SWR1 Begegnungen

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Pfarrerin Annette Bassler trifft Karsten Wächter, Militärdekan aus Koblenz

begegnungen > waechterk.jpgDer Krieg in Afghanistan ist weit weg. Doch immer wieder berührt er uns durch Nachrichten von schrecklichen Terroranschlägen, denen Einheimische wie deutsche Soldaten zum Opfer gefallen sind. Was für ein Krieg ist das, in den unsere Soldaten verwickelt sind? Wie sieht das jemand, der vor Ort war? Karsten Wächter ist Militärdekan in Koblenz. Bis vergangenen März war er Seelsorger für die Soldaten, die im afghanischen Kunduz stationiert sind.

Es ist ein Konflikt, wo sie den Gegner nicht sehen können, den Gegner nicht erkennen können, wo der Gegner nicht offen agiert, sondern aus der Deckung, aus der Bevölkerung, mit Hinterhalten operiert.

Und in dieser Situation wird der ursprüngliche Auftrag, für den zivilen Aufbau zu sorgen, immer schwerer.

Teil 1: Der Militärseelsorger- guter Geist zwischen den Fronten
An der Schranke salutiert ein junger Soldat, mit Hand an der Mütze und einem Lächeln. Ich möge doch bitte meinen Personalausweis abgeben, meint er. Und das Büro des Militärdekans sei gleich rechts. Karsten Wächter hat gerade mit drei Männern in Uniform ein Freizeitwochenende für die Soldaten mit ihren Familien vorbereitet. Er hat was von einem schnittigen Soldaten: schlank, durchtrainiert, dunkler Typ. Aber der Pfarrer und ausgebildete Atemtherapeut kämpft auf andere Weise als seine Soldaten. Vor allem, wenn er in einem Kriegsgebiet eingesetzt ist.

Wir sind die Feuerwehr mit den Psychologen und den Ärzten zusammen, sei es dass draußen Kameraden ums Leben gekommen sind, sei es, dass eine Verwundung da ist, sei es das von zu Hause eine blöde Nachricht kommt. Da wird natürlich erwartet: wir haben den Pfarrer, auf den kann man zurückgreifen.

Als Militärpfarrer steht Karsten Wächter außerhalb der Hierarchie. Er muss nicht verantworten, ob ein Soldat fit genug ist für den nächsten Einsatz. Deshalb kann er einfach nur zuhören. Und weil er weil er zum Schweigen verpflichtet ist, genießt er hohes Vertrauen, auch bei den Vorgesetzten.

Uns wird natürlich vieles erzählt, was den Führenden nicht erzählt wird, weil wir einfach anders hinhören. Ich muss halt nicht Sorge tragen, dass der Mann einsatzbereit bleibt. Sondern kann ihm einfach mal den Fragen, den Zweifeln, ja der Schattenseite Raum geben, was sich dann wieder entlastend auswirkt. Insofern sind wir ein Stück guter Geist auch.

Ein Geist, der den Respekt vor der Belastbarkeit der Soldaten wachhält und ein menschliches Miteinander befördert. Und dieser Geist ist den Führenden besonders bei ihrem Einsatz in Kunduz wichtig gewesen. Denn der galt doch vor allem dem Aufbau einer zivilen Gesellschaft.

Man muss sehen, dass das alles unter der Leitlinie stand: es ist kein Selbstzweck, sondern es hat immer das Ziel, mit den Afghanen zusammen zu operieren und nicht an deren Stelle und schon gar keine Alleingänge zu machen.

Was Karsten Wächter dann aber gehört und erlebt hat, war eine ganz andere Realität.

Was mir Soldaten berichtet haben, dass sie zum Beispiel in ein Dorf gegangen sind um dort mit den Ältesten zu reden. Man kommt in eine Dorf und spricht mit dem Pfarrer, mit dem Lehrer, mit dem Bürgermeister, und nach 'ner dreiviertel Stunde verlassen sie das Dorf und werden dann von hinten beim Rückzug beschossen. Das heißt die Leute, mit denen sie vorher gesprochen haben, sind möglicherweise die gleichen, oder ein Teil davon, die sie dann hinterher beschießen. Also viele haben mir erzählt, sie trauen keinem Afghanen mehr.

