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SWR4 Abendgedanken RP

Ich erinnere mich gerne an Jesus, der die Menschen heilte. Der den Tauben das Gehör, den Stummen die Stimme, den Blinden das Augenlicht und den Gelähmten die Bewegung zurück schenkte. Das eigentliche Wunder für mich: Jesus begegnet diesen Menschen auf Augenhöhe. Nicht von oben herab. Er ging zu ihnen in ihre Einsamkeit, er löste die Barrieren auf, und schenkte Begegnung und Gemeinschaft. Heilung geschieht für mich dann, wenn wir aufeinander achten. Wenn wir im Sinne Jesu behinderte Menschen in die Mitte holen. Er sagte zu dem Mann mit der verdorrten Hand: Steh auf und stell dich in die Mitte. Heute ist der Welttag der Gehörlosen. Annähernd 250 Millionen Mitmenschen sind es weltweit. Ich kann mir das nicht vorstellen, wie es ist, schlecht oder gar nicht zu hören. Ein gehörloser Mensch kann die Lautsprache nicht über das Hören erlernen. Der Zugang zur Schriftsprache ist viel schwerer. Die Gebärdensprache hilft ihnen dabei zu kommunizieren. Viele haben gelernt, das Gesprochene vom Mund des anderen Menschen abzulesen. Sicher: Es gibt heute hochsensible Hörgeräte, die auf jede Situation eingestellt werden können. Doch ich kenne viele Menschen, besonders ältere, die sich nicht so leicht damit tun. Die eher auf dieses Hilfsmittel verzichten. Dann ist es umso wichtiger, dass die gut Hörenden darauf Rücksicht nehmen. Blickkontakt und deutliches Sprechen, ohne Kaugummi im Mund oder einer Hand davor, sind für das Miteinander wichtig. Ein Gehörlosenseelsorger erzählte mir, dass die Situation der Gehörlosen besonders schwer sei, weil sie von der üblichen Kommunikation ausgeschlossen seien. Sie sind in dem Sinne nicht behindert, sondern werden behindert: sie können kein Radio hören, oft genug gibt es keine Untertitel im Fernsehen. Auch im normalen Gemeindegottesdienst verstehen sie vieles nicht. Ich wünsche mir, dass wir aufeinander achten, hörende und gehörlose, dass wir einander wahrnehmen, dass wir voneinander lernen.

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SWR4 Abendgedanken RP

Er wurde von vielen Menschen mit Spannung und Freude erwartet: der Papst in Deutschland. Gestern Abend ist er wieder nach Rom zurückgekehrt. Ich gehöre nicht zur römisch-katholischen Schwesterkirche, ich brauche das Papstamt für meinen Glauben nicht. Ich kann auch ohne Rom gut katholisch sein. Doch die Botschaft der Reise, das Leitwort, spricht mich an: Wo Gott ist, da ist Zukunft. Ein Wort, das verbindet. Christinnen und Christen aller Konfessionen können sich in diesem Wort wieder finden. Wo Gott ist, da ist Zukunft. Ich vertraue darauf, dass Gott in mir und allen Menschen guten Willens wirkt. Dass er uns allen hilft, die Zukunft zu gestalten. Innerkirchlich gibt es da ganz unterschiedliche Ansätze und Vorgaben. Manche davon führen uns näher zueinander, andere manchmal auseinander. Es geht darum, dass wir die Zukunft gemeinsam gestalten, weil wir daran glauben, dass Gott sie uns geschenkt hat. Gestern haben wir in unseren Gemeinden den Diakonie - oder Caritassonntag begangen und damit einen Blick gerichtet auf die Menschen am Rande unserer Gesellschaft. Diese Menschen stehen oft leider auch am Rande unserer Kirchen, Gemeinden und Gemeinschaften. Sie sehen oft keinen Sinn mehr in ihrem Leben und erkennen für sich keine Zukunft. Konkret sind in unserem Land rund 15 % der Menschen, also etwa 12 Millionen, bedürftig oder von Armut bedroht und leben am Rande des Existenzminimums. Ich glaube, dass ist das, worauf die Menschen in unserem Land hoffen. Dass die Kirchen hier ihren Auftrag stärker wahrnehmen. Wo Gott ist, da ist Zukunft. Dieses Wort bleibt hohl und leer, wenn wir es nicht spürbar mit Leben füllen. Der Papstbesuch in Deutschland hat viel Geld gekostet. Das verstehen viele Menschen nicht. Die Investition hat sich gelohnt, wenn die Botschaft angekommen ist. Wenn das ökumenische Miteinander aller Kirchen einen neuen Schwung erfahren hat. Wenn der Blick neu geschärft wurde für die Menschen, die am Rande ste

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SWR4 Abendgedanken RP

Es gibt viele Spiele, die unseren Tastsinn ansprechen. Schon für die Babys ist es wichtig, Gegenstände zu ertasten und auf diese Weise kennenzulernen. Babys sind besonders sinnliche Wesen. Für sie ist es wichtig, viele Sinneseindrücke von ihrer Umwelt zu bekommen. Alles, was sich mit den Händen formen und verändern lässt, regt den Tastsinn an wie kein anderes Spielzeug: Knete, Watte, Schaumstoff. Ich erinnere gut: In den Ferienfreizeiten war es üblich mit verbundenen Augen Gegenstände zu ertasten und zu erraten. Dass da manchmal etwas eklige Sachen bei waren versteht sich von selbst, es sollte ja auch der Belustigung dienen. Bei uns in der Stadt gibt es seit einiger Zeit ein Restaurant, in dem alles verdunkelt ist. Nur durch Ertasten finde ich meinen Platz und lande nicht auf dem Boden oder dem Schoß des Nachbarn.  Auch das Besteck und letztlich das Essen muss ich mir ertasten. Der sogenannte Tastsinn ist ein mechanischer Sinn und wird durch die Haut weitergeleitet. Beim Menschen geschieht das insbesondere über die Hände und die Fingerspitzen. Von Menschen, die in heilenden oder pädagogischen Berufen tätig sind, erwarten wir zu Recht eine „gute Hand" und mehr noch „Fingerspitzengefühl". Wenn ich mir für diese Fastenzeit vorgenommen habe, mehr als sonst mit allen Sinnen zu leben, dann gehört auch das dazu: Darauf zu achten, dass ich mit meinen Mitmenschen gut umgehe, dass ich sensibel bin und Fingerspitzengefühl habe. Elefanten im Porzellanladen sind dickhäutig und stoßen vieles um. Ich möchte kein dickes Fell haben, sondern eine sensible Haut. Ein Mensch, dem noch etwas unter die Haut gehen kann, ist feinfühlig genug, die Sorgen und Nöte der Mitmenschen zu sehen. Jesus war ein Mensch, der nicht nur Gottes Botschaft lehrte, sondern Gottes Nähe zu den Menschen lebte. Die Kinder berührte er und nahm sie auf seinen Arm, den Kranken legte er die Hände auf und heilte sie. Durch Jesus wurden die Menschen von Gott berührt. Es ist tröstlich, dass dieser Jesus auch aus der Haut fahren konnte, wenn er Ungerechtes erkannte. Ich wünsche mir das nötige Fingerspitzengefühl im Umgang mit meinen Mitmenschen, aber auch den Mut „aus der Haut zu fahren", wenn es nötig ist.

