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Oberhalb von Bacharach stehen die Reste der Wernerkapelle. Romantischer geht es in Rheinland-Pfalz am Mittelrhein kaum: Der große Fluss, die alte Stadt, die steilen Weinberge und dazu die Wernerkapelle. Die ist eine Ruine ohne Dach, Fenster und Türen und Teil des Weltkulturerbes.
Leider ist die Geschichte hinter der Kapelle alles andere als romantisch. Als vor über siebenhundert Jahren ein halbwüchsiger Junge namens Werner tot aufgefunden wurde, gab man „den Juden“ die Schuld. Schon zuvor hatte man immer wieder Lügengeschichten konstruiert und behauptet, dass sie in ihren Gottesdiensten Menschen opfern. Nach dem Tod des Jungen kam es zu Gewalt gegen die jüdische Gemeinde. Und bald errichtete man ihm zu Ehren die Wernerkapelle. Man erklärte ihn einfach zum christlichen Märtyrer, von Juden ermordet. Es hat viele Jahrhunderte gedauert, bis die Christenheit erkannt hat, was für Verbrechen sie in ihrem Judenhass begangen hat. Vor der Wernerkapelle ist deshalb ein Zitat von Papst Johannes XXIII. angebracht. Er betete:
„Vergib uns den Fluch, den wir zu Unrecht an den Namen der Juden hefteten… Denn wir wussten nicht, was wir taten.“
Ja, die Christen haben statt Segen immer wieder Fluch auf ihre jüdischen Mitmenschen gelegt. Aber Gott sei’s geklagt, ich fürchte, mit seiner letzten Bemerkung hatte Johannes XXIII. nicht recht: Leider weiß, wer andere verfolgt, meistens sehr genau, was er tut. Denn man will sich überlegen fühlen, indem man andere ausgrenzt. Man will sich ungestraft fremdes Eigentum aneignen. Es ist noch gar nicht lange her, gerade ein paar Wochen, da gab es wieder einmal solche Unruhen in England.
Der französische Schriftsteller Victor Hugo hat die Ruine der Wernerkapelle einst ein romantisches „Gerippe“ genannt. Ach, ich wünschte, Ausgrenzung und Verfolgung und Hass und Neid wären auch nur noch Vergangenheit und ein Gerippe!
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Einmal im Jahr geht es bei uns in der Kirche drunter und drüber. Na ja, wenigstens so ein bisschen. Denn dann feiern wir ein internationales Kirchenfest. Die verschiedenen Kirchengemeinden und ihre Gäste aus aller Herren Länder feiern miteinander. Und wann immer im Gottesdienst etwas in einer fremden Sprache gesagt wird, gibt es jemanden, der es ins Deutsche übersetzt. Damit alle alles verstehen. So hat sich das schon der Apostel Paulus vor 2.000 Jahren gewünscht. Schließlich sind christliche Gemeinden ziemlich ordentlich. Aber an einer Stelle des Gottesdienstes leisten wir es uns, dass alle in ihren Sprachen gleichzeitig reden. Das geschieht beim Vater unser. Die einen auf Ungarisch, die anderen auf Filipino, aber auch Armenisch oder Französisch. Und Farsi und natürlich auch deutsch. Wenn dann noch einzelne aus Skandinavien dabei sind oder aus Italien oder, oder, oder… Herrlich, dieser Mix!
Das Vaterunser zeigt, wie prima verschiedene Sprachen miteinander harmonieren können. Obwohl sie sich so sehr unterscheiden, kommen alle fast gleichzeitig mit dem Beten ans Ende. Denn auf diese Weise übt man, aufeinander zu hören. Man spürt: Einerseits sprechen wir nicht die gleiche Sprache. Andererseits verstehen wir uns doch. Die Botschaft des Vaterunsers verbindet. In kurzen, prägnanten Sätzen werden drei wichtige Dinge geklärt, sozusagen das Allerallerwichtigste:
Dass wir zu Gottes Familie gehören. Dass Gott für uns sorgt. Dass wir barmherzig mit Fehlern umgehen sollen.
