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SWR2 Wort zum Sonntag

In der ganzen katholischen Kirche wird der „Welttag der sozialen Kommunikationsmittel" begangen. Es ist keine neue Erfindung, sondern wir haben jetzt bereits das 44. Jahr seiner Wiederkehr. Der Papst veröffentlicht immer zu diesem Tag eine Botschaft zu einem bestimmten Thema, so z.B. eine Ermutigung der Verantwortlichen für die Kommunikationsprozesse, eine Kultur des Respektes vor der Würde und dem Wert der menschlichen Person zu fördern. In diesem Jahr lautet das Thema „Der Priester und die Seelsorge in der digitalen Welt - die neuen Medien im Dienst des Wortes". Die Priester werden damit eingeladen, mit Weisheit die außergewöhnlichen Gelegenheiten zu ergreifen, die sich durch die moderne Kommunikation bieten. Doch wird man auch bekennen müssen, dass dieser Tag der sozialen Kommunikationsmittel noch nicht so recht eine nachhaltige Verankerung gefunden hat, die eigentlich notwendig ist. Am meisten fällt vielleicht die Kollekte in den Gottesdiensten auf, die der Kirchlichen Medienarbeit zugute kommt.

Deshalb mag es gut sein, an die Bedeutung der sozialen Kommunikationsmittel für den Menschen und an die Aufgabe der Kirche in diesem Kontext wenigstens kurz zu erinnern. Der Mensch ist kein Einsiedler am Rand der Welt, er ist auch kein Robinson auf einer einsamen Insel. Zu ihm gehört von seinem Wesen her die Kommunikation, ganz wörtlich übersetzt: die Mitteilung an andere und dadurch auch die Herstellung von Gemeinschaft mit ihnen. Ob es jetzt um die Übermittlung dringender Nachrichten geht oder ob es Erzählungen oder Unterhaltung ist, ist eigentlich zweitrangig. Die Menschen waren immer erfinderisch, um vor allem Entfernungen zu überwinden. Ob es ein Lautsprecher ist, ein Alphorn in den Schweizer Bergtälern oder Telefon- und Funkverkehr. Dies hat sich in unserer modernen Welt im Bereich der Medien, der Nachrichtenübermittlung und des Internet ungeheuer erweitert. Diese Kommunikation nimmt uns oft den ganzen Tag in Anspruch. Manche leben fast nur mit Hilfe dieser Kommunikation und blenden viele Formen der Gemeinschaft, vor allem der unmittelbaren Begegnung aus. Sie werden gerade wegen eines Übermaßes an Kommunikation auf neue Weise einsam. Deswegen gibt es den guten Rat, in einer neuen Form des Fastens auch einmal für einige Zeit Abstand zu nehmen z.B. vom Fernsehen oder auch vom Internet. Gerade die moderne Kommunikation darf keine Sucht werden, durch die dann das normale und natürliche Gespräch mit der Umwelt, mit der Familie und mit Freunden ungebührlich zurückgedrängt oder gar verdrängt wird.

Wir sind in unserer Kommunikation keine reinen Geister wie die Engel. Wir sind Menschen aus Leib und Seele, Fleisch und Blut. Deshalb fließen in die menschliche Kommunikation auch Interessen, Machttendenzen, Leidenschaften und Geldgier ein, ja wir wissen heute, dass gerade in Diktaturen die Menschen mit den Kommunikationsmitteln beherrscht werden. Um so wichtiger ist die Meinungsfreiheit in einer Gesellschaft. Man muss dann viele Stimmen, das Für und das Wider sagen und vernehmen können. Durch diesen ungeheuren Strom wird unsere Welt freilich manchmal so vielfältig, widersprüchlich, wirr und undurchdringlich, dass die Selbstständigkeit im Denken gefährdet und eben auch verletzt wird. Die Medienpädagogik, die vor Jahrzehnten immer wieder in ihrer Wichtigkeit betont worden ist, zieht dabei den kürzeren.

Eine solche kurze Erinnerung zeigt uns, wie sehr wir die Kommunikation immer wieder fördern, aber auch schützen und reinigen müssen. Denken wir nur an die Rolle der Pornografie. Darum tut zur grundsätzlichen Besinnung ein solcher Tag der sozialen Kommunikationsmittel gut.

