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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

24JAN2024
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„Ich war heute Morgen wieder in meiner Eistonne!“ Meine Freundin Jutta strahlt übers ganze Gesicht. Seit Kurzem hat sie in ihrem Garten ein Plastikfass mit Wasser stehen. Im Badeanzug stellt sie sich morgens ins Fass. „Es ist eiskalt, aber ich bin dann energiegeladen und heiter!“ Das Wort habe ich schon ewig nicht mehr gehört: heiter. Eigentlich taucht es nur noch im Wetterbericht auf: „heiter bis wolkig“.

Dabei bin ich gerne heiter. Ich fühle mich gut, wenn ich heiter bin.

Aber wie soll ich angesichts der weltpolitischen Lage und auch persönlicher Krisen und Verluste „heiter“ sein?

Eine Idee, dass es trotzdem gehen kann, bekomme ich beim Blick auf das Pressefoto des Jahres 2023 von UNICEF. Ein fünfjähriges Mädchen lernt mit ihren beiden Freundinnen Fahrrad fahren. Das Foto zeigt die drei Mädchen auf einer bunten Blumenwiese. Im Hintergrund steigt schwarzer Rauch von einem nächtlichen Drohnenangriff in der Westukraine auf. Die Kinder lassen sich davon nicht stören. Sicherlich haben sie auch Angst, fühlen sich unsicher und bedroht vom Krieg, aber sie lassen sich nicht lähmen. Sie tun Dinge, die man als Kind typischerweise tut: Sie spielen draußen, rennen und toben, lachen.

Für mich sind diese Kinder auch ein Vorbild. Wenn sie es im Kriegsgebiet schaffen, heitere Augenblicke zu erleben, dann kann ich mich nicht wehmütig in die Ecke stellen und nur noch klagen wie schlimm doch alles ist. Ich brauche Heiterkeit, um handlungsfähig zu bleiben oder auch zu werden. Dabei meint Heiterkeit keine Oberflächlichkeit.

Denn die schweren Themen bleiben trotzdem und sie müssen bestanden werden. So gilt es zum Beispiel hierzulande sich mit aller Energie gegen rechte Tendenzen in der Politik einzusetzen, damit unsere Demokratie keinen Schaden nimmt.

Das kostet Kraft und erfordert Mut. Damit ich das schaffe, brauche ich im Leben auch immer Momente, die leichter sind und mich heiter sein lassen.

Ich möchte mir die Fähigkeit bewahren, zu sehen: Es gibt mehr im Leben als die Dinge, die mir Angst machen und mich beunruhigen. Ich möchte das Leben in seiner ganzen Vielfalt sehen. Und da gibt es immer auch interessante, lustige kleine Anekdoten und auch drollige Mutproben und sei es das Eisbaden im Wasserfass.

Das Leben ist immer die Summe aus all dem. Zusammengefasst eigentlich wie im Wetterbericht: „heiter bis wolkig“.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

23JAN2024
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Königsberger Klopse klingen wie sie schmecken: nach schwerer Kost. Immanuel Kant hat die im Salzwasser gegarten Hackfleischbällchen wohl sehr gerne gegessen. Erstaunlich! Ich stelle mir den Philosophen, der vor 300 Jahren in Königsberg geboren wurde, eher sitzend und denkend vor. Da liegen die Klopse doch schwer im Magen.

Was mir allerdings weitaus schwerer im Magen liegt und mich auch gedanklich umtreibt, sind die aktuellen Nachrichten: Der Nahost-Krieg, der Angriffskrieg in der Ukraine und hierzulande der krasse Rechtsruck im politischen und gesellschaftlichen Bereich.

Ich hätte jedoch nicht gedacht, dass Kant bei meinem schlechten Bauchgefühl weiterhelfen kann. Aber tatsächlich bleibe ich an einem Fernsehbeitrag über ihn hängen.

Seine Überlegungen passen nämlich gut in die aktuelle Zeit. Erst vor einigen Tagen sagt jemand zu mir: „Mit meiner Meinung liege ich aber meistens richtig.“ Die Diskussion ist danach direkt zu Ende gewesen. Kant setzt dagegen das Motto: Benutze deinen eigenen Verstand! Ich soll kritisch denken, also Dinge überdenken, sie von allen Seiten betrachten und abwägen.