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SWR4 Abendgedanken RP

Unser kleiner Terrier Fips hält sich am liebsten in der Küche auf. Dort riecht es so gut. Wenn wir alle am Küchentisch sitzen oder gekocht wird, ist es besonders interessant. Er sucht jeden Krümel und hält seine Nase ständig richtig Herd. Die vielen verlockenden Gerüche machen ihn ganz nervös. Hunde können ja bekanntlich rund tausend Gerüche unterscheiden.  Der Geruchssinn gibt dem Hund jede gewünschte Information und ist vierzig bis hundertmal stärker als der des Menschen. Manchmal wünschte ich mir auch so ein Näschen. Nicht nur, um die leckeren Gerüche von Lebensmitteln aufzuspüren. Das wäre natürlich auch schön, aber würde mich wohl eher überfordern. Nein, ich würde auch gerne so ein Näschen haben, um zu riechen, was in der Luft liegt. Für diese Fastenzeit habe ich mir vorgenommen bewusster als sonst mit allen Sinnen, sinnvoll, zu leben. Die Nase ist ein wichtiges Sinnesorgan. Ich fühle mich in einem Raum angesprochen, wenn es gut riecht. Manche geben ihrer Wohnung gerne eine besondere Note durch Duftlampen oder Kerzen. In den katholischen Kirchen wird bei feierlichen Gottesdiensten Weihrauch benutzt. Für manche Nasen vielleicht eher eine Zumutung als eine Erinnerung an den Wohlgeruch Christi. Oft spiegelt die Nase etwas wider von der Beziehung der Menschen untereinander, wenn jemand sagt: Den kann ich nicht riechen. Manchen Mitmenschen wird unterstellt, dass sie ihre Nase ziemlich hoch halten. Ich wünsche mir eine sensible Nase, damit ich rieche, was in der Luft liegt. Damit ich spüre, wenn sich Menschen in meiner Nähe nicht riechen können und versuche, sie wieder miteinander ins Gespräch zu bringen. Dass ich auch wahrnehme, wenn ich selber jemanden nicht riechen kann und versuche neu auf diesen Menschen zuzugehen. Ich wünsche mir, dass ich auch dann, wenn etwas zum Himmel stinkt, mich nicht zurückziehe und die Nase rümpfe. Der Prophet Amos im Ersten Testament erhob immer wieder seine Stimme, wenn es zum Himmel stank: Ich hasse eure Feste, ich verabscheue sie und kann eure Feiern nicht riechen. Er konnte es nicht riechen, wenn Menschen sich gegen Gott und ihre Mitmenschen stellten und auf Kosten Anderer lebten. Eine solche feine Nase wünsche ich Ihnen und mir.

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SWR4 Abendgedanken RP

Ich gebe gerne zu: Ich bin kein großer Asket. Doch die Fastenzeit lädt mich auch dieses Jahr wieder ein, auf das ein oder andere zu verzichten. Mir fällt das schwer und dennoch versuche ich es, weil es Sinn macht. Danach geht es mir besser. Ich fühle mich richtig wohl. Wenn ich den Erfolg spüre, manchmal sogar auf der Waage und wenn ich auf einmal wieder besser genießen kann. Und darum geht es mir in dieser Fastenzeit. Ich möchte das Leben neu genießen. Es wahrnehmen mit allen Sinnen. Ich möchte das Leben schmecken, mir sozusagen auf der Zunge zergehen lassen. Wenn ich drei Wochen lang täglich nur genau abgewogenes rohes Gemüse, frisches Obst, etwas Knäckebrot oder Zwieback mit Joghurt, Mager-Joghurt versteht sich, zu mir genommen habe; wenn ich täglich mindestens zwei Liter Wasser getrunken habe; dann wächst die Sehnsucht nach einem guten Glas Wein, einem leckeren Schinkenbrot oder einer deftigen Kartoffelsuppe. Es macht Sinn, sich davon mal eine gewisse Zeit zu verabschieden, um anschließend wieder so richtig genießen zu können. Das schmeckt mir nicht, sage ich manchmal. Nicht immer meine ich dann das Essen. Denn eigentlich esse ich alles gerne, außer Spinat. Nein, es gibt Situationen, Erfahrungen, Erlebnisse, dann sage ich das. Das schmeckt mir nicht. Ich möchte in diesen Wochen vor Ostern neu lernen das Leben zu schmecken und es auch sagen zu können, wenn mir etwas nicht schmeckt. Nicht alles einfach herunter zu schlucken.  Die Lebensmittel, die mir geschenkt sind, und auch die Dinge oder auch Mitmenschen, die mir nicht schmecken, mir schmackhaft zu machen. Nicht immer ist alles und ist jede und jeder genießbar, oft genug bin ich es selber nicht. Wenn ich auf Jesus schaue, dann sehe ich einen Menschen, der das Leben genossen hat. Der gerne mit den Menschen Mahl gehalten hat. Der es nicht aushalten konnte, dass bei einer Hochzeit der Wein ausging. Wenn ich auf Jesus schaue, dann sehe ich einen Menschen, der Gottes unbedingte Liebe gelebt hat. Er nahmen jeden Menschen so an, wie er war. Ihm schmeckte es bei den Menschen zu sein, auch wenn ihm vielleicht nicht jeder schmeckte. Viele wurden durch seine Nähe, durch die Gespräche mit ihm, durch seine Botschaft anders. Sie konnten das Leben neu genießen. Also: Lassen Sie es sich schmecken!

