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SWR1 Begegnungen

Christopher Hoffmann trifft: Judy Bailey und Patrick Depuhl, Musiker-Ehepaar
Judy wurde in London geboren und ist in der Karibik, auf Barbados, aufgewachsen. Patrick, geboren in Duisburg, ist am Niederrhein groß geworden. Inzwischen sind Sie seit über 25 Jahren verheiratet, haben drei gemeinsame Söhne im Teenageralter und sind um die ganze Welt getourt. Und Sie haben ein sehr inspirierendes Buch geschrieben mit dem Titel „Das Leben ist nicht schwarz-weiss“.* Darin werden die beiden auch sehr persönlich und begeben sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln, zu ihren Vorfahren. Im Fall von Judy als Schwarzer Frau in die Zeit des Sklavenhandels:
Judy Bailey:
Es war mir immer sehr bewusst, dass mein Hintergrund - obwohl ich auf Barbados aufgewachsen bin - nicht auf Barbados angefangen hat. Wenn ich darüber nachdenke meine Geschichte, dass Europäer sind nach Afrika gegangen, Westafrika, Leute versklavt, Leute einfach „gekauft“ in Anführungsstriche und mitgenommen nach Barbados, um da Plantagen aufzubauen und Leute waren schrecklich behandelt.
Für Judy Bailey ist die Bibel ein sehr wichtiges Buch. Dort steht in der Lesung zu Pfingsten: „Sklaven und Freie, […] alle wurden in dem einen Geist getränkt.“ (1 Kor 12,13). Was denkt die 54-Jährige, wenn Sie diesen Vers hört?
Judy Bailey:
Wenn ich diesen Vers höre, heißt das für mich: Wir sind gescheitert. Weil das ist nicht, was die Vergangenheit zeigt und leider teilweise auch heute nicht. Das ist für mich eine sehr klare Botschaft und Erinnerung, dass wenn besonders wir als Kirche, wenn wir sagen und wenn wir möchten als Christen leben, dann müssen wir das ganz ernst nehmen und Liebe zeigen, wenn unser Glaube basiert ist auf Liebe, dann muss das wirklich in der Tat zu sehen sein, nicht nur mit Worten.
Ihr Mann Patrick, 53, sitzt neben ihr und nickt. Auch er hat eine besondere Biographie, die mit schwarz und weiss zu tun hat. Sein Vater kam in einem so genannten „Lebensborn“-Heim der SS auf die Welt, die der Naziverbrecher Heinrich Himmler hatte bauen lassen, damit dort mehr „arische“ Kinder zur Welt kommen…
Patrick Depuhl:
Ja tatsächlich waren es etwa 10.000 Kinder, die in deutschen Heimen zur Welt gekommen sind. Es gab noch einige mehr über Europa verteilt, vor allem in Norwegen war das Stichwort: „Aufnordung der deutschen Rasse.“ Für uns war das dann relativ krass zu sehen: Sein Leben wurde als „wertes“ Leben beschrieben und das Leben vieler Sklaven und Schwarzen als „unwertes“ Leben.
Eine Generation später ist ihre Familie ein lebender Beweis, dass auch eine andere Welt möglich ist:
Patrick Depuhl:
Hätten wir damals die Familie gehabt, die wir jetzt haben, mit drei Kindern, auch noch Kinder die heißen Levy, Noah, Jakob - jüdische Namen- , das wäre alles lebensgefährlich gewesen. Ich weiss noch als ich der Expertin dieses Lebensborn-Heims einen Brief schrieb: „Das haben wir Himmler ziemlich versaut“! Hey, wären wir schwarz und weiss , wären unsere Kinder grau, das sind sie nicht! Gott ist ein wunderbarer, bunter, lebendiger Gott und das müssen wir als Geschenk nehmen und eben nicht diese ganzen Trennungen und Teilungen und Einteilungen und Schubladen. Wo sein Geist uns zusammenbringt, da werden wir wirklich Menschen.
Ich treffen Judy Bailey und Patrick Depuhl in ihrer Wohnung am Niederrhein. Hier haben sie nach Konzerten auf allen Kontinenten dieser Welt ein zu Hause gefunden. Aber auch der Glaube an Gott ist für die Musiker ein zu Hause, eines, das ihnen überall Halt gibt – und das feiern sie auch heute, an Pfingsten:
Judy Bailey:
Es ist möglich für alle Leute, überall, wer auch immer du bist, wenn du möchtest du hast die Möglichkeit eine Begegnung zu haben mit Gott und das für mich ist Pfingsten. Ich glaube, dass der Geist möchte mit uns arbeiten. Und durch uns arbeiten. Und weil die Botschaft ziemlich klar ist in der Bibel und weil ich glaube, dass der Geist lebt und relevant ist, ich glaube, dass wir Dinge ändern können.
Dinge ändern – das wollen sie auch, wenn sie an ganz besonderen Orten Musik machen. Zum Beispiel an der Copacabana beim Weltjugendtag in Rio vor Millionen Menschen. Oder jetzt bald wieder beim Evangelischen Kirchentag in Nürnberg. Aber auch an ganz stillen Orten: zum Beispiel als sie eine sterbende Frau in ihren letzten Stunden begleiten, weil sie sich Musik von den beiden gewünscht hat. Oder bei einem Fest in einer Unterkunft für geflüchtete Menschen. Oder bei einem Konzert in einem Kinderhospiz:
Patrick Depuhl:
Und dann schrieb später der Leiter des Hospizes: Ihr habt so viel Lebensfreude gebracht. Wir haben in einer Kapelle gespielt. Oder einfach auf dem Bahnhof. Es war die Osternacht und ich weiß noch es haben Obdachlose in der ersten Reihe getanzt – und das sind schon ganz besondere Erinnerungen. Oder in der Justizvollzugsanstalt Essen war das, da gab es einen Männerchor und der hat so mit Inbrunst gesungen, und das war nicht nur vierstimmig, das war 23-stimmig, genau so viele wie das waren und das war so ansteckend: Und ich weiß noch diese eine Zeile: „Wie ist Versöhnung? So ist Versöhnung-wie ein Schlüssel im Gefängnis!“ Und ich dachte: Boah, das gibt diesem Lied noch mal eine ganz andere Kraft, einen ganz anderen Raum!
