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SWR4 Abendgedanken RP

An schönen Spätsommertagen beobachte ich vom Balkon aus gerne die weißen Segelflieger, die lautlos und majestätisch über unserem Haus ihre Kreise ziehen und manchmal in der Sonne glänzen. Sie fliegen ganz ohne Motor, denn die Piloten verlassen sich auf die Aufwinde an Feldern und Waldrändern und manchmal über der Stadt. Die Aufwinde tragen die Flugzeuge nach oben und geben ihnen die notwendige Höhe. Faszinierend. Getragenwerden kann man auch in einem ganz anderen Sinn: in einem Gottesdienst mit jungen Erwachsenen ging es darum, was uns eigentlich im Leben trägt, was uns Halt und Sicherheit gibt und worauf wir uns verlassen. Genannt wurden fast ausschließlich die Familie, der Partner und gute Freunde. Alle konnten zustimmen, dass es die Beziehungen sind, die uns tragen. Auf der anderen Seite wurde auch schnell klar, dass das manchmal nicht einfach ist: auf dem Boden geht es nüchterner zu als beim Fliegen. Das tägliche Miteinander läuft nicht einfach nur so. Es braucht Zeit und Kraft, sich mitzuteilen und für den anderen da zu sein. Es gibt auch Tage, da liegt eine Stimmung in der Luft, die hat mit Leichtigkeit nichts zu tun und manchmal stoßen wir einfach an Grenzen, wo wir nicht verstanden werden und nicht verstehen können.Majestätisch schweben und lautlos Kreise ziehen, von einem Aufwind zum nächsten? Wenn es um Beziehungen geht, ist das nicht realistisch. Vielleicht ist es das aber auch nicht beim Segelfliegen und was ich von meinem Balkon aus beobachte ist nur ein kleiner Teil der Wirklichkeit: schließlich müssen die Mitglieder im Verein auf dem Flugplatz auch Arbeitsstunden leisten, sie müssen die Flug-zeuge sorgfältig warten und die ganze Anlage in Schuss halten. Dann kommt der Winter: für die Piloten eine Durstrecke, in der nicht geflogen werden kann. Doch das nehmen sie in Kauf, denn der freie Blick aus dem Cockpit an einem Spätsommertag belohnt sie um ein vielfaches. Ich bin froh und dankbar, dass auch das für Beziehungen gilt: wenn ich spüre, dass mein Partner oder meine Partnerin, dass Freunde oder Familie mir Nähe schenken, wenn ich spüre, dass ich getragen bin - dann ist das ein erhebendes und beglückendes Gefühl. 

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SWR4 Abendgedanken RP

Der Herbst ist da, und wenn er sich von seiner goldenen Seite zeigt, dann geht im Wald das Sammeln los: Kastanien, Pilze und vor allem: die bunten Blätter. Als Kind war ich begeistert von den vielen Farben und Flecken und habe die schönsten Blätter getrocknet und manchmal eingeklebt. Die waren zwar nicht mehr so saftig und weich, dafür aber viel interessanter und eben richtig bunt. Wenn bei Menschen die Lebenszeit Herbst anbricht, ist das nicht anders. Sie wachsen aus dem Schönheitsideal heraus, werden aber auf der anderen Seite auch reich und bunt: an Erfahrungen, die ihr Leben geprägt haben und an Geschichten aus vergangenen Tagen. Meine Großeltern haben mir manchmal solche Geschichten erzählt und mich so mitgenommen in ihre Vergangenheit. Ich weiß noch genau, wie Oma sagte, dass sie und Opa sich bei einem Fußballspiel kennen gelernt haben, weil sie unter seinen Regenschirm geschlüpft ist. Und von Opa weiß ich, dass er nach der Arbeit immer mit dem Fahrrad ins übernächste Dorf geradelt ist, um Milch für meine Mutter zu besorgen. Die war damals noch ein kleines Baby. Es gab auch sehr nachdenkliche Geschichten vom Krieg oder von der harten Zeit danach. Mittlerweile leben meine Großeltern nicht mehr und ich bin dankbar für jede einzelne Geschichte. Die Momente des Erzählens waren Momente, in denen wir uns nahe waren und das sind Erinnerungen, die ich nicht vergesse, sondern gesammelt habe wie bunte Blätter. Der Herbst ist da und außer Kastanien und Blättern möchte ich gerne Geschichten sammeln und erzählen. Mit meiner Frau zum Beispiel an dem ein oder anderen Abend, und mit einigen Freunden, die ich schon lange nicht mehr gesehen habe. Vielleicht bleibt es oft bei alltäglichen Geschichten, vielleicht gibt es aber auch ein paar besondere - egal:  entscheidend ist ja die Aufmerksamkeit, die wir einander schenken und die Nähe, die daraus entsteht. Und das ist für Kinder und Eltern, für Freunde und Ehepartner genauso wichtig und wertvoll wie für Omas und Opas mit ihren Enkeln.