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SWR4 Abendgedanken RP

Unser neuer kleiner Hund hält uns rund um die Uhr auf Trab. Seine Lieblingsbeschäftigung ist der Versuch Möbel anzuknabbern oder an den Gardinen zu ziehen. Fips, unser kleiner Terrier, hört längst nicht auf alles, was wir von ihm wollen. Er geht seine eigenen Wege. So sind wir immer hinter ihm her, damit er nichts zerstört oder gar sich selber verletzt. Denn in einen Stromkabel zu beißen ist nicht ganz so gut. Hunde haben ein viel feineres Gehör als wir Menschen. Ein Hund kann bedeutend höhere Frequenzen wahrnehmen und Geräuschquellen sogar dreidimensional orten. Er hört also sehr gut. Dann aber scheint er wieder schlecht oder gar nicht zu hören, wenn ich möchte, dass er zu mir kommt, sich aber schwanzwedelnd unter dem Sofa versteckt. Mit dem Hören ist das so eine Sache. Wir Menschen haben ein gutes Gehör. Sind die Ohren erkrankt oder im Alter geschwächt, spürt ein Mensch, wie wichtig es ist, hören zu können. Wenn ich morgens erwache, höre ich die Vögel singen und kann mich daran erfreuen. Und manchmal gelingt es mir, dass nicht als selbstverständlich hinzunehmen. Wie unser kleiner Hund ist mein Hören aber nicht immer sensibel genug. Ich höre zwar rein organisch, aber ich höre doch nicht. Diese Fastenzeit, die ich mit allen Sinnen erleben möchte, kann eine Hörzeit werden, wenn ich aufmerksam darauf achte zuzuhören. Tagtäglich begegnen mir so viele Menschen. Mit manchen von ihnen komme ich ins Gespräch. Für mich als Seelsorger hat das Gespräch eine besondere Bedeutung. Dann geht es mehr darum zu hören, zuzuhören, als selber zu reden. Dass ist eine Kunst, den anderen zu Wort kommen zu lassen, seine Worte zu hören, zwischen den Zeilen zu hören. Um unserem Terrier das Hören beizubringen ist es wichtig, ihn zu loben, wenn es gelingt. Strafe und Tadel erzeugt das Gegenteil. Vielleicht müssen wir Menschen, die wir heute eher auf einen Bildschirm eingestellt sind, wieder neu lernen aufeinander zu hören. Wenn ich hinhöre, dann spürt mein Mitmensch Interesse an seinem Leben. Das tut gut. Probieren Sie es doch einfach mal aus und hören sie bewusst einander zu. Vielleicht schon heute Abend, wenn Ihr Partner, Ihre Partnerin, Ihnen etwas erzählen möchte oder der Nachbar klingelt, weil ihm die Decke auf den Kopf fällt. Gelegenheiten zum Zuhören gibt es genug. Und wie sagt Jesus so treffend: Wer Ohren hat zum Hören der höre!

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SWR4 Abendgedanken RP

Ich möchte so richtig aus dem Leben, aus dem Vollen, schöpfen. Jetzt in dieser Fastenzeit, die ja gerade erst begonnen hat. Ich möchte die kommenden Wochen vor Ostern so richtig  genießen. Mit allen Sinnen. Denn die Fastenzeit ist für mich nicht in erster Linie eine Zeit der Entbehrung, des Verzichts, des Abnehmens, 40 Tage ohne. Ich möchte das Leben neu wahrnehmen. Ich möchte sinnvoll und ganz leben. Ich möchte meine Sinne pflegen. 40 Tage mit allen fünf Sinnen leben. Bewusster als sonst. Ein Buch hat mich dazu animiert: „Die Stadt der Blinden" des portugiesischen Schriftstellers Jose Saramago. Nach und nach erblinden immer mehr Menschen auf geheimnisvolle Weise. Eine Epidemie scheint ausgebrochen. Die Blinden werden eingesperrt. In der „Stadt der Blinden" lebt als einzige Sehende die Frau des Augenarztes. Sie wollte bei ihm sein und hat eine Erblindung vorgetäuscht. Am Ende vieler medizinischer Bemühungen können alle Blinden wieder sehen. Ein Happy End? Nicht ganz. Am Ende des Romans sagt der Augenarzt zu seiner Frau: „Warum sind wir erblindet, das weiß ich nicht ... soll ich dir sagen, was ich denke. Ja, ich glaube nicht, dass wir erblindet sind, ich glaube, wir sind blind. Blinde, die sehen ... Blinde, die sehend nicht sehen." Manchmal ist es ja wirklich so. Ich gehe durch die Straßen einer Stadt wie blind. Ich bin zu Hause, sehe fern, sehe, was in der Ferne los ist. Aber ich sehe nicht die erwartungsvollen Augen meiner Frau, die von den Erlebnissen an der Arbeit erzählen möchte. Oder die fröhlichen Augen der  Tochter, die von ihren Erfolgen im Studium berichten möchte. Ich sehe und sehe doch nicht. Sehend blind. In der Bibel gibt es viele wunderbare Geschichten, die davon erzählen, wie Jesus einen blinden Menschen heilt. Das wünschte ich mir auch manchmal. Dass da einer kommt und meine Augen neu einstellt. Mir die Augen neu öffnet für das Schöne in der Schöpfung, für das Schöne an meinen Mitmenschen. Da gibt es doch so viel zu sehen, wenn ich genau hinschaue. Dann sehe ich auf einmal mehr. Nicht nur das Äußere. Nicht nur den Schein. Dann sehe ich in die Tiefe. Ich bin wie geheilt. Und den Menschen, den ich so anschaue, wird das spüren: Der schaut nicht an mir vorbei, der schaut nicht nur auf das Äußere, der schaut mich an. Der meint mich. Diese Erfahrung wünsche ich Ihnen - wenn möglich schon heute Abend!

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SWR4 Abendgedanken RP

Sie haben Visionen und Träume. Sie sehen die Wirklichkeit ungeschönt. Sie haben sich auf einen Weg gemacht, um ihrer Kirche und den Menschen zu dienen. Sie wollen als Pfarrerinnen oder Pfarrer ihre Fähigkeiten in das Leben der Gemeinden einbringen. Von ihnen möchte ich heute Abend erzählen und spreche mit interessanten Menschen - in diesem Blickpunkt Kirche in SWR 4.

