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SWR2 Lied zum Sonntag

07APR2024
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[Heute mit Thomas Weißer …]

… und einem der bekanntesten klassischen Stücke überhaupt. Dem Halleluja von Georg Friedrich Händel aus dem Oratorium Der Messias von 1741.

Hallelujah! / Halleluja!

Halleluja: Da steckt ein ganzer Satz Hebräisch drin. Auf deutsch: Lobt Gott. Passt einfach zu Ostern. Der Tod hat nicht das letzte Wort. Leben blüht auf. Wenn das kein Grund zum Jubel ist: Mit Pauken und Trompeten.

Hallelujah! / Halleluja!

Ich muss sagen: Das jubilierende Halleluja geht mir trotz der Osterzeit nur schwer über die Lippen. Denn eigentlich sollte heute mein Kollege Stefan Warthmann über diese grandiose Stück Musik sprechen. Doch vor wenigen Wochen ist er überraschend gestorben. Lässt sich da so ganz einfach ein solches Halleluja singen?

Hallelujah! / Halleluja!

Weil ich an meinen toten Kollegen denke, höre ich heute auch die Nebentöne in diesem Halleluja. Da klingt mehr an als nur selbstbewusster und pompöser Triumphalismus. Immer wieder lässt Händel innehalten, führt die Melodie von tief unten nach oben oder bindet mit großen Sprüngen die Tiefen und Höhen zusammen. Händel ringt mit und um Auferstehung.

The kingdom of this world is become the kingdom of our Lord, and of his Christ; and he shall reign for ever and ever. / Das Königreich der Welt ist fortan das Königreich des Herrn und seines Christ. Und er regieret auf immer und ewig.

Was oft vergessen wird: Das Halleluja hat in Händels Oratoriums nur das vorletzte Wort. Mit ihm beschließt der Komponist den zweiten Teil des Messias. Bis hierhin erzählt das gigantische Werk von Geburt, Tod und Auferstehung Jesu. Der dritte Teil aber weitet den Blick. Er setzt sich mit dem Tod des Menschen auseinander und fasst eine Hoffnung in Musik: Dass wir Menschen aufgehoben sein werden in Gott. Auferweckt werden.

Das lässt sich ganz konkret im Alltag erleben. Wenn ich mich heute an meinen Kollegen erinnere, dann bleibt er nicht im Tod. In meiner Erinnerung ist er lebendig. Ich höre seine Stimme, sehe ihn vor mir. Davon singt das Halleluja auch.

King of kings, and Lord of lords. Hallelujah! / Herr der Herren, der Welten Gott. Halleluja!

Auferstehung: Das erzählt von einer anderen Welt. Einer Welt, in der der Tod ausgesperrt wird. Händels Halleluja bringt diese andere Welt auch musikalisch zum Klingen. Indem es ganz viele Welten verbindet: Den weiten Atem der italienischen Oper, die Pauken und Trompeten des britischen Krönungszeremoniells, die barocke Welt der Aufklärung mit ihrer optimistischen Religiosität. Und auch die Kirchenlieder aus Händels deutscher Heimat sind unüberhörbar. So klingt das adventliche Wachet auf, ruft uns die Stimme im Halleluja an.

Es ist auch dieser Mix aus verschiedenen Traditionen, Sprachen und musikalischen Wurzeln, der Musikerinnen auf der ganzen Welt bis heute inspiriert. Und sie auf ihre eigene Art und Weise von der Hoffnung auf Auferstehung singen lässt.

Hallelujah! / Halleluja!

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SWR2 Wort zum Tag

30MRZ2024
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Totenstille. Das verbinde ich mit dem Tag heute. Trotz aller Hektik, die vielleicht angesichts der Ostertage herrscht. Totenstille: Ein Karsamstagswort. Für den Tag zwischen Karfreitag und Ostersonntag, zwischen Tod und Auferstehung.

Totenstille. Ein Gefühl, das ich aus anderen Situationen kenne.

Erste Situation: In der Grundschule. Es ist eine meiner ersten Erinnerungen. Ich mache in der zweiten Klasse eine Bemerkung. Was ich sage? Keine Ahnung. Aber es war wohl aus der Kategorie „Erst gesprochen, dann nachgedacht“. Auf jeden Fall wurde es plötzlich totenstill. Ein peinlicher und beschämender Moment.

