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Anstöße sonn- und feiertags
Mein Freund Peter legt sein Portemonnaie im Café neben seine Kaffeetasse. Als sich jemand an den Nachbartisch setzt, nimmt Peter das Portemonnaie weg und legt es auf die andere Seite zwischen uns. „Du glaubst, er wird es dir klauen?“, frage ich ihn. Peter schaut mich ertappt und zugleich verlegen an. „Entschuldige, ein Reflex von mir. Man weiß ja nie.“ Das erinnert mich an meine Oma. Sie sagte immer: „Alles Spitzbuben da draußen!“
Da wirkt das aktuelle Buch, das ich gerade lese wie eine Gegenoffensive. Der Autor Rutger Bregman[1] vertritt die revolutionäre These: die meisten Menschen sind im Grunde gut und sie handeln auch so. Er hat viel Unverständnis dafür geerntet: „Haben Sie sie noch alle? Sehen Sie denn keine Nachrichten?“
Und tatsächlich entsteht ja der Eindruck: eine einzige Tagesschau widerlegt seine These.
Aber Nachrichten beschäftigen sich nicht mit dem, was gut und normal läuft. Sie berichten von den schlimmen und außergewöhnlichen Dingen. Und je öfter ich davon höre, umso mehr halte ich diese Dinge für das normale.
Und so prägen sie womöglich mein Menschenbild, bis ich selbst irgendwann sage: „Ich kann niemanden mehr trauen!“
Das will ich aber nicht. Ich möchte nicht so ein enges und dunkles Menschenbild. Und der heutige Feiertag „Allerheiligen“ ist eine gute Gelegenheit für mich, darüber nachzudenken. An Allerheiligen wird daran erinnert: unzählige Menschen haben ein wirklich bemerkenswertes Leben gelebt oder tun das gerade, indem sie sich zum Beispiel mit all ihrer Energie für andere einsetzen. Neben den bekannten Persönlichkeiten wie Mutter Theresa oder Martin Luther King gibt es unzählige mehr, die nie bekannt werden. Ich denke da zum Beispiel an meine Freundin Maria-Elena: Ich finde es total irre, wie sie sich jeden Tag um die Kinder, die Familie, die Arbeit und den Haushalt kümmert und alles organisiert. Oder mein Freund Toni, der einfach ein Händchen dafür hat, meine wirren Gedanken auf den Punkt und zu einem Ziel zu bringen. Jede und jeder kennt solche Menschen. Es gibt sie überall und sie sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ich glaube es lohnt sich für mich, die Welt stärker aus dieser Perspektive zu sehen.
[1] Rutger Bregman, Im Grunde gut, Eine neue Geschichte der Menschheit, Berlin 2022.
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Kuchenbacken in der Rente – das ist ein Projekt in München: Rentnerinnen und Rentner backen in einem Café auf 520€-Basis Kuchen. Das Team ist zwischen 60 und 90 Jahre alt. Die einen arbeiten mehr, die anderen weniger Stunden, je nach Lust, Zeit und Energie. Michael hat als Maschinenschlosser gearbeitet und backt dort jetzt mit Leidenschaft Möhrenkuchen. Und Helga erzählt beim Backen, dass sie einfach so froh ist, eine Aufgabe und soziale Kontakte zu haben.
Das kann ich mir für später auch gut vorstellen. Ich möchte etwas Sinnvolles tun und mich austauschen. Ich möchte immer auch neue Menschen kennenlernen. Und im Idealfall: ich möchte mit dem, was ich tue, anderen eine Freude machen.
Natürlich weiß ich nicht, wie lang ich selbstständig bleibe. Nur: wenn ich etwas tun kann, will ich auch etwas tun. Aber was möchte ich eigentlich Sinnvolles tun, wenn ich – sagen wir – 100 bin?
Ich habe die Frage kurzerhand an Freundinnen und Freunde geschickt und bin überrascht, wie sehr sich die allermeisten über diese Frage freuten. Fast so, als hätten sie darauf gewartet, dass sie ihnen jemand stellt.
