Alle Beiträge

Die Texte unserer Sendungen in den SWR-Programmen können Sie nachlesen und für private Zwecke nutzen.
Klicken Sie unten die gewünschte Sendung an.

Filter
zurücksetzen

Filter

Datum

SWR1

  

SWR4

 

Autor*in

 

Archiv

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

27JAN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Strahlende Kinderaugen. Achtjährige, die ganz erleichtert sind und am liebsten gleich noch einmal kommen würden. Das habe ich erlebt bei Beichtgesprächen mit Erstkommunion-Kindern. Die habe ich natürlich nicht im Beichtstuhl geführt, sondern in einem Zimmer des Pfarrhauses, wo wir einander gegenübersaßen. Ich freue mich sehr auf diese Gespräche mit den Kindern. Sie tun sich mit dem Beichten gar nicht schwer, im Gegenteil. Mir geht das Herz auf, wenn ein Kind mir einfach so erzählt, was bei ihm schiefgelaufen ist. Unnötiger Streit mit den Geschwistern. Böse Worte aus der Wut heraus. Wo es gelogen hat. Dass es seine Eltern mal auf den Mond gewünscht hat. Wenn Kinder beichten, dann kommt so manches heraus, womit sie sich selbst und den anderen das Leben schwermachen. Kleine und größere Nöte der Kinder. Es berührt mich sehr, dass schon Kinder dazu stehen, dass sie Fehler gemacht haben oder auf einem unguten Weg sind. Im Gespräch kann ich dann darauf eingehen. Wir können die Situation zu zweit anschauen, warum da etwas schiefgelaufen ist und wie es beim nächsten Mal bessergehen kann. Z.B. beim Streit mit einem Freund. Dann lade ich das Kind dazu ein, dass es die geschilderte schwierige Situation einmal mit den Augen des anderen Beteiligten betrachtet: „Stell dir vor, Du wärest an der Stelle Deines Freundes gewesen. Überlege einmal, wie es ihm ging, als Du da losgedonnert hast, und wie er Dich dabei erlebt hat.“ Wenn ein Kind sich so in den anderen hineinversetzt, dann können wir im nächsten Schritt gemeinsam überlegen, wie es sich in dieser Situation wohl besser verhalten hätte – für weitere, ähnliche Fälle in Zukunft. Und danach sage ich ihm ja noch in der sogenannten Lossprechung ausdrücklich zu, dass Gott ihm sein ungutes Verhalten verzeiht, dass der Fehler bei Gott vergeben und vergessen ist. Und wir beten darum, dass Gott dem Kind hilft, sich in Zukunft anders zu verhalten, damit es ihm bessergeht. Dann strahlen die Kinderaugen endgültig. Wunderbar, wenn Kinder so zu dem stehen können, was sie falsch gemacht haben. Wenn sie erleben, dass sie verstanden werden und verziehen bekommen und wenn sie sehen, wie sie es in Zukunft besser machen können. Ein kleiner Beitrag dazu, dass Kinder heilsam mit sich umgehen und weiter reifen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39229
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

26JAN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Von einem Augenblick auf den anderen war sein Leben ein ganz anderes. Samuel Koch hatte 2010 bei „Wetten, dass…?“ mit 22 Jahren einen tragischen Unfall und ist seitdem querschnittsgelähmt. Gerade hatte er die Aufnahmeprüfung für das Schauspielstudium bestanden. Und dann saß er im Rollstuhl. Sein Studium hat er dennoch gemacht, und er hat jetzt auch ein festes Engagement am Theater. Er scheint sein Leben so anzunehmen, wie es nun ist. Er selbst drückt es etwas verhaltener aus: „Ich möchte der Situation, in der ich bin, etwas Sinnvolles abringen.“ Das tut er ganz konsequent. In seiner Familie, in seinem Beruf, in seinem ehrenamtlichen Engagement für pflegende Angehörige. In den Jahren seit dem Unfall ist ihm vieles neu aufgegangen.

