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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

„Hier stehe ich. Ich kann nicht anders. Gott helfe mir“- Heute ist der Jahrestag dieses Satzes. Am 18. April 1521  soll Martin Luther das gesagt haben, in Worms vor dem Reichstag. Kaiser Karl V hatte ihn geladen, damit er seine reformatorische Lehre widerrufen sollte.

Luther war aber der Überzeugung, dass ein Mensch in erster Linie Gott verantwortlich ist. Und sich erst in zweiter Linie vor den staatlichen und kirchlichen Autoritäten verantworten muss. Doch so etwas zu behaupten, das hatte damals echte politische Sprengkraft. Es stellte die Autoritäten in Frage und ihre Macht über die Untertanen im Staat und in der Kirche.  

Luther hat nicht widerrufen. Er war der festen Überzeugung: Ein Gewissen kann niemandem untertan sein. Es ist frei. Nur Gott gegenüber muss ein Mensch Rechenschaft ablegen. Das persönliche Gewissen eines Menschen hat absoluten Vorrang vor allen Ordnungen, die Menschen sich geben. Menschen können sich irren. Sie können falsche Entscheidungen treffen und nicht alle Folgen ihrer Entscheidungen wirklich gut genug abschätzen.

Gott helfe mir. Manche Politiker sagen das bis heute beim Amtseid. Zum Beispiel der neue Bundespräsident Frank Walter Steinmeier. Das ist mir aufgefallen, weil ich darauf geachtet habe, wie er wohl seinen Amtseid beenden wird. „So wahr mir Gott helfe.“ - Ich weiß, Politiker müssen diesen Satz nicht sagen. Das ist im Grundgesetz ausdrücklich so festgelegt. Glaubens- und Gewissensfreiheit  ist in Deutschland ein äußerst hohes Gut.

Darum höre ich jedes Mal auch genau hin, was eine Politikerin oder ein Politiker sagt beim Amtseid - oder eben weglässt. Es interessiert mich, was ihr Gewissen bei großen und wichtigen Entscheidungen leiten wird. Und woher sie die Kraft nehmen zu protestieren, wenn ihr Gewissen einmal „nein“ sagen sollte, bei einer politischen Entscheidung.

Luther zu seiner Zeit war der Meinung, um solche Gewissensentscheidungen muss man ringen, immer wieder, mit allen Kräften der Vernunft und mit allem, was man aus den biblischen Schriften an Orientierung und Hilfe bekommen kann. Und kritisch sich selbst gegenüber, weil man sich ja auch irren kann.  Darum der Zusatz  „Gott helfe mir“. Er bedeutet, ich tue, was ich kann. Und ich mache es, so gut es nur geht. Doch für das, was nicht in meiner Macht liegt, dafür brauche ich den Segen Gottes. Das ist mir bewusst. Und darum bitte ich, so wahr mir Gott helfe.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Im Mittelalter ist es ein Oster-Brauch gewesen, dass der Pfarrer am Ostermorgen auf der Kanzel einen Witz erzählt und die Gemeinde zum Lachen bringt. Christus ist auferstanden, jetzt wird gelacht.  Der Tod, die schlimmste Bedrohung für den Menschen, hat seine Macht verloren. Keine böse Macht kann einem jetzt noch wirklich etwas anhaben.

Einer, der es fertig gebracht hat,  dem Bösen ins Gesicht zu lachen, war Martin Luther. Besonders dann, wenn jemand öffentlich Hass und üble Nachrede über ihn verbreitet hatte. Vor 500 Jahren schon hat Martin Luther zu spüren bekommen, dass andere öffentlich über ihn hergezogen sind.

Aber er konnte damit umgehen. Meistens jedenfalls. Weil er überzeugt davon war, dass kein Hass und keine Gewalt  und keine Todesdrohung ihm ernsthaft schaden können. Er war schließlich ein getaufter Christ. Und für den gilt sinnbildlich-, er ist mit Christus gestorben und ist mit ihm auferstanden. Dagegen kann keine Todesmacht mehr ankommen und auch keine Gerüchteküche. Davon war Martin Luther überzeugt.

