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SWR2 Wort zum Tag

18JUL2023
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Vorsichtige Menschen wissen schon lange: Es ist gefährlich, sich zu früh zu freuen. Morgens fahre ich mit dem Fahrrad noch gut gelaunt zur Arbeit und freue mich über den schönen Sommertag. Aber abends liegen mir die Pommes aus der Kantine schwer im Magen und der Rücken schmerzt von der langen Büroarbeit. Darum habe ich schon als Kind gelernt: Du sollst den Tag nicht vor dem Abend loben.

Es gibt jemanden, der das anders sieht: Karl Rahner. Er ist ein großer Theologe des 20. Jahrhunderts! Er stammt aus Freiburg. Als Theologieprofessor hat Karl Rahner Kardinäle und Päpste beraten und sich für den Frieden in Europa engagiert. Er sagt: Unbedingt sollst Du den Tag vor dem Abend loben! Lobe den Tag von der ersten Minute an. Wer mit Vertrauen und Zuversicht in den Tag geht, der steigert seine Chancen, dass es am Abend auch etwas zu loben gibt. Denn mit dem Tag ist es wie mit Kindern: Sie werden das, wofür man sie hält.

Darum bin ich jetzt auch jemand, der schon morgens davon ausgeht, dass heute ein guter Tag werden kann. Und dabei kann ich mich immer auf Karl Rahner berufen.

Er empfiehlt, den neuen Tag mit diesen Worten zu empfangen:

Sei herzlich willkommen, du kleiner armer Tag, ich werde dich zu einem kleinen

Kunstwerk machen, zu einem seligen ernsten Spiel des Lebens, worin alles mitspielt:

Gott, die Welt und mein Herz.

Und am Ende fragt Karl Rahner: Meint ihr nicht, es gibt am Abend etwas zu loben, wenn wir so den Tag beginnen?

Die Worte, die Rahner wählt, sind vielleicht etwas aus der Mode. Ich würde es anders ausdrücken, was ich mir für den Tag wünsche. Doch die Idee dahinter überzeugt mich: Jeder Tag kann ein kleines Kunstwerk werden. Wenn ich schon um kurz vor acht diesen Tag zum ersten Mal lobe und ihm viel zutraue. Darum sage ich auch heute: Herzlich willkommen, Du neuer Tag.  

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SWR2 Wort zum Tag

17JUL2023
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Gibt es die Menschheit in 5000 Jahren noch? Was muss passieren, damit die Menschen dann gut und glücklich leben. Über diese Fragen denken Menschen nach, die dem Longterminismus anhängen. Der Longterminismus ist eine Art neue Philosophie. Die Idee dahinter: Endlich mal über die nächsten zehn oder zwanzig Jahre hinausdenken.

Ein berühmter Longterminist ist Elon Musk: Der verkauft Elektroautos und ist sehr reich. Sein Geld steckt er in Raketen, die bald zum Mars fliegen sollen. Doch das ist nur der Anfang. Elon Musk und Gleichgesinnte wollen jetzt die Weichen stellen, damit Menschen in 5000 oder 10.000 Jahren gut leben können. Ihr Ziel: Die Menschen leben verteilt auf viele Planeten und sind biologisch weiterentwickelt.  Alle haben zum Beispiel eine Schnittstelle im Gehirn, die sie direkt ins Internet weiterleitet.

Was mich am Longterminismus fasziniert, ist der Optimismus. Es herrscht ja oft eine Stimmung, als wenn morgen die Welt untergeht: Krieg, Energiekrise, Klimakatastrophe. Longterministen trauen uns zu, damit fertig zu werden.  Sie rufen uns zu: Hey, Leute, wir haben schon so viel erreicht. Die Wissenschaft geht mit großen Schritten voran. Die Zukunft kann großartig werden.

