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SWR1 Begegnungen

Andreas Rieck ist Referent für „vinzentinische Spiritualität“ am Marienhospital Stuttgart. Das Marienhospital wurde 1890 von Vinzentinerinnen, einer katholischen Ordensgemeinschaft, gegründet. Heute versorgen dort knapp 2000 Mitarbeiter jedes Jahr über 100.000 Patienten. In diesem riesigen Klinikbetrieb gibt es genau eine Person, die sich um all das kümmern soll, was sich bei den Mitarbeitern angestaut hat; also 2000 Mal Stress, Frust, Ärger, Freude und Leid. Da scheint mir das Wort „Herkulesaufgabe“ mehr als angebracht und deshalb will ich wissen, welche Spezialausbildung diese eine Person, Andreas Rieck, hat, um sich dieser Aufgabe täglich zu stellen:

„Was hilft, in meinem Fall, ist eben ein Theologiestudium, weil damit wird mir unterstellt, eine spirituelle Kompetenz zu haben. Was aber aus meiner Sicht auch noch dazu beiträgt, ist, ein psychologisches Know-How zu haben. Also ich hab ja eine Coaching-Ausbildung gemacht, zusätzlich zum Theologiestudium, so dass diese – ich sag mal – theologische, spirituelle Ebene aber auch nochmal so eine menschliche Ebene verknüpft.“

Das Theologische, mit psychologischem Know-How, vor allem mit dem Menschlichen zu verbinden – das also macht ein sogenannter „Referent für vinzentinische Spiritualität“; so lautet jedenfalls die offizielle Bezeichnung der Stelle, die Andreas Rieck im Marienhospital seit 2014 mit Leben füllt.

„Die Stelle gabs vor mir nicht und als ich begonnen hab, dann wurde ich so durchs Haus geführt von meinem Chef und der hat gesagt: ‚Das ist unser neuer Referent für vinzentinische Spiritualität!‘, und alle haben große Augen gekriegt, gell, und – Boah! – da hab ich schon gemerkt, dass da eine gewisse Distanz auch da ist. Die Erfahrung, die ich aber in den ersten Monaten gemacht habe, war schon die, dass ich dann in meinem Büro saß und dass die Nachfrage nach mir jetzt nicht sonderlich groß war, weil ‚s’Gschäft goht vor!‘ – also: Wo ist Raum für Spiritualität, außer vielleicht in der Kapelle? Und das hat mich schon auch genötigt, mir Gedanken zu machen: Was mache ich, um mir Relevanz auch zu schaffen, sodass die Leute merken, es bringt was.“

Und wie bekommt man das hin? Etwas so zu sagen, dass der Andere spürt: Es wirkt?

„Der Einstieg ist immer eine Geschichte, weil ich merke, so Weisheitsgeschichten oder so kurze Geschichten sind Herzensöffner. Beispielsweise gibts da diese Geschichte von den zwei Mönchen, die unterwegs sind, schweigend des Weges gehen, und dann kommen sie irgendwann an einen Fluss und an diesem Fluss steht eine Frau, die gern auf die andere Seite des Ufers möchte. Und es gibt keine Brücke, mehr so eine Furt. Und die Frau, schön gekleidet, bittet die Mönche, ihr zu helfen, auf die andere Seite des Flusses zu gelangen. Der Ältere nimmt sie kurzerhand Huckepack, trägt sie durchs Wasser, sie verabschieden sich von der Frau und gehen dann schweigend weiter. Und irgendwann nach längerer Zeit bricht es so aus diesem jüngeren Mönch heraus und er sagt: ‚Mensch, du hättest das vorher nicht tun dürfen! Du hättest diese Frau nicht durchs Wasser tragen dürfen, weil du weißt, dass uns näherer Kontakt zu Frauen verboten ist.‘ ‚Soso!‘, sagt der Ältere und überlegt und sagt: ‚Weißt du, der Unterschied zwischen dir und mir ist der: Ich hab die Frau zurückgelassen am Ufer und du, du trägst sie immer noch mit dir herum in deinen Gedanken.‘“

Zu lernen, wie man unnötige Lasten nicht mehr nachträgt, ist ein Teil des Resilienz-Konzeptes, das Andreas Rieck entwickelt hat, um die Widerstandskraft der Klinik-Mitarbeiter zu stärken. Und nach der Musik erzählt er uns mehr davon.