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SWR2 Wort zum Sonntag

Im Augenblick werden durch Wortgefechte viele Probleme in der Politik und in der öffentlichen Diskussion erst so richtig geschaffen. Nun könnte man darüber hinweggehen, denn zum politischen Leben gehört die Auseinandersetzung, am besten durch die Kraft des Wortes. Dass da auch viel Gerede und Geschwätz dabei sind, ist nicht so ungewöhnlich. Was aber in letzter Zeit nachdenklicher stimmt, ist die Art und Weise, wie politisch tätige Menschen, die zum Teil auch eine lange und hohe Verantwortung in unserem Gemeinwesen tragen, behandelt werden. Gewiss muss man in jeder öffentlichen Position eine Menge von Kritik, manchmal auch Häme ertragen, ohne selbst in diesem Stil zurückschlagen zu können. Was aber in letzter Zeit sich ereignet hat, geht darüber hinaus.
Am deutlichsten ist dies vor und nach dem Rücktritt von Bundespräsident Köhler geschehen. Zur Kultur des Wortes gehört auch, dass man ein vielleicht missverständliches, aber doch auch leicht zu interpretierendes Wort vernünftig auslegt. Worte mit Achtung und Wohlwollen auszulegen gehört zu den Grundregeln z.B. der klassischen Redekunst. Heute muss man gelegentlich den Eindruck gewinnen, bei jedem diskutablen Wort vor allem politisch Verantwortlicher würde ein Wolfsrudel freigelassen, das sich darauf stürzt. Dazu gehört freilich auch, dass man einige, die es nicht verdienen, niedermacht, andere, die es auch nicht verdienen, in den Himmel hebt. Anständigkeit und Bodenständigkeit, Bescheidenheit und Bewährung in vielen kleinen Dingen werden eher verhöhnt. Man hat den Eindruck, dass man gewisse Leute von vornherein erledigen will.
In diesem Zusammenhang ist es eine Aufgabe der Kirche zu Maß und Mäßigung aufzurufen. Wer viele Jahre, oft ein Jahrzehnt und mehr, im Dienst der Gesellschaft und des Staates steht und sich wirklich für diese Aufgabe - aus welchen Motiven immer - verzehrt hat, verdient nicht weniger Achtung und Respekt wie jeder andere Mensch. Dies ist fast immer auch ein Gebot der Gerechtigkeit und der Wahrheit. Es hat aber auch etwas zu tun mit der Anerkennung, heute ein Schlüsselwort für das Gelingen der sozialen Beziehungen unter den Menschen. Menschenwürde darf nicht zu einem inflationären Allerweltswort werden, das man billig und bei jeder Gelegenheit, wo es einem passt, zitiert. Im Respekt nicht nur vor einem Amt, sondern nicht weniger vor der Person dessen, der Verantwortung für andere übernommen hat, zeigt sich auch die Achtung der Menschenwürde.
Für den Christen ist es aber auch wichtig, dass er dabei sich etwas sagen lässt vom Wort Gottes her. Hier kann man auch für unser politisches Leben viel z.B. aus dem Brief des Jakobus lernen. Da wird uns schon am Anfang gesagt: „Jeder Mensch soll schnell bereit sein zu hören, aber zurückhaltend im Reden und nicht schnell zum Zorn bereit." (1,19) Der Verfasser weiß um die unglaubliche Macht des Wortes und der Zunge. „So ist auch die Zunge nur ein kleines Körperglied und rühmt sich doch großer Dinge. Und wie klein kann ein Feuer sein, das einen großen Wald in Brand steckt. Auch die Zunge ist ein Feuer, eine Welt voll Ungerechtigkeit. Die Zunge ist der Teil, der den ganzen Menschen verdirbt und das Rad des Lebens in Brand setzt; sie selbst aber ist von der Hölle in Brand gesetzt." (3,5-6) Der Jakobusbrief, hinter dem ein sehr praktischer und nüchterner Sinn steht, weiß, wie viel der Mensch zähmen kann. „Die Zunge kann jedoch kein Mensch zähmen, dieses ruhelose Übel, voll von tödlichem Gift .... Aus ein und demselben Mund kommt Segen und Fluch. Meine Brüder, so darf es nicht sein.." (3,8.10)
Vielleicht können diese Worte uns etwas zur Besinnung wachrütteln. Gelegenheit zum Wettstreit ist dann noch genug, vor allem im Tun der Nächstenliebe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8515
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SWR2 Wort zum Sonntag

Einladung zur Mitfeier der Karwoche

Der Palmsonntag, den wir heute feiern, ist die große Ouvertüre zur Karwoche, an deren Ende die Botschaft von der Auferweckung Jesu Christi steht. Die große Spannweite dieser Ereignisse ist oft schon an den einzelnen Tagen spürbar. Dennoch muss man immer wieder den Zusammenhang der ganzen Woche bedenken.

Bedenkt man die Karwoche, so fällt einem auf, dass wir nicht nur die uns von Kindheit an vertrauten biblischen Texte erneut hören, sondern dass gerade zu dieser Karwoche schon früh eine sehr anschauliche, ja geradezu dramatische Darstellung der Begebenheiten gehört. Dies reicht von der Palmprozession über Wache und Anbetung am Grab Christi bis zu den ausgedehnteren Passions-, und Osterspielen. Von einer Palmprozession bekommen wir bereits Kenntnis darüber, was sich gegen das Jahr 400 in Jerusalem abgespielt hat: Man versammelt sich auf dem Ölberg und zieht nach einem Gottesdienst in feierlicher Prozession in die Stadt, wobei die Kinder Oliven- und Palmzweige in Händen tragen (vgl. den Pilgerbericht der Ätheria/Egeria). Dieser Ritus fand sehr bald im Osten Nachahmung, aber auch im Westen ist er schon für das 8. Jahrhundert bezeugt. Besonders im Mittelalter hat man, wie schon angedeutet, spielerisch-dramatische Elemente in die Prozession eingebaut. Wir kennen ja bis heute plastische Darstellungen Jesu auf dem Reittier, dem so genannten Palmesel.

So kam zum alten Text immer auch etwas Neues, Eigenes hinzu. Dies ergab ein neues, lebendiges Verstehen. Weil die Karwoche so reich ist an sinnenfälligen Elementen, haben wir Kinder immer wieder gerne diese Woche mitgefeiert, auch wenn die Gottesdienste mitunter recht lange waren. Ich denke hier an den Ersatz der Glocken durch klappernde rasselnde Holzinstrumente, auch Rätschen genannt, aber auch das Osterfeuer in der Nacht oder am frühen Morgen des Sonntags, wo jeder ein selbstgeschnitztes Holzstück mitbrachte, um es nach dem Feuer und dessen Weihe wieder für ein Jahr mit nach Hause zu nehmen, ebenso Palm- und Olivenzweige. Es ist alles ein großer Versuch, die Ereignisse vor allem im Leben und Sterben Jesu auf besonders eindrückliche Weise lebendig zu vergegenwärtigen und in das alltägliche Leben zu übersetzen. Für uns Kinder und Jugendliche war diese Form des Feierns eine nachhaltige Erinnerung, die ein ganzes Leben lang lebendig bleibt.