Doch es gibt auch Schattenseiten: Ob es eine Hungersnot oder einen Krieg mit vielen Toten gibt – keine große Sache, wenn ich in Jahrtausenden denke. Für große Ziele muss ich bereit sein, Opfer zu bringen. Darum stecken Milliardäre wie Elon Musk viel Geld in die Zukunft, statt die Not im Hier und Jetzt zu lindern.

Dabei haben wir doch genug Probleme, die es zu lösen gilt. Ich träume von einer guten Zukunft für uns und die nächsten Generationen. Wahrscheinlich werden Menschen in 1000 Jahren ganz andere Probleme haben als wir heute. Vielleicht leben sie tatsächlich besser, länger und gesünder als wir. Aber mich interessiert, wie wir die Krisen von heute lösen. Fortschritt beginnt für mich mit Menschlichkeit. Mein Maßstab lautet: Kinder sollen genug zu essen haben, Menschen in Frieden leben und die Artenvielfalt soll erhalten bleiben. Wenn dann noch Geld übrig ist, kann Elon Musk von mir aus zum Mars fliegen. Denn eine gute Zukunft beginnt nicht übermorgen, sondern genau jetzt.

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SWR2 Wort zum Tag

27MAI2023
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„Was ist Wahrheit?“ Eine große Frage. Immer wieder zerbreche ich mir den Kopf darüber, was Wahrheit überhaupt ist.

Die meisten Religionen würden sagen: Es gibt eine Wahrheit und diese Wahrheit heißt Gott. Wer Gott erkennt, weiß, worum es wirklich geht. Darum sollten sich alle Menschen bemühen, diese Wahrheit zu verstehen und danach zu leben.

Doch stimmt das auch? Heute heißt der große Gegenentwurf: Konstruktivismus. Der Konstruktivismus sagt ganz klar: Nichts ist wahr. Es gibt nur verschiedene Menschen, die sich ihre Wirklichkeit zusammenbasteln. Der eine will möglichst gesund leben und liest gern Horoskope. Die andere studiert und vertraut auf die Naturwissenschaften. Jeder baut sich seine Welt zusammen, wie es ihr oder ihm gefällt. Darum gibt es nur subjektive Eindrücke, mehr nicht.

Heinz von Förster war ein österreichischer Physiker und ein Wegbereiter des Konstruktivismus. Er hat gesagt: Die Wahrheit ist die Erfindung eines Lügners. Wir sollten aufhören, irgendwelchen Wahrheiten zu vertrauen. Jede Person hat ihre eigene Perspektive auf die Welt: Je nach Erfahrung, Bildung und Stimmungslage. Da können wir viel diskutieren, aber jede Wahrheit hat nur irgendein schlauer Lügner erfunden. Alles bleibt vorläufig: Woran ich heute glaube, lehne ich morgen vielleicht schon ab.

Was Heinz von Förster vorträgt, klingt für mich nachvollziehbar. Und doch ist es im Alltag anstrengend: Mit meiner großen Tochter streite ich oft darüber, was gut und richtig ist. Wie sollen Männer und Frauen in Zukunft zusammenleben? Wie viele Geschlechter gibt es überhaupt? Dinge, die mir früher selbstverständlich erschienen sind, schüttelt das ordentlich durcheinander. Ich muss dabei lernen, nicht immer zu fragen, wer von uns beiden Recht hat. Es geht darum auszuhandeln, wie ein gutes Leben für alle aussehen kann.

Ich frage mich auch, wie ich als Christ mit dem Konstruktivismus umgehen soll.  Ich hoffe, dass Gott die Wahrheit ist, die alles übersteigt. Aber ich muss niemanden auf Teufel komm raus überzeugen, dass es nur diese eine Wahrheit gibt. Vielmehr gehe ich auf andere zu und will wissen: Was heißt für Dich Wahrheit?

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SWR2 Wort zum Tag

26MAI2023
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Gern würde ich das größte Rätsel lösen, auf das ich je gestoßen bin: mich selbst. Lange Zeit dachte ich, ich würde mich selbst gut kennen. Immerhin bin ich ja ich und erlebe mich selbst jeden Tag. Doch wie gut kenne ich mich tatsächlich? Warum verhalte ich mich eigentlich so und nicht anders?

