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SWR2 Wort zum Tag

Marc Chagall hat den zehn Geboten in den Fenstern der Stephanskirche in Mainz eine besondere Bedeutung gegeben. Wenn es draußen dunkel wird, und das abnehmende Tageslicht ihr besonderes Blau nicht mehr strahlen lässt, leuchten noch die beiden Gesetzestafeln, die zehn Gebote, im oberen rechten Fenster, dem Dreipass.
Die zehn Gebote sind aber nicht nur dort, sondern auch im Mittelfenster zu sehen, wo Mose sie in der rechten Hand hält und mit der linken Hand auf sie hinweist. Chagall hat Mose in das Himmelsblau eingetaucht, so als wollte er sagen: aus mir spricht Gott.
Die Geschichte der zehn Gebote findet sich im zweiten Buch Mose (20, 1-17). Dort wird erzählt, dass Gott sich auf dem Berg Sinai seinem Volk offenbart habe. Das Volk hatte mit seinem Gott gute Erfahrungen gemacht. Er hatte ihnen den Mut gegeben, sich aus der Gefangenschaft in Ägypten zu befreien. Der Gott Israels stand von nun an für Befreiung und Leben.
Ich bin der Herr, dein Gott, der dich … befreit hat.
In  diese Befreiungsgeschichte gehören die zehn Gebote. Es sind Weisungen wie z.B. nicht töten, nicht stehlen, nicht lügen, den Feiertag heiligen, die Ehe nicht brechen. Die Zehn Worte, wie sie jüdische Menschen nennen oder die Zehn Gebote, wie sie in der christlichen Tradition heißen, sind bis heute wichtig für das Leben miteinander. In diesen Weisungen für ein gelingendes Leben wird dem Menschen zugetraut, zu handeln und sein Handeln zu verantworten: Du wirst das tun. Du kannst das tun. Sieverweisen auf die Freiheit von Tun und Lassen.
Was bedeuten mir heute diese Weisungen für ein gelingendes Leben?
Für mich sind sie Grundregeln ethischen Verhaltens.
Jesus hat sie im Doppeltgebot der Liebe zusammengefasst: in der Liebe zu Gott und der Liebe zum Nächsten. Der jüdische Gelehrte Pinchas Lapide nennt sie sogar die zehn Freiheiten. Ich muss sie nicht als Begrenzungen meines Lebens, meiner Lebensmöglichkeiten verstehen, vielmehr sind es Regeln, auf denen sich der Friede für alle Menschen und die Freiheit für den einzelnen gründen.
In den Mainzer Fenstern von Marc Chagall erscheinen sie wie leuchtende Pfeiler im Himmelsblau, gleichsam als Wegmarken, ohne die es kein sinnvolles, verantwortliches Leben miteinander geben kann.

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SWR2 Wort zum Tag

Marc Chagall gilt als der Meister der blauen Farbe. Mich fasziniert dieses Blau in vielen seiner Bilder. Es ist die Farbe des Himmels, steht für mich auch für Vertrauen, Sehnsucht, Weite und Unendlichkeit.
Chagall hat in vielen blaufarbigen Bildern Liebespaare dargestellt, die über Dächern am Himmel schweben. Er hat ihnen Flügel verliehen und sie so in die Nähe Gottes gerückt. Er hat damit phantasievoll angedeutet, dass die Liebe überirdisch ist.
Chagall hatte Visionen von einer Welt, die es ohne Phantasie nicht gibt. Wenn er Menschen in den Wolken zeigt und sie der Erde entschweben lässt, erhebt er sie, entzieht sie der Realität und zeigt zugleich, wer aus dieser Welt zurückkommt, bringt Flügel auf die Erde, ganz wie es Ingeborg Bachmann sagt:
Jeder, der fällt, hat Flügel.
Bilder sagen nicht: so ganz genau ist es! Sie wollen interpretiert werden. So wie Chagall mir nahe legt, seine Bilder zu deuten, so geht es mir auch mit vielen Bildern in der Bibel. Oft sind sie mir fremd, weil sie zu anderen Zeiten, unter anderen Lebensbedingungen entworfen und für Menschen mit anderen Erfahrungen gedacht sind.
Was Menschen vor 2000 Jahren wörtlich verstanden haben, zum Beispiel die Aussage Gott wohnt im Himmel muss ich heute als symbolische Aussage verstehen. Wenn ich frage, wo Gott ist, dann ist die Antwort für mich: Wo Gott ist, ist Himmel. Das heißt: Gott begegnet mir dort, wo mir und anderen etwas vom Himmel auf Erden gewährt wird. Wer sein Leben am Bild dieses Himmels festmacht, der sucht kein Jenseits, der sucht Gott nicht in der Ferne, sondern wird an den Nächsten verwiesen.
Jesus hat so von Gott erzählt, von seiner Liebe, seiner Zuwendung. Durch ihn habe ich Gott anders sehen gelernt. Als den, der sich mit Menschen solidarisiert, als den, der mit Hungernden, Kranken und Geknechteten leidet. Jesus hat gezeigt, dass Gottes Reich bei den Menschen auf der Erde anfängt und dass Gott uns durch Menschen begegnet, niemals anders.
Chagall war ein gläubiger Mensch und davon überzeugt, dass Liebe den Menschen zum Guten verändern kann. Wenn er Menschen am blauen Himmel schweben lässt, malt er uns vor Augen und in die Seele, dass es etwas gibt, das größer ist als ich selbst, etwas, das meine Vorstellungswelt übersteigt. Die Farbe Blau weist auf die Weite des Himmels und damit auf die Liebe hin.

