SWR2 Zum Feiertag

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„Vom Himmel hoch da komm ich her/ist eine längst verklungene Mär". Wahrscheinlich haben Sie jetzt gestutzt. „Vom Himmel hoch da komm ich her/ist eine längst verklungene Mär". Der erste Vers altehrwürdig, vertraut, der zweite modifiziert den ursprünglichen Text - und schon ist man verstört. Die beiden Verse finden sich in einem Gedicht des vor zehn Jahren verstorbenen Lyrikers Ernst Jandl. Es trägt den Titel „An die Freunde". Freundschaft verlangt Redlichkeit, Wahrhaftigkeit, und Jandl mutet den Freunden eine bittere Wahrheit zu: Dem illusionslos gewordenen Erwachsenen ist diese Geschichte von der Gottesgeburt zu einem Märchen geworden aus vergangener Zeit. Der Mensch Jesus mag gelebt haben, daran zweifelt ernsthaft niemand. Doch die Interpretation dieses Menschen als die gute Botschaft Gottes an die Welt scheint sich ausgezehrt zu haben. Existiert überhaupt ein Gott? Wir befinden uns mit den Versen von Jandl im Zentrum der entsicherten Moderne. Mögen andere Generationen selbstverständlich an Gott geglaubt haben, in der Moderne ist das nicht mehr selbstverständlich. Und zwar aus guten Gründen.

Die Moderne hat entsetzliche Verbrechen hervorgebracht, aber sie lässt sich nicht darauf reduzieren. Es gibt auch eine Modernität, für die ein ganz anderer, leise melancholischer Ton signifikant ist. In ihr bohrt die Ahnung, dass der Mensch das einsamste von allen Wesen in der Welt sein könnte. „Vom Himmel hoch da komm ich her/ich bring euch gute neue Mär'" hatte Luther im Jahr 1535 ursprünglich für seine Kinder gedichtet. Und Jandl? Er nennt das eine längst verklungene Mär. In seiner Modifikation der Luther-Verse erinnert er zwar noch an die Erzählung von einem Gott, der sich der Menschheit zuwendet, aber die Erinnerung ist schon lange verblasst. Die Weihnachtsbotschaft scheint nicht mehr glaubwürdig zu sein, weil sie sich so wenig mit der Realität in Beziehung setzen lässt. Warum? Gott stirbt an seiner eigenen Bedeutungslosigkeit, er entzieht sich seiner Erfahrbarkeit.  Abgebrüht klingt dies, aber genau das Gegenteil ist der Fall. Das Bewusstsein vom Tode Gottes erzeugt eine große Leere, eine tiefe Traurigkeit.

Die Ahnung, dass der einst geglaubte Gott nicht existieren und damit die größte Sehnsucht des Menschen eine Illusion sein könnte, diese Ahnung durchdringt das abendländische Bewusstsein seit gut zwei Jahrhunderten, mit unterschiedlichen Gründen. Heinrich Heine konnte in seinem Buch Zur Geschichte der Philosophie und Religion in Deutschland den entgötterten Himmel noch bejubeln: „... den Himmel überlassen wir/den Engeln und den Spatzen." Aus dem Blickwinkel Heines wurde der Tod Gottes noch als Befreiung erlebt. Zu stark war dem Menschen das Diesseits durch eine Theologengnadenlosigkeit vergällt worden, die sich im Gefolge des Augustinus breitgemacht hatte. Was war von Gottes Schöpfung auch noch übrig geblieben als der Eindruck, dass eine Prüfung die nächste jagt: Nur wer sich bewährt, kann anschließend die Seligkeit genießen. Freilich war nicht einmal klar, ob es überhaupt etwas nützen sollte, sich redlich zu bemühen. Denn es stand ja auch noch die dunkle Furcht im Raum, dass Gott immer bereits vorherbestimmt haben könnte, welchem Schicksal die Einzelnen zugeführt werden sollten: Mit einer unseligen Erbsünde belastet waren ja alle. Gott würde dann eben den einen gnädig sein, mit denen er dennoch den Himmel bevölkern wollte, und sich den vielen anderen, die Höllenqualen erleiden sollten, als gerecht erweisen. Der Philosoph Hans Blumenberg hat deshalb in den 60er Jahren des letzten Jahrhunderts von einem Akt der humanen Selbstbehauptung gesprochen, mit dem sich der Mensch gegen einen solchen Willkürgott zur Wehr gesetzt habe - und ihn dann schließlich ganz verabschiedete: Es galt einem Gott den Tod zu geben, der nichts als Willkür darstellte und dem Leben seine Freude verleidete.