 Teil 1 

SWR 4 Blickpunkt Kirche. Sie kommen aus ganz Deutschland. Die Frauen und Männer, die sich auf den Pfarrdienst in unserer Kirche vorbereiten. Junge Menschen, die ganz unterschiedliche Fähigkeiten und Begabungen mitbringen. Sie leben zusammen im Bischöflichen Seminar in Bonn. Studierende anderer Fachrichtungen bereichern die Hausgemeinschaft. Die Johanneskapelle lädt ein zum Gebet und zum Gottesdienst. Professor Dr. Günter Eßer, Direktor des alt-katholischen Uni-Seminars, ist für die wissenschaftliche Ausbildung zuständig. Für ihn ist die Zusammenarbeit mit den anderen theologischen Fakultäten vor Ort unerlässlich: 

Wir haben hier am Seminar einen wissenschaftlichen Mitarbeiter und außerdem kooperieren wir sehr gut mit den beiden theologischen Fakultäten hier vor Ort: mit der katholisch-theologischen und der evangelisch-theologischen Fakultät.

 Drei Säulen sind für Professor Eßer in der Ausbildung der Frauen und Männer zum priesterlichen Dienst in seiner Kirche wichtig. Die erste Säule ist die spirituelle Bildung, das geistliche Leben. Die zweite Säule die Theologie und die dritte Säule die Umsetzung in die Praxis. Eßer sieht sich verantwortlich für die zweite Säule, die Theologie, als wichtige Voraussetzung für den pastoralen Dienst:

 Die Theologie als Voraussetzung für einen qualitativ hoch stehenden Dienst in unseren Gemeinden. Ich denke es reicht nicht mehr, heute zu sagen, ich bin zum geistlichen Dienst berufen, sondern die Situation von Kirche und Glauben ist so schwierig geworden; die Fragen, die die Menschen an uns stellen, sind so kompakt und komplex geworden, dass wir versuchen müssen, auf diese Fragen qualitativ gute Antworten zu finden. Deswegen ist eine gute, eine solide theologische Ausbildung unbedingt erforderlich.

 Die Vielfalt des Theologiestudiums scheint erschlagend. Doch für Professor Eßer ist diese Vielfalt nötig, um sich den Fragen der Menschen heute stellen zu können. Eßer:

 Diese Ausbildung der Theologie umfasst ja einen breiten Fächerkanon: beschäftigt sich mit der Heiligen Schrift, beschäftigt sich mit der Frage der Lehre, der Dogmatik, der Kirchengeschichte. Es werden ethische Fragen genannt. Es ist ein breites Spektrum, das unsere Studierenden mitbekommen müssen.

 Für die Verantwortlichen in der Ausbildung der zukünftigen Seelsorgerinnen und Seelsorger ist es wichtig, dass ihr Studium die Gemeindearbeit bereichert. Dass dabei auch Fragen offen bleiben, dass auch die Pfarrerinnen und Pfarrer mit ihren Gemeinden Suchende bleiben, versteht sich von selbst. Mehr dazu nach der Musik.

 Teil 2

SWR 4 Blickpunkt Kirche. Sie ist Vikarin in Frankfurt und steht dem dortigen Pfarrer zur Seite. Sie arbeitet hauptamtlich in der dortigen alt-katholischen Gemeinde und hat sich gut auf ihren priesterlichen Dienst vorbereitet. Anja Goller hat an manchen Fragen von jungen und alten Menschen in der Gemeinde gespürt, dass ihr Theologiestudium alles Andere als nur Theorie ist. Goller:

 Für mich ist heute besonders wichtig aus meiner Ausbildung, etwas, was mir damals fast unwichtig vorkam, nämlich die ganz klassische Theologie; also theologische Grundprobleme zu durchdenken und durchdacht zu haben, weil das sind Fragen mit denen ich gerade in der Jugendarbeit immer wieder konfrontiert werde. Also die Frage nach Gott an sich, die Frage nach dem Bösen, die Frage nach: Wer ist genau Jesus, wer ist Heiliger Geist, was ist Heiliger Geist - so Grundfragen. Da merke ich, das habe ich falsch eingeschätzt im Studium, dass das jetzt auch durchaus wichtig ist.

 Die junge Vikarin, Mutter eines zweijährigen Sohnes, hat sich bereits vor Jahren auf den Weg gemacht, um sich auf diesen geistlichen Dienst als Seelsorgerin vorzubereiten. Im Rückblick auf ihre Ausbildung und vor dem Hintergrund ihrer pastoralen Arbeit betont sie, wie wichtig auch das geistliche Miteinander im Bischöflichen Seminar. Das ist kein Gegensatz zur wissenschaftlichen Theologie. Goller:

 Das Zweite, was ich mitgenommen habe, ist alles, was jetzt nicht klassische Theologie ist, die geistliche Entwicklung auch: Gespräche mit dem Spiritual, mit den Kommilitoninnen und Kommilitonen, Exerzitien, Auseinandersetzung mit meinem Glauben: Wo stehe ich? Wo bin ich? Ist das mein Weg? Kann das mein Weg sein?

 Anja Goller stellt sich diesen persönlichen Fragen. Die Auseinandersetzung mit diesen Fragen, die Suche nach Antworten, hält sie offen für die Fragen der Menschen in ihrer Gemeinde. Die Frankfurter Vikarin ist keine Einzelkämpferin. Sie arbeitet vor Ort in einem Team, dass sich gemeinsam den Aufgaben in der Gemeinde und den Fragen der Menschen stellt. Schon während ihrer Ausbildungszeit im Bonner Seminar war ihr die Gemeinschaft wichtig. Noch heute verbindet sie viel mit den Menschen, die sich damals, wie sie, für den gleichen Weg entschieden haben. Goller:

 Wir haben im Studentenseminar zusammengewohnt. Da sind tiefe Freundschaften entstanden, durch dieses Zusammenwohnen. Das sind heute meine Kolleginnen und Kollegen. Und diese Beziehung, die damals in den Jahren des Studiums aufgebaut wurde, die trägt bis heute. Und das tut gut, eine tiefe Verbindung zu wissen und Menschen zu haben, die auf demselben Weg sind.