Einmal hat Luther so eine Hass-Schrift über sich selbst in die Finger bekommen. Es war die Nachricht über seinen eigenen Tod:  über sein „gotteslästerliches Sterben“ und seine anschließende Höllenfahrt. Luther hat nur gelacht und erwidert: Er, Martinus Luther, bezeuge den Empfang der Nachricht von seinem Tod. Er habe sie „fast gern und fröhlich gelesen“, ja, er fühle sich dadurch „sanft an der rechten Kniescheibe und an der linken Ferse gekitzelt“.
Es war ihm anscheinend völlig egal, was da irgendjemand über ihn verbreitet hat. Er hat nur darüber gelacht und seine Witze gemacht.

Dass Luther das konnte, das hat etwas mit Ostern zu tun. Und auch mit dem Osterlachen. Luther glaubt fest: Wenn einer Macht hat über ihn, dann ist das Christus. Der ist auferstanden und stärker als der Tod. Und der will nicht seinen Tod, sondern sein Leben. Das genügt. Und das macht ihn stark und mutig. Meistens jedenfalls.

Dass der Reformator nicht immer nur souverän gewesen ist, das kann man in seinen Schriften allerdings auch finden. Manchmal war er auch verzagt und mutlos oder verletzt durch das, was andere über ihn verbreitet haben. Aber das macht ihn für mich nicht unglaubwürdig. Im Gegenteil, ich finde das normal und sehr menschlich. Zum Glauben gehört eben nicht nur die Stärke, sondern auch die Schwäche und die Unsicherheit. Beides darf sein. Sogar an Ostern.

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Anstöße sonn- und feiertags

Das Leben geht weiter. Dieser Satz hat für mich vor ein paar Tagen eine ganz neue Bedeutung bekommen. Ich habe mit einer Frau gesprochen, deren Mann letztes Jahr gestorben ist. Damals hat sie gesagt, resigniert und traurig: Was soll ich machen? Das Leben muss halt weitergehen. Jetzt habe ich sie wieder getroffen. Da hat sie diesen Satz auch gesagt: Das Leben geht weiter! Doch das klang jetzt ganz anders. Mutiger und kraftvoller.

Woran sie das denn merke, dass das Leben weiter geht, habe ich sie gefragt.
Und sie hat geantwortet: Der Trauerschleier über meinem Leben verzieht sich langsam. Ich kann mich manchmal wieder freuen. Und ich spüre wieder, dass mein Leben wirklich weitergehen wird. Und weiter hat sie gesagt: Manchmal stehe ich morgens auf und kann wieder tief durchatmen. Und bin dankbar, dass ich leben kann. Das ist dann wie  eine Auferstehung aus meiner Traurigkeit.

Als sie das gesagt hat, da ist mir klar geworden: Das Leben geht weiter - im Grunde ist das der Ostersatz schlechthin! Es gibt eine Auferstehung. Nicht erst nach dem Tod, sondern auch jetzt schon. Wenn die Traurigkeit weicht, wenn einem nicht mehr alles egal ist, wenn man plötzlich wieder Freude fühlt und nicht nur die Trauer. Ich finde, wenn man das wieder kann, nach einer schweren Zeit, das ist dann eine kleine Auferstehung. Das ist dann Ostern: das Leben geht weiter. Hans Magnus Enzensberger hat ein Gedicht geschrieben, das ist für mich ein Ostergedicht.

Es heißt: „Zurück an den Absender“. Der Dichter lässt offen, an wen er es schreibt.
Aber jedenfalls ist es ein großer Dank an das Leben und an den, der das Leben geschenkt hat:

„Vielen Dank für die Wolken.
Vielen Dank für das Wohltemperierte Klavier
und, warum nicht, für die warmen Winterstiefel.

Vielen Dank für mein sonderbares Gehirn
und für allerhand andre verborgene Organe,
für die Luft, und natürlich für den Bordeaux.

Herzlichen Dank dafür, dass mir das Feuerzeug nicht ausgeht
und die Begierde, und das Bedauern, das inständige Bedauern.

