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SWR2 Wort zum Tag

Wohnzimmertapeten zeigen, wie Menschen gelebt haben und noch viel mehr: Sie verraten auch, wie Menschen sich selber sehen und gesehen haben. Vor 200 Jahren zum Beispiel. Das ist mir bei einem Urlaubsbesuch im Bruchsaler Schloss aufgefallen. Denn dort findet sich in einem Raum eine Ausstattung mit Wandteppichen, die eine relativ unbekannte biblische Erzählung mit dem Leben der Bewohnerin dieser Räume verknüpfen.

Die großformatigen Wandteppiche, eine kostbare und aufwendige Handwerkskunst des Mittelalters, zeigen vier Szenen aus einer dramatischen biblischen Geschichte, in der die kluge Abigail die Hauptrolle spielt (1.Sm.25).

Es wird erzählt: Ihr Mann, der reiche Großgrundbesitzer Nabal – zu deutsch: „Narr“ - verwehrt dem mit seinem Heer umherziehenden König David die Gastfreundschaft, als dieser in darum bittet. Und das, obwohl David vorher mit seinen Soldaten Nabals Weidegründe geschützt hat. Ein Bote berichtet Abigail davon. Bevor David sich in seinem Zorn an Nabal und seiner ganzen Sippe rächen kann, geht Abigail ihm mit Brot und Wein, mit Gebratenem und Rosinen- und Feigenkuchen entgegen und bittet ihn, sie und ihre Leute zu schonen. Zugleich ermahnt sie ihn, seinen Zorn zu beherrschen und keine Blutschuld auf sich zu laden. David dankt ihr für ihr mutiges Einschreiten und dafür, dass sie ihn davor bewahrt hat, unschuldiges Blut zu vergießen. Nabal stirbt an einem Schlaganfall, als er hört, wie knapp er der Vernichtung entgangen ist. Abigail willigt ein, Davids Frau zu werden. Ihr beherztes Handeln hat einen Krieg verhindert.

Mit diesen Wandteppichen im Bruchsaler Schloss hat vor 200 Jahren Markgräfin Amalie von Baden gewohnt (1803 – 1832). Die biblische Erzählung passt zu ihr. Denn die Markgräfin Amalie war als die „Schwiegermutter Europas“ bekannt. Sie hatte durch eine kluge Heiratspolitik ihre sechs Töchter und zwei Söhne so geschickt verheiratet, dass ein familiäres Netzwerk zwischen deutschen Fürstenhöfen entstand. Es reichte bis nach Schweden und Russland. Auf diesem Weg hatte sie durchaus Einfluss auf das politische Geschehen. Denn so war das damals: Wenn sich Familien verbinden, ist das eine Art Friedenspolitik. Ländereien und Besitz werden nicht kriegerisch erobert und vermehrt, sondern gehören zur Familie.

Bilder wirken: Die dargestellte Geschichte wird mit der Bewohnerin der Räume in Verbindung gebracht. Sie zeigt etwas von ihrem Selbstverständnis, auf eine wohltuend unauffällige Weise, die im Gegensatz zu den protzigen Selbstdarstellungen vieler großer Regenten steht. Und zu der Klugheit beider Frauen, zu Abigail in der Bibel und der Markgräfin vor 200 Jahren passt. Ein schönes Urlaubsmitbringsel.

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SWR2 Wort zum Tag

„Was der andere ist, sollte dieser selbst sagen.“ So Alfred Grosser, der deutsch-französische Soziologe und Politikwissenschaftler in seinem aktuellen Werk „Le Mensch. Ethik der Identitäten“ (2017). Er setzt sich darin mit der Frage auseinander: Wer bin ich? Wer ist der Andere?