Ganz am Schluss sagen dann alle wieder ein und dasselbe Wort: Amen. Auf deutsch: So soll es sein. Das ist ein wahres Wort zum Schluss des Gebets. Denn so richtig kriegen das die Christinnen und Christen auf der Welt noch nicht hin: Dass sie alle zusammengehören. Dass sie auf Gottes Fürsorge vertrauen. Dass es nur mit Barmherzigkeit geht. Aber sie sollen es üben. Immer wieder und wieder. Und je internationaler sie es üben, desto besser.
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Noch immer wird in der Kirche heftig über die Eröffnungsfeier der olympischen Spiele in Paris diskutiert. Denn es gab da eine Szene, da saßen ganz unterschiedliche Menschen, alle bunt und schrill in Szene gesetzt, hinter einem langen Tisch. So hatte der Künstler Leonardo da Vinci einmal das Abendmahl gemalt. Hat man sich also in Paris über das Christentum lustig gemacht? War das vielleicht eine bewusste Verspottung des Abendmahls, des letzten Abendessens Jesu mit seinen Freunden vor seiner Verhaftung und Hinrichtung?
Ich habe mir die Szene daraufhin ein paar Mal angesehen und bin mir nicht sicher. Ja, man kann schon auf den Gedanken kommen und kann sich an das Abendmahl, wie wir es uns vorstellen, erinnert fühlen. Aber wie müsste man sich das Abendmahl überhaupt „richtig“ vorstellen?
Jesus hat sich geradezu hemmungslos mit allen möglichen Menschen an einen Tisch gelegt. Fast kann man sagen: Je verachteter jemand war, wie Prostituierte, je anrüchiger seine Geschäfte, wie profitorientierte Steuerpächter, je religiös fanatischer, wie die Jünger, umso lieber hat Jesus mit ihnen das Essen geteilt und ihnen vom Reich Gottes erzählt. Jede und jeder war ihm beim Essen willkommen. Denn er war davon überzeugt: Im Reich Gottes, im Himmel, da kommen alle möglichen und unmöglichen Menschen zusammen. Denn alle sind eingeladen. Aus allen Himmelsrichtungen, Nord, Süd, Ost, West, kommen die schrägen Vögel, die Trostbedürftigen, die Einsamen, die Kranken, die Schuldigen, die Großen und Kleinen und Alten und Jungen zusammen, und zwar friedlich und mit dem Ziel, gut miteinander auszukommen.
Wenn man darüber nachdenkt, dann haben die olympischen Spiele, wie sie sein sollten, und das Abendmahl, wie es sein sollte, ganz viel gemeinsam. Nur bei einer Sache setzt das Abendmahl noch einen oben drauf: So was wie einen Medaillenspiegel gibt es im Himmel nicht. Denn alle liegen ohne Ansehen der Person bei Gott zu Tisch und sind seine Gäste. Gleich geliebt und gleich bewirtet.
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Sero te amavi: Spät habe ich dich geliebt. Klingt das nicht unglaublich romantisch? Sero te amavi. Dahinter steht eine ganze Lebensgeschichte. Sie beginnt in Mailand. Da lebt Augustinus, ein angesehener Professor für Redekunst.
Augustinus ist damals 31 Jahre alt. Heute ist man mit 31 noch ziemlich jung, aber damals, vor 1600 Jahren, war man da in der Blüte seiner Jahre. Und Augustinus hatte in seinem Leben auch schon ganz schön viele Stationen hinter sich. Geboren und aufgewachsen ist er im heutigen Algerien. Lange hat er nach einer geistigen Heimat gesucht. Deshalb hatte er sich einer Sekte angeschlossen. Doch dann musste er erkennen: Alles Lug und Trug. Nur Fassade, nichts dahinter. Also suchte er weiter und hat sich für Philosophie begeistert. Doch auch da ist er enttäuscht und merkt: Das sind alles großes Denkgebäude, aber es ist kein Leben drin. Augustinus bleibt unruhig und auf der Suche. Da trifft er seine große Liebe, und es ist um ihn geschehen. Es wird die Liebe seines Lebens. Sie inspiriert ihn, berauscht ihn, macht ihn glücklich. Er gibt andere Beziehungen auf und beginnt zu schreiben. Für die Liebe. Die wichtigsten Sätze sind kurz: Sero te amavi. Spät habe ich dich geliebt. Die große späte Liebe im Leben des Augustinus wird Gott.