Die beiden sagen: „Wir gehen auch dahin, wo es weh tut“. Und trotzdem strahlen sie während unserer Begegnung eine Leichtigkeit und Lebensfreude aus, die wirklich ansteckend ist. Wo kommt das her?
Judy Bailey:
Ich glaube es kommt von diesem Durchleben von schweren Sachen mit Gott mittendrin und das Wissen, dass Gott da ist und dass es weitergeht und diese Hoffnung ist irgendwie in mein Herz gepflanzt.
*Patrick Depuhl und Judy Bailey: Das Leben ist nicht schwarz-weiss. Geschichten von Wurzeln, Welt und Heimat, adeo Verlag Asslar, 2021.
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Christopher Hoffmann spricht mit den Musikern Judy Bailey und Patrick Depuhl
Christopher Hoffmann:
Ich bin Christopher Hoffmann von der katholischen Kirche. Heute am Pfingstmontag spreche ich mit den Musikern Judy Bailey und Patrick Depuhl. Sie Judy, sind in London geboren und in der Karibik, auf Barbados, aufgewachsen. Sie Patrick sind in Duisburg geboren und am Niederrhein groß geworden. Inzwischen sind Sie seit über 25 Jahren verheiratet, haben drei gemeinsame Söhne im Teenageralter und sind um die ganze Welt getourt. Und Sie haben ein wie ich finde sehr inspirierendes Buch geschrieben mit dem Titel „Das Leben ist nicht schwarz-weiss“.* Sie wollen damit gegen das schwarz-weiss Denken ankämpfen und es aufbrechen und deshalb, finde ich, hat dieses Buch auch viel mit dem Pfingstgeist zu tun, der uns ja auch herausfordern will uns immer wieder zu öffnen, unsere vielleicht festgefahrenen Meinungen zu überdenken und offen in die Welt zu schauen. Was feiern Sie heute an Pfingsten, Judy und Patrick?
Judy Bailey:
Es ist möglich für alle Leute, überall, wer auch immer du bist, wenn du möchtest du hast die Möglichkeit eine Begegnung zu haben mit Gott. Und das ist für mich Pfingsten. Ich glaube, dass der Geist möchte mit uns arbeiten. Und durch uns arbeiten. Und weil die Botschaft ziemlich klar ist in der Bibel und weil ich glaube, dass der Geist lebt und relevant ist, ich glaube, dass wir Dinge ändern können.
Patrick Depuhl:
Wenn ich an das erste Pfingsten denke, dann sehe ich da eine Gruppe von Jüngern und Jüngerinnen, die nicht so genau wusste was ihnen geschah, als Gottes Geist ihnen nahekam und ihnen Kraft gab und so ihre Gaben entfaltete und sie zu - im wahrsten Sinne des Wortes - begeisternden Menschen machte, die andere auch ansteckten mit dieser Kraft Gottes. Und Leute hatten so den Eindruck für einen Moment Gott ist mir nah auch durch diese Menschen. Und ich glaube das feiere ich Pfingsten, dass Gott immer noch nah kommen kann auf ganz überraschende, ungewöhnliche Arten und tatsächlich uns durch andere Menschen begeistert.
Die Texte aus dem Buch „Das Leben ist nicht schwarz-weiss“ haben finde ich eine ganz klare Botschaft: Vor Gott haben alle Menschen die gleiche Würde – unabhängig von Hautfarbe, von Herkunft oder Nation. Das ist für mich auch eine Pfingstbotschaft, denn in der Lesung zum heutigen Pfingstmontag, da sagt Petrus in der Apostelgeschichte: „Jetzt begreife ich, dass Gott nicht auf die Person sieht, sondern dass ihm in jedem Volk willkommen ist, wer ihn fürchtet und tut, was recht ist.“ (Apg 10,34-35) Warum ist Ihnen diese Botschaft so wichtig?
Patrick Depuhl:
Ich glaub tatsächlich, dass ist so dieser Blick Gottes. Und manchmal sehen wir uns und denken, mir ist Gott vielleicht ein bisschen näher, weil ich so und so bin. Das ist eigentlich schön, dass du diesen Vers ausgesucht hast, dass Petrus das an so einem Tag auch erkennt: Moment, ich hab´s gar nicht gemerkt, ich hab immer so auf mich geachtet! Und ich merk: Ne, jeder von uns kann beten: „Unser Vater im Himmel“, das ist immer so ganz unmittelbar: mit einem Gespräch, mit einem Gebet bin ich wirklich an Gottes Ohr, an Gottes Herz. Das ist für mich voll die Pfingstbotschaft, dass Gott uns so nah ist und uns den Wert zuschreibt, weil wir haben die Tendenz zu sagen: Oh, du hast ne Behinderung, oh, du hast nicht die richtige Hautfarbe, vielleicht mag Gott dich nicht so gerne, oder andersrum.
In dem Buch werden Sie auch sehr persönlich und begeben sich auf die Suche nach den eigenen Wurzeln zu ihren Vorfahren. Nehmen Sie uns mal mit auf diese Reise in die Vergangenheit, Judy…
Judy Bailey:
Es war mir immer sehr bewusst, dass mein Hintergrund -obwohl ich auf Barbados aufgewachsen bin - nicht auf Barbados angefangen hat. Wenn ich darüber nachdenke: Meine Geschichte, dass Europäer nach Afrika gegangen sind, Westafrika. Leute wurden versklavt, Leute wurden einfach „gekauft“ und mit genommen nach Barbados, um da Plantagen aufzubauen und Leute wurden schrecklich behandelt. Leute, die versklavt haben, haben einfach die Namen von die „Besitzer“ gegeben- also unsere Namen sind einfach verschwunden. Und das ist für mich sehr wichtig geworden in diesem Buch, in dieser Zeit, das wirklich ein bisschen nachzuforschen.
