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SWR4 Sonntagsgedanken

Kardinal Lehmann ist tot. Genau vier Wochen ist es heute Morgen her, dass diese Eilmeldung durch die Nachrichten ging. Kardinal Lehmann, der frühere Bischof von Mainz und langjährige Vorsitzende der Deutschen Bischofskonferenz. Die Anteilnahme war riesengroß. Tausende haben in der Mainzer Seminarkirche von ihm Abschied genommen, als er dort aufgebahrt war. Und Tausende haben ihn auf seinem letzten Weg durch die Mainzer Altstadt zum Dom begleitet, wo er nun beigesetzt ist. Kardinal Lehmann: Für mich war er der personifizierte Inbegriff für eine menschenfreundliche Kirche, die fest im Glauben steht und gerade deshalb die Offenheit, Lebensfreude und Zuversicht ausstrahlt, die sonst oft genug vermisst wird. Vieles, was in den letzten Wochen über ihn gesagt wurde, war schon zu seinen Lebzeiten immer wieder zitiert worden und kam nun auch wieder, nicht nur aus pietätvoller Höflichkeit: Viele hundert liebevolle Kommentare finden sich im Kondolenzbuch, das das Bistum Mainz auch im Internet aufgelegt hat: Nicht nur bei Katholiken. Gerade auch bei denen, die sich mit der Kirche schwer tun, bei Andersgläubigen, bei Kritikern der Amtskirche hat Kardinal Lehmann Brücken gebaut und Türen offengehalten mit seiner überzeugenden Art, die keine Rechthaberei, Kleinkariertheit oder Polemik nötig hatte, um sich Gehör zu verschaffen. Wer ihn einmal laut lachen gehört hat, wird das nicht mehr vergessen. Wer einmal mit ihm persönlich sprechen konnte, erinnert sich an seine besondere Art, die dem Gegenüber für den Moment alle Aufmerksamkeit und alles Interesse schenkte. Er war aber nicht nur der Kirchenmann aus dem Fernsehen. Er war nahbar, man konnte ihn ansprechen: nicht zuletzt in der Mainzer Altstadt, wo er oft spazieren ging, so lange es ihm gesundheitlich möglich war. Auch in den letzten Lebenswochen war er gern unter Menschen. Im Rollstuhl, gezeichnet von seinem Schlaganfall wurde er – oft unerkannt und doch mittendrin – durch die Mainzer Altstadt gefahren. Für uns Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Bistums waren die Tage nach seinem Tod vor vier Wochen sehr ereignisreich. Vieles war zu organisieren. Und ich habe jetzt gemerkt, wie hilfreich ein alter kirchlicher Brauch ist: Es gibt die Tradition des „30er-Amtes“: Ein Gedenkgottesdienst etwa 30 Tage nach Tod und Beerdigung. Da hat man Abstand, um sich noch einmal in Ruhe zu erinnern. Da ist man nicht mehr im Treiben von Organisieren und Funktionieren, bis alle Formalitäten erledigt sind. Das 30er-Amt hat seinen Sinn. Der Tod liegt dann vier Wochen zurück. Der Alltag beginnt. Die Gedanken können sich neu sortieren. Neues kann beginnen.

Die Nachrufe sind verklungen, die Kränze in der Gruft verblüht; der Alltag ist wieder da. Manches kommt mir in den Sinn, was in den vergangenen Tagen war: Ich glaube, es ist kein Zufall, dass Kardinal Lehmann ausgerechnet am Laetare-Sonntag, einem Sonntag als Vorbote des Osterfestes, gestorben ist. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass sein letztes bisher erschienenes Buch „Von der Würde des Alters“ heißt. Ich glaube, es ist kein Zufall, dass ausgerechnet die sonst nicht so kirchenfreundliche Zeitung „taz“ es war, die den für mich persönlichsten und rührendsten Nachruf veröffentlicht hat. Vieles wurde für mich in diesen Tagen des Abschieds deutlich von dem, was dem Kardinal auch im Leben ein Herzensanliegen war: „Einheit im Glauben in der Vielfalt unseres Lebens, ohne Scheuklappen und Uniformismus“, wie er es in seinem Geistlichen Testament formuliert hat. Und so geht es jetzt auch um die Frage: Was bleibt? Da hilft der Brauch des 30er-Amtes, des Gedenkens mit einem gewissen Abstand. Und der Blick geht nach vorne: Als Mitarbeiter durfte ich ihn bei manchen Publikationen unterstützen. Ich bin sicher, in seinen hunderten von noch unveröffentlichten Manuskripten lässt sich noch so manches finden, was in seinem Sinn für die gesellschaftlichen Fragen von heute wichtig und aktuell ist: die Frage nach Gott; wie es in der Ökumene weitergeht; wie die Kirche zu denen steht, deren Leben nicht so glatt und bilderbuchmäßig verläuft; wie Christen hier in Europa auch künftig mit den vielen Menschen anderer Kulturen und Traditionen gut zusammenleben können. Da hat Kardinal Lehmann noch so manches bisher vielleicht unentdecktes Vermächtnis hinterlassen. Die bisherigen Buchtitel sprechen schon für sich: „Glauben bezeugen – Gesellschaft gestalten“, „Zuversicht aus dem Glauben“, „Mut zum Umdenken“, „Mut zum Dialog“, „Auslotungen“, um nur wenige Beispiele zu nennen. Oder auch: „Auf dem Weg zum Leben“. So heißt ein Buch mit seinen Texten zur Osterzeit. Vielleicht lohnt es sich gerade jetzt in diesen Ostertagen und mit dem Abstand von vier Wochen zu seinem Tod, diese Texte noch einmal in neuem Licht zu lesen. Kardinal Lehmann hat sich ja nun selbst „auf den Weg zum Leben“ gemacht. Zum 30er Gedenken erinnere ich mich daran und an vieles mehr: Als er als Bischof von Mainz verabschiedet wurde, hat er sehr eindringlich an sein bischöfliches Leitwort erinnert. Es stammt aus der Bibel und bringt vieles auf den Punkt: „Seid wachsam, steht fest im Glauben, seid mutig, seid stark! Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ (1 Kor 16,13-14). Das ist Erbe und Auftrag. Danke!, „Vergelt's Gott“ und: „Auf Wiedersehen!“, Kardinal Lehmann!

 

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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil1

Heute hat der Papst Geburtstag. Geburtstag und Weihnachten fallen für ihn fast zusammen. Manchen ist das wohl so egal, wie wenn ein Politiker Geburtstag hat - oder ein Popstar, oder halt irgendwer. Andere regen sich schon auf, wenn sie nur das Wort „Papst“ oder „Kirche“ hören. Aber wer sich Papst Franziskus mal genauer ansieht, der wird vielleicht manches Vorurteil überdenken müssen. Denn dieser Papst ist anders als manches Klischee von Kirche vermuten lässt. Die Lebensfreude, die er ausstrahlt, ist Teil seines Programms: „Von der Freude des Evangeliums“ heißt eine seiner ersten Veröffentlichungen als Papst. Ja, „Evangelium“ - das bedeutet vom griechischen Wort wörtlich übersetzt „Frohe Botschaft“. Aber kann ich das spüren in der Kirche - und bei denen, die zur Kirche gehören? Gibt es da die Freude, die frohe Botschaft, auch jetzt zu Weihnachten? Oder doch eher Jammern, Beschweren und Lamentieren, dass früher „mehr Lametta“ war? Papst Franziskus ist da eindeutig: An seiner Wohnungstür hängt seit einiger Zeit ein Schild: "Beschweren verboten!", steht da auf Italienisch. Das Foto davon kursiert seitdem im Internet. Ich kann mir lebhaft vorstellen, dass es eine Mahnung für alle ist, die dem Papst bei Besuchen die Ohren vollmachen, wie denn der Zustand der Kirche sei, was er denn bitte alles ändern soll – und was gerade nicht. Aber da steht noch mehr auf dem Schild: „Beschweren verboten! Zuwiderhandlung wird bestraft mit einem Geisteszustand, in dem man schlecht gelaunt ist und eine verringerte Problemlösefähigkeit hat. (…) Daher: Aufhören mit Jammern, anfangen, das eigene Leben zu verbessern." 
Das Schild stammt vom Psychologen Salvo Noè, der es dem Papst bei einer Audienz auf dem Petersplatz überreicht hat. Anscheinend hat es dem Papst so gut gefallen, dass er es an seine Wohnungstür gehängt hat. 
Wer meint, dass der Papst da mit erhobenem Zeigefinger hantiert, um seine Besucher zu belehren, der täuscht sich. Denn er selbst ist es ja, der wohl am häufigsten durch diese Tür geht. Und so wie ich den Papst erlebe, hat es ihm schon viel geholfen: Er strahlt ja eine Lebensfreude aus, die alles andere als jämmerlich und lamentierend ist, nicht nur jetzt in der Vorweihnachtszeit. In einem seiner Tweets im Kurznachrichtendienst Twitter hat der Papst geschrieben: „Allein können wir die Welt nicht ändern, gemeinsam aber können wir die Freude des Evangeliums säen, indem wir den Kleinsten zur Seite stehen.“Darum geht es auch an Weihnachten: Solidarisch mit den Kleinen, den Schwachen, weil gerade das Kind in der Krippe von Betlehem der Erlöser der Welt ist – so seltsam das klingt. Aber genau das ist die Botschaft von Weihnachten. 

