wo wir ständig gedrängt und verlockt werden, immer noch etwas mehr zu machen oder haben zu müssen.

So sieht das auch der Dichter Hans Magnus Enzensberger in einem seiner Gedichte, das den Titel „Minimalprogramm“ trägt. Da heißt es:

Überwältigend, was alles entbehrlich ist.

Nur wer vieles übersieht, kann manches sehen.

Was man festhalten kann, was einen festhält, das ist das Wenigste.

Sich öfter mal fragen, was alles entbehrlich ist. Dort wo wir beginnen Dinge aus der Hand zu geben und frei zu werden kommt eine andere Wirklichkeit zum Vorschein. Wir erkennen immer mehr, dass wir von anderen Menschen und irgendwie auch von Gott gehalten und getragen sind. Dass wir eben nicht alles festhalten und erhalten müssen.

Dieser Einsicht zu trauen ist nicht leicht. Sie steht all dem entgegen, was Kindern schon beigebracht wird. Dass alles von mir und meiner Leistung und meinem Besitz abhängt. Von dem, was ich kann und mitbringe.

Überwältigend, was alles entbehrlich ist, schreibt Hans Magnus Enzensberger.

Das könnte heißen, mal genauer hinzuschauen und vielleicht zu entdecken, dass Loslassen möglich ist. Dass es auch OHNE geht.

Vielleicht gleich heute am Sonntag ein wenig von der Leichtigkeit der Freunde Jesu ausprobieren. Sich Zeit nehmen fürs Nichtstun. Einfach so. Lange zusammensitzen und erzählen. Sich einen Mittagsschlaf gönnen. Unbeschwert und mit leichtem Gepäck eine Wanderung machen. Oder: ganz spontan liebe Menschen zum Essen einladen und das Wenige teilen, was im Kühlschrank ist.

Ich wünsche Ihnen etwas von alledem. Haben Sie einen schönen Sonntag.

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SWR4 Feiertagsgedanken

05APR2021
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Ob sie es mir glauben oder nicht, meinte eine 84-jährige Frau bei meinem Besuch. Ich liebe meinen Mann so sehr. Nach wie vor. 18 Jahre ist er jetzt schon tot. Er fehlt mir.

Und dann vertraut sie mir an: Das Bild von ihm küsse ich manchmal, wenn ich alleine bin. Und nachts spüre ich ihn, wenn ich die Hand ins Bett danebenlege. Ich spreche auch mit ihm. Manchmal ist er mir so nah. Er lebt für mich noch immer.

„Ob sie es mir glauben oder nicht.“ Der Satz der alten Frau bringt es auf den Punkt.

Ostern ist so ganz anders. Selbst gläubige Menschen haben mit diesem Fest ihr Problem. Für das was an Ostern geschehen sein soll haben wir keine Parallelen in der Erfahrung. Ist es nicht wider die Biologie!? Dass ein Toter zum Leben aufersteht. Kann man das überhaupt glauben?

Den Erfolg von Weihnachten hat Ostern nie gehabt. Was an Weihnachten geschehen ist kennen wir. Eine Geburt. Wir waren vielleicht schon dabei, oder haben es selbst erlebt.

Auch der Karfreitag. Das gibt es doch bis heute. Leid, das anderen Menschen zugefügt wird. Schmerzen. Brutalität. Gewalt und Mord. Todesängste und Sterben.

An Ostern stützen wir uns auf den Glauben einer kleinen Gruppe von Frauen und Männern, die verängstigt und kopflos nach Jesu Tod es trotzdem gewagt haben zu glauben und zu vertrauen. Immer wieder haben sie Jesu Nähe erfahren. Gott hat Jesus auferweckt. Er ist auferstanden. Das war ihr Glaube.

Die Erzählungen von Ostern sind nicht besonders werbewirksam.

Da wird von zwei Freunden von Jesus berichtet, die nach der Kreuzigung niedergeschlagen und verängstigt von Jerusalem weglaufen und unterwegs einem Fremden begegnen. Erst nach und nach, im intensiven Gespräch mit ihm, erkennen sie Jesus im fremden Wegbegleiter.

An einer anderen Stelle der Bibel steht Maria Magdalena weinend am leeren Grab Jesu. Einen Mann, der hinter ihr steht, hält sie zunächst für den Gärtner des Josef von Arimathäa, auf dessen Grundstück sich das Grab Jesu befindet. Erst als der sie, in einem Ton, der nur von Jesus sein kann, mit ihrem Namen Maria anspricht, erkennt sie ihn.

Nichts ist offensichtlich an Ostern. Man muss Jesus buchstäblich hineinglauben. In den Fremden. In den Gärtner.

MUSIK

Ostern ist ein sperriges Fest. Wer Ostern feiert braucht viel Zeit. Osterglaube wird allmählich und bedächtig geweckt. Immer wieder durch Zweifel hindurch.

Ich muss wieder an die Frau denken und ihr Bild vom geliebten Partner. Ob sie es mir glauben oder nicht. Ich spüre ihn. Ab und zu. Ganz intensiv. Und dann doch wieder nicht.

Der Glaube beginnt wie ein Paradox. Glaube muss sich regelrecht durch das Diffuse und Widersprüchliche durchbuchstabieren.

Was die Menschen damals erlebten gilt auch für uns. Nicht spektakuläre Geschehnisse begründen den Osterglauben. Vielleicht zunächst nur mein Zweifel. Mein Erleben und deuten.

Manchmal sind mir meine Eltern, die schon lange tot sind, besonders nahe. Wenn ich mir Fotos von Ihnen anschaue. Oder wenn ich mich an Geschichten aus meiner Kindheit erinnere und  meinen Kindern erzähle. Und doch ist die Zeit mit ihnen schon so lange vergangen und viele Erinnerungen verblassen. Wie die alten Fotos von ihnen.

Der Theologe Fulbert Steffensky meinte einmal es sei die Frechheit des Glaubenszu sagen: Christus ist auferstanden. Gott hat ihn auferweckt. Es sei die Frechheit des Glaubenswenigstens an Ostern keine Fragen zu stellen, sondern nur zu singen und die uralten Texte zu hören. Es sei die Frechheit des Glaubenssich nicht zu begnügen mit dem Hier und Jetzt und den Realitäten zum Anfassen.