Zweite Szene: Nachts in der Kirche. Viele Jahre habe ich die Karwoche in der Jugendbildungsstätte eines Klosters verbracht. Die Nacht von Karfreitag auf Karsamstag verbrachten wir im riesigen Chor der romanischen Kirche. Dort befinden sich bis heute einige alte Gräber. Erkennbar an den steinernen Grabplatten im Fußboden. Eines der mittlerweile leeren Gräber war geöffnet. Drumherum tauchten einige Kerzen die Basilika in ein warmes Licht. Es herrschte Totenstille. Zeit, um über Tod und Leben nachzudenken. Ein berührender Moment.

Dritte Szene: In meinem Elternhaus. Mein Vater liegt im Sterben. Meine Geschwister und ich wechseln uns an seinem Bett ab. Wir halten Wache. Bis früh am Morgen. Und dann höre ich plötzlich: Nichts. Es ist totenstill. Ein trauriger Moment. Was mich tröstet: Dass ich an seiner Seite sein durfte.

Totenstille. Das Wort steht für Situationen, in denen Wesentliches passiert. Das gilt auch für den Karsamstag heute – ein Tag im Schwebezustand. Zwischen Karfreitag und Ostermorgen. Ein Tag ohne Gottesdienst. Die Kirchenglocken schweigen. Das Leben wird langsam.

Die Totenstille an diesem Tag trägt für mich viele Gesichter. Und kommt mir so nahe. Ich kann mich an die vielen Momente der Stille in meinem Leben erinnern. Und ich kann aus der Stille, die den Tod Jesu an diesem Tag umgibt, Kraft schöpfen. Ich spüre: Jede Stille kann mit Leben gefüllt werden. Kann sich ganz unverhofft wandeln. Indem ich mich erinnere. Indem ich sie mit anderen teile. Indem ich mich von ihr begleiten lasse.

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SWR2 Wort zum Tag

28MRZ2024
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Essen und Trinken: Lebenswichtig. Das ist gerade heute unübersehbar. Weltweit hungern über 700 Millionen Menschen. Eine unfassbare Zahl. Aber der Hunger hat auch ein ganz konkretes Gesicht. Zwei Beispiele. Laut Welthungerhilfe stirbt alle dreizehn Sekunden ein Kleinkind an den Folgen von Hunger. Und der UNO-Menschenrechtsrat berichtet von brutalen Misshandlungen ukrainischer Soldaten in russischer Gefangenschaft: Vor lauter Hunger würden sie Würmer, Seife oder Hundefutter essen.

Essen und Trinken: Lebenswichtig. Das wissen auch die Religionen der Welt. Denn in praktisch allen Glaubensrichtungen gibt es Essensvorschriften, Fastenzeiten, Tischgebet, Speisevorschriften oder die Opferung von Nahrungsmitteln.

Auch der christliche Gründonnerstag hat mit Essen und Trinken zu tun. Kurz bevor Jesus stirbt, isst er zum letzten Mal gemeinsam mit seinen Freunden. Sie teilen Brot und Wein. Grundnahrungsmittel sozusagen. Eine komplette Mahlzeit. Und zugleich mehr. Brot und Wein erzählen von der Kunst des Menschen, die Natur zu verwandeln. Getreide wird angebaut, die Körner werden gemahlen, mit Wasser und Gewürzen und vielem mehr vermischt und dann ausgebacken. Auch Trauben werden angebaut. Und in vielen kunstvollen Arbeitsschritten entsteht aus ihnen Wein in unzähligen Geschmacksrichtungen.

Brot und Wein: Nahrungsmittel, die erzählen, dass Verwandlung möglich ist. Dass sich etwas radikal verändern kann. Anders wird. So wie Menschen sich verändern können. Auch davon erzählt die Geschichte Jesu. Menschen erleben diesen Jesu, werden von ihm gesehen, berührt, angesprochen – und verändern sich und ihr Leben. Blinde können sehen, Kranke werden gesund, egozentrische Menschen öffnen sich für andere. Und auch Jesus selbst wird sich verwandeln. Aber davon erzählt erst der Ostermorgen.

Essen und Trinken: An Gründonnerstag machen sie deutlich, wie nötig es ist, dass Hunger gestillt wird. Hunger nach Nahrung, nach Verwandlung, nach Leben.

