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SWR4 Sonntagsgedanken

18FEB2024
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Wie komme ich aus der Einsamkeit heraus? Ich kann mir vorstellen, dass dies für manche von uns eine wichtige Frage ist. Wie kann ich meiner Vereinsamung entgehen?

Von Untersuchungen weiß ich, dass sich nicht wenige manchmal einsam fühlen. So dieses Gefühl, niemand ist für mich da. Keiner kümmert sich um mich. Ich fühle mich ausgeschlossen. Bin traurig. Fühle mich manchmal auch leer. Manche einsamen Menschen ziehen sich zurück – auch weil sie sich ein bisschen schämen, nicht so viele soziale Kontakte zu haben. Vielleicht schlafen sie auch schlecht ein. Oder sie haben heute Morgen ganz allein gefrühstückt und hätten sich doch so gerne dabei mit jemandem unterhalten.

Mein Vater lebt seit ein paar Monaten im betreuten Wohnen. Er ist 87 Jahre alt und nicht mehr so gut zu Fuß. In dem Haus gibt es 35 weitere Parteien. Es gibt eine Mensa, in der man frühstücken oder Mittagessen kann. Und manchmal bietet eine Sozialarbeiterin gemeinsame Aktivitäten an.

Meine beiden Brüder und ich kümmern uns um ihn, so gut es geht. Mindestens einmal pro Woche ist jemand von uns bei ihm. Wir sind alle noch voll berufstätig. Und dennoch fühlt er sich öfters nicht nur allein, sondern auch einsam.

Einsamkeit ist ein Phänomen, das sich durch alle Generationen zieht, das nicht nur die älteren Menschen betrifft. Interessanterweise ziemlich stark auch die Generation Z, die zwischen 1997 und 2012 Geborenen. Die sind voll digital vernetzt. Aber Homeoffice und soziale Isolation setzen ihnen ziemlich zu.

Der Rückzug in die Einsamkeit, um besser nachdenken zu können oder um zur Ruhe zu kommen, ist etwas anderes. Als ich in einer Lebenskrise war, habe ich einmal 14 stille Tage gemacht. Da fühlte ich mich auch manchmal allein. Aber es ist ein Unterschied, ob ich freiwillig oder unfreiwillig allein bin. Das Unfreiwillige macht einsam.

Wie komme ich aber nun aus der Einsamkeit heraus?

Die Malteser haben auf ihrer Internetseite 10 Tipps gegen Einsamkeit im Alter aufgeschrieben. Da gehört unter anderem sportliche Bewegung dazu. Man kann ein Hobby pflegen. Manchen hilft ein Haustier. Einige suchen sich ein sinnvolles Ehrenamt. Es gibt Leute, die ziehen in Mehrgenerationenhäuser. Nicht Wenige suchen bewusst den Kontakt zu anderen Menschen und bauen sich so ein Beziehungsnetzwerk auf. Persönlich bewundere ich die Menschen, die sich auch im Alter noch auf neue Techniken wie Laptops, Smartphones und Tablets einlassen.

Mir selber hat ein Tipp von Jesus geholfen, der mir deutlich macht, dass ich nicht allein bin.  Der zog sich nämlich immer wieder in die Einsamkeit zurück, um zu beten. (Lukas 5,16)

Wenn ich mir zu Hause meine Gebetszeiten nehme, dann setze ich mich an meinen Esszimmertisch. Ich mache mir bewusst, dass Jesus mir am Tisch gegenübersitzt. So wie er es am Ende des Matthäusevangeliums versprochen hat: „Und siehe, ich bin bei euch alle Tage bis ans Ende der Welt“. Warum sollte das nicht auch bei mir zu Hause gelten? Um mir das besser vorstellen zu können, stelle ich mir zwei Gläser mit Wasser auf den Tisch. Eins für mich und eins für Jesus. Auch weil Jesus gesagt hat, dass er das Wasser des Lebens gibt (Johannes 4,14). Und dann zünde ich mir eine Kerze an. Nicht, weil das in der Kirche so üblich ist. Sondern weil Jesus gesagt hat, dass er das Licht der Welt ist. (Johannes 8,12)

Ich erhoffe mir – und erlebe das auch – dass Jesus mir bei unseren Gesprächen immer wieder ein Licht aufgehen lässt. Denn er sagte ja auch, dass wir, die wir ihm nachfolgen, das Licht der Welt sind. (Matthäus 5,14). Bei diesen Gesprächen mit Jesus sagt er mir oft zu, dass er bei mir ist und dass er mich liebhat. Beides, sein Nahesein und seine Liebe sind schonmal eine wichtige Grundlage, mich nicht einsam zu fühlen.

Aber klar, diese geistig-geistliche Nähe reicht nicht. Mir nicht und vielen von uns vermutlich auch nicht. Wir brauchen auch menschliche Nähe – so oder so ähnlich, wie die Malteser das beschrieben haben.

Wenn ich eines in meiner Lebenskrise gelernt habe, dann dass ich die einzige Person bin, die ich wirklich ändern kann. Ich kann nicht darauf warten, dass jemand kommt und sich um mich kümmert. Ich muss auch auf andere zugehen.

Mein Vater kam jetzt auf die Idee, in seinem betreuten Wohnen regelmäßig einen Spielenachmittag anzubieten. Oder er will eine Physiotherapeutin engagieren, die einmal in der Woche mit den Leuten dort Tischgymnastik macht. Das finde ich gut. Ich muss mich aus meinen vier Wänden herausbegeben und andere Menschen aufsuchen.

Um aus der Einsamkeit herauszukommen, finde ich diese beiden Pole am hilfreichsten: Immer wieder die Nähe anderer Menschen zu suchen und sich immer wieder der Nähe Jesu zu vergewissern. Fangen Sie doch heute einfach mal damit an! Vielleicht rufen Sie einen Menschen an, mit dem Sie schon länger nicht mehr gesprochen haben. Oder Sie laden sich Besuch ein oder machen einen. Das wäre doch schon mal ein Anfang, oder?

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SWR4 Sonntagsgedanken

01OKT2023
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Wie fühlt sich das eigentlich an, alt zu werden?
Als Kind fand ich meinen Opa mit Anfang sechzig alt. Ich mochte meinen Opa. Er zeigte mir viele tolle Dinge. Eine Dampflok, die Güterwaggons zog und weißen Rauch ausstieß. Den riesigen Ladekran, für den er als Ingenieur im Weserhafen verantwortlich war. Aber auch wie man Haferflocken mit Himbeersirup isst oder wie man Kartoffeln pflanzt.