Steffensky meint:

Der Tod darf nicht das letzte Wort haben, sonst wäre er größer als Gott. Die Toten drängen mich, an Gott zu glauben. … Da ich niemanden Opfer sein lassen will, nicht einmal mich selber, rufe ich: Gott wird die Toten nicht vergessen. … Ich weiß, dass ich in unverstandenen Bildern rede, wenn ich mit der Bibel sage: Gott wird abwischen alle Tränen von ihren Augen und der Tod wird nicht mehr sein, noch Leid, noch Geschrei, noch Schmerz wird sein. … Die Toten und ihr Schicksal öffnen mir den Mund für diesen Gesang, der mit seiner Vision vom guten Ausgang allen Lebens wie Kitsch klingt. Aber lieber des Kitsches verdächtig sein, als die Solidarität mit den Toten aufgeben.

Ist das nicht Vertröstung. Diese Hoffnung vom ewigen Leben. Das Sprechen vom irgendwann und irgendwo. Von einer Zeit, die kein Leid und keine Schmerzen kennt. Ist der Glaube an einen guten Gott, der alles neu machen kann, nicht Verrat an der Erde, wie sie ist. 

Osterglaube führt aber nicht aus der Welt heraus, sondern in sie hinein. Der Himmel der kommt und den wir erhoffen wird zum Bauplan für die Welt. Hoffnungen und Visionen bekommen schon jetzt eine Gestalt und vertrösten eben gerade nicht auf den St. Nimmerleinstag.

Wenn ich Ostern feiere, verpflichte ich mich dazu mich zu engagieren für eine Zukunft, die noch viel mehr bereithält als meine begrenzte Lebenszeit.

Er ist mir nahe. Ob sie es mir glauben oder nicht. Die alte Frau hat Recht.

Der Tod darf nie das letzte Wort haben. Auf der Erde und im Tod erst recht. Das ist dieFrechheit des Glaubens.

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SWR4 Feiertagsgedanken

26DEZ2020
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Die Krippe im Stollen. Mein Weihnachtsbild. Mit dem Kind im dunklen Stollen von dem Licht ausgeht. Gemalt von einem alten Mann.

Es war vor Jahren. An Weihnachten. Ich besuchte einen alten Mann.

Mit schwacher Stimme begrüßte er mich vom Pflegebett aus. Sein Zimmer war von Kerzen erhellt und sein Gesicht leuchtete in ihrem Licht.

Was er mir alles erzählte aus seinem Leben! Von den Schrecken des Krieges. Der Angst damals, die er als junger Mann hatte. Beim Bombenangriff im dunklen Grubenstollen. Aber auch von der Liebe zu seiner Frau. Und so dankbar sei er, wenn er an seine drei Kinder denkt und was aus ihnen geworden ist.

Seine Augen fingen zu leuchten an, als er mir dann von seiner großen Leidenschaft erzählte. Das Schnitzen und Malen. Das hat ihn beschäftigt. Fast sein ganzes Leben. Viele Kunstwerke hat er geschaffen. Darauf ist er stolz.

Eines seiner Bilder hat er mir damals geschenkt. Es ist ein Weihnachtsbild. Den Stall hat er nicht gemalt. Sein Jesuskind liegt in einem dunklen Stollen. In Erinnerung an seine traumatischen Erfahrungen im Krieg.

Die einzige Lichtquelle geht vom Kind aus. Es sei schwierig gewesen dashinzubekommen, meinte er. Und er fügte an: Dieser Jesus ist mir Licht in allem Dunkel. Bis heute.

Es ist ihm gelungen das hinzubekommen. So dunkel der Stollen auch ist: das Licht, das vom Kind ausgeht hat Kraft. Maria und Joseph, zwei Hirten, ein Hirtenhund und zwei Schafe sind eingehüllt in den Goldglanz seines Lichtes.

Der alte Mann und sein tiefes Vertrauen, dass dieser Jesus seine Dunkelheit erhellen kann. Selbst in seinem nahen Tod setzt er noch auf ihn. Ihm und seinem Gott hat er die Treue gehalten.

Sein ganzes Leben lang. In seinen Ängsten als junger Mann im Krieg. Und jetzt noch am Ende seines Lebens.

Er hat gemalt, was ihn in seinem Leben getragen hat.

In der Weihnachtszeit hat sein Bild in meiner Wohnung einen besonderen Platz. Es ist meine Weihnachtskrippe.

Musik

Mein Weihnachtsbild. Mit dem Kind im dunklen Stollen von dem Licht ausgeht. Gemalt von einem alten Mann.

In der Dunkelheit dem Licht trauen. Wie kann das gut gehen?

Gott vertrauen. Wenn ich krank bin. Jetzt in Pandemiezeiten. In den persönlichen Krisen meines Lebens. Selbst noch im Angesicht des Todes.

Heute wird der Gedenktag des heiligen Stephanus gefeiert. Seine Geschichte aus der Bibel, passt ganz und gar nicht in die Festtagsstimmung von Weihnachten.

Kaum sind die Sätze vom Licht, das vom Kind ausgeht, vom Gesang der Engel und den erwartungsvollen Hirten verklungen, wird heute von Verfolgung, Gericht und dem gewaltsamen Tod des Stephanus berichtet.

Der war unerschrocken und redegewandt. Jesus war sein und alles. Ganz Jerusalem war von Stephanus begeistert. Er brannte für seinen Glauben an Gott.

Doch einige Gelehrte suchten Streit mit ihm. Argumentativ waren sie schwach. Ihre Hetzkampagnen und die über ihn verbreiteten Fake News brachten ihn vor das Gericht. Dort hielt er die Rede seines Lebens. Was dann folgt ist nur grausam. Sie treiben ihn die Stadt hinaus und bewerfen ihn mit Steinen. Bis er verblutet. Doch selbst noch in seinem brutalen Sterben vertraut er sich Jesus und seinem Gott an.  

An den beiden Weihnachtsfeiertagen werden wir mit beidem konfrontiert. Mit der Geburt eines Kindes und der brutalen Steinigung des Stephanus.

Es sind Realitäten unseres Lebens. Geburt und Tod. Friede und Gewalt. Gute Zeiten und schlechte Zeiten. Gnadenlos begegnen wir all dem oft gleichzeitig.

Wer sich auf Jesus und seinen Gott einlässt, wird nicht verschont vom Dunkel dieser Welt.