Eine Liebe im Alter – wobei ich vermute, dass Gott das anders gesehen hat als Augustinus. Denn für Gott ist die Liebe zu seinen Menschen eine echte Sandkastenliebe. Von Anfang an kümmert sich Gott um Augustinus als sein geliebtes Kind – auch wenn die Liebe 31 Jahre lang unerwidert bleibt. Schon in der Bibel wird immer wieder betont: Gott ist unglaublich geduldig und respektiert die Wege, die ein Mensch in seinem Leben geht. Die geraden und die krummen. Bis dann endlich auch Augustinus dahinterkommt und sagt: Sero te amavi, spät habe ich dich geliebt. Kurz und knapp. Denn die wirklich wichtigen Dinge lassen sich ganz einfach und in wenigen Worten sagen.
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Angeblich werden die Steckmücken im Spätsommer ja weniger. Ihre Lebenszyklen sind erschöpft, heißt es von amtlicher Seite. Das mag sein, aber: Leider wissen das die Stechmücken über meinem Bett nicht. Sie versammeln sich verlässlich Nacht für Nacht um mich und reißen mich – bssssss - aus dem Schlaf. Ich neige dann zu unkontrollierten Gewaltausbrüchen und schlage um mich. Wissenschaftlich lässt sich das gut begründen: erstens will keiner gern gestochen werden, es juckt hinterher einfach zu unangenehm, und zweitens ist der Summton der Stechmücken oder Schnaken oder Bothämmel, wie wir hier am Rhein sagen, je nach Geschwindigkeit und Flugrichtung unterschiedlich. Auf solche Tonschwankungen reagieren unsere Ohren besonders sensibel und geben an das Gehirn Stechmückenalarm weiter. Dann ist mitten in der Nacht Schnakenjagd angesagt.
Eine Freundin findet mich in dieser Angelegenheit nicht nur übermüdet und reizbar, sondern auch religiös auf dem falschen Weg. Sie hat mir nahegelegt, mich etwas mehr an Albert Schweitzer zu orientieren. Von dem legendären Elsässer Tropenarzt stammt der Satz: „Ich bin Leben, das leben will, inmitten von Leben, das leben will.“ Den Satz nahm Schweitzer absolut wörtlich und konnte folglich keiner Fliege und auch keiner Stechmücke etwas zuleide tun.
Ich gebe zu, im Hinblick auf Schnaken tue ich mich etwas schwer mit dem Satz. Schnaken als gute Schöpfung? Aber natürlich, Gott hat auch die Stechmücken geschaffen. Sie haben eine Aufgabe im Kreislauf der Natur und dienen Fröschen, Vögeln und Spinnen als Nahrung. Gestochen werden wir nur von den Weibchen, die nun mal unser Blut für die Produktion von Eiern brauchen. Und mir fällt wieder ein, dass es in einem Kinderlied auch von den „Mücklein“ heißt: „Gott der Herr rief sie mit Namen, dass sie all ins Leben kamen.“ Dennoch frage ich nach: Und was bedeutet das nun praktisch für meinen Nachtschlaf?
Praktisch bedeutet das: Die Freundin macht es wie Albert Schweitzer am Kongo. Das Mittel der Wahl in der Nacht ist das Moskitonetz.