Für Kant bleibt es allerdings nicht beim Denken und Diskutieren. Das heißt: Ich bleibe nicht mit meiner schweren Kost im Bauch sitzen. Ich warte nicht einfach aufs Bäuerchen und klage in der Zwischenzeit vor mich hin. Das wäre laut Kant zu einfach: alles besser wissen und alles und jeden und jede kritisieren. Es geht darum, in Bewegung – ins Tun – zu kommen.

Das Ziel von Kant ist: mit Mut und Hoffnung auf die politischen und moralischen Ziele wie Demokratie und Rechtsstaat, Freiheit und Menschenwürde hinarbeiten. Darin finde ich mich mit meinem christlichen Glauben voll und ganz wieder.

Konkret denke ich da an meinen Freund Valentin. Er hat sich als Schöffe beworben. Er möchte sich aktiv für diesen freiheitlichen Rechtsstaat einbringen und die Demokratie stärken. Oder auch mein Nachbar, der in der Jugendarbeit aktiv ist. Er verbringt Zeit mit den Jugendlichen und versucht, die verschiedenen kulturellen Hintergründe miteinander in Kontakt zu bringen.

Schlichte Parolen, scheinbar einfache Lösungen waren nicht Kants Sache und sind auch heute nicht hilfreich. Sie führen nur in die Irre. Denn alle Themen sind heute komplex. Jeder und jede ist aufgerufen mitzudenken und nach Lösungen zu suchen: Auf geht’s! Das führt dann – trotz aller schweren Kost – zu einem guten Bauchgefühl

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

22JAN2024
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Der Januar ist bei mir immer allgemeiner Aufräummonat. Der Schreibtisch wird aufgeräumt, Dateien und Fotos sortiert, die Buchhaltung der Imkerei auf Vordermann gebracht. Ich bereite die Steuer vor und miste aus: was brauche ich noch, was nicht. Kurzum: ich schaffe Ordnung. Dabei fällt mir immer das Mantra meines Freunds Valentin ein: „Ordnung ist das halbe Leben!“

Valentin ist es dann auch, der mir im Keller beim Sortieren hilft. Natürlich kommt er dabei auch wieder auf seine Lieblingslosung. Zu meiner Überraschung hängt er aber eine Frage dran: „Wenn Ordnung das halbe Leben ist, was ist dann die andere Hälfte?“

Ich komme ins Überlegen.

Beim Aufräumen versuche ich die Welt zu ordnen – zumindest meine kleine Welt zuhause. Aber auch im größeren Stil gibt es Beispiele für Ordnung: etwa die 10 Gebote aus der Bibel. Sie bieten Struktur und Orientierung und vermitteln auch Sicherheit in einem moralischen Sinne – was ist richtig und was falsch.

Aber Ordnung ist nie absolut. Von Regeln gibt es immer auch Ausnahmen. Das hat Jesus zumindest so vorgelebt. Er steht voll und ganz in der Tradition der 10 Gebote und doch ärgert er sich über die, die nur die pure Regel befolgen, aber kein Herz oder Verständnis für andere zeigen. Für ihn war Vergebung ein wichtiges Thema (vgl. Joh 8,1-11).

Ordnung ist eben das halbe Leben, daneben ist Platz für das andere halbe Leben: Platz für verschiedene Lebenswege, Platz für alles Neue, das mir begegnet, Platz für Fehler, die ich mache.

Ich glaube: Manchmal kann ein Zuviel an Ordnung auch kontraproduktiv sein. Ein anschauliches Beispiel sind die so genannten Gärten des Grauens. Da werden Vorgärten mit dicker Folie abgedeckt, auf die dann noch eine dicke Steinschicht kommt. Quasi Ordnung in Reinform. Aber: Pustekuchen! Irgendwann schafft es ein Löwenzahn und kämpft sich durch. Wenn ich seine Blüte inmitten der Steinwüste sehe, möchte ich am liebsten Applaus klatschen.

Ja, es braucht Ordnung. Sie gibt mir Sicherheit und Orientierung. Aber es braucht auch Platz für verrückte Ideen, ich brauche Freiraum, um Sachen auszuprobieren. Erst beide Hälften zusammen bilden das Leben in seiner ganzen Vielfalt.