Mich hat sehr beeindruckt, was er in einem Interview dazu gesagt hat: „Ich denke, dass es kein Zufall ist, dass wir auf der Welt sind. Ich glaube, dass der Tod eine Grenze ist, die wir überschreiten können. Deshalb versuche ich, Nächstenliebe und das, was in der Bibel steht, zu leben: Schafft jede Unterdrückung ab, helft, wo ihr könnt, habt keine Angst. Fragen, die dem Zeitgeist entsprechen, wie: ‚Was kann das Leben mir bieten?‘, die drehe ich um in ‚Was kann ich dem Leben bieten?‘ Ganz praktisch versuche ich, mein tägliches Sinnen auf diese Dinge auszurichten. Manche nennen es meditieren, ich nenne es beten. Es ist auch immer wieder ein Hadern und Zweifeln, Versuchen und Kämpfen.“

Seit dem Unfall lebt Samuel Koch viel bewusster, und in manchem hat sich seine Lebensauffassung geändert. Wenn er auf sogenannte Glückskongresse eingeladen wird, dann sagt er den Teilnehmern nicht, dass das eigene persönliche Glück das Höchste ist, was es anzustreben gilt. Seine Überzeugung ist: „Ich glaube, zu helfen ist eine kostbare, zum Teil unterschätzte Ressource. Es hilft mir immer wieder, mich nicht ständig um mich selbst zu drehen, sondern auf mein Umfeld zu blicken, die Perspektive zu weiten, zu schauen: Wo bin ich nützlich? Das gibt mir das Gefühl von Resilienz, Selbstwirksamkeit, Erfüllung und Sinn.“

Mir imponiert, dass die Erfahrungen von Samuel Koch ihn zu solchen Erkenntnissen geführt haben. Zu tiefen Lebensweisheiten.

Für die Ansprache stütze ich mich auf das  Interview „Inklusion heißt aufeinander zugehen“ von Manuela Blum in „Sozialcourage. Das Magazin für soziales Handeln.“, hg. vom Deutschen Caritasverband, Freiburg (www.sozialcourage.de; sozialcourage@caritas.de">sozialcourage@caritas.de), Herbst 2023, S. 14-15.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39228
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

25JAN2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Hast Du Dir gute Vorsätze für das neue Jahr gefasst?“ So bin ich an Silvester gefragt worden. Nein, habe ich nicht, ganz bewusst nicht. Denn die Erfahrung lehrt, dass gute Vorsätze meist doch nicht zu den gewünschten Änderungen führen. Wer will, dass sich sein Verhalten ändert, der muss tiefer gehen, auf die Ebene seiner Einstellungen und Haltungen, aus denen das Verhalten herauswächst – dort müsste man ansetzen.

Ich möchte durchaus, dass sich im neuen Jahr das Eine und Andere bei mir ändert. Aber dafür habe ich bewusst einen ganz anderen Weg gewählt. Ich habe mir viel Zeit genommen, um meiner Sehnsucht nachzuspüren. Tief in jedem Menschen wohnt seine Sehnsucht. Sie geht tiefer als Wünsche oder Erwartungen. In ihr zeigen sich meine großen Lebenshoffnungen, was ich wirklich brauche, was mir guttut, was mich im Leben erfüllt. Das ist in mir lebendig, und die Kunst ist, es zu erspüren. Machen oder herbeizwingen kann man seine Sehnsucht nicht, aber sie kann sich zeigen. Dafür ist hilfreich, wenn ich mir Zeit nehme, zur Ruhe komme und loslassen kann. Dann kann die Sehnsucht aus meinem Herzen aufsteigen. Dabei war ich auch diesmal überrascht, was da in mir hochgekommen ist. Aber alles, was mir mein Inneres offenbart, ist ein hilfreiches Signal meiner Seele. Meine Sehnsucht macht mich auf das aufmerksam, was für mich lebenswichtig ist. Und sie setzt neue Kräfte frei für den Weg, der mich mehr zu mir selbst führt. Wer sich von seiner Sehnsucht leiten lässt, der ist auf der Spur des Lebens.

