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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

27JAN2024
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Überall gibt es Straßennamen, die schwierig sind. Weil sie von Personen stammen, deren Namen man heute lieber nicht mehr hören will. Oder es handelt sich um Persönlichkeiten, von denen man inzwischen herausgefunden hat, dass sie zwar Verdienste haben, dass ihre Biografie aber auch Flecken aufweist. Das betrifft vor allem Personen aus der Nazi-Zeit, die als Politiker, Pfarrer, Forscher oder Künstler sich dem Regime damals angepasst hatten. Und mit deren Ehrbarkeit es deshalb nicht ganz so weit her ist, wie man bislang angenommen hat. Wie soll man damit umgehen, fragen sich dann die Gemeinderäte. Schließlich ist es eine Auszeichnung für einen Menschen, wenn eine Straße oder gar ein Platz seinen Namen tragen darf. Eine Stadt schmückt sich mit den Persönlichkeiten, die sie hervorgebracht hat. Die ganz schlimmen hat man inzwischen entfernt. Trotzdem gibt es landauf landab Straßennamen, die noch immer problematisch sind. Was tun? Alle austauschen?

In Tübingen hat man einen anderen Weg gewählt. Die Pfeiler, an denen Schilder mit umstrittenen Namen hängen, haben einen Knoten bekommen. Das fällt einem sofort auf, wenn man daran vorbeiläuft, weil so ein Metallknoten auf Augenhöhe ungewöhnlich ist. Die Stadt will damit sagen: Wir können die Geschichte nicht rückgängig machen. Auch die Fehler und Schattenseiten der Bürgerinnen und Bürger von Tübingen gehören zu unserer Stadt. Wir halten es für zu leicht, so zu tun, als wäre da nichts gewesen. Was man nicht mehr sieht, davon kann man auch nichts mehr lernen. Außerdem haben viele große Persönlichkeiten eben Licht- und Schattenseiten. Dem müssen wir uns stellen. Mit den Knoten am Schild fordern wir alle auf, die vorbeilaufen, sich auseinanderzusetzen, und aus der Geschichte zu lernen. Die Schilder haben auch einen QR-Code, mit dem man sich Informationen zu den umstrittenen Personen herunterladen kann. Wer nämlich verstanden hat, wo Menschen in der Vergangenheit falsche Wege beschritten haben, dem wird es hoffentlich in der Gegenwart leichter fallen, ähnliche Fehler und Irrwege schneller zu bemerken und ihnen etwas entgegenzusetzen.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

25JAN2024
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Ein Mädchen hat einen unheilbaren Hirntumor. Die Therapien lindern ihre Schmerzen ein bisschen und verzögern den Tod eine kurze Zeit. Mit 14 Jahren stirbt sie.

Das sind so Momente, wo ich denke: „Warum sie, warum nicht ich?“

Ich lebe gern und will noch nicht sterben. Das habe ich mehr als deutlich gespürt, als ich selbst zweimal schwer krank war. Ich habe da gemerkt, wie ich mich an mein Leben klammere und wie sehr ich hoffe, dass das Ende noch auf sich warten lässt. Ich neige zwar nicht dazu zu fragen, warum das gerade mir passiert. Dazu weiß ich zu gut, wie viele Leute Krebs bekommen und dass man vergebens nach Gründen sucht, warum es den einen trifft und den anderen nicht. Trotzdem denke ich: „Ich bitte nicht!“

Aber da bei dem 14-Jährigen Mädchen, da hat sich das umgedreht. Weil sie noch so jung ist, und ich schon alt. Weil sie noch das meiste an Leben vor sich hat, und ich das meiste schon hinter mir. Da hat sich, was ich für richtig, gar gerecht halte, um 180 Grad gedreht. Und ich habe mir sogar überlegt, was wäre, wenn man das Schicksal eines anderen Menschen auf sich übertragen könnte. Wäre doch bloß ich todkrank und nicht sie! Mein Vater hat etwas Ähnliches hin und wieder in drastische Worte gepackt. Er konnte zu mir sagen: „Ich wäre bereit, Dir meinen Arm zu geben, wenn du ihn brauchen würdest.“ Das hat mir ungeheuer imponiert und ich habe gespürt, wie gern er mich hat, wie er zeigen will, dass er mich liebt.

