SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Dürfen Christen tolerant sein? Diese Frage taucht schon im Neuen Testament auf. Zum Beispiel im Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen. Das Gleichnis handelt von einem Gutsherrn, der Weizen ausgesät hat. In der Nacht streut aber jemand Unkraut unter den guten Samen. Die Knechte des Gutsherrn wollen das Unkraut ausreißen, aber der Gutsherr entscheidet: Lasst beides wachsen bis zur Ernte. Erst bei der Ernte, am „Ende aller Tage“ soll sortiert werden und das Unkraut verbrannt. Bis dahin, will das Gleichnis sagen, bis dahin müssen die Christen sich gedulden, müssen sie das Übel erdulden. Aus zwei Gründen. Einmal besteht die Gefahr, dass die Knechte zusammen mit dem Unkraut auch den Weizen ausreißen. Und zum andern ist das Scheiden und Vernichten Sache Gottes.
Im 16. Jahrhundert haben sogar einige spanische Theologen mit Verweis auf dieses Gleichnis den Krieg gegen die Indios kritisiert. Deren Götzenverehrung zu beurteilen und gegebenenfalls zu bestrafen, sei dem göttlichen Gericht am Ende vorbehalten.
Das Gleichnis vom Unkraut unter dem Weizen hat den Christen geholfen, einige Schritte in Richtung Toleranz zu gehen. Aber eben nur einige Schritte. Denn im Rahmen des Gleichnisses kann es nur um Duldung gehen. Hier ist klar: alles Andersartige ist Unkraut, ist ein Übel. Wer anders denkt, glaubt und handelt, muss sich irren oder verweigert sich der Wahrheit. Ein anderer biblischer Gedanke hat dann den Christen geholfen, vom Dulden zum Respektieren zu kommen. Es ist der Gedanke, dass jeder Mensch Ebenbild Gottes ist und die Vorstellung, dass jeder sein eigenes persönliches Gewissen hat. Wenn jeder Gottes Ebenbild ist, dann hat auch jeder Wert und Würde. Und muß sein Denken und Handeln selbst verantworten. Vor dem eigenen Gewissen. Man begann zu fragen: Was ist, wenn jemand nach reiflicher Überlegung zu anderen Positionen kommt, als die geltenden Ordnungen und die Kirche sie vertreten? Große mittelalterliche Theologen haben dafür plädiert, dass in diesen Fällen das Gebot des persönlichen Gewissens unbedingt befolgt werden müsse. Ja, es wäre sogar Sünde, nicht dem Gewissen zu folgen. Damit führt auch an religiöser Toleranz kein Weg mehr vorbei. Toleranz, auf jeden Fall mit einer eigenen Position, Toleranz, welche die Würde und das Gewissen anderer ernst nimmt. https://www.kirche-im-swr.de/?m=150
weiterlesen...