Musik

Mit seinen Resilienz-Trainings für die Klinik-Mitarbeiter im Marienhospital hat Andreas Rieck voll ins Schwarze getroffen, denn:

„Das Thema Resilienz trifft im Moment einen Nerv, aber doppeldeutig: Auf der einen Seite ist es so, dass diese Stärkung der psychischen Widerstandskraft, was sich ja hinter dem Begriff Resilienz verbirgt, einerseits gerade eine Wissenschaftlichkeit hat, ja auch sehr stark in den Medien rezipiert wird.
Gleichzeitig ist es aber so, dass dieser Begriff Resilienz auch eine Schattenseite hat, weil – Stichwort Pflegenotstand – man muss die Leute resilient machen, um mit den Missständen umgehen zu können. Also das heißt: Jetzt brauch ich Resilienz, weil die Umstande so negativ sind.“

Dennoch will Andreas Rieck kein netter Rede-Onkel, sondern eine handfeste Unterstützung sein:

„Ein gängiger Ansatzpunkt ist der, zu gucken, was stört oder was fordert mich im Moment heraus und dann zu schauen, wo bin ich mit meiner Aufmerksamkeit? Bin ich gerade in meinem Spielraum oder bin ich gerade in einem Bereich, wo ich keinen Einfluss habe, weil ich mich über jemanden aufrege oder übers Leben und in dem Moment also nicht bei mir bin. Und dann die Frage: Wie komme ich in meinen Spielraum zurück? Und das geht eben über diese drei Fragen, nämlich
1) Was kann ich ändern?
Kann ich was ändern? Dann wird’s leichter. Kann ich nichts ändern? Dann die Frage:
2) Kann ich es annehmen, so wie es ist?
Kann ich diesen inneren Widerstand aufgeben? Kann ich ihn aufgeben, dann wirds mir leichter. Wenn nicht, dann bleib ich im Leiden und dann ist die dritte Option, zu gucken:
3) Wie kann ich mich von dieser Situation distanzieren?
Selbstverantwortlich, selbstbestimmt zu gucken, dass ich da einen Abstand gewinn, um wieder mich zu sammeln und in meine Kraft zu kommen. Und wenn das gelingt, dann spüre ich, dass ich einen Spielraum habe. Und diesen Spielraum – das ist meine Überzeugung, dass wir immer, in jeder Situation einen Spielraum haben und in diesen Spielraum hineinzuführen und ein Bewusstsein dafür, für diesen Spielraum, zu schaffen, dass der da ist, das merk ich, das führt dazu, dass bei den Mitarbeitern so auch eine Zuversicht wächst oder so eine Gelassenheit gegenüber bestimmten Situationen, und das tut gut.

Ist überhaupt genug Zeit da, um das im übervollen Klinikalltag einzuüben?

„Auch hier ist es so, dass die Seminardauer früher bei ein bis zwei Tagen lag, und heute sind wir angekommen bei beispielsweise drei Mal einer Stunde über zwei, drei Wochen verteilt.“

Ganz schön knapp. Aber: Mich fasziniert und fesselt dieser Ansatz, gerade angesichts der knappen Zeit, weil ich merke, dass es nicht zuletzt bei mir selbst noch richtig viel zu tun gibt.

Schafft Andreas Rieck es denn selbst, seinen Ansatz immer umzusetzen?

„Nee - so ischs Leben! Natürlich nicht, aber ich merke: Immer mehr!“

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SWR1 Begegnungen

Ein Flughafen steht für mich fürs Verreisen: Ganz egal, ob in den Urlaub oder auf Dienstreise. Für Marjon Sprengel steht der Flughafen allerdings… 

„Für was Geistiges – man geht in die Luft.“ 

Marjon Sprengel arbeitet für die Kirchlichen Dienste Flughafen Messe und Ihr Büro liegt hinter einer unscheinbaren Glastür im Terminal 3 des Stuttgarter Flughafens. Sie vertritt im Auftrag der katholischen Kirche – zusammen mit ihrem evangelischen Kollegen – die beiden christlichen Kirchen auf dem Flughafen und der Messe Stuttgart. Dabei leistet sie eine wichtige Arbeit: Marjon Sprengels Aufgabe ist es, für das einzustehen, was am Flughafen kaum Platz zu haben scheint: Das Langsame, das Stille und das Menschliche.