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SWR2 Wort zum Tag

Karsamstag ist der Tag danach.
Der Tag nach Jesu Kreuzigung und Tod. Ein Tag der Grabesruhe.
Wer ein Unglück erlebt, den Tod eines Menschen beklagen muss, der weiß, wie sich ein Karsamstag anfühlt.  Es ist ein Tag, an dem ich begreifen muss, was da geschehen ist. Schmerz, Leere, das Nichtwahrhabenwollen sind bestimmend. Ich kann nicht glauben, dass der Mensch, der mit mir gelebt hat, nicht mehr leben soll. Es ist ein Tag der Dunkelheit, wo kein Weg, kein Licht sichtbar ist, wo Zeit und Raum wie aufgehoben sind.
So geht es auch den Jüngerinnen und Jünger. Sie sind nach Jesu Kreuzigung verstört und verzweifelt, ohne Hoffnung. Sie fragen sich: wie sollen wir ohne ihn auskommen? Was gibt uns Halt? Wie soll es ohne ihn weitergehen?
Von Jesus hatten die Jünger gehört:  Es ist gut für euch, dass ich gehe. (Joh 16)
Wenn ich um die begrenzte Lebenszeit eines lieben Menschen weiß, will ich nicht hören: Es ist gut, dass ich gehe. Ich bin voller Wehmut, weiß um den Verlust. Es braucht Zeit und Raum, bis ich wieder meine Schritte gehen kann, bis ich meine eigenen Antworten auf die Fragen finde, die mir das Leben stellt.
Jesus sagt diesen Satz seinen Jüngern dennoch. Er ahnt, dass sie nach seinem Tod orientierungslos sein werden. Aber er traut ihnen eigene Wege zu.
Diesen Satz verstehe ich heute so: Freunde. Ihr müsst ohne mich leben. Stellt euch eurem eigenen Leben! Was ich will und was ich für euch in Bewegung gebracht habe, das wisst ihr. Lebt, handelt in meinem Geist! Jesus will seinen Jüngern Hoffnung  geben. Er will sagen: Es gibt ein Morgen. Es wird sich der „verschlossene“ Karsamstag öffnen. Sogar der.
Die Jüngerinnen und Jünger sind nach Ostern diesen Weg gegangen. Sie haben erfahren, dass Jesu Tod nicht das Ende ist, dass das, was er mit ihnen begonnen, was er  gewollt hat, weitergeht. In seinem Geist haben sie weiter gelebt und gehandelt.
Wie kann ich heute von Jesus reden, wie in seinem Geist leben? Vielleicht so: In seinem Sinn reden und leben heißt, in den drängenden Lebensfragen unserer Zeit Partei ergreifen, sich aufmachen, sich bewegen und dahin Licht bringen, wo es dunkel ist. Ohne Hoffnung, dass es in allem Dunkel ein Morgen gibt, ist das Leben an den Karsamstagen nicht denkbar.
Wer könnte atmen ohne Hoffnung sagt die Dichterin Rose Ausländer. An dieser Hoffnung  muss sich ausrichten, wer auf seinem Weg Orientierung haben will.  

