SWR2 Zum Feiertag

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Ein Gespräch mit dem Tübinger Theologieprofessor und Religionspädagogen Friedrich Schweitzer und Pfarrerin Karoline Rittberger-Klas.

Herr Professor Schweitzer, Christi Himmelfahrt - anders als Weihnachten oder Ostern ist das für die meisten Menschen nicht gerade ein Highlight im christlichen Festkalender. Für die Kirche ist es aber doch ein wichtiger Feiertag. Was ist Ihnen persönlich wichtig an diesem Fest?

Schweitzer: Sie haben ganz recht, Himmelfahrt steht meistens etwas im Schatten des christlichen Festkalenders, aber Himmelfahrt ist mir deshalb wichtig, weil Himmelfahrt zu Ostern gehört. Am Anfang der christlichen Geschichte wurde Himmelfahrt ja auch gar nicht als eigener Feiertag begangen, sondern Himmelfahrt gehörte zur Auferstehung und damit zum Osterfest. Erst später hat es sich dann verselbständigt. Aber der Gedanke, die Erkenntnis, dass Christus von Gott kommt und zu Gott zurückkehrt, das gehört wichtig mit hinzu und ist insofern auch ein Anlass zum Feiern und zum Nachdenken.

Rittberger-Klas: Sie haben schon gesagt: von Gott kommt und zu Gott geht, Erinnerung an Weihnachten.... Für mich ist Himmelfahrt so etwas wie das Gegenteil von Weihnachten. Das Kind in der Krippe, da wird Gott uns ganz anschaulich, da kommt er uns ganz nah, und an Himmelfahrt, da entzieht er sich wieder. Dieses Fernrücken, das die Himmelfahrt beschreibt, das beschreibt, glaube ich, auch eine Erfahrung, die viele Menschen im Laufe ihres Lebens machen. Als Kind, in ihrem Kinderglauben, ist ihnen Jesus ganz nah und anschaulich, in Bildern und in Geschichten. Und irgendwann im Laufe der Jugend entzieht er sich, es fällt schwerer, an ihn zu glauben. Professor Schweitzer, als Religionspädagoge haben Sie sich intensiv mit solchen entwicklungspsychologischen Fragen befasst. Was passiert da in der Pubertät?

Schweitzer: Am Anfang haben Kinder ein ganz direktes Verhältnis zu dieser Geburt, zu dem Geburtstag Jesu Christi, wie sie das gerne auch sagen, der an Weihnachten gefeiert wird. In einem bestimmten Alter fangen Kinder an, darüber nachzudenken - was passiert eigentlich nach der Auferstehung? Wo ist Christus denn? Er ist nicht mehr bei uns als Menschen, nicht mehr so, wie er das vor Ostern war - wo ist er dann? Und dann liegt doch für viele Menschen die Antwort zunächst nah: Er ist im Himmel. So wie für Kinder am Anfang der Himmel eine Art Wohnung ist, wo Gott wohnt, vielleicht auch die Engel wohnen, vielleicht auch noch andere Wesen wohnen können. Und dieser Himmel verändert sich in der Lebensgeschichte der meisten Menschen. Am Anfang ist das eine räumliche Vorstellung, ein Ort, eine Wohnung wie andere Häuser und Wohnungen auch, aber diese Vorstellung hält natürlich den Fragen von Jugendlichen und Erwachsenen nicht stand. Sie denken darüber nach, wie kann das sein? Wie können Menschen in den Himmel kommen. Mich hat einmal ein Kind gefragt: Wenn die Toten in den Himmel kommen, was passiert eigentlich dann, wenn der Himmel einmal voll ist? Wo können die Menschen dann noch hinkommen? Solche einfachen Fragen führen dann weiter, dass man sich überlegt: Der Himmel, das ist nicht einfach ein Ort, keine Wohnung, kein Haus, sondern das ist ein Bild, ein Symbol. Und Jugendliche müssen lernen, einen Kinderglauben allmählich zu verändern und umzuwandeln in eine symbolische Vorstellung. Himmel heißt ja nichts anderes als „bei Gott",  bei Gott sein, zu Gott kommen.

Rittberger-Klas: Ich denke aber, es sind auch genau diese Bilder, die es erwachsenen Menschen auch schwer machen. Unsere Bibel ist voll von Bildern, die Bekenntnisse sind voll von Bildern. Wie kann es gelingen, dass man zu so einem symbolischen Verständnis kommt?

Schweitzer: Wir wissen heute, dass sich diese Verwandlung von sehr konkreten und anschaulichen Vorstellungen in symbolische Vorstellungen nur mithilfe eines Bildungsprozesses vollzieht. Das heißt, Kinder, die keine religiöse Begleitung, sei es in der Familie, im Religionsunterricht, im Kindergarten haben, erhalten keine Anstöße für diese Umwandlung ihrer religiösen Vorstellungen. Man weiß beispielsweise, dass Kinder, die aus nicht religiösen Elternhäusern kommen, auch im Erwachsenenalter häufig an solchen konkreten Vorstellungen von Gott, von Christus festhalten und sie deshalb ablehnen, weil sie sagen: In den Himmel haben wir doch Raketen geschossen und niemand hat Gott dort gesehen. Das heißt, was Kinder brauchen, ist eine sensible Begleitung, eine Begleitung im Jugendalter, im Erwachsenenalter, bei den Fragen, die sie im Blick auf die in der Kindheit erworbenen religiösen Vorstellungen haben. Ich meine deshalb, es hängt sehr viel davon ab - das kann man gerade an Himmelfahrt sehen - dass die alten Vorstellungen aus der christlichen Überlieferung in einer Weise übersetzt werden, dass sie heutigen Menschen mit ihren heutigen Fragen wieder etwas sagen können.

