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SWR2 Wort zum Tag

20DEZ2023
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Wie unterschiedlich wir auch sind, eines verbinden die meisten Menschen mit Weihnachten: Frieden und damit auch Freundschaft. Dass es überall in der Welt endlich versöhnt zugehe, wird zum größten Wunsch. Aber schon unterm Christbaum kann es zum Krachen kommen. Die Welt ist durchzogen von Hass und Gewalt - bitterstes Beispiel jüngst das Massaker in Israel und das Elend in Gaza. Wie viel Feindbilder in den Köpfen und Herzen, wie viel Hass und Aggression, sogar gegen die Natur. Welch ein Kontrast zur Weihnachtsbotschaft!

„Jauchzet ihr Himmel, frohlocket ihr Enden der Erden. Gott und der Sünder, die sollen zu Freunden nun werden.“ Überschäumend wird in diesem Kirchenlied der Durchbruch gefeiert: endlich der ersehnte Friedensschluss, endlich unverbrüchliche Freundschaft.  Es ist der Geist christlicher Mystik der hier spricht, der Geist der Feindesliebe und Versöhnung. Gottesfreundschaft ist nicht nur ein Wort, es ist verbunden mit der Lebensleistung Jesu. Deshalb feiern wir seinen Geburtstag. „Nicht mit zu hassen, mit zu lieben bin ich da“. So hatte der Dichter Sophokles seine Antigone schon lange vor Jesu Zeiten im Theater sagen lassen. Bei Jesus selbst wird das im realen Leben durchbuchstabiert: Gewalt nicht mit Gewalt beantworten, Bosheit vergeben, Eigensucht und Lebensangst verwandeln, und das sogar angesichts des Todes. Mit dem Auftreten Jesu kommt ein erlösendes Kontrastprogramm in die Welt. Liebe ist wirklich möglich, Frieden lässt sich wagen. Kontrolle ist gut, doch Vertrauen ist besser. Jedenfalls Schluss mit dem Morden, stattdessen Gottesfreundschaft untereinander.

Weihnachten also als Kontrastprogramm und Selbstverpflichtung. Wie könnte man den Geburtstag Jesu feiern ohne selbst  mitzumachen bei dieser göttlichen Friedensinitiative. Ganz konkret: Hass nicht mit Hass beantworten, stattdessen die Feindbilder auch im eigenen Herzen anschauen, Vergebung wagen und aufhören, immer alles von „den“ anderen zu erwarten. Letztlich heißt das: aus dem unglaublichen Liebesvorrat schöpfen, den wir Gott nennen. Jesus lebte so und er starb so, und schon sein Lebensanfang ist davon geprägt. Also, frohe Weihnachten bald

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SWR2 Wort zum Tag

19DEZ2023
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„Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul.“ Zwar stammt dieser Spruch aus längst vergangenen Zeiten, von damals, als Pferde noch bei der Landarbeit halfen, aber treffsicher bleibt der Spruch trotzdem. Geschenkt ist geschenkt, und nicht der Materialwert entscheidet dabei, sondern ehrliche Absicht und freundschaftliche Beziehung. Beim Einkaufen wird anprobiert und getestet, da wird sogar hingelangt und abgetastet, mit dem Bezahlen ist das Geschäft abgeschlossen, meist sogar mit Rücktauschrecht. Schenken folgt einer anderen Logik. Da sollte es großzügig zugehen und absichtslos. Sehr treffend sagt die Frau, der man(n) Blumen schenkt: „ach, das war aber nicht nötig“. Exakt: Geschenke sind nicht nötig, es geht auch ohne, und doch sind sie mehr als nötig. Sie sind eine Zugabe, die man weder einfordern noch verdienen kann. Im Grunde weiß das jeder Mensch: das, worauf es wirklich ankommt, kannst du nicht selbst leisten oder verdienen; es muss dir geschenkt werden.  Liebe kann ich mir nur schenken lassen, und Vergebung auch. Ist es nicht bei allem so, was wichtig ist?  Gilt es nicht genau das zu lernen und jeden Tag als Geschenk zu betrachten? 