Heute bin ich selber in dem Alter, fühle mich aber noch nicht so alt, wie mein Opa damals war. Früher war man alt, wenn man in Rente ging. Heute gehöre ich zu den mobilen Jungsenioren.

Alt finde ich meinen Vater, mit inzwischen sechsundachtzig Jahren. Ich erlebe ihn durchaus als wach, wenn ich mit ihm rede. Er verfolgt nach wie vor das Zeitgeschehen und nimmt auch dazu Stellung. Seine Sicht teile ich oft nicht - aber das macht nichts. Ändern kann und will ich ihn nicht mehr. Streit lohnt sich nicht. Er war schon immer sehr meinungsstark. Warum soll ich uns noch die letzte gemeinsam verbleibende Zeit verderben?

Ich habe Hochachtung vor Männern im Alter meines Vaters, die sich auf’s Fahrrad schwingen und die Schwäbische Alb überqueren. Oder Frauen im gleichen Alter, die mir erklären können, was Künstliche Intelligenz ist und die schonmal ausprobiert haben, Texte am Computer mit ChatGPT zu schreiben.

Doch ein komisches Gefühl beschleicht mich, wenn ich Menschen erlebe, die ihre Jugendlichkeit bis ins hohe Alter kultivieren. Ich frage mich dann manchmal, ob sie ihr eigene Endlichkeit so weit wie möglich hinaus zögern wollen. So als ob sie das Sterben ignorieren möchten.

Dabei betet Mose in Psalm 90: Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, damit wir klug werden. Wie also kann ich würdevoll alt werden? Und zwar so, dass das eigene Sterben dabei einbezogen wird.

Wie kann ich in Würde alt werden?
In der Bibel sagt ein Freund zu Hiob, der ein schweres Schicksal ertragen musste: Die Betagten sind nicht die Weisesten, und die Alten verstehen nicht, was das Rechte ist. (Hiob 32,9)

B‘ff , harter Tobak! Wenn man dem Glauben schenken will, dann macht Alt-Werden also nicht unbedingt klug. Aber dann ergänzt der Freund: Wahrlich, es ist der Geist im Menschen und der Odem des Allmächtigen, der sie verständig macht.

Vielleicht hilft es wirklich zum würdevollen und klugen Altwerden, irgendwie in Beziehung zu Gott und seinem Geist zu sein.

Mein Vater hat mir vor ein paar Jahren einen Brief geschrieben und das „Gebet einer Äbtissin“ beigelegt. Er bezog dieses Gebet auf sich selbst. Darin schimmert diese Beziehung zu Gott sehr unaufgeregt durch, sodass etwas davon spürbar wird, wie diese Würde im Alter aussehen kann.

„Herr, du weißt, dass ich altere und bald alt sein werde.“ schreibt die Äbtissin „Bewahre mich davor, schwatzhaft zu werden, und besonders vor der fatalen Gewohnheit, bei jeder Gelegenheit und über jedes Thema mitreden zu wollen. Befreie mich von der Einbildung, ich müsse anderer Leute Angelegenheiten in Ordnung bringen. Bei meinem ungeheuren Schatz an Erfahrungen und Weisheit ist’s freilich ein Jammer, nicht jedermann daran teilnehmen zu lassen.

Du weißt, Herr, am Ende brauche ich ein paar Freunde. Ich wage nicht, dich um die Fähigkeit zu bitten, die Klagen meiner Mitmenschen über ihre Leiden mit nie versagender Teilnahme anzuhören. Hilf mir nur, sie mit Geduld zu ertragen, und versiegle meinen Mund, wenn es sich um meine eigenen Kümmernisse und Gebrechen handelt. Sie nehmen zu mit den Jahren, und meine Neigung, sie aufzuzählen, wächst mit ihnen.

Ich will dich auch nicht um ein besseres Gedächtnis bitten, nur um etwas mehr Demut und weniger Selbstsicherheit, wenn meine Erinnerung nicht mehr mit der anderer übereinstimmt. Schenke mir die wichtige Einsicht, dass ich mich gelegentlich irren kann.

Hilf mir, einigermaßen milde zu bleiben. Ich habe nicht den Ehrgeiz, eine Heilige zu werden. Mit manchen von ihnen ist es so schwer auszukommen. Aber ein scharfes altes Weib ist eins der Meisterwerke des Teufels.

Mache mich teilnehmend, aber nicht sentimental, hilfsbereit, aber nicht aufdringlich. Gewähre mir, dass ich Gutes finde, wo ich es nicht vermutet habe, und Talente bei Leuten, denen ich es nicht zugetraut hätte. Und schenke mir, Herr, die Liebenswürdigkeit, es ihnen zu sagen. Amen“

Ich finde, die Beterin geht sehr nachsichtig mit sich selbst und ihren Schwächen um. Zugleich wünscht sie sich so eine gelassene Altersmilde mit anderen.

Ich hoffe und wünsche mit für mich selbst, dass ich ähnlich in Verbindung mit Gott bleiben kann, damit ich auch mit einer solchen Haltung alt werden kann. Denn das finde ich würdevoll.

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SWR4 Sonntagsgedanken

25JUN2023
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„Kopf hoch, Junge! Das wird schon! Lass erstmal Gras über die Sache wachsen. Zeit heilt alle Wunden.“

Haben Sie sie auch schon mal gehört, solche Sprüche? Und irgendwie das Gefühl gehabt, die helfen nicht wirklich weiter?

Was ist, wenn Zeit eben nicht alle Wunden heilt? Wenn da noch Narben sind? Narben, die allzu leicht wieder aufbrechen können und dann wieder bluten. Wenn die Verletzung noch zu nahe geht. Auch wenn das Ereignis schon lange her ist?

Das Sprücheklopfen fängt dann an, wenn einem nichts mehr einfällt. Wenn die Situation mir so die Sprache verschlägt, dass ich nichts Gescheites mehr zu sagen weiß. Dann krame ich die altgedienten Sprüche hervor und werfe sie dem anderen an den Kopf: „So lange du deine Beine unter meinen Tisch stellst, machst du, was ich sage.“ Hilft auch nichts. Die Angesprochene bleibt bockig.

Aber nicht alle Sprüche sind ein Ausdruck von Sprachlosigkeit. Es gibt auch Sprüche, die einen durch Schwierigkeiten begleiten und die tragen. Die anregen und auffordern, die ermutigen und unterscheiden helfen, die immer wieder ein Ziel vor Augen stellen und helfen mein Verhalten zu fokussieren.