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SWR4 Abendgedanken RP

Vor der Mensa auf dem Unigelände fliegt eine rote Plastikscheibe hin und her. Ein paar Studenten und ich werfen sie uns gegenseitig zu, jeden Mittwoch nach dem Mittagessen - Frisbee nennt man die Scheibe. Man braucht nur ein paar Würfe, dann hat man den Bogen raus. Viele Studenten kommen hier vorbei. Die meisten gehen einfach weiter, schauen dem roten Ding vielleicht ein bisschen hinterher. Einige aber klinken sich in das Spiel ein - für zwei-drei Würfe oder ein paar Minuten, was eben noch reinpasst, bevor das Seminar losgeht. „Danke, war super!", höre ich manchmal, wenn sie gehen und jeder, der mitmacht, begrüßt die kleine Unterbrechung im Uni-Alltag. Wie einfach, es braucht nicht mehr als eine Plastikscheibe und ein paar junge Leute und Studieren ist für ein paar Minuten mehr als Lernen, Prüfungen und ein gutes Abschlusszeugnis. Eine kleine Unterbrechung, spontan, zwanglos.
Ich finde solche Unterbrechungen wichtig. Sie sind kostbar. Denn manchmal ist ein Tag zu Ende und ich frage mich, was davon bleibt. Alltag, sagen wir dazu, und meinen, dass nichts Besonderes passiert. Fast selbstverständlich scheint es, dass Tage und Wochen einfach vorbeiziehen. Aber wenn ich dann zurückblicke, gibt es doch immer wieder diese ungeplanten Momente und besonderen Zeiten. Sie unterbrechen den Alltag und bleiben gerade deshalb in Erinnerung: eine zufällige Begegnung mit einem guten Freund, ein spontaner Besuch, oder eben die paar Minuten Frisbee nach dem Mittagessen. Eine andere Artr von Unterbrechung finde ich im Leben der Kirche: der Sonntag, zum Beispiel. Der Tag zum Atem holen unterbricht mit seinem Gottesdienst die Reihe der Werktage. Eine offene Kirche auf dem Weg lädt mich ein, ein paar Minuten innezuhalten und vielleicht eine Kerze für einen lieben Menschen anzuzünden. Auch der Augenblick der Stille vor dem Einschlafen am Abend gehört dazu - für ein kleines Gebet, einen kurzen Dank. Solche Momente erinneren mich daran, dass ich alltäglich - auch wenn ich ihn nicht begreifen und oft auch nicht verstehen kann - umfangen bin von Gottes Gegenwart. Und das ist eine heilsame Unterbrechung.

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SWR4 Abendgedanken RP

Der Termin ist wichtig. Mit dem Ticket in der Tasche bin ich auf dem Weg zum Bahnhof, habe dann aber ein ungutes Gefühl. Ein letzter Blick auf den Fahrplan - dann der Riesenschreck: mein Zug fährt 10 Minuten früher ab, als gedacht. Unmöglich, denke ich, das kannst du nicht schaffen, fange aber trotzdem an zu rennen. Noch knapp zwei Minuten. Erst ganz am Ende der Straße kommt der Bahnhof in Sicht - aussichtlos. Drei Jugendliche auf alten Fahrrädern schlendern mir entgegen. Ich muss es versuchen: außer Atem frage ich den einen, ob ich mir sein Fahrrad leihen kann, nur bis zum Bahnhof, mein Zug käme sofort. Der Junge versteht mich nicht gleich, antwortet etwas in gebrochenem deutsch und zeigt nur auf meinen Rucksack. Ob er denkt, dass ich den transportieren will? Ich schüttle den Kopf, deute auf den Bahnhof und dann wild auf meine Uhr. Keine Zeit für lange Erklärungen: nur noch eine Minute. Irgendwie verseht er mich und überlässt mir sein Rad. Ich trete kräftig in die Pedale, mit größer werdendem Abstand rennt hinter mir her. Ich gebe Gas, die Straße entlang, dann über die Ampel. Beim Geländer ist ein freier Platz für das Rad. An den Lenker klemme ich einen 5 Euroschein und dann ein kurzer Blick zurück: auf der anderen Straßenseite kommt er angerannt. Ich winke und zeige auf sein Fahrrad, er lächelt und winkt zurück. Jetzt schnell ab zum Gleis. Es könnte klappen. Schon an der Treppe sehe ich die Leute auf dem Bahnsteig und entspanne mich: mein Zug ist noch nicht weg. Sekunden später fährt er ein. Puh - Glück gehabt! Glück gehabt? Das war mehr als Glück. Und vor allem: alleine hätte ich es nie geschafft. Einfach klasse, dass mir der Jugendliche sein Fahrrad geliehen hat - einem Wildfremden. Da gehört schon Großzügigkeit dazu und eine gute Portion Vertrauen. Mit diesem kleinen Erlebnis sitze ich im Zug und schmunzle in mich hinein. Einmal mehr habe ich erfahren, dass es nicht darauf ankommt, ob wir uns kennen oder nicht, oder ob wir die gleiche Sprache sprechen. Es zählt, was wir füreinander tun und wie wir mit einander umgehen - und der Junge heute, der hat mir wirklich geholfen. 

