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SWR2 Wort zum Tag

Was macht einen Deutschen aus? Man kann diese Frage mit dem Verstand beantworten und emotional. Ein Video im Internet spiegelt mir das deutlich wieder:

„Was denken Sie, wenn sie mich sehen?“ hat Bilal Passanten in Freiburg gefragt. „Sie kommen nicht aus Deutschland! Sie sind ein Türke! Nein, Sie kommen aus Arabien, oder?“ Bei den meisten Antworten musste er breit grinsen. Türke? Araber? Nein, ist er nicht.

Bilal ist Deutscher. Seine Eltern sind aus Palästina nach Deutschland gekommen. Er ist hier geboren und hat nur einen Pass ­– den deutschen. Er war auf einer deutschen Schule, hat bei uns studiert. Nur sieht er eben nicht aus wie die Mehrheit der Deutschen. Seine Haut ist dunkler und seine Augen sind schwärzer.

Bilal hat in seinem Video Interviews gemacht, weil er seit letztem Jahr spürt, dass viele Leute ihn komisch anschauen. Seit der Flüchtlingskrise. Unsere Gesellschaft hat sich verändert, meint er. Und wollte es genauer wissen.

„Was würden Sie tun, wenn Sie mich auf der Straße treffen würden – alleine?“, hat er Frauen auf der Straße gefragt.

Manche sagten: „Ganz ehrlich, Ich hätte Angst! Ich würde wahrscheinlich die Straßenseite wechseln. Man hört jetzt ja so viel. Von Köln…“

Und aus meinem Bauch steigen manchmal auch Gedanken auf wie: Dunkelhäutige Menschen könnten Muslime sein. Und Muslime könnten auch Terroristen sein. Oder Frauen angrapschen wie an Silvester in Köln. Und immer wenn ich so etwas denke, merke ich, dass ich mich unwillkürlich anders verhalte. Obwohl ich das nicht will. Was tun?

Vielleicht hilft es, die Emotionen mit dem Verstand einzuhegen. Den dunklen Gefühlen steht die klare, vernünftige Aussage unseres Grundgesetzes gegenüber: „Deutscher ist, wer die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt“. Unser Grundgesetz redet ganz bewusst nicht vom deutschen Volk, oder gar von der deutschen Rasse.

Deutsch ist, wer einen deutschen Pass hat. Punkt. Mit allen Rechten und Pflichten. Wo jemand herkommt, entscheidet nicht darüber, ob er dazu gehören darf oder nicht. Als Deutscher darf man blonde, braune und schwarze Haare haben und alle anderen Farben auch. Und auch bei der Farbe der Augen und der Haut herrscht bei uns die Vielfalt. Und das ist auch gut so. Ich würde mir wünschen, dass wir die Theorie unseres Grundgesetzes mit Leben füllen. Dass die Unabhängigkeit unserer Staatsangehörigkeit von unserer Herkunft nicht nur unseren Verstand, sondern auch unser Herz erreicht. Dass es ganz selbstverständlich wird, dass Bilal Deutscher ist. Sein Video hat mir dabei geholfen.

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SWR2 Wort zum Tag

Da hat man den Kopf voll mit Theorie. Und dann macht eine praktische Erfahrung alles anders und neu. Ich habe das erlebt in der „Seelsorge.“ Ein Seelsorger ist ein helfender Hirte, hatte ich im Kopf und mit diesem Bild kam ich in ein Altenheim:

Da stehe ich also! Vor mir die Tür, und hinter der Tür ein alter Mensch. Was erwartet mich da hinter der Tür? Werde ich die richtigen Worte finden? Kann ich das überhaupt? Was, wenn mir nichts einfällt, was ich sagen kann? Was, wenn mir die Situation entgleitet?

Ich klopfe an und drücke die Türklinke herunter. Im Sessel sitzt eine alte Frau. Nett sieht sie aus. Sie hat viele Lachfalten.

95 Jahre ist die Frau alt. Sie erzählt von ihrer Jugend in den dreißiger Jahren. Irgendwo tief im Osten. Von ihrem Mann, der im Krieg ein Bein verloren hat. Sie erzählt von ihrer Freude, als sie ihn wieder in die Arme schließen konnte, als der Krieg vorbei war. Davon, wie das war, als sich ihre Gebete erfüllten.