Der Europa-Vordenker Alfred Grosser wurde vor 92 Jahren in Frankfurt als Kind einer jüdischen Familie geboren, die in den 1930er Jahren noch nach Paris emigrieren konnte. Diese Erfahrungen prägten Alfred Grosser und machten ihn im Laufe seines Lebens zu einem überzeugten Europäer und leidenschaftlichem Kämpfer für Verständigung.

Grosser hat für sein Alterswerk den Titel „Le Mensch“ gewählt. Dazu Grosser in einem Interview: „Wogegen ich mich wehre ist der Finger, der auf einen zeigt. ‚Die‘ Deutschen, ‚die‘ Juden, die‘ Frauen, ‚die‘ Flüchtlinge. .. Es ist dieser Finger von außen, der den Menschen vergiftet, seine Menschlichkeit blockiert. ... Was der andere ist, sollte er selbst sagen. Häufig ist aber das Gegenteil der Fall: Der andere wird schlicht zu dem, was andere von ihm sagen.“ (Grosser in einem Interview in der Jüdischen Allgemeinen Zeitung vom 21.04.17).

Anders-Sein grenzt nicht aus, sondern ist selbstverständlicher Teil des Humanum: Der Andere ist Mensch. Ich selbst bin ja auch immer wieder eine andere, ich muss nur die Perspektive wechseln. Denn ich habe viele Identitäten, und sei es nur, weil ich mehrere gesellschaftliche Zugehörigkeiten habe – Nationalität, Beruf, Familienstand, Herkunftsfamilie und so weiter.

Grossers These ist: Echtes Mitgefühl und echte Mitmenschlichkeit gibt es nur da, wo Menschen ihre Identität selbst bestimmen dürfen und von den jeweils Anderen darin anerkannt werden. - Stimmt. Ich möchte nicht von außen definiert werden. Ich will selbst Auskunft über mich geben.
Es ist gut, so Grosser, wenn man am Ende seines Lebens sagen kann, dass man seine Zeit genutzt hat, um Anderen zum Sein und zum Anderssein zu verhelfen.

Das finde ich einen schönen Gedanken. Ich lasse mich davon ermutigen und sehe vor mir diejenigen, denen ich diesen Respekt entgegenbringen möchte, trotz sprachlicher Schwierigkeiten, trotz kultureller Unterschiede, trotz unterschiedlicher Lebensentwürfe. Sie sind Andere. Sie sind wie ich. So steht es schon in der Bibel, im Gebot der Liebe zum Fremden: Du sollst ihn lieben wie dich selbst (3. Mose 19,34).

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SWR2 Wort zum Tag

„Gott steht nicht mit einem Knüppel hinter dir, sondern mit einem Glas Malvasier vor dir“.
Dieser Ausspruch wird Martin Luther zugeschrieben. Ich habe ihn von einer Weinbau-Expertin gehört. Sie fand es bemerkenswert, dass Martin Luther gerade diesen Vergleich wählt. Luther setzt damit der Vorstellung, Gott strafe und kontrolliere die Menschen, einen Gedanken entgegen, der das Gegenteil zum Ausdruck bringt. Der sagt: Gott ist wie ein Gastgeber, der seinen Gästen Gutes tut. Das Glas Malvasier meint den zur damaligen Zeit sehr geschätzten süßen Wein aus roten oder weißen Trauben. Diese kamen aus dem Süden ins raue Deutschland. Der Wein war wohlschmeckend und angenehm, angeblich ein Lieblingswein von Martin Luther.

Die Vorstellung, Gott sei einer, der misstrauisch seine Menschen beobachtet und ihre Fehler sucht und sie bestraft, ist bis heute verbreitet. Dieses Bild von Gott ist Teil einer „schwarzen Pädagogik“, bei der Gott als Allsehender und als Strafender zum Instrument gemacht wird, mit der Autoritätspersonen Erziehungsmacht ausüben.