Deshalb ist mir wichtig, dass ich gerade zu Beginn des neuen Jahres mit meiner Sehnsucht gut in Kontakt bin. Wenn ich auf sie höre, wenn ich ihr öfter folge, dann wird sich mit Sicherheit manches in meinem Leben ändern. Und zwar gründlicher und nachhaltiger als durch gute Vorsätze.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=39227
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

04NOV2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Musik kann Wunder bewirken.“ Das hat Luiz Szarán am eigenen Leib erlebt. Er wuchs in ärmsten Verhältnissen in Paraguay auf, eigentlich chancenlos. Ein Berufsmusiker entdeckte sein musikalisches Talent, unterrichtete ihn, verhalf ihm zu einem Stipendium und zum Musikstudium in Europa. Szarán wurde ein renommierter Dirigent und ist inzwischen 70 Jahre alt. Auch die UNESCO hat ihm eine Auszeichnung verliehen. Wofür? Weil Szarán neben seiner Dirigentenstelle beim Symphonieorchester in der Landeshauptstadt von Paraguay seit über 20 Jahren etwas Großartiges geschaffen hat. Er hat „Sonidos de la Tierra / Klänge der Erde“ gegründet, Musikschulen für Kinder und Jugendliche in ärmsten Lebensverhältnissen. Bisher 200 Musikschulen für 20.000 junge Menschen. Die Kinder lernen nicht nur ein Instrument und das Zusammenspiel im Orchester. Die musikalische Förderung hat noch einige positive Nebeneffekte: Bei den Kindern von „Sonidos de la Tierra“ haben sich die schulischen Leistungen um bis zu einem Drittel verbessert, wie eine wissenschaftliche Studie herausgefunden hat. Mehr noch: Die Kinder aus schwierigen Verhältnissen ändern ihr Verhalten, sie streben nach Harmonie in ihrem Umfeld, sie entwickeln Unternehmergeist und Resilienz. Und das in einem Land, in dem über 20% der Jugendlichen keinen Schulabschluss erreichen; in einem Land, in dem es am Nötigsten fehlt, an Bildung, Gesundheitsversorgung und sauberem Trinkwasser.

Luiz Szarán hat erlebt: „Musik kann Menschen und Gemeinschaften entwickeln helfen, unabhängig von ihrer sozialen, wirtschaftlichen, religiösen oder politischen Situation. Musik erhellt die Seele und lenkt den Blick auf höhere Ziele jenseits menschlicher Probleme.“ Und das beflügelt ihn auch als 70jährigen bei seiner Arbeit mit den jungen Menschen. Im November kommt er mit den besten seiner jungen Musikerinnen und Musikern zu einer Tournee durch Österreich und Deutschland.

Auch unseren Ländern könnte es guttun, wenn mehr junge Menschen durch die verwandelnde Kraft der Musik gefördert würden. Offensichtlich kann Musik wirklich Wunder wirken.

Für diese Ansprache stütze ich mich auf den Beitrag „Erbe und Ermächtigung. Sonidos de la Tierra“ in „Jesuiten weltweit“ (hg. v. Jesuitenmission Deutschland und Österreich, Nürnberg/Wien; www.jesuitenweltweit.de; prokur@jesuitenweltweit.de), Herbst 2023, S. 4-11.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38657
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

03NOV2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Ich habe wieder einmal eines meiner Lieblingsbilder besucht: „Der Seerosenteich“ von Claude Monnet. Im Urlaub war ich in England, und beim Aufenthalt in London bin ich ganz bewusst in die National Gallery gegangen. Dort hängt das Original des „Seerosenteichs“. Für mich ein faszinierendes Gemälde von großer Finesse, unglaublich ausdrucksstark. Ich bin „ganz weg“, wenn ich davorstehe.