Trotzdem. Es geht nicht! Jeder muss selbst tragen, was in seinem Leben passiert. Keiner kann einem anderen das abnehmen, was er an Leid durchmachen muss. Und Sterben… Sterben muss sowieso jeder selbst. Das ist hart, aber es stimmt. Ich halte es für klug, mir das immer wieder klarzumachen. Und  solange ich eine gute Zeit habe, mich auch öfter zu fragen: Warum ich nicht? Warum lebe ich noch, warum bin ich gesund, warum habe ich heute einen glücklichen Tag? Nicht um mir die gute Stimmung zu verderben, aber um mir klar zu machen: Ich hab’s gut. Dafür ist ein stummer Dank das Mindeste. Und eine helfende Hand, wo jemand mich braucht.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

24JAN2024
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Ein Segen, der zehn oder fünfzehn Sekunden dauert? Kein Problem. Weil ohnehin Gott es ist, der segnet, spielt die Zeit keine Rolle. Er segnet, wen und wie und wann er will. Aber die um einen Segen bitten, und ich, der ihn als Priester spenden soll, ob für uns fünfzehn Sekunden ausreichen, um ihn zu spüren?

Ende des letzten Jahres hat die katholische Kirche sich dazu durchgerungen, endlich auch homosexuellen Partnern und Paaren, die wieder geheiratet haben, den Segen nicht mehr grundsätzlich und offiziell zu verweigern. Zuerst habe ich gedacht: Endlich, ein kleiner Befreiungsschlag! Bis ich genauer gelesen habe. Da ist die Rede davon, ausnahmsweise barmherzig zu sein - auch wenn die Menschen, um die es geht, so nicht in Ordnung sind, wie sie sind. Dann ging mir ein Licht auf. Das Angebot ist kaum mehr als eine faule Ausrede. Es täuscht Barmherzigkeit vor, in Wirklichkeit aber teilt es ein: in Menschen erster und zweiter Klasse. Und die in der ersten lassen sich dazu herab, denen in der zweiten ein geistliches Almosen zu gewähren: „Schau, auch für dich haben wir ein bisschen Segen.“ Meine Enttäuschung wurde dann aber noch übertroffen, als es kurz darauf so eine Art Gebrauchsanweisung aus dem Vatikan zu diesem neuen Segen gab. Empfohlen wird eine Dauer von wenigen Sekunden und als Ort alles, bloß keine Kirche. Erst hielt ich das für einen Witz. Als ich verstanden habe, dass es keiner ist, habe ich mich geschämt. Für meine Kirche, die etwas so Menschenunwürdiges vorschlägt. Dann lieber gar nicht. Oder eben richtig, wie viele Pfarrer, ich auch, das schon längst praktizieren.

Ich weiß, dass es zu moralischen Fragen, vor allem wenn es um Sexualität geht, in der Katholischen Kirche klare Vorstellungen gibt. Gelebt wird meistens was ganz anderes. Das wissen auch alle, und heraus kommt eine Form von Scheinheiligkeit, die andere uns nicht zu Unrecht vorwerfen. Die Praxis in den Gemeinden, die ich kenne, ist viel offener und menschenfreundlicher. Da braucht niemand eine römische Erlaubnis, weil man sich guten Gewissens selbst was zutraut. Und irgendwann verstanden hat: es ist moralisch viel verwerflicher, Menschen, die sich lieben, einen Segen zu verweigern.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

