Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR4

 

Autor*in

 

Archiv

SWR4 Abendgedanken

01SEP2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Heute ist in Rheinland-Pfalz der letzte Ferientag. Sechs Wochen Sommerferien gehen zu Ende. Sommerferien: dieses Gefühl ist überall spürbar. Die Straßen sind leerer, die Menschen entspannter. Ich sehe gut gelaunte Kinder auf dem Weg zum Schwimmbad oder zum Sportplatz und am Telefon bekommt man drei Mal am Tag die Auskunft: „Nein, der ist nicht da, es sind Sommerferien.“ Eine entspannte Situation, die ich in jedem Jahr genieße.

Für viele ist der heutige Tag aber auch mit Wehmut verbunden- Schule und Arbeit beginnen wieder in der kommenden Woche. Anderen tut es gut, dass das Leben wieder ganz geregelt abläuft, besonders dann, wenn man auf Kinderbetreuung oder andere Unterstützung angewiesen ist. „Alles hat seine Zeit,“ so sagt es schon das Buch Kohelet im Alten Testament.

„Alles hat seine Stunde. Für jedes Geschehen unter dem Himmel gibt es eine bestimmte Zeit: geboren werden und sterben,
einpflanzen und ausreißen,
weinen und lachen,
wehklagen und tanzen,
sich umarmen und sich aus der Umarmung lösen,
finden und verlieren,
aufbewahren und wegwerfen,
schweigen und reden.“

Und ich würde noch ergänzen: Eine Zeit für die Ferien und die Freizeit und eine Zeit für die Arbeit und den Alltag. Kohelet, der Buchautor, stellt alle diese Zeiten nebeneinander und wertet sie nicht. Sie sind da, sie wechseln ab, sie sind nicht immer zu beeinflussen – das ist auch heute unsere Erfahrung.

Kohelet sagt uns damit aber auch: Gott ist bei uns in all diesen Zeiten: wenn ich weine oder lache, wenn ich suche oder etwas finde, wenn ich etwas aufbewahre oder etwas wegwerfe.  

Wir sind nicht allein, weder in der schönen Zeit des Urlaubs und der Ferien, noch in der anstrengenden Routine des Alltags. Im Psalm 121 heißt es:
„Gott, der dich behütet, schläft nicht.
Er steht dir zur Seite. Er behütet dein Leben.
Der Herr behüte dich, wenn du fortgehst und wiederkommst, von nun an bis in Ewigkeit.“

Diese Zusage gilt uns allen, sie gilt allen, für die am Montag eine neue Zeit beginnt: Gott steht uns zur Seite, im Wachen und im Schlafen, in der Freizeit und in der Arbeit. Und auch wenn heute erst Freitag ist, wünsche ich Ihnen einen gesegneten Start in die neue Woche, ganz besonders denen, die etwas ganz Neues beginnen: in der Grundschule, in der weiterführenden Schule, an einem Ausbildungsplatz oder vielleicht im Start in den Ruhestand.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38307
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

31AUG2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Auch in diesem Jahr habe ich mich wieder an der Erntezeit gefreut. In unserer ländlichen Umgebung fahren von mittags bis abends die Mähdrescher und ziehen riesige Staubwolken hinter sich her. Die Traktoren bringen den Weizen zum Silo, manchmal noch sehr spät am Abend. Tagelang ging das so, jetzt sind nur noch die runden Strohballen auf den Feldern zu sehen. Sie erzählen von der erfolgreichen Ernte in diesem Jahr.

Und auch in diesem Jahr blühen viele Blumen am Wegrand. Ich freue mich an ihren besonderen Farben und ihren Bewegungen im Wind. Sie erzählen von der Schönheit und der Leichtigkeit des Lebens.

Aber in diesem Jahr haben diese beiden Bilder für mich auch ihre Schönheit und Unschuld verloren. Während die Mähdrescher laufen und die Ernte einfahren, erzählen die Nachrichten an jedem Abend, wie Nahrungsmittel als Kriegswaffe eingesetzt werden.