Drei Spuren verfolge ich, um mich selbst zu entschlüsseln:

Erstens: Der eigene Körper prägt die Persönlichkeit. Das Fach Biologie habe ich schon in der Schule geliebt: Die eigenen Gene kann ich zwar nicht entschlüsseln, doch sie prägen mich. Wie ich mich ernähre, wie viel ich schlafe oder Sport treibe – das beeinflusst, wie ich denke und fühle.

Dann sind da die Jahre als Kind, die mich bis heute prägen. Meine Eltern, meine Geschwister und Freunde. Da stelle ich immer wieder erstaunt fest, wie wichtig diese Jahre heute noch sind. Treffe ich alte Freunde, fällt mir manchmal auf, wie ähnlich wir sprechen und über welche Witze wir heute noch lachen.

Der dritte Schlüssel um mich besser zu verstehen sind die Gesellschaft und meine Mitmenschen. Würde ich in Peru leben, hätte ich wahrscheinlich andere Hobbies und Dinge, über die ich mich freue oder aufrege. Dort gibt es andere Steuergesetze und kein 49-Euro- Ticket. Ich lebe ja nicht allein auf der Welt, sondern wohne im Stadtteil Lehen in Freiburg.

Ich finde es richtig spannend, mir so selbst auf die Spur zu kommen. Ob ich mich je ganz enträtseln werde, glaube ich aber nicht.

In der Bibel steht, dass es jemanden gibt, der dieses Rätsel gelöst hat. Da heißt es über Gott: „Herr, du hast mich erforscht und du kennst mich. Ob ich sitze oder stehe, du weißt von mir. Von fern kennst du meine Gedanken.“

Ein Gott, der Gedanken lesen kann und alles über mich weiß. Klingt unheimlich. Ein Gott, der mich besser kennt, als ich mich selbst. Vielleicht kann mir dieser Gott ja eines Tages erklären, wer ich wirklich bin. Vielleicht kommt noch der Moment, wo ich sage: Nun weiß ich, wer ich bin – mit all meinen Ecken und Kanten, Widersprüchen und Stärken.

Doch so weit ist es noch nicht. Zum Glück! Denn ich und jeder andere Mensch hat so unterschiedliche Seiten, niemanden kann ich ausrechnen und ganz verstehen. Für mich heißt das: Ich darf staunen und kann mich von jedem Menschen immer wieder überraschen lassen. Auch von mir selbst.

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SWR2 Wort zum Tag

25MAI2023
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Der junge Gilgamesch ist König von Uruk. Als Halbgott fühlt er sich stark und unbesiegbar. Das ganze Volk muss schuften, um seine neuen Ideen in die Tat umzusetzen. Ständig plant er neue Bauprojekte. König Gilgamesch muss ein echter Kotzbrocken gewesen sein.

Die Geschichte über Gilgamesch ist in alter Keilschrift verfasst und mindestens 4000 Jahre alt. Eine der ältesten Geschichten der Menschheit. Ich meine, dieser Gilgamesch hat uns heute noch einiges zu sagen.

Und so geht die Geschichte weiter: Die Göttin Aruru hat eine Idee, wie sie Gilgamesch eine Lektion erteilen kann. Sie erschafft für Gilgamesch einen Freund: Enkidu. Zusammen erleben sie eine Menge Abenteuer und verspotten jeden, der sich ihnen in den Weg stellt.

Doch dann geschieht das Undenkbare: Enkidu stirbt. Gilgamesch muss einsehen: Auch ich bin sterblich, auch meine Lebenszeit geht irgendwann vorbei. Damit will er sich aber nicht abfinden. Er hat nur noch ein Ziel: Er will unsterblich werden.