In jedem ehrlichen Geschenk, ob gekauft oder selbst gestaltet, steckt immer etwas vom Schenkenden selbst drin. Fromme Juden sagten früher sogar, eigentlich müsse man jedes Geschenk zweimal machen; denn beim ersten Mal ist immer noch etwas Berechnung dabei, mindestens Dank erwartet man oder fordert es insgeheim gar. Erst beim zweiten Mal ist es ganz absichtslos. Vielleicht muss es sogar ein bisschen weh tun, man gibt ja etwas von sich selbst her und verschenkt es. Wirklich freigebig sein, ist eine Kunst; nicht nur das Schenken will gelernt sein, auch das Beschenktwerden.

Jetzt zu Weihnachten lässt sich das wieder beobachten. Wenn da bei der Bescherung an Heiligabend nur Wunschlisten abgehakt würden, die man vorher eingereicht hatte, sollte man ehrlicherweise gar nicht von Geschenken reden. Da würde ja nur angenommen und einverleibt, was man vorher gefordert hatte. Doch welch ein Strahlen im Gesicht, wenn wir wirklich noch überrascht werden. „Das war überhaupt nicht nötig, einfach geschenkt“, wunderbar.

Deshalb feiern wir Christen den Geburtstag Jesu, er ist wirklich ein Gottesgeschenk, und ohne ihn wäre die Welt ärmer.

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SWR2 Wort zum Tag

18DEZ2023
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„Was ich Gott wünsche“ – ein ungewöhnliches Buch, das mir da vor kurzem geschenkt wurde. Die Idee überrascht mich, und sie gefällt mir. Am spannendsten ist der Titel. Üblicherweise macht man ja Gott zum großen Wunscherfüller, und wehe, er liefert nicht. Dann wird sofort gefragt, ob das Bittgebet überhaupt einen Sinn hat. Aber dass Gott selbst etwas brauchen könnte, ist selten zu hören.  „Alles Gute“, das wünschen wir uns ganz selbstverständlich untereinander. Aber Gott? Sollte er bzw. sie auch empfänglich und bedürftig sein, ein wirkliches Gegen-Über auf Augenhöhe?  Warum eigentlich nicht.  Es sind ja immer unsere eigenen Erfahrungen und Bilder, mit denen wir das Geheimnis umkreisen, das wir Gott nennen.  Richard Körner, Mönch in Berlin und Autor des Buches, wünscht Gott z.B. Erfolg. Möge er oder sie doch endlich vorankommen mit dem Weltfriedensprojekt und uns Menschen.  Ein anderer Wunsch für Gott heißt da, „dass du mehr bemerkt und beachtet wirst“ - so als wäre er doch ziemlich einsam und würde meist übersehen. Und dann der Wunsch, dass wir ihm nicht immer alles Leid und Unglück in die Schuhe schieben – als wäre er verantwortlich für die Misere, und nicht zuerst wir.

Die Vorweihnachtszeit jetzt wimmelt förmlich von Wunschlisten. Besonders bei Kindern. Was wünschst du dir zu Weihnachten? Das allerdings ist eine gute Frage auch zur Selbstbesinnung. Aber noch spannender ist der Richtungswechsel: was wünsche ich dir, der Partnerin, dem Freund, den Nächsten und Fernsten. Und eben Gott.  Weihnachtlich glauben ist keine Einbahnstraße. Da taucht die Überzeugung auf, dass Gott seinerseits bedürftig ist und Mitliebende sucht. „Sehet dies Wunder, wie tief sich der Höchste hier beuget;/sehet die Liebe, die endlich als Liebe sich zeiget“. So heißt es treffend im Weihnachtslied von Gerhard Tersteegen. Gott ist Liebe. Er braucht uns nicht, sonst wäre er oder sie nicht Gott. Aber Gott will uns brauchen, er will unserer Zuwendung bedürfen. Ist es nicht das, was ihn oder sie so sympathisch macht, so einmalig auch?