Die Antworten sind bunt gemischt. Von „Lächeln verbreiten“ und „guten Kaffee trinken“, über „sitzen, wo es schön ist – gerne in Gärten oder sonst in der Natur“, bis hin zu „die eigenen Erfahrungen weitergeben“ und vor allem „sich austauschen“ oder auch – mit einem Augenzwinkern – einfach nur einen „Mojito mit einem Joint genießen“. Sehr oft heißt es, „ich möchte etwas für Kinder machen“.
Eine inspirierende kleine Umfrage. Sie lässt die unbekannte Zukunft irgendwie freundlicher erscheinen. Freundlicher, weil ich eine konkrete Idee habe, was ich machen möchte. Ich würde dann nämlich gerne für meine Freundin Sarah eine Linzer Torte backen.
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„Ich kann es nicht leiden, wenn die Lage schöngeredet wird. Nach dem Motto: Ist alles gar nicht so schlimm. Beschönigung geht gar nicht!“ Diese heftige Reaktion meines Freunds Toni überrascht mich. Ich habe einen Zeitungsartikel mit der Überschrift „Keine Angst“[1] erwähnt. Darin will die Autorin – angesichts der vielen aktuellen Katastrophenmeldungen – daran erinnern: es gibt durchaus Dinge, die in Deutschland gut laufen. Zu mehr als Stichworten komme ich aber nicht, da fällt er mir ins Wort: „Was läuft denn bitte gut?“ Es folgt ein Kurzreferat mit dem Fazit: Es ist nicht nur nicht gut, es ist wirklich schlimm!
Irgendwie ist die Szene skurril: Während des Gesprächs sitzen wir in der überaus warmen Oktobersonne bei einem Eisbecher und ich arbeite mich gerade durch die Sahneschicht. Und wenn es mir dann heute Abend zuhause kühl wird, kann ich die Heizung anmachen oder ich kann sogar in die Badewanne gehen.
Darüber hinaus habe ich Arbeit. Und wenn ich vom Eisessen Zahnschmerzen habe, bekomme ich zeitnah einen Termin bei meinem Zahnarzt. Mir persönlich geht es also gut. Dafür bin ich dankbar.
Es ist keine Selbstverständlichkeit! Denn gerade beim Thema Heizung war letztes Jahr um diese Zeit nicht klar, wie der Winter werden wird und ob die Vorräte in den Gasspeichern reichen. Da sind wir dieses Jahr deutlich weiter.
Das ist keine Schönrederei. Es sind schwierige Zeiten momentan, da brauche ich nur die Nachrichten anzuschauen. Aber: Es ist nicht alles schwarz. Gerade und ganz besonders hier in Deutschland. Die aktuellen weltpolitischen Themen sind kompliziert. Es gibt keine einfachen Lösungen für sie. Klar ist jedoch: Ständig nur klagen und die schlechten Dinge sehen, bringt niemanden weiter, sondern verursacht Falten und Magengeschwüre. Und: Die großen Themen lösen wir nicht gegeneinander, sondern nur miteinander.
Mein Freund Toni wollte dann den Zeitungsartikel übrigens auch mal lesen. Als Reaktion bekomme ich eine Nachricht, in der er schreibt: „Ja, stimmt schon! Meine Heizung funktioniert.“ Dahinter setzt er ein Zwinkersmiley. „Und ja, eigentlich hast du ja recht. Es gibt nicht nur schwarz und weiß – dazwischen gibt es ganz viele andere Farben.“ Ich freue mich sehr über seine Nachricht: Wir bleiben miteinander im Gespräch. Da kann der nächste Eisbecher gerne kommen.
[1] Elisabeth von Thadden, Keine Angst, in: Die ZEIT, Ausgabe 42/2023, vom 5. Oktober 2023.
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Mein Freund Valentin ist ein ausgesprochener Liebhaber der französischen Lebensart. Er liebt das savoir-vivre: die französische Lebenskunst. Und hier in Trier sind wir ja schon ganz nah dran. Besonders gut schmeckt ihm der wunderbare Café gourmand. Ein Nachtisch, bei dem ein Espresso mit verschiedenen Köstlichkeiten serviert wird: Ein Bällchen Eis, ein kleines Stück Tarte, eine Miniportion Crème Brûlée, ein Macaron oder ähnliche zauberhafte Kleinigkeiten.
