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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

03MAI2023
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Nachdem ich meinen Keller ausgemistet habe, fahre ich mit einem vollbeladenen Auto zum Wertstoffhof. Ein Mitarbeiter nimmt sich meiner an, begutachtet das Sammelsurium in den Körben, Kisten und Eimern und ich überschütte ihn mit Fragen, wo was hinkommt.

Er hat auf alle Fragen eine eindeutige Antwort: Das dort hin, das da…usw. Und schwuppdiwupp ist das Auto wie von Zauberhand leer und alles hat seinen Platz gefunden. Toll!

Wenn das im Leben doch auch so einfach wäre wie auf dem Wertstoffhof. Zum Beispiel auf der Arbeit: Kollege A kommt in das Körbchen und Kollege B in das daneben. Vorne kommt ein Schild dran und fertig. Ich ertappe mich tatsächlich dabei, dass ich Menschen bisweilen vor- bzw. einsortiere. Ich versuche sie schematisch zu erfassen und mache vielleicht noch ein Etikett dran: mag ich / mag ich nicht / geht so.

Ein ganz klarer Fall: der Kollege, der mich offensichtlich nicht leiden kann und mir beim Gruppen-Mittagessen nicht in die Augen schaut.

Oft ist das ein Automatismus und auf den ersten Blick einfacher, aber gerecht werde ich einem Menschen damit nicht. Denn ich bin ja bisweilen schon mit meinen eigenen Themen und Fragen völlig ausgelastet, wie soll ich da erfassen, was mein Gegenüber alles geprägt hat und umtreibt.

Wie verletzend es sogar sein kann, wird besonders gut sichtbar daran, wie die katholische Kirche mit Liebesbeziehungen von Menschen umgegangen ist und teilweise umgeht: Nur wenn man verheiratet ist – und zwar ein Mann mit einer Frau – dann ist es im Sinne der Kirche. Die Verletzungen, die damit angerichtet wurden oder auch werden, sind gar nicht zählbar. Dabei ist Beziehung so viel mehr und so wunderbar vielfältig.

Je länger ich drüber nachdenke, umso mehr merke ich: klares und eindeutiges Sortieren eignet sich nur für Altöl, Wandfarbe und Elektrodinge. Für meine Themen, die mich umtreiben und Menschen, die mir begegnen, reichen ein paar Stahlkörbchen nicht aus. Dafür sind Menschen zu bunt und vielfältig und das Leben einfach zu schön.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

02MAI2023
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Freitags laufe ich nach dem Markt oft zu Fuß aus der Stadt nach Hause. Dabei suche ich gerne nach ungewohnten Blickwinkeln. Ich schaue dann bewusst mal weiter nach oben oder unten als sonst üblich. Ich suche nach ungewohnten Ein- und Ausblicken. Ich entdecke Häuser, die oben ganz entzückende Verzierungen haben oder wo oben gar kein Dach kommt. Dann bin ich schon total oft an einem Haus oder Garten vorbeigekommen und stelle fest: ich habe immer nur einen Teil gesehen.

Gut, ich mache sicher nicht die Entdeckung des Jahrhunderts. Oft bemerke ich nur eine Kleinigkeit. Aber es sind neue Eindrücke auf Wegen, die ich schon endlos oft beschritten habe und auf denen ich denke, da kenne ich eh schon alles; dort gibt es keine Überraschungen mehr. Überraschende Ansichten – quasi Wunder im Miniformat.

Das passende Großformat wäre die Erzählung von einem Wunder in der Bibel: Es gibt 2 Fische und 5 Brote und nachher sind 5.000 Leute satt. Wundersam – echt erstaunlich! Es geht dabei allerdings nicht darum: Wie hat das funktioniert und mit welchem Zaubertrick?

Sondern eher: Was hat sich für die betreffenden Personen verändert? Vermutlich die Sichtweise. Man hat sich in kleinen Gruppen zusammengesetzt, kommt ins Gespräch miteinander und womöglich hat dann der ein oder die andere doch noch eine Kleinigkeit zu Essen dabei. Man hat miteinander geteilt, eine gute Zeit miteinander verbracht und so waren nachher alle satt – im direkten und übertragenen Sinn.