Man darf dies aber nicht als Kinderspiel und Folklore abtun. Der ganze Ernst des menschlichen Lebens kommt darin auch zur Anschauung. Dies wird z.B. deutlich in der Palmprozession. Jesus wird von den Menschen wie ein König bejubelt. Er zieht unter den begeisterten Rufen in seine Stadt ein: „Hosanna, dem Sohn Davids! Gesegnet sei er, der kommt im Namen des Herrn. Hosanna in der Höhe!" (Mt 21,9) Jesus lässt sich jedoch dadurch nicht verführen. Gleichwohl spüren die Menschen, dass hier einer ganz anders auftritt als die Machthaber von damals und heute. „Wer ist das? Die Leute sagten: Das ist der Prophet Jesus von Nazareth in Galiläa." (Mt 21,11)

Dabei bleibt es aber nicht. Auch damals konnten Stimmungen rasch wechseln. Es wird nur kurze Zeit dauern, dass die Volksmassen - es ist jetzt wirklich weniger vom Volk als von der Menge, ja sogar dem Pöbel, die Rede - sich von den Pharisäern und Schriftgelehrten überreden lassen und bei der Amnestie dem Räuber Barabbas vor Jesus den Vorzug geben. Sie machen es dann dem unschlüssigen und feigen, durchaus kundigen Pilatus leicht, Jesus zur Hinrichtung überzustellen. „Da schrien sie: Kreuzige ihn! Pilatus entgegnete: Was hat er denn für ein Verbrechen begangen? Sie schrien noch weiter: Kreuzige ihn!" (Mk 15,13-15) So nah liegen überbordende Begeisterung und pöbelhafte Vernichtung, „Hosanna" und „Kreuzige ihn" beieinander. Auch heute gibt es diesen fliegenden Wechsel der Stimmungen in unserer Öffentlichkeit.

Wir sind also nahe in unserer Gegenwart. Ich möchte Sie einladen, an den vielen Gottesdiensten der kommenden Woche teilzunehmen. Dann finden wir auch unseren Platz unter den vielen Beteiligten: bei den feigen Jüngern, bei den Soldaten oder bei Simon von Cyrene, der Jesus das Kreuz tragen hilft, oder bei der ganz kleinen Gruppe besonders von Frauen, die Jesus in alle Stationen und Stunden hinein folgen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=7996
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SWR2 Wort zum Sonntag

Wir haben uns an Meldungen über Naturkatastrophen und große Unfälle durch die blitz-schnelle, weltweite Kommunikation gewöhnt. Aber trotzdem erschüttert uns die eine oder andere Nachricht immer wieder tief. So ging es uns auch in diesen Tagen mit dem schlimmen Erdbeben in Haiti, das in einer Minute sehr vielen Menschen das Leben koste-te und eine große Zahl von Häusern zerstörte.
Leider treffen solche Katastrophen nicht selten besonders arme Länder. Die oft leichte Bauweise der Häuser erhöht die Risiken und die Opfer. Haiti zählt zu den ärmsten Län-dern des amerikanischen Kontinentes. Gerade in den letzten Jahren ist Haiti besonders durch schwere Naturkatastrophen heimgesucht worden. Erst 2008 waren beim Durchzug von vier heftigen Stürmen fast 800 Menschen gestorben. Hurrikans und Tropenstürme kommen mit einer gewissen Regelmäßigkeit über das Land. Aber auch politisch wurden die Menschen durch lange Diktaturen unterdrückt.
Man kann nur dankbar sein, dass die internationale Gemeinschaft in diesen Katastrophen rasch zur Stelle war und viele Hilfen schnell zur Verfügung stellte. Besonders die Verei-nigten Staaten, die Haiti lange Zeit etwas abschätzig als einen der vorgelagerten Hinter-höfe betrachteten, haben auch in der jetzigen Situation schnell Soforthilfe geleistet. Ein-einhalb Stunden nach dem Beben waren bereits die ersten Mannschaften mit Spürhunden am Suchen nach verschütteten Menschen. Zu dieser Zeit war kaum noch eine Kommuni-kation mit dem Telefon möglich.
Das Unglück und die Hilfe geben Anlass zu tieferem Nachdenken, so dringend und eilig zunächst jede konkrete Hilfe ist. Was hier geschieht, kann uns aus vielen Gründen nicht gleichgültig sein, selbst wenn wir durch die Vielzahl von Naturkatastrophen und kriegeri-schen Auseinandersetzungen etwas abgebrüht sind. In solchen Situationen spüren wir stark, wie eng die Menschen, gerade auch durch die Medien auf der ganzen Welt näher zusammengerückt sind. Nicht zufällig sprechen wir nicht nur von der Menschheit, son-dern von der Menschheitsfamilie.
Aber auch das, was wir zunehmend mehr und mehr als Globalisierung bezeichnen und täglich ihre Wirkungen erfahren, kommt hier konkret zur Anschauung. Für einen Augen-blick treten die wirtschaftlichen und politischen Interessen zurück. Wir betrachten solche von Unglücken betroffene Länder nicht mehr bloß als Ableger, Rohstofflieferanten oder eben nur als erst noch zu entwickelnde Länder. Wir haben alle Mittel und Informationen, um den Menschen und auch den Problemen dieser Länder näher zu kommen. Globalisie-rung bekommt dann, wenn wir uns auf solche Notsituationen auch wirklich einlassen, ein konkretes Gesicht und bleibt nicht nur ein Schlagwort.
Dies hat auch eine religiöse Dimension, die uns schon die Hl. Schrift des Alten Testa-ments nahe bringt. Der Aufruf zur Nächstenliebe betrifft nicht nur die Menschen in räum-licher Nähe, also in der Familie, in der Sippe, in der Nation. Die Liebe begrenzt sich nicht am selben Stand und Beruf. Wir können im Alten Testament gut beobachten, wie das Gebot der Nächstenliebe sich über die engsten Adressaten hinaus immer mehr ausweitet, bis es sogar heißt, Liebe den Fremden wie dich selbst (vgl. Lev 19,34; Dtn 10,19). Schließlich gilt dies im Aufruf Jesu und der ersten Christen zur Feindesliebe erst recht.
Aber jetzt kommt es darauf an, dass wir den Bruder und die Schwester in der Ferne und Fremde als Unseresgleichen annehmen. All denen, die den Ruf um Hilfe dazu hören, ge-bührt Dank. https://www.kirche-im-swr.de/?m=7523
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SWR2 Wort zum Sonntag