 Es ist ein spannender Weg auf dem sich Menschen begeben, die heute in dieser Zeit Pfarrerin und Pfarrer einer christlichen Gemeinde werden wollen. Es geht um Berufsfindung, aber auch um die Entdeckung und Entfaltung einer Berufung. Mehr dazu nach der Musik.

  Teil 3

 SWR 4 Blickpunkt Kirche. Achim Jegensdorf studiert alt-katholische Theologie und möchte Pfarrer werden. Er hat sich intensiv damit auseinandergesetzt, was für ihn „Berufung" bedeutet. Für den zukünftigen Priester eine wichtige persönliche Frage. Jegensdorf:

 Das Wort Berufung ist sicherlich ein sehr vielschichtiges und auch nicht eben unkompliziertes. Es wird nur jeder Mensch selbst sagen können, in sehr individueller Weise, welchen Weg seine eigene Entwicklung genommen hat.

 Im Bischöflichen Seminar in Bonn leben Frauen und Männer zusammen, die sich als Seelsorgerinnen und Seelsorger auf ihren Dienst vorbereiten. Auch Studierende anderer Fachrichtungen bereichern die Hausgemeinschaft und die Gespräche zum Beispiel beim gemeinsamen Abendessen. Für diejenigen, die später Pfarrerin/Pfarrer werden möchten, eine wichtige Erfahrung. Sie leben nicht abgeschottet von der Welt, sondern mitten drin. Sie hören von anderen Berufszielen, sie hören von anderen Berufungen. Achim Jegensdorf erinnert sich an seine innere Zerrissenheit, die er in seinem früheren Beruf, gespürt hat. Jegensdorf:

 Die Frage, wie das denn wohl ist mit dieser Sache zwischen Gott und Mensch, diese Frage hat in den letzten gut fünf Jahren kontinuierlich immer mehr Raum eingenommen. Und mich jetzt in dieser Weise auf den Weg zu machen, bedeutet für mich zunächst einmal nichts weiter, als die notwendige Konsequenz zu ziehen und dasjenige, was ich als das innere Hauptanliegen in meinem Leben empfinde, auch äußerlich zur Hauptsache zu machen. Ich musste einen Weg finden, diesen anstrengenden Spagat zwischen Innen und Außen zu beenden - diesen Spagat, den es bedeutet, in meinem Beruf als Kaufmann den Tag mit Dingen und Tätigkeiten zu verbringen, die mit dem, was mich eigentlich beschäftigt, nur sehr wenig oder sogar nichts zu tun haben.

 Eine jüdische Erzählung aus der Sammlung Martin Bubers endet mit einer Frage, die auch heute Menschen berührt. Menschen fragen auch heute nach ihrer Berufung und ringen um die richtige Antwort. Die Erzählung handelt vonRabbi Naftali, der spät abends in einer abgelegenen Gegend auf einen Nachtwächter stößt. „Für wen gehst du?", fragt er ihn. Der Mann gibt an, in wessen Auftrag er arbeitet, und stellt die Gegenfrage: „Und für wen geht Ihr, Rabbi?" Das Wort trifft den frommen Mann wie ein Pfeil. „Noch gehe ich für niemand" bringt er mühsam hervor, dann schreitet er lange schweigend neben dem Mann auf und nieder.„Willst du nicht mein Diener werden?", fragt er endlich. „Das will ich gern", antwortet jener, „aber was habe ich zu tun?" - „Mich zu erinnern", sagt Rabbi Naftali.

Für wen gehe ich - diese Frage bewegt auch Achim Jegensdorf. Für wen gehe ich mit meinem Leben, in welche Richtung geht mein Leben. Jegensdorf:

 Die Veränderung war gewissermaßen Notwendigkeit, wollte ich vermeiden, weiterhin mit dem Gefühl leben zu müssen, in eine Richtung zu laufen, die mich nicht mehr glücklich machen konnte und in einer Weise zu leben, in der ich länger nicht mehr atmen kann.

 Die jungen Frauen und Männer, die sich in unserer Kirche auf den pastoralen Dienst in der Seelsorge vorbereiten, spüren in ihrer facettenreichen Ausbildung ihrer Berufung nach. Sie versuchen für sich und gemeinsam eine Antwort zu finden auf die Frage: Für wen gehst du? Für wen gehe ich mit meinem Leben?

Das war Blickpunkt Kirche. Ich bin Pfarrer Ralf Staymann von der alt-katholischen Kirche und wünsche Ihnen mit diesen Einblicken weiterhin eine gute Sommerzeit.

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SWR4 Abendgedanken RP

Teil 1

In vielen Kirchen feiern heute Christinnen und Christen unterschiedlicher Konfessionen noch einmal Weihnachten. Heute am Fest der Erscheinung des Herrn, am Dreikönigstag. Unsere orthodoxen Mitchristen feiern sogar erst heute ihr Weihnachtsfest. Die Koblenzer Innenstadtgemeinden haben auch diesmal zur gemeinsamen inneren Vorbereitung eingeladen. Mitten im Trubel des Weihnachtsmarktes. Pater Ludger Widmaier von den Arnsteiner Patres, Mitarbeiter in der Citykirche Koblenz, erzählt von der Entstehung dieser täglichen Meditationszeiten:

Die Adventmeditationen sind ja schon seit einigen Jahren hier in Koblenz üblich gewesen. Sie waren ursprünglich montags abwechselnd in verschiedenen Kirchen. An drei Montagen vor dem Weihnachtsfest und in einem Jahr haben wir im Arbeitskreis Ökumenische City Pastoral beschlossen, dass wir jeden Tag Adventmeditationen haben wollten und dass wir diese Adventmeditationen am besten in den Weihnachtsmarkt hineinlegen. So dass wir schon seit inzwischen drei Jahren die Adventmeditationen täglich vom 1. Advent bis 23. Dezember hier bei uns in der Citykirche haben. Weil der Weihnachtsmarkt direkt bei uns vor der Haustür ja stattfindet.