23JAN2024
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Dass man es mit der eigenen Verwandtschaft oftmals schwer hat, ist bereits biblisch gut belegt. Von Jesus wird berichtet, dass er sie harsch abblitzen ließ, als seine Mutter und seine Geschwister ihn zur Räson bringen wollen[1]. Im Gleichnis vom verlorenen Sohn und seinem barmherzigen Vater geht es gleich um zwei Konfliktsituationen, die innerhalb von Familien an der Tagesordnung sind. Es wird erzählt, wie heftig und hässlich Verwandte oft zueinander sind, wenn es ums Erben geht. Zum anderen wie neidisch und eifersüchtig Geschwister aufeinander schauen, wenn sie um die Gunst der Eltern wetteifern.

Leider kenne ich mehr als genug Beispiele aus dem Kreis meiner Freunde und Bekannten, wo es gerade so zugeht. Auch in meiner Verwandtschaft ist es nicht anders gewesen, seit ich Kind war. Und was erfahre ich viel häufiger, als man denkt, wenn ich Menschen bei einer Beerdigung begleite? Dass die eine Tante gar nicht erst über den Tod des Cousins informiert wird, weil sie im „Familienbann“ ist. Dass Schwester und Bruder nur darauf warten, bis die Beerdigung vorbei ist, um wegen des Erbes aufeinander loszugehen. Dass der verstorbene Vater in Ungnade gefallen ist und man deshalb nichts mehr mit ihm zu tun haben will. Als ob es ein Naturgesetz wäre, dass Verwandtschaftsverhältnisse schwierig sein müssen und nicht selten so verkorkst sind, dass es zum Davonlaufen ist.

Warum ist das so, und was kann man tun, dass es nicht passiert? Sich mit anderen zu vergleichen, ist offenbar eine menschliche Eigenschaft, die nicht auszurotten ist. Dabei schafft das Vergleichen nur Probleme. „Die ist beliebter als ich, der hat mehr, und ich komme sowieso immer zu kurz.“ Wer so auf sein Leben schaut, muss auf andere wütend werden. Je näher einem jemand steht, desto niedriger ist die Hemmschwelle, den anderen das spüren zu lassen. Unter Geschwistern fallen schnell böse Worte. Und weil man sich seine Verwandtschaft ja nicht aussuchen kann, kann man sie genauso gleich ablehnen und sich Freunde suchen, die man mag. Klug ist das nicht, weil einen die verkorksten Verhältnisse verfolgen, nachts nicht schlafen und schließlich verbittert werden lassen. Verwandte habe ich, egal wie sie sind. Meistens anders, als ich es gern hätte. Sie müssen nicht meine besten Freunde sein. Aber sich mit ihnen zu überwerfen, das schafft nur immer größere Probleme.

                                            

 

 

[1] Markus 3,31-35

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

22JAN2024
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Ein Masterplan für Remigration. Im Klartext bedeutet das: Raus mit allem aus unserem Land, das nicht Deutsch genug ist. Deutsch in einem bestimmten Sinn ist damit natürlich gemeint. Hier geboren, weiße Hautfarbe, eindeutig Frau oder Mann und bestimmt nicht divers in welcher Hinsicht auch immer. So weit sind wir inzwischen wieder? Ich hoffe nicht, dass wahr ist, was sich mir als Vergleich aufdrängt: dass Menschen, die in Deutschland leben, gar einen deutschen Pass haben und ihre Heimat hier gefunden haben, dass die nach Hautfarbe, nach Herkunft, gar nach angeblicher Rasse eingeteilt werden und dann weg sollen.

So aber hört sich an, was auch Politiker von im Bundestag vertretenen Parteien im letzten November bei einem geheimen Treffen besprochen haben, um - wie sie wohl sagen würden - wieder Ordnung im Land herzustellen. Pikanterweise hat das ganz in der Nähe des Ortes stattgefunden, wo 1942 bei der Wannseekonferenz die sogenannte Endlösung der Judenfrage beschlossen wurde. Ich meine, dazu kann ein Christ nicht schweigen. Weil es die Grundfesten des christlichen Menschenbildes angreift. Dieses hat auch dazu beigetragen, dass wir seit 75 Jahren eine Verfassung in unserem Land haben, die die Würde jedes Menschen für unantastbar erklärt. Jedes Menschen, der hier lebt.