Martin Luther kannte diese Furcht. Er hat sich vielen Selbst-Bestrafungen unterworfen in der Angst davor, Gott nicht zu genügen und deshalb verdammt zu werden. Luthers Erkenntnis vom gnädigen Gott hält dieser Angst entgegen: „Gott steht nicht mit einem Knüppel hinter dir.“ Das sagt einer, der es wissen konnte und wissen musste, war er doch selbst einer der Eifrigsten in genau dieser Erwartung gewesen.

Was für ein wunderbares Bild hingegen zeichnet der zweite Teil des Gedankens: „Gott steht mit einem Glas Malvasierwein vor dir.“ Diese Geste ist so einladend und herzerfrischend, wer könnte sich ihr entziehen?

Komm her, lass dich begrüßen und willkommen heißen, sagt sie. Setz dich dazu, du bist Gast am Tisch dieses Gastgebers. Da sind auch Andere, schau dich um. Frag sie, wer sie sind, wo sie herkommen und wohin sie gehen. Alle sind Gäste. Mach dir keine Sorgen. Es gibt keine Ehrenplätze für die, die es besonders verdient haben. Keiner wird weggeschickt. Die Einladung, dabei zu sein, gilt allen. Es geht fröhlich zu an diesem Tisch, so stelle ich mir vor. Es schmeckt allen. Keiner kommt zu kurz.

Es gibt Momente, in denen ahne ich das. In einem Gottesdienst, der das Herz erfüllt. Bei einem Gespräch, in dem ich spüre: Ich werde verstanden. Wenn ein befreites Lachen einen Knoten in einer verfahrenen Situation löst. Oder unterwegs, in der frühlingsgrünen Landschaft: Mein Blick wird weit. Ich atme auf.

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SWR2 Wort zum Tag

Wo ist mein Mitgefühl? Höre und verstehe ich noch richtig, was mir erzählt wird, oder sind meine Ohren, ist mein Herz schon ganz abgenutzt? Das habe ich mich selbstkritisch gefragt, als ich zusammen mit meiner iranischen Patentochter Nilou kürzlich in einer Aufführung der Matthäuspassion war. Sie weinte, weil es so traurig war.

Wo ist mein Mitgefühl bei dem, was ich alles zu sehen und zu hören bekomme in den verschiedenen Nachrichtenkanälen: Kriegsgeschrei und Kriegsgewalt, Feindschaft zwischen einstigen Nachbarn, Hunger und Hoffnungslosigkeit im täglichen Überleben. Wie nahe kommt mir das? Eine Bildschirmsekunde lang, und dann folgt das Nächste? Das Leid der Welt wird zu einer Geräuschkulisse in den Nachrichten, die nebenherlaufen.

Aber ist Mitgefühl denn überhaupt das Richtige? Hilft das irgendjemandem? Etwas dagegen tun, Dazwischen-Gehen, die Waffen wegnehmen, „Aufhören“ schreien, Essen verteilen, das wäre doch besser. Doch dafür braucht man eine innere Schutzschranke, damit man nicht wie gelähmt ist. Das ist das Gute an dem Abstand, den uns die Medien ermöglichen, die davon berichten. Denn Helfer sind hilflos, wenn sie in Mitgefühl zerfließen und ihre Befindlichkeit in den Mittelpunkt rücken, geleitet von der Frage, wie sie mit dem allem fertig werden sollen.

Mir leuchtet die Definition ein, dass echtes Mitgefühl eine Haltung ist, die dazu antreibt, tätig zu werden. Anders als das Abgestumpft-Sein, aber auch anders als die Haltung, die die eigene Betroffenheit in den Mittelpunkt rückt, führt echtes Mitgefühl zum Handeln: gegen die unguten Zustände, gegen die Umstände, die dazu führen. Es führt zum Handeln für andere, für die, die in Not sind, aus der schlichten Erkenntnis heraus: Was den Anderen widerfährt, könnte auch mir und meinen Lieben geschehen.