Die Veranstalter des Weihnachtsmarktes haben die Adventmeditationen sogar in ihren Kalender und ihr Programm aufgenommen. Die Standbetreiber haben gerne Werbung dafür gemacht. Dieses Zusammenspiel unterschiedlicher Interessen beeindruckt. Die Adventmeditationen bilden in ihrer Gestaltung Gegenpole zur geschäftigen Atmosphäre, die den Koblenzer Jesuitenmarkt und andere markante Plätze beherrscht. Sie bieten Ruhepunkte, die viele Mitmenschen in den vorweihnachtlichen Tagen suchen und ihnen auch inmitten eines Weihnachtsmarktes gut tun. Dass hier die Koblenzer Innenstadtgemeinden gemeinsam diese Adventmeditationen gestalten ist ein wichtiges ökumenisches Zeichen. Pater Ludger Widmaier:

An diesen ökumenischen Adventmeditationen nehmen die alt-katholische Kirche, die evangelische Kirche hier in Koblenz und die römisch-katholische Kirche in der Umgebung teil. Es sind hauptsächlich Geistliche und Hauptamtliche, die hier in der Umgebung tätig sind und die sich anbieten, nun dort mitzuarbeiten.

Es sind ökumenische Adventmeditationen, die von vielen mitgetragen und gestaltet werden. Ein ökumenisches Signal, das wahrgenommen wird. Das Weihnachtsfest, das die Gemeinden in ihren Kirchen örtlich getrennt feiern, verbindet. Die gemeinsame Vorbereitung darauf ist eine tiefe Erfahrung von Gemeinschaft, die das Miteinander der Kirchen stärkt. Die Menschwerdung Gottes, die Erscheinung des Herrn, gemeinsam zu bezeugen, ist den Gemeinden in Koblenz ein wichtiges Anliegen. Die Grundlage dazu bietet der Kalender „Der andere Advent“, der jährlich in Hamburg erscheint. Mehr dazu nach der Musik.

Teil 2

Heute ist das Fest der Erscheinung des Herrn. Epiphanie. Heute feiern die Christinnen und Christen noch einmal Weihnachten. In Koblenz haben sich die Innenstadtgemeinden gemeinsam auf dieses Fest vorbereitet. In täglichen Meditationszeiten, mitten im Trubel des Weihnachtsmarktes, findet ein „anderer Advent“ statt. Monika Kilian, Diplompsychologin und Pastoralreferentin in Koblenz, erzählt von der Gestaltung:

Es war uns wichtig, dass es keine großen Aktionen sind, sondern dass es eine überschaubare Zeit ist, zu der wir die Menschen einladen. Das heißt wir haben die Adventmeditationen so gestaltet, dass sie immer 20 Minuten dauern mit dem Angebot hinterher noch ein bisschen in Ruhe zu verweilen. Aber dass man weiß, so eine halbe Stunde Zeit nehme ich mir dafür und dann bin ich auch nicht länger gefangen genommen. Also der Ablauf ist fest strukturiert. Es beginnt immer mit einer Begrüßung, es gibt eine kleine Musik, dann ist der wesentliche Teil der Adventmeditation der Text des Tages aus dem Kalender „Der andere Advent“.

Der Kalender „Der andere Advent“ gibt dem Arbeitskreis Ökumenische Citypastoral, der diese Meditationen vorbereitet, eine wichtige innere Linie. Der Kalender ist geradezu zu einem Markenzeichen geworden. Zum Hören sind die Menschen eingeladen. Sie können dabei auch zur Ruhe kommen. Monika Kilian:

Danach ist immer eine satte Zeit der Stille. Auch das ist uns wichtig. Raus aus dem Trubel. Eine echte Zeit der Stille, die endet dann wieder mit einem kleinen Musikstück. Danach gibt es ein Gebet, ein Segenswort. Und noch mal eine Musik zum Ausklang.

Den Text des Kalenderblattes zu hören, eine Zeit der Stille zu haben, miteinander zu beten, das sind wichtige Elemente dieser täglichen Vorbereitungszeiten auf Weihnachten. Den Initiatoren ist es aber auch wichtig, dass täglich Musiker da sind, die diese Auszeit mit gestalten. Dass die Besucherzahlen von Jahr zu Jahr steigen, zeigt, dass dieser Weg die Menschen anspricht. Monika Kilian:

Wichtig ist uns auch, dass wir mit Livemusik arbeiten. Es sind kleine musikalische Elemente. Mal von großen Profis gespielt. Aber wir haben auch den Eindruck so allmählich wird diese Meditation interessant für Musikschüler. Also es kommen auch Profis mit ihren Schülern und nutzen die Gelegenheit, dass man da eben auch kleine Auftritte haben kann und kleine Impulse setzen kann. Wir haben den Eindruck diese feste Struktur hilft wirklich eine kleine Zeit des Innehaltens mitten in der sonst recht turbulenten Vorweihnachtszeit zu haben. Wir merken auch jetzt im dritten Jahr, in dem wir es anbieten, dass allmählich herum spricht. Von Jahr zu Jahr werden die Teilnahmezahlen größer und wir haben den Eindruck, inzwischen gibt es tatsächlich Menschen, die darauf warten oder die das suchen und die sich das auch ein bisschen zu einem festen Element machen mehrmals in dieser Zeit in die Meditation zu kommen.

Es ist ein anderer Advent, mit dem sich Koblenzer Christen seit einigen Jahren auf Weihnachten vorbereiten und die Menschen dazu einladen. Und diese kommen seit Jahren gerne. Mehr dazu nach der Musik.


Teil 3.

Ich finde es einfach unheimlich angenehm nach der Arbeit des Tages hier hin kommen zu können, ein Stück ausruhen, etwas Hören zum Nachdenken und was mir auch gut tut, das ist einfach immer das Segensgebet.