Im Bistum Mainz feiern wir seit Anfang dieses Jahres und bis in den November hinein tausend Jahre Willigis-Dom. Wir wissen aus guten Quellen, dass der fertige Dom am 29./30. August 1009 – es bleibt offen ob vor oder nach der Weihe – bis auf die Grundmauern abgebrannt ist. Der Wiederaufbau wurde auf Geheiß von Erzbischof Willigis sofort begonnen und 1036 vollendet.
Der Dom ist ein Wahrzeichen für Mainz und die ganze Region, aber auch ein wichtiges Denkmal für die deutsche und europäische Geschichte. Hier fanden Königskrönungen, Friedensschlüsse, wichtige kirchliche Versammlungen, z.B. Synoden und vieles andere statt. Der Dom ist auch ein mächtiger Friedhof der an die 80 wertvolle Gräber bekannter Persönlichkeiten birgt, die oft auch in der Architektur- und Kunstgeschichte eine große Rolle spielen.
Der Dom ist keine Ruine, kein Museumsstück und auch nicht nur ein Denkmal verblichener Zeiten. Er ist in den zehn Jahrhunderten immer wieder auch von den Bau- und Kunststilen der jeweiligen Epoche geprägt worden. Die verschiedenen Kulturen haben ihm den Stempel aufgeprägt. So haben wir auch erst vor wenigen Jahren moderne Glasfenster von Johannes Schreiter und ein Altarbild des Malers Bernd Zimmer eingeweiht. Der Dom ist ein lebendiges Bauwerk, das viel aus den tausend Jahren bewahrt und zugleich mit den Menschen geht, wie eben die Kirche selbst schon von Anfang an als Bau bezeichnet wird.
Doch auch andere Denkmäler unserer Geschichte sind erhalten und zu einem guten Teil auch in einem guten Zustand. Man denke an Reste der Römerzeit, besonders in Trier, aber auch an Burgen und Schlösser. Christliche Kirchen sind darüber hinaus ein Hinweis auf eine lebendige Glaubensgemeinschaft durch die Zeiten hindurch. Deshalb wird die Kirche auch als ein „Bau aus lebendigen Steinen“ betrachtet oder in aller Kürze heißt es beim hl. Paulus: „Der Tempel Gottes ist heilig – und das seid ihr!“ Übrigens das Leitwort des Jubiläums.
Darum sind auch heute zuerst die konkreten Menschen wichtig, die in diesem Jahr immer wieder nach Mainz pilgerten und am meisten zu diesem Jubiläum durch ihr Zeugnis und Bekenntnis des Glaubens beigetragen haben: angefangen von den Kindergartenkindern über die Ministranten bis zu den Senioren. Sie alle zeigen, dass es der Glaube ist, der in diesem Dom wohnt und ihn auch über die vielen Schicksalsschläge hinweg bis heute getragen hat.
Er ist von Anfang an bis heute zuerst Haus des Gebetes. Gott selbst braucht zwar kein Haus, aber wir Menschen räumen ihm mitten in unserem Leben einen Platz ein. Unsere Welt ist nicht einfach mit der Befriedigung unserer Interessen vollendet. Sie ist nach oben offen und gibt uns unverrückbare Maßstäbe, wie z.B. die Menschenwürde. Dazu gehören auch tragende Grundhaltungen, wie z.B die Rücksicht auf den Anderen, das Teilen der Lebenschancen in Gerechtigkeit und Solidarität, die Achtung vor der Schöpfung und dem Leben, die Hilfe für die Kranken und Schwachen. Nicht zufällig wurden auch neben den Domen die ersten Hospitäler gebaut. Die Dome bleiben hier für jede Zeit auch mahnende Zeichen.
Deswegen haben die Dome auch eine wichtige symbolische Bedeutung für unser Leben, privat und persönlich, aber auch in öffentlichen Raum. Daran erinnert uns die Briefmarke, die im August zum Jubiläum herausgegeben wurde. Dazu gehören auch der Besuch der Ministerpräsidentenkonferenz am 30. Oktober und nicht zuletzt die Teilnahme des Bundespräsidenten an einem Gottesdienst im Dom heute. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6951
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SWR2 Wort zum Sonntag

