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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Bernd heißt der Fahrer des Paketdienstes. Ein, zwei Mal im Monat kommt er zu mir, immer wenn ich was bestellt habe.
Bernd gehört zu denen, die man als „Niedriglöhner“ bezeichnet: 5 EURO 80 kriegt er die Stunde bei einer 40-Stundenwoche, hat er mir erzählt. Und wenn man das alles zusammen¬zählt, kommt er auf ein Monatsbrutto von bestenfalls 1.000 Euro. Das reicht hinten und vorne nicht.
Aber das ist noch nicht alles: Den Paketdienst macht Bernd mit seinem eigenen Auto. Das war die Bedingung des Zustellerdienstes. Das Auto könne er ja steuerlich absetzen, damit wurde er gelockt. Doch jetzt war kürzlich die Kupplung kaputt, und fast der ganze Monatslohn ging drauf. Es ist zum Verzweifeln, sagt Bernd.
So wie Bernd geht es vielen. Niedriglöhner, das sind: Frisöre, Wachleute, Pizzafahrer, Zeitarbeiter, Lagerarbeiter und viele, viele mehr. Die statistischen Zahlen wurden gerade veröffentlicht. Menschen, die oft unendlich hart arbeiten und dennoch auf keinen grünen Zweig kommen.
Mit Bernd rede ich immer, wenn er zu mir kommt. Wenigstens kurz, na ja, er hat wenig Zeit. Aber ein Kaffee und eine Zigarette, so viel Zeit nimmt er sich manchmal.
Letztens hat er mir gesagt: Was ich brauche, das ist kein Mitleid. Das hilft mir nicht. Was ich brauche, ist Solidarität.
Ein großes Wort. Mir ist aber klar geworden, was Bernd damit meint. Solidarität: Er wünscht sich, dass ich ihn ernst nehme. Er wünscht sich, dass ich mit offenen Augen sehe, wie es ihm geht. Er wünscht sich, dass ich mit ihm rede: über sein Leben, seine Frau, seine Kinder, und dass ich ihm Mut mache, wenn ihn mal wieder ein Problem niederdrückt. Und er wünscht sich, dass es mehr Leute gibt, die so mit ihm umgehen. Solidarisch, das heißt: teilnahmsvoll und auf Augenhöhe.
Denn keiner von uns lebt für sich. Wir sind aufeinander angewiesen. Auf die gegenseitige Freundlichkeit, auf Mitgefühl und Wertschätzung. und auf die Liebe. Das tut unendlich gut, wenn man spürt: Auch wenn du arm bist: Du bist nicht alleine.
Solidarität, das heißt aber doch auch noch mehr, das hoffe ich jedenfalls: dass es eine Umverteilung geben muss: Wer viel hat, muss anderen abgeben. Damit Leute wie Bernd von ihrer Hände Arbeit auch leben können.
Das ist ein urchristlicher Gedanke: Der Andere ist nicht Konkurrent oder Rivale, der Andere ist dein Nächster. Und vor Gott ist er dein Bruder oder deine Schwester.
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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Kommt her, kauft umsonst. Kauft ohne Geld. Holt euch, was ihr braucht: Brot und Milch und Wein…. Wunderbar sind diese Worte aus der Bibel, aus dem Munde des Propheten Jesaja.
Und man hört sie noch einmal so gerne, jetzt, wo alles so teuer geworden ist und viele sich ernsthaft Sorgen machen, wie das weiter gehen soll mit den Preisen für Energie und Lebensmittel.
Kauft umsonst, es klingt wunderschön. Aber, wenn das einer heutzutage ruft, ist da meist ein Haken dran. Viele wissen ein Lied zu singen von versprochenen Gewinnen und von Kaffeefahrten, wo am Ende ein leeres Portemonnaie das Versprechen „Kauft umsonst“ Lügen straft. Oder die vorgeblich so billigen Flugreisen, wo die Gebühren und Abgaben die angeblichen 99 Cent auf weit mehr als 100 EURO aufblähen.
Umsonst? Gibt’s nicht! – Oder doch?

Die Bibel beharrt darauf: Das Wichtigste im Leben ist umsonst.