Der alte Mann, der mir sein Weihnachtsbild vor Jahren schenkte hat mit seinem dunklen Stollen angedeutet, was ja auch Jesus nicht erspart blieb. Seine Geburt in einfachen Verhältnissen, die Flucht der jungen Familie mit dem Kind, sein Kreuzweg und brutales Sterben.

Ich schaue auf mein Bild. Auf die Krippe. Das Kind im Licht.

Mittendrin im finsteren Stollen.

Jesus hat in seinem Leben viel Dunkelheit erlebt. Trotzdem hat er Gott  vertraut.     

Er hat dem Licht mehr getraut, als allem Dunkel.

So wie der alte Mann. So wie Stephanus.

Wir feiern an Weihnachten, dass Gott sich bedingungslos an unsere Seite stellt.

Der frühere Bischof des Bistums Limburg, Franz Kamphaus, hat den Sinn von Weihnachten einmal so zusammengefasst:

Mach’s wie Gott, werde Mensch.

Mensch werden. Wie Gott.

Wenn ich auf dieses Kind im Licht schaue, verpflichte ich mich zur Menschlichkeit.

Zur Solidarität in Krisenzeiten. In der Krankheit.

Zum Engagement für Menschen auf den Schattenseiten des Lebens.

Immer in der Sorge für eine Welt, die Zukunft hat für unsere Kinder und Enkel.

Ich wünsche Ihnen einen schönen zweiten Weihnachtsfeiertag.

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SWR4 Sonntagsgedanken

06SEP2020
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Der Salierkaiser Konrad II wollte vor fast 1000 Jahren nicht irgendeine Kirche erbauen lassen. Er war auf der Höhe seiner Macht angekommen. Selbst der Papst in Rom hatte sich ihm unterzuordnen. Sein Dombauprojekt war entsprechend gewaltig. Es sollte die größte Kirche der Christenheit werden und alles Bisherige in den Schatten stellen. Bis heute überwältig sein Bau aus roten und gelben Sandsteinquadern.

Schon von weitem sieht man seine Kuppel im Osten und die vier Türme. 134 Meter lang ist das Kirchenschiff. So lang wie eine Autokolonne von ungefähr 30 Personenwagen. Tausende Menschen finden Platz im grandiosen Raum. Wie für die Ewigkeit gebaut steht er am Rheinufer. Der Speyerer Dom.

Seine Bezeichnungen sprechen von Größe: Kaiserdom. Kathedrale. Weltkulturerbe. Für Gott war dem Salierkaiser Konrad nichts groß genug. Wie bescheiden wirkt dagegen ein Wort Jesu, das heute im Katholischen Gottesdienst vorgelesen wird:

Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Vielleicht ist das jetzt genau ihre Situation daheim. Am Frühstückstisch. In ihrer Wohnung und eben nicht in einem gewaltigen Kirchenraum. Und selbst wenn Sie jetzt alleine zu Hause sind: mit mir am Radio zusammen sind wir schon zu zweit.

Jesu Wort ist eine Zusage an jeden einzelnen Menschen: Wo auch immer ihr zusammenkommt. Der Raum in dem ihr euch trefft muss nicht groß sein. Zwei, oder drei Menschen reichen. Ich werde dann bei euch sein.

Jesu Aussage von den zwei oder drei in seinem Namen stellt alles auf den Kopf.

Denn was groß daher kommt fasziniert uns Menschen immer schon. Ein volles Fußballstadion etwa. Ausverkaufte Veranstaltungssäle. Die Skyline von Frankfurt mit Wohnraum für tausende Menschen. Gut gefüllte Kirchenbänke. Was haben Menschen gewaltige Bauten errichtet, um mit Gott in Kontakt treten zu können! Pyramiden. Tempelanlagen. Kathedralen und Dome. Doch zum Beten braucht man sie nicht unbedingt. Einen Gottesdienst feiern kann ich auch am Küchentisch. Daheim im Wohnzimmer. Unterwegs beim Wandern. In der noch so kleinen Hütte. Zwei oder drei reichen aus und Gott ist mitten unter ihnen.

Jesus sagt unmissverständlich. Zwei oder drei genügen bei Gott um miteinander Gottesdienst zu feiern. Nicht die Anzahl der Menschen ist entscheidend.

Monat für Monat bringe ich kranken und alten Menschen die Kommunion in ihr Haus. Gerne kämen sie zum Gottesdienst in die Kirche. Aber es geht einfach nicht mehr. Nicht selten schütten sie mir beim Gespräch ihr Herz aus. All das was sie belastet. All die Wunden aus ihrem langen Leben, die immer noch schmerzen. Die lieben Menschen, die sie im Sterben loslassen mussten, nennen sie mir mit Namen. Beim kleinen Gottesdienst dann zu zweit sind wir uns sehr nahe. Ich selbst erfahre und staune, wie mir noch so fremde Menschen verbunden sein können. Ich trage, wenn auch nur für einem Moment ihre Trauer und ihre Sorgen im gemeinsamen Gebet mit. In dem Moment wo meine Möglichkeiten am Ende sind und mir meine Grenzen mehr denn je bewusst werden, stellt sich Gott an unsere Seite. Mitten unter uns.

Der Schweizer Pfarrer und Schriftsteller Kurt Marti meinte einmal:

MENSCH GERNEGROß, gottgerneklein.

Und er hat recht.

MENSCH GERNEGROß.

Größe. Macht. Steinerne Bauten für die Ewigkeit von Menschen errichtet, sind in all ihrer Schönheit auch verführerisch. Menschen, die ihre Macht und ihren Einfluss auf den wie sie sagen, allmächtigen Gott zurückführen, werden leicht größenwahnsinnig.

Und gottgerneklein.

Wer den gewaltigen Dom in Speyer betritt muss ein schweres Portal aus Bronze öffnen. Viele Bilder aus dem Leben Jesu sind darauf zusehen. Immer ist er dort mit nur wenigen Menschen abgebildet. Beim Gespräch mit einer Frau. Im Fischerboot mit zwei Jüngern. Als Kind auf dem Arm seiner Mutter. Unscheinbar und klein.

Wo zwei oder drei in meinem Namen zusammen sind, da bin ich mitten unter ihnen.