Es könnte - doch ich lebe in Sicherheit, in Wohlstand, in Gesundheit. Ich lebe, Gott sei Dank, in einer Situation, in der ich viele Möglichkeiten habe, nicht nur die eine, die ich in meinem Überlebenswillen noch erkennen kann. Also kann ich mitfühlen, kann weinen und mich ergreifen lassen, aber dann eben auch aktiv werden und etwas sagen oder tun, was zur Veränderung beiträgt.

Aber was? Manchmal genügt es, jemandem zuzulächeln. Manchmal braucht es ein mutiges Eintreten für jemand, der das nicht selbst für sich tun kann. Manchmal hilft es, vom eigenen Überfluss etwas abzugeben. Und manchmal ist es wichtig, ganz Ohr und mit dem Herzen dabei zu sein, wenn jemand von sich und seinen Nöten erzählt.

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SWR2 Wort zum Tag

Manche Menschen haben die Gabe, andere zum Lächeln zu bringen. So geht es mir mit einer jungen Frau, die mich mit ihrer Freude am Leben und ihrem Engagement sehr beeindruckt. Sie ist seit gut einem halben Jahr so etwas wie meine Patentochter. Sie kommt an den Festtagen, wir telefonieren regelmäßig, sie holt sich Rat und Unterstützung und erzählt von ihrem Leben. Sie stammt aus dem Iran und heißt Nilou.

Wir sind einander zufällig über den Weg gelaufen. Sie hat in wirklich unglaublich kurzer Zeit die deutsche Sprache erlernt und studiert inzwischen in Freiburg. Ihre größte Sorge ist im Moment, ob sie sich für den richtigen Studiengang entschieden hat, weil sie sich einfach für alles interessiert.

Sie gehört zur Bahai-Gemeinde. Der Bahai-Glaube kommt eigentlich aus dem Islam und ist Mitte des 19. Jahrhunderts in Persien entstanden. Er vertritt den Glauben an den einen Gott und geht von einer mystischen Einheit der Religionen aus. Deshalb zählen die Bahai neben dem Werk des Religionsgründers Baha’ullah auch die Heiligen Schriften anderer Weltreligionen zu ihrem religiösen Erbe. Nach dem Glauben der Bahai schöpfen alle aus derselben religiösen Quelle, die Unterschiede zwischen den Religionen sind aus ihrer Sicht historisch bedingt und kulturell ausgeprägt. Die Bahai fühlen sich dem Auftrag verpflichtet, Frieden zu stiften und den Ausgleich zwischen Kulturen und Religionen zu suchen. In ihrem Ursprungsland Iran bilden die Bahai zwar die größte religiöse Minderheit, sind aber starken Verfolgungen ausgesetzt.

Das alles musste ich erst genauer nachlesen, als ich Nilou kennenlernte. Von der großen religiösen Toleranz der Bahai wusste ich schon und auch von ihrem sozialen Engagement, mehr aber auch nicht. In Nilous Leben ist diese religiöse Verwurzelung ganz wesentlich. Nicht nur weil die Bahai-Gemeinde für sie zum Familienersatz und Freundeskreis geworden ist, sondern vor allem auch deshalb, weil ihr der Glaube, in Gott geborgen zu sein, so viel Kraft für ihr Leben gibt. Sie ist eine temperamentvolle, fröhliche, lebendige, moderne junge Frau. Und hat im toleranten und weltoffenen Bahai-Glauben einen Halt gefunden, der sie in den stürmischen Zeiten, die sie erlebt hat und noch erlebt, sicher stehen lässt. Sie kann mit Rückschlägen und Schwierigkeiten umgehen, weil sie sich getragen weiß.

Ich erlebe, wieviel Kraft ihr der Glaube gibt. Darüber bin ich sehr froh. Ich möchte, dass es ihr gut geht. Zu einem guten Leben gehört für mich, im Glauben gehalten und geborgen zu sein. Auch darin sind wir uns ganz nahe – ich, die Christin, sie, die Bahai.