Vielen Dank für die vier Jahreszeiten,
für die Zahl e und für das Koffein,
und natürlich für Erdbeeren auf dem Teller,
gemalt von Chardin, sowie für den Schlaf,
für den Schlaf ganz besonders,
und, damit ich es nicht vergesse,
für den Anfang und das Ende
und die paar Minuten dazwischen
inständigen Dank,
meinetwegen für die Wühlmäuse draußen im Garten auch.“ 

Dankbar sein und wieder Freude am Leben haben. Auch das ist Ostern.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Mein Computer-Programm hat mir einen eigenartigen Vorschlag gemacht. Einen Terminkalender von Montag bis Freitag. Ich finde das verrückt. Als ob ich am Samstag und Sonntag keine Termine und vor allem keine Pflichten hätte. Am Wochenende wartet eigentlich immer Arbeit auf mich. Alles, was unter der Woche liegen geblieben ist, muss jetzt erledigt werden – die Wäsche, der Einkauf, der Garten. Die Versuchung, rund um die Woche zu arbeiten, ist groß für Berufstätige mit Haushalt und Familie.

An mir selbst habe ich aber beobachtet:  es ist nicht gut, die ganze Woche durchzuarbeiten. Mir fehlt dann die Erholung. Mir fehlt der gesunde Rhythmus zwischen Ruhe und Arbeit. Dass dieser Rhythmus für uns lebensnotwendig ist, das lese ich in der Bibel.

 „Am Anfang“, wird da erzählt, schuf Gott Himmel und Erde“. Sechs Tage hat er dazu gebraucht und am 7. Tag hört er auf zu arbeiten. Nicht weil er müde ist oder erschöpft. Gott hört auf zu arbeiten, weil er sich freut über seine Schöpfung. Die ist ihm so gut gelungen, dass es in der Schöpfungsgeschichte immer wieder heißt „ Siehe, es war sehr gut!“.

Was könnte das für meine Zeitplanung heißen? Vielleicht das: Am Sonntag könnte auch ich zurückschauen, auf das, was ich in den sechs Arbeitstagen gemacht habe. Und mich darüber freuen, was ich alles geschafft habe. Und selbst wenn manches nicht so optimal war, wie ich es mir vorgestellt habe, könnte ich doch trotzdem einmal versuchen zu sagen: So wie es war, war es gut. Vielleicht sind die Fehler der vergangenen Woche keine Katastrophe. Sie bringen mich ja weiter. Ich stelle mir vor, wie entlastend das sein könnte, zurückzuschauen und zu sagen: Diese Woche war gut so, wie sie war. Ich bin einverstanden mit ihr, mit dieser Woche in meinem Leben. Ich finde, das sind gute Sätze für den Sonntag.  Sätze zum Zur-Ruhe-kommen und zum Aufatmen.

Wenn ich das bedenke, dann müsste ich mir meinen Kalender eigentlich so einrichten: Sechs Arbeitstage – fünf davon für meine Erwerbsarbeit und einen für die Hausarbeit. Den 7. Tag aber, den könnte ich ganz füllen, mit den Dingen, die ich gut und schön finde. Ein schönes, langes Frühstück mit der Familie. Zur Kirche gehen, ruhig auch alleine, wenn die Familie nicht mitzieht. Gemeinsam kochen, zusammen spielen, ein Mittagschlaf. Sich draußen bewegen, Zeit haben zum Reden und zum Zuhören.

Ach, wäre das ein schöner Sonntag! Und das Beste daran – ich kann das jederzeit genauso machen! Ich finde das sehr gut.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Natürlich hat die Tochter ja gesagt und unterschrieben, als die Mutter ihr die Patientenverfügung  hingelegt hat.
Selbstverständlich würde sie dafür sorgen, dass die Mutter am Ende ihres Lebens nicht leiden muss, sondern in Frieden sterben kann. Das ist doch keine Frage.

Womit sie aber nicht gerechnet hatte, das waren die vielen Fragen, als es dann wirklich so weit war. Als sie den entscheidenden Satz sagen sollte, damit die lebenserhaltenden Apparate abgestellt werden konnten.
„Es war der Wunsch meiner Mutter. Keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr“.

Sie war die Bevollmächtigte. Doch erst jetzt ist ihr die ganze Tragweite bewusst geworden. Was das heißt , Vollmacht  zu haben für einen anderen Menschen.  Bevollmächtigt zu entscheiden über weiterleben und weiterleiden – oder sterben.

Nie hat sie sich ohnmächtiger gefühlt, als in dem Moment, in dem ihre Vollmacht gefragt war.  Hin und her gerissen zwischen ihrem eigenen  Wunsch, dass die Mutter doch noch bleiben soll und dem, was die Mutter gewollt hätte. Wie hätte Mutter jetzt, in dieser Situation entschieden, wenn sie sich noch hätte äußern können?  Stundenlang hat sie am Bett gesessen und versucht, die richtige Entscheidung zu treffen. Sie hat gebetet und Gott um Beistand gebeten. Sich mit den Ärzten und Schwestern beraten, sich alles Medizinische genau erklären lassen.