Mir ist das neulich durch den Kopf gegangen, als ich meiner Nachbarin begegnet bin. Sie stand da im Garten und schaute immerzu auf den Boden. Sie hatte gerade eine Krebsoperation hinter sich. Es ging um Leben und Tod, und es hat sie arg mitgenommen. Nach der Reha, war sie wieder zuhause. Und da steht sie im Garten und starrt auf den Boden.
„Ham’se was Besonderes gefunden?“ frage ich sie. „Nee“, sagt sie – und sie wirkt ganz gerührt – „ich hätte nie gedacht, was für wunderschöne Blumen in meinem Garten blühen! Sie hebt den Kopf und hat Tränen in den Augen.

Den Garten, den hat sie jahrelang gepflegt. Doch jetzt sieht sie ihn, wie sie ihn noch nie gesehen hat. Jetzt: zum ersten Mal richtig!

Ich glaube, manchmal müssen wir erst an unsere Grenzen stoßen, bis wir sehen können, was wir vorher so nie gesehen haben: Dinge, die nichts kosten, und doch so kostbar sind. Die Blumen im Garten, das herrliche Grün der Natur. Arme, die uns umfangen, wenn wir nach Hause kommen.

Das Leben als Geschenk. „Kommt und kauft….umsonst“, sagt der Prophet Jesaja im Auftrag Gottes, und der verspricht uns: „ich will dem Durstigen geben, Wasser von der Quelle des Lebens - umsonst.“
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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

„Was du einmal versprochen hast, das musst du auch halten.“ Wissen Sie woher diese Worte sind? Die sind aus dem Froschkönig, Grimms Märchen.
Da spielt die Königstochter im Schlosspark gedankenverloren mit ihrem goldenen Ball, und der fällt ihr in den tiefen Brunnen. Aber der Frosch, der da am Brunnenrand sitzt, der hilft ihr. Holt den Ball wieder raus. Dieser eklige, grüne Frosch. Und als Dank muss sie ihm versprechen, dass sie ihn mit nach Hause, in ihr Schloss nimmt. Sie will ihn los werden, doch ihr Vater, der König, sagt: „Was du einmal versprochen hast, das musst du auch halten.“

Und das wird ihr regelrecht unangenehm, geradezu eklig. Denn der Frosch will am Ende sogar noch in ihr Bett. So ist das mit dem Versprechen. Manchmal wird einem erst im Nachhinein klar, was man da versprochen hat. Und will es wieder loswerden. Das Versprechen im Geschäft, bei der Arbeit, in der Ehe.

Gibt es eigentlich ein Versprechen, das Erwachsene gerne halten? Eine repräsentative Untersuchung des evangelischen Monats-Magazins ‚chrismon’ hat danach gefragt. Wie ist das mit dem Versprechen von Treue, Pünktlichkeit, Wahrheit? Die Antwort ist erschütternd.

Es gibt nur ein Versprechen, das über 70% unserer Bevölkerung bereit sind, wirklich zu halten. Und das ist das Versprechen, das sie einem Kind gegeben haben.

„Heute Abend lese ich dir vor“ – Oder: „Morgen machen wir gemeinsam eine Radtour“. Das sind Versprechen, die nicht gebrochen werden. Und da unterscheiden sich die Mütter kaum von den Vätern.
Denn solche Versprechen sind Teil des Urvertrauens, das Kinder brauchen, um groß zu werden. Was ein Erwachsener sagt, das muss gelten. So sehen es die Kinder. Was er einen spüren lässt, darauf kannst du dich verlassen.

„Ich stehe zu meinem Wort, auch wenn es mir Mühe macht und Opfer abverlangt“, so könnte man dieses Versprechen auch ausdrücken. Und das klingt so wohltuend wie das Versprechen, das Gott den Menschen gegeben hat, damals, als er im Alten Testament sagte: Ich werde dich niemals verlassen.