Vielleicht ist es vor allem entscheidend, dass ich mich wundern will. Offen bin für neue Perspektiven. Wirklich traurig finde ich den Satz: „Also mich wundert gar nichts mehr!“

Dabei gibt es täglich so viel Wundersames: die Frau, die just in dem Moment des Weges kommt, als ich mich im Treppenhaus ausgesperrt habe oder der Regenwurm, der plötzlich im Hausflur auftaucht oder die Obstbaumblüten, die aus blauem Himmel auf mich niederregnen.

So Vieles, das ich jeden Tag wunderbar finde. Ich muss nur hinschauen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

01MAI2023
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„Um überhaupt die Arbeitsleistung zu decken, müsste das Glas Honig eigentlich schon seit Jahren 20 Euro kosten. Das zahlt aber natürlich keiner.“ Das sagt der Sprecher eines Imkerverbandes.[1] Als Imkerin bin ich direkt daran hängengeblieben.

Ein stolzer Preis: 20 Euro für ein Glas Honig. Im Preis sind drin: die Kosten für das benötigte Material für die Bienen und den Honig. Aber vor allem bezieht sich der Preis auf die geleistete Arbeit des Imkers und der Imkerin: also die Pflege der Bienen, damit es ihnen möglichst gut geht. Hinzu kommt die Arbeit mit dem Honig. Ich habe es mal andersherum überschlagen: wenn das Glas 5 Euro kostet, beträgt der Stundenlohn etwa 2 Euro.

Was ist meine Arbeit wert? Eine Frage, die mit dem heutigen Tag, dem ersten Mai schon über ein Jahrhundert verbunden ist.

Arbeit ist wert-voll: sie fördert im besten Fall meine Kreativität und meine Talente. Ich bringe Talente ein, die mir aus christlicher Perspektive, von Gott geschenkt sind. Jeder und jede hat andere.

Arbeit lebt davon, dass sie wertgeschätzt wird: Die Arbeitsbedingungen müssen stimmen und jeder und jede braucht positive Rückmeldungen zur eigenen Arbeit – möchte mal gelobt werden.

Arbeit muss sich aber auch auszahlen: Sie muss sich rechnen. Ich muss damit mein Leben finanzieren können.  

Ein unwahrscheinlich komplexes Thema. Für viele Menschen ist Arbeit kein Wunschkonzert. Und viele Formen von Arbeit finden unter menschenunwürdigen Bedingungen statt. Ich denke dabei immer an die Menschen – erschreckenderweise auch Kinder –, die in Minen Rohstoffe abbauen, die in meinem Handy und in Elektrobatterien verbaut werden. Aber auch hierzulande verdienen Menschen nicht genug Geld mit ihrer Arbeit, um davon leben zu können. Ich kenne eine Frau, die arbeitet im Pflegedienst, hilft in der freien Schicht im Friseursalon aus und geht am Wochenende noch putzen.

Es gibt eindeutig mehr Fragen als Antworten in diesem unübersichtlichen Thema. Da kommt mir der Feiertag gerade recht: eine kreative Auszeit, die auch Zeit bietet, darüber nachzudenken: Was ist meine Arbeit und die der anderen wert?

 

[1] Markus Lay, Sprecher des Imkerverbandes Saarland, vgl.: https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/honig-in-rlp-kritik-an-importen-100.html (Zugriff: 24.04.2023)

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

28JAN2023
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In den Wintermonaten komme ich echt schlecht aus den Federn. Mir fehlt da irgendwie die Motivation. Ein Freund meint, ihm helfe die Methode von Salvador Dalí. Der spanische Künstler hat gesagt: „Jeden Morgen beim Erwachen genieße ich das erhabene Vergnügen, Salvador Dalí zu sein. Voller Erstaunen frage ich mich dann, was dieser Dalí heute noch wieder Wunderbares verrichten wird.“

Ich muss schmunzeln. Mich befällt beim Erwachen eher kein „erhabenes Vergnügen“ und ich bin auch nicht davon überzeugt, dass ich etwas Wunderbares an diesem Tag schaffen werde. Wenn der Wecker läutet, befallen mich eher zwei Orientierungsfragen: Kann ich noch 5 Minuten liegenbleiben? Und: Was steht heute an?