In der Ferienzeit gibt es vielleicht Gelegenheit, das dritte Weltrundschreiben von Papst Benedikt XVI., das von ihm am 29. Juni unterschrieben und am 7. Juli 2009 veröffentlicht worden ist, zur Hand zu nehmen und zu lesen. Die Meldungen des Tages sind schnell verflogen. Damit darf aber ein solches Dokument nicht einfach im Archiv landen.
Papst Benedikt geht überaus sorgfältig und bedächtig vor mit der Veröffentlichung von Enzykliken. Es ist das dritte Weltrundschreiben. Es lässt sich unschwer erkennen, dass er darin Grundlagen unseres Glaubens vertiefen will. Im Jahr 2006 ging es um das christli-che Gottesverständnis mit dem Titel „Deus Caritas est“, „Gott ist die Liebe“; 2007 folgte das Schreiben über die christliche Hoffnung, „Spe Salvi“. Nun widmet er das neue Schreiben der christlichen Liebe, „Caritas in veritate“. Es ist leicht zu erkennen, dass der Papst damit insgesamt einer erhellenden Vertiefung der drei göttlichen Tugenden nach-geht: Glaube, Hoffnung, Liebe. Dies sind die Grundsäulen des christlichen Menschenbil-des, in der heiligen Schrift außerordentlich gut bezeugt sind. So heißt es ja schon beim hl. Paulus: „Für jetzt bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe, diese drei; doch am größten unter ihnen ist die Liebe.“ (1 Kor 13,13).
Nun lässt sich nicht übersehen, dass dem Papst eine bestimmte Akzentuierung des The-mas „Liebe“ in diesem Schreiben besonders am Herzen liegt. Liebe wird nämlich hier vor allem im Dienst einer humanen weltweiten Entwicklung verstanden. Dass Gott die Liebe ist, hat er ja schon mit zahlreichen Hinweisen auf die Notwendigkeit der menschlichen Caritas in seinem ersten Schreiben ausführlicher dargelegt. Bei der erneuten Zuwendung steht in diesem dritten Lehrschreiben eine ganz bestimmte Perspektive im Vordergrund: die aktuelle Globalisierungs- und Gerechtigkeitsdebatte. Darum hat der Papst auch das Erscheinen dieses Schreibens weiter hinausgeschoben, weil er auf die Krise der weltwei-ten Banken-, Wirtschafts- und Finanzsysteme, die seit dem Spätherbst letzten Jahres soviel einschneidende Änderungen gebracht haben, stärker eingehen wollte, als dies wohl bei den ersten Planungen der Fall war.
Nun ist das Thema für eine Weltkirche, wie sie die katholische Glaubensgemeinschaft in besonderer Weise ist, nicht fremd. Zunächst heißt ja „katholisch“ soviel wie weltumspan-nend. Die katholische Soziallehre, die das Thema internationaler Gerechtigkeit und Aus-gleich zwischen Armen und Reichen immer schon im Auge haben musste, war – angefan-gen von der ausgleichenden Kollekte zwischen den Kirchen Klein-Asiens und den Armen in Jerusalem vom hl. Paulus angeregt und tief ausgelegt (vgl. 2 Kor 8) – bis zur Notwen-digkeit einer Stellungnahme über das Vorgehen Europas mit fremden Völkern bei der Kolonialisierung in der frühen Neuzeit, elementar herausgefordert.
Aber erst das immer stärkere Bewusstsein von der Zusammengehörigkeit und notwendi-gen Solidarität der vielen Völker in der einen Welt hat die Sorge um diese wechselseitige Rücksicht für die notwendige Unterstützung noch dringlicher gemacht. Die beiden Welt-kriege des 20. Jahrhunderts haben dies besonders anschaulich angemahnt. So entstan-den nach dem ersten Weltkrieg der Völkerbund und nach dem zweiten Weltkrieg die Ver-einten Nationen (UNO). In den letzten Jahrzehnten ist diese Globalisierung, wie wir sie nennen, besonders in technischer und wirtschaftlicher Hinsicht ungewöhnlich beschleu-nigt worden. In atemberaubender Geschwindigkeit werden z.B. riesige Finanzsummen um die Welt geschickt. Keiner ist mehr allein. Um so stärker werden natürlich auch die Lücken in der Gerechtigkeit unter den Völkern erkennbar. So kam es zu immer stärkeren Forderungen nach einer Entwicklung gerade auch der Völker der Dritten Welt.
Dies ist der Hintergrund für die neue Enzyklika. Schon Papst Paul VI. hat im Jahr 1967 die erste Entwicklungsenzyklika „Fortschritt der Völker“ („Populorum progressio“) und 20 Jahre später (1987) ließ Johannes Paul II. eine weitere Entwicklungsenzyklika folgen: „Sollicitudo rei socialis“. Nun werden wir eingeladen, wiederum gut 20 Jahre später die-ses jüngste Dokument zu der immer brisanter gewordenen Globalisierungsfrage sorgfäl-tig zu studieren. https://www.kirche-im-swr.de/?m=6437
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SWR2 Wort zum Sonntag