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SWR2 Wort zum Tag

Schnee und Kälte gehören zum Winter. Das ist nicht überall so. Vor zehn Tagen erst war ich an der Südostspitze der arabischen Halbinsel, im Oman, unterwegs. Karge Wüstengebirge und lebensfeindliche Sandwüsten machen einen großen Teil des Landes aus, zugleich gibt es zahlreiche Oasen und Quellen, die durch ausgeklügelte Bewässerungssysteme für die Existenzgrundlage von Menschen und Tieren sorgen. Dieses Kanalsystem haben bereits die Perser im 6.Jh.v.Christus im Land angelegt. Es wird bis heute verwendet und sorgfältig gepflegt.

Der Wasser-Wächter des Dorfes, der die Zuleitungen zu den einzelnen Gärten und Plantagen mit einer Sonnenuhr regelt, genießt großes Vertrauen und höchste Anerkennung. Wo das Wasser aus dem Berg fließt und ans Tageslicht tritt, steht oft eine Moschee in der Nähe. Denn das Wasser ist ein Gottesgeschenk, es ist eine lebensspendende Kraft.

Davon weiß auch der Schöpfungsbericht der Bibel. Er erzählt, dass die Erde dem Ur-Ozean als eigener Lebensraum abgerungen wird. Ein anderer Erzählstrang beschreibt einen Garten Eden, der durch Ströme bewässert und mit Leben erfüllt ist. (1. Mose 1-2)

Wasser ist ein kostbares Gut. Die Bibel berichtet auch vom Kampf und von der Auseinandersetzung um Wasser, um das Recht über die Brunnen im Land (z.B. 2. Mose 2,16). Aber ebenso galt: Die Gastfreundschaft gebietet, das Wasser mit dem Gast zu teilen. In der Spruchsammlung der Bibel heißt es: „Hungert dein Feind, so speise ihn mit Brot, dürstet ihn, so tränke ihn mit Wasser.“ (Spr 25,21).

Das Verteilsystem für das Wasser ist im Oman und anderen Ländern des Mittleren Ostens über Jahrhunderte erprobt. Dadurch wird das wichtigste Lebens-Mittel, das Wasser, geteilt. Die Voraussetzung dafür ist: Jemand muss sich darum kümmern. Das sagt sich leichter, als es ist. Denn es ist eine mühevolle Arbeit, die Tunnel in den Felsen zu schlagen und die Kanäle sauber zu halten. Der Wasser-Wächter darf nicht nur auf seinen Anteil achten, sondern muss das gesamte System im Blick haben. Ich habe im Oman gelernt: Wer das Wasser hütet, trägt dazu bei, dass das Zusammenleben funktioniert, indem er für das Ganze sorgt, nicht nur für sich selbst. Er hilft, das zu teilen und zu verteilen, was Menschen am Allernötigsten brauchen.

Dass jeder das hat, was er zum Leben braucht, und nicht darum kämpfen muss, ist die Grundvoraussetzung dafür, dass Menschen in Frieden zusammenleben können. Darum muss man sich kümmern. Dafür braucht es Menschen, die so sind wie die Wasser-Wächter, die das Ganze im Blick haben, damit es allen gut geht. Dort, hier, überall auf der Welt.

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SWR2 Wort zum Tag

Es wird so spät hell in diesen Tagen. Mir fehlt das Licht. Ich bin froh über jeden sonnigen Wintertag. Wie ein Kontrastprogramm zur dunklen Winterzeit mutet das Leitmotiv des kirchlichen Festkalenders in den Wochen nach dem 6. Januar an: Epiphaniaszeit ist Licht-Zeit. Im Mittelpunkt steht der Gedanke: Mit der Geburt Christi scheint das Licht Gottes in die Finsternis der Welt hinein.