Ein solcher Spruch ist zum Beispiel der Gelassenheitsspruch der 12-Schritte-Gruppen, wie z.B. die Anonymen Alkoholiker:

Gott gebe mir die Gelassenheit,
Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Der Spruch wird Friedrich Christoph Oetinger zugeschrieben, einem Pfarrer, der im 18. Jahrhundert in Württemberg gewirkt hat. Der hat sicher nicht geahnt, dass sich zweieinhalb Jahrhunderte später suchtgefährdete Menschen jeden Tag diesen Spruch vor Augen führen und versuchen, danach zu leben .

Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass Gott dabei mit im Spiel ist . Gott gebe mir, so beginnt dieser Spruch. Gott ist ein Meister der guten Sprüche. In der Bibel gibt es ein ganzes Buch davon: Die Sprüche im Alten Testament. Manche davon sind in unsere Alltagssprache eingegangen:
Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein ist zum Beispiel so einer (Sprüche 26,27)
Oder Hochmut kommt vor dem Fall. (Sprüche 16,18) oder
Der Mensch denkt und Gott lenkt! (Sprüche 16,9)
Wir sehen: Sprüche müssen nicht immer nur leicht daher gesagt sein. Manche Sprüche sind sehr tiefgründig und haben sich über Generationen bewahrheitet.

Welcher Spruch hat in Ihrem Leben eine gute Bedeutung gewonnen?
Ich habe neben meinem Schreibtisch eine halbe Wand voll mit postkartengroßen Sprüchen, die mir in meinem Leben wichtig geworden sind. Der, der mich ein halbes Leben lang begleitet hat, steht gar nicht da. Vielleicht, weil ich ihn auswendig kann:

Gott liebt uns nicht, weil wir so wertvoll sind, sondern wir sind so wertvoll, weil Gott uns liebt. Er stammt von Helmut Thielicke, einem Theologieprofessor, der 1986 gestorben ist.

Vier Jahre vorher habe ich mit Studieren angefangen und Thielickes Denken hat mich ziemlich stark geprägt. Obwohl ich ihn nie live gehört habe.

Diese Gewissheit „ich bin geliebt von Gott“ ist ein Grundgefühl, dass ich seit meiner Pubertätszeit kenne. Und sie hat mich durch so manche Phase der Selbstzweifel getragen. Ich wusste: Obwohl ich fehlerhaft und unvollkommen bin, bin ich geliebt und wertvoll in Gottes Augen.

Woher ich das weiß?
Zum einen durch den bekanntesten Spruch des Neuen Testaments:
So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzig geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden. (Johannes 3,16).

Wenn Gott die Welt liebt, dann liebt er auch mich und jeden Menschen, der jemals auf dieser Welt gelebt hat.

Und zum anderen weiß ich das, weil ich es immer wieder von ihm höre. Im Gebet, wenn ich stillschweige und mich in die Gegenwart Jesu begebe. So wie Henry Nouwens Spruch an meiner Wand das sagt: „Beten schafft Raum für die Stimme Gottes, die dir sagt, dass du geliebt bist“. Diese Erfahrung kenne ich. Aber ich mache sie nur, wenn ich mich Jesus im Gebet aussetze. Wenn im Gebet nur ich rede, höre ich ihn nicht. Wenn ich mich ihm aber still hinhalte und warte, bis er was sagt, dann höre ich ab und zu solche leisen Sätze der Zuneigung und Wertschätzung Gottes zu mir. Und das stärkt mein Selbstwertgefühl unglaublich. Und es macht mich unabhängiger von Beifall oder Ablehnung anderer Menschen.

Vielleicht habe ich ihnen Lust gemacht, sich auch solch eine Sammlung wertvoller Sprüche zuzulegen. Mit Sprüchen, die ihnen guttun und die sie Gott spüren lassen Dann  können Ihnen die dummen Sprücheklopfer nicht mehr so viel anhaben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=37914
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SWR4 Sonntagsgedanken

05FEB2023
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Versöhnung tut gut. Das ist eine Erfahrung, die schon viele gemacht haben . Wenn ich mich in meinem Leben versöhnt habe, dann hat das meistens positive Folgen für meinen Gemütshaushalt gehabt. Ich bin gelassener und ruhiger geworden. In mein Herz ist sowas wie Friede eingekehrt. Der Groll und die Wut sind nach und nach verschwunden. Ich habe einen neuen Blick nach vorne bekommen.

Soziologen und Psychologen sagen uns, dass Versöhnung soziale Bindungen bekräftigen oder erhalten. Manchmal erneuern sie sie auch. Und - Versöhnung dämmt die Gewalt ein. Die Gewalt, die in meinen Gedanken beginnt, in meinen Worten ihren Ausdruck findet und manchmal auch zur Tat wird.

Medizinische Studien haben festgestellt, dass Versöhnung sogar den Blutdruck senken kann. Entzündungen heilen schneller. Schmerzen verschwinden eher. Das Risiko für Herz-Kreislauf-Erkrankungen wird geringer.

Viele wissen das alles. Und doch schaffen sie die Versöhnung nicht. Meistens, weil einer von zwei Kontrahenten nicht will. Manchmal wollen auch beide nicht. Dann wird es doppelt schwer.

Woher kommt es, dass Menschen sich gegen Versöhnung sperren?
Ich denke, es hat damit zu tun, dass sie sich im Recht fühlen. Sie fühlen sich ausgenutzt und hintergangen, übers Ohr gehauen, im Stich gelassen. Sie sehen den Vorteil der Versöhnung nicht. Einer, der mit sowas Erfahrung hat, ist der biblische Stammvater Jakob. Dessen kirchlicher Gedenktag ist heute. Sowohl katholischer- als auch evangelischerseits.

Jakob ist der, der seinem Bruder Esau mit einem Linsengericht das Erstgeburtsrecht abgeluchst hat. Durch Täuschung hat er den Segen von seinem Vater Isaak bekommen. Und dieser Segen machte ihn zum Herrn über seine Brüder. Als Esau den Betrug merkt, haut Jakob ab. Weit weg. Zum Bruder seiner Mutter. Über 1000 Kilometer entfernt, so dass ein breiter Fluss und ein großes Gebirge zwischen Ihnen lagen. Manche bringen weite Distanzen zwischen sich, nur, um dem Gegner nicht begegnen zu müssen. Wie soll da Versöhnung funktionieren?