Es gehört in der Bibel des Alten und des Neuen Testaments von Anfang an zu den Grund-überzeugungen, dass wir keine Unterschiede in der Wertung und Beurteilung von Men-schen vornehmen, z.B. nur deshalb, weil sie eine entsprechende Stellung haben. Dies gehört zu den Voraussetzungen eines demokratischen Rechtsstaates und unseres Um-gangs miteinander, auch wenn wir da und dort noch weit davon weg sind. Aber die Grundforderung hat ein bleibendes Fundament in der Hl. Schrift: „Ihr sollt in der Recht-sprechung kein Unrecht tun. Du sollst weder für einen Geringen noch für einen Großen Partei nehmen.“ (Lev 19,15) So am Anfang der Bibel, aber auch am Schluss, wo es im Ersten Petrusbrief heißt, dass Gott „jeden ohne Ansehen der Person nach seinem Tun beurteilt“ (1 Petr 1,17).
An diese Forderung denke ich auch immer wieder in der Krise unseres Finanz-, Wirt-schafts- und vor allem Banken-Systems. Es darf gewiss nicht verboten sein oder aus ir-gendwelchen Gründen unterlassen werden, nach Schuldigen zu suchen. Auch wenn wir wissen, dass dies dem ganzen „System“, in dem wir leben, nicht gerecht wird. Auch muss man zu hohe Gehälter, Beteiligungen und Abfindungen bei Managern und vergleichbaren Verantwortungsträgern rügen, aber man darf nicht vergessen, dass dies alles lange ge-duldet worden ist.
In diesen Tagen und Wochen kommt mir es manchmal doch so vor, als ob man es sich etwas billig macht, wenn man alles den „Managern“ zur Last legt und auf sie einschlägt. Ich will dabei nicht missverstanden werden: Manche Dinge müssen an den Tag und auch anders geordnet werden. Wenn in vielem die Moral nicht mehr vorausgesetzt werden kann, braucht es eben zwingende Gesetze. Aber es ist nicht damit getan, dass wir überall leicht Zustimmung einholen, wenn wir – dazu noch pauschal und undifferenziert – einen ganzen Berufsstand immer wieder an den Pranger stellen.
In Wirklichkeit sind nämlich viele an diesen Auswüchsen beteiligt. Hier soll sich niemand so rasch entschuldigen. Viele Politiker und auch Gewerkschaftsführer saßen und sitzen in den Aufsichtsgremien, die solche übertriebenen Zuwendungen oft nur durchwinkten. Vie-les wurde hinter verschlossenen Türen verhandelt und vereinbart. Dies sollten auch die zugeben, die nun sich auf die andere Seite schlagen und rasch durch zu einfache Schuld-zuweisungen von der Sache und auch von sich selbst ablenken.
Aber ich muss noch einen Schritt weitergehen. Nicht nur „die da oben“ denken kräftig an sich und an die Sicherung Ihrer Zukunft. Diese Mentalität der Sicherung der eigenen Pfründe um jeden Preis gibt es auch auf viel niedrigeren Ebenen und fast überall. Natür-lich geht es nicht um solche Summen, aber die Mentalität ist im Grundansatz nicht so radikal verschieden. Hier kann jeder rasch vor seiner eigenen Haustüre kehren. Es gibt manchmal eben so etwas wie eine „Atmosphäre“ und ein „Milieu“, in denen man so denkt und bis in das Unbewusste hinein so reagiert.
Deshalb ist es gut, in die Bibel hineinzuhören. Nicht zufällig warnt die Schrift von Anfang bis Ende vor jeglichem „Ansehen der Person“. Wenn man sorgfältig zuhört, sieht man freilich auch, dass hier alle einbezogen werden, auch den „Geringen“ – und erst recht denen, die andere für „Geringe“ halten – gilt dieses Wort. Man kann an allen Orten und in allen Situationen sich gegen dieses Gebot, kein Ansehen der Person auszuüben, versün-digen, weder oben noch unten.
Ich sage dies nicht, um irgendjemand an den Pranger zu stellen. Aber es wird Zeit, dass wir diese billige Kritik an den Managern und Bankern zurückschrauben und endlich – möglichst mit ihnen – an einer Verbesserung der Situation und der Strukturen arbeiten. Darauf kommt es an. Der Blick darf sich nicht ewig nach hinten wenden, sondern muss sich nach vorne richten. Und dies möglichst gemeinsam. Es ist höchste Zeit. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5982
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SWR2 Wort zum Sonntag

Heute, am 1. Februar, wird in Mainz ein Jubiläumsjahr eröffnet, das dem Bau des Mainzer Domes durch Erzbischof Willigis vor 1000 Jahren gewidmet ist. Dies mag ein Anlass sein, um über solche Jubiläen in der Geschichte der Kultur und der Kirche etwas nachzuden-ken.
Eigentlich haben es historische Rückblicke nicht so leicht. Wir sind sehr bestimmt von den Herausforderungen unserer Gegenwart und von den Visionen der Zukunft. Aber es hat sich in dieser Hinsicht in den letzten Jahren und Jahrzehnten auch einiges geändert. Be-stimmte Gedenktage, die einmalig sind, wie z.B. die Wiederkehr eines Geburts- oder To-desdatums (z.B. Darwins in diesem Jahr), aber auch wiederkehrende Erinnerungen, wie z.B. die Bombardierung unserer Städte vor allem gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, haben eine neue Chance bekommen. Besonders die Medien sehen darin eine gute Gele-genheit, um auf Personen und Ereignisse aufmerksam zu machen, die unser Leben mehr bestimmen, als wir oft wissen. Wir werden dadurch auch notwendigerweise über uns selbst, besonders auch unsere Herkunft, aufgeklärt. Wir verstehen uns besser.
Man ist also gut beraten, wenn man diese Gelegenheiten nützt. Auch wenn sie oft schnelllebig sind und rasch wieder der Vergessenheit anheimfallen, so bieten sie doch die Möglichkeit einer Begegnung mit dem, was uns auch heute noch im tiefsten bestimmt, und zwar unabhängig davon, ob es uns gefördert oder geschadet hat. Freilich mischt sich in den letzten Jahren dieses Gedenken auch mit etwas fragwürdigen Zügen. Es ist die Eventkultur. Sie soll hier nicht einfach negativ beurteilt werden. Sie macht uns immerhin aufmerksam auf Ereignisse, die unsere Geschichte und Gegenwart bestimmen und be-stimmt haben. Wir haben sie oft vergessen. Man muss manchmal auch die Erinnerung an vergangene Ereignisse erst wecken. Man muss die Menschen neugierig auf diese „Events“ machen. Dazu können heute viele Möglichkeiten der Öffentlichkeitsarbeit, der Werbung und der medialen Dokumentation sowie Interpretation helfen. Aber es gibt auch Grenzen, gewesene Ereignisse vorwiegend durch diese Brille allein zu sehen. Leicht überfremden wir das, was gewesen ist, mit unseren eigenen Wünschen und Vorstellungen. Oder wir mühen uns zu wenig um den eigenen Gehalt, um den unverwechselbaren Wert geschichtlicher Zeugnisse, sondern nippen nur daran herum, sofern sie uns zusagen. Be-sonders schwierig wird es, wenn die Auswahl dessen, was vermittelt wird, letztlich der billigen Unterhaltung geopfert wird. Dann können wir trotz vieler Feiern manchmal ziem-lich blind an unserer eigenen Geschichte vorbeilaufen.
Es ist nicht leicht, vergangene Geschichte in die Gegenwart zu bringen. Die Museumspä-dagogik der letzten Jahrzehnte hat hier, gerade auch für Kinder und Jugendliche, Großar-tiges geleistet. Gerade kirchliche Jubiläen haben hier eine besondere Chance, stellen aber auch eine große Aufgabe dar. Der Kirche geht es ja nicht um zweckfreie Objekte der Kunst und Kultur, sondern die Gegenstände und Bilder begegnen uns auch heute von ihrer Geburt aus dem Glauben her. Sie sind immer auch ein Spiegelbild der Auseinander-setzung zwischen Glaube und Welt. Sie haben aber nach unserer Überzeugung auch ihre inhaltliche Gültigkeit bewahrt. Sie brauchen freilich, um in unserer Welt wirklich anzu-kommen und verstanden zu werden, die Übersetzung. Dann spricht vieles wieder ganz neu und leuchtet, wie wir es im Alltag oft gar nicht mehr bemerken. Dies ist lebendige Erinnerung. https://www.kirche-im-swr.de/?m=5344
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SWR2 Wort zum Sonntag