Patrick Depuhl:
Ich glaub auch als wir dann uns die Geschichte noch mal angeguckt haben auf Barbados: erstens haben viele die Überfahrt gar nicht überlebt, die sind einfach ins Meer geschmissen worden, wenn sie krank waren, oder wenn sie gestorben sind, weil die Verhältnisse so krass waren auf diesen Schiffen. Wenn sie es geschafft haben, haben Sie in Barbados durchschnittlich zwei bis drei Jahre überlebt, also es war wirklich so wie eine Maschine: ich gebrauch die kurz… Allein auf Barbados leben heute 287.000 Leute ungefähr- aber es sind 400.000 Sklaven auf die Insel gebracht worden, also mehr als Menschen da leben sind dahin gebracht worden und einfach so verbraucht worden als seien es keine Menschen.
In der Lesung, die an den Gottesdiensten heute zu Pfingsten zu hören ist, da schreibt Paulus im 1. Korintherbrief: „Durch den einen Geist wurden wir in der Taufe alle in einen einzigen Leib aufgenommen, Juden und Griechen, Sklaven und Freie, und alle wurden in dem einen Geist getränkt.“ Wenn Sie diesen Vers hören Judy, Ihre Vorfahren wurden aus Westafrika nach Barbados versklavt, wurden gedemütigt, gequält, manchmal sogar umgebracht wegen ihrer Hautfarbe. Was bedeutet Ihnen dieser Vers?
Judy Bailey:
Wenn ich diesen Vers höre, heißt das für mich: Wir sind gescheitert. Weil das ist nicht, was die Vergangenheit zeigt und leider teilweise auch heute nicht. Das ist für mich eine sehr klare Botschaft und Erinnerung, dass wenn besonders wir als Kirche, wenn wir sagen und wenn wir als Christen leben möchten, dann müssen wir das ganz ernst nehmen und Liebe zeigen. Wenn unser Glaube basiert ist auf Liebe, dann muss das wirklich in der Tat zu sehen, nicht nur mit Worte, aber in der Tat zu sehen und spürbar sein.
Patrick, Sie sind Nachfahre eines Mannes, der in einem so genannten „Lebensborn“-Heim der SS auf die Welt kam. Ihr Vater Michael war damit eines von rund 10.000 Kindern, die innerhalb von 10 Jahren bis 1945 in Häusern zur Welt kamen, die der Naziverbrecher Heinrich Himmler hatte bauen lassen, damit dort mehr „arische“ Kinder zur Welt kommen…
Patrick Depuhl:
Ja tatsächlich waren es etwa 10.000 Kinder, die in deutschen Heimen zur Welt gekommen sind. Es gab noch einige mehr über Europa verteilt, vor allem in Norwegen war das Stichwort: „Aufnordung der deutschen Rasse.“ Also mein Vater kam in einem Heim in der Nähe Bremens zur Welt und für uns war das dann relativ krass zu sehen: Sein Leben wurde als „wertes“ Leben beschrieben und das Leben vieler Sklaven und Schwarzen als „unwertes“ Leben. Hätten wir damals die Familie gehabt, die wir jetzt haben, mit drei Kindern, auch noch Kinder die heißen Levy, Noah, Jakob, jüdische Namen, die nicht „arisch“ sind -das wäre alles lebensgefährlich gewesen. Ich weiß noch, als ich der Expertin dieses Lebensborn-Heims, wo er geboren wurde, einen Brief schrieb: „Das haben wir Himmler ziemlich versaut“- […] Hey wären wir schwarz und weiss wären unsere Kinder grau, das sind sie nicht! Gott ist ein wunderbarer, bunter, lebendiger Gott und das müssen wir als Geschenk nehmen und eben nicht diese ganzen Trennungen und Teilungen und Einteilungen und Schubladen. Wo sein Geist uns zusammenbringt, da werden wir wirklich Menschen.
Ihr wählt für eure Konzerte immer wieder auch ganz besondere Orte und Anlässe, ihr habt zum Beispiel in einem Kinderhospiz gespielt, eine sterbende Frau in ihren letzten Stunden begleitet, ihr die Hand gehalten und ein Lied gesungen, weil sie sich das gewünscht hat. Ihr habt in Flüchtlingsunterkünften, bei Obdachlosen und sogar in Gefängnissen gesungen. Warum macht ihr das?
Patrick Depuhl:
Über die Jahre war es echt ein großes Vorrecht Konzerte in ganz vielen Ländern an ganz vielen Orten zu machen- und irgendwann hat man glaube ich auch die Idee zu sagen: Können wir nicht auch Konzerte da machen, wo man sie nicht erwartet? Das war schon in der Straßenbahn, aber eben auch an traurigen Orten, im Hospiz. Und dann schrieb später der Leiter des Hospizes: Ihr habt so viel Lebensfreude gebracht – wir dachten so wow! Wir haben in einer Friedhofskapelle gespielt. Oder einfach auf dem Bahnhof. Es war die Osternacht und ich weiß noch es haben Obdachlose in der ersten Reihe getanzt – und das sind schon ganz besondere Erinnerungen. Oder Gefängnisse haben Sie gerade angesprochen: in der Justizvollzugsanstalt Essen war das, da gab es einen Männerchor und der hat so mit Inbrunst gesungen, das war nicht nur vierstimmig, das war – ich weiss nicht - 23-stimmig, genau so viele wie das waren, aber es war so ansteckend: Und ich weiss noch diese eine Zeile: „Wie ist Versöhnung? So ist Versöhnung-wie ein Schlüssel im Gefängnis!“ Und ich dachte: Boah, das gibt diesem Lied noch mal eine ganz andere Kraft, einen ganz anderen Raum!