Entscheidendes geschieht oft im Kleinen. Jesus selbst ist mir darin Vorbild. In der Beziehung zu Menschen, die mir ihr Herz ausschütten. In einer Begegnung. Einem Gespräch. Im gemeinsamen Gebet, wo wir einander unsere Ohnmacht vor Gott eingestehen. Da lässt sich Gott finden.

Der Dominikaner und Autor Diethard Zils meint:

Zwei oder drei, das ist nicht viel, bestimmt nicht,

wenn der eine blind, der andere taub und ein Dritter lahm ist.

Zwei oder drei,

das ist unendlich mehr als einer allein, bestimmt, 

wenn der eine blind, der andere taub und ein Dritter lahm ist.

Denn der Blinde wird das Ohr für den Tauben,

und der Taube wird das Auge für den Blinden,

und gemeinsam tragen sie den Lahmen,

und so gehen sie alle drei, wohin einer allein nicht kommen kann.

 „Zwei oder drei in meinem Namen“,

das ist deine Hoffnung, Gott, für die Kinder der Menschen,

und überall, wo Menschen, zu zweit oder dritt, ihre Stärke miteinander teilen

und ihre Schwäche gegenseitig tragen, da bist du in ihrer Mitte.

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SWR4 Sonntagsgedanken

24MAI2020
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Die Fürbittbuch, das in unserer Kirche am Eingang liegt ist fast bis zur letzten Seite beschriftet. Mit Gebeten, Sorgen und Anliegen. Gerne blättere und lese ich darin und staune was Menschen so alles beschäftigt, wenn sie alleine hier in der Kirche sind. Kinder schreiben da etwas auf. Mit Großbuchstaben und Schreibfehlern. Erwachsene setzen gerne unter ihr Gebet noch ihre Unterschrift und das Datum. Und was alte Menschen geschrieben haben, erkennt man an der zittrigen Schrift.

Da lese ich von der bevorstehenden Operation und dass hoffentlich alles gut geht. Da wird gebetet für Flüchtlinge und Hungernde. Liebe Menschen, die gestorben sind, werden genannt und von der Trauer um sie wird erzählt. Auch den Kummer vor der bevorstehenden Klassenarbeit kann ich darin finden. All die Sorgen in den Corona Krisenzeiten werden dem Buch anvertraut. Und einer erzählt von seiner Freundin und der Hoffnung, dass sie doch endlich ja zu ihm sagt. Beten. Das pralle Leben kommt in dem Buch zur Sprache.

Heute wird im Katholischen Gottesdienst ein Text aus der Apostelgeschichte vorgelesen. Auch dort wird gebetet. Es ist die Zeit nach Ostern. In einem „Obergemach“ heißt es da versammeln sich Frauen und Männer zum Gebet. Jüngerinnen und Jünger von Jesus. Seine Mutter Maria. Und seine Brüder. Damals war das „Obergemach“ ein Ort im Haus, in dem Menschen zusammenkamen um in der Bibel zu lesen, darüber nachzudenken und zu beten. Dieses Obergemach ist jetzt ein Ort an dem ihnen bewusst wird wie sehr ihr Freund Jesus fehlt. Denn auch der war in solch einem Obergemach zum letzten Mal mit seinen Freunden zusammengekommen. Damals, am Abend vor seinem Tod. Zum Mahl. Wie soll jetzt alles weitergehen? Ohne ihn. Was haben sie durchmachen müssen seit seinem Tod. Am Karfreitag schien die Sache Jesu gelaufen, ja buchstäblich begraben worden zu sein. Unverhofft dann der Ostermorgen. Das leere Grab und die Nähe zu ihm, die manche spürten. So ganz anders wie noch zu seinen Lebzeiten. Sie brauchen ihn so sehr.

Auch das Fürbittbuch in unserer Kirche ist voll davon. Von Ängsten und Sorgen. Von Ausweglosigkeiten. Von großem und kleinem Kummer. Und immer vom Ruf nach Gott, er möge doch eingreifen hier unten auf der Erde und die Not wenden. 

Teil 2 

Um das Beten und wozu es gut sein kann, darum geht es heute Morgen in den Sonntagsgedanken. 

Gleich zu Beginn der Apostelgeschichte berichtet der Verfasser wie die engsten Vertrauten von Jesus nach seinem Tod zum Beten zusammenkommen.

„Sie alle verharrten einmütig im Gebet“, heißt es da. Das alte Wort verharren meint so viel wie durchhalten,oder aushalten. Wer im Gebet verharrt gibt in entmutigenden Momenten nicht gleich auf. Doch das ist leicht dahingesagt. Was habe ich schon gebetet, sagen wir auch. Und es hat nichts genützt. Immer hoffen wir, dass unsere Bitten durch inständiges Beten erfüllt werden. Wir meinen: Gott wird schon eingreifen und alles zum Guten führen. Wie oft hatten wir schon gehofft, dass da Hilfe kommt. Was habe ich schon gebetet. Und es hat nichts genützt.

Die Sprache der Gebete ist die am weitesten verbreitete Sprache der Menschen. Es ist eine Sprache, die keine Sprachverbote kennt. Sie verurteilt Gott nicht zur Antwort. Denn Gott bleibt unergründlich. Unverfügbar. Mein Beten kann Gott nicht zum Handeln zwingen. Gott lässt Fragen offen. Bleibt mir Antworten schuldig. Das lehrt uns die Geschichte. Das zeigen all die unerhörten Gebete. Auch die im Fürbittbuch unserer Kirche. Das zu respektieren ist bitter. Aber warum dann noch mein Danken und Beten. Mein Loben, Klagen, Fragen, Fordern und Protestieren im Gebet.

Die Theologin und Dichterin Dorothee Sölle hat einmal geschrieben:

Beten heißt, große Wünsche haben:

Die großen Wünsche nach Gerechtigkeit,

nach dem Sieg über das Unrecht,

nach einem menschenwürdigen Leben,

die hat man nicht einfach so,

die muss man lernen.

Beten ist Revolte.

Wer betet sagt nicht: So ist es und Amen!

Er sagt: So ist es! Und das und das soll geändert werden.

Beten ist eine intensive Vorbereitung auf das Leben.