Der Prophet Jesaja und auch das Matthäusevangelium schreiben über dieses Licht: „Das Volk, das in Finsternis saß, hat ein großes Licht gesehen, und denen, die saßen im Land und im Schatten des Todes, ist ein Licht aufgegangen.“ (Mt.4,16)

Das Licht scheint denen, die im Schatten des Todes sitzen: Wer den Tod eines Menschen, der einem nahestand, erlebt hat, kennt diesen Ort. Dieser Ort kann auch die Bettkante eines Krankenbettes sein. Manchmal kennt man nur Bilder von diesem Ort und sieht, was Terroranschläge anrichten. Solche Orte werfen lange Schatten in das Leben der Menschen, die sich davon anrühren lassen, auch wenn sie selbst gar nicht dort gewesen sind. Die Schatten heißen Einsamkeit. Sie heißen: Hilflosigkeit. Zynismus. Bitterkeit. Wut.

Im Matthäusevangelium wird gesagt: Denen ist ein Licht aufgegangen! Dorthin, an diese Orte, in diese Schatten hinein bahnt sich das Licht seinen Weg. So wie am Morgen das Tageslicht immer mehr Kraft entfaltet und die Dunkelheit vertreibt. Es wird heller: Man sieht nicht nur Umrisse. Bedrohliches verliert seine unklaren Konturen. Hindernisse, aber eben auch Wege lassen sich erkennen. Tastende Schritte werden sicherer.

Auch schon ein kleiner Lichtstrahl hat eine große Kraft. Für mich sind Menschen, die sich nicht entmutigen lassen, die unerschütterlich gütig und friedliebend sind, die an die Liebe glauben, wie solche Lichtstrahlen im Dunkeln. Sie sagen Sätze wie: „Das hat er sicher nicht so gemeint.“, wenn jemand andere mit harten und ungerechten Worten verletzt. Oder: „Vielleicht hat sie so großen Kummer, dass sie gar nichts anderes mehr sieht“, wenn sich eine gar nicht in die Situation anderer hinein fühlen kann. Sie finden Lösungen, wo andere das Problem groß machen. Sie haben einen Blick für das Gute und für das, was auch möglich wäre.

Solche Menschen sind wie Lichtstrahlen, die hinein leuchten in düstere Skepsis, Resignation und Bitterkeit über Menschen und die Welt. Wenn mir das Licht fehlt und Düsteres alles überschattet, dann stelle ich mich zu ihnen und lasse mir von ihren Lichtstrahlen durch das Dunkle helfen.

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SWR2 Wort zum Tag

Neulich habe ich bei einer Spendenaktion für Brot für die Welt und Misereor mitgeholfen. Das Glas selbst gemachter Marmelade haben wir für 3 Euro verkauft, ein sehr geringer Preis für Material und Mühe. Trotzdem ging eine Käuferin vom Stand weg mit der Bemerkung, das sei ihr zu teuer. „Aber da steckt doch so viel Arbeit drin“ rief ich ihr hinterher. Ich war einfach so verblüfft über ihre Reaktion. Ist es einfach nur sparsam, wenn man möglichst wenig Geld ausgibt? Oder kann oder will man geizig nichts geben?

Geiz kann eine Spielart der Habgier sein, die von dem, was sie schon hat, nichts wieder hergeben will. Eine alte kirchliche Tradition zählt diese Geisteshaltung unter die sogenannten „Sieben Todsünden“. Das sind Haltungen, die zu bösem und falschem Tun führen. 

Aber zugleich sind auch es Einstellungen, die als Antriebskräfte eingesetzt werden können für eine Gesellschaft, die auf Leistung, Wettbewerb und Konkurrenz ausgerichtet ist: Habgier lässt zwar nicht los, was sie hat und sammelt Kapital an. Aber sie will zugleich auch mehr haben und dreht so im Festhalten tüchtig am Konsumrad. 