Diese spontane Äußerung eines regelmäßigen Besuchers der Adventmeditationen spricht für sich. Seit einigen Jahren bereiten sich Christinnen und Christen der Innenstadtgemeinden in Koblenz gemeinsam auf das Weihnachtsfest vor, das mit dem heutigen Fest der Erscheinung des Herrn einen weiteren Höhepunkt erreicht. Die täglichen Meditationszeiten bis kurz vor den Festtagen werden gerne von den Menschen angenommen. Manche kommen zufällig beim Besuch des Weihnachtsmarktes in die Citykirche am Jesuitenplatz und lassen sich von der Atmosphäre gefangen nehmen. Andere wissen um den anderen Advent, der in ökumenischer Verbundenheit gestaltet wird, und kommen ganz gezielt in den Kurzgottesdienst. Nicht nur die Texte aus dem Kalender „Der andere Advent“ sprechen an. Auch die meditative Stimmung im Kirchenraum rührt im Menschen etwas an. Die Pastoralreferentin Monika Kilian betont die Bedeutung des Lichtes an diesen Abenden:

Nachdem wir uns entschieden hatten, diese Form der Meditation wirklich täglich, also 23 mal oder, je nachdem, wann der 1. Advent ist, 24 oder 25 mal anzubieten, haben wir uns überlegt auch auf eine alte Tradition, oder vielleicht ist es sogar die Erfindung des Adventkranzes zurückzugreifen. Nämlich täglich eine Kerze anzuzünden. Wir haben also zusätzlich zu dem Adventskranz mit den vier Kerzen bei unseren Meditationen immer die Anzahl der Kerzen, also 20 – 23 da stehen und nehmen jeden Tag eine weitere Kerze dazu. Das greift ein bisschen auf, was der Herr Wichern früher in Hamburg, der quasi als Erfinder des Adventskranzes gilt, auch in seinen Kinderheim ursprünglich so gemacht hat, also jeden Tag ein Kerzchen mehr, jeden Tag soll’s ein Stückchen heller und ein Stückchen wärmer werden in diesem Advent.

Die Texte, die in diese Atmosphäre hineingesprochen werden, und von den Besuchern in der Stille meditiert werden, sind sehr unterschiedlich. Manche sind kurz, andere sind etwas länger. Es sind Gebete, Gedichte oder Erzählungen. Texte, die anspruchsvoll sind. Texte, die ansprechen, sowie das folgende Gebet, das während einer Meditation vorgetragen wurde:

Gott, in dir ist Freiheit. Lass uns ausziehen aus allem, was uns gefangen hält und womit wir andere einengen. Gott, in dir ist Leben. Lass unser erkennen, welches unsere wirklichen Bedürfnisse sind und sie nicht mit Geschenkwunschlisten verwechseln. Gott, in dir ist Weite. Lass uns hineinfinden in den Raum deiner Verheißungen und die Überraschungen entdecken, die du für uns bereit hältst. Gott, in dir ist Freude. Lass uns immer mehr Erlöste sein und ein Segen für diese Welt.

Das war Blickpunkt Kirche. Ich bin Pfarrer Ralf Staymann von der alt-katholischen Kirche und wünsche Ihnen mit diesen Gedanken noch eine froh machende Weihnachtszeit und Gottes Segen für das Jahr 2010. https://www.kirche-im-swr.de/?m=7510
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SWR4 Abendgedanken RP

Viele Menschen reisen in diesen Tagen an den Rhein nach Bingen. Die Landesgartenschau lockt groß und klein. Manche werden dabei auch auf das Leben der Heiligen Hildegard von Bingen aufmerksam. Eine starke Frau, Visionärin, Heilkundlerin, Dichterin – und Prophetin. Heute am Gedenktag dieser großen Frau stelle ich Ihnen vor, was sie uns heute noch zu sagen hat

Teil I

Ihr Leben ist einfach faszinierend. Hildegard von Bingen ist bei manchen Veranstaltungen Menschen begegnet, die in diesen Sommermonaten auf der Landesgartenschau in Bingen unterwegs waren. Hildegard gilt als eine der bedeutendsten Frauen des Mittelalters. Sie war eine der größten geistigen Erscheinungen im christlichen Abendland und erlebt in unserer Zeit eine neue Aufmerksamkeit. Hildegard Strickerschmidt aus Bingen-Büdesheim, Präsidentin der Internationalen Hildegard von Bingen Gesellschaft, ist erfüllt vom Leben und Wirken ihrer Namenspatronin. Sie weiß um ihre zeitliche Distanz, aber auch um ihre innere Nähe zu uns:

Ja, Hildegard von Bingen ist ja eine Frau des 12. Jahrhunderts. Eigentlich sehr weit weg von uns. Von der Gesellschaft und der Denkweise. Umso erstaunlicher ist es wohl, dass sie heute so viel Beachtung findet. Sie war Benediktinerin, Äbtissin, gründete selber zwei Klöster, das eine in Bingen am Rupertsberg, und das zweite in Eibingen Rüdesheim, wo sie allerdings nie lebte, sondern wöchentlich zweimal mit dem Boot über den Rhein fuhr.

Hildegard Strickerschmidt hält sich nicht lange auf mit biographischen Daten. Sie erkennt in der großen Heiligen eine Frau mit einer erstaunlichen Begabung:

Schon seit frühester Jugend hatte sie eine seltene Begabung, die sie die Gabe der inneren
Schau nennt. Sie sagte: „Ich sehe mit den Augen meiner Seele bei offenen äußeren Augen und Ohren und ich höre mit dem inneren Ohr. Es geschieht einzig in meiner Seele.“ Sie schaut großartige Bilder über den Kosmos, große Symbole, vor allem das Kreissymbol kommt oft bei ihr vor. Die Vision über die Entstehung des Menschen, über den Sündenfall, über die Erlösung durch Jesus Christus, ganz viele Visionen über die Kirche, über die Endzeit und über das neue Jerusalem


Die Mystikerin Hildegard ist nicht für alle Menschen erschließbar. Viele finden heute eher einen Zugang über ihre Heilkunde. Innerhalb weniger Jahrzehnte hat sich die Naturheilkunde der Heiligen Hildegard beinahe weltweit verbreitet. Der boomende Gesundheitsmarkt eröffnet sicherlich neue Wege. Die Präsidentin der Hildegard-Gesellschaft kann von persönlichen Erfahrungen berichten und tritt damit manchen kritischen Stimmen entgegen:

Dann ist heute sehr wichtig geworden ihre Heilkunde, ihre medizinischen Werke, die einerseits sehr verehrt, andererseits sehr stark in Zweifel gezogen werden. Aber es gibt viele Menschen, die sich darauf einlassen und erstaunliche Wirkungen erleben.

Hildegard von Bingen ist vielseitig. Sie ist Visionärin. Sie ist Heilkundlerin. Sie ist aber auch auf der Suche nach neuen Zugängen zum Schöpfergott.