Heute ist der Gedenktag für den biblischen Stammvater Jakob. Der hat gleich zweimal erlebt, wie Versöhnung funktioniert. Einmal mit seinem Bruder Esau, und davor schon mit Laban, dem Bruder seiner Mutter, zu dem er vor Esau geflohen war. Für Laban hat er zwanzig Jahre lang gearbeitet und dabei sowohl dessen als auch sein eigenes Vermögen kräftig vermehrt. Mit Gottes Hilfe, betont die Bibel an dieser Stelle. Ohne Gott wäre auch bei der Versöhnung wahrscheinlich manches schief gelaufen.

Jakob haut nämlich auch bei Laban ab – still und heimlich bei Nacht – und nimmt gleich sein ganzes Eigentum mit, seine vier Frauen, zwei davon Labans Töchter, sowie seine mindestens 12 Kinder. Labans Enkel. Laban sagt, er hätte sich wenigstens gerne verabschieden können. Eigentlich hat er gewollt, dass Jakob und seine ganze family bei ihm bleibt. 3 Tage später jagt er mit seinen Männern Jakob hinterher, um sie wieder zurückzuholen. Und er erwischt sie auch. Mitten im Gebirge.

Ganz schön kompliziert das Ganze. Wer das mal nachlesen will, im ersten Buch Mose, Kapitel 27-33, steht das alles aufgeschrieben. Es ist sogar noch komplizierter als ich es hier in der Kurzfassung erzählt habe.

Aber so ist das oft mit Versöhnungen. Sie sind kompliziert.
Gut, dass Gott hier eingreift. Er redet mit Jakob, dass er wieder nach Hause in seine Heimat ziehen kann. Und er erscheint seinem Onkel Laban in einem Traum und sagt ihm, dass er nur ja freundlich zu Jakob sein soll. Vor der Versöhnung mit seinem Bruder Esau kämpft Gott sogar mit Jakob und segnet ihn dann.

Auch Schlitzohren wie Jakob müssen sich manchmal zur Versöhnung durchringen, bis sie die inneren Barrieren überwunden haben. Und Gott hilft ihnen dabei. Indem er redet. Indem er Träume schickt. Manchmal auch einen Engel. Worauf es ankommt, ist, auf solche Impulse zu achten. Vielleicht hat Gott sie mir ja schon gegeben und ich habe sie nur überhört oder übersehen. Aber Gott ist ein Gott der Befreiung und ein Gott der zweiten Chance. Er möchte gerne, dass wir innerlich frei werden von Bitterkeit und angestautem Zorn. Er möchte gerne, dass wir wieder den Blick frei kriegen für was Neues, für Hoffnungsvolles, das uns die Lebensfreude zurückgibt. Er möchte gerne, dass wir in unsere Heimat zurückkehren können. In die äußere und innere Heimat.

Eine Beobachtung finde ich interessant bei beiden Versöhnungen. Sowohl bei Jakob und Laban, als auch bei Jakob und Esau. Sie versöhnen sich. Und hinterher gehen sie getrennte Wege. Sie wissen, jetzt ist alles gut. Der Friede ist eingekehrt. Aber sie müssen sich hinterher nicht auf dem Schoß sitzen. Etwas Abstand tut da doch gut. Ich finde das menschlich und realistisch. Und vielleicht ist das ja auch ein Lösungsansatz für alle, die sich scheuen, den ersten Schritt zur Versöhnung zu gehen . Man kann sich versöhnen, aber man muss nicht beieinander bleiben.

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SWR4 Sonntagsgedanken

02OKT2022
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An Schutzengel glauben in Deutschland mehr Leute als an Gott. Das hat eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Forsa ergeben.

Heute ist Schutzengelfest. Papst Clemens der Zehnte hat das 1670 auf den 2. Oktober festgelegt. Ein katholisches Fest. Als Freikirchler bin ich gespannt, was es mir zu sagen hat. Denn auch ich habe, als meine Söhne noch klein waren, abends oft mit ihnen dafür gebetet, dass Gott seine Engel um ihr Bett aufstellt.

Den Glauben an Engel gibt es in allen Konfessionen und darüber hinaus im Judentum und Islam.
Der Glaube an Schutzengel entspricht unserer Sehnsucht nach Sicherheit und Fürsorge. Und wer wollte uns das verdenken – in Zeiten des relativ nahen Ukrainekrieges, der beginnenden Teuerung und der bedrohlichen Klimakrise?

Der Glaube an Schutzengel ist schon in der Bibel angelegt. Als eine Begründung wird das Jesuswort aus dem Matthäusevangelium angeführt: »Hütet euch davor, einen dieser kleinen, unbedeutenden Menschen überheblich zu behandeln. Denn ich versichere euch: Ihre Engel haben immer Zugang zu meinem Vater im Himmel!“ (Matthäus 18,10).

Das erklärt, warum viele glauben, einen persönlichen Schutzengel zu haben. Dass es Engel gibt, steht für mich außer Frage. Sie kommen an so vielen Stellen in der Bibel vor, dass ich sie nicht ignorieren kann. Also übernatürliche Wesen, die aus der Himmelswelt kommen, und die rangmäßig unter Gott stehen. Gott bedient sich ihrer, um auf uns Menschen einzuwirken. Wir können sie nicht sehen, aber manche Menschen spüren z.B. „dass da jemand im Raum ist“. Manche erzählen von weißgekleideten Personen, die ihnen etwa im Traum erscheinen. Oftmals fühlen sich Menschen nach solchen Erlebnissen ruhiger, gelassener, von Angst befreit, hoffnungsvoller, ja sogar mutiger.

Für mich ist eins klar: Engel sind vor allem Boten Gottes, die den Menschen etwas von Gott mitteilen. „Fürchtet euch nicht! Siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volk widerfahren wird“ sagt ein Engel den Hirten auf dem Felde, während nebenan in Bethlehem Jesus geboren wird. Und „Ehre sei Gott in der Höhe / und Friede auf Erden / den Menschen seines Wohlgefallens.“ ergänzt „die Menge der himmlischen Heerscharen“. Merken wir was? „Keine Angst. Frieden und Freude“ das verkünden die Engel den Menschen. Und sie dienen damit unserem Bedürfnis nach Sicherheit und Fürsorge.