Das, was sie in ihrem Dienst tut, nennt Marjon Sprengel „Flughafen-Seelsorge“ und beschreibt es so: 

„Flughafen-Seelsorge: Ah, die sind da, wenn irgendwas passiert. Das ist ein Teil unseres Auftrags und es passiert natürlich auch immer wieder etwas.“ 

Und das verlangt allen, die unmittelbar davon betroffen sind, auch Marjon Sprengel selbst, einiges ab. Sie ist froh, dass der Flughafen in Stuttgart bislang von einer großen Katastrophe verschont geblieben ist. Allerdings erinnert sie sich noch gut an einen ihrer intensivsten Krisen-Momente. Es war… 

„Eine Katastrophe, die nicht hier passiert ist, aber die Stuttgart auch sehr betroffen hat, war diese Germanwings-Maschine, die von dem Co-Piloten gegen den Berg geflogen wurde, weil hier eine große Niederlassung war und ist – jetzt ja Eurowings – natürlich hat man sofort sich um Angehörige kümmern müssen und das war auch alles wichtig und gut, nur die Kollegen und Kolleginnen, die sind so ein bisschen im luftleeren Raum gehangen, die kennen sich untereinander ja großteils; viele hier in Stuttgart haben den Kollegen gekannt, sind mit dem auch schon geflogen und haben natürlich auch, wenn du das mitkriegst: Einer deiner Kollegen fliegt eine Maschine, voll besetzt, gegen einen Berg – und du musst am gleichen Tag und am Tag darauf deinen Job trotzdem weitermachen – das finde ich, ist eine ziemliche Belastung und die kamen auf uns zu mit der Bitte, für sie irgendeine Andacht – oder so, wie sie es genannt haben – mit ihnen das zu feiern und dann haben wir das zugesagt und haben einfach eine Form für diese Situation und genau für diese Gruppe uns überlegt: Was brauchen die jetzt? Was ist wichtig anzusprechen? Was braucht und will einen Raum? Welche Gestaltung wählen wir, dass sie das auch in einem Symbol vielleicht ausdrücken können? Das kannst du ja auch nicht unbedingt verbalisieren. Und wir haben dann so eine Feier mit fast 100 Menschen – aber wirklich nur Kabinenpersonal, Piloten, Pilotinnen – gefeiert.“ 

Diese Augenblicke zählen ohne Zweifel zu den intensivsten Momenten in der Flughafen-Seelsorge, denn: 

„Es ist für mich die schwerste Übung, auszuhalten, dass jemand am Ende ist – egal aus welchem Grund; ob jetzt körperlich, seelisch, psychisch oder mit einer Beziehung oder mit dem Lebensmut – das auszuhalten und die eigene Hilflosigkeit und Ohnmacht nebendran auszuhalten und zu akzeptieren – und das ist für mich auch eine Form von Liebe und Nächstenliebe.“ 

Ich habe den Eindruck, dass es gerade die Krisen sind, die Marjon Sprengel und ihre Arbeit prägen. Dieser Eindruck ist aber genauso richtig wie trügerisch: Eigentlich sind es die vermeintlichen Kleinigkeiten, die den Flughafen zu einem magischen Ort machen und von denen Marjon Sprengel im zweiten Teil dieser Begegnung, nach der der Musik, erzählen wird.