Teil II

Hildegard von Bingen begeistert noch heute gut 900 Jahre nach ihrer Geburt viele Menschen. Ihre Naturheilkunde sieht den Menschen als ganzheitliches Wesen. Heil und Heilung sieht sie als Einheit. Doch die große Benediktinerin des Mittelalters schreibt sich das alles nicht selbst zu. Sie schöpft ihr Wissen und ihren Glauben aus einer tiefen Gottesbegegnung. Eine Begegnung, die auch für heute noch etwas zu sagen hat. Hildegard Strickerschmidt, Präsidentin der Hildegard-Gesellschaft, hat sich viel mit dem Leben der Heiligen beschäftigt. Das hat auch ihr eigenes Gottesbild verändert:

Sie hat sehr viele, ich möchte fast sagen alle Lebensbereiche besprochen, aber sie sagt immer, ich spreche nicht aus mir selber. Ich sage nur das, was mir Gott eingibt: Ich bin die Posaune Gottes. Mit Hildegard habe ich ein völlig anderes Gottesbild bekommen. Sie sagt, sie sieht, schaut Gott als Licht, als Leben und als Liebe. Ein überhelles Licht. Sie sieht den Mensch gewordene Liebe Gottes in Jesus Christus als eine Gestalt mit einem leuchtenden Angesicht. Sie sagt, ich könnte leichter in die Sonne blicken als in dieses Gesicht.

Die Gedanken Hildegards gehen in die Tiefe. Sie zeichnet ein Gottesbild, das zu ihrer Zeit einfach und neu zugleich war. Dieses Bild von Gott führt zu seiner Schöpfung, in der wir als Menschen mit allen anderen Geschöpfen zusammen leben. Gott hat seine Kräfte in den Kosmos gegeben. Jedes Lebewesen lebt aus dem Geist Gottes, der ausgegossen ist über alle seine Geschöpfe. Diese Sicht der Schöpfung ruft in die Verantwortung:

Wir dürfen sie nicht missbrauchen, wir dürfen sie nicht ausbeuten. Wir sollen sie behandeln mit demselben Geist mit dem Gott alles Geschaffene hat – nämlich mit Liebe. Und in jedem Geschöpf kommt uns diese Phantasie, diese unglaubliche Gestaltungskraft und Liebe entgegen, wenn wir nur offen dafür sind.

Schon im 12. Jahrhundert zeichnet Hildegard von Bingen eine Schöpfungsverantwortung, die heute noch aktuell ist. Hildegard hatte einen besonderen Zugang zur Schöpfung, zu den Pflanzen und Tieren. Kein Wunder, dass bis zum kommenden Sonntag der traditionelle Hildegard-Herbst passend zur Landesgartenschau die Pflanzenkunde Hildegards in den Mittelpunkt stellt. Hildegard Strickerschmidt erzählt mir aber auch noch von einer anderen Seite der Heiligen. Sie hatte den Mut ihre prophetische Stimme zu erheben und Obrigkeiten zu kritisieren, wenn sie sich zu sehr von Gottes Wort entfernten.

Teil III

Heute ist der Gedenktag der Heiligen Hildegard von Bingen. Gerade jetzt zur Landesgartenschau werden viele Menschen Spuren dieser großen Benediktinerin des 12. Jahrhunderts in Bingen und Umgebung entdecken. Auch Veranstaltungen nehmen das Leben dieser vielseitigen Frau in den Blick. So wird am kommenden Samstag das Oratorium »Hildegard von Bingen« aufgeführt. Dieses große musikalische Ereignis wird den Besuchern das Leben Hildegards neu eröffnen. Und kann zeigen, dass Hildegard mehr als Visionärin und Naturkundlerin, Dichterin und Heilerin war. Sie war zu ihrer Zeit auch eine bedeutende Ratgeberin wichtiger Persönlichkeiten. Sie versteht sich in ihrer Rolle als Prophetin. Hildegard Strickerschmidt, die Präsidentin der Internationalen Hildegard von Bingen Gesellschaft, beschreibt diese Rolle so:

Hildegard bezeichnet sich selber als die Prophetissa, dass heißt, sie hört in der göttlichen Stimme: Ich habe dich höher gestellt als die Propheten des Alten Bundes und Propheten sind ja nicht, wie es normalerweise so gedacht wird, Menschen, die die Zukunft weissagen, die Wahrsager sind. Das sind nicht die Propheten. Die Propheten sind Menschen, die Gottes Botschaften den Menschen vermitteln und die sind in der Regel unbequem.

Unbequeme Botschaften hörten die damaligen Machthaber nicht gerne. Schon gar nicht aus dem Mund einer Frau. Dennoch waren ihre Ratschläge gefragt:

Sie hat einen sehr großen Briefwechsel, in dem sie sehr hochgestellten Persönlichkeiten in Staat und Kirche, angefangen von Kaiser Barbarossa bis zum Papst, zu vielen Bischöfen, Äbten, auch natürlich hochgestellte Frauen. Denen hat sie gesagt, was sie in einer Schau über diese Person gesehen hat, was sie erkannt hat. Auch wenn es sehr unangenehm war, hat sie nur immer ihrem Gewissen gehorcht. Sie wirkt deswegen auf uns wie eine sehr starke Frau, die unerschrocken für Gerechtigkeit hin steht, auch für Menschlichkeit, für Barmherzigkeit unter den Menschen. Gerade die Männer mahnt sie sehr zur Menschlichkeit.

Hildegard von Bingen rüttelt auf und mahnt. Sie korrigiert in ihren zahlreichen Briefen das Handeln wichtiger Persönlichkeiten in damaliger Gesellschaft und Kirche. An Herzog Matthäus von Lothringen schreibt sie: Wenn du aber mit dem Volk kein Erbarmen hast ... ziehst du nicht vor ihm her, sondern führst es in die Fremde des Elends. Du bist da zum Segnen ... und nicht zur Züchtigung. In diesen Sätzen wird deutlich: Hildegard von Bingen war eine Frau mit einer klaren Sprache und einer deutlichen Botschaft. Hildegard Strickerschmidt spricht bei ihrer Namenspatronin von einer geerdeten Spiritualität. Dabei geht es der Visionärin und Mystikerin, der Theologin und Naturkundlerin in allem nur um das Eine:

Es ging ihr um die Liebe, um die Gerechtigkeit, um die Menschlichkeit und die
Barmherzigkeit.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=4484
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