Heute, am 2. Oktober ist Schutzengelfest. Zwei Drittel aller Deutschen glauben an Schutzengel. Manche ein bisschen humorvoll. „Fahr nicht schneller als dein Schutzengel fliegen kann!“ ruft eine Frau ihrem Mann zu, bevor er ins Auto steigt. Ich habe dazu mal eine Fotokarikatur gesehen, wo ein Kruzifix an einer Kette am Innenspiegel eines Autos vor lauter Geschwindigkeit schräg nach hinten hängt. Und Jesus hält sich mit aller Kraft am Querbalken des Kreuzes fest, damit er nicht herunterfällt.

Wir wollen uns gerne sicher, beschützt und umsorgt fühlen. Und der Glaube an Schutzengel stärkt dieses Bedürfnis.

Ich bin mir nicht sicher, ob ich wirklich so etwas wie einen persönlichen Schutzengel habe. Aber in Psalm 18,3 bezeugt der Beter, dass Gott selbst ihn schützt: „Der Herr ist mein Fels, meine Burg, mein Retter. Mein Gott ist die Festung, auf die ich vertraue, mein Schild, meine Schutzmacht und meine Zuflucht.“ Gott gebraucht dazu manchmal auch Engel. In Psalm 34,8 sagt der gleiche Psalmbeter: Der „Engel des HERRN beschützt die, die auf Gott hören und rettet sie.“

Gott hat offenbar die Absicht, uns zu schützen. Und dazu möchte er gerne, dass wir auf ihn hören.

Wie geht das? Wie können wir auf Gott hören?

Ich habe zwei Quellen als Favoriten: Das eine ist die Bibel, die Heilige Schrift. Das andere ist das Gebet.

In der Bibel lese ich ganz häufig Worte, die in mein alltägliches Leben hineinsprechen. Gott gebraucht Bibelworte, um mich an etwas zu erinnern oder mir etwas besonders in Bewusstsein zu rufen, das jetzt gerade für mich oder Menschen um mich herum wichtig ist. Ich höre aus diesen Worten seine Stimme.

Wenn ich bete, baue ich bewusst immer ein paar Schweigeminuten ein. Da rede ich gar nicht zu Gott. Ich versuche still zu sein und hinzuhören, ob mir die leise Stimme Gottes etwas zuflüstert. Und das passiert manchmal. Nicht immer. Aber oft, wenn nicht anderes meinen Gedanken besetzt. Manchmal sagt er mir „Du, ich bin bei dir“ oder „Ich habe dich lieb.“ Und dann wird mein Herz meist ruhiger, gelassener und auch freier. Oder er gibt mir Impulse, was ich tun soll: „Ruf den mal an!“ Mach da mal einen Besuch! Schreib der mal eine E-Mail!“ Ich versuche, das dann meistens zeitnah umzusetzen. Ich versuche, auf Gott zu hören. Und tatsächlich, wenn ich mir das im Nachhinein so überlege … meistens ist eine Nebenerscheinung auch, dass ich mich sicher fühle. Wenn Gott mir dafür einen Schutzengel schickt, okay, dann gerne.

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26JUN2022
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„Kopf hoch, Junge! Das wird schon! Lass erstmal Gras über die Sache wachsen. Zeit heilt alle Wunden.“

Haben Sie sie auch schon mal gehört, solche Sprüche? Und irgendwie das Gefühl gehabt, die helfen nicht wirklich weiter?

Was ist, wenn Zeit eben nicht alle Wunden heilt? Wenn da noch Narben sind? Narben, die allzu leicht wieder aufbrechen können und dann wieder bluten. Wenn die Verletzung noch zu nahe geht. Auch wenn das Ereignis schon lange her ist?

Das Sprücheklopfen fängt dann an, wenn einem nichts mehr einfällt. Wenn die Situation mir so die Sprache verschlägt, dass ich nichts Gescheites mehr zu sagen weiß. Dann krame ich die altgedienten Sprüche hervor und werfe sie dem anderen an den Kopf: „So lange du deine Beine unter meinen Tisch stellst, machst du, was ich sage.“ Hilft auch nichts. Die Angesprochene bleibt bockig.

Aber nicht alle Sprüche sind ein Ausdruck von Sprachlosigkeit. Es gibt auch Sprüche, die einen durch Schwierigkeiten begleiten und die tragen. Die anregen und auffordern, die ermutigen und unterscheiden helfen, die immer wieder ein Ziel vor Augen stellen und helfen mein Verhalten zu fokussieren.

Ein solcher Spruch ist zum Beispiel der Gelassenheitsspruch der 12-Schritte-Gruppen, wie z.B. die Anonymen Alkoholiker:

Gott gebe mir die Gelassenheit,
Dinge anzunehmen, die ich nicht ändern kann,
den Mut, Dinge zu ändern, die ich ändern kann,
und die Weisheit, das eine vom anderen zu unterscheiden.

Der Spruch wird Friedrich Christoph Oetinger zugeschrieben, einem Pfarrer, der im 18. Jahrhundert in Württemberg gewirkt hat. Der hat sicher nicht geahnt, dass sich zweieinhalb Jahrhunderte später suchtgefährdete Menschen jeden Tag diesen Spruch vor Augen führen und versuchen, danach zu leben .

Vielleicht hat es etwas damit zu tun, dass Gott dabei mit im Spiel ist . Gott gebe mir, so beginnt dieser Spruch. Gott ist ein Meister der guten Sprüche. In der Bibel gibt es ein ganzes Buch davon: Die Sprüche im Alten Testament. Manche davon sind in unsere Alltagssprache eingegangen:

Wer anderen eine Grube gräbt, fällt selbst hinein ist zum Beispiel so einer (Sprüche 26,27)
Oder Hochmut kommt vor dem Fall. (Sprüche 16,18) oder
Der Mensch denkt und Gott lenkt! (Sprüche 16,9)

Wir sehen: Sprüche müssen nicht immer nur leicht daher gesagt sein. Manche Sprüche sind sehr tiefgründig und haben sich über Generationen bewahrheitet.

Welcher Spruch hat in Ihrem Leben eine gute Bedeutung gewonnen?
Ich habe neben meinem Schreibtisch eine halbe Wand voll mit postkartengroßen Sprüchen, die mir in meinem Leben wichtig geworden sind. Der, der mich ein halbes Leben lang begleitet hat, steht gar nicht da. Vielleicht, weil ich ihn auswendig kann:

Gott liebt uns nicht, weil wir so wertvoll sind, sondern wir sind so wertvoll, weil Gott uns liebt. Er stammt von Helmut Thielicke, einem Theologieprofessor, der 1986 gestorben ist.