„Mit Lebensmitteln spielt man nicht.“ Mit diesem Satz bin ich in den 60er Jahren aufgewachsen. Lebensmittel lässt man nicht verderben und man wirft sie nicht weg – das ist auch heute noch meine Überzeugung. Weizen wird absichtlich vernichtet, die Ausfuhr von Lebensmitteln unmöglich gemacht durch kriegerische Blockaden. Es macht mich fassungslos und hilflos.

Und auch die Blumen am Wegrand sind nicht mehr nur schön anzusehen. Ich finde sie auch an der Ahr, ganz bei uns in der Nähe. Im Sommer ist dieser Fluss nur ein Rinnsal und das breite Flussbett bietet vielen schönen Blumen Platz. Wenn ich jetzt dort spazieren gehe, schwingt auch die Erfahrung der Naturgewalt mit: die Flutwelle, die alles mitgerissen hat und Menschenleben und Existenzen zerstört hat. Auch heute sind noch viele Menschen im Ahrtal nicht wieder in ihrer Normalität angekommen. Es gibt nicht nur die sichtbaren Verletzungen und Zerstörungen von Häusern, Straßen, Kirchen, Geschäften, Weinbergen und Gärten. Es gibt auch noch viele seelische Verletzungen.

Was werde ich heute Abend tun, wenn die Nachrichten von der Zerstörung der Getreidesilos erzählen oder ich von Naturkatastrophen höre und mein Blick aus dem Fenster auf die Felder geht?

Ich werde mich hilflos und ohnmächtig fühlen. Ich werde wütend und ärgerlich sein. Und ich werde das tun, was Menschen seit Tausenden von Jahren tun: ich werde alle diese Gefühle Gott hinhalten, sie ihm anvertrauen. Das große Gebetbuch der Psalmen kennt alle diese Gefühle: Ohnmacht, Hilflosigkeit, Wut und Trauer. Und all das, darf ich Gott hinhalten. Das Zulassen und Aussprechen tut gut. Es nimmt mir auch die Angst, dass ich allein bin in meiner Hilflosigkeit und der Sorge über den Zustand der Welt.

Und es gibt mir auch den Mut, die kleinen Schritte zu tun, die ich dazu beitragen kann, dass sich etwas verändert: weiterhin verantwortungsvoll mit Nahrungsmitteln und den Ressourcen der Welt umzugehen. Die Hungernden nicht zu vergessen und natürlich die Menschen im Ahrtal nicht aus dem Blick zu verlieren und sie weiterhin zu unterstützen mit einem offenen Ohr oder einer konkreten Hilfe. Das sind nur kleine Schritte, aber Schritte.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38306
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

30AUG2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich krame in meiner Tasche herum. Wo ist nur mein Schlüssel? Selbst die kleinste Handtasche kann locker einen Schlüssel verstecken. Ach, da ist er, Gott sei Dank! Mein Schlüssel, eigentlich mein Schlüsselbund erzählt mir viel über mein Leben und auch über mein Glück.

Da ist mein Autoschlüssel. Ich schätze mich glücklich ein Auto zur Verfügung zu haben, mobil zu sein. Auf dem Land braucht man das, aber selbstverständlich ist das nicht. Ich kann zum Schlüsselbund greifen und zur Arbeit fahren, zum Einkauf, zum Treffen mit der Freundin, ohne mich mit jemandem abzusprechen, ohne nachzufragen. Was für eine Freiheit und was für ein Glück.

Da ist mein Briefkasten-Schlüssel. Jeden Tag schaue ich nach, ob etwas anderes als Reklame und kostenlose Zeitschriften in meinem Briefkasten sind. Da gibt es auch die ungeliebten Briefe vom Amt, aber vor allem gibt es ab und zu schöne und persönliche Post in meinem Briefkasten: die Postkarte aus dem Urlaub, eine Einladung zu einem Geburtstag, eine Hochzeitsanzeige. Es gibt auch traurige Post, zum Beispiel eine Todesanzeige. Der Blick in den Briefkasten ist mir wichtig, denn diese Post berührt mich oft viel stärker als es eine Mail, eine SMS oder eine WhatsApp tun.