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SWR4 Abendgedanken RP

 Voll mit Menschen ist die U-Bahn. Meine Tochter und ich sind mittendrin. Sie ist jetzt acht Monate alt und interessiert sich beinahe für alles - ganz besonders für Menschen und Gesichter. Mit großen und wachen Augen schaut sie sich um, oft lächelt sie dabei. Das bleibt nicht ohne Wirkung: viele der Fahrgäste erwidern ihren Blick und den allermeisten zaubert dieser Moment ein Lächeln auf die Lippen. Es faszinierend zu beobachten: egal ob jung oder alt, egal ob Handwerker oder Anzugträger, egal ob auf dem Weg zum Einkaufen oder zur Schule: fast alle machen ein freundliches Gesicht oder haben ein nettes Wort. Ganz schön mächtig, denke ich. Dieser kleine Zwerg auf meinem Arm schafft es, dass Menschen für einen Augenblick vergessen, was um sie herum passiert, und dass sie - so verschieden sie auch sind - ganz ähnlich reagieren: freundlich und liebevoll. Und mir geht es ja genauso: ich spüre ein richtiges Glück, wenn sie mich anlächelt und lasse mich gerne davon anstecken. Vielleicht hat Jesus an ähnliche Begegnungen mit Kindern gedacht, als er seinen Jüngern erklärt: „Wer so klein sein kann wie dieses Kind, ist im Himmelreich der Größte" (Mt 18, 4). Die Jünger hatten darüber gestritten, wer wohl später im Himmelreich das Sagen haben wird, und so jemand muss ja das Wesentliche verstanden haben, muss ja wissen, auf was es ankommt. Und das, sagt Jesus, das sind die Kleinen. Sie geben den Maßstab vor und zeigen uns, was wirklich zählt: eben ein Lächeln zu verschenken, ganz unvoreingenommen und egal wie der andere reagiert. Ganz ohne Hintergedanken, dafür aber mit viel Neugier, wenden sie sich den Menschen und Dingen zu. Die Kleinen fällen keine endgültigen Urteile über den Nachbarn zum Beispiel und wenn es darum geht, andere glücklich zu machen, sind sie wahre Riesen. Das also sind Dinge, auf die es ankommt, das hat wirklich Bedeutung. Eigentlich glaube ich, dass das nicht erst im Himmelreich so ist: wer schenken kann ohne zu rechnen, wer den Mitmenschen nicht vorschnell verurteilt, wer andere glücklich macht - der ist wirklich groß.