Gilgamesch führt mir vor Augen, wie das Leben vieler Menschen abläuft. Als Jugendlicher scheint das Leben keine Grenzen zu kennen, gefühlt steht einem die ganze Welt offen. Eine Jugend voller großer Träume. Doch es kommt der Punkt, da geht es so nicht weiter. Auch Gilgemesch ist jetzt an diesem Punkt, aber er will das zuerst nicht einsehen. Er will es erzwingen, immer jung und immer stark zu bleiben. Er reist ans Ende der Welt, um die „Pflanze der ewigen Jugend“ zu finden. Vergeblich.

Gilgamesch steht mit leeren Händen da. Bisher ist sein Leben immer nur um ihn selbst gekreist. Und jetzt kommt die große Erkenntnis: Endlich akzeptiert er es, sterblich zu sein. Als König regiert er von da an anders: Er sorgt sich um das Wohl der Menschen, wird ein guter König.

Gerade weil ihm das gelingt, wird er doch noch unsterblich, aber in einem anderen Sinne: er wird zu einem unsterblichen Vorbild. Und das ist die Botschaft der Geschichte auch nach 4000 Jahren: Lebe eine wilde Jugend, probier Dich aus und mache Fehler. Doch verpass nicht den Moment, wo Du erkennst: Du bleibst ein Mensch und lebst nicht für Dich allein. Du kannst Dich für andere einsetzen, anderen Gutes tun. Wer so über sich hinauswächst, kann auch heute ein kleiner Gilgamesch werden.

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SWR2 Wort zum Tag

24MAI2023
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Für Papst Franziskus ist klar: „Diese Wirtschaft tötet“. Auf der einen Seite schwelgen wenige Reiche im Luxus, auf der anderen Seite leidet die Umwelt und Millionen schuften als billige Arbeitskräfte. Ein Skandal! Können wir diese Wirtschaft und den ganzen Kapitalismus da nicht einfach abschaffen?

Mich interessiert: Was hat es mit diesem „bösen“ Wort eigentlich auf sich. Vereinfacht gesagt: Kapitalismus kann es nur dort geben, wo Menschen etwas sparen können. Wenn ein Staat den Menschen alles willkürlich wegnehmen kann, gibt es auch kein Kapital. Verglichen mit früheren Wirtschaftsformen ist das zunächst ein großer Fortschritt: Menschen können sich sicher sein, dass sie behalten dürfen, was sie sich erarbeitet haben.  

Wer Geld gespart hat, kann es ausgeben, verschenken oder unter der Matratze verstecken. Kapitalisten suchen stattdessen nach einer Idee, wie sie das Geld anlegen und vermehren können.

Im Kapitalismus haben die Menschen die Freiheit, selbst zu entscheiden, welchem Unternehmen oder Start-Up sie ihr Geld anvertrauen. Egal, ob es dabei um neue Impfstoffe, schnellere Computerchips oder bessere Windräder geht. Dabei können sie gewinnen oder viel verlieren.

Um es kurz zu machen: Ich sehe beim Kapitalismus auch Vorteile. Warum sollen Menschen nicht selbst entscheiden, was sie mit ihrem Geld machen?

Mit Papst Franziskus würde ich gern mal über die Wirtschaft diskutieren. Er stammt aus Argentinien und könnte erzählen, wie die Menschen dort leben und arbeiten. Ich würde mit ihm darüber sprechen wollen, welche Ideen er für eine Wirtschaft hat, die gerecht und nachhaltig ist. Worauf wir uns beide sicher schnell einigen können: Die Wirtschaft soll nicht einzelne immer reicher machen, sondern dem Gemeinwohl dienen.

Für mich ist es an der Zeit, mehr über Wirtschaft zu lernen und zu überlegen, was es da in Zukunft braucht. Wenn Firmen immer mächtiger werden und die Natur zerstören, tötet diese Wirtschaft. Doch es geht auch anders: Ich habe nichts dagegen, wenn Menschen frei entscheiden können, was sie mit ihrem Geld machen. Solange wir dabei diejenigen schützen, die im Kapitalismus leicht unter die Räder kommen. Ich bin mir sicher: Es ist möglich, gerecht zu wirtschaften, so dass alle gut leben und arbeiten können.