Aber im Grunde hatte ihr die Mutter die Entscheidung längst abgenommen. Sie hat ihr ja gesagt, was sie will, wenn ihr Leben zu Ende geht. „Keine lebensverlängernden Maßnahmen!“ Genau dafür hat sie ihr in der Patientenverfügung die Vollmacht geben, für den Fall, dass sie selbst keine Entscheidung  mehr treffen kann.

Nie wird die Tochter den Moment vergessen, als die Ärztin gesagt hat:
„Sie haben die Vollmacht, Sie entscheiden für ihre Mutter.“
Und wie sie dann wirklich entschieden hat: „Jetzt keine weiteren medizinischen Maßnahmen mehr. Das ist der Wille meiner Mutter.“ Da hat sie begriffen, was das wirklich heißt: Vollmacht zu haben für einen anderen Menschen.

Dass es nichts mit Macht zu tun hat, sondern mit Liebe. Und dass es ein Liebesdienst ist, wenn ein Mensch einem anderen verspricht:  ja, ich bin bereit, dir zu helfen, dass Du gut sterben kann. Ohne Leiden und ohne Schmerzen und ohne Qual. Ich bin bereit, an deiner Stelle zu sagen „Jetzt keine lebensverlängernden Maßnahmen mehr“. Und mit Gottes Hilfe wird es dann die richtige Entscheidung sein.

Das Formular zur Patientenvorsorge findet man hier: http://www.ekd.de/patientenvorsorge/

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Ich kenne zwei junge Frauen, die haben beide eine chronische Krankheit. Sie haben mir erzählt, dass sie manchmal die gut gemeinten Worte anderer Leute fast nicht mehr ertragen können. 
Wie oft haben sie das schon gehört: „Deine Krankheit hat dich unheimlich reif gemacht für dein Alter. Ich bewundere dich. Du bist so ein tapferer Mensch! Und immer so positiv!“.

Von wegen, immer positiv. Sie haben eine Wut auf ihre Krankheit. Sie finden es einfach „Scheiße“, dass sie krank sind und sie können nichts, aber auch gar nichts positiv daran finden. Und diese ermutigenden Sätze von deren Leuten haben sie auch satt.

Sie sagen: Die können sich doch gar nicht vorstellen, wie es ist, immer krank zu sein. Und auf vieles verzichten zu müssen, was andere junge Leute so selbstverständlich machen können. Abends weggehen zum Beispiel und die Nacht durchfeiern. Eine anstrengende Sportart ausüben. Alleine verreisen, in fremde Länder. Der eigene Körper könnte einem ja immer einen Strich durch die Rechnung machen. Was soll daran bitte positiv sein, seine Zeit in Arztpraxen und Kliniken und bei Therapeuten zu verbringen und sich in der Freizeit dann noch mit den Nebenwirkungen von Medikamenten rumschlagen zu müssen?

Ein Glück, dass die beiden sich kennengelernt haben, finde ich. Und dass sie sich erzählen können, wie ihnen die gutgemeinten Worte manchmal auf die Nerven gehen. Weil man eben nicht immer positiv sein kann und auch nicht immer positiv sein will. Sondern auch hilflos ist und deprimiert oder manchmal eben auch wütend und ungehalten.

Eine der beiden sagt: „Ich habe manchmal das Gefühl, meine Wut halten die anderen noch schlechter aus als meine Krankheit. Aber sie meinen es ja  gut.“

Ja, so ist das manchmal. Wir wollen einem kranken Menschen etwas Gutes sagen und finden nicht die richtigen Worte. Weil wir nur erahnen können, wie es ihm geht. Und dann nehmen wir eben diese Sätze, die alle anderen auch benutzen. Weil wir es im Moment nicht besser können.

Von den beiden jungen Frauen habe ich gelernt: Bevor ich mit gut gemeinten positiven Sätzen komme, ist es besser, erst einmal zu fragen und erst einmal zuzuhören.