Der Froschkönig in Grimms Märchen entpuppte sich übrigens als Prinz, nachdem die Königstochter ihn geküsst hatte – so schön kann es sein, Versprechen auch zu halten. https://www.kirche-im-swr.de/?m=3816
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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Werdet wie die Kinder, heißt es in der Bibel! Manchmal wünschte ich, ich hätte was von ihnen.
Wenn ein neuer Kollege kommt zum Beispiel, dann überlege ich mir immer ganz genau, wie ich ihn ansprechen soll. Sage ich „Sie“, sage ich „Du“, oder umgehe ich die Anrede? Kinder dagegen sagen ganz einfach: Wie heißt du denn? Und schauen mit großen Augen, die Steine zum Schmelzen bringen könnten.
Oder: Wenn ich etwas kritisieren muss, rede ich manchmal endlos drumherum, wo ein Kind einfach „das finde ich aber blöd“ sagen würde. Wie herrlich einfach! Und wie entlastend.
Oder: Wenn etwas gemacht werden muss, frage ich immer zuerst nach den Zuständigkeiten. Kinder würden, ohne lang zu fackeln, zupacken.
Kinder machen einfach was. Sind sich nicht zu schade, auf andere zuzugehen, zu helfen, wo Hilfe notwendig ist, oder sie holen sich die Hilfe für sich selber.
Für diese wundervollen Kinder wird jetzt wieder ein Preis ausgeschrieben: Der „Deutsche Kinderpreis“. Dieses Jahr zum zweiten Mal. Da geht es darum, dass wir Erwachsenen anerkennen und auszeichnen, wenn Kinder sich mit all ihrer Unbefangenheit und ihrer Kraft engagieren. Für ein Kinderheim in Brasilien zum Beispiel.
So haben das die Kinder der Gruppe SEARA aus Mainz gemacht. Sie haben die Lebensverhältnisse in Brasilien ganz genau erfragt: Wie lebt ihr? Was esst ihr? Geht ihr zur Schule? Und solche Fragen. Und sie bekamen zur Antwort: Wir haben oft noch nicht mal genug zu essen, und von Schule ganz zu schweigen.
Und dann haben sich die Kinder der Mainzer Gruppe SEARA engagiert: Unbefangen, vertrauensvoll und neugierig. Wie Kinder so sind. Haben anderen Leuten die Autos gewaschen, um Geld zu sammeln für die Kinder in Brasilien. Haben Straßentheater gespielt und haben in ihrer Schule von den armen Kindern in Brasilien erzählt. Und dafür wurde ihnen der Deutsche Kinderpreis verliehen im letzten Jahr.
Das ist schon beeindruckend, zu was Kinder alles fähig sind. Eben wegen ihrer Unbefangenheit. Sie machen einfach!

Der Deutsche Kinderpreis will auch in diesem Jahr solches Engagement von Kindern anerkennen. Will ihnen Mut machen, sich für die Welt und die Menschen zu engagieren.
Schauen Sie mal nach: www.deutscher-kinderpreis.de
Werdet wie die Kinder! Jesus hatte schon recht.
Manchmal wünschte ich, ich hätte etwas mehr von ihnen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=3815
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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Nachdem ich das erste Mal betrogen worden war, war es schwer, wieder Vertrauen zu fassen.
Das war vor ein paar Jahren. Da klingelte es bei mir an der Haustür: Eine ältere Frau stand da und erzählte: ihr Mann sei vor kurzem gestorben. Am soundsovielten vom Pfarrer soundso beerdigt.
Alles klang ganz überzeugend. Jetzt, sagte sie, habe sie Anspruch auf Rente. Doch das alles dauere sehr, sehr lange: Die Behörden, die Nachweise… und alle seien furchtbar langsam. Kurzum: Sie habe kein Geld mehr. Aber: die Rente käme bald. Und dann bekäme ich das Geld zurück.

Beim Thema „Behörden“, hatte sie mich. Da teilte ich ihre Wut, und dann gab ich ihr. Großzügig. Die Frau ließ sich noch meine Kontonummer geben zur Rücküberweisung - und ging.

Nach einer Woche kam sie wieder und schüttete noch einmal ihr Herz aus: Noch immer keine Nachricht, gefühllose Beamte, grauenhaft alles… und ich? Ich gab ihr erneut Geld, und sie verabschiedete sich voller Dankbarkeit.