Teil 2

 Schon nächsten Sonntag ist Heiligabend. Der Sonntag heute heißt in der Katholischen Kirche „Gaudete“ - „Freut euch“. Gaudete! Das Wort „Gaudi“ hat dieselben Wurzeln. Freut euch, bald ist Weihnachten! Darauf verweist nicht nur der Papst mit seiner ansteckenden Lebensfreude. Der Grund zur Freude an Weihnachten, die er damit verkündet, ist, dass Gott Mensch wird. Doch ist das ernsthaft ein Grund zur Freudewenn man bedenkt, was wir Menschen uns täglich mit Neid, Hass und Leid gegenseitig antun: in der Welt und vor der eigenen Haustür? Aber Weihnachten ist kein Lametta-Fest mit Harmonie-Soße! „Weihnachten wird es, wenn es ganz dunkel ist”, hab ich auf einer Weihnachtskarte gelesen. Das passt, finde ich; auch wenn es zunächst komisch klingt. Wo doch Weihnachten das Fest der Freude und der Lichter ist. Häuser sind angestrahltund Bäume und Sträucher geschmückt. Und da soll es nun nach dem Kartenspruch Weihnachten werden, wenn alles dunkel ist? Wo bleibt da die Weihnachtsfreude? Die hoffnungsvolle Lebensfreude, von der ich beim Papst gesprochen habe? Wenn wir mit den Lichterketten und Leuchtbändern alles erleuchten, vergessen wir schnell, dass es an Weihnachten nicht um Glanz und Gloria, Lametta und das heimelige Gefühl von tausenden Lichtern geht. Wenn ich Weihnachten ernst nehme, dass Gott nämlich zu denMenschen kommt, auch in die Not der Welt, dann brauche ich keine Angst zu haben vor der Dunkelheit und auch den Schatten im eigenen LebenDann macht es gerade Hoffnung, dass in der dunkelsten Nacht der neue Tag beginnt. Weil Gott in tiefster Nacht erschienen, kann unsere Nacht nicht traurig und endlos sein. Dann wird es immer heller.Wenn Gott wirklich als Mensch geboren wird - und das feiere ich als Christ an Weihnachten - warum sollte ihm dann irgendwas Menschliches fremd sein, auch das, was uns im wahrsten Sinn des Wortes be-trübt? Gerade weil Gott in der Nacht kommt, in der Weih-Nacht, kann das Dunkel nicht das letzte Wort haben. Gott durchbricht die Nacht. Dann bekommt der Satz auch seinen tiefen Sinn: Weihnachten wird es, wenn es ganz dunkel ist. Und darauf weist der Dritte Advent heute schon hin: Gaudete, freut euch – freu dich! Das wünsche ich Ihnen und mir und allen, die sich auf Weihnachten freuen, trotz mancher düsteren Nachricht in diesen Tagen. Trotzdem. Schon heute: frohe Weihnachten!

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SWR4 Sonntagsgedanken

 „Die Heilige der Gosse“, hat ein amerikanisches Magazin sie einmal genannt: Mutter Teresa. Die katholische Ordensfrau wurde schon zu Lebzeiten wie eine Heilige verehrt, nicht nur von Katholiken. Sie hat in Kalkutta bei den Armen und Obdachlosen gelebt. Hat Krankenhäuser und Heime für sie eingerichtet. Sie hat das Sterben in den Straßen der Stadt erlebt – und versucht in der Not dort zu helfen, wo es ihr möglich war.

Teil 1: die Heilige der Gossse

Morgen jährt sich der Tag, an dem Papst Franziskus sie im letzten Jahr offiziell heiliggesprochen hat. Ich bin ihr – wie wohl fast alle von uns - nie persönlich begegnet, und doch ist mir auch Jahre nach ihrem Tod ihr zierliches, faltiges Gesicht präsent, ihr Name bekannt, ihr Werk unvergessen. „Mutter Teresa“ – der Name ist zum Sinnbild geworden für anpackende Hilfe und Nächstenliebe. Der Friedensnobelpreis ist nur eine der vielen Auszeichnungen, die sie erhalten hat. Die körperlich kleine Frau war eine ganz Große: „Christliche Nächstenliebe“ konkret, nicht nur theoretisch. Sie hat im Dreck der Straße angepackt. Das ist gelebte „Barmherzigkeit“, wie sie Papst Franziskus immer wieder fordert und zeigt. Er hatte ja auch das „Heilige Jahr der Barmherzigkeit“ ausgerufen, um dem viel zitierten, aber auch oft missverstandenen Begriff „Barmherzigkeit“ neues Leben zu geben und ihn auf seine Alltagstauglichkeit hin zu überprüfen. Denn nur so kann sich so ein Begriff bewähren, damit er nicht hohl und wissenschaftlich zerredet wird.

Genau wie bei Mutter Teresa. Was sie tat, war konkrete Barmherzigkeit in ihrem Alltag. So konkret, dass sie nicht mit einem theoretischen Plan und einem Organisationskonzept zur Weltverbesserung daher kam. Sie tat einfach das, was sie – im wahrsten Sinn des Wortes – für Not-wendig hielt, um die Not zu wenden. Das hat man ihr manchmal vorgeworfen: Dass sie chaotisch gewesen sein soll, mit ihrer Arbeit nur einen Tropfen auf den sprichwörtlichen Heißen Stein geleistet hat. Dass sie nicht nachhaltig politisch an den globalen Strukturen der Ungerechtigkeit etwas geändert hat. Dass sie Leid verklärt hat. Dass sie die Krankenversorgung nicht nach den Standards durchführte, die wir heute erwarten. Sie war nicht perfekt nach diesen Maßstäben. Und doch wurde sie heiliggesprochen.

Heiliggesprochen – das ist ja kein Zauber, mit dem ein Mensch plötzlich übersinnliche Kräfte erhält. Die katholische Kirche erkennt damit an, dass dieser Mensch schon in seinem irdischen Leben Gott ganz nah war. Dieser Mensch ist nicht Gott – er ebnet eher den Weg zu Gott, weil er zeigt, dass auch ein Mensch Gott ganz nah sein kann – im Leben hier auf der Erde und auch und erst recht danach, wenn er gestorben und dann endgültig bei Gott angekommen ist.