Wie geht es Dir heute? Und wenn heute ein Tag ist, an dem du schimpfen musst und wüten über die Krankheit – dann will ich mir auch das anhören und es nicht schönreden. Sondern mit dir zusammen sagen – ja, es ist Mist und überhaupt nicht gut, dass du krank bist. Ich bin jetzt da und ich höre deinen Ärger und deine Wut.

Ich meine, das ist manchmal ein besserer Trost als positive Worte. 
Denn schließlich sind Wut und  Ärger starke Lebenskräfte. Und manchmal gibt nur noch Wut die Kraft, mit der Krankheit zu leben.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Was tröstet, das bestimme nicht ich. Was wirklich tröstet, das bestimmt allein derjenige, der Trost braucht. Andere können mit ihren Versuchen zu trösten, ziemlich daneben liegen.
Die Bibel erzählt von Hiob. Seine drei Freunde versuchen vergeblich  ihn zu trösten.  Hiob, ein untröstlicher Mensch. Erst verarmt er unverschuldet. Dann sterben seine Kinder. Und schließlich wird er selbst noch todkrank.

Kann es überhaupt einen Trost geben für jemand, der so leiden muss? Hiob findet ihn selber. Er sagt:. „Gott hat‘s gegeben, der Herr hat‘s genommen“.
Ich aber finde, so kann man keinen Menschen trösten. Auf mich wirkt dieser Satz überheblich und besserwisserisch.

So habe ich jedenfalls gedacht, bis ich zwei Menschen kennengelernt habe, die jeder ein Kind verloren hatten. Beide sagten unabhängig voneinander: Wenn wir diesen Satz nicht gehabt hätten, wir wären verrückt geworden. Bitte nehmt uns diesen Satz nicht. Er hat uns geholfen, etwas anzunehmen, was man eigentlich gar nicht annehmen kann - den Tod des eigenen Kindes. Das ist doch das schlimmste Leid, das einen treffen kann.

Diese beiden verwaisten Eltern sagten: Von einem anderen Menschen hätten wir uns das wahrscheinlich nicht sagen lassen. Aber wir selbst haben uns das Bibelwort gesagt. Und es hat uns geholfen.

Gott hat‘s gegeben: das macht uns dankbar für die Zeit, die wir hatten mit unserem Kind, die glücklichen Tage, die schönen Stunden im Urlaub, die Schulzeit, die Liebe, die wir uns geben konnten.

Und dann eben: Gott hat‘s genommen: wir verstehen den Tod  nicht.  Aber es tröstet uns irgendwie, dass Gott die Lebenszeit unserer Kinder bestimmt hat und nicht ein betrunkener Autofahrer oder der Tumor, der irgendwann da war. Gott hat das Kind jetzt in seine Arme genommen, wo wir als Eltern das nicht mehr tun können. Irgendwie tröstet uns diese Vorstellung. Auch wenn wir trauern und den Tod nicht verstehen.

Und dann haben diese beiden Eltern gesagt: Bitte nehmt uns nicht unseren Trost. Und sagt uns vor allem nicht, was ein guter Trost ist und was nicht. Ihr seid nicht betroffen. Ihr könnt das nicht beurteilen.
„Gott hat’s gegeben, Gott hat’s genommen.“ Ich weiß nicht, ob mich so ein Satz trösten könnte.

Aber ich habe etwas gelernt aus der Reaktion jener Eltern, die ihre Kinder verloren hatten.  Was ein Mensch als Trost empfindet, das ist ein Trost. Mir steht es nicht zu, darüber zu urteilen.  Was wirklich tröstet, das entscheidet immer derjenige, der den Trost braucht.

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Es ist ein Elend, wenn Menschen aufgrund ihres Glaubens gegeneinander kämpfen. Aber es ist ein Segen, wenn ihnen derselbe Glaube wieder zum Frieden hilft.

So war das mit James Wuye und Muhammad Ashafa. Der eine ist Pfarrer, der andere Imam. Früher waren sie Feinde. Todfeinde. Sie bekämpften sich bis aufs Blut. James als Mitglied einer militanten christlichen Miliz. Muhammad als Führer auf der muslimischen Seite.

Das war vor 18 Jahren. Heute sind sie Freunde und arbeiten Hand in Hand für den Frieden.  Aber nicht mehr mit Gewalt, sondern mit Worten und Friedens-Gesprächen, zu denen sie Christen und Muslime zusammenbringen. In ihrer Heimat Nigeria sieht man den evangelischen Pfarrer und den Imam immer zu zweit. Sie leben es einfach vor, dass Frieden, Toleranz und Freundschaft zwischen Christen und Muslimen möglich ist, auch mit ganz schlechten Erfahrungen. 