Nach einiger Zeit wurde ich irgendwie argwöhnisch. Ich fragte den Kollegen nach dem Namen, er habe den Mann doch beerdigt! Doch: Fehlanzeige. So jemanden kannte er nicht, und die Beerdigung hat es auch nicht gegeben.

Kurzum: Ich habe das Geld nie wieder gesehen und die Frau auch nicht.

Von da ab war ich misstrauisch, wann immer jemand an meiner Tür klingelte und etwas wollte. Viele habe ich weggeschickt, weil ich dachte: Irgendwas stimmt da nicht.
Ich lasse mich nicht noch einmal übers Ohr hauen.

Vertrauen ist eine zarte Pflanze. Wird sie einmal niedergetrampelt, erholt sie sich so schnell nicht mehr. Und an ihrer Stelle wächst das Misstrauen.

Deshalb habe ich angefangen, Vertrauen wieder zu lernen. Systematisch:

Dazu musste ich mich erinnern: wie war das noch? Hab ich als Kind nicht auch immer wieder mal geschummelt und gelogen? Und später dann ab und zu herumgetrixt. Und doch haben mir meine Eltern, haben meine Freunde mir immer wieder Vertrauen geschenkt.

Und Gott? Hat er mir nicht immer wieder eine neue Chance gegeben? Wie oft hätte der mich abschreiben müssen.

Vertrauen ist schon ein bisschen verrückt: Man vergibt immer und immer wieder, auch wenn es missbraucht werden kann.
7 Mal 70 Mal sollen wir einander vergeben, hat Jesus gesagt, also: unendlich oft. Weil es einfach keine Alternative zum Vertrauen gibt, wenn man menschlich zusammenleben will.
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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Nachmittagsstunde in einer Hamburger Turnhalle: Mit lautem Gebrüll lässt sich Kevin auf eine Matte fallen, immer wieder. Erkan dagegen hat sich einen Parcours aus Böcken, Barren und Trampolin gebaut und balanciert ein wenig tollpatschig zwischen den einzelnen Hindernissen.
„Das werden einmal ganz selbstbewusste Kinder“, davon ist der Psychologe Raimund Menzel fest überzeugt. Er betreut die Psychomotorik-Gruppe. Kinder, die sich austoben müssen, weil sie es zu Hause und in der Schule nicht leicht haben. Hier können sie das, und dabei ihren Mut und ihre Grenzen erfahren. Immer wieder dienstags in der Turnhalle im Hamburger Stadtteil Dringsheide.
Ein paar Kilometer weiter liegt inmitten eines Parks eine reetgedeckte Bauernkate. Das Häuschen ist die Gründungsstätte des „Rauhen Hauses“. Hier lebte im vorvergangenen Jahrhundert Johann Heinrich Wichern, der Gründungsvater der modernen Diakonie.
Zusammen mit seinen Schützlingen saß er damals an dem großen Holztisch in der Stube. Der steht heute noch da. Und um ihn herum die Schar Kinder, die er aus Hamburgs Elendsvierteln aufgelesen hat: Vernachlässigte Kinder, verwahrloste Jungens und Mädchen, die nie eine Schule von innen gesehen haben und die nicht genug zu essen hatten und oft genug auch keine trockene Schlafstätte.
Erkan und Kevin und wie sie alle heißen von der Psychomotorik-Gruppe werden den Weg in diese Bauernkate mit dem alten Holztisch wohl nie finden, und dennoch liegt es an Johann Heinrich Wichern, dass sie immer wieder dienstags in der Turnhalle toben und spielen dürfen. Denn Wichern war – aufgrund eigener Erfahrung – von der Not der Kinder so sehr angerührt, dass er ihnen mit dem „Rauhen Haus“ Heimat, Schutz und Bildung bot. Er wollte sie aus dem Elend herausführen, und er erzählte ihnen von der Liebe Gottes.
Denn er war überzeugt: Glaube und praktische, lebendige Nächstenliebe, die gehören zusammen. Er hat es ja selber erlebt, als Junge ohne Eltern: Gott verlässt mich nicht, auch nicht im Elend. Gottes Liebe verändert die Menschen.
Und das hat ihn auf den Weg gebracht. Erst auf seinen eigenen Weg, und dann dazu, anderen auf ihrem Weg zu helfen.
Gottes Liebe macht aus zappeligen Kindern ganz selbstbewusste Jungs