Teil 2: Die Heilige mit Schatten -damit das Licht leuchtet

In den Sonntagsgedanken erinnere ich mich heute an Mutter Teresa, die vor einem Jahr heiliggesprochen wurde. Dabei ist ihr Leben alles andere als geradlinig und perfekt verlaufen.

Vor einigen Jahren sind Tagebuchaufzeichnungen von ihr bekannt geworden, in denen sie sogar ihre Zweifel an Gott beschreibt. Dass sie dunkle Zeiten erlebt hat, in denen sie gesucht hat und an Gott fast verzweifelt ist: Wo ist er denn in all dem Leid, das sie auf den Straßen Kalkuttas erlebt? Zweifeln. Auch Verzweiflung. Das passt so gar nicht zu einer Heiligen, oder? Müssen die nicht immer leuchtend und blütenrein erscheinen? Dann sind sie aber unnahbar weit weg, auf den Sockel gehoben - nur Legende - und damit am Ende bedeutungslos für das eigene Leben, unerreichbar verklärt. Aber Heilige sind keine Götter, die alles in den Schatten stellen. Im Gegenteil: Sie sind und bleiben Menschen und haben selbst oft Schatten im Leben erlebt.

Ich denke, dass gerade das auch Mutter Teresa so besonders macht: Trotzdem oder gerade weil sie Zweifel hatte. Weil sie nicht schon immer alles gewusst und besser gewusst hat. Weil sie auch Fragen hatte in dem, was sie tat - und nicht nur Antworten. Aber sie hat nicht aufgegeben. Und das ist eine Antwort, die glaubwürdiger ist als alle ach so überzeugt klingenden Antworten in frommen Worten: Sie hat gezeigt, dass Gott alle Menschen liebt, wie sie sind. Auch im Leid. Auch die von der Gesellschaft Geächteten, die Aussätzigen. Für Gott sind sie nicht verloren.

„Die Armut wurde nicht von Gott geschaffen. Die haben wir hervorgebracht, ich und du mit unserem Egoismus“, hat Mutter Teresa einmal gesagt. Ich und Du: Eine Heilige, die vom eigenen Egoismus herausgefordert wurde. Und die den menschlichen Egoismus als eines der Grundübel erkannt hat. Wenn ich nur um mich selbst kreise, dann werden meine Kreise immer enger, ängstlicher und kleinkarierter. Wo ich aber diesen Kreis durchbrechen kann, öffnen sich mir ganz neue Perspektiven, neue Dimensionen: himmlische Dimensionen. Und das ist der Weg zur Heiligkeit.

Heilige sind Menschen mit Licht und Schattenseiten. Gerade der Schatten erinnert mich ja daran, dass es irgendwo ein helles Licht geben muss, dem ich im Moment selbst im Weg stehe. Heilige sind Menschen, durch die die Sonne ein bisschen heller scheint und der Schatten kleiner wird. Und die gibt es nicht nur in Legenden und frommen Geschichten. Es gibt sie immer wieder - Ob in Kalkutta oder Kaiserslautern, in Rom oder Reutlingen, in Karachi oder Koblenz, in Damaskus oder Donaueschingen. Menschen, durch die die Sonne scheint, weil sie vom Egoismus ablassen und andere gelten lassen. Vielleicht kennen Sie auch solche Menschen – oder sind sogar selbst so einer. Gut, dass es sie/Sie gibt! Gott sei Dank!

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SWR4 Sonntagsgedanken

 ...mit dem Heiligen Geist

Teil 1: Weggefirmt...?

In katholischen Kreisen wird manchmal dieser Witz erzählt: Treffen sich drei Pfarrer. Sagt der eine: Bei mir im Kirchturm sind so viele Tauben eingezogen. Mit ihren Hinterlassenschaften beschädigen die Vögel den ganzen Kirchturm. Ich weiß gar nicht, wie ich sie wegbekommen soll. Der zweite schlägt den Kammerjäger oder ein Netz vor – aber erfolglos. Da hat der dritte einen Tipp: Ich hatte das auch mal. Da hab ich die Vögel einfach gefirmt – und am nächsten Tag waren alle weg. Was etwas locker-lustig daher kommt, erfahren vielen Pfarreien als gar nicht so lustig: Die Firmung, bei der Jugendliche nach Taufe und Erstkommunion voll in die Gemeinschaft der Kirche aufgenommen werden, ist eigentlich ein Abschied: Diese Feier nimmt man noch mit, aber danach geht das Interesse an Kirche und Gottesdienst und Gemeinde oft gegen Null. Wenn nicht sogar schon vorher. Etwas zynisch könnte man also davon sprechen, dass die jungen Leute da „weggefirmt“ werden – so wie im Witz mit den Vögeln.

Die Firmung ist eines der sieben Sakramente der katholischen Kirche. Ein Sakrament, das ist ein Zeichen für etwas, was man nicht sehen kann: Gerade, wenn das Leben in eine neue Etappe geht, wünschen sich Menschen einen Beistand und Wegbegleiter, und fragen nach Gott: bei der Geburt, bei der Hochzeit, beim Sterben. Und Gott ist da, auch wenn wir ihn selbst nicht sehen können. Er ist da, vergleichbar mit dem Strom, den man ja auch nicht sehen, sondern nur an seiner Wirkung erkennen kann. So werden die Firmlinge gesegnet mit den Worten: „Sei besiegelt durch die Gabe Gottes, den Heiligen Geist“. Gottes Beistand, der Heilige Geist, soll die Jugendlichen stärken und besiegeln, dass sie nun ganz zur Gemeinschaft der Kirche gehören. In der Firmung bestätigen sie ihre Taufe, bei der ja meist die Eltern für die Kleinkinder entschieden haben. Klar, dass da Geschenke und gesellschaftliche Konventionen oft auch eine große Rolle spielen, weil man sich halt firmen lässt. Als Jugendlicher hatte ich auch andere Sorgen als die Frage, ob ich ein „Sakrament“ empfange: Was ist der Sinn in meinem Leben? Wohin gehöre ich und wie will ich mit anderen zusammen leben? Wohin geht meine Lebensreise? Und wer bin ich eigentlich in diesem „Spiel des Lebens“? All das sind Fragen, die Jugendliche auch heute stellen – und die nach dem Sinn und der Hoffnung fragen, warum und wie es sich zu leben lohnt. Viel hängt davon ab, ob die Antworten von uns in der Kirche da tatsächlich passend und verständlich, einladend und hoffnungsfroh sind, oder eher zum Weglaufen, zum „Weggefirmt“ werden.

Teil 2: ... besiegelt und gestärkt mit den Gaben des Heiligen Geistes

Heute geht es in den Sonntagsgedanken um die Firmung, die in der katholischen Kirche das Fest der vollen Aufnahme in die Gemeinschaft ist. Aber viele wissen, dass danach oft Funkstille herrscht in Sachen Glaube und Gemeinde, Kirche und Katechismus.