In einer Welt, in der die wirtschaftlichen Beziehungen global vernetzt sind, kann die Habgier der Besitzenden tödliche Folgen haben: Sie kann nicht nur in Preistreiberei für Lebensmittel münden, sondern auch in Kriege. Sie zementiert nicht nur die Ungerechtigkeit in der Verteilung der Lebensmöglichkeiten, sondern sorgt damit für politischen Sprengstoff. Ich meine, der Begriff „Todsünde“ passt da ganz gut, denn Habgier zerstört Leben, auch das eigene.

Hingegen: Wer gibt, ist glücklicher. Gier und Geiz tun einem nicht gut. Das wissen Psychologen, und das weiß schon die biblische Tradition. Als es in den frühen Christengemeinden um die Verteilung von Spenden geht, verweist der Apostel Paulus darauf, dass wir mit Großherzigkeit und mit Gottes Hilfe in allen Dingen „volles Genüge haben und noch reich sind zu jedem guten Werk“ (2.Kor.9,8). 

Er sagt das als einer, der selbst kaum über materiellen Besitz verfügt. Was hat er dann stattdessen zu geben? Seinen Glauben. Sein Talent, Freundschaften zu schließen. Seine Bereitschaft, sich immer wieder auf neue Lebensumstände einzulassen. Seine Dankbarkeit, immer wieder bewahrt zu sein auch in schwierigen Situationen. Seine Kraft zum Umkehren und Neu-Anfangen.

Wer statt habgierig zu sein gibt, ist glücklicher, weil er nicht wie gebannt auf das starrt, was ihm fehlt, sondern weil er erkennt, was er hat. Das ist eine Haltung, die dem Leben dient.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=22924
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SWR2 Wort zum Tag

„Hochmut kommt vor dem Fall.“ (Spr. 16,18). Das weiß der Volksmund, der dazu aus den Weisheitssprüchen der biblischen Tradition zitiert. Die Selbstüberschätzung des Menschen fängt aus Sicht der biblischen Tradition schon früh an: Sie beginnt mit dem Sündenfall des Menschen und seiner Vertreibung aus dem Paradies. Wer sein will wie Gott, hat sich in der sogenannten „Todsünde“ der Superbia, dem Hochmut, verfangen. 

Der Begriff Hochmut klingt altertümlich – ich übersetze das als: Selbstüberschätzung, Überheblichkeit, Anmaßung, Arroganz, Einbildung. So formuliert, fallen einem rascher Erfahrungen mit sich selbst und mit anderen ein: Hochmütige, das sind Wichtigtuer, die sich selbst überschätzen, die auf soziale Distanz zu vermeintlich Geringeren gehen, die sich herausheben wollen und mit dem angeben, was sie augenscheinlich besonders macht und von anderen unterscheidet.

Diese gibt es auf allen Ebenen: Man kann hochmütig sein mit seinem Intellekt, mit Geld, mit körperlicher Stärke und mit politischem und gesellschaftlichem Einfluss. Die biblische Tradition kommentiert eine solche Haltung mit psychologischem Scharfblick: „Wenn jemand meint, er sei etwas, obwohl er doch nichts ist, der betrügt sich selbst.“ (Gal.6,3). 

Im politischen Feld ist der Hochmut als die „Arroganz der Mächtigen“ ein Begriff. Er beschreibt, wie die einen entscheiden, ohne auf die Anderen Rücksicht zu nehmen, die davon unmittelbar betroffen sind. Auch im negativ gebrauchten Begriff von den so genannten „Bildungseliten“ steckt die Erfahrung, dass Besser-Gebildete auf die anderen herabsehen. Aber auch da, wo sich die einen stark und engagiert zeigen und für die anderen, die träge sind, wenig Verständnis aufbringen, kann sich Hochmut zeigen. Selbstredend geht es dann nicht darum, das eigene Können oder die eigenen Stärken zu verstecken, das wäre Heuchelei. Aber es geht darum, sie freundlich einzusetzen, anstatt sie überheblich auszuspielen.