Ich weiß nicht, ob die Verfasser unseres Grundgesetzes auch die folgende Bibelstelle im Sinn hatten, als sie das als ersten Artikel formuliert haben. Ich musste sofort daran denken, als ich mit der widerlichen Nachricht konfrontiert war. Paulus schreibt an die junge Gemeinde von Christen in Galatien einen Satz, der klarer nicht sein könnte. Er heißt: Hier gibt es keinen Unterschied mehr zwischen Juden und Griechen, zwischen Sklaven und freien Menschen, zwischen Mann und Frau. Denn durch eure Verbindung mit Jesus Christus seid ihr alle zusammen ein neuer Mensch geworden[1]. Wer also Christ ist, muss jeder Form der Diskriminierung widersprechen. Ich bin geradezu gezwungen zu sagen: Das ist falsch. Es widerspricht dem Geist des Christentums und dem unseres Grundgesetzes. Es ist menschenverachtend, und es geht gegen die innere Ordnung des Landes, dessen Bürger ich bin. Wer so etwas fordert, dem muss ich ins Gesicht hinein sagen: Nein, mit mir nicht! Deshalb appelliere ich an alle, die Christen sind - egal ob sie noch zur Kirche gehören oder nicht - an alle, die aus dem Geist von Jesus leben wollen, dem zu widersprechen, wo immer sie es können.

 

 

 

[1] Galaterbrief 3,28

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Anstöße sonn- und feiertags

21JAN2024
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Ein ganzes Buch aus der Bibel lesen. Wäre das nicht was für einen Sonntag im Winter? Auf der Couch oder im Sessel, mit einer Kerze auf dem Tisch daneben? Ich empfehle für heute das Buch Jona im Alten Testament. Zum einen, weil es kurz ist; in einer Viertelstunde ist man durch. Aber auch deshalb, weil das kleine Buch viele Fragen aufwirft, zum Weiterdenken anregt und am Ende eine schöne Perspektive parat hat. Sie heißt in etwa: Egal, was auf dieser Welt geschieht, Gott wird ganz zum Schluss immer barmherzig sein. Was in der Zwischenzeit alles passierten kann und wie leicht man sich vertun kann, wenn man scheinbar ganz genau weiß, wie Gott denkt und handelt, davon erzählt das Buch um den Propheten Jona in seinen vier Kapiteln.

Es ist ja nicht so, dass einem die Barmherzigkeit Gottes nachgeworfen wird. Wer anderen Böses antut, wer auf Kosten des Nachbarn lebt oder sonst Schuld auf sich lädt, muss damit rechnen, dass Gott ihn irgendwann zur Rechenschaft zieht. In der Stadt Ninive scheint es eine enorme Zahl schlechter Menschen zu geben. Deshalb schickt Gott Jona dorthin, um ihnen mit Strafe zu drohen. Jona will aber nicht so Recht. Entweder hat er früher schon mal schlechte Erfahrungen damit gemacht, anderen im Namen Gottes zu drohen. Oder er hat von Anfang an die Ahnung, dass es Gott schließlich doch leid tun wird, und er dann für die Katz Mühe und Risiken auf sich genommen hat.