Gestern ist auch unsere Tochter gefirmt worden. Zusammen mit den Nachbargemeinden kam ein gutes Dutzend Jugendlicher zusammen. Manche mögen beklagen, dass das sehr wenige sind. Und manche mögen vergleichen mit ihrer eigenen Jugend. Meine Firmung ist nun auch schon ein gutes Vierteljahrhundert her. Auch bei uns war manches anders: Wir hatten regelmäßige Treffen, „Kurse“, um Glaubenswissen vermittelt zu bekommen. Ehrlich gesagt, ich bin froh, dass das heute oft anders läuft. Dass keine Strichlisten mehr geführt werden, wer wie oft in den Sonntagsgottesdienst geht; dass kein Katechismus-Wissen abgefragt wird; dass man nichts „wissen“ muss, um glauben zu können. In der Firmung geht es um Gottes Heiligen Geist, seinen Beistand und seine Kraft. Er wirkt in unserem Leben - ohne, dass ich mir das erst wie eine Prämie verdienen muss. Es ist ein Geschenk, das ich annehmen oder erstmal zur Seite legen kann, weil ich es erst später zu schätzen weiß. Wenn ich das glaube, dann kann ich mich über die Firmung unserer Tochter freuen, auch wenn ihr und vielen anderen Firmlingen die theologische Bedeutung des „Sakraments“ ehrlich gesagt ziemlich egal ist. Dann weiß ich sie bestärkt durch Gottes Kraft. Dann lasse ich Gott ans Werk und vertraue, dass er schon weiß, was er mit diesen jungen Menschen auf ihrem Lebensweg vorhat. Ich glaube und vertraue, dass er sie mit ihren eigenen und tatsächlichen Fragen nicht allein lässt, ihnen Rat und Weisheit und Erkenntnis schenkt auf dem Weg durch's Leben – und gute Wegbegleiter, zu denen ich vielleicht auch gehören darf: Damit sie ankommen und ihren Platz finden. Das ist die Hoffnung, die ich habe. In den Bibeltexten, die heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen werden, werden die Jünger aufgefordert „stets bereit (zu sein), jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt“, die sie erfüllt. (1 Petr 3,15b) Antworten auf Fragen, die tatsächlich jemand stellt. Ich bin sicher, die Firmlinge werden ihre Antwort finden und später selbst geben können – und so mit Gottes Hilfe, seinem Schutz, Beistand, Rückenwind und Segen Zeugen der Hoffnung sein. Jeder und jede auf seine und ihre Weise. In der Welt von heute. Gott sei Dank!

 

Für Tabea - zur Firmung am 20. Mai 2017

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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1: Sind sie glücklich?

Na, wie geht’s Ihnen? Geht's gut? Ich weiß oft gar nicht, was ich darauf antworten soll. Will der andere wirklich wissen, wie's mir geht? Oder doch nur freundlich zum Smalltalk übergehen? Andererseits wäre es schon ziemlich komisch, wenn ich begrüßt würde mit den Worten „Sind Sie glücklich?“. Das wäre mir dann doch etwas zu direkt. Das ist eher was für große anonyme Umfragen, wie sie Meinungsforscher machen. Es gibt zum Beispiel den „Glücksatlas“, den die Deutsche Post schon zum wiederholten Mal erstellt hat – zusammen mit Wissenschaftlern. Das Ergebnis: Die Deutschen sind derzeit so glücklich und zufrieden, wie schon seit zehn Jahren nicht mehr. Allen anderen gefühlten Wahrheiten zum Trotz. Wissenschaftlich erwiesen ist, dass in Sachen Lebenszufriedenheit wir Deutschen kaum Grund zur Klage haben. Im internationalen Vergleich sind wir ein paar Plätze seit der letzten Umfrage geklettert, nun auf Platz 9 von 33. Die glücklichsten Deutschen leben demnach in Schleswig-Holstein. Rheinland-Pfälzer, Badener und Württemberger sind im unteren Mittelfeld zu finden. Die Badener etwas zufriedener als die Württemberger und diese etwas glücklicher als die Rheinland-Pfälzer. Im Durchschnitt, versteht sich. Persönliche Ausnahmen bestätigen die Regel. Aber was macht es aus, glücklich zu sein? Wann bin ich glücklich? Da spielt die Familie eine große Rolle: Weit mehr als Zwei-Drittel der jungen Deutschen sehen Kinder als sehr wichtigen Bestandteil eines erfüllten Lebens. Menschen in einer Partnerschaft sind glücklicher als Alleinstehende, verheiratete Paare stehen oben an. Und die kulturelle Offenheit spielt eine Rolle. Tolerante Menschen sind nach dieser Studie deutlich zufriedener als intolerante Menschen. Wer hätte das gedacht?! In anderen Studien wird festgestellt, dass religiöse Menschen glücklicher sind als nicht-religiöse. Sie haben in der Krise mehr Halt. Ob jemand persönlich glücklich und zufrieden ist, hängt natürlich von vielen Umständen ab: beruflich, partnerschaftlich, wie ich wohne, meine Freizeit gestalte, ob ich gute Freunde habe und von vielem mehr. Glücklich sein wollen wir alle. Aber es gilt nicht die Regel: Je mehr, je besser. Diejenigen, die viel besitzen, im Beruf weit gekommen sind, einen großen Freundeskreis und ein dickes Konto haben, sind nicht zwangsläufig die glücklichsten. Auch wer wenig hat, kann glücklich sein; selbst wer nicht ganz gesund ist, kann alles in allem doch glücklich sein. Auf die Haltung kommt es an. Glücklich ist, wem das gelingt; der ist wirklich beschenkt. Denn klar ist: Auch mit allem Geld der Welt kann ich Glück nicht kaufen. Wer heute Morgen in einen katholischen Gottesdienst geht, der hört aus der Bibel einen Text, der so etwas wie eine „Anleitung zum Glücklichsein“, zur Glückseligkeit ist: Jesus sagt da: „Selig, die arm sind vor Gott; denn ihnen gehört das Himmelreich. Selig die Trauernden; denn sie werden getröstet werden. Selig, die keine Gewalt anwenden; denn sie werden das Land erben. Selig, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit; denn sie werden satt werden.“ Und er nennt noch weitere. Das klingt schon seltsam! Ich mache da ganz andere Erfahrungen: Von wegen selig sind die Trauernden. Oder selig sind die Sanftmütigen. Daran haben sich schon viele Menschen gestoßen, auch Theologen. Heinrich Fries hat einmal ziemlich provokativ „Anti-Seligpreisungen“ formuliert: „Verraten sind die Armen, denn sie haben nichts einzubringen. Verraten sind die Leidtragenden, denn sie sind ausgeschlossen aus der Gesellschaft. Verraten sind die Sanftmütigen, denn sie werden an die Wand gedrückt werden. Verraten sind, die hungern und dürsten nach der Gerechtigkeit, denn Macht geht vor Recht und Geld regiert die Welt.“ Und so weiter. Und doch haben die „Seligpreisungen“ aus der Bergpredigt von Jesus durch viele Jahrhunderte die Menschen beschäftigt. Der Papst hat diese Seligpreisungen vor kurzem in einer Predigt den „Personalausweis“ der Christen genannt. Für Christen soll eben gerade nicht das scheinbar Unabänderliche gelten, nicht das Gesetz des Stärkeren, das Geschrei der Lautesten. Auch nicht die Sorge, immer zu kurz zu kommen, andere als Sündenböcke abstempeln zu müssen, um selbst besser da zu stehen. Die Seligpreisungen kann ich missverstehen als Katalog von Anforderungen und Bedingungen: Selig seid ihr, WENN... - Also NUR wenn ihr dies und jenes leistet, erfüllt, tut, dann...

Ich glaube aber, so sind sie nicht gemeint. Ich verstehe die Worte Jesu als Zusage: Komm, ich zeig dir, wie du glücklich werden kannst: in deinem Leben, mit deinen Möglichkeiten! Versuch es mit Barmherzigkeit, mit Geduld, mit Verzicht auf das immer Mehr, das dich doch am Ende nur krank macht. Klammere dich nicht an das, was du doch nicht halten kannst. Der Papst hat in seiner Predigt den bekannten Seligpreisungen Jesu noch ein paar aktuelle hinzugefügt. Zum Beispiel: „Selig, die den Ausgesonderten und an den Rand Gedrängten in die Augen schauen und ihnen Nähe zeigen. Selig, die Gott in jedem Menschen erkennen und dafür kämpfen, dass andere auch diese Entdeckung machen.“ Das ist kein Wenn–Dann-Automat. Das ist eine Einladung, es mal anders zu probieren, um so frei und glücklich zu werden. Auch heute. Gerade heute

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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1: Endlich sagt's mal jemand

Endlich sagt's mal jemand! Das ist so ein Satz, der mir in den Ohren klingt. Eigentlich ist das ja was Gutes. Endlich sagt's mal jemand. Das, was nötig ist. Und achtet nicht darauf, ob das nun beklatscht wird oder nicht. Weil’s halt gesagt werden muss. Den Satz höre ich immer wieder in anderem Zusammenhang: Da wird einfach mal behauptet: „Das Boot ist voll“, Deutschland verhalte sich wie „das Sozialamt der Welt“ oder „Die“ – gemeint sind die Asylbewerber und Flüchtlinge – „Die haben's gut, und wir haben's schlecht“. Da wird unterstellt, dass wir in Deutschland unterdrückt würden. Von einer Medienmacht, von der Regierung, von Leuten, die sich verschworen haben, um die Wahrheit nicht ans Licht kommen zu lassen. Wenn ich dann näher hinschaue, sehe ich eher das Gegenteil: Diejenigen, die am lautstärksten behaupten, dass man dieses oder jenes nicht sagen dürfe, sind es ja gerade, die ohne Pause ihre Behauptungen, Beschwörungen und Beschimpfungen rausposaunen. Endlich sagt's mal jemand? - Wie bitte?