Und so habe ich 15 Minuten vor dem Gemälde gestanden und es auf mich wirken lassen. Was ich dabei erlebt habe, war diesmal anders als vor 15 Jahren, als ich zum letzten Mal dort war. Ich stand da in etwas Abstand vor dem Bild, damit die vielen Leute, die es auch sehen wollten, vor mir vorbeigehen konnten. Das taten sie dann auch. Bei den meisten: ein kurzer Blick auf das Gemälde, ein Handy-Foto – und weiter. Und beim nächsten Bild genauso.

Das habe ich eine Viertelstunde lang so erlebt. Ich habe mich gewundert. Und ich habe mich gefragt: Haben sie das Bild wirklich gesehen, wahrgenommen, innerlich erfasst? Sicherlich würden alle sagen: „Ich habe das Bild gesehen.“ Ja, sie haben es vor Augen gehabt, sie haben es sogar als Foto auf ihrem Handy. Aber hat dieses Gemälde, das eine enorme Tiefenwirkung hat und im eigenen Inneren viel auslösen kann, so in ihnen etwas bewirken können? Ich habe da meine Zweifel. Es ist doch ein Unterschied, ob ich ein Bild oberflächlich wahrnehme, „einen Blick darauf werfe“ – oder ob ich es auf mich wirken lasse.

Ich habe bei mir selbst gespürt: Je länger ich vor dem Gemälde stand, desto mehr habe ich darauf entdeckt und desto mehr war ich im Bann seiner Gesamtwirkung. Das braucht Zeit. Aber so kann ich es dann auch verinnerlichen, so kann es seine Aussagekraft in meiner Seele entfalten. Und im Anschauen habe ich gespürt: Ich werde innerlich immer ruhiger, und das Bild senkt sich in mich ein und geht dann mit mir.

Ich habe wieder einmal erlebt: Es lohnt sich, dass ich mir die Zeit nehme, um Schönes und Wohltuendes in meine Seele aufzunehmen. So wird das dann wie ein kleiner Schatz, der mich innerlich erfüllt und aufbaut.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38656
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

02NOV2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Volkstrauertag, Totensonntag, Allerseelen: Der November ist der Totenmonat. Es passt zur jahreszeitlichen Stimmung dieser Wochen, dass besonders in dieser Zeit an die Toten gedacht wird. Viele besuchen die letzte Ruhestätte ihrer Verstorbenen. Die Gräber werden besonders geschmückt, sie werden am Fest Allerheiligen gesegnet, es brennt ein Licht darauf.

Gut, dass es diese Riten gibt. Es hat eine tiefe Bedeutung, dass wir an die Verstorbenen denken, die uns nahegestanden sind, vor allem an die Vorfahren in der eigenen Familie, Eltern und Großeltern. In archaischen Kulturen ist das noch viel ausgeprägter. Da gibt es einen richtigen Ahnenkult – die Verbindung zu den Vorfahren wird sehr gepflegt.

Das kann ich gut verstehen. Denn die verstorbenen Familienangehörigen und Freunde waren und sind ein Teil meines Lebens. Sie gehören zu meiner Lebensgeschichte. Sie haben Spuren in mir hinterlassen. Ich habe ihnen viel zu verdanken. Den Eltern verdanke ich das Leben. Und den verstorbenen Freundinnen und Freunden verdanke ich wunderbare Begegnungen, gemeinsame Erlebnisse, prägende Erfahrungen. Das bleibt. Und diese Verstorbenen bleiben mir wichtig über ihren Tod hinaus.

Und deshalb möchte ich ihnen auch weiter verbunden bleiben. Von vielen habe ich die Todesanzeigen oder das Sterbebildchen in einer Mappe gesammelt. Und jedes Jahr an ihrem Geburtstag und Todestag denke ich besonders an jede und jeden Einzelnen von ihnen, auch in meinem Gebet und im Gottesdienst. So stehen sie wieder lebendig vor meinem inneren Auge. Und ich empfehle sie Gott, der Quelle und dem Ziel des Lebens. Nicht nur, weil ich an die Auferstehung der Toten glaube, dass wir uns einst alle wiedersehen werden bei Gott. Sondern einfach deshalb, weil diese Verstorbenen zu mir und meinem Leben dazugehören.