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SWR2 Wort zum Tag

Was kann man machen, wenn man nichts mehr machen kann? hat der früh verstorbene Künstler Thomas Lehnerer auf eine seiner letzten Zeichnungen geschrieben. Es bestand für ihn keine Hoffnung auf Heilung.
Was ist, wenn wir am Ende unserer Möglichkeiten angekommen sind, wenn wir die Grenzen menschlicher Machbarkeit erfahren? Es ist bedrückend, nichts mehr tun zu können. Begreifen zu müssen, so wie es war, wird es nicht mehr sein. Letzte Sätze, letzte Begegnungen bekommen plötzlich eine andere Bedeutung.
Ich habe in den letzten Wochen und Monaten anlässlich des bevorstehenden Todes der Freundin Luise Schottroff erfahren, dass es etwas gegen diese Ohnmacht gibt: die Zuwendung, für den anderen da zu sein, nicht allein zu lassen. Sterbeglück hat sie es genannt, Beziehungen, Zuwendung im Angesicht des Todes noch einmal ganz neu zu erfahren.
Eine solche Zuwendungsgeschichte erzählt das Neue Testament im Markusevangelium am Beginn des Passionsberichtes.
Jesus ist mit seinen Jüngern zu einem Gastmahl eingeladen, als eine Frau in die Runde einbricht, auf Jesus zugeht und ihn umarmt. Sie zerbricht eine Alabasterflasche und gießt das kostbarste Salböl, das es damals gab, auf Jesu Haupt und salbt ihn. Über alle Maßen überschwänglich gibt diese Frau. Sie ist mutig, mitfühlend, voll Sympathie. Sie salbt Jesus, wie man einen Toten salbt. Es ist, als ob sie vorausschauen könnte auf das, was kommen wird: Verhaftung, Kreuzigung. Es ist so, als ob sie etwas spürte vom Leid und grausamen Tod Jesu. Sie kann nicht verhindern, was später geschehen wird. Aber sie setzt ein Zeichen der Liebe im Angesicht des Todes. Der Härte der Passion Jesu stehen Zuwendung und Mitleiden gegenüber.
Und Jesus? Er ist berührt von dem, was diese Frau tut. Er sagt, indem er sie liebevoll ansieht: Ich verstehe dich. Ich bin bei dir – wie du bei mir bist. Es ist der zärtliche, der zugewandte Jesus, der diese Frau in ihrer Hingabe annimmt.
Diese namenlose Frau ist ein Beispiel dafür, was ich tun kann, wenn ich mit anderen Möglichkeiten am Ende bin: da zu sein, einen Leidenden und Sterbenden mitwachend und mitempfindend zu begleiten.
Es ist tröstlich, dass es diese Begegnung vor Jesu Tod gegeben hat. Sie ist ein Lichtblick in der kalten Trostlosigkeit der Karwoche. Ich hoffe, dass solches Sterbeglück möglichst viele Menschen erleben können.