Jesus von Nazareth hat diese Gottverbundenheit gelebt, entsprechend konnte er den Mitmenschen ihre Wünsche von den Augen ablesen, und auch Gott. Deshalb feiern wir seinen Geburtstag. Mit ihm kommt diese Liebe in die Welt, die neu als Liebe sich zeiget, z.B. im Wünschen und Schenken. Ja, auch Gott ist für Zuwendung und gute Wünsche empfänglich.

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SWR2 Wort zum Tag

11OKT2023
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Hätten wir ihr Tagebuch nicht, wüssten wir kaum etwas von dieser hinreißenden Frau. Vor 80 Jahren ist sie als Jüdin in Auschwitz ermordet worden, kaum 30 Jahre alt. Aber die über 600 Seiten Tagebuch, die nun endlich ungekürzt auch auf Deutsch zu lesen sind, geben erstaunliche Einblicke in das Abenteuer eines originellen und intensiven Lebens – und das in den nazibesetzten Niederlanden und mitten schon im fürchterlichen Massenmord an den Juden. Etty Hillesum hatte in Amsterdam gerade ihr Jura-Studium beendet und will noch slawische Sprachen studieren. Aufgrund ihrer vielen Interessen und Beziehungen in eine Lebenskrise geraten, findet sie dank hilfreicher Therapie ihren Weg. Das Tagebuch liest sich wie ein Schnellkurs in Sachen Selbstfindung und Kreativwerdung, und das mit allen Höhen und Tiefen. Bald wird sie auch zur gesuchten Gesprächspartnerin und Ratgeberin. Besonders inspirierend dabei, wie Etty Hillesum beim Hineinhorchen in sich selbst und in ihren Alltag jenes Geheimnis entdeckt, das wir Gott nennen. „Und wenn ich sage, dass ich ‚hineinhorche‘, dann ist es eigentlich Gott, der in mich ‚hineinhorcht‘.“

Ein anderes Mal schreibt sie: „Die Menschen sind für mich manchmal wie Häuser mit offenstehenden Türen. Ich gehe hinein und streife durch die Gänge und Räume, und jedes Haus ist ein wenig anders eingerichtet, und doch sind alle gleich, und aus jedem Haus sollte man eine Bleibe für dich machen, mein Gott. Und ich verspreche dir, ich werde in so vielen Häusern wie möglich eine Unterkunft und eine Bleibe für dich machen, mein Gott.“ (659) Etty Hillesum versteht sich als Quartiermacherin Gottes – eine lustige Vorstellung, schreibt sie selbst. Aber welch ein Hintersinn! Christlich würden wir sagen: in jedem Menschen will Gott zur Welt kommen so wie einst in Jesus, dem Christus. Und jeder Mensch könnte eine Art Hebamme für diese Geburt Gottes im anderen sein.  Jedes Lächeln schon, jedes gute Wort wäre ein Beitrag dazu: eine rundum ermutigende Ausstrahlung erst recht. Etty Hillesum hat sie versprüht.  Davon sprechen alle, die sie kannten und nun kennen lernen können.

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SWR2 Wort zum Tag

10OKT2023
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Gleich zu Tagesbeginn wage ich es mit ein paar Sätzen, die ich unglaublich finde; sie stehen in einem aufregenden Tagebuch, rund 80 Jahre alt. Hier der Wortlaut: „Ich werde dir helfen, Gott, dass du nicht in mir zugrunde gehst … Aber eines wird mir immer klarer: dass du uns nicht helfen kannst, sondern dass wir dir helfen müssen, und dadurch helfen wir uns selbst.“ (620) So schreibt Etty Hillesum im Jahre 1942 in ihre Notizen - eine niederländische Jüdin, die die fortschreitende Judenverfolgung in Amsterdam miterlebt und selbst zu spüren bekommt. Hellwach ist sie, sie beobachtet genau, hilft, wo sie kann.   Dem Tagebuch vertraut sie ihr Innerstes an, ihr ständiges Zwiegespräch mit Gott – und das stärkt ihr den Rücken bis zuletzt. Noch die letzte Postkarte aus dem Güterwaggon nach Auschwitz beweist es, vor genau 80 Jahren.