Wer betet resigniert nicht angesichts der Zustände dieser Welt und gibt nicht die eigene Verantwortung an Gott ab. Im Gebet verharren. Einmütig. Im Obergemach. Damals bei den treuen Weggefährtinnen und Weggefährten Jesu, die jetzt ohne ihn auskommen mussten, geschah das Unerwartete. Pfingsten stand vor der Tür. Gottes Geist kam dazwischen. Eröffnete ihnen Perspektiven, für die sie zuvor blind waren und führte sie heraus aus Lethargie, Angst und Trauer.

Sie erinnerten sich an Jesu Worte. Er hatte gerade nicht zu allem so ist esund Amengesagt. Sie erkannten, dass sie selber Verantwortung für die Mitmenschen und eine gerechte Welt haben. Sie schritten zusammen zur Tat, weil sie, wie Dorothee Sölle meint, große Wünsche hatten. Ihr Gebet wurde zur Revolte.

Beten im Obergemach. Kein Rückzug. Sondern intensive Vorbereitung auf das Leben. Mit ganz viel Verantwortung. Und ganz viel Vertrauen auf seine Nähe.

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SWR4 Sonntagsgedanken

02FEB2020
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Gerne besuche ich ihn. Einen alten Mann in unserer Gemeinde. Vor seiner Haustür schon höre ich Blasmusik. Die liebt er ganz besonders, weil er sich dann an seine frühere Zeit im Musikverein erinnert.

Seine Augen blitzen hellwach durch seine dicken Brillengläser bei der Begrüßung. Im Rollstuhl kommt er mir entgegen. Das schränkt ihn schon sehr ein. Aber dafür ist sein Herz sehr weit.

Auf seinem Tisch liegen stapelweise Zeitungen. Seinen Laptop auf dem kleinen Tisch daneben bedient er souverän. Sein Enkel hat ihm alles erklärt. 

Politik interessiert ihn. Die großen Zukunftsfragen beschäftigen ihn. Das Klima. Der Friede. Der gesellschaftliche Zusammenhalt. Dass seine Kinder und Enkel eine gute Zukunft haben. Daran glaubt er fest. Die schaffen das sagt er.  Dafür betet er jeden Tag.

An einer Wand in seinem Zimmer hängen viele Bilder. Die ganze Familie ist darauf versammelt. Sein ganzer Stolz. Zu jedem Bild gibt es Geschichten. Bei jedem Besuch erzählt er mir. Manchmal lachend. Manchmal mit feuchten Augen.

Ein Bild ist gerade dazugekommen. Er mit dem jüngsten Spross der Familie auf dem Arm. Gerade mal vier Wochen alt ist er der kleine Jonathan. Sein ganzer Stolz ist er.

92 Jahre alt und doch hellwach. Voller Hoffnung. Irgendwie junggeblieben. Vernetzt mit der Welt. Informiert. Interessiert. Und immer wieder sagt er:  Ich bin getragen von meiner Familie. Und von meinem Gott.

Ich muss an den Simeon in der Bibel denken. Und auch an die Prophetin Hannah. Auch sie waren alt.  Aber voller Hoffnung. Heute an Maria Lichtmess ist ihr Festtag und ihre Geschichte wird im Gottesdienst vorgelesen.

Simeon und Hannah. Die beiden glauben fest daran, erst dann sterben zu müssen, wenn sie den erhofften Messias, den Retter für alle Menschen gesehen haben. Fast erblindet und dem Tod schon nahe beten und warten sie in Jerusalem darauf, das noch erleben zu können.

Im kleinen Jesus, den Joseph und Maria eines Tages zum Tempel tragen, um Gott  für ihr Kind zu danken, erkennen die beiden Alten ihren Retter und Heiland.

Die Bibel erzählt wie Maria dem Simeon ihren kleinen Jesus kurzerhand in den Arm legt. Und wie nurder in ihm etwas ganz Besonderes sieht. Den langersehnten Retter. Seinen Messias.

Freudestrahlend und mit glänzenden Augen stimmt er sein Loblied an.  Jetzt kann ich in Frieden sterben. Ich habe den Heiland gesehen. Für alle Völker ist er das Licht. Bis heute wird so gebetet und gesungen. 

Genau 40 Tage nach Weihnachten feiern Katholiken heute den Lichtmesstag. Zum richtigen Zeitpunkt. Denn die Tage werden wieder länger. Das Licht ist endlich stärker als das Dunkel. Die Nacht wird kürzer als der Tag. Das Warten hat sich gelohnt.

Im Mittelpunkt des Gottesdienstes steht heute die Geschichte von zwei alten Menschen. Simeon und Hannah.

Ist es nur eine anrührende Geschichte von alten Leuten und kleinen Kindern?

Von einem Mann und einer Frau vor 2000 Jahren. Die lebenssatt sind und doch nicht sterben wollen ehe sie den herbeigesehnten Retter sehen. Ihn buchstäblich in den Armen halten wollen.

Oder ist es auch jene Geschichte vom 92 jährigen Mann, der noch ganz viel Hoffnung in sich trägt. Sich so freut über den Urenkel und sein so langes Leben. Von einem der an die Zukunft glaubt. Für sich. Und seine Familie.

Gründe zur Resignation gibt es doch so viele. Damals und heute mehr denn je. Die Gewaltspirale dreht sich. Die Krisenherde der Erde werden nicht weniger. Die Folgen des Klimawandels bedrohen die Ärmsten und treiben sie in die Flucht.

Nicht wenige sagen doch:  Was da noch auf uns  zukommt? Wie gut, dass ich es nicht mehr erleben muss, weil ich schon so alt bin.

Simeon. Hannah. Sie stehen bis heute für alle Menschen, die viel Hoffnung in sich tragen. Hoffnung für diese notgeplagte Welt.

Für Menschen, die gegen allen Augenschein dem Licht mehr trauen, als dem Dunkel. Sich freuen an Kindern und der Zukunft trauen. Für Menschen, die sich engagieren, auch wenn alles noch so sinnlos erscheint.

Und was müssen sich die alles anhören: Ihr Träumer! Seid ihr nicht alt genug um Realisten zu sein. Schaut doch auf die Wirklichkeit. Die Zukunft für unsere Kinder. Ist sie nicht bedrohter denn je?

Und du Simeon und du Hannah. Hand aufs Herz. Wie soll euer kleiner Jesus Licht bringen für alle Völker?  Ein Kind! Das ist doch kein Beweis.