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SWR4 Abendgedanken RP

„Wisst Ihr, wie ein Blatt aussieht?", frage ich die Kinder in der 4. Klasse. Klar, die Finger gehen nach oben: grün, rund, mit Stil dran. Dann schicke ich sie auf Entdeckungsreise. Sie sollen Experten für Blätter werden und sich auf dem Schulhof ein Blatt suchen. Die Aufgabe: Ganz genau hinschauen und mindestens fünfzehn Merkmale entdecken und aufschreiben. Ein leises Murren geht durch den Saal: Fünfzehn? Aber es ist doch nur ein einfaches Blatt. Doch schnell sind die Kinder bei der Sache und entdecken viel Neues: die weichen Härchen auf der Unterseite, die feine Blattstruktur mit den zarten Verästelungen, der Farbverlauf von hellgrün bis dunkelgrün. Und darüber hinaus hat jedes Blatt auch ganz eigene Merkmale: das eine ist schon etwas angefressen, das andere hat braune und gelbe Flecken, auf einem dritten sind noch die letzten Tautropfen zu sehen. 15 Merkmale - kein Problem.
Mir geht es häufig ähnlich wie den Kindern - selten mit Blättern aber oft mit Menschen. Ich habe ein Bild im Kopf und meine, diesen oder jenen Menschen schon ganz gut zu kennen. Und dann: in einer Begegnung mit Zeit und Offenheit entdecke ich Neues, Überraschendes und merke, dass ich mit meinem Bild daneben lag. Bei einer Frau aus meiner Gemeinde zum Beispiel. Sie setzt sich mit viel Engagement ein und hilft, wo sie kann. Weil ihre Art zu helfen für mich manchmal auch anstrengend ist, stand bei mir schnell fest: die ist nett, aber vor allem anstrengend. In einer ruhigen Stunde hat sich dann ein Gespräch ergeben und ich habe viel über sie erfahren. Auch über ihre Kindheit, die alles andere als einfach war. Sehr besonnen und offen hat sie über sich und ihren Weg im Glauben gesprochen. Sie möchte, dass es besonders den Kindern und Jugendlichen besser gehe als ihr früher. Und Jesus sei für sie dabei ein Vorbild. Ihre tiefe Motivation hat mich überrascht. Ich empfinde großen Respekt und seit unserem Gespräch auch viel Verständnis, wenn es mal ein bisschen anstrengend ist.
Wieder ist mir klar geworden: es geht mir wie den Kindern mit den Blättern. Die Bilder in meinem Kopf sind wirklich nur Bilder. Und wenn ich Menschen verstehen will - egal, ob meinen Nachbarn, einen Freund oder meine Frau - dann sollte ich hin und wieder auf Entdeckungsreise gehen: mit Offenheit und Zeit für Begegnung. Ich glaube, das lohnt sich.

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SWR4 Abendgedanken RP

Bei uns im Landauer Park sehe ich häufig Studenten, die zwischen zwei großen Bäumen ein breites Band spannen und dann versuchen, darüber zu balancieren - Slackline, heißt das auf Neu-Deutsch. Die, die es richtig können, laufen ohne Probleme hin- und her und machen sogar einige Kunststücke darauf. Das sieht alles richtig leicht und lässig aus. Ich habe es dann selber ausprobiert und schnell festgestellt, dass es ganz schön schwierig ist, überhaupt nur auf diesem Band zu stehen und die Balance zu halten. Eine ganz schön wackelige Angelegenheit. Ein bisschen zu weit nach rechts und... zack! Ich komme aus dem Gleichgewicht und muss absteigen. Mit Hilfestellung geht es schon besser. Eine stützende Hand und dann klappen die ersten Schritte - Übungssache eben.
Ein gutes Gleichgewicht zu finden, fällt mir auch in anderen Bereichen nicht immer leicht. Eine schwierige Disziplin ist für mich zum Beispiel das Nein-Sagen. Kürzlich habe ich mich wieder richtig über mich geärgert. Ich war körperlich ohnehin ein bisschen angeschlagen und hatte eigentlich noch jede Menge Arbeit - und trotzdem habe ich kurzerhand einer Studentin in unserem Wohnheim zugesagt, in ihrem Zimmer zwei Rollos aufzuhängen. Eigentlich ein klarer Fall für den Hausmeister - der hatte aber keine Zeit. Ich mach´s schnell, höre ich mich sagen. Am Ende waren 1 ½ Stunden weg und ich hatte an dem Tag dann noch richtig Stress. Auf der einen Seite ist es natürlich gut, hilfsbereit zu sein. Es ist wichtig, dass man nicht immer Nein sagt, wenn jemand um Hilfe bittet. Auf der andren Seite kann man sich auch überstrapazieren. Und dann hilft man mit einem schlechten Gefühlt und Ärger im Bauch. Auf die richtige Balance kommt es eben auch hier an und auf eine gute Hilfestellung.
Die finde ich in der Bibel. Jesus sagt, das höchste Gebot sei: Du sollst Gott von ganzem Herzen zu lieben. Und Du sollst deinen Nächsten lieben so wie dich selbst. Ein Gebot das herausfordert: den Egoisten mahnt es, nicht nur auf sich, sondern auch auf seine Mitmenschen zu schauen. Und die, die manchmal mehr helfen als ihnen gut tut, ermutigt es, sich selbst nicht zu vergessen. Ich darf dann auch mal mit einem guten Gewissen Nein sagen. Das Ganze bleibt eine wackelige Angelegenheit. Und ich werde auch in Zukunft mal auf der einen und mal auf der anderen Seite aus dem Gleichgewicht kommen. Gut, dass ich dann auch hier wieder von vorne anfangen kann - Übungssache eben.