Ich ziehe die Augenbraue hoch. „Kaffee und Eis zusammen? Das geht auf keinen Fall.“ „Wieso nicht?,“ fragt er. „Na, weil dann entweder das Eis schmilzt oder der Kaffee nicht mehr warm genug ist.“
Er lacht mich an: „Und ich finde es toll, mir mal einfach nicht so viele Gedanken zu machen, sondern die Fülle zu genießen.“ Das klingt so schön: „Die Fülle genießen.“ Aber wie mache ich das?
Valentin meint: „Ich freue mich einfach über den wunderbaren Anblick vor mir auf dem Teller, den jemand so herzallerliebst für mich hergerichtet hat. Ich denke nicht nach, sondern lege einfach los: ein Löffel hier, ein Schluck da. Ich nehme die unterschiedlichen Geschmacksnoten, Düfte und Aromen wahr und finde sie wunderbar.“
Gut, ausprobieren könnte ich es mal: Kopf ausschalten, nicht nachdenken, einfach genießen. Wenn das Eis schmilzt: Na und? Vermutlich ist es trotzdem lecker.
Und ein Sonntag drängt sich für ein solches Experiment ja förmlich auf. Sonntag – ein Tag, an dem ich einfach mal „sein“ darf. Ich muss nichts, sondern ich bin einfach mal da. Schließlich könnte die Vorlage nicht größer sein: nach der biblischen bildhaften Vorstellung wie Gott die Welt geschaffen hat, ruhte er am siebten Tag. Ich bin also am Sonntag in idealer Gesellschaft beim Sein und Genießen– Füße hoch, einfach in der Gegend rumgucken und womöglich einen Café gourmand genießen.
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Ich quengele meinem Freund die Ohren voll: „Mein Tag hat zu wenig Stunden. Ich komm einfach nicht rund mit meinen Aufgaben!“ Der Freund verdreht die Augen. Er kennt dieses Thema bei mir. „Merk es dir: Der Tag hat offenscheinlich 24 Stunden und augensichtlich legst du zu viele Aufgaben in deinen Tag.“ Ich bin irritiert: „Muss es nicht offensichtlich und augenscheinlich heißen?“ „Ja“, er lacht „aber so kannst du es dir vielleicht besser merken: Plan deinen Tag realistischer, dann läufst du weniger der Uhr hinterher. Wart ihr Theologinnen und Theologen nicht die, bei denen die ‚Zeit erfüllt ist‘?“
Ich fühle mich ertappt. In der Bibel heißt es an mehreren Stellen, dass mit Jesus eine erfüllte (vgl. Mk 1,15 u.a.), eine gute Zeit angebrochen ist – damit die Menschen ein Leben in Fülle (vgl. Joh 10,10) haben. Sichtbar wird diese Botschaft bei mir persönlich aktuell leider nicht und momentan verbinden wohl die wenigsten sie mit der Kirche insgesamt.
Höchste Zeit also, die Botschaft noch mal freizulegen. Erfüllte Zeit meint nämlich nicht: ich erledige an einem einzigen Tag eine endlos lange To-Do-Liste. Es geht um die Qualität der Zeit. Es geht nicht um eine volle Zeit, im Sinn von vollen Tagen, sondern um erfüllte, gute Tage.
Ich habe das letzte Woche mal ausprobiert und für den nächsten Tag nur die drei wichtigsten Themen ausgewählt, die auf jeden Fall bearbeitet werden mussten. Der Tag ist dann für mich sehr erstaunlich verlaufen: am Nachmittag gegen 17 Uhr waren die drei Themen des Tages bearbeitet. Ich war so begeistert, dass ich gar nicht wusste, wohin mit mir. Ich habe dann noch zwei – drei kleine Sachen sozusagen im Voraus erledigt und abends war ich so motiviert, dass ich noch zum Sport im Wald war. Danach habe mich sehr zufrieden ins Bett gelegt.
