SWR2 Zum Feiertag

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Thomas Weißer im Gespräch mit dem evangelischen Theologen Prof. Dr. Walter Dietz.

 Weißer: Heute feiern die katholischen Christen Fronleichnam. Der Begriff leitet sich vom mittelhochdeutschen vrône lîcham, „Leib des Herrn" ab. Eine wirklich fromme Bezeichnung. Die verrät aber nicht, dass Fronleichnam jahrhundertlang ein heftig umkämpftes Fest zwischen evangelischen und katholischen Christen war. Darüber spreche ich als katholischer Theologe heute mit Walter Dietz, der als evangelischer Theologe an der Universität Mainz lehrt. Was können Sie eigentlich dem Fest Fronleichnam abgewinnen?

 Dietz: Ja, zunächst einmal sehe ich es auch als primär katholisches Fest. Was nicht heißt, dass es nicht eine allgemein christliche Bedeutung hätte. Was ich daran wichtig finde, ist, dass hier ein sichtbarer Hinweis passiert auf die Mitte des christlichen Glaubens. Hier geht es um Christus. Und das ist das erste, was ich positiv hervorheben würde als auch eine ökumenische Bedeutung, wenngleich man sagen muss, empfunden wird es doch weithin als ein katholisches Fest.

 Weißer: Sie sagen: Ein katholisches Fest. Dazu trägt vielleicht bei, dass neben dem theologischen Gehalt doch viel Brauchtum einfach auch damit verbunden ist. Wehende Fahnen, eine Monstranz, also ein Zeigegerät, wo die Hostie durch die Straßen getragen wird. Vermisst da der evangelische Theologe vielleicht in seiner Konfession nicht auch ein bisschen was?

 Dietz: Ich weiß nicht, ob wir da was vermissen sollen oder müssen. Es besteht ja immer die Gefahr, dass der Glaube bei dem Versuch, ihn sichtbar zu machen, nicht unbedingt trivialisiert oder banalisiert wird, aber zu einer Art Spektakel oder zu einer Art Theater wird. Und das ist etwas, was ja meiner Meinung nach auch Martin Luther zu Recht kritisiert hat, die Verselbständigung dieser Prozession zu einem Schauspiel. Ich glaub,  das hat ihn, ich will jetzt nicht sagen angewidert, aber doch theologisch massiv gestört. Und da sehe ich auch ein Recht der Kritik.

Weißer:  Diese kritische Auseinandersetzung mit dem Fest ­- Sie haben gesagt, Luther war da auch einer derjenigen, die kritisiert haben, er hat (im Jahre 1527) vom „schädlichsten aller Feste überhaupt" gesprochen -,

 Dietz: Zeitweise, ja.

 Weißer: - diese Kritik hat vielleicht auch ein bisschen damit zu tun, dass doch Macht an Fronleichnam demonstriert wird. Auf der einen Seite die Katholiken, die den Protestanten zeigen: Uns gehört der öffentliche Raum. Und dann die Protestanten, meine Großmutter hat's noch erzählt, die dann eben neben den Prozessionswegen ihren Mist mal so richtig ausfahren, damit gezeigt wird: Dieses Fest interessiert uns gar nicht. Ist dieser Machtgedanke nicht ein echtes Problem an dem Fest?

 Dietz: Ja, Macht hat ja was sehr Ambivalentes. Aber wenn's eine positive Zurschaustellung des Glaubens oder der Mitte des Glaubens ist und eben hier auch bei Fronleichnam, konzentriert auf Christus; es ist das Fest Corpus Christi. Wichtig ist nur, dass sozusagen das Mediale sich nicht verselbständigt, also die Verselbständigung des Mediums, insbesondere auch der Hostie aber auch dann der Monstranz außen herum, gegenüber der Botschaft. Das ist eigentlich das Zentrum der protestantischen Kritik.