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SWR2 Wort zum Tag

Was wird werden? Wird bleiben, was mir wichtig war? Wird sich verändern, was belastet? Das frage ich mich nach den Weihnachtstagen und dem vor uns liegenden Jahreswechsel. Zeit also innezuhalten in dieser Zeit zwischen den Jahren. Und dazu: Wenn Weihnachten in und hinter allen Bildern und allen Ritualen einen Sinn gehabt hat – wo ist er jetzt? Wie lebe ich damit? Ist nicht doch alles vorüber, alles vorbei?
Wer ist dieser Jesus, vom dem Weihnachten die Rede war? Mich beschäftigt, was ich in diesen letzten Tagen gehört habe. Es war von der Geburt Jesu die Rede, von der Geburt eines Kindes, das klein und verletzlich in die Welt der Menschen kam und auf Liebe angewiesen ist. Wie lebe ich mit dieser Botschaft weiter? Jesus – Licht der Welt. Wie erfahre ich das – nach Weihnachten?
Was ich sehe, ist: Kriege und Gewalttaten gehen in der Welt weiter. Konflikte sind nicht gelöst. Menschen hassen und verletzen und quälen einander. Es wird weiter gestorben, gelitten und gehungert.
Die Weihnachtshoffnung, dass etwas anders werden kann - lebt diese Hoffnung nach den Festtagen weiter? Wie kann ich anders weitergehen?
Dazu will ich an ein Wort Jesajas erinnern, der Zukunft in Bildern ansagt, der Bilder vom mütterlichen Gott malt. Er tröstet. Und er verheißt: Gott vergisst nicht und verlässt nicht. Aber dafür braucht er offenbar Menschen, die mithelfen, die Zukunft aus dieser Verheißung mit zu gestalten. Er will Vertrauen schaffendes, liebevolles, friedvolles Verhalten auf der Erde.
Gott ist unter uns, gerade wenn wir an den Zuständen unserer Welt oder unseres Lebens leiden. Das, meine ich, bleibt von Weihnachten, wenn Weihnachten vorbei ist. Eine neue Lebenshaltung, eine Verheißung, die nicht vergeht, die ich in das neue Jahr mitnehmen will: Gott ist Licht im Dunkeln. Dieses Licht will unsere Augen dafür schärfen, die Welt, im Großen wie im Kleinen, menschlicher zu machen. Gott ist nicht weltenfern, er begegnet mir in meinem Leben in ganz alltäglichen Beziehungen, dort, wo etwas von diesem Licht sichtbar wird.
Der Theologe Manfred Mezger hat es eindrücklich gesagt: Es begab sich aber, dass einer selber fragen, selber denken, wissen, leiden und lieben wollte. Ohne Bevormundung, ohne Rezepte; ohne Vorsicht und Absicht. Allein darum, dass er die Welt lieb hatte. Und er wurde Mensch – auf eigene Gefahr. In Palästina, Deutschland und anderswo.

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SWR2 Wort zum Tag

Weihnachten. Alle Jahre wieder.
Die feierliche Stimmung, die Lichter an den Weihnachtsbäumen, die Lieder, die Weihnachtsgeschichte, der Blick auf die Krippe. Jedes Jahr aufs Neue.
Licht mitten in der dunklen Jahreszeit.
Weihnachten - mit seiner Vertrautheit, mit liebgewonnenen oder auch manchmal nervenden Ritualen. Alle Jahre wieder.
Wir leben aus Wiederholungen. Frühling und Herbst, Sommer und Winter, Hitze und Kälte, Saat und Ernte - alle Jahre wieder. Geburtstage, Jahrestage, Gedenktage – alle Jahre wieder. Und Weihnachten nicht anders.
Aber es geht gar nicht nur um den Jahreslauf der Natur oder um die geschichtliche Wiederkehr derselben Anlässe. Wiederholung ist auch das Grundmuster des menschlichen Lebens.
Liebende, die einander ihre Liebe nicht immer wieder mitteilen, werden einander fremd. Eltern, die ihre Kinder nur ausnahmsweise erfahren lassen, dass sie akzeptiert sind, lassen ihre Kinder verarmen. Also nicht nur: Alle Jahre wieder, sondern alle Tage wieder.
In Wiederholungen erfahre ich den Reichtum des Lebens.
Und auch für Weihnachten gilt: Hätten unsere Vorfahren nicht Jahr um Jahr Weihnachten gefeiert, würden wir es nicht mehr feiern.
Meine Gedanken bewegen sich zwischen dem, was immer schon so war und dem, was sich verändert oder verändern kann.
Vieles von dem, was sich wiederholt, ist vertraut, verlässlich.  Aber ich weiß auch, dass Wiederholungen verschleißen und  lähmen können. Denn wo die Routine überwiegt, verschwindet der Gehalt. Dann wird aus einem Alle Jahrewieder ein resigniertes Schon wieder.
Wie komme ich aus diesem Dilemma heraus, einerseits Wiederholungen zu brauchen und andererseits ihre Entleerung vermeiden zu wollen? Wie erreiche ich es, mich auf Wiederholungen einzulassen und zugleich der Gefahr der Routine zu entgehen?
Ich denke, dass ich das Altvertraute auch mit neuen Bildern und neuen Worten verbinden darf, in der Hoffnung, vielleicht das Alte im Neuen und das Neue im Alten sehen zu können.
Dafür ein Beispiel: Aus dem alten Lied „Es ist ein Ros entsprungen“ nehme ich die Verse:
und hat ein Blümlein bracht
mitten im kalten Winter
 