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SWR4 Abendgedanken RP

Vor ein paar Wochen war ich in Köln in der U-Bahn. Da  ist mir ein Plakat aufgefallen, auf dem stand: „Der einzige, der einen Ozelotpelz wirklich braucht, ist der Ozelot" - Von Bernhard Grzimek. Ozeloten, hab ich nachgeschaut, sind Raubkatzen, die so aussehen wie kleine Leoparden. Da die Tierart durch das intensive Jagen vom Aussterben bedroht war, besteht seit 20 Jahren ein Handelsverbot mit Ozelotpelz. Das hat geholfen. Mittlerweile gibt es weltweit wieder rund 50.000 Exemplare - ein Glücksfall.
Trotzdem hat mich der Satz nachdenklich gemacht, denn bei vielen anderen Dingen ist der Zusammenhang ja nicht so klar, wie bei einem Pelz, für den ein Tier sein Leben lassen muss. Dennoch stimmt es: alles was ich habe und kaufe kostet etwas: nicht nur Geld, sondern auch Wasser, Strom, Energie, Lebensraum. Ich schaue mich um: die Stereoanlage, mein Computer, die Möbel. Und auch die Kleinigkeiten, jede Plastikschüssel, jede Batterie, jedes T-Shirt, alles... Ich komme ins Grübeln: Was brauche ich wirklich? Auf wessen Kosten wird es hergestellt? Und was kann ich noch mit einem guten Gewissen kaufen? Weil diese Fragen unbequem und oft schwer zu beantworten sind, höre ich manchmal das Argument, dann könne man ja gar nichts mehr kaufen oder essen. Aber das wäre zu einfach.
Sicherlich siegt bei mir nicht selten die Bequemlichkeit und ich kaufe etwas, ohne nachzuhaken, wo es herkommt und wie es produziert wird. Doch seit einiger Zeit achte ich immer mehr darauf. Bei den Lebensmitteln zum Beispiel: wenn ich im April Trauben essen will, dann geht das zwar - allerdings haben die Trauben dann einen weiten Weg im Kühlcontainer hinter sich. Ich könnte auch ganz einfach noch ein paar Monate warten - dann sind die Pfälzer Trauben vor meiner Haustür reif. Der Transport, die aufwendige Verpackung und die Kühlung wären dann überflüssig.
Wenn ich mir das klar mache, dann brauche ich keine Trauben im April, noch Hüte aus Ozelotfell, noch viele andere Dinge, die mir die großen Discountmärkte billig anbieten. Was ich wirklich brauche, ist eine Welt, in der Menschen und Tiere gut leben können. Aber kann ich dazu beitragen, diese Welt zu bewahren? Indem ich darüber nachdenke, was ich brauche und bewusst entscheide, was ich kaufe? Immerhin, irgendwann hat auch mal jemand angefangen, über Ozeloten nachzudenken.