Erkan und Kevin spüren etwas davon: Selbstbewusst werden sie einmal sein, das sagt auch der Psychologe. Selbstbewusst. Denn die Gnade Gottes richtet auf. Und die Liebe, die wir einander schenken, die macht stark. Mitten im Alltag.
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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

„Einer trage des anderen Last“ – lautet ein Wort aus der Bibel.
Wenn einer was trägt, was einen anderen drückt, dann kommt am Ende was richtig Gutes dabei raus. Wie zum Beispiel bei Luise Meier.
Luise Meier ist eigentlich gar nicht so alt, jedenfalls fühlt sie sich nicht so. Doch ihr Arbeitgeber hat sie letzten Herbst in Rente geschickt. Mit 65 Jahren sei sie alt genug, hieß es, und jetzt hat sie Zeit. Viel Zeit.
Lukas dagegen ist jung. 16 Jahre ist er, und auch er hat Zeit. Jedenfalls seitdem er unter die Schulschwänzer gegangen ist. Die Schule ist nicht so sein Ding, sagt er. Schulverweigerer.
Aber das ist genau das richtige für Luise Meier. „Alt hilft jung“ ist ihr Leitspruch, und seit sie ihre Zeit frei einteilen kann, packt sie richtig an.
Sie trifft sich jeden Nachmittag mit Lukas und hilft ihm bei den Hausaufgaben. Und Lukas merkt zum ersten Mal, dass er eigentlich gar nicht so dumm ist. Das gibt Selbstvertrauen!
„Alt hilft jung“, das ist nicht nur Luise Meiers Leitspruch, das ist eine Initiative: Über 200 Vereine diesen Namens gibt es in Deutschland. Hilfe für lernschwache Kinder, für Jugendliche, die sich längst aufgegeben haben, oder für junge Menschen, die auf der Jobsuche sind. – Menschen mit Lebenserfahrung übernehmen für sie die Patenschaft. Helfen ihnen bei Behördengängen, oder beim Deutschlernen, hören ihnen zu, machen Mut und sind einfach da.
Es tut gut, wenn man einen Menschen an seiner Seite hat, der an einen glaubt. Der Mut macht, es doch noch einmal zu versuchen, und der einem zeigt, wie wertvoll man ist.
Luise Meier ist so ein Mensch. Oder Anke Müller, oder Paul Schmidt. Sie wollen einfach nur ihre vorhandene Zeit anderen schenken, damit die den richtigen Weg in ihrem Leben finden. Jedenfalls versuchen sie es. „Alt hilft jung“ - in Mainz, in Hannover, in Ludwigshafen, in Trier. Bei den Hausaufgaben, bei der Ausbildung, bei der Jobsuche, sogar bei der Gründung eines eigenen Geschäfts.
Luise Meier sagt: „Eines meiner Mädchen hat es sogar bis zum Abitur geschafft – früher war sie ein Hooligan. Und ein anderes macht jetzt die Ausbildung zur Krankenschwester, sie hatte die Jobsuche eigentlich schon aufgegeben. Das macht mich glücklich.“