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SWR2 Lied zum Sonntag

10MRZ2024
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Auferstehung, das ist für viele ein Märchen, eine Geschichte. Jedenfalls etwas ohne Bedeutung für heute. Für das eigene Leben. Geht mir manchmal ähnlich. Was kann mir Auferstehung schon sagen? Dass irgendwann der Tod an sein Ende kommt? Das scheint mir so weit weg von meinem Leben.

Das Andere Osterlied des Dichters und Pfarrers Kurt Marti denkt Auferstehung ganz anders.

Das könnte den Herren der Welt ja so passen, / wenn erst nach dem Tode Gerechtigkeit käme, / erst dann die Herrschaft der Herren, / erst dann die Knechtschaft der Knechte / vergessen wäre für immer.

Ein Lied über Auferstehung? Eher ein Lied über Macht und Ohnmacht. Und das hat mit dem Tod zu tun. Der Tod ist eine fremde Macht, kommt und nimmt mir das Leben. Ich kann zwar gegen den Tod ankämpfen. Aber am Schluss werde ich sicher verlieren. Kurt Marti überträgt diese Erfahrung auf eine politische Ebene. Dass Menschen Tag für Tag ohnmächtig gemacht werden. Und dass oft genug niemand die Herren der Welt dafür zur Rechenschaft zieht. Kriegstreiber wie Putin, Konzerne, die sich auf Kosten der Armen bereichern, Länder, die andere ausbluten.

Das könnte den Herren der Welt ja so passen, / wenn hier auf der Erde stets alles so bliebe, / wenn hier die Herrschaft der Herren, / wenn hier die Knechtschaft der Knechte / so weiterginge wie immer.

Es scheint doch so: Alles bleibt, wie es ist. Macht ist verteilt – Ohnmacht auch. Dagegen singt das Andere Osterlied an. Peter Janssens hat es komponiert. Und verknüpft mit seiner Melodie ganz raffiniert heutigen Protest und den ältesten deutschsprachigen Osterhymnus Christ ist erstanden.

Christ ist erstanden von der Marter alle. Des solln wir alle froh sein; Christ will unser Trost sein. Kyrieleis.

Der alte Choral verknüpft Marter und Auferstehung, Trauer und Trost. Auch Kurt Marti weiß um diese enge Verbindung. Und protestiert gegen den Tod. Gegen die Bosse, die von tödlicher Ausbeutung profitieren, gegen eine Kirche, die bloß salbungsvolle Worte für Hinterbliebene kennt, gegen all die, die den Tod einfach so hinnehmen. Gegen alle die, für die Auferstehung ganz weit weg ist.

Doch ist der Befreier vom Tod auferstanden, / ist schon auferstanden und ruft uns nun alle / zur Auferstehung auf Erden, / zum Aufstand gegen die Herren, / die mit dem Tod uns regieren.

Auferstehung und Aufstand werden in dem Lied auf ziemlich unerhörte Weise verknüpft. Marti und Janssens holen Auferstehung so aus einer fernen Zukunft in die Gegenwart. Auferstehung heißt dann: Aufstand gegen all das, was tot macht. Die Ohnmacht abschütteln. Nicht andere über das eigene Leben bestimmen lassen. Aus dem Kreislauf von Demütigung und Diskriminierung ausbrechen.

Das Andere Osterlied beharrt darauf: Auferstehung ist eine Chiffre für die Welt heute. Die Hoffnung auf Auferstehung ist vor allem für die gedacht, die Tag für Tag schon fast tot sind, die keine Hoffnung haben, die trostlos leben. Die Spur der Auferstehung führt so mitten ins Leben hinein.

Marti bringt das in seinem Gedicht Ihr fragt nach der Auferstehung der Toten auf den Punkt: ihr fragt wie ist / die auferstehung der toten? / ich weiß es nicht // ich weiß nur / wozu Er uns ruft: / zur auferstehung heute und jetzt

 

Musikquellen

1

Anderes Osterlied

Text: Kurt Marti / Musik: Peter Janssens 1970

© Peter Janssens Musik Verlag, Telgte

Das Gesangsorchester Peter Janssens

In: Meine Lieder. Peter Janssens

LC 4679 / CD1074 / Track 08 (1:40)

 

2

Christ ist erstanden

Aus: Aus meines Herzens Grunde. Die schönsten alten Kirchenlieder

CD 2, Track 05, 1:35

Klaus Mertens (Gesang), Kay Johannsen (Orgel)

Carus 83.015 / LC 3989

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

06MRZ2024
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Ich jogge immer noch. Habs mir Anfang des Jahres vorgenommen und halte es durch. Anderes kann ich nicht so gut auf Dauer. Auf Süßigkeiten verzichten zum Beispiel. Das hatte ich mir für diese Fastenzeit fest vorgenommen. Aber schon nach ein paar Tagen bin ich eingeknickt.