Beim Reden wird die Frau immer lebendiger und ich merke, wie sie mir meine Anspannung nimmt. Sie gestikuliert mit den Händen. Ach ja, ihre Flucht in den Westen! Als sie angekommen ist, hat sie sich sehr fremd gefühlt. Und das im eigenen Land! Aber sie hat mit ihrem Mann eine Firma aufgebaut, eine Familie gegründet und viel auf die Beine gestellt.

Irgendwann atmet sie tief ein, schließt die Augen und atmet erleichtert wieder aus. Als sie ihre Augen wieder öffnet, strahlt sie mich an.

„Mein Leben war so schön!“ Sagt sie. „Aber jetzt bin ich müde und lebenssatt. Und schlafe tagsüber schon ganz lange. Und ich stelle mir vor, wie das ist, wenn ich nicht mehr aufwache. Ich habe keine Angst vor dem Tod. Weil ich glaube, da wartet jemand auf mich. Um mich in die Arme zu schließen.“

Dabei sieht die Frau sehr glücklich aus. Und plötzlich verändert sich was zwischen uns.

Bis hierher habe ich versucht, für die Frau da zu sein, ihr aufmerksam zuzuhören, Seelsorger für sie zu sein, der sie versteht und versucht, alle ihre Fragen zu beantworten.

Jetzt plötzlich ist es andersrum. Jetzt bin ich mitten dabei. In einem echten, gleichberechtigten Gespräch. Sterben ist gar nicht so schlimm, sagt sie. Warum? Gebannt lausche ich ihren Worten. Weil sie sich in ihrem ganzen Leben von Gott getragen gefühlt hat. Weil sie darauf hofft, dass dieser Gott auch für sie da ist, wenn sie stirbt. Ihre Augen glänzen, während sie das erzählt. Nach vier Stunden verlasse ich ihr Zimmer im Altenheim – reich beschenkt und tief beeindruckt von der Zuversicht der alten Dame. Sterben ist nicht so schlimm!

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SWR2 Wort zum Tag

Ohne Vertrauen wäre unsere Gesellschaft eine andere als die, die sie ist. Das wurde mir neulich klar in einer Geschichte, die mir ein Kollege erzählt hat:
„Ja, bei uns muss man bezahlen, bevor man tankt! Bei Euch nicht?“

Irina sagt das zu meinem Kollegen Martin. Martin ist zum ersten Mal bei seiner russischen Freundin Irina zu Besuch. Irgendwo zwischen Moskau und St. Petersburg. Kennengelernt haben die beiden sich im letzten Jahr.

In Russland bezahlt man erst und dann kann man tanken. Also begleitet Irina Martin in die Tankstelle und Martin bezahlt umgerechnet seine 40 Euro. Danach darf er tanken. So richtig voll wird der Tank davon nicht. Aber Martin hat keine Lust, nochmal in das Häuschen zu gehen. Das ist ihm zu nervig. Er versteht diese ungewohnte Praxis überhaupt nicht und wundert sich sehr darüber.

„Warum müsst ihr denn bezahlen, bevor ihr tankt?“, fragt Martin, als sie wieder unterwegs sind. Irina runzelt ihre Stirn. Dann lacht sie. „Na, dreimal darfst Du raten!“, sagt Irina. „Weil sonst alle nach dem Tanken schneller fort wären, als Du gucken kannst! Natürlich ohne bezahlt zu haben!“ Zunächst herrscht Stille im Auto. Dann wird Irina ganz aufgeregt: Darf man bei Euch wirklich tanken, ohne bezahlt zu haben? Das ist ja geradezu eine Einladung, nicht zu bezahlen! Das würde bei uns nicht funktionieren!“ Martin wird nachdenklich:

Ja, warum mache ich das eigentlich so? Erst tanken und dann zahlen?

Ja, warum machen wir das eigentlich so? Das habe ich mich auch gefragt, als ich diese Geschichte gehört habe. Na – weil man das einfach nicht tut, weil das unanständig ist. Losfahren, ohne zu bezahlen. Klauen. Das geht doch nicht, das wäre schäbig.