Es zeichnet eine wirklich humane Kultur aus, dass wir den Verstorbenen nicht nur „die letzte Ehre erweisen“, sondern dass wir sie auch danach „in ehrendem Gedenken behalten“, wie es so treffend heißt. Überlegen Sie doch mal, welche Verstorbenen Ihnen besonders wichtig waren und sind – und zünden Sie mal ein Kerzchen für sie an. Das tut nicht nur den Verstorbenen gut, sondern auch Ihrer eigenen Seele.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38655
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

26JUL2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Du hast mehr Möglichkeiten, als Du denkst.“ Dieser Satz möchte Menschen ermutigen, dass sie an sich glauben, dass sie das entfalten, was in ihnen steckt – damit sie mehr Freude am Leben haben. Aber oft geschieht das Gegenteil: Dass Menschen sich wenig zutrauen. Oder dass andere ihnen wenig zutrauen. Dass sie das Potential nicht sehen, das in einem Menschen schlummert.

Das erleben gerade Menschen mit Behinderungen. Ihre Einschränkungen verleiten dazu, dass andere ihre Möglichkeiten unterschätzen. Dann werden sie abseits stehengelassen und sind von manchem ausgeschlossen. Das ist tragisch. Doch gerade auch für Menschen mit Behinderungen gilt: „Du hast mehr Möglichkeiten, als Du denkst.“ Die Frage ist dann, wie man die herauslocken und fördern kann.

Jens Kuchenbäcker und Claudia Tatzel habe sich dafür etwas einfallen lassen. Sie haben den „Tango inklusivo“ initiiert. Ihr Ziel ist es, Menschen mit Behinderungen – oder, wie sie lieber sagen: Menschen mit anderen Möglichkeiten – in das Tangotanzen einzubeziehen. So treffen sich Menschen mit und ohne Beeinträchtigungen  zum Tangotanzen. Manche machen die ersten Tangoschritte in ihrem Leben. Die 34jährige Isabell etwa. Sie hat das Down-Syndrom. Zuerst sind es nur zarte Schritte, dann tanzt sie sicherer, und es macht ihr große Freude. Lachen – Staunen – Berührung – die lockere Atmosphäre im Tanzraum tut allen gut. Kaum einer hätte gedacht, dass sie es so schnell lernen würden und dass es so viel Freude macht!

Der DJ gehört selbst zu den Menschen mit Behinderungen. Er sitzt nach einem Schlaganfall im Rollstuhl. Er war Raumausstatter und hat nebenbei als Tanzlehrer gearbeitet. Jetzt legt er ehrenamtlich die Platten auf. Und er sagt: „Mein Ziel ist es, irgendwann wieder tanzen zu können. Ich bin mir sicher, dass ich es schaffen werde.“ Er vertraut darauf, dass es stimmt: „Du hast mehr Möglichkeiten, als Du denkst.“ Und er hilft anderen, dass sie das im eigenen Leben entdecken können.

 

 

Die Ansprache stützt sich auf den Artikel „Tango ohne Grenzen“ von Dierk Jensen in Sozialcourage – Das Magazin für soziales Handeln, hg. vom Deutschen Caritasverband, Freiburg, sozialcourage@caritas.de">sozialcourage@caritas.de, 2 / 2023, S. 20-21

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38083
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

25JUL2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

In diesen Wochen habe ich bei uns im Speyerer Dom zwei Trauungen gefeiert. Beide Brautpaare haben sich die selbe Bibellesung herausgesucht: 1 Kor 13, das Hohelied der Liebe. Diese schönen Worte kennen Sie vielleicht auch:

„Die Liebe ist langmütig; die Liebe ist gütig. Sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf. Sie handelt nicht ungehörig, sucht nicht ihren Vorteil, lässt sich nicht zum Zorn reizen, trägt das Böse nicht nach. Sie freut sich nicht über das Unrecht, sondern freut sich an der Wahrheit. Sie erträgt alles, glaubt alles, hofft alles, hält allem stand. Die Liebe hört niemals auf.“ (1 Kor 13, 4-8)