„Vom Himmel hoch da komm ich her/ist eine längst vergangene Mär." Kann man sagen, dass die Verse Jandls noch diesen Geist der Empörung gegen die Theologentyrannei vergangener Jahrhunderte atmen? Sind es nicht vielmehr wehmütige Verse?

Jandl weiß um den Preis, der für den Tod Gottes zu bezahlen ist. In sein Gedicht an die Freunde fließt eine Philosophie ein, die am Ende immer nur um die eine Frage kreist: Was ist der Mensch? Präziser: Was ist das, was Menschen füreinander wollen können? Noch präziser: Was ist das, was Menschen füreinander ersehnen können, angesichts der Tatsache, dass ihre eigenen Möglichkeiten radikal begrenzt sind? Die Antwort, die auch noch im Hintergrund des Gedichts von Jandl steht, lautet: Was wir Menschen für einander wollen können, ist ein Gott, der den Tod tötet, die Menschen nicht verloren gehen lässt und die Geschichte als einmalige Geschichte würdigt. Aus dieser Sehnsucht folgt kein Gottesbeweis, denn: Nur weil der Mensch einen solchen Gott ersehnt, muss ein solcher Gott ja nicht existieren. Aber es wäre, so die Sehnsucht, eben zu schön, wenn er existierte. Vielleicht wird selbst wer meint, illusionslos leben zu müssen, dem noch zustimmen können: Dass nämlich das menschliche Sehnen keine größere Hoffnung kennen kann als einen solchen Gott - als einen Gott, der selbst Kind wird, ja einen Gott, der in der Gestalt eines Menschen sein vorbehaltloses Ja zum Menschen erfahrbar werden lässt.

Immer wieder wird bestritten, daß Jesus so zu verstehen ist. Das Weihnachtsevangelium beruht schließlich auf einer Interpretation des historischen Lebens Jesu, aber: Vieles von dem, auf das Menschen in ihrem Leben setzen und aus dem heraus sie leben, beruht auf Interpretation, und am Ende auf Vertrauen. Zwar führt der Glaube den Zweifel immer mit sich. Aber dennoch kann der Glaube richtig sein. Natürlich klingt das Weihnachtsevangelium wie ein Märchen, die Geschichte von einer jungen Frau namens Maria, die erfüllt von einer tiefen Gottessehnsucht ein Kind zur Welt gebracht hat. In diesem Kind läßt Gott selbst sich in einer für einen Gott geradezu verrückten Weise auf die Welt ein und erfährt am eigenen Leib, was es bedeutet, Mensch zu sein Natürlich klingt das märchenhaft, aber: Diese Geschichte ist zu faszinierend und ihre zahllosen Erzählerinnen und Erzähler waren in ihrer Auflehnung gegen das Schicksal des Todes zu mutig. Deshalb darf die Weihnachtsgeschichte nicht vergessen werden. Viel mehr noch: Sie verdient Vertrauen - auch wenn dies Vertrauen ein Vertrauen ins Ungewisse hinein ist. Denn hier wird ein Gott vorgestellt, der als Mensch sich am Wunder des Daseindürfens erfreut, der mit dem Menschen seine Schöpfung teilt, aber der sich eben auch der ganzen Abgründigkeit eines menschlichen Lebens aussetzt. Und wie elendig wird Jesus schließlich krepieren... Hilflos, zweifelnd...

Doch der Gott des Weihnachtsevangeliums setzt sich nicht nur den Zumutungen des Lebens aus, sondern gibt der Menschheit auch ein Versprechen: Dass er nichts in seiner Schöpfung und erst recht kein Menschenleben ins Nichts gleiten lassen will. Wer dem Evangelium von Weihnachten, der Botschaft von der Gottesgeburt, trauen kann, dem verklärt sich das Leben zwar keineswegs in eine lärmende Fröhlichkeit. Die dem Leben anklebende Traurigkeit nimmt auch der Weihnachtsglaube nicht einfach weg. Und wer von einer tiefen Weihnachtsfreude erfüllt ist, weil er dem Weihnachtsevangelium trauen kann, ist ja immer noch von der Wehmütigkeit derer berührt, die nicht glauben können: Weil ihnen das Leben zu gnadenlos mitgespielt hat. Doch die Weihnachtsfreude muss und darf sich auch nicht verstecken: Sie soll werben, dies aber mit Respekt und Achtung vor all denjenigen, die nicht aus ihr leben können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=9683
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