„Einer trage des anderen Last“ – lautet ein Wort aus der Bibel. Wie schön ist es, wenn dieser Satz nicht nur in den Kirchen gepredigt wird, sondern: im Alltag gelebt.
Durch Menschen wie Luise Meier, oder Anke Müller oder viele, viele andere.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Eine Idylle vor den Toren der Stadt Hamburg: Inmitten eines großen Gartens steht eine alte, reetbedeckte Bauernkate. Der riesige Kastanienbaum daneben legt seinen wohltuenden Schatten auf den Brunnen. Nicht fern: ein Fischteich, eine Scheune, Gewächshaus und Gärtnerei. Und dann die Felder: Hafer, Gerste und Kartoffeln. Und endlose Reihen von Apfelbäumen.
So sah die Keimzelle der modernen Diakonie aus. Das „Rauhe Haus“. Gegründet von Johann Heinrich Wichern im Jahre 1833. Hier hat Wichern entdeckt: Gottes Liebe gilt besonders den Schwachen, den Benachteiligten, denen, die am Rande der Gesellschaft leben. – Damals wie heute.
Wichern war 26 Jahre alt, frisch examinierter Theologiestudent der evangelischen Kirche. Gemeinsam mit seiner Mutter und seinen sechs Geschwistern zieht er in das Bauernhaus: getrieben von der Idee, die alte Bauernkate zu einem „Rettungshaus“ für verwahrloste Kinder zu machen.
Erst holt Wichern nur Jungen aus der Stadt, aus verdreckten, düsteren Elendsquartieren. Kurze Zeit später auch Mädchen: verlaust, unterernährt, misshandelt und vor allem: ohne Schulbildung. Straßenkinder, deren verarmte und entwurzelte Eltern sie nicht ernähren können. Das war Deutschland zu Beginn der Industrialisierung
Der Antrieb zur Gründung des „Rauhen Hauses“ kommt aus eigener, bitterer Erfahrung: Sein Vater stirbt, da ist er, der älteste Sohn, gerade mal 15 Jahre alt. Von einem Tag auf den anderen muss er die sechs Geschwister und die Mutter ernähren: Er wird Hauslehrer, kaum dass er die Schule beendet hat, das Geld reicht aber vorne nicht und hinten. Hartz IV würde man heute sagen, vererbte Armut.
Doch Johann Heinrich Wichern entdeckt gerade darin den Glauben: Gott ist auf der Seite der Schwachen, das ist seine feste Überzeugung. Gott verlässt die armen Menschen nicht. Armut ist keine Schande! Gott beschenkt einen jeden mit Liebe, Gnade und Barmherzigkeit. Ohne Ausnahme.
Und so ergreift er seine Chance: Als Lehrer findet er Zugang zu einflussreichen, frommen Familien in Hamburg. Und wie er die Zöglinge aus den reichen Familien unterrichtet, so überzeugt er zugleich die reichen Familien von seiner Mission: Der Aufbau des Rettungshauses für die armen Kinder, die Gründung des Rauhen Hauses.
Schnell findet er Unterstützung: Das war der Beginn der modernen Diakonie: Den armen, kranken und schwachen Menschen gilt die Liebe Gottes.
Johann Heinrich Wichern, am kommenden Montag wird er 200 Jahre alt.
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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

„Gehaichnis“ – vielleicht kennen Sie dieses Wort. Es ist so hunsrückerisch wie kaum eines sonst. Ich kenne kein Wort, mit dem ich exakt wiedergeben könnte, was damit gemeint ist. Man muss erleben, was ein Gehaichnis ist, muss es erfühlen und es mit eigenem Leben füllen.
Und zudem: Ein Gehaichnis, das ist für jeden ein bisschen was anderes.

Die Hunsrücker Mundartdichterin Elfriede Karsch drückt das so aus.
E Gehaichnis das sinn groe, schoofwollene Socke,
is Schweinebrieh mit Wasserweckbrocke.
E Gehaichnis is de Geruch vunn gereicherter Worschd,
is vum Brot ous’m Backes e Stick vunn der Korschd […]
E Gehaichnis dat is e Gesiecht voller Falte,
is „Ge’naacht mei Maad“ unn e Rood vunn de Alte.
E Gehaichnis hält warem unn mollisch, micht satt,
unn dat gitt’s nor dehääm in de Sprooch – Deinem Platt.