Während der Finanzkrise der vergangenen Wochen und Monate ist öfter die Frage an die Wirtschaftsjournalisten, aber auch an Verantwortliche in Wirtschaft und Politik gestellt worden: „Hätten wir es wissen müssen?“ Es gab doch Warnungen. Jemand gab die Ant-wort, indem er den Vergleich mit einem Vulkanausbruch zog: „Alle wissen, dass es pas-siert, aber nicht wann.“
Es ist aufschlussreich, was man für Antworten bekommt und wie schweigsam viele auf diese Frage hin sind, die sonst für jedes Problem die passende Antwort parat zu haben scheinen.
Es gibt sicher viele kluge Überlegungen und beachtenswerte Antworten auf diese Anfrage „Hätten wir es wissen müssen?“. Ich möchte mitten im Advent einen kleinen Baustein für eine Antwort zur Sprache bringen: Uns fehlt allen bis zu einem gewissen Grad die Wach-samkeit. Wir verlassen uns auf Statistiken und Prognosen, denken immer mehr im Sinne eines exponentiellen Wachstums: immer mehr, immer größer, immer höher, immer schneller – etwas anderes ist nicht vorgesehen. Dann wird man aber auf die Dauer so eine falsche Grundeinstellung einnehmen, weil das Leben in allen Bereichen nicht einfach einem ständigen Aufwärtstrend entspricht.
Menschen früherer Zeiten, die noch stärker dem Gang der Dinge ausgesetzt waren (Wind und Wetter, Glück und Schicksal), waren hier für einen Wechsel der Situation und der Stimmungen offener. Sie wussten, dass man dafür auch eine eigene Fähigkeit braucht, die zum Menschen gehört. Es ist die Wachsamkeit. Sie hat nicht nur in der Bibel des Al-ten und Neuen Testaments einen zentralen Platz, sondern gehört auch im vorchristlichen griechischen Denken, so z.B. bei Plato, zu einem wichtigen Grundelement menschlicher Existenz. Aber gerade das Neue Testament macht uns immer wieder aufmerksam, dass wir nicht nur wachsam sein sollen im Blick auf überraschende Schicksalsschläge, sondern dass unsere ganze Existenz im Blick auf alles, was auf uns zukommt und nicht zuletzt auch auf das, was aus uns selbst aufsteigt, offen bleibt, d.h. um die Vorläufigkeit vieler Dinge weiß, unsere eigene Anfälligkeit kennt und die Wandelbarkeit der Verhältnisse rich-tig einschätzt. Deshalb sind in der Bibel nicht nur die Wächter auf dem Turm, die das Feuer in einer Stadt rasch bemerken sollten oder zum Schutz eines Heeres, die rechtzei-tig den Feind ausmachen sollten, im Blick. So heißt es z.B. im ersten Petrusbrief: „Seid nüchtern und wachsam! Euer Widersacher, der Teufel, geht wie ein brüllender Löwe um-her und sucht, wen er verschlingen kann, leistet ihm Widerstand in der Kraft des Glau-bens.“ (5,8 f.; vgl. 1 Thess 5,6.10) Deshalb gehört diese Wachsamkeit grundlegend zum Menschen überhaupt. Sie ist eine „Tugend“. Das Wort ist uns fremd geworden, aber die Sache ist klar: Ohne Wachsamkeit taugt man nicht viel zum wahren Menschsein.
Wir haben uns so fest in unserer Welt und in den Systemen der Gesellschaft eingerichtet, dass wir diese grundlegende Wachsamkeit eher vergessen haben. Wir haben feste Erwar-tungen, wir wollen uns nicht gerne überraschen lassen. Wenn es dann wirklich anders kommt, sind wir sehr oft auch nicht recht in der Lage, angemessen und rasch auf andere Umstände zu reagieren. Vielleicht kann uns das in vielem so hilfreiche, aber manchmal auch falsch beruhigende elektronische Informationsnetz einschläfern. „Es ist alles sicher im Kasten.“
Der ganze Advent ist voll von Mahnungen zur Wachsamkeit. Die Bibel geht davon aus, dass wir leicht einer trügerischen Sicherheit anheimfallen. So gesichert ist aber unser immer endlich bleibendes, vorläufiges, auf Bewährung abgestelltes Leben nicht, und zwar in keinem Bereich. Das Mittelalter hat in dieser falschen Sicherheit des Menschen eine Maske des Bösen und des Teufels gesehen. Deswegen ist es am Ende Gott selbst, der über den Menschen wacht (vgl. Ps 3,6; 127,1; 17,15) und der uns immer wieder aufruft und weckt: „Wach auf!“ (Ps 35,23) Aber auch der Mensch bittet Gott immer wieder: „Wach auf! Warum schläfst du, Herr? ... Steh auf und hilf uns!“ (Ps 44,24.27; vgl. 59,5; vgl. hier Ijob 8,6).
https://www.kirche-im-swr.de/?m=5028
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SWR2 Wort zum Sonntag