Doch sie halten all dem stand. Bleiben hoffende und träumende Kinder. So hochbetagt sie auch sind. Mit großen Augen.

Zu Weihnachten habe ich dem Mann die Kommunion gebracht. Er lächelte beim Beten und Singen. Zufrieden und dankbar schaute er auf die Wand mit den Familienbildern. Und meinte:

Das Leben ist so schön. Uns geht es so gut.Und im gleichen Atemzug sagte er entschieden: Aber ich bin auch bereit zu sterben.

Wie es auch kommen mag. Ich bin getragen von meinem Gott und meiner Familie.

An diesen Mann muss ich heute denken am Lichtmesstag. Und an all die anderen, die ich kenne. Menschen, die Gott die Treue halten. Ein Leben lang.  Die Gott noch etwas zutrauen ein Leben lang. Bis in den Tod.

Sie sind mir Vorbild.

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SWR4 Feiertagsgedanken

01NOV2019
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Kennen sie heilige Menschen?

Schnell denken wir heute am Allerheiligentag an Menschen, die in Kirchen auf Podesten, oder auf prunkvollen Bildern buchstäblich als Helden zu bestaunen sind. Längst tot sind sie. Und hoch aufschauen muss ich um ihnen ins Gesicht schauen zu können. Ihr Leben endete oft tragisch, weil sie ihren Glauben bis zur letzten Konsequenz gelebt haben. In allem waren sie perfekt. Unerreichbar stehen sie über mir. Wenn ich vom Leben so mancher Heiliger höre wird mir bang. So kann und so will ich nicht leben. Mir ist das alles zu groß und zu radikal.

Im 9. Jahrhundert schon hat Papst Gregor IV. das Allerheiligenfest eingeführt. Die Zahl der nach ihrem Tod offiziell von der Kirche heiliggesprochenen Menschen war unüberschaubar geworden. Auch wenn manche von ihnen dies eher kirchenpolitischen Erwägungen, oder einer gezielten Lobby, als ihrem eigenen Leben verdankten.

Ein allgemeiner Festtag wurde eingeführt. Für all die vielen Namenlosen, die keinen Platz im offiziellen Heiligenkalender bekamen. Die einfach so verehrt wurden von den einfachen Leuten.

Heilige Menschen. Auch heute gibt es sie. Ganz treu sind sie. Unscheinbar. Ihr Name steht nicht in der Zeitung. Sie möchten nicht als Helden auf Sockel und Podeste gestellt werden.

Ein 85 jähriger Mann in unserer Gemeinde ist für mich einer von Vielen. Jeden Tag fährt er zu seiner Frau ins Altenheim. Zu Hause ging es einfach nicht mehr mit ihr. Ein Schlaganfall veränderte so Vieles vor zwei Jahren. Die gemeinsamen Spaziergänge waren nicht mehr möglich. Der Rollstuhl mehr als ungewohnt. Das Sprechen verstummte. Was jetzt bleibt für die Zwei sind Gebete und Lieder. Und ganz viel Gefühl und Emotionen.

Sie verstehen sich. Ganz oft habe ich die beiden im Gottesdienst schon erlebt. Zugeschaut wie er mit ihr die Kommunion teilt. Ihr die Hände faltet beim Beten.

Wie sie sich die Hand halten mit Tränen in den Augen.

Was ist das Besondere an heiligen Menschen? Ganz einfach kommen sie daher. Sie schämen sich nicht ihrer Menschlichkeit. Sie sind verwundbar. Die Abgründe des Lebens und auch ihre eigenen kennen sie. Bescheiden bemühen sie sich klug und gerecht zu leben. Mutig und berührbar kommen sie uns entgegen. Helden wollen sie nicht sein.

Die jüdische Philosophin Simone Weil meinte einmal: Der Held trägt eine Rüstung, der Heilige geht nackt.

Kennen sie heilige Menschen? Woran kann man sie erkennen? Was ist ihnen heilig?

Und: Gibt es sie überhaupt noch?

Wir sagen manchmal, wenn wir uns über andere Menschen ärgern: Denen ist doch gar nichts mehr heilig! Und wir meinen damit: Die treten die Menschenrechte mit Füßen. Sehen nur Profit. Gehen über Leichen.

Anders herum gefragt: wenn denen nichts mehr heilig ist, was ist dann mir heilig? Der Rapper und Liedtexter Marco Michalzik stellt in einem seiner Texte diese Frage:

Woran denkst Du, wenn Du aufwachst am Morgen?   Was ist dir wichtig? Oder vielleicht könnte ich auch eher sagen, was lässt dein Herz schneller schlagen? Welche Sachen, Dinge, oder Menschen? Wofür wärst du bereit zu kämpfen? Was würd‘ dich auf die Straße treiben? Wofür würdest du Fahne zeigen? Worunter deinen Namen schreiben? Was ist dir wichtig? Ich meine so richtig! Wichtig! Welcher Verlust würde dich unfassbar schmerzen? Vielleicht ist das Wortklauberei, kleinlich, irgendwie schon fast peinlich, doch die Frage ist doch: WAS IST DIR heilig? …

Der alte Mann, der sich so rührend um seine Frau kümmert, würde den Kopf schütteln. Was für eine Frage !? Was mir heilig ist! Die Liebe zu meiner Frau natürlich. Die ist mir heilig. Die hat Bestand. Schon 64 Jahre jetzt. Für meine Frau setze ich mich ein. Ganz treu. Ich werde sie beschützen. Vor allem was da kommt. Bei ihr bleiben. Wohin sie auch gehen muss. Das hab ich ihr doch versprochen.

Heilige Menschen. Mitten unter uns sind sie anzutreffen. Es sind Menschen wie sie und ich und doch ganz besondere Menschen. Die füreinander einstehen. Solidarisch. Weltweit. Mit einem langen Atem. Manche setzen sich ein für die Verständigung zwischen Kulturen und Religionen. Andere gehen auf die Straße. Sie gehen zu den Menschen, die am Rand stehen und so leicht übersehen werden. Nichts ist für sie unmöglich.

Und sie nehmen Verantwortung wahr für ihre Mitmenschen und für die Menschen, die nach ihnen noch leben werden.

Heilige Menschen. Irgendwie machen sie es mir leichter an Gott zu glauben.