Während der Start in den Tag bei Salvador Dalí zuversichtlich und amüsant klingt, ist es bei mir mehr die allmorgendliche Suche nach mir selbst und meiner Motivation.

 

Aber ich könnte es mal ausprobieren: Mit Vergnügen stelle ich dann morgens fest, dass ich die bin, die ich bin. Und zwar so wie ich bin. Nicht größer oder kleiner, dicker oder dünner, älter oder jünger. Es ist ein bisschen wie eine Selbstverordnung: Ich finde mich jetzt mal toll! Wenn ich nämlich anfange, darüber nachzudenken, fällt mir alles Mögliche ein, dass ich gern anders hätte. Also: Nicht denken – einfach toll sein. Mit sich selbst froh sein. Christlich formuliert: ich liebe mich selbst. Warum? Von meinem Glauben her würde ich sagen: Weil Gott mich mag. Das ist der Kern.

 

Von hier ist es dann nicht weit zur Überlegung: Ich werde Wundervolles an diesem Tag tun. Auch wenn ich noch nicht genau weiß, was. Das heißt nicht, dass ich die Weltachse schmieren muss. Erstmal tue ich, was ich tun muss: ich gehe meiner Arbeit nach, kümmere mich um Familie und Freundeskreis, gehe zum Sport und so weiter. Und nebenbei kann ich immer versuchen, die Welt zu retten, indem ich zum Beispiel meinen Beitrag zum Klimaschutz leiste.

 

Aber auch wenn ich mal gar nichts leiste und einfach nur dem Tee beim Ziehen zuschaue oder Nelkenblüten kaue, es liegt bei mir, dass ich mich selbst annehme und den Tag gestalte, damit er für mich und die anderen gut wird. Dann gelingt mir jeden Tag Wundervolles.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

27JAN2023
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Heute ist der Tag des Gedenkens an die Opfer des Holocaust. Damit ist es der Tag, der mich an meine Verantwortung erinnert. Es ist die Verantwortung, dass sich die Ereignisse des Nationalsozialismus nicht wiederholen. Nie wieder! Umso mehr schockiert mich die Anzahl der judenfeindlichen Straftaten. In der letzten Statistik des Bundesinnenministeriums wurden über 3.000 gezählt. [1]  Das sind im Schnitt 8 an einem Tag.

Hinzu kommen Vorfälle, die nicht als Straftat gewertet werden. Oft sind es kleine Situationen im Alltag, die aber trotzdem verletzen und verunsichern können.

So saß die Tage eine Frau neben mir im Bus, die lautstark telefonierte. Plötzlich ruft sie empört in ihr Handy: „Also das Thema haben wir doch schon bis zur Vergasung durchgekaut.“ Ich schaue irritiert zu ihr rüber. Ich habe einen Kloß im Hals. Ich lege mir Erklärungen zurecht: Sie hat es nicht so gemeint – hat den Begriff unwissend verwendet. Und überhaupt: Was soll ich denn sagen? Letztlich tue ich so, als hätte ich es nicht gehört.

Im Internet stoße ich auf eine Seite, die genau das behandelt. Sie heißt „stopantisemitismus.de“ [2]. Dort werden Zitate vorgestellt, die offen oder versteckt antisemitisch sind. Es wird erklärt, was daran problematisch ist und wie man reagieren kann. Tatsächlich wird auch der Begriff „Vergasung“ thematisiert.

Oft wird er benutzt, ohne dass man sich seiner Bedeutung bewusst ist. Aber selbst wenn das Wort ursprünglich in einem anderen Sinn verwendet wurde: inzwischen ist es eindeutig mit dem nationalsozialistischen Massenmord verknüpft. Wenn ich es in banalen Alltagssituationen benutze, relativiere ich das Leid der Opfer des Holocaust. Daher geht dieser Ausdruck gar nicht!

In diesem konkreten Fall könnte ich wie folgt reagieren: „Vielleicht ist es Ihnen nicht so bewusst: Aber der Ausdruck ist verbunden mit dem Leid von Millionen Menschen im Zweiten Weltkrieg, die vergast worden sind. Ich verwende ihn deswegen nicht.“

Mit den empfohlenen Reaktionen fühle ich mich etwas besser gewappnet. Denn ich will nicht stumm bleiben. Ich kann antisemitische Aussagen und Handlungen, ob nun direkt oder indirekt, nicht ignorieren. Ich will reagieren! Das entspricht meinem jüdisch-christlichen Menschenbild und ist Teil meiner Verantwortung.