Und noch habe ich meine Schlüssel zu meinem Arbeitsplatz. In meinem Fall ist das auch ein kleiner Schlüsselbund: der Schlüssel zum Pfarrhaus, wo ich mein Arbeitszimmer habe. Aber auch die Schlüssel zu Pfarrheim und zur Kirche gehören dazu. Das ist ein großes Vertrauen, das auch immer von der Sorge begleitet wird, diese Schlüssel nicht zu verlieren. Der Schlüssel zu meinem Arbeitsplatz – er bedeutet auch finanzielle Sicherheit und den Kontakt mit den Kollegen und den Menschen, die im Pfarrhaus vorbeischauen. An den meisten Tagen empfinde ich meine Arbeit und die Begegnungen, die dazugehören, als Glück.

Und dann gibt es noch Schlüssel, die ich nicht am Schlüsselbund trage, sondern nur bei Bedarf mitnehme. Zum Beispiel den Schlüssel zur Wohnung meiner Mutter. Das hat natürlich praktische Gründe, aber es freut mich, dass ich meine Mutter immer noch in ihrer eigenen Wohnung besuchen darf und dort willkommen bin.

Alle diese Schlüssel öffnen Türen: Autotüren, Haustüren, Wohnungstüren, Zimmertüren.  Öffnen und schließen – welche Freiheit und welches Glück. Manchmal fällt mir der Satz Jesu dazu ein: Ich bin die Tür, wer durch mich hineingeht, wird gerettet werden. Für diese Tür brauche ich keinen Schlüssel, sie steht weit offen. Das ist die Einladung Jesu an uns Menschen. „Ich bin die Tür“- durch diese Tür darf ich gehen, so wie ich bin, froh oder ärgerlich, müde oder voller Tatendrang, mit mir im Einklang oder traurig und unzufrieden. „Ich bin die Tür“ - auch das ist für mich als Christin ein Glück und ein Grund zur Dankbarkeit.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38305
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

29AUG2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich habe einen Termin verpasst. Ich war mit einer Frau verabredet, um mit ihr über ihr Leben und ihren Glauben zu sprechen und ich hatte den falschen Tag eingetragen. Wir waren zum Glück im Pfarrhaus verabredet und so konnte die Sekretärin mir Bescheid geben und ich war 20 Minuten später am vereinbarten Ort. 

Als ich kam, hatte die Frau eine Tasse Tee vor sich, die die Sekretärin ihr gekocht hatte. „Gut, dass Du einen Tee bekommen hast“, sage ich zur Begrüßung. „Ja“, sagt sie, „und gut, dass ich 20 Minuten Wartezeit hatte. Weißt Du, ich stelle mir Gott immer so wie eine gute Freundin vor, die mir schweigend eine Tasse Tee kocht, wenn es mir nicht gut geht und sie vor mich hinstellt. Das tut mir gut und ich fühle mich umsorgt und verstanden. Heute hat mir eure Sekretärin die Tasse Tee fast aufgenötigt. Sie tut gut, aber ich habe festgestellt: ich brauche sie nicht! Mir geht es im Moment richtig gut und ich freue mich über alles Gute, was gerade passiert. Ich kann Gott von meiner Freude und meiner Dankbarkeit erzählen. Ich brauche keinen Trost-Tee. Aber das wäre mir nie so klar geworden, wenn Du nicht zu spät gekommen wärst.“

Mich freut diese Aussage und ich denke: „Ja, Gott, auch das hast Du gut gefügt – manchmal reicht eine simple Verspätung, um zu erkennen, wie es mir geht und wie es mir mit Dir geht“. Eine Tasse Tee und 20 Minuten Verspätung – und dieser Frau ist mehr über ihre Beziehung zu Gott deutlich geworden als in einem langen Gebet.