Gut, ich gebe zu: geklappt hat das Ganze leider erst einmal. Aber: Übung macht den Meister. Vor allem hat es mich sehr an die Botschaft von der „erfüllten Zeit“ erinnert. Ich muss gute Zeit für mich, meinen Glauben und Zeit für und mit anderen Menschen nicht erst herbeiarbeiten. Sie ist schon da und so kann ich mich zwischendurch auch hinsetzen und beobachten, wie ein Marienkäfer auf mir landet und ein wenig auf mir herumspaziert. Erfüllte Zeit eben.
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Letztes Wochenende war ich bei meiner Freundin zum Grillen eingeladen. Zu meiner großen Freude gab es u.a. auch Schuhsohlen. Eine Kindheitserinnerung. Hackfleisch auf ein Brötchen geschmiert und dann gegrillt.
Im Gespräch frage ich sie, wo sie das Fleisch gekauft hat. „Auf einem Hof im Hochwald“ sagt sie. Die Rinderherde dort lebt das ganze Jahr über draußen. Das Besondere ist: ein Rind wird erst geschlachtet, wenn es sozusagen komplett verkauft ist. Und das bedeutet dann: Es gibt dort auf dem Hof nicht zu jeder Zeit Fleisch zu kaufen. Die Termine werden jeweils bekanntgegeben, je nachdem wie die Bestellungen eingegangen sind. Es können dann auch schon mal vier Wochen vergehen, bis das bestellte Fleisch abgeholt werden kann.
Mich hat das ordentlich zum Nachdenken gebracht. Im Supermarkt erlebe ich etwas ganz anderes: Dort ist Fleisch sechs Tage die Woche von mindestens 8 bis 20 Uhr verfügbar. Also fast immer. Und immer vorrätig. Was nicht gekauft wird, wird entsorgt.
Die Mentalität „immer alles hier, jetzt, sofort und alles so preiswert wie eben möglich“ – nervt mich. Schließlich geht es, gerade beim Thema Fleisch – um andere Lebewesen, um meine Mitgeschöpfe, mit denen ich sorgfältig umgehen soll.
Ich selbst esse nicht oft und auch nicht viel Fleisch, aber ab und an mag ich es sehr gern. Und dann ist es mir vor allem wichtig, dass ich es nicht nebenbei esse, achtlos. Sondern dass es etwas Besonderes ist und bleibt.
Klar: es ist eine Umstellung für mich. Schließlich bin ich es gewohnt, dass ich quasi jederzeit im Supermarkt Fleisch bekomme. Aber eigentlich muss ich nur meine allgegenwärtige Bequemlichkeit überwinden. Denn unterm Strich reicht es schon aus, wenn ich mir mal ein Plänchen mache, wie viel Fleisch ich in den kommenden Wochen etwa brauche. Das bestelle ich, friere es ein und habe dann einen Vorrat, an den ich jederzeit 7 Tage, 24 Stunden herankomme.
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Ich bereite eine Beerdigung vor und treffe mich dafür mit einer Angehörigen. Im Gespräch erzählt sie mir von ihrer Oma. Als Kind hat sie viel Zeit mit ihr verbracht. „Sie ist ein Herzensmensch für mich“ sagt sie, „meine Oma liebte Farne. Und weil ich sie so sehr vermisst habe, wollte ich mir im Frühjahr im Wald einen Farn ausgraben und in meinen Garten setzen.“ Aber dazu ist es nicht gekommen: Denn im Frühjahr entrollen sich plötzlich ganz von allein an einer Stelle im Garten die Blätter eines kleinen Farns. Die Verblüffung ist riesengroß.
Ich find die Geschichte genial. Die Frau ist sich aber wohl nicht so sicher, wie das auf mich wirkt und rechtfertigt sich: „Viele gucken mich schräg an bei der Geschichte. Sie müssen aber wissen, ich bin eigentlich ein sehr realistischer Mensch.“
Papperlapapp! Was gibt es da schräg zu gucken? Schließlich ist es Ausdruck ihrer Überzeugung, dass ihre geliebte Oma nicht einfach weg ist mit dem Tod. Es gibt weiterhin eine Verbindung und darüber hinaus glaubt sie: es gibt später ein Wiedersehen – wie immer das dann auch aussieht.
Zwar kann sie mit den Kirchen – katholisch wie evangelisch – nichts anfangen, aber sie glaubt, dass es einen Gott gibt und dass eben die Verbindung zu Menschen, die sterben, nicht einfach abreißt.