 

[1] Vgl. Bericht im Tagesspiegel vom 17.02.2022: https://www.tagesspiegel.de/politik/judenhasser-veruben-2021-mehr-als-3000-straftaten--vier-menschen-sterben-4309552.html (Zugriff: 2023-01-16)

[2]https://www.stopantisemitismus.de/ Vgl. auch: https://konterbunt.de/ (Zugriff jeweils: 2023-01-16).

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

26JAN2023
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In der kommenden Woche jährt sich ein sehr trauriger Jahrestag: zwei Polizisten wurden in der Nähe von Kusel ermordet. Auf brutalste Art und Weise und aus primitivem Motiv heraus sind die junge Polizeianwärterin und der junge Polizist erschossen worden. Im November ist das Urteil gesprochen worden: Lebenslange Haft für den Hauptangeklagten.

Die Tat macht mich unverändert fassungslos. Und ich merke, dass ich seitdem noch aufmerksamer zuhöre, wenn meine 23-jährige Nichte aus ihrem Dienstalltag als Polizistin berichtet. Immer habe ich diese grauenvolle Tat im Hinterkopf und mache mir Sorgen, ob ihr ähnliches widerfahren könnte.

Und dann diese Bilder aus der letzten Silvesternacht: Da werden Böller gezielt auf Rettungskräfte geschossen. Da wird ein Feuerlöscher auf einen Rettungswagen geworfen. Bilder, die an Straßenschlachten erinnern.

Polizisten, Feuerwehrleute, Sanitäter – sie alle dienen meiner Sicherheit, schützen meine Rechte, helfen mir, wenn ich in eine Notlage gerate. Um dies zu gewährleisten, gehen sie selbst große Risiken ein, bis hin zum Einsatz des eigenen Lebens.

Dafür bin ich dankbar und dafür verdienen sie alle meinen Respekt.

Was wie ein politischer Kommentar klingt, entstammt meiner christlichen Glaubensüberzeugung wie Gesellschaft funktioniert: nämlich als Miteinander. Ein Miteinander, in dem jeder und jede das tut, was er und sie gut kann. Ein Miteinander, das auf gegenseitigem Respekt, Hilfsbereitschaft und Dankbarkeit aufgebaut ist.

Dieses Miteinander fällt mir nicht in den Schoß. Es ist Arbeit und es ist oft anstrengend, denn es fängt da an, wo ich einem anderen Menschen begegne. Ich gestalte es. Täglich neu.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

22OKT2022
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Eine Freundin besucht mich. Als sie aus dem Badezimmer kommt, sagt sie: „Du hast ja noch mehr Plastik im Bad als ich! Allein fürs Duschen habe ich sieben Verpackungen gezählt.“ Ich fühle mich ertappt. Und versuche mich zu rechtfertigen: Das sieht nur auf den ersten Blick so aus. Die vier verschiedenen Duschgele benutze ich je nach Stimmungslage oder je nach dem, ob ich morgens oder abends dusche. So dauert es ja auch länger, bis eins aufgebraucht ist. Aber meine Freundin hat ja recht: ich habe insgesamt viele Plastikverpackungen im Bad.

Inzwischen habe ich zwar auch Shampoo und Duschgel ohne Plastikverpackung in Form von einem Seifenstück. Aber irgendwie tu ich mich schwer damit. Wenn‘s schnell gehen muss, brauche ich praktische Sachen.

Und von der Grundidee ist Plastik vor allem eins: praktisch. Aber wenn meine Shampooflasche leer ist, landet sie auf dem Müll. Recycelt wird längst noch nicht die Hälfte des Plastiks. Und so sammelt sich endlos viel Plastikmüll in den Meeren und an den Stränden. Aber das ist nicht nur weit weg von mir ein Thema. Eine Anglerin aus unserer Pfarrgemeinde erzählte mir, dass sie immer häufiger Plastikteile im Magen der Fische findet – teilweise erstaunlich groß. Ich will nicht, dass Meerestiere oder Seevögel an meiner Plastikverpackung sterben. Und ich will auch nicht, dass ein Igel in meinem Jogurt-Becher festklemmt und darin stirbt.