Zum Schluss: Sie strahlen trotz dieser zum Teil auch wirklich heftigen Lebenserfahrungen und beeindruckenden, manchmal vielleicht auch -ich würde sagen - belastenden biographischen Stationen eine Leichtigkeit und Lebensfreude aus, die wirklich ansteckend ist. Wo kommt das her?
Judy Bailey :
Ich glaube es kommt von diesem Durchleben von schweren Sachen mit Gott mittendrin und das Wissen, dass Gott da ist und dass es weitergeht und diese Hoffnung ist irgendwie in mein Herz gepflanzt.
Vielen, vielen Dank für das Gespräch.
Sehr, sehr gerne.
*Patrick Depuhl und Judy Bailey: Das Leben ist nicht schwarz-weiß. Geschichten von Wurzeln, Welt und Heimat, adeo Verlag Asslar, 2021, Seite 190.
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70 Jugendliche lungern müde auf ihren Stühlen herum. Viele von ihnen haben die ganze Nacht durchgemacht. Mein Kollege Tobias hat mit einem Team ein Wochenende für junge Leute organisiert, die sich auf die Firmung vorbereiten. Also das Fest, bei dem Menschen der Geist Gottes zugesagt wird. Jener Heilige Geist, den Christen auch jetzt an Pfingsten wieder feiern. Nun sind viele der Jugendlichen noch nicht sonderlich begeistert an diesem frühen Morgen. Aber das wird sich schnell ändern. Denn mein Kollege hat sich da was Spannendes einfallen lassen. Er hat ganz unterschiedliche Menschen eingeladen, die den Jugendlichen erzählen, warum sie an Gott glauben. Er nennt sie das das „Team Jesus“. Ich bin einer davon. Mein Kollege meint: „Jeder von uns steht mit seinen Stärken und Schwächen im Team Jesus. Ich muss kein fertiger Glaubensprofi sein, um von ihm eingesetzt zu werden. Er baut auf mich, so wie ich bin, mit meinen Fragen, Zweifeln, Talenten und Ideen. Da, wo ich in meinem Alltag bin, soll ich anderen Menschen durch mein Leben zeigen, dass Gott gut ist.“ Das trifft er bei mir einen Nerv. Denn genau dafür bin ich mal angetreten. Ganz vieles, was in den letzten Jahren an Missständen und Skandalen in der Kirche ans Tageslicht kam, macht mich wütend und fassungslos. Und gleichzeitig glaube ich, dass die frohe Botschaft von diesem Jesus weiterhin hochaktuell und wichtig ist in einer Welt, die so dringend Nächstenliebe und Hoffnung braucht. Der Vormittag hat auch mich gestärkt – denn zu sehen, dass auch andere Menschen im Team Jesus an ganz verschiedenen Orten seiner Botschaft folgen- egal ob haupt- oder ehrenamtlich- macht mir Mut: Zum Beispiel im Hospiz, in der Hilfe für geflüchtete Menschen oder in der Telefonseelsorge. Und ich glaube fest: Auch jeder der 70 Jugendlichen, ja jeder Mensch hat die Freiheit diese Welt etwas besser zu machen. In diesem Sinne: frohe Pfingsten, denn ich bin sicher: Der Geist Gottes weht wo er will
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Genau heute vor drei Jahren hatte ich mehrere Termine, aber alle an einem Ort: an meinem Schreibtisch. Zwei Telefonkonferenzen. Und drei Videokonferenzen. Allein bei dem Gedanken bekomme ich heute Kopfschmerzen – aber damals war das noch was Neues.
Genau heute vor zwei Jahren hab ich mit Pfadfindern, die ein virtuelles Pfingstlager veranstaltet haben, einen digitalen Gottesdienst gefeiert. Ein virtuelles Pfingstlager? Das ging so, dass jeder und jede im eigenen Zelt im Garten geschlafen hat und sich dann einzeln von zu Hause aus mal mit besserem, mal mit schlechterem W-Lan zuschaltete.
Und vor genau einem Jahr war ich mit meiner Clique in der Eifel wandern und jetzt waren auch endlich alle Cafés und Restaurants am Wegesrand wieder geöffnet und nach einem tollen Tag haben wir abends noch geschlemmt und miteinander angestoßen. Ohne an Aerosole oder Symptome zu denken. Prost Leute!
Manchmal frage ich mich: Wie verrückt ist diese Zeit der Pandemie gewesen!?! Und dann werde ich oft auch ganz dankbar: Dankbar, dass so vieles wieder geht. Lange Zeit war ich nicht sicher, ob es sowas wie Normalität überhaupt noch mal geben wird. Denn eines hat sich während der Pandemie in meine Seele gebrannt: nichts ist selbstverständlich. Und für viele andere Menschen auf unserem Globus ist es das auch nach wie vor nicht-sei es wegen einem Krieg, wegen Umweltkatastrophen, wegen finanziellen Problemen oder chronischen Krankheiten. Umso dankbarer will ich jeden Tag sein für das was geht-auch für die vermeintlichen Selbstverständlichkeiten: meinen geliebten Kaffee mit Freunden in der Lieblingsbar trinken, mit anderen Musik machen, mich spontan zum Fußball gucken in einer Kneipe verabreden. Danke Gott, dass das alles wieder geht!
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Sonnenuntergang in der Toskana. Nach vielen Stunden im Zug warte ich darauf, von Freunden abgeholt zu werden, damit der Urlaub beginnen kann. Als ich ins Auto einsteige, ist es fast dunkel und wir fahren 20 Minuten über Stock und Stein. Ich sehe nur noch Umrisse, Silhouetten und erahne, dass wir da mitten auf dem Land unterwegs sein müssen. Hundemüde falle ich ins Bett.
Am andern Morgen öffne ich den grünen, typisch italienischen Holzfensterladen. Und traue meinen Augen nicht: Ich blicke in ein atemberaubend schönes Tal. Zypressen, Olivenbäume und Pinien umranken das Panorama. Ich bin hellwach und schicke ein Dankgebet gen Himmel.