Es sind diese greifbaren Erinnerungen, die verbinden. Und die sind ganz individuell: was dem einen der Farn ist, sind für jemand anderes Tomaten, die der Vater gezüchtet oder die Linzer Torte, die die Tante gebacken hat.
Aus dem ersten Farn von damals ist ein stattliches Exemplar geworden. Und dieses hat sich ordentlich vermehrt. Inzwischen gibt es viele weitere im Garten. Große und Kleine. Sie vermehren sich teilweise so stark, dass die Enkelin inzwischen schon gesagt hat: „Oma, jetzt reichts aber mal.“ Ich muss schmunzeln, denn ich weiß ja, wie sehr sie sich über jedes einzelne Farnblatt freut.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=38059Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Nachdem ich meinen Keller ausgemistet habe, fahre ich mit einem vollbeladenen Auto zum Wertstoffhof. Ein Mitarbeiter nimmt sich meiner an, begutachtet das Sammelsurium in den Körben, Kisten und Eimern und ich überschütte ihn mit Fragen, wo was hinkommt.
Er hat auf alle Fragen eine eindeutige Antwort: Das dort hin, das da…usw. Und schwuppdiwupp ist das Auto wie von Zauberhand leer und alles hat seinen Platz gefunden. Toll!
Wenn das im Leben doch auch so einfach wäre wie auf dem Wertstoffhof. Zum Beispiel auf der Arbeit: Kollege A kommt in das Körbchen und Kollege B in das daneben. Vorne kommt ein Schild dran und fertig. Ich ertappe mich tatsächlich dabei, dass ich Menschen bisweilen vor- bzw. einsortiere. Ich versuche sie schematisch zu erfassen und mache vielleicht noch ein Etikett dran: mag ich / mag ich nicht / geht so.
Ein ganz klarer Fall: der Kollege, der mich offensichtlich nicht leiden kann und mir beim Gruppen-Mittagessen nicht in die Augen schaut.
Oft ist das ein Automatismus und auf den ersten Blick einfacher, aber gerecht werde ich einem Menschen damit nicht. Denn ich bin ja bisweilen schon mit meinen eigenen Themen und Fragen völlig ausgelastet, wie soll ich da erfassen, was mein Gegenüber alles geprägt hat und umtreibt.
Wie verletzend es sogar sein kann, wird besonders gut sichtbar daran, wie die katholische Kirche mit Liebesbeziehungen von Menschen umgegangen ist und teilweise umgeht: Nur wenn man verheiratet ist – und zwar ein Mann mit einer Frau – dann ist es im Sinne der Kirche. Die Verletzungen, die damit angerichtet wurden oder auch werden, sind gar nicht zählbar. Dabei ist Beziehung so viel mehr und so wunderbar vielfältig.
Je länger ich drüber nachdenke, umso mehr merke ich: klares und eindeutiges Sortieren eignet sich nur für Altöl, Wandfarbe und Elektrodinge. Für meine Themen, die mich umtreiben und Menschen, die mir begegnen, reichen ein paar Stahlkörbchen nicht aus. Dafür sind Menschen zu bunt und vielfältig und das Leben einfach zu schön.
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Freitags laufe ich nach dem Markt oft zu Fuß aus der Stadt nach Hause. Dabei suche ich gerne nach ungewohnten Blickwinkeln. Ich schaue dann bewusst mal weiter nach oben oder unten als sonst üblich. Ich suche nach ungewohnten Ein- und Ausblicken. Ich entdecke Häuser, die oben ganz entzückende Verzierungen haben oder wo oben gar kein Dach kommt. Dann bin ich schon total oft an einem Haus oder Garten vorbeigekommen und stelle fest: ich habe immer nur einen Teil gesehen.
Gut, ich mache sicher nicht die Entdeckung des Jahrhunderts. Oft bemerke ich nur eine Kleinigkeit. Aber es sind neue Eindrücke auf Wegen, die ich schon endlos oft beschritten habe und auf denen ich denke, da kenne ich eh schon alles; dort gibt es keine Überraschungen mehr. Überraschende Ansichten – quasi Wunder im Miniformat.