Zur rasanten Vermehrung der Tafeln in unserem Land

Zu den auffallenden Phänomenen im sozialen Bereich unseres Landes gehört die rasante Vermehrung der sogenannten Tafeln, also der Speisung bedürftiger Menschen, wenigstens zur Mittagszeit. Es hat 1993 in Berlin angefangen. Aus den Vereinigten Staaten hörte und lernte man von der Versorgung vor allem der Obdachlosen mit Lebensmitteln. Was Supermärkte und Kaufhäuser abgeben, weil es ihre Kunden nicht verspeisen oder einfach nicht kaufen mögen, ging an die Tafeln.
Mit Armenspeisung in kleinen Suppenküchen, die es immer wieder und schon lange gab, hat dies dem Umfang nach nicht mehr viel zu tun. Man nimmt an, dass 14 Millionen Men-schen in unserem Land als arm bezeichnet werden können, so schwierig auch die Ar-mutsdefinition ist. Dies wären ungefähr 15 % der Bevölkerung. Nur so kann man auch verstehen, warum die Zahlen derer, die an der Tafel essen, geradezu dramatisch gestie-gen sind. So werden z. B. in der 82.000 Einwohner großen Stadt Worms 3.000 Menschen an der Tafel versorgt. Dabei sind manche andere Hilfsaktionen, wie z. B. „Brotkorb“, nicht mitgerechnet. Nicht zu vergessen sind auch die Speisungen von Kindern, wo es freilich auch im Zusammenhang der Essensausgabe zu weiteren Hilfen kommt, etwa bei der Erledigung der Hausaufgaben.
Manche sind schnell fertig mit der Beurteilung dieser Entwicklung. Sie meinen, das Heer der Drückeberger und der Abzocker, die es auch in diesem Bereich gibt, würde zuneh-men. Gewiss werden einige darunter sein, die die Gelegenheit, umsonst an Essen heran-zukommen, nützen. Aber es sind ja nicht nur die Obdachlosen und die wirklich Armen, die es immer gab, Es ist kein Zweifel – was viele Untersuchungen bestätigen –, dass der Mittelstand sich in unserer Gesellschaft ausdünnt. Manche wandern nach oben zu den gut Begüterten, manche rutschen aber ab in die Zone der Hartz-IV-Empfänger. Jeder Achte, so kann man lesen, sei von Armut bedroht. Dabei finde ich besonders schlimm, dass die-se Armut in steigendem Maß nicht zuletzt ältere Menschen betrifft.
Es gibt nicht wenige, die dieses Phänomen wachsender Armut in Schichten, die bisher weniger betroffen waren, nicht so recht wahrhaben wollen. Dazu muss man auch wissen, dass an den Tafeln die Bezugsberechtigung für das kostenlose Essen kontrolliert wird, indem man verschiedene amtliche Bescheinigungen einfordert. Man darf sich auch nicht damit begnügen zu sagen: Redet nicht so viel von Armut und von den Schwierigkeiten des Sozialstaates. Die Hungerleider haben ja etwas zu essen. Die Gesellschaft sorgt ja für sie, gewiss auf ganz unterschiedliche Weise. Gerne verweist man auf die uralte Bereitschaft der Menschen, den Bedürftigen ein Almosen zu geben.
Aber damit ist es selbstverständlich nicht getan. Gewiss muss man die Ursachen und die Motive dieser neuen Armut, die über viele eingebrochen ist, sorgfältig und objektiv un-tersuchen. Missbräuche, die es zweifellos gibt, müssen abgestellt werden; sie sind aber offensichtlich nicht so zahlreich, wie man denken könnte. Wenn gesicherte Ergebnisse vorliegen, wird man sich auch fragen müssen, welche sozialpolitischen Maßnahmen von staatlicher Seite getroffen werden müssen.
Viele Menschen recht unterschiedlicher Einstellung wirken an der Organisation der Tafeln mit, nicht zuletzt auch viele Handelskonzerne und Supermärkte. Die Hälfte der Tafeln wird von den Kirchen organisiert. Damit erfüllen sie – mit vielen, die oft in säkularem Gewand zur Hilfe bereit sind, - eine tiefe und alte biblische Weisung: Brich dem Hun-gernden sein Brot. Auch wenn wir noch so viele politische Maßnahmen ergreifen, so gilt doch immer Jesu Wort: Arme habt ihr immer bei euch. (vgl. Mt 26,11) Aber zur Botschaft Jesu gehört eben auch grundlegend das Wort, das Jesus vom Propheten Jesaja über-nimmt: „Er (der Herr) hat mich gesandt, damit ich den Armen eine frohe Botschaft bringe.“ (Lk 4,18) https://www.kirche-im-swr.de/?m=4483
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