Und dann fällt mir eine Bibelstelle ein: „Jetzt […] sehen wir nur rätselhafte Umrisse, dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht. Jetzt erkenne ich unvollkommen, dann aber werde ich durch und durch erkennen.“ (1 Kor 13,12) Paulus hat das in einem Brief geschrieben. Nicht über die Toskana, sondern über seinen Glauben an Gott. Und diesen Kontrast- von rätselhaften Umrissen zum klaren Blick – den hab ich zwischen meiner Ankunft am späten Abend bis zur Morgendämmerung selbst durchlebt. Diese Erfahrung hilft mir jetzt Paulus besser zu verstehen: Dass wir hier auf Erden nämlich immer nur vorläufig von Gott sprechen können, dass wir von ihm immer nur einen Teil erkennen, vieles vielleicht auch rätselhaft und im Dunkeln bleibt. So wie bei der Autofahrt zur Unterkunft am Abend.
Der wunderbare Blick am Morgen in die Schönheit der Toskana erinnert mich dann aber auch daran, wie das wohl wird, wenn ich irgendwann Gott von Angesicht zu Angesicht sehe. Wenn ich bei meinem Schöpfer ankomme und sich vielleicht auch manche Frage und manches Ungeklärte erhellt. Bis dahin freue ich mich an der Schönheit seiner Schöpfung, in der ich schon heute seine Spuren erkennen kann.
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Auf dem Heimweg aus dem Urlaub bin ich den Brenner, den Grenzpass zwischen Italien und Österreich, zum ersten Mal mit dem Zug gefahren- und musste etwas mehr als Grenzwertiges erleben:
Kurz vor dem Tunnel betreten drei italienische Grenzbeamte unser Zugabteil. Von den rund 40 anderen Passagieren im Abteil wird niemand kontrolliert. Aber bei unserem Vierersitz bleiben sie stehen: „Die Ausweise bitte.“ Ich denke mir nichts dabei und zeige meinen Perso. Genauso wie die Frau mit weißer Haut gegenüber und der Mann mit schwarzer Haut daneben. Während die Frau und ich den Ausweis nach wenigen Sekunden wieder in Händen halten, wird bei dem Schwarzen Mann weiterrecherchiert. Strenge Blicke. Und dann: Pass zurück. Alles in Ordnung. Eine Frau, die ein niederländisches Buch liest, sagt: „I feel ashamed.“ Und so fühle ich mich auch: beschämt. Ich überlege, ob ich den Mann ansprechen soll. Und gebe mir einen Ruck, als der Zug weiterfährt nach Österreich. „Passiert sowas öfter?“, frage ich ihn. Er erwidert traurig: „Jeden Tag. Das ist Diskriminierung. Das ist Europa“.
Die Frau gegenüber atmet tief aus. Ihr kommen die Tränen. Sie erzählt, dass ihr Vater, ebenfalls Migrant, auch Alltagsrassismus erfahren musste. Und dass das nun in ihr hochkommt. Betretenes Schweigen. Wir fahren über die Grenze. Und dann geht es von vorne los: Zwei Grenzbeamte aus Österreich kommen ins Abteil. Wieder bleiben sie bei uns stehen- nur bei uns. Wieder zeigen die Frau und ich schnell unsere Papiere – wieder wird nur der Ausweis des Schwarzen Mannes ins Visier genommen. Wieder bleibt er freundlich. Als die Grenzbeamten weg sind, schaut er traurig auf den Boden. Für mich waren das am Brenner Grenzüberschreitungen, die mich noch lange nachdenklich machen.
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Auf jedem zweiten Buch in meinem Regal prangt der Aufkleber „Bestseller“. Auf Straßenlaternen sehe ich unterwegs oft Abzeichen vom 1. FCK, Mainz 05 oder BVB 09. Und auf Autos: „Baby an Bord.“ Überall kleben sie: Sticker. Menschen demonstrieren damit mal weltanschauliche, mal witzige Einstellungen. Umso verblüffter war ich, als auf einer Geburtstagsfeier ein Kollege* ganz eigenartige Sticker auf dem Tisch verteilte. Denn darauf stand das Wort: DEMUT. Eine etwas aus der Mode gekommene Tugend, dachte ich. Warum verteilt er sie hier? Und wie kommt er drauf? Er findet, dass man den Sticker mal an so einige Kirchentüren kleben sollte. Als Erinnerung für das Bodenpersonal, das niemals sich selbst feiern sollte, sondern immer den, von dem alles Leben kommt. Und als Erinnerung daran, dass niemand gedemütigt werden darf – viel zu lange hat das die Kirche mit Menschen gemacht. Ihr Gründer Jesus Christus hingegen wollte immer das Gegenteil: Menschen stark machen, aufrichten, ihnen Hoffnung schenken. Der Demut-Sticker ist auch, aber nicht nur in der Kirche als Erinnerung notwendig: Mir fallen viele Orte ein, wo ich ihn gerne mal drankleben würde: Banken etwa, oder Kleiderständer mit Markenklamotten. Firmen, die mit Produkten Geld machen, für die andere oft unter menschenunwürdigen Bedingungen schuften. Oder glitzernde Konzernzentralen privater Altenheimbetreiber, errichtet auf dem Rücken von Pflegekräften, die sich den Buckel krumm machen. Da überall fehlt Demut.
Aber auch mir selbst würde ich einen Sticker auf den Spiegel kleben: Immer dann, wenn ich denke, dass ich der Nabel der Welt bin. Denn davor ist niemand gefeit. Im Lateinischen heisst Demut „humilitas“. Da steckt auch das Wort „Humor“ drin. Sich selbst nicht so ernst nehmen, mal über sich lachen können, auch das ist eine Facette der Demut. Außerdem steckt in „humilitas“ das Wort Humanität – Menschlichkeit. Die Einsicht, dass wir alle als Menschen aufeinander angewiesen sind. Ich hab mir bei meinem Kollegen also gleich mal eine Packung Sticker für mich und andere bestellt.