Wir vertrauen einander! Unser Umgang miteinander basiert auf dem Glauben an das Gute im Menschen. Noch. Durch seine russische Freundin ist Martin und mir das wieder klargeworden. Seine Wurzeln hat das wohl auch im christlichen Glauben. Da geht es auch um Vertrauen. Und dass sich das Vertrauen auf andere Menschen lohnt. Weil wir alle Geschöpfe Gottes sind. Und der meint es gut mit uns Menschen.

Und ehrlich gesagt, bin ich auf dieses Alltags-Vertrauen auch ein bisschen stolz. Und hoffe, dass wir das hier zu schätzen wissen. Und uns deswegen nicht für naiv halten, sondern es ganz bewusst pflegen und uns dran freuen. An unserem Vertrauen. Dass wir der Ehrlichkeit von anderen – oft jedenfalls – vertrauen können.

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SWR3 Gedanken

Zwei nackte Brüste als Graffiti und jede Menge Gekrakel. Das haben junge Leute und Dealer auf eine Kirchenwand gesprayt. Bis es der Gemeinde irgendwann zu viel war. Wir müssen was tun, hat der Pfarrer der Kreuzkirche in Graz gesagt. Aber was?

Die Kreuzkirche steht im Volksgarten von Graz. Dort trifft sich abends die Jugend der Stadt. Trinkt ein Bier und raucht. Sie kaufen dort den Dealern ihre Drogen ab und sprayen dann nackte Brüste und jede Menge Gekrakel an die Kirchenwand.

Da war es der Gemeinde zu viel. Wie kann man sich gegen diese Graffitis schützen? Indem man selber Graffitis auf die Wand malt. Denn die Graffitis anderer Künstler zu übermalen geht nicht. Das ist gegen den Graffiti-Sprayer-Ehren-Codex.

Und so hat die Gemeinde Robin engagiert. Robin ist professioneller Graffiti-Maler. Er kann seine Graffiti-Kollegen verstehen, diese 14-, 15-Jährigen Jungs, die einfach nicht genug Aufmerksamkeit bekommen. Und deshalb so dafür sorgen.

Robin macht alle Schmierereien und die nackten Brüste weg. Dafür schreibt er einen neuen Spruch an die Wand. „Brauchst Du was?“ Daneben malt er Jesus. Der sieht aus, als ob er mit den jungen Leuten reden würde. Ganz locker und freundlich. Und er fragt sie „Brauchst du was?

Jesus weiß nämlich, was den jungen Leuten fehlt. Und was sie brauchen. Davon ist Robin überzeugt. „Brauchst du was? Dann geh einfach mal rein. Setz dich hin und entspann dich. Genieße die Ruhe und finde heraus, was du wirklich brauchst. Hier bist du angenommen, wie du bist.

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SWR3 Gedanken

Braucht es wirklich die Katastrophe? Damit Menschen den Frieden lernen? Manchmal frage ich mich das.
Als die letzten Kugeln des Ersten Weltkrieges verschossen waren und nichts mehr ging, da war es endlich soweit. Die Leute wollten Frieden und haben den so genannten Völkerbund gegründet. Das war heute vor 98 Jahren in der Versailler Friedenskonferenz. Gemeinsam wollten die Völker der Welt ihre Konflikte auf friedlichem Wege bereinigen. Zum Beispiel mit Schiedsgerichten. Das setzte von den Mitgliedern des Völkerbundes freilich voraus, dass sie sich von den anderen korrigieren lassen.

Und daran ist der Völkerbund letztlich gescheitert. Die nationalen Egoismen waren größer als der Gründungsgedanke: Frieden durch Diplomatie, Kompromisse schließen statt schießen.
Nach dem Motto: Deutschland zuerst! Ist Nazi-Deutschland aus dem Völkerbund wieder ausgetreten. Es folgte das millionenfachen Morden im Zweiten Weltkrieg.

Nach dieser Katastrophe haben die Völker die Vereinten Nationen gegründet. Und die Europäische Union. Frieden durch Zusammenarbeit in Wirtschaft, Kultur und Diplomatie. Das war das Ziel. Dafür hat die EU den Friedensnobelpreis gewonnen.

Und jetzt beobachte ich fassungslos und entsetzt, wie in nahezu allen EU-Staaten die nationalen Egoismen wieder aufleben. Deutschland zuerst! America first! Frankreich zuerst! Als hätte man nichts aus der Geschichte gelernt.
Braucht es wirklich die Katastrophe? Damit Menschen Frieden lernen? Wir müssten es besser wissen.