Und aus dem Lied „Maria durch ein Dornwald ging“ die Verse:
Als das Kindlein durch den Wald getragen,
da haben di
e Dornen Rosen getragen.
Das sind schöne Bilder, die sich aber schwer ins heutige Leben übertragen lassen. Wenn ich sie mit einem nicht weihnachtlichen Bild von Hilde Domin vergleiche, kann ich durchaus Zusammengehöriges erkennen:
Mir schwindelt. Ich schlafe nicht ein.
Meine Hand
greift nach einem Halt und findet
nur eine Rose als Stütze.
Was will mir die Zusammengehörigkeit der Texte heute sagen?
Gehört es nicht in mein Leben, dass ich mich im Winter meines Daseins, auf der Flucht vor mir und anderen - das heißt umgeben von lauter Dornen - häufig frage: wo finde ich Schutz und Geborgenheit oder die Kraft zum Weiterlaufen?
Sicher nicht dort, wo ich gekränkt und infrage gestellt wurde, nicht dort, wo für mich Stärke und Macht überwiegen, nicht dort, wo meine Schwäche und Verletzlichkeit übersehen wurden, sondern erst dort, wo ich erkenne, dass auch die Dornen Rosen tragen können, ich eine schwache Rose als Stütze erfahre.
Wo aber ist das? Und vor allem, wie geschieht das – damals wie heute?
Weil ein Kindlein durch den Wald getragen wurde, muss ich nicht im kalten Winter, nicht in der Schlaf- und Schutzlosigkeit meines Lebens zerbrechen, sondern darf dem Blümlein, der Rose als Stütze, inmitten des Dornwaldes vertrauen.
Das zu wiederholen und mit immer neuem Inhalt zu füllen, ist die Botschaft von Weihnachten – Alle Jahre wieder und so auch jeden Tag.

 

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SWR2 Wort zum Tag

Herr: es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein;
gibt ihnen noch zwei südlichere Tage …

Diese Verse von Rainer Maria Rilke sind wie ein Gebet. Sie drücken den Dank für die geschenkte Lebenszeit an Gott aus. Sie sind bestimmt vom Lebensgefühl des Vergehens und der Wehmut. Es geht etwas zu Ende, was ich nicht festhalten kann.
Diese Endlichkeit liegt im Leben selbst, in der begrenzten Zeit des Sommers, des Herbstes, im begrenzten Glück,  im begrenzten Gelingen. Das Leben ist Frist. Lebenszeit ist immer gestundete Zeit.
Herr, lehre uns bedenken, dass wir sterben müssen, auf dass wir klug werden. So heißt es in Luthers Übersetzung im 90. Psalm. Was heißt es zu bedenken, dass wir sterben müssen, um klug zu werden?
Es heißt für mich, den Tod nicht zu verdrängen, ihn nicht aus dem Leben auszusperren, vor ihm nicht sprachlos zu bleiben. Tod und Leben sind aufeinander bezogen. Beide haben ihre Zeit. Wer dies tilgen will, der nimmt sich und anderen eine für das Weiterleben entscheidende Möglichkeit: die Trauer. Trauern heißt: Wege suchen, wie ich etwas von dem bewahren kann, das unwiederbringlich verloren ist. Das ist kein Widerspruch. Nur so komme ich der Mehrdeutigkeit des Lebens nahe: einer Stunde der Geburt folgt eine Stunde des Todes. Das heißt: klug werden. 
Herr: es ist Zeit...
Befiehl den letzten Früchten voll zu sein.
Was hier anklingt, ist der Wunsch nach einem guten Ende.
Aus der Erfahrung, Sterbende zu begleiten, weiß ich, wie ein bewusster Weg zum Tod gelebt werden kann. Zum Beispiel: wenn durch die Möglichkeiten der Palliativmedizin und die Arbeit im Hospiz die Würde am Lebensende gewahrt werden kann. Wenn ich unheilbar krank bin, wünsche ich mir Menschen, die meine Schmerzen lindern, selbst wenn das Leben dadurch verkürzt wird. Ich wünsche mir aber auch Menschen, die mich sterben lassen, die mir den Tod gönnen, wenn meine Stunde gekommen ist, damit ich sagen kann:
Herr: es ist Zeit.