Teil II: 

Nach dem Germanwings-Unglück 2015 waren es keine großen Worte, die Marjon Sprengel gesagt hat, um dem Schmerz und der Fassungslosigkeit entgegenzutreten. Sie hat Blumen sprechen lassen. Und die Kolleginnen und Kollegen konnten auf diese Weise in der Andacht selbst entscheiden, wofür diese Blume stehen soll. Je länger man mit Marjon Sprengel spricht, desto klarer spürt man Ihre Haltung hinter diesen Taten: 

„Da hab ich begriffen, was in den Evangelien, in diesen Heilungsgeschichten oft steht, wenn Jesus fragt: ‚Was willst du – was willst du, dass ich dir tun soll?‘“

 Für Marjon Sprengel geht es nicht darum zu wissen, was andere brauchen. Im Gegenteil: Sie braucht vielmehr Andere, die aussprechen können, was ihnen getan werden soll. Deshalb ist es auch wichtig, dass Marjon Sprengel, eine ruhige, eher zierliche und ungemein freundliche Frau ist, denn mit ihrer Ruhe und Freundlichkeit spürt sie, was den Mitarbeitenden während der Arbeit gut tut:

 „Gut tut, völlig unbefangen auf sie zugehen, wirklich kurz Zeit haben und vor allem mich ernsthaft interessieren, also ich meine es dann so und wenn ich einen Tag hab, wo es mir selber nicht gut geht oder wo ich merk: ‚Oh, heut kann ich nicht.‘, dann geh ich auch nicht raus und frag niemand ‚Wie geht’s?‘, wenn ich es nicht wissen will. Solche Tage gibts ja auch.“ 

So pflanzt Marjon Sprengel überall auf dem Flughafen unsichtbare Blumen. Und diese Blumen beginnen immer dann zu blühen, wenn durch eine kurze Begegnung Mitarbeitende erleben, dass sie nicht als Angestellte, sondern als Menschen gesehen werden.

Ich will wissen, wie der Flughafen sie selbst verändert hat: 

„Nicht ich bring irgendwas vom Göttlichen, Unverfügbaren, von dem Anderen, hier her, aber hier begegnets mir im ganz normalen, unscheinbaren Alltag, im Unspektakulären. Und das ist das, wo ich denke: Ja, ist doch wunderbar! Das hab ich nicht im Kloster gelernt oder bei den Theologen, sondern das lehrt michs Leben und die Menschen.“ 

Der Flughafen, die Menschen und das Leben – sie sind Marjon Sprengels wichtigste Lehrer geworden.

 

 

 

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SWR1 Begegnungen

Andreas Kirchartz und ich kennen uns aus dem Studium. Er ist Priester geworden. Ich werde bald meine eigene Familie gründen. Das heißt, auf ihn warten an Heiligabend kein Weihnachtsbaum,
kein Kartoffelsalat und keine Bescherung im Kreis der Familie.
Was Advent und Weihnachten ohne die liebgewonnen Traditionen aus Kindertagen bedeuten, hat Andreas Kirchartz zum ersten
Mal in Rom erlebt. Dort hat er während seiner Ausbildung ein Jahr lang gelebt und auch Weihnachten dort verbracht:

„Und es war traurig. Es war traurig, definitiv, ja.“

Nicht, dass er es in Rom nicht genossen und viele Menschen um sich herum gehabt hatte,

„…aber an Weihnachten, da bin ich klassisch bürgerlich, da fehlt mir dann die Familie, wenn die nicht da ist. Mir hat aber schon auch ein bisschen die Kälte gefehlt, also… so diese ganzen Erinnerungen, alles, was ich mit Weihnachten verbinde – klar, Schnee haben wir hier auch nicht immer – aber es hat einfach die Sonne geschienen und es waren so 10/15 Grad in Rom; damit konnt ich nicht so ganz, ja. Aber es war eine gute Erfahrung, weil nur dadurch ist mir wieder bewusst geworden, wie schön es einfach auch mit der Familie ist.“

Und so geht es mir ja auch – tausend funkelnde Kindheitserinnerungen sausen mir durch den Kopf und bis heute rüttle ich nicht an meinen liebgewonnen Ritualen. Bei Andreas Kirchartz gibt nun allerdings der Gottesdienstplan den Ton an, und wenn er nicht gerade seine Ministranten bei einem Konzert auf dem Weihnachtsmarkt begleitet, dann sind Gottesdienste in aller Herrgottsfrühe und Abendandachten im Advent sein täglich Brot. Aber: Gerade die sogenannten Rorate-Gottesdienste, früh am Morgen im Kerzenschein, genießt er:

„Natürlich kommen die Rorate-Messen – und das ist auch mit etwas vom Schönsten, weil da wiederum dieses Emotionale spürbar wird. Ich hab auf jeden Fall das Rorate-Erlebnis, dass ich keinerlei Einführung gemacht hab in den Gottesdienst und das war ein unheimlich schönes Gefühl, es einmal nicht zu verklären, um was es geht, sondern einfach nur zu feiern; das Geschwätz einfach mal sein zu lassen.“

Vielleicht genießt er es, weil Stille kostbar ist und man sich mitten im Lärm des Alltags gut um stille Momente kümmern muss:

„Stille kommt nicht von alleine. Stille muss gesucht werden. Und braucht nicht nur Orte, sondern braucht auch Zeiten. Und diese Zeiten muss man ganz nüchtern suchen und die verlangen einem was ab.“

Teil II

„Stille braucht nicht nur Orte, sondern auch Zeiten“, sagt Andreas Kirchartz, der mit Anfang 30 nach Tübingen zurückgekehrt und aktuell in der Priesterausbildung tätig ist. Ich will wissen, was seine Zeiten und seine Orte sind, denn schließlich will auch der nobelste Ansatz seinen Platz im Alltag haben:

Na ja, ich sag immer: Morgens will noch keiner was von mir. Ich kann mir das nehmen und ich glaub auch an der Stelle tatsächlich, weil ich ja auch keine Familie hab; weil an der Stelle auch kein Kind schreit, weil an der Stelle auch kein Partner was von mir noch möchte, hab ich natürlich da auch ein riesen Privileg.“

Aber Privileg hin, familiäre Verpflichtungen her: Gerade im Advent und spätestens an Weihnachten spürt Andreas Kirchartz mehr als deutlich:

„… dass man Freude an Weihnachten haben kann und trotzdem einen inneren Schmerz hat, dass das nicht die eigene Familie ist.“

Freude und gleichzeitig Schmerz – ich glaube es ist diese Mischung, die Andreas Kirchartz für die Menschen feinfühlig werden lässt, die im Advent und an Weihnachten keine heile Welt haben.

„Wo natürlich Gedanken aufkommen, ist ganz, ganz klar, wenn es um Familien geht, wo man merkt, es geht auf Weihnachten zu und dann kommt alles auf den Tisch von… was man eben für Probleme miteinander hat: Dass man gar nicht gemeinsam Weihnachten feiern kann, dass man um Kinder, Ministranten oder andere weiß, die an Weihnachten switchen müssen zwischen Vater und Mutter oder zwischen einer Patchwork-Familie und der anderen und dass dann natürlich auch bei manchen der Blick auf Weihnachten ein sehr trauriger ist.“

Andreas Kirchartz hört es, wenn aus den scheinbar harmlosen Aussagen der Jugendlichen, mit denen er in der Gemeinde gearbeitet hat, das persönliche Elend durchbricht:

„Und es ist natürlich schon so, wenn ich dann mit den KJGlern teilweise gesprochen hab, wenn die dann so meinen: ‚Ähm, ja, können wir uns nicht gemeinsam treffen an Weihnachten? Dann kann ich meiner Familie entkommen.‘“

Ist manchmal Weihnachten so gesehen für manche vielleicht sogar die Hölle?

„Es ist natürlich ein sehr harter Begriff. Ich kann natürlich nur die Reaktionen dieser Leute wahrnehmen und da schon feststellen, das ist für manche schon jetzt einfach mit Negativgefühlen verbunden. Und dass das für den ein oder anderen empfunden wird wie die Hölle, ist durchaus möglich.“

Seine Eltern wird Andreas Kirchartz dieses Jahr an Weihnachten sogar besuchen können. Aber selbst wenn ihn Gottesdienste einmal nicht binden: Sein Elternhaus wird nicht ewig da sein. Wie also schaut Andreas Kirchartz auf die vielen Advents- und Weihnachtszeiten, die vor ihm liegen und sich möglicherweise einsamer anfühlen:

„Eigentlich gilt’s drum, im Hier und Jetzt sukzessive zu schauen, wie gestalt ich denn mein Leben und mit wem gestalte ich es denn auch. Es bringt ja nix, mir zu überlegen, mit wem ich in 20 Jahren Weihnachten feier – den kenn ich ja vielleicht noch gar nicht, mit wem ich da in 20 Jahren Weihnachten feier, gell? Und dementsprechend – ich glaub, wenn ich so weitermach, werd ich auch älter, ja, aber vielleicht nicht kauzig.“

Das klingt als Ansatz erfrischend einfach – fast ein wenig verrückt, aber:

„So ein bisschen verrückt zu sein so als Priester ist nicht die allerschlechteste Eigenschaft.“

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SWR1 Begegnungen

„Also was ich definitiv nie werden wollte, war Bestatterin.“,ist einer der ersten Sätze in unserem Gespräch. Und dieser Satz wäre nachvollziehbar, wäre die diplomierte Theologin Barbara Rolf nicht die Gründerin eines Bestattungsinstitutes; eines der ersten alternativen Bestattungsinstitute in Stuttgart.

Als Kind sah es bei Ihr in Sachen Berufswunsch allerdings noch ganz anders aus:

„Ich wollte Tierärztin werden. Dann wollt ich Tierfilmerin werden, Polizistin und Pfarrerin.“

Und zwar genau in dieser Reihenfolge. Was aber hat bei ihr dazu geführt, dass sie schließlich Bestatterin geworden ist?

 „Mein Bruder wollte Bestatter werden. Schon als 6-, 7-, 8-Jähriger hat er das formuliert. Ich fand das total abartig, hab aber seinen Wunsch durchaus ernst genommen und als ich mich beruflich orientiert hab, beim Berufsinformationszentrum, hab ich ihn mitgenommen, obwohl er noch viel zu jung war dafür. Und dann hat er so ganz süß gefragt am Tresen: ‚Gibt’s was über Bestatter?‘ Und die Frau ist so erschrocken und hat gesagt: ‚Nein, natürlich nicht! Wer kommt denn auf die Idee? Aber das war für mich sogar explizit ein Beruf, den ich für mich selber ausgeschlossen hab. Und dann hat sich just mein Bruder, als ich schon im Theologie-Studium war, das Leben genommen.

Barbara Rolfs Stimme bleibt klar, freundlich und frei von Scham, während sie vom Suizid ihres Bruders erzählt. Es scheint, als hätten gerade die Ereignisse um den Tod und das Begräbnis ihres Bruders herum, etwas in ihr wach gerüttelt:

„Wo war er zum Beispiel? Also zwischen seinem Tod und seinem Begräbnis lag etwa eine Woche und ich weiß bis heute nicht wirklich, wo sein Leichnam war in dieser Zeit. Wo war der? War der beim Bestatter im Kühlhaus? War der noch im Krankenhaus war der in der Gerichtsmedizin? Keine Ahnung! Und dann auch irgendwann die Frage: Wer hat den angefasst? Warum nicht wir?“

Ich würde gerne wissen, was sie rückblickend anders machen würde, wenn sie die Chance hätte, die Beerdigung ihres Bruders noch einmal zu gestalten:

„Also mein Bruder, der war so ein Zentrum für seine Clique, weil bei uns zu Hause durfte man trinken, bei uns zu Hause durfte man rauchen, bei uns zu Hause durfte man laute Musik hören und deswegen war so sein Zimmer eigentlich Meeting Point für seine Freunde. Die waren wahnsinnig oft da. Für mich, gefühlt, jeden Abend, aber ich glaub, so oft wars nicht. Aber das war einfach so. Und für die war dieser Todesfall, der wirklich – für uns, für ihn, für alle – aus heiterem Himmel kam, entsetzlich, natürlich. Und heute würd ich denen gerne die Möglichkeit gegeben haben, ihn zu Hause aufzubahren. Nochmal in dem Zimmer, nochmal mit Bier, nochmal mit Saufen, nochmal mit Rauchen, mit ihrer Musik […].“

Es ist wie so oft: Die richtige Frage zur richtigen Zeit – in diesem Fall vom Bestatter – hätte den Unterschied ausgemacht.