Den Hass auf die andere Religion hatten sie schon als Kinder gelernt. Aber irgendwann haben sich beide gefragt: Stehen unsere militanten Operationen tatsächlich unter Gottes Schutz und Segen? Gefällt es Allah wirklich, wenn ich die Ungläubigen mit solchem Hass verfolge?

Schließlich tat Muhammad  den ersten Schritt. Er, der Imam, schlug dem Pfarrer ein öffentliches Gespräch vor. Christen und Muslime sprechen miteinander über ihren Glauben. Und siehe da: Schon bald ging es nicht mehr um das Rechthaben. Schon beim 2. Treffen  ging es um den Frieden und die Nächstenliebe. Nur so können Christen und Muslime gut zusammen leben. Da waren sie sich einig.

Interfaith Mediation Center -interkulturelles Zentrum für Konfliktlösung- heißt die Organisation, die James und Muhammad heute gemeinsam leiten.  Zehn Paare – Imame und Pastoren- sind unterwegs mit der Botschaft: Eure Religionen wollen nicht den Krieg, sondern den Frieden. Ihr seid Töchter und Söhne des einen Gottes, keine Feinde.

Als Christen und als Muslime sind sie überzeugt: Unser  Glaube ist das kraftvollste und das einfühlsamste Instrument, um unsere Gesellschaft wieder menschenfreundlich zu machen.  Sie organisieren Workshops zu gewaltfreier Konfliktlösung für diejenigen, die im Lande die Entscheidungen treffen. Religiöse Führer, Politiker, Unternehmer , Beamte und Jugendliche. Und immer beginnen sie mit einem Gebet, jeder zu seinem Gott. Damit berühren sie die Menschen, weil sie leben, was sie predigen. Weil sie selbst einen weiten Weg gegangen sind: von Unruhestiftern zu Friedensmachern.
Ich frage mich: Warum sollte das, was in Nigeria möglich war, bei uns hier in Deutschland nicht gelingen?

Eine Reportage über James Wuye und Muhammad Ashafa finden sie in der Zeitschrift „Mut, Magazin für Lösungen 1/2016, S.6-17

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Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

Zwischen Jammern und Klagen ist ein himmelweiter Unterschied. Wer jammert, der dreht sich im Kreis und ändert gar nichts. Klagen aber hilft und bringt weiter.

Zuerst das Jammern: Die Chefin, die Kollegen, der Haushalt, der Ehemann, die Kinder, die Kopfschmerzen…jammern kann man immer. Es nützt nur nichts. Es bleibt alles so, wie es ist. Wer viel jammert, zieht sich selbst immer weiter nach unten und andere gleich noch mit.

Forscher haben über das Jammern herausgefunden: wer immer wieder über dasselbe jammert, der will eigentlich gar nichts ändern. Der will eher sagen: „Eigentlich habe ich mir mein Leben ganz anders vorgestellt.“ oder „ Ich will, dass Du siehst, was ich alles leiste.“ Oder man will sich schützen. Wenn zum Beispiel jemand um sein gutes Gehalt beneidet wird, jammert er vielleicht über die viele Arbeit. Dann wird der Neid weniger.

Mit dem Klagen ist das ganz anders. Klagen sind nichts Alltägliches. Wer klagt, der erlebt gerade Außerordentliches, das ihn erschüttert. In Mark und Bein. Ein geliebter Mensch ist gestorben. Eine Krankheit ist diagnostiziert worden. Es gibt keinen Weg zurück mehr in die Heimat. Wer das erlebt, der muss klagen. Weil der Schmerz so groß ist. Und das Leid so ausweglos. Die Klage kommt aus tiefstem Herzen. Sie braucht nicht viele Worte, aber die sind erschütternd:

 „Wie lange noch muss ich Schmerzen ertragen in meiner Seele, in meinem Herzen Kummer, Tag für Tag… meine Seele will sich nicht trösten lassen… Ich bin so voller Unruhe, dass ich nicht reden kann…“( Ps 77)