Ein paar Tage später bei einem anderen Gespräch, sagt die Frau zur Begrüßung: „Gerade habe ich doch die verkehrte Ausfahrt genommen, da musste ich einen richtigen Umweg fahren. Aber so fing das heute morgen schon an: ich wollte nach links, dort blockierte der Müllwagen den Weg, also bin ich rechtsherum gefahren. Unterwegs gab es noch eine Umleitung, aber nun bin ich hier. So ist das Leben, mein Leben. Und in allen Umwegen: Gott ist bei mir!“

Zwei sehr persönliche Zeugnisse von Gott, die mir da geschenkt wurden. Sie erinnern mich an das Motto der Jesuiten: Gott suchen und finden in allen Dingen. Es geht nicht nur darum, Gott in religiösen Übungen, wie dem Gebet oder der Meditation zu finden. Es geht auch nicht nur darum, Gott in besonderen Highlights oder tiefsten Krisen zu finden. Sondern es geht darum, mit offenem Herzen, mit freiem Sinn den Alltag anzuschauen und wahrzunehmen. Dann finden sich Gottes Spuren überall in der Welt – in der Freude an gemeinsamen Mahlzeiten, in einem Wort, das mir zugesagt wird, in einer zufälligen Begegnung, denn auch Zufall ist einer der Namen Gottes. Gott suchen und finden in allen Dingen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38304
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

28AUG2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Gott sei Dank gibt es immer wieder Menschen, die bereit sind, ein Ehrenamt zu übernehmen, auch in unserer Kirche. Im letzten Monat habe ich das besonders eindrucksvoll erlebt. Zwölf Frauen und Männer haben sich bereit erklärt, ehrenamtlich christliche Beerdigungen zu leiten. Die Jüngsten sind in der Lebensmitte und voll im Beruf, die Ältesten an der Schwelle zur Rente.

Eine Beerdigung vorzubereiten und durchzuführen, das ist eine herausfordernde Aufgabe. Diese Frauen und Männer sind in ihrem Umfeld, in ihrer Pfarrgemeinde angesprochen worden, ob sie diesen Dienst übernehmen wollen. Viele waren zögerlich und zurückhaltend, unsicher, ob sie das überhaupt können. Aber der Pfarrer, die Gemeindereferentin haben ihnen Mut gemacht: Ich traue dir das zu! In einem Ausbildungskurs setzten sich die Teilnehmerinnen dann mit Sterben, Tod und Trauer auseinander.

Wie stelle ich mir das Sterben vor?
Wie geht es mir, wenn ein nahestehender Mensch gestorben ist? 
Was tröstet mich in meiner Trauer?

Und aus dieser Auseinandersetzung mit der eigenen Trauer, entwickelte sich dann der Mut und die Fähigkeit auf Trauernde zuzugehen, zuzuhören und die Beerdigung zu gestalten.

Zu Beginn des Kurses waren alle motiviert, möglichst viel zu lernen, viel Material zu bekommen, neue Ideen zu entwickeln. Im Laufe des Kurses wurde immer deutlicher: in diesem Dienst begegne ich Menschen, die trauern, die manchmal untröstlich sind, die aus der Bahn geworfen wurden durch den Tod eines Angehörigen – das ist nicht einfach auszuhalten. Alle in diesem Kurs tun es aus ihrem Glauben heraus, sie lassen sich in diesen Dienst rufen. Sie erzählen von christlicher Hoffnung, sie trösten, sie bitten um den tröstenden Geist in diesen Situationen – das alles kann eine Erfahrung sein, in der Gott spürbar ist.

Die Leitung dieses Kurses hat mich in den letzten Wochen sehr beschäftigt. Ich bin sehr dankbar dafür, dass es diese vielen Menschen gibt. Es gibt mir die Zuversicht, dass ich im Alter Hilfe finden kann und auch, dass ich christlich beerdigt werde, gerne auch von einer Frau.