Mit Argumenten kommt man einer solchen Stimmung schlecht bei. Zahlen werden nicht überzeugen, die eindeutig zeigen, wie verhältnismäßig gering etwa der Anteil der Geflüchteten bei uns im weltweiten Vergleich ist; wie wohlhabend die allermeisten Deutschen im Vergleich zu anderen sind; wie friedlich, problemlos und integriert die allermeisten Ausländer bei uns leben. Das wollen die Leute nicht hören, die ihr Urteil schon gefällt haben und ihrem Gefühl und ihrem kleinen Kosmos mehr vertrauen als den globalen Fakten. Dialog und Verständigung ist da kaum möglich. Beispiel: Tag der Deutschen Einheit in Dresden. Die übergroße Mehrheit hat friedlich gefeiert. Aufmerksamkeit haben die Störer bekommen. Das ist eben so. Je lauter da palavert wird, desto stummer werden oft die, die Tag für Tag andere Erfahrungen machen: Die erleben und mithelfen, wie Integration tagtäglich und unspektakulär gelingt. Aber das ist dann keine große Nachricht. Muss es auch nicht sein, weil es die Regel und nicht die Ausnahme ist. Populisten brauchen die Provokation. Gut, dass es auch anders geht. Etwa die deutschen Bischöfe. Die haben mal zur Flüchtlingsdebatte unmissverständlich erklärt: "Das Merkmal einer christlichen Identität ist die Nächstenliebe". Klingt normal? Zu wenig spektakulär? Dann konkreter: "Wer die christliche Prägung nur deshalb hochhält, um Menschen anderer Kulturen und Religionen fern zu halten, missbraucht und entwertet das Christentum", hat Erzbischof Stefan Heße aus Hamburg klargestellt. Und ich hab‘ gedacht: Endlich sagt's mal jemand!

Teil 2: Hoffnung statt Hass, gelegen oder ungelegen!

In den Sonntagsgedanken möchte ich heute mal eine Lanze brechen für alle, die das sagen, was kaum beachtet wird, weil es viel zu normal scheint.

Wenn ich an die Berichte über Geflüchtete bei uns denke, dann ist da oft von Problemen die Rede. Und von denen, die Probleme machen. Mal sind es die Geflüchteten selbst, und oft genug sind es die, die mit ihrem Hass allem Fremden gegenüber Probleme machen. Ich möchte den Blick lenken auf die, die nicht so in den Schlagzeilen sind, weil sie alltäglich und normal das tun, worauf es ankommt. Ich bin froh, dass es viele Kirchengemeinden und Gruppen in der Kirche gibt, die sich nicht einschüchtern lassen, wenn sie als Gutmenschen beschimpft werden. Die zuversichtlich jedem helfen, der in Not ist, weil sie davon überzeugt sind, dass wir in Deutschland eine starke Gemeinschaft sind, die helfen kann. Das sind die, die mit gutem Willen und reichlich Anstrengung Dinge schaffen können, die andere nicht einmal versuchen wollen: für Arme, Obdachlose und Geflüchtete.

Da gibt es ein schönes Wort aus der Bibel, das heute in den katholischen Gottesdiensten gelesen wird: „Verkünde das Wort, tritt dafür ein, ob man es hören will oder nicht!“ (2 Tim 4,2). So geht „Endlich sagt's mal jemand“ nämlich auch. Das gute Wort, die gute Tat. Wie befreiend ist es, wenn wir viel mehr davon sprechen. Wir brauchen Mutmacher, keine Miesmacher. Ich bin froh über das Christliche am Abendland. Wenn nämlich das etwas antiquiert wirkende Wort von der Nächstenliebe ganz konkret wird. Nächstenliebe: das ist Solidarität, Menschenfreundlichkeit und Hilfe in der Not, egal welche Hautfarbe, Herkunft oder Religion jemand hat. Das ist christlich am Abendland. Das sind Werte!

Auch das ist ein Wort aus der Bibel: “Seid stets bereit, jedem Rede und Antwort zu stehen, der nach der Hoffnung fragt, die euch erfüllt.” (1 Petr 3,15) Ich nehm' mir vor, in der kommenden Woche mal genau drauf zu achten, wo es in der Zeitung und im Radio Hoffnungsmeldungen gibt. Und ich will drauf achten, wo es in meinem Alltag Grund zur Hoffnung gibt: vielleicht banal, vielleicht unbeachtet, aber doch unheimlich wichtig. Damit will ich die Welt nicht schöner reden, als sie ist. Damit verschließe ich nicht die Augen vor Leid, Krieg, Terror und Angst. Und ich laufe auch nicht mit einer rosa Brille durch's Leben. Aber ich will mir auch nicht einreden lassen, dass die Welt immer schlimmer wird, immer hoffnungsloser, immer brutaler. Wird sie nämlich nicht. Und ich bin dem auch nicht nur passiv ausgeliefert. Auf das „Normale“ zu achten, auf das, was Hoffnung macht im Alltag: Das nehm' ich mir vor für die nächste Woche. Davon will ich dann auch erzählen: bei Freunden, Kollegen – oder hier im Radio. Und ich hoffe, dass dann jemand, der das hört, denkt: Endlich sagt's mal jemand!

 

 

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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil 1: Unsicherheit und die Suche nach schnellen Antworten

Kondensstreifen von Flugzeugen am Himmel: Sind das gefährliche „Chemiespuren“, mit denen wir alle vergiftet – oder zumindest manipuliert werden sollen? Gibt es „das ganz große Ding“, das da angeblich zwischen Politik, Medien und Polizei ausbaldowert wird, um uns „die eigentliche Wahrheit“ vorzuenthalten? Verschwörungstheorien scheinen wieder in Mode zu sein. Immer wieder tauchen sie in Variationen auf, füllen bis heute Bücher und finden zum Teil faszinierte Abnehmer. Außerirdische Einflüsse oder ganz irdische Verschwörerbanden: Die Theorien wollen das erklären, was uns hier zu schaffen macht. Und sie klingen nur zu oft recht abenteuerlich. Man kann sich in den meisten Fällen darüber amüsieren. Man kann den sprichwörtlichen „Aluhut“ aufsetzen, den Hut aus Aluminium. Der soll ja gegen die kosmischen Strahlen und die Telepathie helfen, die die Verschwörungstheoretiker so fürchten. Man kann es auch lassen. Verschwörungstheorien sind nämlich mit ihren Aluhüten im wahrsten Sinn des Wortes ein „alter Hut“, auch wenn sie in immer neuen Moden daherkommen. Durch alle Jahrhunderte schon gab es sie, spielten oft mit der Angst vor dem Weltuntergang. Und: Wir leben noch!