Vier Jahre vorher habe ich mit Studieren angefangen und Thielickes Denken hat mich ziemlich stark geprägt. Obwohl ich ihn nie live gehört habe.
Diese Gewissheit „ich bin geliebt von Gott“ ist ein Grundgefühl, dass ich seit meiner Pubertätszeit kenne. Und sie hat mich durch so manche Phase der Selbstzweifel getragen. Ich wusste: Obwohl ich fehlerhaft und unvollkommen bin, bin ich geliebt und wertvoll in Gottes Augen.

Woher ich das weiß?
Zum einen durch den bekanntesten Spruch des Neuen Testaments:
So sehr hat Gott die Welt geliebt, dass er seinen einzig geborenen Sohn gab, damit alle, die an ihn glauben, nicht verloren werden. (Johannes 3,16).

Wenn Gott die Welt liebt, dann liebt er auch mich und jeden Menschen, der jemals auf dieser Welt gelebt hat.

Und zum anderen weiß ich das, weil ich es immer wieder von ihm höre. Im Gebet, wenn ich stillschweige und mich in die Gegenwart Jesu begebe. So wie Henry Nouwens Spruch an meiner Wand das sagt: „Beten schafft Raum für die Stimme Gottes, die dir sagt, dass du geliebt bist“. Diese Erfahrung kenne ich. Aber ich mache sie nur, wenn ich mich Jesus im Gebet aussetze. Wenn im Gebet nur ich rede, höre ich ihn nicht. Wenn ich mich ihm aber still hinhalte und warte, bis er was sagt, dann höre ich ab und zu solche leisen Sätze der Zuneigung und Wertschätzung Gottes zu mir. Und das stärkt mein Selbstwertgefühl unglaublich. Und es macht mich unabhängiger von Beifall oder Ablehnung anderer Menschen.

Vielleicht habe ich ihnen Lust gemacht, sich auch solch eine Sammlung wertvoller Sprüche zuzulegen. Mit Sprüchen, die ihnen guttun und die sie Gott spüren lassen Dann  können Ihnen die dummen Sprücheklopfer nicht mehr so viel anhaben.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=35652
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SWR4 Sonntagsgedanken

27FEB2022
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Das Gefühl von Sicherheit ist im Moment bei vielen Menschen ganz schön angekratzt. Zuerst die Coronapandemie, dann die Ahrflut, letztens der Sturm und jetzt die Ukraine. Das alles sind Ereignisse, die nicht wenige Menschen verunsichern. Können wir noch ruhig leben? Bekommen wir nach dreißig Jahren wieder einen Krieg in Europa? Und sind wir dann ausreichend geschützt? Welche wirtschaftlichen Folgen haben diese Krisen? Und wo berührt das auch mich?

Ich kann diese Fragen und die Verunsicherung nachvollziehen. Der Psychologe Maslow hat eine Bedürfnispyramide entwickelt und da kommt das nach Sicherheit gleich an zweiter Stelle. Nur körperliche Bedürfnisse wie Essen, Trinken, Schlafen und Sex sind uns noch wichtiger. Sagt Maslow.

Aber - es gibt keine absolute Sicherheit. Darin sind sich Philosophen, Politologen und Theologen einig.

Es gibt keine Sicherheit, nur verschiedene Grade der Unsicherheit sagte der russische Dramatiker Anton Tschechow.

Wie können wir also mit dieser Verunsicherung umgehen?

In der Bibel findet sich häufig eine Kombination von Sicherheit und wohnen. Ich liege und schlafe ganz mit Frieden; denn allein du, HERR, hilfst mir, dass ich sicher wohne, heißt es in einem Psalm (4,9).

In unserer Wohnung wollen wir uns sicher fühlen, weil das ein Ort der Geborgenheit ist. Bei wem schonmal eingebrochen worden ist, der weiß, wie stark dieses Geborgenheitsgefühl erschüttert wird.

Der Psalmbeter würde heute aber nicht nur auf elektrische Rollläden und eine Hausratsversicherung vertrauen sondern auch auf Gott.

Ich denke, Verunsicherung kommt, weil wir einander nicht vertrauen können. Immer da, wo ein Mangel an Vertrauen herrscht, brauchen wir mehr Sicherheitsmaßnahmen.

Ein anderer Psalmvers ergänzt: Ihr alle, die ihr den HERRN achtet – vertraut ihm! Er allein gibt euch Hilfe und Schutz. (115,11)

Wie können wir in diesen unsicheren Zeiten Vertrauen gewinnen?

Wie können wir in Zeiten der Unsicherheit Vertrauen gewinnen? Mit der Beantwortung dieser Frage beschäftigen wir uns in diesem zweiten Teil der Sonntagsgedanken. Denn ohne Vertrauen geht es nicht. Sonst versinken wir in Angst und Sorge.

Für mich ist Jesus derjenige, dem ich absolut vertraue. Er liebt mich und meint es gut mit mir – auch wenn ich mal wenig mit ihm zu tun haben will. Das hat er mich schon oft erfahren lassen. Wenn ich dann wieder zu ihm zurückkehre, dann rede ich mit ihm. Ich bete. Und ich verstehe Beten nicht einfach als mein Reden mit Gott. Beten ist für mich keine Einbahnstraße. Beten ist für mich ein Gespräch mit Jesus auf Augenhöhe, bei dem ich mein Herz ausschütte und er hört mir zu. Bei dem ich aber auch still bin und schweige und versuche wahrzunehmen, was ER mir zu sagen hat. Diese Gespräche bewirken bei mir eine innere Ruhe und Gelassenheit, die ich woanders nicht bekomme. Es stellt sich mit der Zeit sowas wie ein innerer Friede ein, wo Ängste und Sorgen langsam kleiner werden. Da bewahrheitet sich, was in den Sprichwörtern im Alten Testament steht: Wer auf Gott hört, wird ohne Angst in Frieden und Sicherheit leben. (Sprüche 1 Vers 33)

Mein Vertrauen auf Gott entsteht im Gespräch mit seinem Sohn Jesus. Der Apostel Paulus hat diese Erfahrung offenbar auch gemacht: So kommt das Vertrauen aus dem Gehörten und das Gehörte durch das Wort Christi. schreibt er an einer Stelle (Römer 10 Vers 17). Das Gehörte ist das, was Jesus im Gebet zu mir spricht: Du bist geliebt. Du bist im letzten bedingungslos angenommen. Du gehörst zu mir und ich nehme dich mit in meine neue Welt, in der es keinen Schmerz, kein Leid, kein Geschrei und keinen Tod mehr geben wird. (Offenbarung 21). Eine Welt absoluten Vertrauens. Niemand wird mehr irgendwem misstrauen. Darum kann dir selbst der Tod nichts anhaben. Ich glaube an einen Himmel danach. Und etwas von diesem Himmel kann auch schon in diesem Leben sichtbar werden.