Diese Etty Hillesum nimmt das ganze Leben ins Gebet. Offenkundig schmerzhaft hat sie Abschied genommen von der Vorstellung eines Helfergottes, der unmittelbar eingreift und alles gleich zum Guten wenden kann. Nein, allmächtig, ein Alles-Könner ist dieser Gott gerade nicht, und zaubern kann er auch nicht. Es gilt viel mehr selbst Verantwortung zu übernehmen - für ihn, für uns selbst und für andere. Fast mütterlich nimmt Etty sich dieses hilflosen, bedürftigen Gottes an. Ohnmächtig ist er, so wie nur Liebe ohnmächtig sein kann. Wir können und dürfen Gott eben nicht als Ausflucht und Ausrede nutzen. Der wirkliche Gott sucht viel mehr uns als Mitliebende und Mitsorgende. Auch das Leiden und Mitleiden gehört dazu, Etty Hillesum beschreibt das nüchtern, fast müsste man sagen: schwesterlich – und  immer voller Zuversicht, geradezu heiter. Nein „wir müssen dir helfen und dadurch helfen wir uns selbst“. ... „Ja, mein Gott“ – so fährt sie fort – „an den Umständen scheinst auch du nicht viel ändern zu können, sie sind nun einmal auch Teil des Lebens. Ich ziehe dich auch nicht zur Rechenschaft, du kannst uns später dafür zur Rechenschaft ziehen.“  Die junge lebenshungrige Frau erkennt ihre Verantwortung nicht nur vor Gott, sondern für Gott. Sie will ihm eine Bleibe erhalten im eigenen Leben und in ihrer Umwelt, sie sorgt sich um seine Zukunft.  Deshalb macht sie Hass und Hetze nicht mit, sie geht auch nicht in den bewaffneten Widerstand, sie setzt viel mehr ganz auf die Macht des Guten und den Sieg der Gerechtigkeit.  Sie setzt auf den ohnmächtig allmächtigen Gott, der sie ermächtigt. Ist nicht das eine Spiritualität mit Zukunft, könnte so ein erwachsener Glaube aussehen?

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SWR2 Wort zum Tag

09OKT2023
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Wann eigentlich entstehen Tagebücher? Was hat mich damals in jungen Jahren   umgetrieben, mich schreibend mit mir selbst zu beschäftigen? Gewiss war Neugierde und Entdeckerfreude im Spiel, aber auch die Not, mit mir selber klar zu kommen. Das Tagebuch als intime Clearing-Stelle. Wer bin ich, und wenn ja wie viele? In solch einer Lebenskrise schrieb Etty Hillesum ihr Tagebuch, das nun endlich ungekürzt auf Deutsch erschienen ist.  Sie war eine junge jüdische Frau, die im Amsterdam der Hitlerzeit ihren Weg suchte. Vor 80 Jahren ist sie, kaum 30-jährig, in Auschwitz ermordet worden. Ihr Tagebuch ist ein Dokument der Selbstfindung und der Zeitgeschichte, wie ich wenige kenne. Darin lese ich ziemlich am Anfang schon folgende Sätze: „In mir ist ein sehr tiefer Brunnen. Und darin ist Gott. Manchmal ist er für mich erreichbar. Aber öfter liegen Steine und Schutt auf diesem Brunnen, dann ist Gott begraben. Dann muß er wieder ausgegraben werden.“ (132) So wird das ganze Tagebuch zu einem einzigen Gespräch mit Gott: Das ganze Glück der Liebe und des Lebens wird ins Gebet genommen, nicht zuletzt die zunehmende Not durch die Judenverfolgung der Nazis. Den verschütteten Gott ausgraben im eigenen Leben – das ist ein starkes Bild für diesen Mut, sich selbst zu entdecken und der Realität standzuhalten. Dabei wird ihr immer klarer, dass Gott verlässlich da ist, sonst wäre ja auch sie nicht da. Der Brunnen in mir - welch ein sprechendes Bild für unerschöpfliche Tiefe und ständiges Quellwasser. Zu Lebzeiten Hillesums hat übrigens niemand von ihren vielen Freundinnen und Freunden erfahren, aus welcher Quelle sie schöpfen lernte. So intim ist die Sache mit Gott. 