*Fabian Schweer und Tobias Otte, Bistum Osnabrück
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Ein Montag nach einem schönen langen Wochenende - Christi Himmelfahrt sei Dank. Aber was soll das eigentlich sein? Christi Himmelfahrt?! Eine Raumfahrt mit Jesus als Astronaut? Sicher nicht. Im Englischen gibt es zwei Begriffe, die weiterhelfen können. „Sky“, also der astronomische Himmel. Und „heaven“, der religiöse Himmel. Ich habe Physik nach der zehnten Klasse abgewählt, kann als Theologe also nur was zum „heaven“ sagen. Einen, der sich mit beiden Himmeln auskennt, durfte ich aber für ein Interview treffen: Den Astrophysiker Heino Falcke. Er hat mit einem Team als erster Mensch ein so genanntes Schwarzes Loch fotografiert. 2019 ging das Bild millardenfach um den Globus. Heino Falcke ist aber auch engagierter Christ. Für den Professor sind Naturwissenschaft und Glaube kein Gegensatz, sondern ergänzen einander. Er sagt: „Wer behauptet, Gott sei überflüssig, weil die moderne Physik bereits alle Fragen beantwortet habe, macht es sich zu einfach. Im Gegenteil sage ich: Gott ist heute nötiger denn je. Der großen philosophischen Frage, woher wir kommen, ist die Naturwissenschaft letztlich keinen einzigen Schritt nähergekommen. Wir wissen heute viel mehr als jemals zuvor, aber wir wissen heute auch vielmehr von dem, was wir nicht wissen können.“*
Was aber bedeutet das Fest Christi Himmelfahrt einem Wissenschaftler, der sich sein ganzes Leben lang mit Sternen, Galaxien, Universen und Schwarzen Löchern beschäftigt hat? Professor Heino Falcke sagt: „Wir werden nichts mitnehmen von dem, was wir hier auf der Erde schaffen. Und auch das ganze Universum ist entstanden und wird wieder vergehen […]. Und doch sind wir glaube ich eingebettet in eine größere Wirklichkeit, in eine größere Hoffnung, wir kommen von einem Schöpfer und wir gehen wieder zu einem Schöpfer. Und da bin ich zu Hause. Und da empfinde ich auch den Sinn meines Lebens.“**
** Heino Falcke mit Jörg Römer: Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir. Die illustrierte Ausgabe, Klett-Cotta, Stuttgart 2021, S.413-414.
** https://www.kirche-im-swr.de/beitraege/?autor=227
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Was ist der Unterschied zwischen Jesus und Bundesbauministerin Klara Geywitz? Richtig: Jesus hat einen Joker gegen Wohnungsnot in der Hand! So steht es jedenfalls in der Bibel: Da sagt Jesus: „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ (Joh 14,2). Freie Wohnungen gibt es bei Gott, der Vater und die Mutter aller Menschen ist. Dieser Satz von Jesus bezieht sich natürlich nicht auf frisch beziehbare Einfamilienhäuser, Sozialwohnungen aus Beton oder Holz, noch nicht mal auf die so dringend benötigten aber für mich und viele aus meinem Freundeskreis kaum erschwinglichen Bauplätze. Der Satz wurde immer auf die Hoffnung hin interpretiert, dass wir nach unserem Tod bei Gott eine Wohnung, einen Platz finden. Und darauf hoffe ich auch, wenn ich mich irgendwann mal auf die ewige Wohnungssuche aufmache.
Ich glaube, dass dieser Satz aber trotzdem auch was mit dem Diesseits zu tun hat. Wie gesagt, nicht mit steigenden Mietpreisen und explodierenden Materialkosten. Die Bibel ist keine Bauanleitung. Aber ich glaube, dass dieser Satz „Im Haus meines Vaters gibt es viele Wohnungen“ etwas über diesen Gott, meinen Schöpfer aussagt: Bei Gott gibt es Platz! Viel Platz! Gott will, dass Menschen ein zu Hause finden. Dass es Platz gibt, ganz besonders für die, die viel zu oft an den Rand gedrängt werden. Die vielen Menschen mit kleinen Einkommen, die teilweise mehrere Jobs annehmen, um über die Runden zu kommen. Und die sich trotzdem die steigenden Mieten nicht mehr leisten können. Für die ein Eigenheim ein „Traum-Haus“ bleibt, weil es bei diesen Zinsen und Unsummen nichts mit der Realität zu tun hat. Für die wohnen zum Luxus wird. Oder noch krasser: Obdachlose Menschen, die auf der Straße leben – aus den unterschiedlichsten Gründen. Oder Menschen, deren Haus im Krieg zerstört wurde und die Hab und Gut auf der Flucht hinter sich lassen mussten. Jesu Worte lösen keine konkrete Wohnungssuche – aber sie erinnern die Gesellschaft an ihre Pflicht, Platz zu schaffen für alle, die dringend Platz zum Leben brauchen.
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Christopher Hoffmann spricht mit Prof. Heino Falcke
Ich bin Christopher Hoffmann von der katholischen Kirche. Mein Gesprächspartner heute am Fest Christi Himmelfahrt ist der Astrophysiker Heino Falcke. Weltweit bekannt wurde er als er mit seinem Team 2019 das so genannte Schwarze Loch fotografiert hat und dieses Bild milliardenfach um den Globus ging. Der 56-Jährige Wissenschaftler ist eine Koryphäe der Astrophysik, lehrt und forscht an der Universität Nimwegen in den Niederlanden und er ist gläubiger Christ. Und deshalb scheint er mir prädestiniert als Gesprächspartner heute am Fest Christi Himmelfahrt. Im Englischen gibt es ja zwei Begriffe- also einmal „sky“ für den astrophysikalischen Himmel und „heaven“ für den religiösen Himmel. Im Deutschen haben wir nur diesen einen Begriff - „Himmel“ - und das führt auch am Fest Christi Himmelfahrt immer wieder zur Verwirrung. Herr Professor Falcke, von welchem Himmel ist denn da heute die Rede?