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SWR2 Wort zum Tag

04MRZ2023
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Es ist die größte Versammlung, die die Erde je gesehen hat. Alle Menschen, die jemals gelebt haben, kommen zusammen. Selbst die Toten erwachen und steigen aus ihren Gräbern. Denn vier Engel blasen laut in ihre Posaunen und wecken damit die Toten auf. Das Ende der Welt ist gekommen. Das jüngste Gericht beginnt.

Diese Bilder sehe ich, wenn ich vor dem Portal des Freiburger Münsters stehe. Eine gewaltige Szene: Links schaue ich auf die guten Menschen, die sich gegenseitig dabei helfen, aus den Gräbern zu steigern. Rechts quälen sich die bösen Menschen damit ab, die Deckel von ihren Särgen auf zu stemmen. Engel geben Acht und beschützen die Guten. Ein Teufelchen ist richtig enttäuscht, weil so viele gerettet werden. Doch hinter ihm ziehen andere Teufel die bösen Menschen an Ketten in die Hölle.

Wenn ich das alles so sehe, möchte ich fast lächeln. Die Fantasie der Menschen im Mittelalter scheint groß gewesen zu sein. Aber: Was wäre, wenn ich das jüngste Gericht ernst  nähme? Was steckt noch dahinter?

Heute glauben viele: Nach dem Tod kommt nichts mehr. Egal wie ich gelebt habe. Vorbei ist vorbei. Das bedeutet dann aber auch, dass viele Täter niemals belangt werden. Da stirbt zum Beispiel der Kriegsverbrecher auf einem weichen Kissen, gegen den nie Anklage erhoben wurde. Oder die Betrügerin scheidet in großem Reichtum aus dem Leben. Denn sind wir mal ehrlich: Im richtigen Leben kommen viele mit ihren Verbrechen durch. Das Leben ist keine Krimiserie, in der die Polizei jeden Bösewicht schnappt. Vergewaltigung, Mord und Betrug kommen oft nie vor Gericht. Zurück bleiben die Opfer, an die niemand mehr denkt.

Das wollten die Menschen früher nicht akzeptieren: Nein, so darf die Geschichte nicht enden. Nein, das wird Gott nicht zulassen. Für sie war klar, wir brauchen ein Gericht am Ende der Zeit. Das ist uns wichtig. Das sollen alle sehen, die in Freiburg am Münster vorbeilaufen

Und sie sollen auch sehen: Beim jüngsten Gericht zählt es nichts mehr, ob sie in ihrem Leben König, Staatsanwältin oder Bischof gewesen sind.  Am Ende siegt die Gerechtigkeit: Jesus selbst ist der Richter, alle bekommen einen fairen Prozess.

Bei den finsteren Bildern mit Teufeln und Höllenfeuer kommen mir so meine Zweifel. So stelle ich mir das Ende der Zeit nicht vor. Wahrscheinlich ist es auch nicht möglich, sich ein Bild davon zu machen, wie Gottes Pläne aussehen. Aber der Gedanke, dass ich im Leben nicht einfach machen kann, was ich will, den finde ich wichtig. Deshalb hoffe ich auf einen Gott, der auf der Seite der Opfer steht und ihnen ihr Recht verschafft.

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SWR2 Wort zum Tag

03MRZ2023
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Meine Mutter hat mir das Tagebuch meines Onkels gegeben. Es endet dramatisch: mitten im Satz hört es auf. Mein Onkel Hans war gerade dabei aufzuschreiben, wie er die Ostertage verbracht hat. Da nähern sich die Soldaten der Alliierten. Wahrscheinlich geht dann alles sehr schnell. Eine Kugel trifft Hans in den Rücken. Im April 1945, wenige Monate vor dem Ende des 2. Weltkriegs. Er ist nur 17 Jahre alt geworden. Seine Mutter hat erst nach 5 Jahren erfahren, dass ihr Sohn tot ist.