Gemeinsam ist solchen Theorien, dass sie das mit einfachen Worten eingängig zu erklären versuchen, was uns Menschen Sorge macht, weil wir es nicht verstehen. Oft schwarz-weiß, schlicht mit Gut und Böse. Je verunsicherter und ängstlicher jemand ist – vielleicht unbewusst -, desto anfälliger ist er für populistische Antworten. Und manchmal gibt es dann einen Sündenbock, um die eigene Ängstlichkeit und Enge zu verstecken: „die Illuminaten“, „die Freimaurer“, „die Juden“, „der Islam“. Manche kommen scheinbar in der komplizierten Welt ohne Sündenböcke nicht mehr klar, fühlen sich bedroht und benachteiligt. Dann einen Sündenbock zu benennen, der angeblich an allem schuld ist, kann vordergründig entlasten. Aber dann wird es schnell menschenverachtend, weil der Weg zu Rassismus und Hetze gebahnt wird. Auch hier gilt: Wehret den Anfängen!

Wer schnelle und scheinbar einleuchtende Antworten auf schwierige Fragen gibt, der macht sich verdächtig. Komplexe Fragen können keine einfachen Antworten haben – das sagt schon die Vernunft, auf die sich viele dieser Theorien angeblich doch stützen wollen. Da schalten manche anscheinend doch den „gesunden Menschenverstand“ gerne aus – selbst wenn sie sich noch so ausdrücklich darauf berufen. Aber so einfach ist die Welt nicht. Das macht es so anstrengend.

Teil 2: Fürchte dich nicht

Heute geht es in den Sonntagsgedanken um Verschwörungstheorien und das Spiel mit der Sorge der Menschen.

Natürlich sind nicht alle diese Theorien gefährlich. Manche bieten auch spannende Unterhaltung, etwa in Buchform. Wie zum Beispiel das Buch „Illuminati“ von Dan Brown; das Buch, in dem eine große Vatikan-Verschwörung beschrieben wird. Spannender Lesestoff. Aber eben nur Unterhaltung. Keine Welterklärung.

Wie gesagt: Schon immer wollten wir Menschen das erklären, was wir nicht direkt verstehen: Warum donnert und blitzt es am Himmel? Warum gibt es Leid in der Welt? Warum gibt es Krankheiten? Es ist ein Gefühl der Ohnmacht, das nach Antwort sucht: Die Urangst des Menschen, sich nicht behaupten zu können, zu kurz zu kommen, gar das Leben vorzeitig zu verlieren. Aber was ist dann eine Antwort, die nicht mit der Angst spielt? Eine Antwort, die nicht andere klein machen muss, um selbst besser da zu stehen? Eine Antwort, die wirklich hilft und nicht noch mehr verunsichert? Die die Angst nimmt und nicht noch schürt?

Es mag etwas altmodisch klingen. Aber oft gibt es ein schlichtes „Gegenmittel“ gegen solche zerstörerische Ohnmacht, die nicht selten zur Aggression führt. Es ist das Vertrauen: Wo die Welt scheinbar aus den Fugen gerät, wo der Mensch scheinbar hilflos dem Spiel der Macht und der Mächtigen ausgeliefert ist, da hilft dieses Grundgefühl des Vertrauens umso mehr. Nicht als naives Glauben an das, was einem andere sagen und weismachen wollen. Sondern als sicheres Fundament, das einen nicht so leicht ins Wanken bringt im Leben. So ein Vertrauen kann man nicht machen, das kann man nur wirken lassen. Es ist schon da, von Kindheit an. Es muss manchmal nur neu entdeckt werden – Vertrauen zu mir selbst und zum Menschen neben mir. Das macht verletzlich und doch – so komisch das klingt – das macht unendlich stark.

Als Christ nenne ich dieses Urvertrauen auch Gottvertrauen. Dass es von Anfang an einen gibt, der über den Dingen steht, der es gut mit uns meint, auch wenn wir nicht jedes Detail und jeden einzelnen Schritt verstehen. Mit Gottvertrauen erkenne ich an, dass ich nicht alles selbst regeln kann auf dieser Welt. Dass ich aber auch nicht alles erklären können muss, sondern wirklich vertrauen darf, dass es am Ende gut wird. Niemand kann tiefer fallen als in Gottes Hand. Damit lässt sich leben. Und damit lässt sich gut leben. Solches Gottvertrauen ist alles andere als naiv. Ich bin sicher: Es hilft mehr als jeder Aluhut. Die klare Botschaft aus der Bibel lautet - uralt und täglich aktuell: „Fürchte dich nicht. Ich bin bei dir!“ (nach Jes 41,10) Gott sei Dank!

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SWR4 Sonntagsgedanken

Teil I: Wehret den Anfängen

"Zerreißt den Mantel der Gleichgültigkeit, den ihr um euer Herz gelegt! Entscheidet euch, ehe es zu spät ist!“ So steht es in einem Flugblatt der Studentengruppe „Die Weiße Rose“.  Mehr als siebzig Jahre ist das jetzt her. Die bekanntesten Mitglieder waren die Geschwister Scholl: Hans und Sophie. Sie wurden von Nazis verraten und ermordet. Weil sie Flugblätter wie diese verteilt haben. Weil sie aus christlicher Motivation heraus die Verbrechen der Nazis angeprangert haben. Und diejenigen, die sie zugelassen haben. Die Mitläufer. Diejenigen, die heimlich zustimmten. Diejenigen, die von nichts gewusst haben wollten. Die Weggucker. Ganz „normale Bürger“ also, damals wie heute. 

Zur Gruppe der „Weißen Rose“ gehörte auch der Katholik Willi Graf aus Saarbrücken, nach dem dort heute eine kirchliche Schule benannt ist. Ich habe vor zwanzig Jahren dort Abitur gemacht. Im Eingangsbereich der Schule hing ein Porträt von Willi Graf. Und die Sätze von ihm: „Jeder Einzelne trägt die ganze Verantwortung. Für uns aber ist es die Pflicht, dem Zweifel zu begegnen und irgendwann eine eindeutige Richtung einzuschlagen.” Verantwortung. Entscheidung. Klare Richtung. Und: „Wehret den Anfängen“.  

Klar war er für uns ein Vorbild. Gegen Nazis waren wir auch. Und „Mut zum Widerstand“ sollte auch unser Leitwort sein. Als pubertierende Schüler fiel das nicht schwer, sich auf diesen Widerstand zu berufen, in allerlei Alltagssituationen, auch fern von politischen Zusammenhängen: Wenn wir uns von den Lehrern schlecht behandelt fühlten – oder in feurigen Artikeln für die Schülerzeitung. Dass der Widerstand von unserem Vorbild Willi Graf aber nicht pubertär, sondern noch viel existenzieller war, dass er – wie die Geschwister Scholl und andere Mitglieder der „Weißen Rose“ - sogar mit seinem Leben für diese Überzeugungen bezahlt hat, das konnten wir damals wohl noch nicht richtig erfassen. 

Und heute? Im Kurznachrichtendienst Twitter hat einer in diesen Tagen geschrieben: „An alle, die in den Neunzigern in der Schule sagten: 'Ich hätte damals nicht mitgemacht': Unsere Zeit ist jetzt!“ - Das gibt mir zu denken. Denn wie sieht es heute aus? Da kneife ich noch viel zu oft. Bei viel Geringerem. Halte den Mund. Auch aus Bequemlichkeit. Schaue weg, wo es doch auf ein mutiges Wort ankäme. Und es geht noch weiter: Wenn heute jede Woche Flüchtlingsheime angegriffen werden; wenn heute wieder von „Überfremdung“ gesprochen wird; wenn Sündenböcke schnell benannt sind; wenn heute stumpfe Parolen scheinbar gesellschaftsfähig werden; wenn das Wort „Widerstand“ als Widerstand gegen unsere freiheitlich-demokratische Grundordnung mit ihren Regeln pervertiert wird; wenn im Internet der rechte Mob tobt... Wo beginnt denn dann das „Wehret den Anfängen“? Wo, wenn nicht dort?!