Professor Heino Falcke:
Bei der Himmelfahrt geht es natürlich um den religiösen Himmel. Aber ich glaube, dass der astronomische Himmel, den wir bewundern von der Erde aus da auch ein Symbol für ist. Weil wenn man sich mal nachts hinlegt und hat die Chance in einer dunklen, klaren Nacht mal nach oben zu schauen, dann erfährt man das, was viele Generationen seit tausenden von Jahren eben erfahren haben, die merken: Da ist etwas Größeres, etwas was weiter ist. Was auch Fragen an uns stellt. Und deswegen steht auch dieser astronomische Himmel so ein bisschen Symbol glaube ich für den religiösen Himmel, der weiter ist, der transzendenter ist, der uns herausfordert auch über unsere eigenen Grenzen hinaus zu denken und zu glauben und zu hoffen.
Eine Frage die Sie sich ja vor vielen Jahrzehnten schon gestellt haben ist: Kann man Schwarze Löcher fotografieren? Kann man die abbilden? Und 2019 wurden Sie dann mit Ihrem Team bekannt, als Sie das geschafft haben. Können Sie uns zunächst erklären: Was ist ein schwarzes Loch überhaupt?
Ja, ein schwarzes Loch ist unfasslich viel Materie zusammengepresst in kleinstem Raum. Schwarze Löcher repräsentieren die perfekte Dunkelheit, das Ende von Raum und Zeit. Und wir können schwarze Löcher selber nicht sehen, weil sie ja keine Information von sich geben, aber wir können sehen was fehlt: das fehlende Licht, wir sehen den Schatten schwarzer Löcher und das ist das, was wir damals abgebildet haben, den Schatten eines schwarzen Lochs.
Kann man das in ein Bild fassen? Sie haben glaube ich mal Weltraumfriedhof das in einem Buch auch genannt?
Ja, Schwarze Löcher sind tatsächlich ein Weltraumfriedhof, weil wenn große Sterne sterben dann bleibt am Ende nur dieses kleine schwarze Loch. Und Schwarze Löcher können immer nur wachsen, weil alles immer nur reinfallen kann, sie können verschmelzen, sie werden größer und größer, es ist eigentlich das absolute Endstadium von allem.
Wenn ich Ihnen zuhöre: das klingt durchaus auch bedrohlich, also da könnte man vielleicht auch fragen: Hat das Leben dann überhaupt einen Sinn, wenn sowieso irgendwann alles von einem Schwarzen Loch aufgesaugt wird? Aber Sie halten erstaunlicherweise dagegen und haben in einem Interview einmal gesagt: „Ich vertraue darauf, dass das was ich mache Sinn hat. Woher kommt ihr Vertrauen?
Ja, das ist tatsächlich so ein Urvertrauen, ein Urglaube der da ist. Wir lernen ja, dass unser Leben endlich ist. Wir werden geboren, wir werden wieder sterben. Wir werden nichts mitnehmen von dem, was wir hier auf der Erde schaffen. Und auch das ganze Universum ist entstanden und wird wieder vergehen, nichts bleibt am Ende. Und doch sind wir glaube ich eingebettet in eine größere Wirklichkeit, in eine größere Hoffnung. Wir kommen von einem Schöpfer, in meinem Glauben von einem Schöpfer und gehen wieder zu einem Schöpfer. Und da bin ich zu Hause. Und da empfinde ich auch den Sinn meines Lebens, der sich nicht darauf beschränkt, was ich hier auf der Erde tue. Das ist meine Aufgabe vielleicht, aber nicht mein Sinn alleine.
Sie haben gemeinsam mit dem Spiegelredakteur Jörg Römer ein Buch über Astrophysik geschrieben. Es heißt: „Licht im Dunkeln“*. Sie sind Naturwissenschaftler und Sie sind gläubiger Christ – wie geht das für Sie zusammen?
Am Ende lerne ich in der Physik, dass ich nicht alles wissen kann. Ich kann nicht alles vorausberechnen, ich kann mein Leben auch nicht machen. Ich bin am Ende immer auf dieses Vertrauen angewiesen. Und ich kann daran verzweifeln und mich ärgern oder ich kann einfach sagen: Nein, ich bin in guten Händen. Und das ist eine Grundentscheidung, die ich irgendwann treffen muss. Und die hängt nicht davon ab, was ich mache, was ich tue. Und es hängt auch nicht davon ab, was die Kirche sagt oder nicht sagt, sondern es hängt davon ab, dass ich am Ende ein JA sage zu diesem Schöpfer und sage: JA, ich bin geliebt. Ich habe hier einen Platz auf dieser Erde. Und ich darf das auch genießen und annehmen und bewundern und bestaunen, was da ist auf dieser Welt. Wenn ich durchfrage: Wo kommt das alles her? Wie funktioniert das? Komme ich eigentlich immer auf die Frage nach dem Anfang, nach dem Ursprung. Ja, dann komme ich vielleicht zum Urknall-aber wo kommt der Urknall her? Gab es da ein Multiversum davor? Ok, dann gab es ein Multiversum davor, aber wo kommt das dann wieder her? Wo kommen die Regeln her aus denen alles entstanden ist? Und diese Grundfragen, die kann die Naturwissenschaft einfach nicht beantworten. Die muss ich füllen mit meinem Glauben, mit meinen Überzeugungen, die ich habe. Und ohne Glaube, glaube ich, kommen wir nicht weiter. Oder wir müssen aufhören zu fragen.
Ein sehr tröstliches Wort, eine Zusage, enthält das Matthäusevangelium zum Fest Christi Himmelfahrt. Da sagt Jesus Christus: „Ich bin mit euch alle Tage bis zum Ende der Welt.“ (Mt 28,20). Was bedeutet Ihnen das?