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Anstöße sonn- und feiertags

01NOV2023
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Mein Freund Peter legt sein Portemonnaie im Café neben seine Kaffeetasse. Als sich jemand an den Nachbartisch setzt, nimmt Peter das Portemonnaie weg und legt es auf die andere Seite zwischen uns. „Du glaubst, er wird es dir klauen?“, frage ich ihn. Peter schaut mich ertappt und zugleich verlegen an. „Entschuldige, ein Reflex von mir. Man weiß ja nie.“ Das erinnert mich an meine Oma. Sie sagte immer: „Alles Spitzbuben da draußen!“

Da wirkt das aktuelle Buch, das ich gerade lese wie eine Gegenoffensive. Der Autor Rutger Bregman[1] vertritt die revolutionäre These: die meisten Menschen sind im Grunde gut und sie handeln auch so. Er hat viel Unverständnis dafür geerntet: „Haben Sie sie noch alle? Sehen Sie denn keine Nachrichten?“

 

Und tatsächlich entsteht ja der Eindruck: eine einzige Tagesschau widerlegt seine These.

Aber Nachrichten beschäftigen sich nicht mit dem, was gut und normal läuft. Sie berichten von den schlimmen und außergewöhnlichen Dingen. Und je öfter ich davon höre, umso mehr halte ich diese Dinge für das normale.

Und so prägen sie womöglich mein Menschenbild, bis ich selbst irgendwann sage: „Ich kann niemanden mehr trauen!“

Das will ich aber nicht. Ich möchte nicht so ein enges und dunkles Menschenbild. Und der heutige Feiertag „Allerheiligen“ ist eine gute Gelegenheit für mich, darüber nachzudenken. An Allerheiligen wird daran erinnert: unzählige Menschen haben ein wirklich bemerkenswertes Leben gelebt oder tun das gerade, indem sie sich zum Beispiel mit all ihrer Energie für andere einsetzen. Neben den bekannten Persönlichkeiten wie Mutter Theresa oder Martin Luther King gibt es unzählige mehr, die nie bekannt werden. Ich denke da zum Beispiel an meine Freundin Maria-Elena: Ich finde es total irre, wie sie sich jeden Tag um die Kinder, die Familie, die Arbeit und den Haushalt kümmert und alles organisiert. Oder mein Freund Toni, der einfach ein Händchen dafür hat, meine wirren Gedanken auf den Punkt und zu einem Ziel zu bringen. Jede und jeder kennt solche Menschen. Es gibt sie überall und sie sind nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Ich glaube es lohnt sich für mich, die Welt stärker aus dieser Perspektive zu sehen.

[1] Rutger Bregman, Im Grunde gut, Eine neue Geschichte der Menschheit, Berlin 2022.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

31OKT2023
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Kuchenbacken in der Rente – das ist ein Projekt in München: Rentnerinnen und Rentner backen in einem Café auf 520€-Basis Kuchen. Das Team ist zwischen 60 und 90 Jahre alt. Die einen arbeiten mehr, die anderen weniger Stunden, je nach Lust, Zeit und Energie. Michael hat als Maschinenschlosser gearbeitet und backt dort jetzt mit Leidenschaft Möhrenkuchen. Und Helga erzählt beim Backen, dass sie einfach so froh ist, eine Aufgabe und soziale Kontakte zu haben.

Das kann ich mir für später auch gut vorstellen. Ich möchte etwas Sinnvolles tun und mich austauschen. Ich möchte immer auch neue Menschen kennenlernen. Und im Idealfall: ich möchte mit dem, was ich tue, anderen eine Freude machen.

Natürlich weiß ich nicht, wie lang ich selbstständig bleibe. Nur: wenn ich etwas tun kann, will ich auch etwas tun. Aber was möchte ich eigentlich Sinnvolles tun, wenn ich – sagen wir – 100 bin?

Ich habe die Frage kurzerhand an Freundinnen und Freunde geschickt und bin überrascht, wie sehr sich die allermeisten über diese Frage freuten. Fast so, als hätten sie darauf gewartet, dass sie ihnen jemand stellt.

Die Antworten sind bunt gemischt. Von „Lächeln verbreiten“ und „guten Kaffee trinken“, über „sitzen, wo es schön ist – gerne in Gärten oder sonst in der Natur“, bis hin zu „die eigenen Erfahrungen weitergeben“ und vor allem „sich austauschen“ oder auch – mit einem Augenzwinkern – einfach nur einen „Mojito mit einem Joint genießen“. Sehr oft heißt es, „ich möchte etwas für Kinder machen“.