Teil II: Fastenzeit - Zeit zum Umkehren

 

Heute geht es in den Sonntagsgedanken um den Satz „Wehret den Anfängen“. Aber wie sieht es heute aus? Man muss nur an die Flüchtlingsfrage denken. Was ist, wenn Brandstifter in Wort und Tat unterwegs sind? Auch im Internet. Das ist voll von menschenverachtenden Parolen, Gerüchten und übler Hetze gegen Menschen, die ohnehin in Not sind. Auch Hetze gegen die, die den Menschen in Not helfen wollen. Nicht umsonst ist „Gutmensch“ zum „Unwort des Jahres“ geworden, weil es diffamiert. Wenn solche Parolen in Talkshows, auf Marktplätzen und in der politischen Debatte immer wieder geäußert werden, mal mehr oder weniger verpackt? Wo beginnt das „Wehret den Anfängen“, wenn der Nachbar, der Arbeitskollege, der Bekannte „sich so seine Gedanken“ macht – und dabei gar nicht bemerkt (oder doch?), wenn er dabei pauschal nachgeplapperte Gerüchte oder Stimmungsmache nach altbekanntem Muster verwendet? Ist da der Anfang nicht schon verpasst? 

 

Die Fastenzeit ist für Christen eine Zeit des Umdenkens. Dann kann es darum gehen, auch mal seine Wortwahl etwas genauer zu überprüfen: Was bedeutet es, wenn ich bestimmt Worte benutze? Und auf welche sollte ich besser verzichten, nicht nur in der Fastenzeit? Wo beteilige ich mich an Tratsch und Klatsch? Oder an Stammtisch-Sprüchen und vorschnellen Urteilen? 

 

Zum Beispiel das Wort „Obergrenzen“. Gerne verwendet für eine „Beschränkung von Flüchtlingszahlen“. Was so technisch-mathematisch daherkommt, meint tatsächlich Menschenleben, Schicksale und jede Menge Leid. „Obergrenzen“, das geht von der vielleicht verständlichen, aber irrigen Annahme aus, man könnte etwas wie auf Knopfdruck begrenzen oder gar „abschalten“. In letzter Konsequenz wird das menschenverachtend und tödlich. 

 

Es gibt viele verräterische Worte, die wir tagtäglich benutzen, ohne das zu Ende zu denken. Ist oft auch kein Problem. Nicht alles gehört auf die Goldwaage. So lange niemand anderer darunter leidet. Aber auch Worte können jemanden fertig machen. Mit Mobbing und Verleumdung etwa. 

 

Papst Franziskus – heute ist übrigens der Jahrestag seiner Wahl - hat einmal gesagt: „Aus Eifersucht tötet man mit der Zunge. Einer neidet dem anderen etwas, und schon fängt das Geschwätz an. Und der Tratsch tötet!“ Obergrenzen für Tratsch: Das wär' doch schon mal ein guter Verzicht für die Fastenzeit!? Auch darum geht es, wenn es heißt: Wehret den Anfängen!

 

Oder – wie es der Holocaust-Überlebende Max Mannheimer einmal gesagt hat: „Ihr seid nicht verantwortlich für das, was geschah. Aber dass es nicht wieder geschieht, dafür schon.“ Unsere Zeit ist jetzt.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Teilen ist wieder „in“. Nicht nur heute zum Nikolaustag. Oder zu Sankt Martin. Oder in der besinnlichen Adventszeit. Seit drei Jahren etwa wollen Forscher einen neuen Trend festgestellt haben. Von wegen Egoismus und so. Teilen ist in! Das hat auch ganz pragmatische Gründe: Wer mit anderen teilt, hat selbst mehr davon. Mal abgesehen davon, dass das freundlich, nachhaltig und auch christlich ist. Aber der Vorteil des Teilens ist auch wissenschaftlich erforscht: „Share economy“ nennt man diesen Trend auf englisch – die Wirtschaft des Teilens. Ob es darum geht, anderen eine Unterkunft anzubieten – und selbst bei anderen zu wohnen, wenn man mal unterwegs ist. Oder ob es darum geht, sich mit mehreren Personen ein Auto zu teilen, weil man das ja nicht rund um die Uhr braucht.  

Es sind „Konsumpragmatiker“, sagt der Forscher Harald Heinrichs zu diesem Menschenschlag, der das nutzt. Bei jemandem mitzufahren ist schließlich die günstigste Variante, um von A nach B zu kommen. Wer teilt, wirft vermutlich weniger weg. Und nicht zu vergessen ist auch, wie viele soziale Kontakte entstehen, wenn man in den Internetangeboten nach Geschäftspartnern für’s Teilen sucht. Es gibt viele Möglichkeiten, mit anderen zu teilen – und von diesem System selbst zu profitieren. Unternehmen und Internetseiten, die darauf setzen und Angebote vermitteln, verdienen sogar viel Geld mit diesem Trend. 

Dabei ist es natürlich auch wichtig, was genau unter „Teilen“ verstanden wird. Es geht ja nicht drum, nur etwas in Stücke aufzuteilen, wie ein Brot, um es so zu verbrauchen. Es geht auch drum, etwas gemeinsam zu nutzen, sodass alle etwas davon haben. Das ist oft schwer genug zu verstehen. Und noch schwerer zu beherzigen. Aber am Ende geht die Rechnung auf. Sagen jedenfalls die Vertreter der „Share Economy“, die diesen  Wirtschaftstrend untersucht haben. Dabei geht es nicht nur um ein geteiltes Lächeln hier und ein gutes Wort da. So nett das sein kann. Aber das wäre zu banal. Und am Ende auch naiv. Bei der „Share Economy“ geht es um knallharte Kalkulation. Um Zahlen. Und messbare Erfolge, letztlich um Geld und Gewinn. Salopp ausgedrückt kennt der Volksmund das ja auch: Geteilte Freude ist doppelte Freude. Am Ende ist es ein Gewinn für beide Seiten. Jetzt also auch in der Wirtschaft. Der Wert des guten alten christlichen Teilens wird wieder erkannt. Na, das lässt ja hoffen! 

Und doch gibt es auch die andere Seite – wie so oft: Wenn man sich die Debatten dieser Tage anschaut, die Aufreger der Boulevardmedien: Da hat man den Eindruck, dass es neben dem Trend zum Teilen ganz gegenläufig einen Dauertrend gibt: Die Neiddebatte. Ob Sozialhilfeempfänger oder Flüchtende. Ob in einschlägigen Dokumentarfilmchen im Fernsehen oder in innenpolitischen Debatten. Wie viele Ängste und Sorgen werden da benannt – oder vorgeschoben; wie viele Vorurteile geschürt gegen die, die einem angeblich etwas wegnehmen wollen. „Teilen? – Nein danke!“, heißt es dann. „Ich hab ja selbst nicht viel.“ Bei Licht betrachtet, ist das oft unbegründet; wird aber gerne politisch und vor allem populistisch benutzt. Bei Licht betrachtet geht es gerade uns in Deutschland heute doch viel besser als vielen anderen, auch besser als zuvor: Die Renten steigen, die Arbeitslosigkeit sinkt. Die Wirtschaftskraft ist stark. Natürlich gibt es auch diejenigen, die durch die Raster der sozialen Sicherungen fallen. Es gibt Familien und Einzelne, denen es nicht so gut geht. Auch bei uns. Diejenigen, die lautstark krakeelen, sind das aber oft nicht. Und Hilfe ist möglich. 

Aber: Wer immer nur teilt, kann der am Ende denn überhaupt noch selbst satt werden? Wer so eine Frage stellt, muss noch weiter denken. Hier liegt vielleicht ein Schlüssel für das Verstehen: Das Wort „satt“ kommt vom Lateinischen „satis est“ – „es ist genug“, heißt das. Wenn wir unseren Hunger – den tatsächlichen und den Hunger, der sich in allerlei sonstigen Sehnsüchten und Bedürfnissen zeigt - stillen wollen, bis wir satt sind, dann können wir nicht in blinder Gier immer mehr in uns hineinstopfen. Das macht uns am Ende krank. Wir spüren, wann es genug ist, damit es uns gut tut. Dann sind wir wörtlich „satt“. Es geht um das Beste, nicht um das Meiste: Um satt zu sein, müssen wir es im Wortsinn „genug“ sein lassen. 