Viele solcher Klagen stehen in der Bibel, in den Psalmen. Sie nehmen dort sogar sehr viel Raum ein. Weil wir Menschen klagen müssen, wenn wir etwas nicht mehr ertragen können. Damit wir nicht in unserem eigenen Elend versinken. Und wenn das Leid so groß wird, dass niemand mehr helfen kann, dann brauchen wir eine höhere Macht, vor der wir klagen können: „Gott, sieh her. So geht es mir. Ich bin in so großer Not. Ich will das nicht länger hinnehmen, was mit mir geschieht. Ich spreche es aus. Ich werfe es dir hin. Tu was! Ich kann nicht mehr.“

Ich glaube, wer so klagt, der hört auf, im eigenen Leid zu versinken. Der bringt es heraus, was so furchtbar schmerzt. Wer klagt, der sehnt sich nach Heilung seines Schmerzes. Auch, wenn im Moment noch gar nichts davon zu spüren ist.

Was ich mir darum wünsche für Sie und für mich, das ist der Mut zur Klage, wenn es nötig ist. Und heute möglichst wenig Anlass zum Jammern.

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Oskar ist erst zehn. Er weiß, dass er bald sterben muss. Er hat Leukämie. Doch die Erwachsenen reden nicht mit ihm darüber. Aber zum Glück gibt es im Krankenhaus die „Dame in Rosa“. Unerschrocken erzählt Eric- Emmanuel Schmitt in seinem Buch „Oskar und die Dame in Rosa“ von der Krankheit und dem Tod dieses Kindes.

Für mich ist es ein Lehrbuch dafür, dass es nicht unbedingt darauf ankommt, ein Leiden zu verstehen. Viel wichtiger ist es, im Leid zu be-stehen. Und es aushalten zu können und durchzuhalten ohne zu verzweifeln. Das kleine Buch zeigt mir auch, dass wir Menschen brauchen, die uns dabei begleiten. Und auch, dass wir selbst manchmal die Menschen sind, die das für andere tun sollen. Mitgehen, dabei sein, so mutig sein, mit einem anderen Menschen auf sein Sterben zuzugehen.

So wie die Dame in Rosa Oskar dabei hilft, seinen letzten Weg zu gehen. Einmal führt sie ihn in die Krankenhauskapelle. Dort sieht Oskar zum ersten Mal ein Kruzifix. Nach dieser Begegnung schreibt er einen Brief an den lieben Gott:

„Ich habe natürlich einen Riesenschreck bekommen, als ich dich dort hängen sah. Als ich dich in diesem Zustand gesehen habe, fast nackt, ganz mager an deinem Kreuz, überall Wunden, die Stirn voller Blut durch die Dornen, und der Kopf, der dir nicht mal mehr gerade auf den Schultern saß. Das hat mich an mich selbst erinnert. Ich war empört. Wär ich der liebe Gott, wie du, ich hätte mir das nicht gefallen lassen.“

Später fragt er: „Oma Rosa, im Ernst… Sie werden doch so einem nicht vertrauen!“ „Warum nicht Oskar?“ fragt die Dame in Rosa zurück. „Würdest du dich eher einem Gott anvertrauen, wenn du einen Bodybuilder vor dir hättest, mit wohlgeformten Fleischpaketen, prallen Muskeln, geölter Haut,...? Denk nach Oskar. Wem fühlst Du dich näher? Einem Gott, der nichts fühlt, oder einem Gott der Schmerzen hat?“ „Einem, der Schmerzen hat, natürlich.“ ( S. 63f) antwortet Oskar.

Der krebskranke Junge spürt, ein allmächtiger, starker Gott hätte kein Herz für so einen kleinen kranken Jungen. Aber einem Gott, der selbst leidet, so einem Gott kann sich Oskar nahe fühlen, weil der mehr versteht von der Krankheit und vom Tod als die Ärzte.

Ich finde, „Oskar und die Dame in Rosa“ ist ein gutes Buch für die Karwoche. Aber es ist auch ein Osterbuch. Denn am Ende steht nicht der Tod, sondern das neue Leben bei Gott.

Als Oskar gestorben ist, schreibt auch die Dame in Rosa einen Brief an den lieben Gott: „P.S.: Die letzten drei Tage hatte Oskar ein Schild auf seinen Nachttisch gestellt. Ich glaube, es ist für Dich.(Gott) Es stand drauf: „ Nur der liebe Gott darf mich wecken.“

Eric-Emmanuel Schmitt, Oskar und die Dame in Rosa

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