Also muss ich weniger Plastik verwenden. Dafür muss ich aber meine praktischen Ausreden und meine Bequemlichkeit beiseiteschieben. Und das ist eindeutig die schwierigste Aufgabe.

Aber ich probiere das jetzt zumindest mal aus und zwar ganz konkret im Bad. Ich räume den ganzen Klimbim für vier Wochen in den Keller und lasse zum Duschen nur ein Stück Shampoo und ein Stück Körperseife übrig. Mal schauen wie’s klappt.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

21OKT2022
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Ein Freund meint beim Kaffee: „Hast du dich für die nächste Polarexpedition angemeldet?“ Ich muss schmunzeln. Meine Füße stehen auf einer Wärmflasche, ich habe einen dicken Pulli und einen Schal an. Ich versuche eben, die Heizung nur selten anzuschalten. Humor ist da nicht verkehrt, das macht warm.

Ansonsten ist die Lage wahrlich nicht lustig, sondern sehr beklemmend. Der Krieg Russlands gegen die Ukraine dauert nun schon fast auf den Tag 8 Monate. Täglich sterben dort Menschen. Ständig gibt es neue Eskalationsstufen. Ich merke, wie ich mich irgendwie an diesen Zustand gewöhnt habe und erschrecke darüber. Doch seitdem mir oft kalt ist, ist das anders. Daran gewöhne ich mich nicht.

Die kälteren Temperaturen und die Wärmflasche unter meinen Füßen machen mir nachdrücklich bewusst: es gibt ein Problem. Die Energiekrise betrifft mich ganz persönlich. Mir ist kalt und die Kosten für Energie und überhaupt die Preise gehen durch die Decke. Ich mache mir Sorgen darüber, wie die nächsten Gasrechnungen ausfallen werden und wie sich die Lage insgesamt entwickelt.

Durch die Energiekrise und die Inflation bin ich ganz persönlich betroffen vom Krieg. Und das erklärt meine Sorgen und Ängste. Die Frage ist nur: Was mache ich damit? Ich finde die Worte des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck hilfreich: „Man kann Ängste nicht wegzaubern, aber man kann sie zähmen. Und man kann sowas wie Mut und Entschlossenheit fassen.“ (Joachim Gauck im Interview mit dem ZDF Heute Journal am 02.10.2022) Ich denke, es braucht auch Mut und Entschlossenheit dem Kriegskalkül eines Diktators nicht auf den Leim zu gehen. Denn natürlich setzt Putin darauf, dass Menschen einknicken, wenn ihnen erst einmal kalt ist, wenn es unbequem und es finanziell existentiell wird.

Aber Einknicken ist keine Option. Denn die Menschen, die in der Ukraine kämpfen und auch sterben, tun dies, um ihr Land, aber auch eine freiheitliche demokratische Lebensform zu verteidigen. Und damit eine Lebensform, in der auch ich lebe und weiterhin leben will. Und daher braucht es aktuell Mut und Entschlossenheit – ganz egal wie sehr mir die Pandemie noch in den Knochen steckt. Ich bin überzeugt, dass das zu schaffen ist, denn – mir machen die folgenden Worte aus der Bibel Mut: „Gott hat uns nicht gegeben den Geist der Furcht, sondern der Kraft, der Liebe und der Besonnenheit.“ (2 Tim 1,7)

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

20OKT2022
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Ich bin total gerne im Wald. Ich erhole mich dort und sammle Inspirationen. Aber diesen Sommer war es plötzlich anders. Durch die anhaltend hohen Temperaturen und den ausbleibenden Regen verwandelte sich mein Wohlfühlraum in die reinste Steppe. Überall raschelte trockenes Laub wie im Herbst und die Blätter schienen am Baum braun und eingetrocknet – der ganze Wald wirkte wie mumifiziert und es staubte wie im wilden Westen. Ich konnte nicht mehr hingehen.