Nach allem was ich weiß, konnte Hans mit dem Nationalsozialismus nichts anfangen. In seinem Tagebuch geht es nicht um Parolen und Politik. Ihn haben andere Dinge beschäftigt: Hans hat gerade noch das Notabitur in Schlesien abschließen können, hat in seiner Freizeit Orgel gespielt und war Ministrant. Weil er gern und viel gelesen hat, hätte er gern Literaturwissenschaften studiert. Stattdessen wurde er zum Kriegsdienst einberufen. Das heißt: Runter von der Schulbank und rein in die Kaserne. Da hatten er und seine Kameraden keine Wahl. In seinem Tagebuch schreibt er von schönen Tagen, wenn es genug zu Essen gab. Doch es gab auch Zeiten, da ging niemand satt ins Bett. Umso mehr haben alle geraucht, um den Hunger zu überdecken.

Ich hätte Hans sehr gern kennen gelernt. Hans stelle ich mir als ernsthaften Jugendlichen vor, der versucht, seinen Weg ins Leben zu finden. Andere schwärmten von ihren Freundinnen, die sie so gern besucht hätten. Hans freut sich darauf, in der kleinen Dorfkirche mal wieder Orgel spielen zu können. Er schreibt regelmäßig Briefe an seine Mutter und spricht ihr Mut zu.

Wenn ich Hans eine Botschaft schicken könnte, würde darinstehen: „Ich habe Dich nicht vergessen. Nach 78 Jahren gibt es in Freiburg jemanden, der manchmal an Dich denkt.“ Das Tagebuch von Onkel Hans kann ich nicht oft lesen. Nach einer Seite muss ich es oft schon weglegen. Weil es mich jedes Mal so traurig und wütend macht. Wie falsch und sinnlos dieser Krieg war! Millionen Opfer, halb Europa zerstört. Und jetzt greift Russland die Ukraine an: wieder fahren Panzer und fallen Bomben, wieder sterben unzählige Menschen. Mit Worten kann ich nicht beschreiben, was ich da fühle.

Das Tagebuch ist für mich ein kleines Stück Familiengeschichte. Und es zeigt mir, wie viel Glück ich gehabt habe, in Friedenszeiten aufzuwachsen. Möge wieder Frieden einkehren in ganz Europa und überall in der Welt. 

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SWR2 Wort zum Tag

02MRZ2023
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Große Katastrophe: Ich habe meinen Ehering verloren! Habe ich den Ring bei der Gartenarbeit abgestreift? Liegt er zwischen den Sofakissen? Stunde um Stunde habe ich ihn gesucht. Erst nach drei Monaten habe ich den Ehering dann zwischen T-Shirts im Schrank entdeckt. Irgendwie muss er mir vom Finger geglitten sein, als ich die Wäsche weggeräumt habe.

Eine Sache lerne ich daraus: Ich weiß etwas erst dann richtig zu schätzen, wenn ich es verloren habe. Im Alltag scheint so vieles selbstverständlich. Erst in dem Moment, wo etwas fehlt, ändert sich mein Blick.

In der Bibel gibt es viele Geschichten, wo Menschen verzweifelt etwas suchen. Mal eine Münze, dann ein Schaf oder einen Menschen, den sie lieben. Besonders aber gefallen mir die Bibelstellen, in denen Menschen nach Gott suchen. In Psalm 63 im Alten Testament heißt es zum Beispiel:

„Gott, du mein Gott, dich suche ich, meine Seele dürstet nach dir. Nach dir schmachtet mein Leib wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser.“

Weiter heißt es: „Ich denke nachts im Bett an dich und sinne über dich nach, wenn ich wach bin.“

Vor Jahrtausenden ist da ein Mensch, der sich rund um die Uhr nach diesem Gott sehnt. Wie es scheint, hat sie oder er Gott dann auch gefunden. Denn im Psalm heißt es: „Ja, du wurdest meine Hilfe; jubeln kann ich im Schatten deiner Flügel.“

Und wie geht es mir, wenn ich an Gott denke? Manchmal habe ich den Eindruck, mein Glaube schleicht sich unmerklich davon.  So wie die Jugendzeit allmählich vorbeigeht oder Dinge mir entfallen, die ich mal in der Schule gelernt habe: Wie berechne ich das Volumen eines Quaders oder wie hieß noch mal meine Deutschlehrerin? Langsam, still und leise verblasst so manches im Leben.