Das passende Großformat wäre die Erzählung von einem Wunder in der Bibel: Es gibt 2 Fische und 5 Brote und nachher sind 5.000 Leute satt. Wundersam – echt erstaunlich! Es geht dabei allerdings nicht darum: Wie hat das funktioniert und mit welchem Zaubertrick?
Sondern eher: Was hat sich für die betreffenden Personen verändert? Vermutlich die Sichtweise. Man hat sich in kleinen Gruppen zusammengesetzt, kommt ins Gespräch miteinander und womöglich hat dann der ein oder die andere doch noch eine Kleinigkeit zu Essen dabei. Man hat miteinander geteilt, eine gute Zeit miteinander verbracht und so waren nachher alle satt – im direkten und übertragenen Sinn.
Vielleicht ist es vor allem entscheidend, dass ich mich wundern will. Offen bin für neue Perspektiven. Wirklich traurig finde ich den Satz: „Also mich wundert gar nichts mehr!“
Dabei gibt es täglich so viel Wundersames: die Frau, die just in dem Moment des Weges kommt, als ich mich im Treppenhaus ausgesperrt habe oder der Regenwurm, der plötzlich im Hausflur auftaucht oder die Obstbaumblüten, die aus blauem Himmel auf mich niederregnen.
So Vieles, das ich jeden Tag wunderbar finde. Ich muss nur hinschauen.
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„Um überhaupt die Arbeitsleistung zu decken, müsste das Glas Honig eigentlich schon seit Jahren 20 Euro kosten. Das zahlt aber natürlich keiner.“ Das sagt der Sprecher eines Imkerverbandes.[1] Als Imkerin bin ich direkt daran hängengeblieben.
Ein stolzer Preis: 20 Euro für ein Glas Honig. Im Preis sind drin: die Kosten für das benötigte Material für die Bienen und den Honig. Aber vor allem bezieht sich der Preis auf die geleistete Arbeit des Imkers und der Imkerin: also die Pflege der Bienen, damit es ihnen möglichst gut geht. Hinzu kommt die Arbeit mit dem Honig. Ich habe es mal andersherum überschlagen: wenn das Glas 5 Euro kostet, beträgt der Stundenlohn etwa 2 Euro.
Was ist meine Arbeit wert? Eine Frage, die mit dem heutigen Tag, dem ersten Mai schon über ein Jahrhundert verbunden ist.
Arbeit ist wert-voll: sie fördert im besten Fall meine Kreativität und meine Talente. Ich bringe Talente ein, die mir aus christlicher Perspektive, von Gott geschenkt sind. Jeder und jede hat andere.
Arbeit lebt davon, dass sie wertgeschätzt wird: Die Arbeitsbedingungen müssen stimmen und jeder und jede braucht positive Rückmeldungen zur eigenen Arbeit – möchte mal gelobt werden.
Arbeit muss sich aber auch auszahlen: Sie muss sich rechnen. Ich muss damit mein Leben finanzieren können.
Ein unwahrscheinlich komplexes Thema. Für viele Menschen ist Arbeit kein Wunschkonzert. Und viele Formen von Arbeit finden unter menschenunwürdigen Bedingungen statt. Ich denke dabei immer an die Menschen – erschreckenderweise auch Kinder –, die in Minen Rohstoffe abbauen, die in meinem Handy und in Elektrobatterien verbaut werden. Aber auch hierzulande verdienen Menschen nicht genug Geld mit ihrer Arbeit, um davon leben zu können. Ich kenne eine Frau, die arbeitet im Pflegedienst, hilft in der freien Schicht im Friseursalon aus und geht am Wochenende noch putzen.
Es gibt eindeutig mehr Fragen als Antworten in diesem unübersichtlichen Thema. Da kommt mir der Feiertag gerade recht: eine kreative Auszeit, die auch Zeit bietet, darüber nachzudenken: Was ist meine Arbeit und die der anderen wert?
[1] Markus Lay, Sprecher des Imkerverbandes Saarland, vgl.: https://www.swr.de/swraktuell/rheinland-pfalz/honig-in-rlp-kritik-an-importen-100.html (Zugriff: 24.04.2023)
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