Rittberger-Klas: Die Bilder sind also nicht abzuschaffen, sondern noch einmal auf eine andere Weise transparent zu machen. Bilder sind stark, aber müssen auch noch einmal auf eine andere Weise verstanden werden, wenn Menschen langsam erwachsen werden und diese unmittelbaren Zugänge nicht mehr haben.

Schweitzer: Es gab eine Zeit, in der man sagte: Erwachsenwerden heißt allein vernünftig sein. Wir wissen, dass die menschliche Vernunft sehr begrenzt ist und inzwischen haben auch viele Menschen begriffen, dass die Probleme des Lebens sich allein mit der Rationalität nicht lösen lassen. Zu dieser Einsicht gehört aber auch eine Wiederaneignung der Bilder und Symbole aus den Traditionen, den religiösen Traditionen, für uns Christen natürlich aus der biblischen Tradition an erster Stelle. Manche nennen dies auch eine Rückkehr zu einer ersten Naivität als eine reflektierte, eine zweite Naivität dann, wie das Paul Ricoeur und früher schon Friedrich Schleiermacher genannt haben. Insofern würde ich heute sagen: Erwachsenwerden im Glauben heißt, auch einen neuen Zugang zum Kinderglauben zu gewinnen. Der Kinderglaube muss nicht etwas sein, was nur im Leben zurückbleibt, er muss sich verwandeln, er muss zu den späteren Lebensphasen passen, aber er ist deshalb nicht einfach falsch, wie wir heute immer mehr sehen. Überhaupt hat sich ja unser Verhältnis zum Kinderglauben auch deshalb sehr stark verändert, weil wir langsam begreifen, dass schon Kinder Theologen sein können, dass Kinder nicht nur Fragen haben, sondern dass sie auch selbst Antworten formulieren, Einsichten formulieren...

Rittberger-Klas: Dennoch bleibt dieser Prozess des Erwachsenwerdens im Glaubens ja ein schwieriger Prozess für viele Menschen. Wo gibt es Punkte, wo das schief gehen kann?

Schweitzer: Schief gehen kann da natürlich vieles - wenn beispielsweise Kinder auf die Vorstellung gesetzt und festgelegt werden, dass, wenn in der Bibel vom Himmel die Rede ist, wirklich der Himmel in einem naturwissenschaftlichen Sinne gemeint ist, dann fällt es ihnen sehr schwer, später auch einen Zugang zum symbolischen Himmel zu finden. Deshalb ist es so wichtig, ihnen zu erklären, dass Glaube und Naturwissenschaft einander nicht widersprechen müssen, sondern dass sie unterschiedliche Weltzugänge bedeuten. Das beides zusammenzubringen gelingt aber den Jugendlichen häufig nicht ohne die Hilfe beispielsweise im Religionsunterricht, der ihnen deutlich macht, dass es unterschiedliche Formen von Wahrheit gibt. Es gibt natürlich die Wahrheit der naturwissenschaftlichen Erkenntnis, aber diese Wahrheit sagt nichts über den Sinn des Lebens, sagt nichts über unseren Ursprung oder über unsere Zukunft, nichts über das wohin und woher unseres Lebens. Aber wenn man das in der Kindheit schon mit begleitet, dann sind Kinder und später Jugendliche auch sehr offen für solche Symbole. Gerade Jugendliche schmücken sich ja selbst mit vielen Symbolen, haben Zugang zu den Symbolen in den Medien, heute im Internet und beim Computer spielen Symbole eine sehr große Rolle. Ich glaube, wir sollten uns auch von der Vorstellung lösen, dass die allermeisten Menschen mit Symbolen in der Regel Schwierigkeiten haben. Menschen haben einen Bedarf, ein Bedürfnis nach Symbolen, und wir müssen ihnen Symbole anbieten.

Rittberger-Klas: Aber sie müssen auch damit umgehen können. Wie geht konkret? Wie gewinnt man einen symbolischen Zugang zum Himmel?

Schweitzer: Das kann wohl nicht allein mit dem Verstand geschehen. Dazu gehört ein Moment der Erfahrung, dass der Himmel über uns Menschen aufgeht, so wie das ja in einem Kirchenlied heute oft gesungen wird. Dass der Himmel einem selber aufgeht, das kann beispielsweise mit der Musik geschehen. Eine Bachkantate - man spürt, wie der Himmel sich öffnet. Das kann über Bilder geschehen, in der Bildenden Kunst gibt es viele wunderbare Darstellungen des Himmels, bei Bildern von Caspar David Friedrich spielt der Himmel immer eine große Rolle und es ist nicht einfach der Himmel der Wolken, sondern das ist der Himmel Gottes, der Himmel der Transzendenz, der sich hier öffnen. Aber für andere kann es auch einfach das Wiederlesen der biblischen Geschichten sein, in denen einem der Himmel aufgeht.

Rittberger-Klas: Professor Schweitzer, ich danke Ihnen für dieses Gespräch. Momente, in denen der Himmel über uns aufgeht. Vielleicht erlebt es der eine oder andere an diesem Feiertag!

 

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