 Weißer: Und wenn wir sagen: Okay, wir gucken darauf, dass diese Botschaft sich nicht verselbständigt, dann bleibt doch immer noch dieses Moment von Präsenz. Also die Präsenz Christi im öffentlichen Raum. Ist das nicht etwas Zentrales, was Katholiken und Protestanten verbinden könnte?

 Dietz: Würde ich auch so sehen. Der Glaube ist keine Privatsache, Religion ist an sich schon keine Privatsache. Und der christliche Glaube erst recht nicht. Das Bekenntnis der Christen drängt über die Grenzen der Kirche hinaus. Und auch dort, wo sozusagen die kultische oder gottesdienstliche Mitte ist, sollte das nach außen demonstriert werden können. Gerade wo Christen vielleicht in einer schwierigen Situation sind, in einer Minderheitssituation kann das wesentlich sein auch zur Stärkung des Gemeinschaftsbewusstseins. Also von daher sehe ich als Protestant da etwas nicht befremdliches, sondern eine Chance also auch in dem, was also eine Prozession darstellt.  Glaube ist keine Privatsache, das kann auf diese Weise schon demonstriert werden, wenn sie jetzt an Katholiken anderswo denken, etwa zum Beispiel in Afrika oder in Asien, Südostasien, in Ceylon, auf den Philippinen, Indonesien, dort ist gerade so ein lebendiges Christentum auch verbunden mit Prozessionen - ein positives Demonstrieren, was uns als Christen zusammenhält, was die Mitte unseres Glaubens ist. Deshalb würde ich sagen, können da die Katholiken von uns nichts lernen, sondern wir eher von den Katholiken im Blick auf die Präsenz des Glaubens in der Öffentlichkeit und die Verbindung dieses Glaubens mit der Kultur.

 Weißer: Dadurch, dass Sie so das Zentrum des Festes hervorheben, wird eigentlich deutlich, dass doch so in manchen Punkten Kirchentrennung sehr kleinkariert funktioniert und ist. Aber trotzdem gibt es immer noch die Diskussionen um die Art und Weise, was denn da präsent ist. Also die Frage: Was wird denn eigentlich in dieser Hostie verehrt? Ich habe so den Eindruck gewonnen, auch aus der Literatur, aus den Diskussionen, zwischen Katholiken und Lutheraner gibt es da eigentlich gar keinen großen Unterschied. Oder sehen Sie das anders?

 Dietz: Ja, es gibt dann in der Lehrdeutung im Einzelnen gewisse Unterschiede. Aber das in, mit und unter den Elementen von Brot und Wein, Christus, sein Leib und Blut, wahrhaft, also wirklich gegenwärtig ist, das ist Konsens. Und dieser Konsens trägt doch sehr weit zwischen Lutheranern und Katholiken. Und der ist auch unstrittig. Auch übrigens unstrittig, dass es also um keine Wiederholung des Opfers Christi am Kreuz gehen kann, sondern eben nur eine Vergegenwärtigung, eine Erinnerung. Und Fronleichnam ist eben auch dazu geeignet, so eine Vergegenwärtigung - Christus ist für uns gestorben - zu präsentieren, und zwar öffentlich zu präsentieren. Also da ist die Differenz dann weniger zwischen Lutheranern und Katholiken als zwischen Lutheranern und dem sogenannten linken Flügel der Reformation, wenn man etwa an Zwingli denkt.

 Weißer: Also ich erlebe das immer wieder auch im Gespräch mit evangelischen Theologen, man guckt doch, welche Gemeinsamkeiten können wir herstellen, wo  besteht Nähe, wo kommen wir zu einem Konsens in Überzeugungen. Gerade jetzt im Zusammenhang  mit dem Ökumenischen Kirchentag, der vor kurzem gefeiert wurde, stellt sich aber doch die Frage: Ist nicht eine Vielfalt christlichen Glaubens nicht eigentlich viel stärker als die Suche danach, wo man sich überall verbinden kann und so eine Einheitskirche, eine Einheitsökumene herstellt. Also als Beispiel: Es gibt vier Evangelien, vier verschiedene Interpretationen des Lebens, Sterbens und Auferstehens Jesu. Soll es vielleicht nicht auch, und das zeigt Fronleichnam möglicherweise, nicht doch viele verschiedene Kirchen geben, die unterschiedliche Aspekte dieses Glaubens dann eben auch zum Tragen bringen?