Warum überhaupt dieser ganze Tanz um das Fasten? Vom Kopf her weiß ich, wie wichtig Fasten ist. Gerade heute, in dieser Zeit. Wo alles immer und überall verfügbar ist. Nachrichten, Posts, Musik. Aber auch Erdbeeren oder Trauben: Alles immer da.

Ich hab letztens eine Plakatwerbung für irgendeinen Lieferdienst gesehen. Da wird nur ein Gesicht gezeigt und drumherum lauter Gemüse, Gummibärchen oder andere Waren. Das sieht fast so aus, als würde jemand im Konsum ertrinken. Ein passendes Bild zur Fastenzeit. Ich selbst habe immer wieder das Gefühl in all dem, was mich umgibt, unterzugehen. Weil es von allem so viel gibt. Da krieg ich gar nicht mehr mit, was mir eigentlich guttut. Was ich tatsächlich brauche und was überflüssig ist.

Das ist für mich der Sinn vom Fasten. Abstand gewinnen, um mich selbst zu spüren. Um wahrzunehmen, was ich wirklich brauche. Ich selbst und andere.

Das macht mir auch ein biblischer Text klar. Am Anfang seines öffentlichen Auftretens steht bei Jesus eine Auszeit. Er geht in die Wüste. Dahin, wo es nichts gibt – außer endlosem Sand. Hier besinnt sich Jesus, sammelt Kraft für sein Reden und Handeln. Ein radikales Fasten, aus dem heute eine weltweite Gemeinschaft von Glaubenden geworden ist.

Seit ich mir das bewusst gemacht habe, jogge ich anders. Faste sozusagen beim Laufen. Sammle Kraft und besinne mich. Nehme Abstand zu den Dingen. Und hoffe so, dass ich wieder den Blick gewinne für das, worauf es ankommt und was wirklich wichtig ist.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

05MRZ2024
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Ich hab die Tage im Garten ein bisschen aufgeräumt. Altes Laub und Äste zur Seite geschafft. Wie ich so ein paar halb vermoderte Äste anhebe, da springt mir Grün ins Auge. Fällt auf. Wo sonst alles braun und schwarz und grau ist.

Ich hab eine Hyazinthe entdeckt. Einen Frühblüher. Noch ist nicht zu erkennen, welche Farbe sie einmal haben wird. Denn nur ihre dicken, dunkelgrünen Blätter sind zu sehen. Ich bin fasziniert. Kaum wird es ein bisschen wärmer, da hat sich diese Pflanze schon ans Licht gedrängt. Ein erster Hinweis auf den nahenden Frühling.

Frühblüher finden sich nicht nur im Garten. Vor allem im Wald kann ich sie antreffen. Diese Pflanzen nutzen das Licht, das zu Beginn des Frühlings noch ungehindert den Waldboden erreicht. Wenn die Bäume wieder Blätter tragen, dann ziehen sich die Frühblüher zurück. Bis zum nächsten Jahr.

Ich muss zugeben: Ein bisschen geht es mir wie den Frühblühern. Und ein bisschen hätte ich auch gerne was von diesen Pflanzen.

Denn: Die kurzen Tage und die lange Dunkelheit, das trübe Wetter, Regen immer wieder, das geht mir gegen Ende des Winters ganz schön auf die Nerven. Da strecke ich mich tatsächlich den wenigen Sonnenstrahlen entgegen, die manchmal durch die Wolken brechen. Vor ein paar Tagen war ich verabredet. Auf dem Platz, an dem wir uns treffen wollten, da kam plötzlich die Sonne raus. Und ich konnte nicht anders und bin direkt dahingegangen, wo die Sonnenstrahlen auf den Asphalt trafen. Hab mich gewärmt. Bin innerlich aufgeblüht.