Aber jeder Ehrenamtliche, ob in der Kirche oder in einem anderen Verein, ist bereit, sein Leben zu teilen, etwas von seiner Zeit und seinen Talenten zu schenken: in den Besuchsdiensten, in der Leitung von Jugendgruppen, bei der Feuerwehr und vielen anderen Aufgaben.

Ich bin auch dankbar, dass es diesen ehrenamtlichen Menschen begegnen darf, denn in ihnen kommt mir auch Gott entgegen. Ein Gott, der mich tröstet, der mich aufrichtet, der freundlich zu mir ist. Gott suchen und finden: in jedem Menschen, der mir begegnet und in jedem Dienst, in den ich mich rufen lasse.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38303
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

17MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Frau. Macht.Veränderung. Das ist das Thema der diesjährigen Fastenaktion von Misereor. Frau. Macht. Veränderung. Und damit ist das katholische Hilfswerk Misereor ganz nah an den Themen, die uns momentan alle beschäftigen.

In diesem Jahr blickt Misereor mit seiner Aktion nach Madagaskar, einem afrikanischen Land. Dort zeigt sich die Geschlechterungerechtigkeit besonders deutlich: 40 % der Mädchen unter 18 Jahren sind bereits verheiratet – das bedeutet in der Regel das Ende der Bildung für die jungen Frauen. 85 % des Landbesitzes gehört Männern, Frauen haben kaum eine Chance, Land zu erwerben. Frauen dort haben die doppelte Last zu tragen - wie in vielen anderen Ländern der Welt auch: sie erziehen Kinder, sie pflegen ihre Eltern, sie kümmern sich um den Haushalt und das alles noch neben der Erwerbsarbeit. Misereor macht klar: Mit der Missachtung der Frauen, mit ihrem Ausschluss von Bildung, Besitz und Macht, schaden Gesellschaften sich selbst. Und trotzdem ändert sich weltweit nur wenig daran.

Frau. Macht. Veränderung. Das zeigt sich in gesellschaftlichen und politischen Veränderungen braucht auch die Solidarität der Frauen untereinander.

Die Ankündigung von Annalena Baerbock, feministische Außenpolitik zu machen, hat bei vielen erst einmal Hohn und Spott ausgelöst. Was soll an feministischer Außenpolitik anders oder sogar besser sein?

Papst Franziskus sagt: „In der Tat, doppelt arm sind die Frauen, die Situationen der Ausschließung, der Misshandlung und der Gewalt erleiden, denn oft haben sie geringere Möglichkeiten, ihre Rechte zu verteidigen.“ (Papst Franziskus in seiner Enzyklika „Fratelli tutti“)

Frau. Macht. Veränderung. Nicht weil sie die besseren Menschen sind, sondern weil sie die Hälfte der Menschheit sind. Und weil unsere Gesellschaft und unsere Kirche in einer Schieflage sind, wenn sie die Hälfte der Menschheit ausschließen: von Bildung, von Besitz und von Macht.

Und da wünsche ich mir auch, dass die katholische Kirche sich am Tun von Jesus orientiert: Jesus hat sich immer wieder ausdrücklich den Frauen zugewandt, in einer Gesellschaft, die eher männerzentriert war und Frauen gerne hintenangestellt hat. Er wendet sich den Frauen zu, die ihn um Heilung bitten, er spricht mit der Frau am Jakobsbrunnen, obwohl es unüblich ist. Nach seiner Auferstehung offenbart er sich als erstes einer Frau. Frau.Macht.Veränderung. In Kirche und Gesellschaft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37285
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

16MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich gehe gerne in eine Buchhandlung in unserer Nähe. Sie bietet nicht nur die aktuellen Bestseller an, sondern verspricht Ruhe und Muße und Bücher zu Achtsamkeit und Lebenssinn. Doch immer häufiger stelle ich fest, dass der größte Teil der Bücher Ratgeber sind, wie das Leben gelingen kann.

Eine kleine Auswahl der Buchtitel, die mir da entgegenkommen:

„Frag den Buddha“.

„Versäume nicht dein Leben!