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Neulich habe ich ihn auch gehört: den Eisenbahnpoeten. Gemeint ist der Lokführer Andreas Frank, und er versucht seit einigen Monaten, seinen Beitrag zu leisten, dass es im Bahnverkehr gelassener zugeht. Denn die vielen Verspätungen, Zugausfälle und überfüllten Züge sind ja nicht wirklich lustig, um es einmal zurückhaltend auszudrücken. Manchem Fahrgast schwillt da der Kamm. Der Eisenbahnpoet hat seine eigene Antwort auf die Herausforderungen des Schienenverkehrs entwickelt. Denn er steuert nicht nur den Zug, sondern spricht die Menschen bei seinen Durchsagen auch ganz besonders an. Das geht dann zum Beispiel so:
Das macht kein Spaß, auch hör doch auf,
jetzt haben wir schon über zehn Minuten Verspätung drauf.
Ja, liebe Leut, lasst mich net lüsche,
da draußen fahr`n halt jede Menge Züsche.
Wer zuhört, der merkt: Der Lokführer sitzt ja im selben Boot, pardon: im selben Zug. Unsere Verspätung ist auch seine Verspätung. Doch er versucht, das Beste aus der Situation zu machen. Nicht nur für sich selbst, sondern auch für seine Fahrgäste. Nämlich, indem er sie zum Schmunzeln bringt und damit tröstet. Denn darum geht es beim Trost: einem anderen beizustehen. Wunder kann der Eisenbahnpoet natürlich nicht vollbringen. Aber er kann so zu den Menschen sprechen, dass zumindest einige sich entspannen.
Bei mir haben die Reime gewirkt. Der Ärger ist wie weggeblasen. Natürlich hoffe ich, dass jetzt nicht alle Bemühungen, das deutsche Eisenbahnwesen zu modernisieren, eingestellt werden und stattdessen nur noch gereimt wird. Aber wenn man schon im Schlamassel steckt, dann freue ich mich, wenn mir jemand auf ganz persönliche Art und Weise sagt, was los ist und dass er mit mir fühlt. Ein kleiner Vierzeiler kann wahre Wunder wirken. Nächstenliebe als Reim aus dem Lautsprecher, wer hätte das gedacht! Wenn ich einmal zurückreimen darf:
Probleme um die Gleise
erklärt er auf seine Weise.
Was er damit auch noch schafft:
Gibt Geduld und neue Kraft.
Mittlerweile habe ich Fotos von Andreas Frank gesehen. Ob seine selbst geschmiedeten Verse am Ende etwas mit dem Kreuz zu tun haben, das er an einer Kette um den Hals trägt?
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Im Urlaub bin ich einen Berg hinaufgestiegen, um eine abgelegene Kapelle zu besuchen. Dorthin führte ein Fußweg, Autos hatten keine Chance. Die Kapelle war schon von weitem zu sehen und fünfhundert Höhenmeter in langen Schleifen, na, dachte ich mir, das schaffst du. Es war ein heißer Tag und ich kam ganz gehörig ins Schwitzen. Und ehrlich gesagt habe ich auch etwas geflucht. Aber umkehren auf halben Weg und aufgeben wollte ich auch nicht. Also bin ich ein paar Mal zwischendurch stehengeblieben, habe mir den Schweiß abgewischt und mich etwas ausgeruht. Schließlich war ich oben und wurde mit einem herrlichen Ausblick in alle Richtungen belohnt – und mit der Kapelle. Ich öffnete in die Tür und trat ein.
Es war dunkel drinnen nach der gleißenden Sonne. Wenige, kleine Fenster, ein paar Bänke, ein Altar mit Stoffblumen – nichts Besonderes, absolut nichts Besonderes. Und trotzdem. Ich war berührt und ergriffen: Menschen haben sich die Mühe gemacht, hier oben auf dem Berg zu bauen. Sie haben nicht nur, wie ich, sich selbst, sondern auch die Baumaterialien bis hier hinauf transportiert. Sie haben eine Anlaufstelle geschaffen, um zu beten, um einen Moment stillzusitzen, um zu sich zu kommen. An einem Ort, der dem Himmel ein kleines Stückchen näher ist und der nicht einfach am Rand der üblichen Wege liegt. Man muss sich anstrengen, ihn zu erreichen – nicht zu sehr, aber man soll es merken.