 „Aber wir wurden nicht gefragt: ‚Solls noch eine häusliche Aufbahrung geben?‘, oder so. All diese Fragen sind nie gestellt worden. Und ich glaub, seine Kumpels hätten das wahrgenommen.“

Und genau das ist es, was Barbara Rolf in ihrer Arbeit anders machen möchte. Sie will diese Fragen stellen.

Teil II:

Der Suizid ihres Bruders ist einer der Auslöser für Barbara Rolf, nach dem Theologie-Studium als Bestatterin zu arbeiten. Sie gründet ihr eigenes Bestattungsinstitut, mit dem sie ganz bewusst andere Wege beschreiten möchte. Dass es auch anders geht, erlebt Barbara Rolf zum ersten Mal bei einem alternativen Bestatter in Freiburg, bei dem sie ein Praktikum macht:

„Ich komme in dieses Institut, ich sehe die Räume, bin da eine halbe Stunde und wusste, das mache ich beruflich später.“

Es klingt fast so wie Liebe auf den ersten Blick, wären da nicht die Toten:

„Ich wusste nur noch nicht, ob ichs aushalte, weil bei den ersten Begegnungen mit Verstorbenen bin ich abgehauen. Unser erster Verstorbener war just auch noch ein Punker, ganz jung, überall gepierct und tätowiert [...]. Und vor allem mit ihm als Leiche war ich total überfordert und bin abgehauen. Aber dann über die Tage – er war dann sehr lang bei uns aufgebahrt – war eine große Annäherung. Den werd ich nie vergessen!“

Mittlerweile ist für Barbara Rolf vieles schlicht und ergreifend normal, denn der Tod:

„Das ist ja der ganz natürliche Zustand. Also auch, wenn jemand z.B. schon verwest ist oder versehrt ist durch einen Unfall oder so, dann kann ich inzwischen sehr gut damit umgehen, indem ich mir sag: Das ist ja die logische Situation bei diesen Todesumständen.“

Eine Sache geht ihr allerdings bis heute nahe:

„Also wenn jemand leidend aussieht oder wenn jemand verunfallt ist und entsetzt aussieht – das geht mir durch und durch. Also wenn man auch einem Menschen so ansieht – was aber, Gott sei Dank, sehr selten ist – dass er nicht bereit war zu sterben; das strahlen die aus, das sieht man ihnen an. Das find ich sehr schwierig. Aber das Gute ist, dass das unheimlich selten vorkommt.“

Was allerdings immer vorkommt, ist der Tod selbst. Ein Wort, das ihr recht leicht über die Lippen geht. Aber was genau ist er eigentlich: der Tod?

„Tot ist für mich schwierig zu greifen. Also, es gibt für mich den Tod, natürlich, aber ich weiß nicht, obs für mich wirklich Tote gibt. Weil für mich ist der Tod an sich nur eine Veränderung des Lebens.“

Bei ihrer Großmutter hat Barbara Rolf erlebt, wie sich ganz konkret diese „Veränderung des Lebens“ vollziehen kann. Es war, so beschreibt sie es, als wäre die Essenz Ihrer Großmutter, als wäre quasi ihre Seele auf und davon galoppiert:

„Und die hat ihren Körper wie so einen abgelegten Mantel einfach uns vor die Füße geworfen und fort war sie; also unglaublich!“

Gerade weil der Tod so endgültig ist, erlebt es Barbara Rolf ganz oft, dass die Familien ihren Verstorbenen etwas in den Sarg legen möchten:

„Da könnt ich schon ein Buch schreiben, was die Leute in den Sarg mit reingeben! Eine Dame wurde 103 und wurde noch interviewt, wie man so alt wird und dann hat sie gesagt. ‚Nicht so viel ärgern, viel lachen und jeden Tag einen Piccolo trinken.‘ Und die Angehörigen haben ihr zum Beispiel einen Piccolo mitgegeben.“

Es blitzt verschmitzt in den Augen von Barbara Rolf auf und ich denke mir im Stillen: Vielleicht ist der Tod auch nur ein armer Geselle, der sich freut, wenn er mal auf einen Menschen trifft, der ihn mit einem herzlichen Lachen und guter Laune begrüßt. Und an der Schwelle zum Jenseits einen Piccolo dabeihat.

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