Wenn ich meine Verunsicherung in den Griff kriegen will, dann brauche ich eine Mischung aus beidem: Menschliche Vernunft und Gottvertrauen. Ich ergreife die Maßnahmen, die nötig sind, um mir ein einigermaßen ausreichendes Sicherheitsgefühl zu geben. Aber nicht alle, die möglich sind. Dort wo ein Restrisiko bleibt, versuche ich im Gebet mit Jesus zu reden und auf ihn zu hören. Denn da entsteht das Vertrauen, das meinem Herzen die Unsicherheit nimmt. Und ich mache die Erfahrung, dass er mir dann, peu á peu, Frieden und Gelassenheit ins Herz. schenkt.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

11DEZ2021
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Vor kurzem haben wir unsere Gottesdienste wieder auf digitale Angebote umgestellt. Wir haben viele Menschen aus der Generation 60+ in unseren drei Gemeinden. Eine ganze Reihe von ihnen hat einfach Angst, sich mit Covid 19 anzustecken. Obwohl fast alle geimpft und manche auch schon geboostert sind. Auf der anderen Seite vermissen sie die Gemeinschaft und fürchten sich davor, wieder über längere Zeit zuhause allein zu sein.

Egal, wie man’s dreht und wendet: Die Angst scheint ein ständiger Begleiter in diesen Corona-Zeiten zu sein.

Wie kann ich dieser Angst Herr werden? Grundsätzlich ist Angst ja zunächst mal nichts Schlechtes. Angst warnt und schützt uns. Was aber, wenn aus der Angst eine Angststörung wird? Wenn es ein immerwährendes Gefühl ist, das mich ständig begleitet?

Die Psychotherapie behandelt Angst mit kognitiver Verhaltenstherapie. Oder es werden Entspannungstechniken eingesetzt, etwa Autogenes Training oder Progressive Muskelentspannung. Außerdem gibt es Medikamente gegen Angst, etwa Antidepressiva.

Ich kriege die Angst am besten in den Griff, wenn ich nicht alleine bin. Als  ich auf einem dunklen Friedhof einmal meinen damals dreijährigen Sohn dabei hatte, kam die Angst garnicht erst auf wie sonst allein.

Singen soll übrigens auch helfen. Wenn ich singe, ist der Bereich in meinem Gehirn blockiert, der Angst auslöst. Ich kann also nicht gleichzeitig singen und Angst haben. Es gibt inzwischen therapeutisches Gospelchorsingen.

In der Bibel steht 365-mal „Fürchte dich nicht“ oder „Fürchtet euch nicht“. Für jeden Tag des Jahres einmal. Und oftmals mit dem Beisatz „Denn ich, der Herr, bin mit dir.“ So wie Jesus das am Ende des Matthäusevangeliums versprochen hat. „Denn siehe ich bin bei euch alle Tage, bis an der Welt Ende“. Wir brauchen uns also nicht gegenseitig zu wünschen, dass Gott bei uns sei. Er ist es schon. Jeden Tag. Wir müssen es uns nur bewusst machen. Ein Bekannter von mir macht das so: Er stellt sich dreimal am Tag für eine Minute in seinen Hausflur und sagt laut ein kleines Gebet: „Gott, ich bin hier. Und du bist auch hier“. Und dann wartet er – eine Minute. Und schweigt und hört, ob Gott was sagt. Und manchmal tut Gott das. Mit einem leisen Flüstern.

„Du glaubst gar nicht, wie das meine Sicht auf die Dinge verändert“ sagt der Bekannte zu mir.
Mir geht es genauso. Wenn ich spüre, dass Gott bei mir ist, ist meine Angst wie verflogen. Darum suche ich immer wieder die Stille und setze mich Gottes Nähe und Gegenwart aus. Das tut mir gut, macht mich gelassener und zuversichtlicher.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

10DEZ2021
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Im Moment – so habe ich den Eindruck – leiden viele Menschen an Selbstüberschätzung. Wir haben hunderttausende kleiner Corona-Experten. Egal, ob sie Impfbefürworter oder Impfgegner sind. Die ganze Aufgeregtheit und Gereiztheit erinnert mich an einen Satz meines Lehrers. „Wohl dem der nichts weiß und doch schweigt“. Oder wie ich es mal etwas plakativer auf Facebook gelesen habe: „Wenn du keine Ahnung hast, einfach mal die Klappe halten“.

Das Problem ist, dass inkompetente Menschen ihre eigene Unfähigkeit meistens nicht erkennen.
Was schon viel hilft ist, wenn ich mir selber klarmache, dass ich nicht der Nabel der Welt bin. Ich habe nicht die Weisheit mit Löffeln gefressen. Ein bisschen Bescheidenheit tut jedem ganz gut. Die andere Person könnte ja auch recht haben. Oder zumindest könnte was dran sein an dem, was sie sagt.

Vorbild ist mir dabei Papst Johannes der 23. Ja, genau der, der 1962 das 2. Vatikanische Konzil eröffnet hat. Er war nur knapp 5 Jahre im Amt, aber er hat viel in Bewegung gebracht. Auch, dass sich die verschiedenen Kirchen näher gekommen sind. Über diesen Papst habe ich mal eine Begebenheit gelesen, die mich immer wieder nachdenklich macht.

Nachdem er zum Papst gewählt wurde, war er in seinem Schlafzimmer im Apostolischen Palast. Dort setzte er sich noch einmal vor dem Spiegel voller Stolz die Tiara, die Papstkrone auf. Plötzlich hörte er die leise Stimme Gottes, die zu ihm sagte „Nimm dich nicht so wichtig, Giovanni!“.

Wundert es einen da noch, wenn er wegen seiner Bescheidenheit und Volksnähe im Volksmund il Papa buono („der gute Papst“) genannt wurde?