Jona kann sich aber auch nicht so mir nichts dir nichts aus der Affäre ziehen. Gott kann offenbar hartnäckig sein, wenn er etwas von einem will. Weglaufen nützt nichts. Als Jona dann tatsächlich nach Ninive geht und das Strafgericht Gottes androht, läuft es anders, als gedacht. Am Ende – und das ist die eine Pointe des Buchs – am Ende will Gott barmherzig sein. Weil das am meisten seinem Wesen entspricht. Hier jedenfalls, weil es den sündigen Menschen in Ninive leidtut und sie Besserung geloben. Allerdings steht auch am Ende ein verdatterter Prophet. Hin und hergerissen von den widersprüchlichen Botschaften, die er von Gott vernimmt, weiß er jedenfalls nicht mehr, woran er bei dem Gott ist, an der er bisher geglaubt hat. Und das, genau das, ist gut so. Weil es dem Respekt entspricht, dem man vor Gott stets haben sollte.

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SWR4 Abendgedanken

19JAN2024
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Mit meinen beiden Hunden bin ich morgens und abends draußen unterwegs. Und natürlich habe ich da meine üblichen Runden, die ich gehe. Ich wechsle schon ab, aber unbegrenzt ist die Auswahl nicht. Meistens ist da also nichts Spektakuläres. Nur eine Sache, die finde ich immer wieder bemerkenswert, ja regelrecht spannend: Es macht einen Unterschied, ob ich rechts rum oder links rum gehe, also welche Richtung ich beim Loslaufen einschlage. Je nachdem sieht die Landschaft anders aus. Mir fallen Einzelheiten auf, die ich so nur sehe, wenn ich in einer der beiden Richtungen gehe: ein alter Baum, der ums Überleben kämpft oder das Wasser des Bachs, der einmal mir entgegen, mal in die gleiche Richtung fließt, die ich eingeschlagen habe. Und auch das Heimkommen ist anders. Mal der Sonne entgegen, mal ihr Licht im Rücken.

Ich finde, das ist eine Beobachtung, von der ich und nicht nur ich etwas lernen kann. Denn bei vielem, das wir tun, ist es genauso. Es macht einen Unterschied, wie ich beginne, wie ich an eine Sache herangehe. Da gibt es meistens zwei, wenn nicht sogar mehr Alternativen. Und je nachdem, welche Möglichkeit ich für den Anfang wähle, sieht auch der Weg anders aus, und oft das Ergebnis. Weil ich die Dinge unterschiedlich betrachte, mir andere Menschen begegnen, Dinge sich eben nur dann ereignen, wenn ich zu einer bestimmten Zeit an einem bestimmten Ort bin.

Ich muss ein Gespräch führen, das ich schon lange vor mir herschiebe. Ich weiß, dass ich mehrere Möglichkeiten habe, das auf den Weg zu bringen. Ich kann die Probleme sofort und ohne Umschweife und als erstes auf den Tisch bringen und dann versuchen, eine Lösung zu suchen. Oder umgekehrt: Ich kann einen Lösungsvorschlag einbringen und dann Schritt für Schritt die alten Probleme aufarbeiten. Das macht einen Unterschied. Es hilft mir, beide Varianten in Gedanken einmal durchzuspielen. Um zu sehen, wo jeweils die Vor- und wo die Nachteile dabei liegen. Ich denke, es ist sogar am besten, das grundsätzlich so zu versuchen, wenn ein Weg nicht ganz klar ist. Weil ich mehr sehe, wenn ich die Alternativen kenne. Weil Licht und Schatten sich so ergänzen und ich mich dann besser in mein Gegenüber hineindenken kann.