Wenn diese Bibelverse bei der Trauung vorgelesen werden, dann sitzen die Brautleute oft mit leuchtenden Augen da. Die spiegeln ihre Erwartung wider: „Ja, so soll unsere Liebe sein. So soll meine Partnerin, mein Partner mir gegenüber sein, und ich möchte mein Bestes geben, damit unsere Liebe so schön wird.“ Die Bibelstelle wird als Ideal verstanden, als etwas, wofür man sich anstrengt. Das kann aber Druck machen, einem selbst und auch dem anderen. Das Gute ist: So ist die Bibelstelle gar nicht gemeint.

Der Apostel Paulus schreibt diese wunderbaren Sätze in einem Kapitel über die Charismen, über die Gaben, die Gott den Menschen schenkt. Für Paulus ist die Liebe, die er hier beschreibt, in allererster Linie etwas, was Gott von sich aus den Menschen schenkt. Als eine Gabe. Weil Gott die Quelle der Liebe ist.

Es gibt eine wichtige Voraussetzung dafür, dass Menschen einander wirklich liebevoll begegnen können und dass auch die Liebe von Eheleuten reift. Sie müssen entdeckt und erfahren haben: „Ich bekomme Liebe geschenkt. Auf vielfache Weise. Von der Partnerin, von Freunden, von Mitmenschen, von Gott.“ Wir leben von der Liebe, die wir geschenkt bekommen. Wenn ich das wach und bewusst wahrnehme, dann ist meine Liebe zu den anderen keine Anstrengung oder moralische Pflicht. Meine Liebe zu den anderen ist dann meine selbstverständliche Antwort auf die Liebe, die ich empfangen habe. Und deshalb ist sie auch gar nicht anstrengend. Auf diese Weise kann ein Mensch oder ein Paar in der Liebe wachsen - bis zu der reifen Form, die im Hohelied der Liebe besungen wird.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38082
weiterlesen...

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

24JUL2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Transfrauen treffen den Papst. Klingt unwahrscheinlich. Ist aber so. Am Rande der wöchentlichen Generalaudienz trifft sich Papst Franziskus immer mal wieder mit transsexuellen Menschen. Er hat ein Gespür für ihre Situation.

Eingefädelt haben das Schwester Genevieve und Schwester Anna Amelia. Sie gehören dem Orden der Kleinen Schwestern an. Die teilen bewusst das Leben von Menschen, die eher am Rande der Gesellschaft stehen. Die beiden Schwestern leben seit vielen Jahren in der Welt der Schausteller. Sie wohnen in zwei umgebauten Bauwagen. Die stehen jetzt in einem Freizeitpark in Ostia vor den Toren Roms. Und die Schwestern betreiben selbst zwei Buden, ein Angelspiel und ein Wurfspiel. Von den Einnahmen bestreiten sie ihren Lebensunterhalt. Da sie sehr bescheiden sind, bekommt an ihrer Lostrommel jeder einen Gewinn.

Die Schwestern wollen bewusst für die Schausteller und die Besucher da sein. Schwester Genevieve sagt: „Es geht uns darum, für Kinder, Jugendliche und Familien, aber auch für alte Menschen präsent zu sein. Oft kommen Kinder mit ihren Großeltern, und dann merke ich: Die Verbindung und der Respekt zwischen den Generationen sind so wichtig!“ Und weil die Schwestern so einfühlsam sind, lösen die Gespräche an ihren Spielbuden bei den Besuchern einiges aus. Mit Freude im Herzen gehen sie dann weiter.