Und dann denke ich: Oft genug achte ich gar nicht auf die vielen Lichtblicke und Sonnenstrahlen in meinem Leben. Die den Alltag und das manchmal auch alltägliche Grau durchbrechen. Der Busfahrer, der mir noch extra die Tür aufmacht, als ich angehetzt komme. Die Nachricht „Ich denke an dich“ auf dem Handy. Da gehe ich oft genug einfach so drüber weg. Wenn mir das dann bewusst wird, dann wünsche ich mir, öfter mal selbst ein Frühblüher zu sein. Jeden Sonnenstrahl nutzen, ans Licht drängen, Blüten tragen.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

04MRZ2024
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Dass Künstler über Gott reden: Jahrhundertlang selbstverständlich. Michelangelo, Goethe, Bach. Die Liste lässt sich beliebig verlängern. Heute hat sich das geändert. Über Gott und den Glauben wird in der Kunst vor allem geschwiegen. Das ist ein Tabuthema. Jetzt hat Jon Fosse mit dem Tabu gebrochen. Fosse ist nicht irgendwer. 2023 erhielt er den Nobelpreis für Literatur. Doch der Katholik hat seine ganz eigene Art über Gott zu sprechen. In einem Interview hat er nämlich betont, dass er das Wort »Gott« gar nicht benutzt. Stattdessen spricht er von „irgendeiner Art von guter Macht.“ Warum er auf den Begriff Gott verzichtet? Fosse knüpft an eine ganz alte Tradition an, wenn er sagt: „Wir können nichts über Gott sagen. Er ist hinter den Dingen. Wir können nicht sagen, was war, bevor wir geboren wurden. Wir können nicht sagen, wohin wir gehen. Wir können nur sagen, dass wir früher nicht auf der Welt waren und dass wir irgendwann von hier verschwinden werden.“

Über Gott schweigen, das machen ganz viele Glaubende. Negative Theologie heißt das. Wir können nur sagen, was Gott nicht ist. Klingt erst mal paradox: Indem man sagt, was nicht ist, versucht man Gott näherzukommen. Fosse findet dafür ein starkes Bild. Es sagt: Wo wir Menschen vor unserer Geburt und nach unserem Tod sind, das ist die andere Seite. Und auf der anderen Seite, so glaubt Fosse, ist Gott. Glaube heißt bei ihm also: Mit dem umgehen, was man mit Worten kaum ausdrücken kann. Und zu wissen, dass es mehr gibt, als unsere Sprache erfasst. Dass das jemand sagt, der professionell und preisgekrönt mit Worten umgeht, gibt mir zu denken. Über mein Leben hinaus zu denken.

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SWR4 Sonntagsgedanken

28JAN2024
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Gewünscht: Gesundheit

Am Anfang des Jahres höre ich überall diesen Wunsch: „Bleib gesund“. Und das wünsche ich anderen auch: „Gesundheit“. Ist ja auch klar: Körperliche und geistige Gesundheit ist wichtig. Wenn ich krank bin, dann geht es mir schlecht. Ich bin beeinträchtigt. Kann vielleicht nicht aus dem Bett aufstehen. Oder nach draußen gehen. Bin auf Hilfe angewiesen. Meine Selbstbestimmung ist eingeschränkt.

An Leib und Seele gesund sein, das ist ein echtes Ziel. Auch in vielen Religionen. Gesundheit und Krankheit spielen hier eine wichtige Rolle. Praktisch alle Religionen erzählen davon, dass Glaube und Heilung miteinander verbunden sind. Auch das Christentum.

So finden sich viele Heilungsgeschichten in der Bibel, Jesus selbst tritt als Heiler auf. Manchmal therapiert er die Menschen. Legt ihnen die Hände auf. Dann wieder berührt er sie. Mixt eine Salbe. Macht sogar Tote lebendig. Es sind in aller Regel die ganz normalen Menschen um Jesus herum, die geheilt werden. Die Schwiegermutter seines engsten Mitarbeiters Petrus, Leprakranke, der Diener eines Hauptmanns, Blinde, Lahme, Stumme, die Tochter einer Frau, die zu ihm kommt. Viele mehr.

Klingt für mich toll, aber auch suspekt. Ich weiß, in der Antike gab’s ein anderes Verhältnis zu solchen Wunderheilungen. Man ging einfach davon aus, dass Gott oder die Götter gesund machen können. Dass Glaube heilt. Dass es Wunder gibt.

Seit der Aufklärung denken wir anders. Gesundheit ist eine Frage des medizinischen Wissens, der Ernährung, der guten Gene und des Glücks, etwa keinen Unfall zu erleiden. Und wenn ich zu einer Ärztin gehe, dann erwarte ich sicher keine Wunderheilung, sondern eine saubere Diagnose und eine gute Therapie.