Wenn ich dazu neige, zu hochmütig zu werden, dann tut es mir gut, wenn ich jemanden an meiner Seite habe, der mich genau darauf hinweist. Freunde dürfen das bei mir. Oder meine Frau. Manchmal erinnere ich mich dann an Papst Johannes, den 23. und sage mir selbst „Nimm dich nicht so wichtig, Joachim“. Und dann bespreche ich mich im Gebet mit Gott. Denn er ist der Allwissende. Er kann mir bewusst machen, was gut ist. Er sagt mir, dass ich geliebt und angenommen bin – auch wenn vieles um mich herum nicht so läuft, wie ich mir das wünsche. Aber das hilft mir, auch die Sicht des anderen wahrzunehmen und zu respektieren.

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SWR4 Sonntagsgedanken

24OKT2021
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Kennen Sie das auch? So „heilige Momente“ in Ihrem Leben? Erlebnisse, bei denen Sie den Eindruck hatten, hier hat Sie etwas Göttliches berührt. Völlig unerwartet. Überraschend anders und neu.
Wissenschaftler sagen, dass etwa 80 % der Menschen schon mal übernatürliche Erfahrungen hatten. Bei manchen war es ein Traum. Bei anderen eine Art Erscheinung. Oder mitten im Gespräch der Satz einer Freundin, der im inneren Ohr weiterklingt. Manche hatten einen „heiligen Moment“ bei inspirierender Musik. Andere, wenn sie ein Buch lasen. Wieder andere wurden von ihm in der Stille oder in der Natur überrascht.

Bülent Ceylan, der Mannheimer Comedian hatte auch so einen „heiligen Moment“. Und hat ihn auch öffentlich gemacht. Sein Vater ist Moslem, seine Mutter katholisch. Was kommt da raus? Evangelisch - schreibt er:
Wir haben Weihnachten gefeiert, mein Vater hat auch mal Schweinefleisch gegessen. Motto: Mach das Licht aus, dann sieht Allah es nicht. Ich war immer auf der Suche. Was ist richtig? Was ist der Sinn des Lebens? Ich habe einen guten Freund, evangelischer Pfarrer, tätowiert cooler Typ, dem habe ich Tausende Fragen gestellt. Er meinte, in Momenten, in denen er völlig beladen ist mit Sorgen, übergibt er an Jesus. 2019 hatte ich so einen Moment. Ich wusste nicht weiter, bin auf die Knie gefallen und habe gedacht: Jesus, zeig mir, was der richtige Weg ist. Und dann habe ich - ja, ich weiß, wie irre das klingt - eine Art Erscheinung gehabt. Danach habe ich mich taufen lassen. Ich gehe nicht jede Woche in die Kirche, aber Jesus ist schon der Wahnsinn. Dass sich jemand so für die Nächstenliebe aufopfert und auf jeden zugeht, egal, wer er ist, finde ich inspirierend.

„Heilige Momente“ sind etwas Besonderes. Sie kommen nicht so oft vor im Leben. Aber die meisten können sich an ihre „heiligen Momente“ ganz gut erinnern. Sie wissen meist noch genau, wo und wann das war und was das Entscheidende gewesen ist. Auf ihre „Heiligen Momente“ lassen sie nichts kommen. Da soll nicht drüber gespottet werden und die sollen nicht in Zweifel gezogen werden. Sie sind wie ein innerer Schatz, der nicht so gerne hergezeigt wird, damit er von niemandem beschmutzt wird. Darum reden so wenige darüber.

Manche Menschen reden auch öffentlich darüber wie der Mannheimer Comedian Bülent Ceylan. Oder die 42-jährige Journalistin Carolin George. Dieses Jahr veröffentlichte sie ihr Buch Und dann kam Gott - Warum ich Glaube nie brauchte - und mich mit 42 konfirmieren ließ.

Carolin George arbeitet für Zeitungen wie „Die Hannoversche Allgemeine oder „Die Welt“. Unter anderem schrieb sie ein Buch über Kirchen und Kapellen in ihrer Region. Auch wenn ihr einiges darin fremd blieb, berührte sie dennoch die Atmosphäre mancher Sakralräume . In einer persönlichen Krise nahm sie Kontakt mit einer Theologin auf. Sie brauchte Seelsorge. Sie begann Gottesdienste zu besuchen. Dadurch bekam sie eine neue Freiheit. Sie sagte, der Glaube stärke sie, lasse sie lieben und vergeben - auch sich selbst, wenn eigene Erwartungen zu hoch werden. Einen Tag nach ihrem 42. Geburtstag bekräftigte sie ihr neues Lebensgefühl, und ließ sich bei ihrer Konfirmation den Segen zusprechen

In einem "Brief an Gott" schrieb sie damals: "Ich freue mich wahnsinnig, dass wir uns endlich kennengelernt haben. Lass uns so weiter machen."

Ich hatte solche „heiligen Momente“ schon öfters in meinem Leben. Das erste Mal war es mit dreizehn, als ich in riesigen pubertären Selbstzweifeln steckte. Da hatte ich eines Abends den Eindruck, Jesus steht bei mir im Zimmer. Es war mir, als legte er mir seine Liebe wie einen warmen Mantel um die Schultern und sagte zu mir „Du bist mir recht“. Ich fühlte mich angenommen wie noch nie. Es trieb mir die Tränen in die Augen. Bei mir sind diese „heiligen Momente“ oft mit Tränen verbunden. So bei einem Abendmahl bei einer Fortbildung inmitten von 40 Kolleginnen  und Kollegen. Als ich in einer Sinnkrise meines Berufs steckte. Oder ein anderes Mal beim Autofahren. Die Tage vorher hatte ich den Eindruck, ich kriege keinen Kontakt zu Gott. Es war wie vernagelt. Plötzlich hatte ich das Gefühl, Jesus sitzt neben mir auf dem Beifahrersitz. Mir kamen die Tränen, ich bekam Schnappatmung und musste erstmal auf den nächsten Parkplatz fahren. Die Gegenwart des lebendigen Jesus zu erfahren, beeindruckt bis in das Körperliche hinein.

Drei wesentliche Veränderungen passieren, wenn ich zulasse, dass Jesus mich berührt:
Ich weiß, dass es Gott wirklich gibt.
Ich weiß, dass Jesus lebendig ist und mit mir kommunizieren will.
Ich rede nicht mehr über Gott, sondern mit ihm.

Solche „heiligen Momente“ kann ich nicht herbeiführen. Aber ich kann dafür offen sein. Darum: Wenn Gott das nächste Mal bei Ihnen anklopft, dann sagen Sie doch einfach: „Hier bin ich. Ich höre“. Und dann seien Sie still und nehmen einen Moment nur wahr, was kommt. Vielleicht wird es ja Ihr „heiliger Moment“.

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