Marco Michalzik, der Rapper, stellt am Ende seines Textes Gott selbst die Frage, was ihm denn heilig ist:

Und wenn ich mir die Frage stelle: Was wär Gottes Antwort an der Stelle?

Auf die Frage: Was ihm wichtig ist, wofür sein Herz schlägt, was ihm heilig ist? Und es ist fast unglaublich, glaube ich.

Weil du für ihn heilig bist!

Weil ich es bin und das gibt mir Sinn und Bedeutung.

Lässt mich mein Leben nicht vergeuden. Lässt mich leben hier und heute.

Heilige Menschen. Es gibt viel mehr von ihnen als wir denken. Hier und jetzt. Mitten unter uns. Gottes Liebe macht ihr Herz ganz weit für andere Menschen. Ihr Fest ist heute. Ich wünsche Ihnen einen schönen Feiertag.

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SWR4 Sonntagsgedanken

14JUL2019
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Endlich ein freier Vormittag ohne Termine, - dachte ich vor Tagen. Alles war geplant. Den Schreibtisch wollte ich aufräumen. Mails beantworten. Rechnungen bezahlen. Eine Predigt vorbereiten. Doch es kam alles ganz anders. Ein junger Mann wollte mit mir sprechen. Ich sei doch Seelsorger - meinte er.

Seine Geschichte hatte er schnell erzählt. Auf der Rückfahrt vom Wochenendausflug wurde er von einem Auto mit überhöhter Geschwindigkeit überholt. Minuten später war er mit einem Unfall konfrontiert. Hinter einer Kurve war der PKW, der ihn überholt hatte,  gegen einen Baum geprallt.

Er reagierte blitzschnell. Alarmierte die Polizei und leistete erste Hilfe. Gott sei Dank hatte er eine Ausbildung bei der Feuerwehr. Der Fahrer, vielleicht gerade mal 18,  lag blutüberströmt im Auto und starb noch vor Eintreffen der Rettungskräfte.

Zwei Tage später jetzt verfolgen ihn die schrecklichen Bilder vom Unfallort erzählt er mir. Die Augen des Sterbenden. Seine letzten Worte. Die Gerüche. Ständig will er sich waschen, weil er noch immer das Blut auf seinem Körper spürt. 

Warum hat ausgerechnet er das erleben müssen ? Wie konnte es sein, dass der Mann, den er nicht einmal mit Namen kannte, buchstäblich in seinen Armen sterben musste.

Hatte er vielleicht eine Freundin ? Oder vielleicht schon Kinder ?

Fragen über Fragen die ihn verfolgen bis in die schlaflosen Nächte hinein.

Ganz nahe war er dem sterbenden Unbekannten geworden. Und ich ihm beim Zuhören.

Ist er mir damit an diesem Morgen zum Nächsten geworden?

Als Jesus von einem frommen Juden einmal mit der Frage konfrontiert wird, wer denn eigentlich dieser Nächste sei, ist er erstaunt. Der Mann, der doch als Jude die Schriften bestens kennt, müsste es doch wissen. Und so gibt er die Frage zurück. Sag mir. Was steht zu dieser Frage in der heiligen Schrift ? Seine Antwort lässt nicht lange auf sich warten. Du sollst Gott lieben von ganzem Herzen und von ganzer Seele und deinen Nächsten wie dich selbst.

Doch was den Schriftgelehrten beschäftigt ist eine ganz andere Frage: Wer aber genau ist mein Nächster ?  Mein Nächster, dass kann doch unmöglich jeder und jede sein, sonst hieße es ja nicht mein Nächster. Jesus sag es mir, wer zum Kreis meiner Nächsten gehört.

M u s i k

 

Jesus erzählt dazu wie so oft eine Geschichte. Es ist eine Allerweltsgeschichte, weil erzählt wird, was jeden Tag in der Zeitung steht:

Ein Mann ist unterwegs von Jerusalem nach Jericho. Er wird überfallen, verprügelt und fast Tod am Straßenrand liegen gelassen. Zuerst kommt ein Priester vorbei und wenig später ein Diener am Jerusalemer Tempel. Die haben es beide eilig und gehen weiter. Eigentlich wären sie verpflichtet zu helfen. Doch ihr Dienst am Tempel ist ihnen wichtiger. Dort gibt es heilige Regeln und Ordnungen. Die sind strikt einzuhalten und durch Nichts zu entschuldigen.  Wer ist mein Nächster ? Heute. Ist es der junge Mann? Jetzt ganz konkret bei mir. Der mir gegenüber sitzt und mir seine Geschichte erzählt. Der nur möchte, dass ich ihm zuhöre und ihm ein wenig nahe bin. Und eben nicht an meinen Schreibtisch denke.

In der Geschichte von Jesus kommt ein Dritter am Überfallenen vorbei. Es ist ein Samariter. Der ist für die Juden ein Ausländer, den es zu verachten gilt. Er befolgt nicht die heiligen Schriften und betet nicht im Tempel. Ein Heide ist es. Aber nur er, so erzählt Jesus, folgt seinem Gewissen und hilft einfach. Er versorgt die Wunden des Überfallenen und bringt ihn in Sicherheit.

Wer ist mein Nächster ?

Mit der Geschichte von Jesus ist ein grundlegender Wechsel der Perspektive angesagt. Die eigentliche Frage ist eben nicht: Wer ist mein Nächster? Ganz anders müssen wir fragen: Wem kann ich zum Nächsten werden?

Dann gilt. Nicht die räumliche und auch nicht die emotionale Nähe macht einen Menschen zu meinem Nächsten. Einziges Kriterium ist die Not eines Menschen, die mich nicht unberührt lässt. Die Straße zwischen Jerusalem und Jericho die gibt es überall. Auch heute. Unzählige Frauen und Männer und Kinder sind auf ihr unterwegs. Opfer von Unfällen und Gewalt. Erkrankte. Traurige. Aus dem Blick Geratene. Traumatisierte. Auf der Flucht. Vor Hunger und Durst. Vor Odachlosigkeit. Krieg und Terror.

„Am ärmsten bleibt, der nur sich selber der Nächste ist“, schreibt die Lyrikerin Christine Busta, „am reichsten, wer sich vom Fernsten noch fordern lässt !“ Vom Fernsten sich fordern lassen. Wir können das. Zuhören und trösten. Stützen und aufrichten. Umarmen und Tränen zulassen. Das alleine zählt dann.