Aber die Gier des egoistischen Immer-Mehr macht uns nicht satt; nur neidisch, unfrei und krank. Wir sind Getriebene der eigenen Unersättlichkeit; meinen, dass wir zu kurz kommen; dass andere uns etwas wegnehmen. Das schürt Ängste und vergiftet die Stimmung. Beispiele gibt es viele. Wenn wir aber dieses echte Satt-Sein, dieses „satis est“ – es ist „genug für alle“ – bedenken und beherzigen, dann ist das eine total menschliche, eine humane Ethik, die frei und unabhängig macht. Sie befreit vom Zwang, immer mehr zu wollen. So ist es „genug“ für alle und alle werden „satt“. So können wir teilen, bis es „satis est“ - bis es genug ist: teilen mit denen, die unsere Hilfe brauchen. Bis alle wirklich und wörtlich „satt“ sind.

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SWR4 Sonntagsgedanken

Frère Roger - der unscheinbare "Star" von Taizé

Es war während des Weltjugendtages in Köln – heute genau vor zehn Jahren. Da platzte die Eil-Meldung herein: Frère Roger Schutz ist tot. Der Gründer der Gemeinschaft von Taizé in Burgund wurde ermordet – mit 90 Jahren. Und da hatte der Weltjugendtag ein neues Thema. Taizé und Frère Roger: das ist für viele Jugendliche ein Teil ihrer religiösen Biographie. Zigtausende fahren Jahr für Jahr nach Taizé: sie beten, stellen Fragen, treffen andere Jugendliche, sprechen über ihr Leben und ihren Glauben. Auch zehn Jahre nachdem er starb erinnern sich viele an den kleinen, zierlichen, fast unscheinbaren Mann, der so viel bewegt und erreicht hat, ganz ohne viel Brimborium und Tamtam. Ich erinnere mich, als ich selbst zum ersten Mal in Taizé war. Das war während meiner Zivildienstzeit. Frère Roger saß jeden Tag beim Gebet in der großen Hallenkirche dabei. Ganz hinten, als letzter unter den Brüdern. Einer unter vielen. Mich hat das damals beeindruckt, wie schlicht es in der Kirche in Taizé zugeht. Tausende von Jugendlichen – und dann diese besondere Atmosphäre während der Gebetszeiten. So ganz anders als ich bisher von Kirche kannte. Erst ganz am Ende der abendlichen Gebetszeiten ergriff Frère Roger das Wort und sprach leise, fast gehaucht, ein paar Besinnungsworte, ein Gebet. Und dann diese eingängigen Taizé-Lieder, bei deren ständigen Wiederholungen des Refrains jeder seinen Gedanken nachgehen konnte. Immer wieder bin ich danach nach Taizé gefahren: mal mit schwierigen Lebensfragen, mal einfach zum Abschalten und Auftanken. „Taizé ist so, wie die Kirche und die Welt sein sollten“, so hat es mal eine Jugendliche auf den Punkt gebracht. Woche für Woche kommen Zigtausende: Ukrainer und Argentinier, Polen und Amerikaner, Kenianer und Neuseeländer: Aus allen Gesellschaftsschichten, nicht nur die „Frommen“. Vorurteile werden beim Gespräch und gemeinsamen Arbeiten abgebaut oder kommen gar nicht erst auf. Hautfarbe und Konfession, Geschlecht oder Herkunft spielen keine Rolle. Unterschiede wecken Interesse beim anderen und dienen nicht als Abgrenzung. Eigentlich Selbstverständliches, aber doch weiß jeder, wie selten das sonst im Alltag gelingt. In Taizé geht das, da herrscht eine ganz eigene Stimmung. Bruder Alois, der heutige Vorsteher der Gemeinschaft, hat mal sagt: „Wenn ihr nur einen einzigen Satz, den ihr hier gehört, gesungen, gebetet oder gelesen habt, mitnehmt nach Hause und danach euer Leben ausrichtet, dann hat Taizé sein Ziel erreicht.“ Man kann Taizé nicht einfach in den Alltag kopieren. Und doch: Vielleicht ist es nur dieser eine Satz: „Taizé ist so, wie die Kirche und die Welt sein sollten“ – oder so, wie sie sein könnten, wenn einer anfängt: Einer, wie vor 75 Jahren Frère Roger, als er mitten im Krieg die ökumenische Gemeinschaft von Taizé gründete.

Aus den Quellen von Taizé im Alltag leben...  

Heute geht es in den Sonntagsgedanken um die Brüdergemeinschaft von Taizé und ihren Gründer Frère Roger, der heute vor genau zehn Jahres gestorben ist.

Die Gemeinschaft von Taizé in Burgund ist bekannt für ihre Gesänge. Ein Lied hat sich schnell zu einem der "Lieblingslieder" der Jugendlichen entwickelt, die dort jährlich zu Tausenden hinpilgern: "Let all who are thirsty come..." – Da heißt es: "Wer durstig ist, der komme. Wer will, empfange umsonst das Wasser des Lebens!" Durch die ständigen Wiederholungen des Refrains prägt sich die Liedzeile tief ein. So ging es mir auch mit diesem Lied: Lasst alle, die durstig sind, kommen! Wie viel Durst spüren wir in uns und um uns herum. Durst, der nicht mit Wasser gestillt wird: Durst nach Leben. Durst nach Gerechtigkeit, Durst nach Liebe, Durst nach dem Wort, das eine eingetrocknete Beziehung wieder aufleben lässt. Durst nach Trost in den Schicksalsschlägen des Lebens. Durst auch nach Angenommen-Sein und Heimat. Wie eingetrocknet und vertrocknet kommt uns unser Alltag oft vor! Der gleiche Trott im Beruf. Die gleichen Sorgen in der Familie. Die unbeantworteten Sehnsüchte. Was ist da alles abgestanden, ja abgestorben - nicht mehr genährt von einer Quelle der Lebensfreude. Oder vor sich hin modernd im "Um-sich-selber-Kreisen": wie ein Tümpel, der kein Frischwasser mehr erhält und kippt. „Lasst alle, die durstig sind, kommen!“

Doch Sie haben wahrscheinlich – genau wie ich – auch schon andere Erfahrungen gemacht, auch in meiner Kirche. Wie gehen wir da um mit denen, die durstig sind nach dem guten Wort, nach Angenommen-Sein? Die durstig sind nach Heimat und als Flüchtlinge zu uns kommen? Oder die, die fragen nach dem Sinn des Lebens und einem Grund für Hoffnung in dieser scheinbar trostlosen Welt? Und die dann sprachlose Trockenheit spüren statt Lebensfreude? Wie behandeln wir die, die nach den Quellen fragen? Wie hartherzig, ängstlich und kleinkariert sind wir da oft! Haben Angst, selbst zu kurz zu kommen, wenn wir etwas abgeben, teilen sollen. Und doch: Wer durstig ist, der komme! Wer will, empfange! - Wer aus Gottes Quelle lebt, der braucht nicht neidisch auf andere zu blicken, die auch schöpfen wollen aus seiner überfließenden Liebe. Gott schenkt "Leben in Fülle" (Joh 10,10), sagt die Bibel. Haben wir das vergessen – oder können es nicht glauben?

 

Wie hat es Frère Roger einmal gesagt: „Lebe das, was du vom Evangelium verstanden hast. Und wenn es noch so wenig ist. Aber lebe es.“ Es gibt viele Möglichkeiten, damit anzufangen. Schon heute.

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