Eine inspirierende kleine Umfrage. Sie lässt die unbekannte Zukunft irgendwie freundlicher erscheinen. Freundlicher, weil ich eine konkrete Idee habe, was ich machen möchte. Ich würde dann nämlich gerne für meine Freundin Sarah eine Linzer Torte backen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

30OKT2023
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„Ich kann es nicht leiden, wenn die Lage schöngeredet wird. Nach dem Motto: Ist alles gar nicht so schlimm. Beschönigung geht gar nicht!“ Diese heftige Reaktion meines Freunds Toni überrascht mich. Ich habe einen Zeitungsartikel mit der Überschrift „Keine Angst“[1] erwähnt. Darin will die Autorin – angesichts der vielen aktuellen Katastrophenmeldungen – daran erinnern: es gibt durchaus Dinge, die in Deutschland gut laufen. Zu mehr als Stichworten komme ich aber nicht, da fällt er mir ins Wort: „Was läuft denn bitte gut?“ Es folgt ein Kurzreferat mit dem Fazit: Es ist nicht nur nicht gut, es ist wirklich schlimm!

Irgendwie ist die Szene skurril: Während des Gesprächs sitzen wir in der überaus warmen Oktobersonne bei einem Eisbecher und ich arbeite mich gerade durch die Sahneschicht. Und wenn es mir dann heute Abend zuhause kühl wird, kann ich die Heizung anmachen oder ich kann sogar in die Badewanne gehen.

Darüber hinaus habe ich Arbeit. Und wenn ich vom Eisessen Zahnschmerzen habe, bekomme ich zeitnah einen Termin bei meinem Zahnarzt. Mir persönlich geht es also gut. Dafür bin ich dankbar.

Es ist keine Selbstverständlichkeit! Denn gerade beim Thema Heizung war letztes Jahr um diese Zeit nicht klar, wie der Winter werden wird und ob die Vorräte in den Gasspeichern reichen. Da sind wir dieses Jahr deutlich weiter.

Das ist keine Schönrederei. Es sind schwierige Zeiten momentan, da brauche ich nur die Nachrichten anzuschauen. Aber: Es ist nicht alles schwarz. Gerade und ganz besonders hier in Deutschland. Die aktuellen weltpolitischen Themen sind kompliziert. Es gibt keine einfachen Lösungen für sie. Klar ist jedoch: Ständig nur klagen und die schlechten Dinge sehen, bringt niemanden weiter, sondern verursacht Falten und Magengeschwüre. Und: Die großen Themen lösen wir nicht gegeneinander, sondern nur miteinander.

Mein Freund Toni wollte dann den Zeitungsartikel übrigens auch mal lesen. Als Reaktion bekomme ich eine Nachricht, in der er schreibt: „Ja, stimmt schon! Meine Heizung funktioniert.“ Dahinter setzt er ein Zwinkersmiley. „Und ja, eigentlich hast du ja recht. Es gibt nicht nur schwarz und weiß – dazwischen gibt es ganz viele andere Farben.“ Ich freue mich sehr über seine Nachricht: Wir bleiben miteinander im Gespräch. Da kann der nächste Eisbecher gerne kommen.

[1] Elisabeth von Thadden, Keine Angst, in: Die ZEIT, Ausgabe 42/2023, vom 5. Oktober 2023.

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Anstöße sonn- und feiertags

29OKT2023
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Mein Freund Valentin ist ein ausgesprochener Liebhaber der französischen Lebensart. Er liebt das savoir-vivre: die französische Lebenskunst. Und hier in Trier sind wir ja schon ganz nah dran. Besonders gut schmeckt ihm der wunderbare Café gourmand. Ein Nachtisch, bei dem ein Espresso mit verschiedenen Köstlichkeiten serviert wird: Ein Bällchen Eis, ein kleines Stück Tarte, eine Miniportion Crème Brûlée, ein Macaron oder ähnliche zauberhafte Kleinigkeiten.

Ich ziehe die Augenbraue hoch. „Kaffee und Eis zusammen? Das geht auf keinen Fall.“ „Wieso nicht?,“ fragt er. „Na, weil dann entweder das Eis schmilzt oder der Kaffee nicht mehr warm genug ist.“

Er lacht mich an: „Und ich finde es toll, mir mal einfach nicht so viele Gedanken zu machen, sondern die Fülle zu genießen.“ Das klingt so schön: „Die Fülle genießen.“ Aber wie mache ich das?