Vielleicht ist es ja das, was Jesus meint, wenn er sagt: Wie schmal ist der Weg zum Leben! (Matthäus 7,14) Alles Wichtige bekommst du geschenkt, inklusive eines Platzes für dich und zum Beten. Aber schauen, wo du eigentlich hinwillst, wie es gehen soll mit deinem Leben, das musst du schon selbst. Und du solltest es dir dabei auch nicht zu einfach machen. Nicht, weil Gott will, dass du dich quälst. Sondern, damit du dich selbst spürst.
Weil außer mir keiner da war, habe ich noch ziemlich laut ein Lied gesungen. Und eine Kerze angezündet. Die ist für… Aber das bleibt in einer Kapelle, erst recht so einer abgelegenen, ein Geheimnis zwischen Gott, der Kerze und mir.
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Am Jahresanfang spielt sie eine Rolle: die Jahreslosung. Das ist ein einzelner Satz aus der Bibel, den die Kirchen seit vielen Jahrzehnten jeweils für ein Jahr aussuchen als eine Art Motto. Am Jahresanfang wird über diese Jahreslosung gesprochen, Grußkarten werden verschickt – und dann ist die Jahresanfangsstimmung verflogen und wir gehen zur Tagesordnung über. Schließlich schon alles wieder drei Wochen her… Hier eine kleine Auffrischung zur Jahreslosung, die ja eigentlich für 366 Tage – dieses Jahr ist ein Schaltjahr – gedacht ist.
„Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Das schreibt Paulus in die griechische Stadt Korinth. Der Bibelvers gehört ganz offensichtlich zu den Sätzen, in denen es um „alles“ geht. Paulus will erreichen, dass die Korinther nicht nur herumwurschteln und irgendwie über die Runden kommen. Denn das ist erstens anstrengend und zweitens auch nicht erfüllend. Paulus wünscht sich, dass die Gemeinde in Korinth einen inneren Kompass hat, der ihr immer den richtigen Weg zeigt. In ihren Handlungen soll es immer um die gleiche, verlässliche und belastbare Grundhaltung gehen: Liebe. Darunter tut er es nicht. Und Paulus erklärt den Korinthern auch gleich in den Sätzen drumherum, wie sie das denn konkret umsetzen sollen und nennt vier Dinge: Legt erstens regelmäßig Geld für wohltätige Zwecke zurück; begleitet zweitens Freunde auf ihrem Weg; behandelt drittens Gäste gut; lasst es viertens bei euch ordentlich zugehen.
Hm, das habe ich mir, ehrlich gesagt, schwerer vorgestellt. Vielleicht habe ich zu sehr an Liebe als besonderes Gefühl gedacht. Aber hier besteht Liebe ja aus einzelnen Taten, ganz konkret und gar nicht überkandidelt. Wenn ich mir’s recht überlege: Das lässt sich machen. Ja, doch, das geht. Jetzt darf ich die Jahreslosung nur nicht mit guten Vorsätzen verwechseln und vergessen. Dabei kann man sich den Vers gut und einfach merken: „Alles, was ihr tut, geschehe in Liebe.“ Noch 346 Tage lang und darüber hinaus.
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Neulich war ich als Pfarrer bei einer Bestattung. Eine kleine Runde von Trauernden, ein Dutzend Menschen. Ein hochbetagter Urgroßvater war gestorben. Er hatte auch Jüngere überlebt, von der Familie waren Enkelkinder und Urenkel da. Schließlich kam der Augenblick des Abschieds. Einzeln sind die Trauernden nach vorne ans Grab gegangen. Einige haben sich bekreuzigt. Einige die die Hände gefaltet. Einige haben Blütenblätter geworfen, andere Erde ins Grab; dort war die Urne mit der Asche des Verstorbenen. Einige waren Muslime und haben ebenfalls ein stilles Gebet gesprochen für den Toten.