 Dietz: Es ist schwierig. Ich meine, natürlich kann es viele Schattierungen von Kirche geben. Es gibt ja auch viele verschiedene Konzepte von Einheit. Aber es wird in dem Moment schwierig, wo Christen, also Menschen, die das Christusbekenntnis elementar aussprechen, und die durch dieses Bekenntnis auch untereinander verbunden sind, sich wechselseitig ausschließen. Und zwar in der Weise, dass sie sich etwa das Kirche-Sein absprechen oder das Kirche-Sein des anderen relativieren, oder gar, der radikalste Schritt, dem Anderen den Zugang zum Tisch des Herrn verwehren. Und da kann man natürlich sagen, das ist ein Skandal im Blick auf das Kirche-Sein selber. Das heißt: man muss unterscheiden eine natürliche, gesunde Pluralität von Lehrmeinungen und Frömmigkeitskulturen, Frömmigkeitsstrukturen, Fronleichnam ist ja dann auch eine besondere Ausprägung so einer Frömmigkeitskultur auf der einen Seite und einem echten Dissens, also klassisch gesprochen einem Schisma, das dann dazu führt, dass man dem anderen das Christ-Sein abspricht.

 Weißer: Sie haben eben, das fand ich sehr gut, gesagt, es geht um die Präsenz dieses Jesus Christus im öffentlichen Raum, in der Gesellschaft. Präsenz heißt ja auch: etwas ausstrahlen. Also, wenn jemand sehr präsent ist, dann strahlt er etwas aus. Vielleicht brauchen die Kirchen diese Ausstrahlung, die Jesus mitgebracht hat.

 Dietz: Richtig. Also diese Ausstrahlung, dafür könnte man jetzt sozusagen, wenn man an Fronleichnam denkt, die Monstranz im Auge haben, die soll vom christlichen Glauben ausgehen. Die Präsenz Christi zeigt sich im Lebensvollzug. Und die Präsenz der Bedeutung des Leibes Christi zeigt sich darin, dass wir ihn zu uns nehmen. Und das ist sozusagen im Blick auf das Abendmahl ganz real gedacht.

 Weißer: Sie haben ein paar kritische Punkte angesprochen, ein paar Aspekte beleuchtet an denen sowohl Katholiken denke ich, wie Protestanten Anteil haben können. Wie sähe eine Vision eines ökumenischen Fronleichnamsfestes für Sie aus?

 Dietz: Also wie ich mal Pfarrer in der bayrischen Landeskirche war, haben in den 80-er Jahren einige Pfarrer einfach kurzerhand sich entschlossen im Talar da mitzugehen. Ich glaube, das ist auch anderswo mittlerweile geschehen. Kann man das so ungefangen, da in Amtstracht mitgehen? Ist das nicht eigentlich ein Selbstmissverständnis des Protestantismus? Oder ist es ein wahrhaft ökumenisches Zeugnis? Und ich glaube, entscheidend ist, wenn ich da mitgehe, dann tue ich das schon in dem Bewusstsein der Differenz. Das ist nicht falsch, was ihr macht. Es hat sogar eine ganz eigene, großartige Dimension, aber ihr müsst aufpassen sozusagen: Der Ort im Leben, der Sitz im Leben der Hostie ist das Abendmahl und ist die Mahlgemeinschaft. Deshalb ist der Fokus des Ganzen doch die Mahlgemeinschaft, die communio, und nicht die Verehrung der Hostie als solche. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8393
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