„Entdecke den Jäger in Dir

Mich irritiert das.  Offensichtlich brauchen Menschen heute eine Anleitung für ihr Leben und zwar für die Dinge des Lebens, die ich lange für selbstverständlich gehalten habe: eine Anleitung fürs Aufräumen, eine für das innere Kind in mir und natürlich „50 Sätze, die das Leben einfacher machen.“

Wenn ich dann durch diese Bücher blättere, springt mir überall die Verheißung entgegen: so wirst Du noch erfolgreicher, so gelingt Dein Leben noch besser, so erreichst Du sicher Deine Ziele. Und wenn Du nicht weißt, was Du willst – auch dafür gibt es ein Buch.

Aber: vieles davon bleibt eine Anleitung, eine Technik, wie ich dieses oder jenes in meinem Leben verbessern kann. Eine Anleitung – wirklich befriedigend ist das für mich nicht.

Wenn ich dann in die kleine Abteilung gehe, die „Religion und Glaube“ heißt, finde ich etwas anderes. Dort gibt es selbstverständlich Bibeln aller Art, sprachlich angepasst für Kinder, für Jugendliche und für Liebhaber der Originalsprache. Und es gibt Bücher, in denen Menschen von ihrem Leben und von ihrem Glauben erzählen. Und sie erzählen von Gemeinschaft, gemeinsamen Erfahrungen und auch vom Glauben.

Ich finde mich eher in diesen Büchern wieder: ich darf so sein, wie ich bin: unperfekt, suchend, neugierig…Und ich muss mich auch nicht ständig selbst verbessern, sondern ich darf darauf vertrauen, dass ich Gottes geliebtes Kind bin.

Meine Methode, Lebenssinn zu finden und meine Gefühle anzunehmen ist eine sehr einfache: Einige Minuten am Abend und einige Minuten am Morgen bewusst da sein. Innehalten und mich anschauen lassen von Gott. Und Gott anschauen.

Manchmal mit geschlossenen Augen und ganz still. Manchmal, wie heute in der Freude, durch die Natur zu fahren und von einem leuchtenden Regenbogen begleitet zu werden.  Das macht mich

demütig. Es gibt mir Boden unter den Füßen; so wie es im Psalm heißt:

 Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Sterne, die du befestigt: Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst, des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst. Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.  (Ps 8,4-6)

Und am Abend lege ich den Tag zurück in Gottes Hand, alles Gelungene und alles Nichtgelungene. So darf ich sein – ich muss nichts leisten.

Das lässt mich gut schlafen, besser als jede Ratgeberweisheit des 21. Jahrhunderts.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37284
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

15MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Artikel 1 unseres Grundgesetzes heißt: Die Würde des Menschen ist unantastbar. Das ist das Fundament unseres Grundgesetzes, ein Satz, der unser Zusammenleben prägt – oder prägen sollte? Einige Erfahrungen in der letzten Zeit lassen mich daran zweifeln.

Wie gehen wir in unserer vergleichsweise reichen Gesellschaft mit alten und kranken Menschen um? Aus eigener Betroffenheit kann ich erzählen, wie eine 88-Jährige vom Arzt abgefertigt wird: eine Operation in ihrem Alter lohnt sich nicht mehr! Auf dem Arztbericht steht aber: Patientin lehnte OP ab.

Eine Bekannte, auch weit über 80 Jahre alt, wird ins Krankenhaus eingewiesen von ihrer Ärztin. Krankenwagen und viel Aufregung, die Sorge, wie es weitergeht: nach fünf Stunden wird sie mit einem Taxi wieder nach Hause geschickt. Ohne etwas zu trinken zwischendurch, ohne etwas zu essen. Es gibt dringendere Fälle.

Zwei Mal habe ich erlebt, dass Angehörige alter Menschen nicht spontan im Krankenwagen oder in die Notaufnahme begleiten durften. Die Kranken werden in ihrem geschwächten, manchmal verwirrten Zustand einfach allein gelassen.