Valentin meint: „Ich freue mich einfach über den wunderbaren Anblick vor mir auf dem Teller, den jemand so herzallerliebst für mich hergerichtet hat. Ich denke nicht nach, sondern lege einfach los: ein Löffel hier, ein Schluck da. Ich nehme die unterschiedlichen Geschmacksnoten, Düfte und Aromen wahr und finde sie wunderbar.“

Gut, ausprobieren könnte ich es mal: Kopf ausschalten, nicht nachdenken, einfach genießen. Wenn das Eis schmilzt: Na und? Vermutlich ist es trotzdem lecker.

Und ein Sonntag drängt sich für ein solches Experiment ja förmlich auf. Sonntag – ein Tag, an dem ich einfach mal „sein darf. Ich muss nichts, sondern ich bin einfach mal da. Schließlich könnte die Vorlage nicht größer sein: nach der biblischen bildhaften Vorstellung wie Gott die Welt geschaffen hat, ruhte er am siebten Tag. Ich bin also am Sonntag in idealer Gesellschaft beim Sein und Genießen– Füße hoch, einfach in der Gegend rumgucken und womöglich einen Café gourmand genießen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

29JUL2023
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Ich quengele meinem Freund die Ohren voll: „Mein Tag hat zu wenig Stunden. Ich komm einfach nicht rund mit meinen Aufgaben!“ Der Freund verdreht die Augen. Er kennt dieses Thema bei mir. „Merk es dir: Der Tag hat offenscheinlich 24 Stunden und augensichtlich legst du zu viele Aufgaben in deinen Tag.“ Ich bin irritiert: „Muss es nicht offensichtlich und augenscheinlich heißen?“ „Ja“, er lacht „aber so kannst du es dir vielleicht besser merken: Plan deinen Tag realistischer, dann läufst du weniger der Uhr hinterher. Wart ihr Theologinnen und Theologen nicht die, bei denen die ‚Zeit erfüllt ist‘?“

Ich fühle mich ertappt. In der Bibel heißt es an mehreren Stellen, dass mit Jesus eine erfüllte (vgl. Mk 1,15 u.a.), eine gute Zeit angebrochen ist – damit die Menschen ein Leben in Fülle (vgl. Joh 10,10) haben. Sichtbar wird diese Botschaft bei mir persönlich aktuell leider nicht und momentan verbinden wohl die wenigsten sie mit der Kirche insgesamt.

Höchste Zeit also, die Botschaft noch mal freizulegen. Erfüllte Zeit meint nämlich nicht: ich erledige an einem einzigen Tag eine endlos lange To-Do-Liste. Es geht um die Qualität der Zeit. Es geht nicht um eine volle Zeit, im Sinn von vollen Tagen, sondern um erfüllte, gute Tage.

Ich habe das letzte Woche mal ausprobiert und für den nächsten Tag nur die drei wichtigsten Themen ausgewählt, die auf jeden Fall bearbeitet werden mussten. Der Tag ist dann für mich sehr erstaunlich verlaufen: am Nachmittag gegen 17 Uhr waren die drei Themen des Tages bearbeitet. Ich war so begeistert, dass ich gar nicht wusste, wohin mit mir. Ich habe dann noch zwei – drei kleine Sachen sozusagen im Voraus erledigt und abends war ich so motiviert, dass ich noch zum Sport im Wald war. Danach habe mich sehr zufrieden ins Bett gelegt.

Gut, ich gebe zu: geklappt hat das Ganze leider erst einmal. Aber: Übung macht den Meister. Vor allem hat es mich sehr an die Botschaft von der „erfüllten Zeit“ erinnert. Ich muss gute Zeit für mich, meinen Glauben und Zeit für und mit anderen Menschen nicht erst herbeiarbeiten. Sie ist schon da und so kann ich mich zwischendurch auch hinsetzen und beobachten, wie ein Marienkäfer auf mir landet und ein wenig auf mir herumspaziert. Erfüllte Zeit eben.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

28JUL2023
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Letztes Wochenende war ich bei meiner Freundin zum Grillen eingeladen. Zu meiner großen Freude gab es u.a. auch Schuhsohlen. Eine Kindheitserinnerung. Hackfleisch auf ein Brötchen geschmiert und dann gegrillt.