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SWR4 Abendgedanken

18JAN2024
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Zwei Frauen aus meinem Bekanntenkreis müssen gerade eine Wohnung von Verwandten auflösen. Sie erzählen mir oft davon, weil es sie belastet. Es tut ihnen weh, den persönlichen Besitz eines anderen Menschen anzutasten, auszusortieren und wegzuwerfen. Zumal im einen Fall der ehemalige Bewohner noch lebt und alles mit ansehen muss. Der sagt dann auch hin und wieder, wie gut er das eine oder andere jetzt noch gebrauchen könnte. Aber in seinem Zimmer im Pflegeheim ist dafür einfach kein Platz. Wenn eine Wohnung aufgelöst werden muss, bedeutet das immer einen großen Eingriff in das Leben von Menschen. Von meiner Mutter weiß ich, dass sie so lange wie möglich dort bleiben will, wo sie jetzt seit 55 Jahren lebt. Jeder Winkel in ihrem Zuhause weiß eine Geschichte zu erzählen. Ungezählte Erinnerungsstücke hat sie im Laufe der Zeit gesammelt. Sie stehen einfach nur da und müssen hin und wieder abgestaubt werden. Aber da steckt eben auch ihr Leben drin. Und so ein Foto von früher oder eine Hummel-Figur kann dann richtig wertvoll sein, weil sie ausdrückt: Das war dein Leben, du bist am Leben und hast noch dein eigenes Leben. Wenn jemand aus seiner Heimat ausziehen muss, gibt er einen großen Teil seiner Selbständigkeit auf. Er kann immer weniger bestimmen, was er wann tun will. Er gibt sich mehr und mehr in die Hände anderer, oft fremder Menschen. Das tut weh und ist schwer. Das verstehe ich nicht nur gut, sondern will mir das für mich selbst gar nicht vorstellen. Gleichzeitig weiß ich, dass es auch bei mir nur eine Frage der Zeit ist. Ich weiß es auch deshalb, weil ich mich für Beerdigungen oft mit einem Wort aus dem Johannesevangelium beschäftigt habe. Dort ist von der Wohnung bei Gott die Rede, besser gesagt von den Wohnungen[1], weil sich Johannes das offensichtlich ganz individuell vorstellt. Jeder bekommt nach diesem Leben seine persönliche Wohnung im Himmel. Die ist dann endgültig, die muss nicht mehr aufgelöst werden. Das ist ein schönes Bild, finde ich, eine gute Perspektive. Die Zeit bis dahin nütze ich, um mich vorzubereiten: aufs Loslassen und Abschiednehmen. Ich bin sicher, das hilft, wenn es soweit ist.

 

 

 

 

 

[1] Vgl. Johannes 14,1-6

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SWR4 Abendgedanken

17JAN2024
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„Das Leben ist den Ideen überlegen, immer.“[1] Hin und wieder sagt Papst Franziskus etwas, das mich begeistert. So wie dieser Gedanke, den er der Verwaltungsspitze des Vatikans in seiner letzten Weihnachtsansprache mitgegeben hat. Das Leben ist den Ideen immer überlegen.

Mir ist bewusst, dass man über diese Behauptung streiten kann. Wie immer, wenn jemand versucht ein Prinzip gegen ein anders auszuspielen. Oft liegt ja der richtige Weg in der Mitte, und es ist falsch, sich allzu einseitig festzulegen. Aber der Akzent, den Franziskus hier setzt, den halte ich für bemerkenswert, weil es in der Kirche zu oft um Ideen geht und zu selten um das ganz normale Leben.

In der Kirche – und das gilt für die katholische ganz besonders – gibt es große Ideale. Was wird da nicht alles von den Menschen verlangt, vor allem im Bereich von Partnerschaft und Sexualität. Der Anspruch ist dabei so theoretisch und so überzogen, dass das Scheitern vorprogrammiert ist. Heraus kommt bei vielen ein schlechtes Gewissen, das Gefühl minderwertig zu sein, weswegen sich inzwischen immer mehr von der Kirche abwenden. Wer sich aber nicht für das Leben interessiert, katapultiert sich selbst ins Abseits.

Nun sagt Papst Franziskus, dass es seiner Meinung nach gerade andersherum sein müsse. Und ich gebe ihm Recht. Weil das genau die Priorität war, die Jesus auch gesetzt hat. Der Mensch ist nicht für den Sabbat da[2], sondern umgekehrt, der Mensch und sein Leben stehen über dem Gesetz, über einem hehren Ideal. Was aber bedeutet das dann für eine Kirche, in der es ein Gesetzbuch mit vielen hundert Seiten gibt und einen Katechismus, der bis in die letzten Feinheiten hinein das Leben reglementieren will? 