Erst wenn ich etwas verloren habe, weiß ich es so richtig zu schätzen. Darum Hand aufs Herz: Glaube ich noch an Gott oder ist diese Hoffnung verschüttet? Suche ich noch nach Gott oder geht’s auch ohne? Diese Fragen treiben mich in dieser Fastenzeit um. Mein Ziel: Bis Ostern gehe ich ganz bewusst auf Spurensuche. Ich hoffe Gott zu finden – oder er findet mich.

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SWR2 Wort zum Tag

20DEZ2022
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Das Wort des Jahres 2022 steht fest. Es heißt „Zeitenwende“. Olaf Scholz hat von einer Zeitenwende gesprochen, als Russland den Krieg gegen die Ukraine begonnen hat. Zeitenwende bedeutet in diesem Zusammenhang: Deutschland rüstet militärisch auf, Gas wird zum Luxus, es kommt eine schwierige Zeit. Es ist leider keine Wende zum Guten, sondern eine vom Frieden zum Krieg. Die Sanktionen schränken den Handel ein, viele Menschen werden ärmer und der Hunger nimmt weltweit zu. 

Als Christ denke ich in diesen Tagen noch an eine ganz andere Zeitenwende: Bald feiern wir Weihnachten. Jesus wird in einer Krippe geboren. Dieser Moment war so wichtig, dass wir sogar unsere Zeit danach berechnen. Damit hat etwas Neues begonnen. Die größte Zeitenwende, die es je gab.

Jesus kommt in die Welt, und Christinnen und Christen glauben: Das ist der Wendepunkt. Von der Dunkelheit zum Licht, von der Angst zur Hoffnung. Bis dahin haben böse Kräfte die Welt regiert, nun siegt das Gute.

Wie schön wäre es, wenn wir das heute auch glauben könnten. Spreche ich mit Freunden oder Nachbarn, höre ich andere Stimmen. Da heißt es: „Es kommen schwere Zeiten auf uns zu. Besser wird es nicht.“ Oder: „Unsere Kinder werden es mal ausbaden müssen.“ Das zieht mich oft ziemlich runter.

Ich weiß nicht, was die Zukunft bringt. Ich bin lange nicht mehr so optimistisch wie früher. Doch ich merke auch, wie es mich belastet, wenn ich davon ausgehe, dass die Probleme immer weiterwachsen. Da habe ich morgens kaum noch Lust aufzustehen.

Darum will ich dieses Jahr so richtig Weihnachten feiern. Es beginnt etwas richtig Gutes. Gott selbst wendet das Schicksal. Neues Leben wird geboren. Wenn ich daran glaube, setzt das bei mir Energie frei: Frieden ist möglich. Vielleicht entdecken wir neue Mittel gegen Krebs, vielleicht werden Diktatoren gestürzt. Denn es tut sich was: Die Kinderarbeit geht weltweit zurück. Nie zuvor konnten so viele Menschen lesen und schreiben. Die Zahl der Naturschutzgebiete wächst.

Unabhängig davon, was auf der Weltbühne geschieht: Wie wäre es, wenn ich meinen Bruder öfter besuche? Wenn ich in meinem Sportverein neue Aufgaben übernehme oder andere mit meiner Lebensfreude anstecke? Weil ich weiß, dass die Geschichte gut ausgeht. Weil ich glaube, dass noch immer gilt: Weihnachten ist die Zeitenwende. Wir gehen in eine gute Zukunft. 

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