Menschlich gesehen sehr verständlich. Aber genau das ist das Problem. Wie soll man mit Einheimischen einen zivilen Aufbau befördern, wenn man- zurecht- Grund zum Misstrauen hat? Durch die Erzählungen von Karsten Wächter ahne ich, wie sich Krieg wohl anfühlen muss: diese Angst und das Bedürfnis, zurückzuschlagen, wenn man hinterrücks überfallen wird. Wie ist das, wenn diese Gefühle sich im Kopf und in der Seele der Soldaten festsetzen und sie verändern? Friedenseinsätze sind solche, bei denen genau das nicht passiert. Eine große Herausforderung für alle.

Teil 2- Leben im Militärlager
Mit einer fensterlosen Militärmaschine ist Karsten Wächter auf dem Flughafen in Kunduz gelandet, erzählt er mir. Als sich die Ladeklappe geöffnet hat, sieht er nichts als steinige Wüste, Soldaten und militärisches Gerät.

Möglicherweise stehen schon Personenschützer da, die rumgucken, ob nicht irgendwo Scharfschützen stehen. Der Transport zum Feldlager selbst geht dann in kleinen Transportfahrzeugen, da muss man auch eine Splitterschutzweste anziehen als Passagier, die hat man vorher nicht und wird mit Hochgeschwindigkeit ins Feldlager gefahren. Das ist schon der erste Eindruck, den man bekommt als Neuankömmling: hier ist es gefährlich.

Rund 1200 Soldaten sind derzeit im deutschen Lager in Kunduz stationiert. Als Seelsorger gehört Karsten Wächter zu den so genannten „Drinnies". Das heißt, er arbeitet - im Unterschied zu den Soldaten, die im Einsatz sind- ausschließlich drinnen. Rausgehen darf er nur mit Personenschützer und auch das ist lebensgefährlich. Also steht er Tag und Nacht den Soldaten zur Verfügung in der so genannten „Gottesburg", wie die Soldaten die Kirche im Lager nennen.

Das sind einmal zwei Container, wo Büro und Gesprächsecke ist, das ist ein Raum, wo man ungestört Gespräche führen kann. Und dann gibt's ne schöne Terrasse. Und gegenüber ist ein Dreiercontainer, wo der Raum der Stille ist. Sieht so ein bisschen aus wie ein Zelt. Es ist so 'ne richtige kleine Oase kann man sagen, wo man auftanken kann.

Viele Soldaten kommen abends hierher, um eine Kerze anzuzünden und ihre Gedanken nach Hause oder in den Himmel zu schicken. Oder sie kommen tagsüber für einen Kaffee vorbei. Am Samstagabend gibt es hier immer einen Gottesdienst und zwar- weil es nur einen Pfarrer gibt- immer ökumenisch.

Mein Kollege hat erzählt, dass er Ostersonntag draußen gefeiert hat. Direkt neben der Gottesburg ist ein Beachvolleyballfeld und da haben die Soldaten ein Kreuz aufgestellt, dass man draußen auch feiern kann.

128 Tage war Karsten Wächter rund um die Uhr Ansprechpartner für die Soldaten. Einen freien Tag in der Woche oder Feierabend hat es nicht gegeben. Eine große Strapaze, die ihm noch immer in den Knochen steckt. Und wofür?

Das ist nicht messbar, es ist keine Leistung kein Erfolg messbar, wo ich sagen kann: jetzt weißt du, was du geschafft hast. Also wenn ich Rasen gemäht habe, dann weiß ich, was ich gemacht habe. Aber so ne Woche im Feldlager, ja, was hat man eigentlich gemacht? Es ist eine permanente Anspannung, in der man lebt, permanent die Frage: die Leute sind draußen, passiert was? Meine Frau ist Ärztin, die guckt mich immer kopfschüttelnd an und sie sagt immer: „Du hast einfach viel gearbeitet. Fertig."

Viel gearbeitet. Viel ausgehalten, viel mitgetragen. Selig sind, die Frieden stiften, hat Jesus gesagt. Selig sind, die sich von der Logik und den Gefühlen des Krieges nicht korrumpieren lassen. Ob erfolgreich oder nicht- sie werden Gottes Kinder heißen. Dass sie das spüren und darauf vertrauen können, das wünsche ich Karsten Wächter und allen, die sich in schwierigen Konflikten für den Frieden einsetzen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8517
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