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SWR2 Wort zum Tag

In einem Gedicht beschreibt Günter Kunert herbstliche Erfahrungen:
Noch ist Sommer. Im Hof
der Baum färbt sich schon gelb.
Wir tanzen. Langsam werden unsere
Schritte schwerer.

In diesen Tagen, wo sich die Natur verändert, wo die Blätter gelb werden und fallen, die Vögel gegen Süden gezogen sind, denken viele Menschen vielleicht über den Herbst in ihrem Leben nach. Wir tanzen. „Noch“ möchte ich hinzufügen. Aber langsam werden unsere Schritte schwerer – ein Bild für Veränderung im eigenen Leben.
Bestimmen mich deshalb Gedanken über den Tod und das Sterben, weil ich mir in diesen Herbsttagen der eigenen Endlichkeit stärker als sonst bewusst werde?
Wenn ich über Sterben und Tod nachdenke, muss ich beim Leben ansetzen.
Je mehr ich das Leben liebe, desto weniger werden mich die Schrecken des Todes bedrängen. Ich weiß mich auch im Tod geborgen, wenn ich mir bewusst bin, wie kostbar das Leben ist.
Im Alten Testament wird diese Geborgenheit in einigen Psalmen ausgesprochen. Sie sind für mich, für mein Denken und Fühlen wichtig. So heißt es in Psalm 139:
 
Ich sitze oder stehe auf, so weißt du es, Gott.
Du verstehst meine Gedanken von ferne.
Ich gehe oder liege, so bist du um mich und siehst alle meine Wege…
Von allen Seiten umgibst du mich und hältst deine Hand über mir.
Alter und Tod sind nicht nur das ferne Ende. Nein, es gibt nicht nur den fernen Tod, sondern er ist immer auch der nahe Tod. Der kleine, alltägliche Tod, der Teil des Lebens ist, den ich sterbe, gerade da, wo ich glücklich bin. Er gehört zu meinem Leben. Jeder muss täglich ein Stück hergeben. In der Erfahrung des Glücks ist jede unerfüllte Hoffnung, ist jede Enttäuschung ein Stück Sterben. 
Leben und Sterben sind miteinander verwoben. Tausende Tode kann ich erfahren, tausend Leben werden mir geschenkt. Als Lebender sterbe ich, und im Bewusstsein des Todes lebe ich. Das ist der Rhythmus des Lebens. Er muss mich nicht beunruhigen, wenn ich ihn von der Kostbarkeit des Lebens her begreifen lerne. Dazu kann helfen, was die Bibel über Leben und Tod sagt: dass ich in Leben und Tod nicht verloren, sondern geborgen bin.

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SWR2 Wort zum Tag

Gott ist ein glühender Backofen voller Liebe, der da von der Erde bis an den Himmel reicht. Das ist ein schönes Bild, das Martin Luther einmal in einer Predigt gebraucht hat. Aber die Rede von Gottes Liebe, selbst die von Auferstehung sind bildhaft zu verstehen. Ich kann fragen: Für welchen Inhalt steht das Wort Auferstehung? Wo kann ich erfahren, wie Auferstehung heute geschieht? Bei wem? Für wen? Wenn ich gelernt habe, so zu fragen, beginnt die Überlegung bei mir und meinem Leben.
Dabei können mir andere Stimmen helfen, die besser als die Sprache der Wissenschaft erfahrbar machen, was auferstandenes Leben heißt. Es sind Stimmen, die auf ihre Weise vom Aufstehen, vom Aufrichten sprechen. Sie lassen begreifen, was Menschen vor Zeiten meinten, wenn sie von Auferstehung sprachen. Mit dem Gedicht Auferstehung von Marie Luise Kaschnitz möchte ich das hörbar machen:

Manchmal stehen wir auf / Stehen wir zur Auferstehung auf / Mitten am Tage / Mit unserem lebendigen Haar / Mit unserer atmenden Haut. / Nur das Gewohnte ist um uns. / Keine Fata Morgana  ... / Und dennoch leicht / Und dennoch unverwundbar / Geordnet in geheimnisvolle Ordnung / Vorweggenommen in ein Haus aus Licht.