Zwölf Menschen, zwölf Weisen andächtig zu sein. Was für eine Vielfalt, die hier zurückhaltend und sanft zusammengetroffen ist. Die Erinnerung an einen Menschen, dem sie alle verbunden waren, hat sie zusammengeführt. Für einen Augenblick waren die unterschiedlichen Religionen nichts Trennendes. Der Glaube war Ausdruck dafür, dass wir mehr sind als vereinzelte Wesen. Wir gehörten zusammen. Dass wir unterschiedlich glauben, hat uns nicht getrennt. Dieses Gefühl in einem konkreten Augenblick hat gutgetan
Auf dem Heimweg nach der Trauerfeier habe ich bei mir gedacht, dass ich mir das viel öfter wünsche. Und dass doch bitte auch im Großen möglich wird, was im Kleinen gelingt. Versöhnte Verschiedenheit. Frieden zwischen Religionen. Ja, das ist mein Wunsch: Dass sich Gebete vereinen. Dass wir nicht gegeneinander, sondern füreinander beten. Um Frieden. Und um eine Zukunft für unsere Welt. Und um ein glückliches Miteinander. Und um Glaube, Hoffnung, Liebe – ich weiß, das ist ein Dreiklang aus der Bibel. Das ist meine Tradition, das ist, was mich trägt, aber sehr gerne höre ich auch von dem, was anderen wichtig ist und ihnen Halt gibt. Muslime beten zum Beispiel oft mit der ersten Sure des Koran um den richtigen Weg. Ach, es ist so viel, wofür wir gemeinsam beten und bitten können. Wofür beten Sie?
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Weihnachten ist vorüber, die allermeisten Christbäume sind entsorgt, Geschenke unter die sonstigen Habseligkeiten einsortiert. Nur meine Krippe steht noch. Und damit meine ich wirklich nur die Krippe selbst, also den Futtertrog. Es könnte auch eine Viehtränke gemeint sein. Alle lebenden Akteure der Weihnachtsgeschichte sind schon wieder anderswo: Die Engel sind zum Jubilieren zurück in den Himmel geflogen. Die Hirten, die an Heiligabend vorbeigeschaut hatten, sind nach ihrer kurzen Stippvisite längst wieder bei der Arbeit. Schafe, die vielleicht mitgelaufen waren, sind auch zurück auf der Weide. Die Weisen aus dem Morgenland reisen wieder nach Osten, erleichtert um die Geschenke, die sie dagelassen haben. Von Maria und Josef und ihrem Baby weiß man nicht ganz genau, wo sie sind: Entweder sind sie zurück nach Nazareth gegangen oder auf der Flucht nach Ägypten wegen des bösen Königs Herodes.
Die Krippe damals war wohl aus Stein gehauen oder gebaut. Bequem und weich hat es das Jesuskind da nicht gehabt. Meine Krippe ist noch nicht weggeräumt, weil sie das einzige Überraschende bei der Geburt Jesu ist: Ein Neugeborenes sieht aus, wie es aussieht. Von einem übernatürlichen Strahlen ist nicht die Rede. Die Windeln waren ganz normale Windeln, wie man sie damals hatte. Aber in einem Futtertrog liegen Babys normalerweise nie.
Das ist schon ein seltsames Zeichen, an dem man den Retter der Welt erkennen soll: Krippe-Futtertrog-Viehtränke. Mehr Alltag geht kaum. Mehr Elend geht kaum. Meine Krippe ist noch nicht weggeräumt, weil sie mich daran erinnert, dass Gott mit Jesus und uns nichts Übernatürliches im Sinn hat. Notdürftig wird er irgendwo hingelegt. Und da sollen wir hinschauen. Und da schaut auch Gott hin: wo nichts, aber auch gar nichts den Blick verstellt auf ein Menschenkind. Wenn ich es mir recht überlege: Vielleicht lasse ich die Krippe auch gleich bis nächstes Weihnachten stehen.
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