Etty Hillesum hat Ende 1942 aufgehört, Tagebuch zu schreiben, gezwungen und nicht freiwillig. Wie gern wäre sie Schriftstellerin geworden. Aber auch sie musste schließlich ins Durchgangslager Westerbork. So vielen, die dort interniert waren, hatte sie zuvor geholfen hatte. Nur wenige Briefe kann sie noch schreiben. Aber „Chronistin ihrer Zeit“ ist sie geworden, Zeugin dafür, was Menschlichkeit heißt in unmenschlichen Verhältnissen. Im Tagebuch ist mit zu erleben, wie bösartig die jüdische Bevölkerung von den deutschen Nazis immer härter schikaniert wurde. Etty Hillesum aber weigert sich ganz bewusst, in den bewaffneten Widerstand zu gehen. Ganz entschieden kämpft sie gegen jede Art von Hass, immer auf das Gute vertrauend trotz allem. Bis zuletzt bleibt sie hoffnungsvoll, dem Leben zugewandt und l hilfsbereit, wo immer nur möglich. „In mir ist ein sehr tiefer Brunnen. Und darin ist Gott.“

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SWR2 Wort zum Tag

28SEP2023
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Nikolaus von der Flüe, als Schweizer Nationalpatron auch heute sehr verehrt, war ein verrückter Kerl, ein hundertprozentiger: Erst Bauer, Ehemann und Familienvater mit zehn Kindern und in der politischen Gemeinde hoch aktiv. Dann in einer Art Lebensmitte-Krise Aufbruch zu einer mystischen Gruppe der Gottesfreunde im Elsass, wohl mit ausdrücklichen Zustimmung seiner Frau, mit der er stets in Kontakt blieb. An der Grenze um Basel herum kommt ihm die Gewissheit, umzukehren. Ganz in der Nähe seines Bauernhofes lebt er dann als Einsiedler, noch heute ist seine Ranft in Flüeli bei Luzern ein unglaublich intensiver heiliger Ort.

Der alt und älter werdende Nikolaus war damals extrem viel um Rat gefragt, Könige und Gläubige suchten ihn auf, angesichts der Gefahr eines Bürgerkrieges wird er zum Schlichter. Als er 70jährig starb, war er längst eine Legende – und ein spiritueller Brennpunkt. Geschrieben hat er fast nichts, aber gelebt und gewirkt umso mehr.

Warum komme ich heute Morgen auf diesen sympathischen Gottes-Extremisten? Ihm wird aus guten Gründen ein Gebet zugeschrieben, das sich wie ein Mantra den ganzen Tag über beten lässt, einfach so zwischen drin und schließlich als tägliche Begleitmusik immer. Drei Verse sind es, mit denen sich der hingerissene Mann an Gott wendet.

Zuerst: „nimm alles von mir, was mich hindert zu dir“. Eine sehr verständliche Bitte, finde ich, wenn ich an Freunde und geliebte Menschen denke. Überhaupt Beziehung: sie lebt ja davon, zueinander zu kommen. Alles, was da hinderlich ist, möge verschwinden und soll beseitigt werden. Beten ist Beziehung.

Entsprechend der zweite Herzenswunsch des radikalen Nikolaus von der Flüe: „gib alles mir, was mich fördert zu dir“. Wer so betet, hat nur sein geliebtes Gegenüber im Blick. Ganz wie Jesus! „Mein Herr und mein Gott“, sagt Nikolaus ganz intim.

Deshalb als Resümee die dritte Bitte: „nimm mich mir und gib mich ganz zu eigen dir“. Das ist Liebessprache pur: den oder die Andere ganz im Blick, sich verlassen auf sie oder ihn, und das ganz. So auf Gott bezogen wird der Mensch frei, und der ist Tag gesegnet.  Ja, Gott, „gib alles, was mich fördert zu dir“!