Trotzdem berühren mich die Heilungsgeschichte der Bibel. Jesus, so wird erzählt, heilt, indem er auf Kranke zugeht, sie berührt, sich ihnen zuwendet. Das wiederum geht mir nah. Ich bin bedrückt oder niedergeschlagen, habe Grippe oder Corona: Da hilft es unheimlich, wenn sich jemand um mich kümmert. Mich in den Arm nimmt. Eine Suppe für mich kocht. Auch in der Medizin hat man das schon lange erkannt: Sich dem Kranken zuwenden, das hilft enorm beim Gesundwerden.

Das ist für mich das eigentliche Wunder: Dass die Nähe eines Menschen tatsächlich gesund machen kann – oder mich zumindest tröstet.

Sich selbst bestimmen

Gesund bleiben, gesund werden, das ist ein Menschheitsthema. Auch schon in der Bibel. Die erzählt in einer Geschichte von einem Menschen mit einem unreinen Geist. Einem Besessenen. Besessenheit, das klingt erst mal fremd. Aber so Leute kenne ich auch. Ein Kollege von mir, für den zählt nur Arbeit. Freizeit ist ein Fremdwort. In einem Film, den ich gesehen habe, ging es um einen jungen Erwachsenen, der von einem Computerspiel besessen war. Der musste immer weiter spielen. Und ich selbst war eine Zeitlang von einer Sammelleidenschaft besessen. Ich habe in jeder Stadt, in der ich war, eine Tasse gekauft. Jetzt ist mein Regal voll. Das hat mich geheilt.

Besessenheit, das heißt, ich bin nicht ganz ich selbst. Es ist so, als würde ich ferngesteuert. In der Antike hat man sich das so erklärt: Ein Dämon, ein böser Geist haust in einem Menschen. Solche bösen Geister finden sich in vielen Religionen, in Märchen und Mythen. Es sind fremde Mächte. Mächte, die Besitz vom Menschen ergreifen. Macht über ihn ausüben.

Etwas Ähnliches passiert ja auch bei Krankheiten. Heute wissen wir: Es sind etwa Viren, Bakterien, Krebszellen, aber auch ängstigende Gedanken oder neurologische Veränderungen, die für Krankheiten sorgen. Aber auch die ergreifen Macht über den Körper und die Seele. Und die müssen auch heute bekämpft werden: mit Medikamenten, mit Operationen, mit Wadenwickel, mit Salben, mit Gesprächen, mit frischer Luft. Damals wie heute heißt Gesundwerden, dass fremde, praktisch unsichtbare Mächte bezwungen werden. All das, was den Menschen krank macht.

Gesundheit hat also ganz viel damit zu tun, dass ich selbst über mein Leben bestimmen kann. Dass mich keine fremde Macht regiert. Genau das ist auch das Thema der biblischen Heilungsgeschichten. Jesus heilt den besessenen Mann, indem er den Dämon austreibt. Indem er die fremde Macht vertreibt. Und so den Menschen wieder zu sich kommen lässt. Nach der Heilung kann der Kranke nämlich wieder über sich selbst bestimmen. Ist frei. Das ist ganz nah an dem, was ich als gesund empfinde. Dass Menschen wieder Macht über ihr eigenes Leben zurückgewinnen. Sich selbst bestimmen und nicht die Krankheit bestimmen lassen. Glaube, so wie ich ihn verstehe, will genau das: Menschen frei und gesund machen.

Zu Mk 1,21-28

21 In Kafárnaum ging Jesus am Sabbat in die Synagoge und lehrte. 22 Und die Menschen waren voll Staunen über seine Lehre; denn er lehrte sie wie einer, der Vollmacht hat, nicht wie die Schriftgelehrten. 23 In ihrer Synagoge war ein Mensch, der von einem unreinen Geist besessen war. Der begann zu schreien: 24 Was haben wir mit dir zu tun, Jesus von Nazaret? Bist du gekommen, um uns ins Verderben zu stürzen? Ich weiß, wer du bist: der Heilige Gottes. 25 Da drohte ihm Jesus: Schweig und verlass ihn! 26 Der unreine Geist zerrte den Mann hin und her und verließ ihn mit lautem Geschrei. 27 Da erschraken alle und einer fragte den andern: Was ist das? Eine neue Lehre mit Vollmacht: Sogar die unreinen Geister gehorchen seinem Befehl. 28 Und sein Ruf verbreitete sich rasch im ganzen Gebiet von Galiläa.