Inmitten so vieler Todeserfahrungen in unserer Welt, angesichts vieler Tode, die jeder stirbt, bevor er stirbt, sagt Marie Luise Kaschnitz: Vorweggenommen in ein Haus aus Licht. Auch das ist ein Bild.
Wer hätte solche Erfahrung von Auferstehung im Leben nicht auch schon gemacht, trotz aller Tode!  Ich kann ein „Leben nach dem Tod“, ein Leben trotz täglicher Tode, in mein gegenwärtiges Leben hereinrufen, als Zeugnis auferstandenen Lebens.
Vielleicht sollte ich am ehesten vom Glück reden, wenn hörbar, fühlbar, lebbar werden soll,  was aufstehen, aufrichten in meinem Leben heißt: wenn ich zum Beispiel getröstet werde, wenn ein mir zugewandter Mensch neben mir steht und mich nicht allein lässt.
Jesus hat von solchem Leben in der Welt gesprochen.  Er wollte Leben bringen und kam dabei um sein Leben. Aber sein Tod ist nicht das Ende, sondern wurde zum Anfang neuen Lebens. Das Bild dieses Lebens, für das Jesus gestorben ist, lebt in allen Auferstehungsgeschichten weiter.
Auferstehungsgeschichten sind Geschichten vom Leben. Darum sage ich: er lebt. Und darum gilt - trotz aller Todesschatten -  Auferstehung: weniger nicht.

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SWR2 Wort zum Tag

Eine Heimat zu haben    für wen wäre das nicht Glück!
Dieses Wort hat den Klang von Geborgenheit, von Dazuzugehören. Für viele ist Heimat ein Sehnsuchtsort, ein Synonym fürs Zuhause-sein. Es ist der Ort, zu dem ich gehöre, zu Menschen mit vertrauten Gesichtern, einer Sprache, die ich teile, Traditionen, die ich weitergebe. Ein Ort, wo ich Herkunft habe und auch Zukunft. Zur Heimat gehören die Bilder einer Landschaft, auch sinnliche Erfahrungen, für mich der Blick auf den Rhein und den weithin sichtbaren Dom. Heimat verbinde ich aber auch mit Erinnerungen an Menschen, die mit mir gelebt haben. Manchmal reise ich an den Ort dieser Erinnerungen, fühle mich bei denen, die mir Wurzeln gaben, zu Hause.
Es fällt schwer, aus Vertrautem herausgerissen zu werden, aufzubrechen. Und dennoch ist es wichtig, Gewohntes verlassen zu können, den festen Standpunkt, sich Neuem auszusetzen und sich doch nicht zu verlieren. Dieses Aufbrechen an einen anderen Ort, sei es durch den Beruf, im sozialen Bereich, in einer Beziehung, kann vor Farblosigkeit bewahren, weil es mich anderem, dem Fremden aussetzt, mich und die Dinge aber neu und anders sehen lässt.
Man muss weggehen können /  und doch sein wie ein Baum: / als bliebe die Wurzel im Boden, / als zöge die Landschaft und wir ständen fest…
Die Verse von Hilde Domin drücken im Bild aus, was ich meine: die Frage nach dem, was mein Leben bestimmt, was es trägt, wo ich geborgen bin, wo ich Halt erfahre. Gleichzeitig fordern sie mich auf, weggehen und loslassen zu können.
Weggehen können, sich Unbekanntem aussetzen: Das ist auch die Situation des biblischen Urvaters Abraham. Gott sagt zu ihm: Brich auf. „Geh aus deinem Vaterland und von deiner Verwandtschaft und aus deines Vaters Hause in ein Land, das ich dir zeigen will.“Aus allem, was Abraham vertraut und lieb war, wird er herausgerufen.  Und Abraham bricht dennoch auf. Er weiß sich behütet und geleitet, glaubt der Verheißung Gottes:  „Ich will dich zum großen Volk machen und will dich segnen.“ Diesem Wort vertraut er. Es fordert ihn auf, mutig aufzubrechen, verheißt ihm eine neue Heimat und dennoch er selbst zu bleiben.
Leben braucht solche Zuversicht. Ein Vertrauen, dass auf neuen Wegen jemand da ist, der mitgeht. Weggehen können und doch sein wie ein Baum – wohin ich auch gehe, wohin ich auch aufbreche, ich bleibe unter der Verheißung Gottes ich selbst.

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