Die extreme Trockenheit war in diesem Sommer ständig Thema. Dabei bin ich an einem Satz hängen geblieben, den ich oft hörte: „Am Wetter kann keiner was machen.“

Beim ersten Hören stimmt der Satz: Ich habe keinen Einfluss darauf, ob morgen die Sonne scheint oder ob es regnet. Inzwischen denke ich aber: Was für ein blöder Satz! Schließlich wird das Wetter durch das Klima bestimmt und angesichts des menschengemachten Klimawandels, bin ich natürlich auch für das Wetter und die Zunahme an Wetterextremen mitverantwortlich.

Es ist schon seltsam: ich sehe wie sich mein Handeln auf die Umwelt auswirkt und ich kenne die Datenlage zum Klimawandel und doch transportieren sich alte Gewissheiten wie „Am Wetter kann keiner was machen!“ immer noch achselzuckend weiter.

Vielleicht braucht es noch mehr ein „weises Herz“, um das schon König Salomo Gott gebeten hat (1 Kön 3,12). Ein „weises Herz“ – damit ich mein Sehen und Wissen um diesen wunderbaren und schützenswerten Planeten verbinde und endlich ins Handeln komme.

So wie der Freund, der diesen Sommer mit dem Zug nach Spanien gefahren ist, anstatt das Flugzeug zu nehmen. Oder wie die Freundin, die Heidelbeeren nur im Sommer aus Deutschland kauft und nicht im Winter aus Peru. Ich weiß, ich muss auf manche Dinge verzichten. Das ist nicht vergnügungssteuerpflichtig. Aber es braucht jetzt vorausschauendes Handeln. Und wenn ich wirklich will, geht das. Schließlich habe ich meinen Kopf von Gott nicht als Platzhalter bekommen, sondern zum Denken und verantwortungsvollen Handeln.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

27JUL2022
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Ich frage einen Freund: „Wie hieß eigentlich deine Mutter?“ Ich weiß, dass sie schon viele Jahre tot ist. Er stutzt und meint: „Meine Mutter hieß Anna.“ Er zögert. „Aber ich würde eher sagen ‚Meine Mutter heißt Anna‘ – selbst wenn sie jetzt schon lange Zeit verstorben ist, ist und bleibt sie doch meine Mutter, die Anna heißt. Oder nicht?“

Das hat mich ganz schön ins Nachdenken gebracht. Eigentlich würde ich die Vergangenheitsform verwenden, aber es stimmt schon, was er sagt. Außerdem ist letztlich nur entscheidend, wie er es wahrnimmt. Mir wird noch mal deutlich, wie sensibel und individuell das Gespräch mit jemandem ist, der oder die einen geliebten Menschen verloren hat. Dabei sind nicht irgendwelche Rahmendaten wie das Alter oder die Anzahl an Jahren, die inzwischen seit dem Tod vergangen sind, wichtig. Das, was zählt, ist allein das jeweilige Empfinden der Person, die mit dem verstorbenen Menschen verbunden ist.

Ich fühle die Gegenwart geliebter Menschen, die verstorben sind, und das klingt für mich auch im folgenden Bibelvers an: „Ich vergesse dich nicht. Sieh her: Ich habe dich eingezeichnet in meine Hände“ (Jes 49,15f).

Ich vertraue darauf: Geliebte Menschen, die verstorben sind, sind in Gottes Gegenwart aufgehoben – und zwar mit allem, was sie ausmacht und eben vor allem mit ihrem Namen.

Und wenn ich mich an einzelne Begebenheiten mit diesen geliebten Menschen erinnere, werden diese Szenen für den Moment wieder Teil meiner Gegenwart. Das schmerzt oft, weil der Verlust noch einmal deutlich wird, gleichzeitig schenkt die Erinnerung ein Gefühl von Nähe und die schönen Erinnerungen zaubern vielfach ein Lächeln ins Gesicht. Die Menschen sind über ihren Tod hinaus präsent in meinem Leben. In besonderer Weise sind sie das an Tagen, an denen ich eh an sie denke, wie an ihrem Geburtstag oder ihrem Todestag.

Aber auch Kleinigkeiten lösen die Erinnerung aus: das Lied im Radio, das mich immer an eine Freundin erinnert. Wir haben es auf der Gartenparty gehört, bevor sie starb. Oder der Anblick der beiden Apfelbäume im Garten, die mein Opa gepflanzt hat.

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