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SWR4 Abendgedanken RP

Es ist noch vor 6.00 Uhr in der Frühe. Fröhliches Quietschen und Brabbeln holt mich aus meinem Schlaf. Unsere Tochter ist schon eine Weile wach und begrüßt gerade auf ihre Art den neuen Tag - so geht das zur Zeit fast jeden Morgen. Klar, manchmal denke ich, 7.00 Uhr wäre auch noch früh genug gewesen und wir hätten dann alle eine Stunde länger geschlafen. Aber irgendwie finde ich es auch klasse: so einfach drauf los, egal wie früh, quietscht sie mit ihren fünf Monaten vor sich hin und jauchzt in die Stille hinein. Meistens streckt sie sich dabei und reckt noch genussvoll ihre kleinen Arme in die Höhe.
Dass mir dieses kleine Schauspiel am Morgen gut tut, ist mir vor kurzem aufgegangen, als ich in Psalm 8 gelesen habe: Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge verschaffst du dir Lob, deine Feinde und Widersacher müssen verstummen. Ich finde das passt: die Kleine stimmt früh am Morgen einfach ihr eigenes Loblied an, ganz so als wolle sie sagen: Toll! Ein neuer Tag! Was ein Glück, was ein Geschenk! Und in mir verstummen dabei die schweren Gedanken, oder vielmehr: sie kommen mir erst gar nicht in den Sinn.
Dabei weiß ich schon: es gibt Tage, denen schaue ich nicht mit Freude entgegen. Schon gar nicht, wenn Sorge über einem Tag liegt oder ein mühevoller harter Arbeitstag bevorsteht. Ich kenne das Gefühl, dass ich mir morgens schon den Abend herbeiwünsche und die Stunden bis dahin am liebsten überspringen würde und selten hält ein Tag nur Sonnenstunden für uns bereit. Das geht auch schon meiner Tochter so: zur Zeit bahnen sich gerade die ersten Zähne ihren Weg - das schmerzt. Und dann schreit sie natürlich auch, wenn sie Hunger hat oder die Windeln voll sind. Aber dennoch: morgens stimmt sie meistens ihr kleines Loblied an - alledem zum Trotz und egal, was der Tag bringen mag.
Von ihrem unbekümmerten Lob möchte ich mich anstecken lassen. Es erinnert mich daran, dass das Leben mit seinen Hochs und Tiefs nicht selbstverständlich ist. Wenn ich heute abend ins Bett gehe und meine Tochter friedlich schläft, freue ich mich schon ein bisschen auf morgen und bin gespannt, ob es wieder in unserem Schlafzimmer jauchzt und quietscht: Aus dem Mund der Kinder und Säuglinge verschaffst du dir Lob, deine Feinde und Widersacher müssen verstummen.  

 

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SWR4 Abendgedanken RP

Heute knallen in Übersee die Sektkorken und in vielen großen Städten Amerikas gibt es spektakuläre Feuerwerke: Independence Day - der Tag der amerikanischen  Unabhängigkeit. Am 4. Juli 1776 haben sich die damals dreizehn vereinigten Staaten von Amerika von der britischen Krone losgesagt und die Unabhängigkeitserklärung. Besonders auf einen Gedanken haben sie sich dabei gestützt: alle Menschen haben ein Recht auf Leben, auf Freiheit und auf das Streben nach Glückseligkeit, denn vor Gott sind sie alle gleich.
Während meines Studiums habe ich eine zeitlang in Amerika verbracht. Natürlich gibt es auch dort Licht und Schatten, aber ich erinnere mich gerne an diese Zeit. Besonders weil ich als Ausländer den Eindruck hatte, willkommen zu sein. Die Freundlichkeit der Menschen im Alltag hat mir das Gefühl vermittelt: Du bist schon okay. Nicht selten wird diese Freundlichkeit bei uns als oberflächlich abgetan, Smalltalk eben. Aber ich sehe das anders: wenn ich mich entscheiden muss zwischen einem freundlichen Smalltalk oder einem griesgrämigen Gesicht, dann entscheide ich mich für den Smalltalk. An der Kasse im Supermarkt zum Beispiel: Wenn es hier etwas länger dauert, geht ein ungeduldiges Grummeln durch die wartende Schlange und die Leute werden unruhig - als ob es auf die halbe Minute ankäme. Entweder hat dann die Frau an der Kasse Stress, weil sie die Quittungsrolle wechseln muss, oder ich, weil ich meine Sachen nicht schnell genug einpacken und gleichzeitig das Wechselgeld in den Geldbeutel stecken kann. Anders in Amerika: eine lange Schlange, viel los, und trotzdem höre ich an der Kasse ein freundliches „Hello" und ein freundliches „Good-Bye". Ohne Stress verstaue ich meinen Kram und vielerorts gibt es dabei - gerade für ältere Leute - sogar Hilfe. Mir fallen noch mehr solcher Beispiele ein, die mir das Gefühl geben, du bist so in Ordnung wie du bist: das meist entspannte und rücksichtsvolle Fahren auf dem Highway; das kostenlose Wasser, dass selbstverständlich in jedem Restaurant auf dem Tisch steht oder mein Professor, der mich „einfach so" zum Essen einlädt.
Daran denke ich gern, auch heute, wenn die Amerikaner ihre Unabhängigkeit feiern. Es passt gut zu dem Grundgedanken des Festes: vor Gott sind wir Menschen gleich, für ihn sind wir gleich wertvoll. Da ist es nicht so wichtig, wenn es z.B. an der Kasse etwas länger dauert. Ich möchte lieber denken: Du bist okay und ich bin okay.

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