Im Gespräch frage ich sie, wo sie das Fleisch gekauft hat. „Auf einem Hof im Hochwald“ sagt sie. Die Rinderherde dort lebt das ganze Jahr über draußen. Das Besondere ist: ein Rind wird erst geschlachtet, wenn es sozusagen komplett verkauft ist. Und das bedeutet dann: Es gibt dort auf dem Hof nicht zu jeder Zeit Fleisch zu kaufen. Die Termine werden jeweils bekanntgegeben, je nachdem wie die Bestellungen eingegangen sind. Es können dann auch schon mal vier Wochen vergehen, bis das bestellte Fleisch abgeholt werden kann.

Mich hat das ordentlich zum Nachdenken gebracht. Im Supermarkt erlebe ich etwas ganz anderes: Dort ist Fleisch sechs Tage die Woche von mindestens 8 bis 20 Uhr verfügbar. Also fast immer. Und immer vorrätig. Was nicht gekauft wird, wird entsorgt.

Die Mentalität „immer alles hier, jetzt, sofort und alles so preiswert wie eben möglich“ – nervt mich. Schließlich geht es, gerade beim Thema Fleisch – um andere Lebewesen, um meine Mitgeschöpfe, mit denen ich sorgfältig umgehen soll.

Ich selbst esse nicht oft und auch nicht viel Fleisch, aber ab und an mag ich es sehr gern. Und dann ist es mir vor allem wichtig, dass ich es nicht nebenbei esse, achtlos. Sondern dass es etwas Besonderes ist und bleibt.

Klar: es ist eine Umstellung für mich. Schließlich bin ich es gewohnt, dass ich quasi jederzeit im Supermarkt Fleisch bekomme. Aber eigentlich muss ich nur meine allgegenwärtige Bequemlichkeit überwinden. Denn unterm Strich reicht es schon aus, wenn ich mir mal ein Plänchen mache, wie viel Fleisch ich in den kommenden Wochen etwa brauche. Das bestelle ich, friere es ein und habe dann einen Vorrat, an den ich jederzeit 7 Tage, 24 Stunden herankomme.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

27JUL2023
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Ich bereite eine Beerdigung vor und treffe mich dafür mit einer Angehörigen. Im Gespräch erzählt sie mir von ihrer Oma. Als Kind hat sie viel Zeit mit ihr verbracht. „Sie ist ein Herzensmensch für mich“ sagt sie, „meine Oma liebte Farne. Und weil ich sie so sehr vermisst habe, wollte ich mir im Frühjahr im Wald einen Farn ausgraben und in meinen Garten setzen.“ Aber dazu ist es nicht gekommen: Denn im Frühjahr entrollen sich plötzlich ganz von allein an einer Stelle im Garten die Blätter eines kleinen Farns. Die Verblüffung ist riesengroß.

Ich find die Geschichte genial. Die Frau ist sich aber wohl nicht so sicher, wie das auf mich wirkt und rechtfertigt sich: „Viele gucken mich schräg an bei der Geschichte. Sie müssen aber wissen, ich bin eigentlich ein sehr realistischer Mensch.“ 

Papperlapapp! Was gibt es da schräg zu gucken? Schließlich ist es Ausdruck ihrer Überzeugung, dass ihre geliebte Oma nicht einfach weg ist mit dem Tod. Es gibt weiterhin eine Verbindung und darüber hinaus glaubt sie: es gibt später ein Wiedersehen – wie immer das dann auch aussieht.

Zwar kann sie mit den Kirchen – katholisch wie evangelisch – nichts anfangen, aber sie glaubt, dass es einen Gott gibt und dass eben die Verbindung zu Menschen, die sterben, nicht einfach abreißt.

Es sind diese greifbaren Erinnerungen, die verbinden. Und die sind ganz individuell: was dem einen der Farn ist, sind für jemand anderes Tomaten, die der Vater gezüchtet oder die Linzer Torte, die die Tante gebacken hat.

Aus dem ersten Farn von damals ist ein stattliches Exemplar geworden. Und dieses hat sich ordentlich vermehrt. Inzwischen gibt es viele weitere im Garten. Große und Kleine. Sie vermehren sich teilweise so stark, dass die Enkelin inzwischen schon gesagt hat: „Oma, jetzt reichts aber mal.“ Ich muss schmunzeln, denn ich weiß ja, wie sehr sie sich über jedes einzelne Farnblatt freut.

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