Es ist wichtig, dass wir Ideen haben, und uns an Idealen orientieren. Es braucht auch kluge Gesetze, die unser Zusammenleben regeln, damit nicht jeder tut, was er will. Jesus hat sehr wohl eine klare Vorstellung davon, was richtig und falsch ist und wie einer leben soll, wenn er sich ihm anschließen will. Trotzdem ist das Leben oft kompliziert. Und das Scheitern ist keine Ausnahme, sondern ganz normal. Deshalb hat all das, was eben ist, wie es ist, seinen eigenen großen Wert. So ist das Leben. Und das Leben ist heilig. So sind wir von Gott gemacht. Nicht perfekt. Und trotzdem mehr wert als jedes noch so hohe Ideal. Wenn die Kirche das beherzigt, diesen grundsätzlichen Wandel im Denken mitmacht, dann – davon bin ich fest überzeugt – glauben ihr die Menschen wieder, und laufen nicht in Scharen davon.

 

 

 

 

 

 

 

[1]https://www.vaticannews.va/de/papst/news/2023-12/wortlaut-papst-an-roemische-kurie.html

 

[2] Markus 2,27b

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SWR4 Abendgedanken

16JAN2024
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Kenne ich mich gut genug? Wahrscheinlich nicht. Denn immer wieder kommt es vor, dass andere sich über mich ärgern. Und ich merke es oft erst, wenn es schon zu spät ist. Dass ich wieder mal zu schnell war und damit anderen keine Chance gegeben habe, auch mitzumachen. Oder einen Plan gemacht habe, ohne ihn mit denen abzusprechen, die auch beteiligt sind. Wenn ich mich besser kennen würde, dann würde mir sowas vorher auffallen, nicht erst dann, wenn andere sich über mich ärgern.

Nun könnte ich ja denken: „Dem sein Problem, nicht mein’s!“ Aber so denke ich nicht, sondern suche dann schon auch bei mir, woran es liegt, dass eine Sache nicht gut läuft oder wir sogar aneinandergeraten. Und wieder mal erst dann merke, dass ich mich auch nach fast sechzig Jahren immer noch nicht gut genug kenne. Sonst würde mir das nicht passieren, denn mit Absicht mache ich’s nicht.

Im Laufe der Jahre habe ich einige Möglichkeiten entdeckt, wie ich die Eigenheiten von mir besser in den Griff kriege, die für andere anstrengend oder schwierig sind.

Menschen, mit denen ich zusammenarbeite und deshalb viel Zeit verbringe, ermutige ich zum Beispiel immer wieder, mir das möglichst offen und vor allem schnell zu sagen, wenn ich für sie zum Problem werde. Am besten natürlich, bevor sie sich zu ärgern beginnen. Denn gerade wenn es um meine eingefleischten Charaktermerkmale geht, brauche ich die Unterstützung anderer.

Ich bin so weit wie möglich bereit, Kritik an mich ran zu lassen. Das heißt, ich reagiere nicht beleidigt, und wehre mich auch nicht, sondern versuche zu verstehen, wie andere mich sehen. Und dann suche ich nach Kompromissen.

Besonders wichtig ist es mir, mich zu entschuldigen, aufrichtig zu zeigen, dass es mir leidtut, und dann die anderen zu bitten, es noch einmal mit mir zu versuchen. Und nochmals und nochmals, weil ich nicht von heute auf morgen ein anderer Mensch werden kann. Aber ich zeige, dass ich an mir arbeiten will. Das ist womöglich das Wichtigste bei der ganzen Sache. Und hat am Ende sogar was Religiöses. Zu wissen, dass ich nicht perfekt bin, dass andere anders sind, dass ich mich bis zum letzten Atemzug ändern kann – das verhindert, dass ich mich selbst überschätze und lässt mich demütig werden. Vor Gott.

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