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SWR2 Wort zum Tag

16AUG2023
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Manche werden ihn kennen, den Bamberger Reiter, die naturgroße Skulptur am Nordpfeiler im Georgenchor des Bamberger Domes. Ursprünglich wunderbar farbig gestaltet, reitet er seit Jahrhunderten schon durch das Fürstenportal auf das Grab seines Schwagers zu: Kaiser Heinrich II., der mit seiner Kunigunde im Mittelschiff begraben liegt. Warum erinnere ich an dieses Kunstwerk, diese klassische Reitergestalt? Viel spricht dafür, dass es sich da um den heiligen König Stephan von Ungarn handelt, und der steht heute im Festkalender der katholischen Kirche. Er gehört in die Reihe guter, ja idealer und natürlich idealisierter Herrschergestalten, und noch heute wird er als Patron Ungarns hochgeschätzt. Mit dem heiligen Stephan, Landesapostel und Schutzpatron der Ungarn, wird ihre Christwerdung verbunden, man kann also auch sagen, der Aufbau Europas.

Machthaber stehen meist nicht in gutem Ruf, und in der Tat ist die Gefahr groß, Macht zu missbrauchen oder totalitär zu handhaben.  Das ist leider auch in den Kirchen und ihren Geschichten festzustellen, in der Gesellschaft sonst und in Staaten, auch im heutigen Ungarn und seiner Politik in Europa. Aber deshalb Machtgebrauch zu verteufeln, wäre schlimm. Sie kann weiß Gott zum Guten genutzt werden, und das geschieht ja auch vielfältig. Manch ein Politiker macht sich verdient fürs Gemeinwohl, und ein wenig Einfluss und Verantwortung hat jeder und jede. Machen wir uns nicht kleiner als wir sind!

Für den heiligen Stephan und seine Frau Gisela jedenfalls war Gottes Gebot leitend, im Prinzip jedenfalls. Just im Jahr 1000 wurde er zum ersten König Ungarns gekrönt, und die Stephanskrone von damals gehört bis heute zum ungarischen Staatsschatz. Ganze 38 Jahre regierte er dann. „An Gottes Segen ist alles gelegen“: im gesalbten König soll politisch Gestalt werden, was für jeden Menschen gilt: Stellvertreter Gottes auf Erden zu sein und Sachwalter seiner guten Schöpfungsvorhaben.

Nichts ist heutzutage gebotener, als kreativ mit Macht umzugehen. Nicht verteufeln, nicht missbrauchen, sondern Einfluss nehmen und von der eigenen Macht guten Gebrauch machen.

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SWR2 Wort zum Tag

15AUG2023
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Ich bin jetzt 85 Jahre alt, längst frage ich mich, wo ich bleibe. Immer mehr Todesanzeigen von Jüngeren und Jungen kommen herein. Immer weniger selbstverständlich wird es, noch da zu sein. „Ich leb und weiß nit wie lang, ich sterb und weiß nicht wann, ich geh und weiß nicht wohin, mich wundert, dass ich fröhlich bin“ – heißt es in einem alten Gedicht.

Dagegen jubelt es heute in der katholischen Kirche: „Maria, mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen“. Früher sagte man zu diesem Tag Maria Himmelfahrt, was freilich viele missverstanden. „Mit Leib und Seele aufgenommen“ ist viel klarer. Wer wüsste nichts von dem wunderbaren Gefühl, gut aufgenommen zu werden und willkommen zu sein? Nach Hause kommen, kann wahnsinnig schön sein, und sollte es eigentlich immer. Hier fühle ich mich wohl, hier weiß ich mich verstanden, hier bin ich akzeptiert, wie ich bin, mit Licht und Schatten, mit Haut und Haaren, also „mit Leib und Seele“. Wo ich bleibe? Eben hier!