Ich habe es an diesem Vormittag wieder einmal einüben müssen. Und auch der Mann der mit mir reden wollte. Bei der tragischen Begleitung eines unbekannten Sterbenden. Fern waren sie sich und doch so nahe

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SWR4 Sonntagsgedanken

Ein Mann hatte zwei Söhne …

Viele werden beim Hören dieser Worte denken: DieGeschichte kenn ich doch !

Das Gleichnis im Neuen Testament vom Vater und seinen zwei Söhnen ist ein Stück Weltliteratur.

Es ist eine Männergeschichte. Und eine Dreiecksgeschichte.

Heute wird sie in den katholischen Gottesdiensten vorgelesen.

Da ist zunächst dieser jüngere Sohn. Zuhause ist es ihm zu eng geworden. Er will nicht warten bis der Vater tot ist. Vermögen das ihm zusteht verlangt er schon jetzt und macht sich vom Acker.

Er verschleudert und vergeudet alles und kurze Zeit später geht es ihm so richtig dreckig. Zurück will er. Schäbig benommen hat er sich. Da geschieht das Unfassbare. Die Worte seines Vaters bei seiner Ankunft durchbrechen alle Konventionen und Erwartungen.Wir wollen feiern. Mein Kind war tot und ist lebendig geworden. Es war verloren und ist wieder gefunden. Keine Anklage. Kein Nachhaken.

Mehr als irritiert kommt der ältere Sohn von der Arbeit zurück. Nie gab es für ihn ein Fest. So treu und korrekt wie er doch immer war. Liebt der Vater den Bruder etwa mehr als ihn ?

Schnell ist erzählt in der Geschichte vom Vater und den beiden Söhnen, was Jesus so sehr am Herzen liegt.  Sein Glaube an Gott der nur lieben kann.

Selten spricht Jesus seine tiefste Überzeugung und sein Anliegen in einem Gleichnis so eindringlich aus.

Seine Situation ist ja auch kurz vor dem Karfreitag hochdramatisch. Was er lehrt und von Gott sagt wird den Pharisäern und Schriftgelehrten immer mehr ein Dorn im Auge und darf nicht unwidersprochen stehen bleiben. Sie wollen nicht länger mit anschauen, wie er das Volk von Galiläa bis Jerusalem mit seinem Wort von der Barmherzigkeit und Liebe Gottes durcheinanderbringt. Gotteslästerung lautet die Anklage.

Denn Gott so ihre Lehre verlangt Bedingungen für seine Liebe. Und die kennen sie bestens. All die Paragraphen des Gesetzes. Die Gebote und Vorschriften. Das alles muss gelten. Ein für alle mal. Wer sich nicht daran hält ist ausgeschlossen und gottlos.

Doch Jesus kennt auch die Anderen. Die nicht Korrekten. Die mit all den Paragraphen Überforderten. All die Entrechteten und Armen. Die Verzweifelten und Ausgeschlossenen. Die in den Augen der Frommen wertlos gewordenen. All die, die nur noch etwas von Gott erwarten. Die laufen ihm buchstäblich nach. Sie sitzen bei ihm am Tisch. Sind seine liebsten Gäste. Und zu ihnen fühlt er sich gesandt. Denn er ist nicht gekommen für die Gesunden, sondern für die Kranken. Bei ihm erhoffen sie sich das zurückzubekommen, was ihnen genommen wurde. Ihre Würde. Ihren Wert. Das Empfinden, dass auch sie von Gott geliebt und angenommen sind.

Sein Sprechen von Gott ist so ganz anders.  Von Gott, den er seinen Vater nennt. Von dem nur gütig, barmherzig und mit weitem Herzen gesprochen werden kann. Daran glaubt Jesus ganz fest. Davon erzählt seine Geschichte.

Teil 2:

Der Vater. Lässt er nicht aufscheinen wie Gott ist.

Mit offenen Armen empfängt er den Verlorenen. Barmherzig. Nicht berechnend. So wie er mit dem jüngeren Sohn umgeht. So kann nur Gott sein.

Und der Ältere ? Ist seine Wut nicht allzu menschlich. Immer zu kurz gekommen. Das Gefühl von Neid eben. Wieso bekommt der sein Fest und ich gehe wieder mal leer aus ?

Der brasilianische Bischof Dom Helder Camara schrieb einmal zu unserer Geschichte: Ich bete unaufhörlich für die Bekehrung des Bruders des verlorenen Sohnes. Immer klingt mir im Ohr die schreckliche Mahnung: der Erste ist aufgewacht aus seiner Sünde. Der Zweite – wann wird er aufwachen aus seiner Tugend !

Aufwachen aus der Tugend. Immer korrekt. Immer richtig. Immer fleißig. Nie es wagen ein Gebot zu übertreten.

Und dann miterleben wie da so ein Hergelaufener daherkommt und einfach nur sagt Hier bin ich ! und mir nichts dir nichts Sympathien auf sich zieht.

Da kommt Neid auf. Damals wie heute.

Da wird die teure Unterbringung von Strafgefangenen angeprangert. Da werden die Kosten für Resozialisierungsprogramme für verwahrloste Jugendliche aufgelistet. Alles steht auf den Prüfstand: Die Sozialhilfe für die, die doch arbeiten könnten. Die Kosten für die Unterbringung von Menschen, die bei uns Schutz suchen.

Wieso die und nicht ich. Ich bin immer benachteiligt. Unfair ist das.

Aufwachen aus der Tugend. Sich freimachen von der irrigen Meinung nur man selber habe Liebe und Zuneigung verdient. Die Anderen aber nicht. 

Am Karfreitag feiern wir die Konsequenz der Worte Jesu.

Wer so eine Geschichte erzählt muss beseitigt werden. Eine solch schrankenlose Liebe. Die darf nicht sein.

Wieviel Bosheit legt das Gleichnis frei im Herzen derer, die meinen mit Gott auf du und du zu stehen und nur den Herr – Gott kennen, aber den Gott Jesu nicht, das Gesetz auswendig wissen, Erbarmen aber nicht kennen.

Ein Vater hatte zwei Söhne. Auch wenn wir die Geschichte kennen. Ihre Konsequenz hat es in sich. Ein weites Herz und das Vertrauen in einen Gott, der nur lieben kann. Jeden. Bedingungslos.

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