Ein Gehaichnis kann also vieles sein. Allen gemeinsam ist: Dass es mein Leben voll und reich macht, dass es warm und liebenswert macht…

Mein Gehaichnis ist eine Eichelhäherfeder aus meinen Kindheitstagen. Mein Gehaichnis, das sind ein paar Steine, die mich daran erinnern, wo ich überall schon mal war: Als Jugendlicher damals, in Schottland. Auf einer Hochebene habe diesen kleinen Stein gefunden, mit seinen Maserungen, seiner wunderschönen, grau-blauen Farbe… sozusagen Inbegriff jener Landschaft, die mich damals so begeistert und berührt hat. Schöpfung.
Oder jenes Stück Schwemmholz von der Atlantikküste: seltsam gebogen, ausgewaschen, ausgebleicht…

Wenn ich so meine Hände durch mein Gehaichnis gleiten lasse, spüre ich meine Erinnerung: Wie ich staune über die Welt, wie ich gehofft habe als junger Bub, was ich alles mal schaffe...und natürlich auch, wie enttäuscht ich war, als das nicht geklappt hat.

Und immer war da etwas, das mir über die Enttäuschungen und Tiefen hinweggeholfen hat. Wunderbar irgendwie. Eben „Gehaichnis“.

In der Bibel habe ich einen Satz gefunden, der dem am nächsten kommt. Der Apostel Paulus hat ihn nach vielen Hochs und Tiefs in seinem Leben geschrieben: „Nichts kann uns scheiden von der Liebe Gottes, die in Christus Jesus ist, unserem Herrn.“

Es ist schon ein Gehaichnis, wenn Menschen trotz schwerer Zeiten das Staunen und Hoffen nicht verlieren. Wenn sie irgendwie zum Leben zurückfinden, und ihre Erfahrungen wie kleine Schätze sehen können, die sie gesammelt haben.

Der milde Blick zurück und der getroste Blick nach vorne. Nicht ohne Sorgen und auch Angst manchmal…, aber dennoch getragen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

„Lasst den Mörder meines Mannes nicht frei!“ sagte vor kurzem die Witwe des Arbeitgeberpräsidenten Hanns-Martin Schleyer. Heute vor 30 Jahren wurde er tot aufgefunden im Kofferraum eines Autos. Verschleppt, gequält, gedemütigt starb er, die Bundesregierung ist auf die Forderungen seiner Entführer nicht eingegangen.
Es war eine demütigende Zeit – auch für die damalige Regierung in Bonn. Deutschland, der Staat, ist unbeugsam geblieben, doch das hat Menschenleben gekostet. Enttäuscht und verbittert verlässt die Witwe Schleyers Deutschland. Und sie sagt: Lasst den Mörder meines Mannes nicht frei!
Aus dem Blickwinkel eines Menschen, dessen Leben zerstört worden ist, ist der Gedanke an Gnade kaum erträglich. Zorn, Wut, ohnmächtiger Hass. Es gibt Menschen, den können wir und den wollen wir niemals mehr vergeben, das ist sogar manchmal bei unserem Nachbarn so. Und dennoch sagt Jesus in der Bibel: Ihr sollt verzeihen! 7 Mal 70 mal sollt ihr verzeihen, sagt er, also: Immer wieder. Auch wenn ihr enttäuscht worden seid.
Wie können wir also einem begegnen, der uns das Leben schwer gemacht hat? Könnten wir ihm eine Chance geben? Könnten wir verzichten auf Rache und Genugtuung?
Im Fall der ehemaligen Mitglieder der RAF bedeutet ein Nein auf diese Frage doch, dass sie für immer von einem halbwegs normalen Leben ausgeschlossen werden. Damit aber machen wir uns zum Richter über deren Lebensrecht.
Die Bundesrepublik Deutschland ist in ihrem Kern immer noch ein christlicher Staat. „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen“, so lauten die ersten Worte dieses Gesetzes. Und allein Gott, der die Menschen geschaffen und durch Jesus Christus befreit hat, allein Gott kann letzter Richter sein.
Für uns bedeutet das: eine Begnadigung muss immer möglich sein. Denn nicht wir sind die letzten Richter. Der letzte Richter, das ist allein Gott.
Und dieser Gott vergibt uns, immer wieder - die kleinen und die großen Irrtümer und Fehler. Wer das weiß und erfährt, wer sich das bewusst macht, kann andere nicht ausschließen vom Leben.
Weil ich das weiß – und sogar manchmal selber erfahren habe - drum kann ich seine Gnade weiter geben. Damit ich und andere wieder neu anfangen können.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=2320
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