Das Gegenüber zur Superbia, zum Hochmut, ist die Demut. Sie wird oft verkannt und ins Lächerliche gezogen. Ich halte dagegen: Demut ist eine Haltung, die Christen, die jedem Menschen, gut zu Gesicht steht. Sie ist kein Duckmäusertum, sondern die Erkenntnis, ein Geschöpf Gottes zu sein, das Grenzen hat – und in diesen Grenzen verantwortungsvoll handeln will. Demütig, nicht hochmütig bin ich, wenn ich um meine Grenzen weiß und sie nicht als Ausflucht dafür nehme dass man sowieso nichts machen kann, sondern wenn ich das tue, was mir möglich ist, so unvollkommen es sein mag. In der Bibel heißt es: Den Demütigen gibt Gott Gnade. (1.Petr.5,5)

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SWR2 Wort zum Tag

Von den „Sieben Todsünden“ hatte man lange nichts mehr gehört. Bis vor einigen Jahren Werbetexter auf die Idee kamen, die Sorten einer beliebten Eiscreme danach zu benennen.

Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit: Das sind die im 5. Jahrhundert  als so genannte „Todsünden“ definierten Haltungen und Verhaltensweisen, von denen der Katechismus der katholischen Kirche erklärt: Dieses böse und falsche Verhalten geschehe „im vollen Bewusstsein des Sündencharakters und mit überlegter Zustimmung“. Die Todsünde zerstöre die Liebe im Menschen und lasse den Menschen ein „minderes Gut“ gegenüber Gott vorziehen. 

Das lässt sich gewiss von vielem bösem Tun sagen. Auch Mord und Totschlag, Krieg und Gewalt sind böse. Vielleicht kann man so sagen: Solche Taten folgen aus den Haltungen, die in dieser Zusammenstellung beschrieben sind. Sie sind nicht weniger schlimm, natürlich nicht, aber die kritische Selbstprüfung schaut dahinter und versucht zu verstehen, weshalb ein Mensch so handelt oder redet: aus Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid oder Trägheit? Denn aus all dem erwächst Böses, das anderen und auch einem selbst Leid zufügt.

Auch für Nichtgläubige bietet die Konfrontation mit diesen sogenannten „Sieben Todsünden“ tiefe Einsichten in die eigene Psyche: Sie sind eine Möglichkeit der Selbsterkenntnis. Das ist erhellend und kann manchmal auch erschreckend sein. Denn Hochmut, Habgier, Wollust, Zorn, Völlerei, Neid und Trägheit sind kulturell gezügelte Gefühle: Man hat sich im Griff – oder auch nicht. 

Das kann man sich täglich klar machen: Wie zornig man werden kann, wie leicht entflammbar die Wut ist, sieht man schon beim Verhalten im Autoverkehr, es gibt sogar schon einen Namen dafür: road rage – Wut der Straße. Oder: Jede, jeder weiß, wie sich die Trägheit vor allem darin äußert, dass man denkt: „Bloß-nicht-Einmischen“ - und wegsieht, wenn Hilfe nötig wäre. Dass Neid eine treibende Kraft des Kapitalismus ist, ist allen klar, und dass Völlerei und Nicht-Genug-Bekommen ein Problem sind, erkennt man nicht nur an All-You-Can-Eat-Buffets.

Innere Haltungen führen zu sichtbaren Verhaltensweisen. Das weiß das alte Konzept der sogenannten „Sieben Todsünden“. Es erkennt die menschliche Fähigkeit  zum Bösen. Es fordert zur Einsicht auf und macht deutlich: Das trennt Menschen von Gott. Damit verbindet sich der Appell: Man muss diesen Geisteshaltungen bei sich selbst auf die Spur kommen, damit man etwas verändern kann. Denn alle Veränderung beginnt bei sich selbst.

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