Aber die Schwestern verstehen ihren Auftrag noch weiter. Originalton Sr. Genevieve: „Mir ist wichtig, dass mein Einsatz über die Grenzen des Freizeitparks hinausgeht. Deshalb gehe ich in benachteiligte Stadtviertel in der Nähe, spreche mit den Menschen dort, bete mit ihnen und helfe, wo ich kann.“ Dabei hat sie auch die transsexuellen Mitmenschen kennengelernt. Und da sie den Papst noch aus Argentinien her kennt, hat sie den Kontakt zu ihm hergestellt. So kam es, dass der Vatikan in der Coronazeit transsexuelle Prostituierte unterstützt hat, damit sie das Lebensnotwendigste hatten.

So schlagen die Schwestern Brücken zwischen ganz unterschiedlichen Lebenswelten. Das ist eine Frucht ihrer Spiritualität. Sie teilen das Leben von Menschen am Rande der Gesellschaft, einfach so, weil diese Mitmenschen ihnen wichtig sind. Weil sie Gottes besondere Lieblinge sind. Missionieren wollen sie sie nicht. Für mich sind Schwester Genevieve und Schwester Anna Amelia ein ganz starkes Stück Kirche.

 

Bei dieser Ansprache stütze ich mich auf zwei Artikel: „Die Kirmes-Schwester“, von Pia Scheiblhuber, in der Zeitschrift „Kontinente“, Nr. 4 / 2023, S. 24, und „Die Spielbuden der Schwestern“ von Severina Bartonitschek in „Konradsblatt“ Nr. 25 / 2023 vom 28.06.2023, S. 24-25.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38081
weiterlesen...

Anstöße sonn- und feiertags

23JUL2023
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

„Ich hätte vor Scham in den Boden versinken können.“ Das beschreibt ein Gefühl, das an die Nieren geht. So komme ich mir vor, wenn ich etwas falsch gemacht habe. Wenn ich richtig versagt habe; wenn ich mich irgendwie peinlich verhalten habe oder ertappt fühle; wenn ich ungewollt eine Grenze übertreten habe oder wenn ich ausgelacht werde. Menschen, die sich schämen, laufen im Gesicht oft rot an oder zittern sogar. Haben Angst; vor allem Angst, das Gesicht zu verlieren; Angst, abgelehnt zu werden.

Das ist dann wirklich zum In-den-Boden-versinken oder zum Fortlaufen. Kinder halten sich dabei oft die Augen zu – sie wollen sich damit „wegmachen“. „Ich will hier weg“ - das ist der innere Hauptimpuls, wenn ich mich richtig schäme.

Scham kann die ganze Person in Frage stellen. Denn da stecken oft die Botschaften drin: „Ich habe versagt. Ich werde meinem Anspruch nicht gerecht – oder dem der anderen. Ich bin nicht so, wie ich sein will.“ Dann passiert es leicht, dass jemand an sich zweifelt und innerlich gegen sich selbst angeht. Dabei kann das Schamgefühl auch etwas Gutes haben. Es kann mich warnen und schützen. Es kann mir zeigen, wo eine Gefahrenquelle für mich liegt, wo ich mich wirklich ungut verhalten habe – dann kann ich daraus etwas Lebenswichtiges lernen. Das bringt mich dann weiter.

Scham kann einen Menschen aber auch verängstigen. Wenn er dann allzu sehr an sich zweifelt und sich runtermacht. Oder wenn er das Schamgefühl in Zukunft dadurch vermeidet, dass er sich anpasst, dass er sich so verhält, wie die anderen das wollen. Am Ende ist er dann nicht mehr er selbst.

Wenn ich mich schäme, mag ich mich in diesem Moment selbst nicht. Will so eigentlich nicht sein. Aber wenn ich anders sein will, dann muss mich erst einmal selbst annehmen können. So, wie ich bin. Dann fällt es mir leichter, mich hie und da zu ändern.

Mir hilft dabei die innere Gewissheit, dass Gott mich so annimmt, wie ich bin, und dass er mir meine Fehler und Fehltritte verzeiht. Vor ihm brauche ich mich auch nicht zu schämen – denn er kennt mich ja durch und durch. Und nimmt mich an, wie ich bin. Gottseidank!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=38080
weiterlesen...