Im Grunde also ist heute, am Fest Mariä Himmelfahrt, Ostern. Wir feiern die Treue Gottes, der seinen geliebten Jesus nicht im schwarzen Loch verschwinden ließ. Wir feiern den Schöpfer des Lebens. Was in Jesus schon geglückt ist, soll für jeden Menschen gelingen.  Das gibt meiner Frage, wo ich bleibe, eine Richtung: ich werde ja erwartet, und nichts in meinem Leben war für die Katz. Welch unglaublicher Gedanke, welch ein Vertrauensvorschuss für meine Wenigkeit. „Mit Leib und Seele in den Himmel aufgenommen“, das heißt: rundum wirklich akzeptiert.  Natürlich, mein Körper verwest, und wie fragil alles ist, spüre ich jeden Tag mehr. Aber die Essenz meines Lebens, mein Scheitern und mein Gelingen, all das zwischen Wiege und Bahre, was mich ausmacht – es wird himmlisch aufgenommen und göttlich gewürdigt. Wenn das kein Anlass zur Freude ist!

Übrigens hat der große Marienverehrer Luther gesagt: „Ich lebe und weiß wie lang, / ich sterbe und ich weiß wann, / Ich geh und weiß, Gott lob, wohin, /mich wundert, dass ich traurig bin“. 

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SWR2 Wort zum Tag

14AUG2023
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Keinen Tag fangen wir bei Null an, auch heute nicht. Immer schon finden wir uns in Beziehungen vor, im Netzwerk von Geben und Nehmen. In meiner Kirche gibt es das tägliche Heiligen-Gedenken. Nie sind wir allein, immer stehen schon bewährte Leute bereit, sozusagen auf Abruf und zur Begleitung für den Tag, heute ist es Maximilian Kolbe, ein polnischer Franziskaner.  Er war ein scharfer Nazi-Gegner und wurde, nicht einmal 50 Jahre alt, in Auschwitz brutal ermordet. Schon das wäre des Gedenkens wert, aber noch bewegender ist etwas anderes. Der polnische Priester sprang nämlich freiwillig für jemand anderen ein und opferte ihm sein eigenes Leben.

Wieder einmal hatte es dort im KZ Fluchtversuche gegeben. Zur Abschreckung wählte der Lagerkommandant zehn Männer zur Hinrichtung aus, wahllos und vor versammelter Mannschaft. Ein junger Familienvater, Franz Gajowaczek, schrie verzweifelt auf, im Gedanken an Frau und Kind. Da trat völlig überraschend Maximilian Kolbe vor und bot sich zum Tausch an. Er ohne Frau und Kind und schon etwas älter, wollte dem Jüngeren das Leben retten. Tagelang war dann aus dem verfluchten Hungerbunker das Beten und Singen zu hören, bis man Pater Maximilian nach 14 Tagen Verhungern schließlich die tödliche Phenolspritze gab. Er „starb in einer Zeit des Hasses und brutaler Rücksichtslosigkeit. Der Mensch wurde erniedrigt zum Roboter, er galt noch weniger als ein Sklave“, sagte Karol Woytila bei der Seligsprechung 1971. Wenn ich an meinen Besuch dort in Auschwitz und auch im Hungerbunker denke, kommt mir auch nach 40 Jahren noch eine Gänsehaut. Und das auch beim Gedanken an die Heiligsprechung Kolbes in Rom. Da saßen Franz Gajowaczek und seine Frau total ergriffen in der ersten Reihe. Er noch am Leben dank Maximilian, und der schon lange tot – oder gerade eben nicht.

Ja, der eine lebt vom anderen, allein kann keiner sein. Bei diesem Maximilian Kolbe bekommt man eine Ahnung, wer Jesus war und aus welchen Quellen er lebte. Denn das Johannes-Evangelium hat schon Recht: „Eine größere Liebe hat niemand, als wer sein Leben hingibt für seine Freunde“. Dieses Jesus-Geheimnis hat Pater Maximilian ein Leben lang umgetrieben. Endlich Schluss mit dem Feinddenken und all dem Hass, und immer die Frage: Wo kann ich einspringen? Und: Was verdanke ich denen, die für mich schon eingesprungen sind?

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