Es ist tatsächlich dieser nahe Gott. Wir hatten am Anfang diesen Schöpfergott, der ist sehr weit weg. Das ist ein philosophischer Gott. Und in Christus haben wir eigentlich eine Gotteserfahrung, die sehr persönlich ist. Und zu wissen: dieser Gott, der eigentlich so weit weg ist, der ist in Menschen und in Christus mir nahe, mein ganzes Leben lang, von Anfang bis ans Ende und eben darüber hinaus, das ist glaube ich ein sehr tiefer wichtiger Glaube der Christen.
Das meinen Sie auch damit, wenn Sie sagen: „Gott ist für mich nicht etwas, sondern jemand?!“
Für mich ist Gott eben nicht nur etwas, sondern jemand, der mich wahrnimmt und dem ich was erzählen kann und von dem ich auch irgendwas erwarten kann in dem Gespräch, was ein Gebet ist zum Beispiel.
Für mich bedeutet diese Zusage Jesu auch: Wir sind nicht allein, obwohl Jesus uns vorausgeht und weggeht von dieser Welt, bleibt er irgendwie auch bei uns. Wie verstehen Sie das-wie bleibt Jesus uns nahe?
Ja, das ist ein sehr guter Punkt. Es ist so die Spannung in der wir leben grundsätzlich auch als Menschen. Wir können diese Welt gestalten, wir können unsere eigenen Entscheidungen treffen und die können gut und die können schlecht sein. Und wir sind keine Marionetten Gottes, die genau das machen müssen. Wir sind auch keine Steine - ein Stein zum Beispiel ist ja eine Marionette der Naturgesetze, der rollt sozusagen den Fluss runter oder den Berg runter und der hat keine eigene Entscheidungsmöglichkeiten. Wir als Menschen und das unterscheidet uns von fast aller anderen Materie in diesem Universum-wir können Entscheidungen treffen, wir können darüber nachdenken, was ist gut und was ist böse, was ist richtig und was ist falsch. Und genauso sind wir in der Spannung: Da ist Gott vielleicht da. Aber er ist auch weit weg. Er lässt uns allein und doch suchen wir Gott wieder - also wir sind immer in dieser Spannung und wir haben nie die Sicherheit, wie Marionetten völlig festgebunden zu sein an einen Gott, aber wir sind auch nicht völlig losgelöst, zumindest das ist unser Glaube.
In der Apostelgeschichte fragen zwei Männer in weißen Gewändern die Jünger nach der Himmelfahrt Jesu: „Was steht ihr da und schaut zum Himmel empor?“ (Apg 1,11) Und das ist für uns ja auch heute noch eine Aufforderung, dass wir nach Jesu Himmelfahrt nicht nur wartend auf ein Jenseits diese Welt vernachlässigen sollen, sondern es gibt eine Sendung Jesu: Gestaltet diese Welt, bringt euch ein. Was ist Ihrer Meinung nach ein ganz aktueller Auftrag für uns als Christen, für alle Menschen guten Willens, wenn Sie auf diese Welt schauen?
Also ich glaube wir werden inspiriert durch den Himmel-das ist ganz entscheidend, ich glaub für Christen, dass sie inspiriert sind, aber dass sie mit beiden Beinen fest auf dem Boden stehen und ihren Nächsten im Blick haben. Das ist unser Auftrag: Auf den Nächsten zu schauen. Wir leben in einer Gesellschaft, die immer mehr auf sich schaut, die auf den einzelnen schaut. Ich glaub wir müssen als Christen auf die Gemeinschaft schauen, wir müssen die Hoffnung leben, weil wir haben große Herausforderungen mit Klima, mit auch dem Zusammenleben, mit Populisten in dieser Welt. Gesellschaft fällt auseinander und ich glaub, dass Christen da ein verbindender Kitt sein können.
Es gibt einen wunderbaren Psalm im Alten Testament, Psalm 8, ich mag ihn sehr und er wirft eine urmenschliche Frage auf, die Menschen seit Jahrtausenden stellen. Darin heißt es: „Seh ich den Himmel, das Werk deiner Finger, Mond und Stern, die du befestigt- was ist der Mensch, dass du an ihn denkst? Des Menschen Kind, dass du dich seiner annimmst?“ (Ps 8, 4-5) Ich würde diese Frage auch Ihnen gerne stellen, Herr Professor Falcke: Was ist der Mensch?
Der Mensch ist rein physikalisch gesehen eine Ansammlung von Materie, von Naturgesetzen, von Strom, von Chemie, aber er ist was ganz Besonderes, weil er kann Geschichten erzählen, er kann lieben, er kann geliebt werden von dem Schöpfer, der das alles irgendwie zustande gebracht hat mit diesen vielen Naturgesetzen und diesen vielen Sternen und Galaxien und all das was wir hier tun, das ist schon was ganz Besonderes. Das kann kein Stern. Das kann kein Mondgestein, das kann kein Schwarzes Loch. Wir können glauben, hoffen, lieben.
Immer wieder kommen Sie auf drei Dinge: Glaube, Liebe, Hoffnung. Warum sind Ihnen diese drei so wichtig?
Weil sie nicht verfügbar sind. Und weil sie uns glaube ich auch auszeichnen als Menschen. Glaube, Liebe, Hoffnung ist das, was die Welt besser machen kann. Das klappt nicht immer-ich glaub nicht immer ich lieb nicht immer, und manchmal bin ich auch hoffnungslos, aber sich immer wieder daran festzuhalten, das ist das Höchste.
Herr Professor Falcke, ganz herzlichen Dank für das Gespräch.
Gerne.
* Heino Falcke mit Jörg Römer: Licht im Dunkeln. Schwarze Löcher, das Universum und wir. Die illustrierte Ausgabe, Klett-Cotta, Stuttgart 2021.
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