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Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

13DEZ2023
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Dreizehnter Dezember. Für die meisten sicher kein wirklich aufregender Tag. Mitten in der Woche. Alles ganz normal. Menschen gehen in die Schule, kümmern sich um Kinder oder pflegen Angehörige, machen sich auf zur Arbeit oder kommen gerade heim. Autos sind wie üblich unterwegs und irgendwann kommt die Post.

Irgendwie ist alles normal. An diesem 13.12.

Sicher, auch heute ist dieser scheinbar normale Tag für manche Menschen gar nicht normal: Weil sie Geburtstag haben, ein Kind bekommen oder den Tod eines Angehörigen betrauern.

Doch für alle öffnet sich auch an diesem scheinbar ganz normalen Tag wieder eine Tür im großen Adventskalender des Lebens. Wenn ich durch diese Tür gehe, dann kann ich magische Momente erleben. Ich kann ein Gespräch führen, das mir das Herz wärmt. Ich kann mich einen Augenblick lang auf die nächste Urlaubszeit freuen. Mir einen heißen Tee machen, am Fenster stehen und einfach nur rausgucken. Ich kann mir von den morgendlichen Lichtern ein Funkeln für den Tag merken. Oder mal ganz genau hinsehen, wie sich die Natur zeigt. Ich kann so viel erleben – an einem normalen Tag. Es liegt auch und vor allem an mir.

Die Rede vom Adventskalender des Lebens passt da wunderbar. Denn so wie ich 24 Tage lang Türen öffne oder Säckchen auspacke oder Streichholzschachteln öffne, so öffnet sich auch an diesem Tag heute eine neue Tür in meinem Leben. Und ich kann mich von dem überraschen lassen, was da alles zum Vorschein kommt. Ich kann merken: Es gibt so viel auf der Welt, was wunderbar ist, was mich staunen lässt, was mir Hoffnung machen kann. So kann jeder Tag ein kleiner Vor-Weihnachtstag werden. Mitten im Advent.

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12DEZ2023
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Nur noch wenige Tage bis Weihnachten. Fest des Friedens. So heißt es zumindest. Aber wenn ich mich umschaue, dann ist mir dieses Jahr kaum nach einem solchen Fest zumute. Wo bitte geht’s denn hier zum Frieden, will ich dem Weihnachtsfest zurufen. Ukraine, Gaza, Iran, die Liste lässt sich fast unendlich fortsetzen. Und oft genug denke ich, dass das mit dem Frieden einfach unrealistisch ist. Friedliche Zeiten waren schon immer Mangelware. Klar, hier in Deutschland gibt es keinen Krieg. Und trotzdem herrscht auch hier Unfrieden. Streit darum, wie mit Flüchtlingen umgegangen wird. Streit um Klimamaßnahmen und Tempolimit. Und in vielen Familien sieht es gerade in diesen Tagen oft genug auch unfriedlich aus.

Ich weiß, auf vieles habe ich gar keinen Einfluss. Krieg und politische Entscheidungen, Umgang mit Flüchtlingen und Naher Osten – mir sind die Hände gebunden. Und trotzdem will ich mich davon nicht bestimmen lassen. Ich will diese ganze Unfriedlichkeit als Anstoß für mich selbst nehmen. Nach Frieden zu suchen. Da, wo ich was machen kann.

Ich halte mich da an meinen Glauben. An das biblische Wort schalom. Das Wort steht für einen umfassenden Frieden. Ein Friede, den es nur gibt, wenn Menschen und Tiere, wenn die Umwelt und der ganze Kosmos, wenn alle zu ihrem Recht kommen. Dazu kann ich selbst ein kleines bisschen beitragen. Kann den Streit in der Familie versachlichen und nach Lösungen suchen. Kann mit Menschen ins Gespräch kommen, die ganz andere Ansichten haben als ich. Kann Zuhören, versuchen zu Verstehen. Kann ein Lächeln in die Welt setzen. Auf dem Bahnsteig, wenn der Zug nicht kommt. In der Warteschlange im Baumarkt. Wenn andere nerven.

Und wenn mich jemand fragt: Wo, bitte, geht’s zum Frieden? Dann kann ich sagen: Überall. Da, wo Menschen einfach damit anfangen.

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