Um es ganz klar zu sagen: Die einzelnen Sanitäter und Krankenschwestern waren immer sehr herzlich und zugewandt, auch nachts um halb eins. Da haben sie meinen vollen Respekt und ich bin ihnen sehr dankbar. Mich entsetzt das System, die pure Profitberechnung auch im Gesundheitswesen.So sieht nämlich die Menschenwürde für alte Menschen in Deutschland aus!

Die Bibel nimmt dazu klar Stellung: »Du sollst Vater und  Mutter ehren.« Gemeint sind die gebrechlich gewordenen Eltern. Und da geht es nicht nur um die persönliche Verantwortung der Kinder, sondern auch um die Verantwortung der Gesellschaft für die alten Menschen.

 

Und um ihre Würde sorgen sich ja nicht nur alte und kranke Menschen.

Dies gilt auch für Menschen, die nicht in unser System passen, zum Beispiel weil sie ihre Wohnung nicht mehr bezahlen können. Sie gilt für Menschen, die nicht voll arbeitsfähig sind und deshalb schnell an den Rand der Gesellschaft gedrängt werden: keine Arbeit, wenig Geld, weniger Kontakte – welche Würde wird ihnen zugestanden?

Sie gilt ebenso für geflüchtete Menschen, die in unser Land gekommen sind. Welche Rechte haben sie? Wie behandeln wir sie?  Oft werden sie nicht als Schutzbedürftige wahrgenommen und behandelt, sondern als ungebetene Bittsteller.

In der Bibel heißt es: "Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst.“ (Lev 19,33) Von diesem Denken scheinen wir weit entfernt zu sein.

Und wer nicht so bibelfest ist: ein Gebot kennen alle, die sich christlich nennen: Du sollst den Herrn, Deinen Gott lieben und du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst – darin steckt die ganze frohe Botschaft und der ganze Auftrag.

Die Würde des Menschen ist unantastbar – sagt das Grundgesetz. Und für mich als Christin gilt auch: „Du sollst Deinen Nächsten lieben wie Dich selbst!“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37283
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

14MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ Dieser Satz ist vielen aus der Heiligen Messe bekannt. Beim letzten Abendmahl, das Jesus feiert, sagt er: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“

Aber nur wenige kennen den Satz von Jesus: „Auf der ganzen Welt […] wird man auch erzählen, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.“

Das ist eher unbekannt.  Markus erzählt dazu folgende Geschichte:

Jesus ist bei Simon zu Gast und sitzt mit ihm und anderen Gästen beim Essen. Da platzt eine Frau in die Gesellschaft, in der Hand ein Gefäß mit kostbarem Öl. Zum Erstaunen von allen nimmt sie das teure Öl und salbt Jesus damit. Die Gäste reagieren unwillig: Was soll diese Verschwendung? Jesus aber sagt: Lasst sie in Ruhe! Sie hat ein gutes Werk an mir getan. Auf der ganzen Welt, wo die frohe Botschaft verkündet wird, soll man sich an sie erinnern!“

Während die Männer noch diskutieren und argumentieren, macht die Frau in ihrem Tun deutlich, dass sie Jesus erkannt hat als den Sohn Gottes.  Und Jesus verteidigt ihr Handeln mit einem starken Wort:

„Auf der ganzen Welt, wo die frohe Botschaft verkündet wird, wird man auch erzählen, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.“

Zu ihrem Gedächtnis. Und doch ist sie heute immer noch unbekannt. Und ich glaube, ich weiß auch, warum: Sie ist eine Frau.

Der März ist in gewisser Weise der Monat der Frauen. Am 1. Freitag im März wird der Weltgebetstag gefeiert. Seit fast 100 Jahren feiern Frauen auf der ganzen Welt zur gleichen Zeit Gottesdienst. In diesem Jahr wurde er von den Frauen aus Taiwan vorbereitet.  Am 8. März ist der Weltfrauentag. Er macht auf die Situation der Frauen auf der ganzen Welt aufmerksam: Frauen haben weniger Rechte, bekommen weniger Geld, werden oft sogar im Namen der Religion unterdrückt.