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SWR3 Gedanken

Nie werde ich diese Frau verstehen! Nie! Wie sie so da steht vor dem Spiegel… Und mir erzählt, sie sei so hässlich. Hier ein Pfund zu viel und dort zu viele Falten. Aber ich weiß es besser! Schließlich sind wir schon einige Jahre zusammen und ich kenne jede Lach-, Zornes- und Trauer-Falte in ihrem Gesicht. Tatsache ist: Diese Frau ist das Schönste, was mir je passiert ist. Wenn sie den Raum betritt, geht für mich die Sonne auf. Nur ihrer Logik kann ich manchmal einfach nicht folgen.

Muss ich auch nicht. Der Schriftsteller Max Frisch hat mal gesagt: Je mehr du einen Menschen kennst, desto mehr wird er ein Geheimnis für dich. Der Mensch ist eben keine Maschine. Bei der müsste ich nur lange genug die Baupläne studieren und dann wüsste ich irgendwann, wie sie funktioniert.

Nicht so bei meiner Frau. Sie ist immer für Überraschungen gut. Wenn ich denke, ich würde sie kennen, belehrt sie mich spätestens am nächsten Tag eines Besseren. Deshalb, so Max Frisch, ist es gut, die Menschen in der „Schwebe des Lebendigen“ zu halten. Es also gar nicht erst zu versuchen, ihr Geheimnis zu lüften.

Die Idee von Max Frisch ist allerdings schon viel älter. Der Evangelist Markus hat das auch schon gedacht. Er hat um das Jahr 70 die erste Biographie über Jesus geschrieben. Markus wollte auch das Geheimnis lüften, was sich um Jesus gerankt hat. Wer ist er denn jetzt? Ein Mensch? Gott? Halbgott? Ein Held? Aber Markus ist auf keinen grünen Zweig damit gekommen. Immer war Jesus anders – eben ein Geheimnis. Gottes Sohn und sein Ebenbild.

Und so ist das auch mit meiner Frau. Sie ist und bleibt für mich ein Geheimnis. Eines, das immer größer wird, je mehr ich sie kennenlerne.

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SWR3 Gedanken

Elf Jahre war ich damals alt. Ich kann mich noch gut an die Bilder im Fernsehen erinnern. An den kaputten Reaktor in Tschernobyl. An die radioaktiven Wolken über der Ukraine und Weißrussland. An die vielen Menschen, die gleich oder später daran gestorben sind. Das war heute vor 31 Jahren.

Bisher habe ich immer gedacht, dass wir alle daraus gelernt haben. Dass Radioaktivität zu gefährlich ist, um sie als Energiequelle zu nutzen. Und tatsächlich: hier in Deutschland soll in fünf Jahren der letzte Reaktor vom Netz gehen. Und auch die Kohle, Erdgas und Erdöl, die sogenannten fossilen Energiequellen, sollen nach und nach weniger genutzt werden. Stattdessen werden die erneuerbaren Energiequellen ausgebaut.

Aber wenn ich mich heute umschaue in der Welt, wird mir angst und bange. Amerika soll „great again“ werden, indem man die riesigen Gas- und Erdölvorräte an der Arktis anzapft. Dasselbe in Russland. Beide Großmächte setzen auf die veralteten Energiequellen. Die irgendwann aufgebraucht sind und bis dahin das Klima unglaublich anheizen.

Wenn ich heute meinen Kindern beim Spielen zuschaue, dann frage ich mich oft, wie die Welt wohl aussieht, wenn sie groß sind. Ich möchte nicht, dass sie in einer verstrahlten Welt aufwachsen. Oder in einer Welt, in der Naturkatastrophen zur Tagesordnung gehören, in der ganze Völker auf der Flucht sind, weil ihre Heimat vom Meer überspült oder von der Hitze verdorrt ist. Wenn wir unseren Kindern eine Zukunft gönnen wollen, dann ist der Ausstieg aus der Atomkraft und den fossilen Energien eigentlich alternativlos.

Aber das braucht nicht nur Zeit, es braucht auch jeden Einzelnen von uns. Deshalb werde ich wieder mein Fahrrad aus dem Keller holen. Ist zwar lächerlich wenig, aber irgendwo muss man ja anfangen. Um unserer Kinder willen!

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