Biblisch ist das alles nicht: Gott schuf den Menschen nach seinem Bild, als Mann und Frau schuf er ihn. So steht es am Anfang der Bibel.

Und weiter hinten in der Bibel steht das Wort Jesu: erzählt, was sie getan hat, und erinnert Euch an sie!

Und dazwischen gibt es viele Geschichten von mutigen Frauen, von glaubenden Frauen.

Der März ist der Monat der Frauen, der mutigen, kämpfenden, liebenden Frauen. „Erzählt was sie getan hat - zu ihrem Gedächtnis.“

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37282
weiterlesen...

SWR4 Abendgedanken

13MRZ2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Unser Sohn heiratet im Juni. Seit er und seine Freundin uns das mitteilten, spüre ich eine Freude in mir. Hochzeit – das hat etwas mit dem Zauber des Anfangs zu tun, mit Liebe und Freude, mit Zärtlichkeit und Wohlwollen.

Und am letzten Wochenende durfte ich eine Goldhochzeit mitfeiern: ein Paar, das seit 50 Jahren seinen Weg zusammen gegangen ist mit Höhen und Tiefen, mit schweren Zeiten und guten Zeiten und das fünf Kinder großgezogen hat.

Hochzeit – das ist auch Hoch-Zeit. Hoch-Zeit der Liebe. Aber wie kommt man gut von der Feier der Hochzeit bis zum Fest der Goldhochzeit?

Mein Mann und ich haben da für uns drei wichtige Worte kennenlernen dürfen, die uns geholfen haben, seit fast 36 Jahren gut zusammenzuleben. Sie heißen:  

Darf ich? – Danke! – Entschuldige!

Am leichtesten und häufigsten geht mir das Wort „Danke“ über die Lippen. Wir haben es uns angewöhnt, einander „danke“ zu sagen, auch für die alltäglichen Dinge. Ein Dank fürs Kochen oder Tisch decken, für eine Besorgung oder die Erledigung der Bügelwäsche gehört bei uns dazu. Es bedeutet, aufmerksam zu sein für den anderen, ihn im Blick zu haben. Das gilt für meinen Mann, das gilt auch für unsere Kinder, auch wenn wir sie nicht mehr täglich sehen.

Darf ich? Im alltäglichen Miteinander werden schnell mal Grenzen überschritten. Das sind kleine Grenzverletzungen: den Lieblingsfüller meines Mannes zu benutzen. Eine schnelle Entscheidung zu treffen, auch wenn der andere noch nicht so weit ist. Theaterkarten zu kaufen ohne meinen Mann zu fragen. Das sind Kleinigkeiten, aber sie zeigen, ob ich die Grenzen des anderen respektiere. In unserer Ehe ist es besonders das unterschiedliche Tempo bei Entscheidungen, das mich herausfordert. Darf ich? In unserer Beziehung eine ganz wichtige Frage.

Entschuldige! Um Entschuldigung zu bitten, fällt mir nicht leicht, auch meinem Mann gegenüber nicht. Was wir gut im Laufe der Jahre miteinander gelernt haben, ist, kleine Verletzungen, Unstimmigkeiten und Missverständnisse schnell aus der Welt zu räumen. Sie beschäftigen uns nicht tagelang und sie eskalieren auch nicht mehr. Und das hilft uns in der Familie, auch größere Verletzungen anzusprechen und uns wieder zu versöhnen.

Diese drei Worte sind keine Garantie, dass eine Beziehung gelingt, dazu gehören immer zwei. Aber für uns sind sie eine wichtige Hilfe.

„Ich will dich lieben, achten und ehren, alle Tage meines Lebens, bis dass der Tod uns scheidet“ – so heißt das klassische Eheversprechen. Dieses große Versprechen muss jeden Tag in kleine Münze umgewandelt werden und dann kann lieben - achten – und ehren auch heißen: darf ich? – danke – entschuldige.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37281
weiterlesen...