SWR1 Begegnungen

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Teil 1. Einmal Jesus sein 

Michael Merten hat in den letzten Wochen etwas ziemlich Ausgefallenes getan. Er war der Hauptdarsteller bei den Passionsspielen im Moselort Klüsserath. Passionsspiele sind Theaterstücke der ganz besonderen Art, wird doch das Leiden und Sterben Jesu auf die Bühne gebracht. Dabei ist Michael Merten eigentlich ein ganz normaler junger Mann. Er ist 26 Jahre alt, studiert Politik und Geschichte an der Uni Trier. Hobbys: Lesen, laufen, Freunde treffen. Weniger normal ist es, in einem Passionsspiel die Hauptrolle zu übernehmen. Deshalb will ich als erstes wissen, wie es dazu kam. 

Das ist für mich so ein bisschen eine Rückkehr ans Kreuz. Ich hab 2002 das erste Mal mitgemacht als Jugendlicher damals beim Passionsspiel. Das war damals die zweite Aufführung in Klüsserath und die Rolle des Schächers, also des guten Verbrechers, wurde damals vakant, und das hab ich dann übernommen. 2005 war ich dann Johannes, der Apostel, und im letzten Jahr im Frühsommer kamen dann die Verantwortlichen auf mich zu und haben gefragt, ob ich mir auch die Hauptrolle zutrauen würde.

 Er hat sie sich zugetraut, und das hieß seit September letzten Jahres zunächst einmal Text lernen, viel Text lernen, erinnert sich Merten. 

Ich kannte das noch als Johannes, das war schon Arbeit, das zu lernen, aber das war natürlich weniger umfangreich. Und jetzt Jesus. Der hat doch so viele Textpassagen, gerade beim Abendmahl, endlose Monologe, wo dann der Auszug aus Ägypten thematisiert wird und auf das Pessach-Fest Bezug genommen wird. Das war schon zunächst mal erschlagend, aber mit einem bisschen Fleiß kann man das dann sich aneignen.

 Das klingt fast, als sei da einer sehr professionelle und abgeklärt an die Sache herangegangen. Doch dem ist nur bedingt so.

 Es ist schon eine seltsame Sache zunächst einmal. Es ist halt so, wenn man schauspielert, ich selbst habe vorher in der Schule schon mal gespielt und war auch mal Statist beim Stadttheater und ähnliches, aber eine solche Rolle, es ist ja eigentlich keine Rolle, es ist mehr als ein Schauspiel, also man verkörpert die zentrale Figur des eigenen Glaubens und des Glaubens Tausender, die die Passionsspiele sehen. Es ist also schon eine besondere Verantwortung.

 Und wie ist es, am Kreuz zu hängen? Was ist das für ein Gefühl, will ich wissen, denn ich kann mir das nur schwer vorstellen.

 Unsere Aufführung, die wird sozusagen gekrönt durch die Kreuzigung am Berg. Das heißt, das Publikum steht unten im Tal und wir haben einen Hang Richtung Weinberge, wo dann das Kreuz sehr hoch steht, und man wird dann aufgerichtet und ist dann über dem Hang direkt. Man weiß, man kann sich festhalten und es kann eigentlich nichts passieren, aber das ist schon sehr mulmiges Gefühl. Man haucht dann letzten Endes seinen Atem aus, sackt ab. Und das geht schon doch sehr an die Substanz.

Teil 2. Wie sich spielend der Glaube verändert 

Michael Merten stammt aus Detzem, einem Nachbarort von Klüsserath. Hier war er 15 Jahre Messdiener und in der Jugendarbeit aktiv. Der 26 Jahre junge Mann ist zu Hause in seiner Kirche. Und so ist er auch bei den Passionsspielen dabei, die in Klüsserath erstmals 2000 aufgeführt wurden:

 

In Anlehnung an mittelalterliche Spiele, aber doch eben mit einer neuen Konzeption. Auch eine sehr interessante Konzeption, wie ich finde, weil wir das Passionsspiel nicht statisch auf einer Bühne konzentrieren, sondern durch den ganzen Ort quasi marschieren, den Kreuzweg mitgehen. Das ist eine Sache, die einfach faszinierend ist, auch vom Ansatz - das ist eine ganz besondere Sache. 

Sein persönlicher Blick auf Jesus hat sich durch die Spiel verändert, erzählt er mir. 

Man kommt schon sehr ins Nachdenken. Auch wenn man einfach auf der Straße liegt. Man ist gestürzt, das Volk geht an einem vorbei und man ist in dieser Perspektive desjenigen, der gekreuzigt werden soll, der von den Soldaten getreten und geschlagen wird. Es ist nur gespielt, aber man kann doch schon sich diesem Menschen annähern, definitiv. 

Dennoch: Ist es nicht doch eine Anmaßung, die zentrale Figur des christlichen Glaubens darstellen zu wollen?

 Ich selbst hab mir natürlich mehrfach auch die Frage gestellt: Kann man so was überhaupt? Man versucht natürlich auch möglichst nah ran zu kommen, auch dann bei der Kreuzigung, beim Kreuzweg, möglichst authentisch zu sein, wobei ja, Gott sei Dank, niemand weiß, wie hat Jesus ausgesehen, wie hat er gesprochen, und ähnliches. Obwohl jeder interessanterweise ein sehr genaues Bild hat davon, wie Jesus ausgesehen haben soll. Aber man selbst denkt halt schon, man muss einerseits das Ganze möglichst authentisch rüber bringen, aber der Gedanke ist definitiv immer mit dabei.

 Die Spiele haben auch den Glauben seiner Mitspieler verändert, ist er sich ganz sicher. 

Wir hatten relativ früh mit dem Pastor auch so eine theologische Einordnung, wo alle Rollen mal besprochen wurden. Und auch in den Proben selbst, das war sehr gut. Wir hatten eine sehr freundschaftliche Atmosphäre und jeder konnte immer wieder seine Gedanken einbringen und sagen, wie ist das jetzt hier mit der Judasrolle beispielsweise. Ist das ein Verbrecher oder ist das vielleicht eher ein Revolutionär, der sich jetzt da ne politische Handlung vorstellen kann? Und wie ist das mit den verschiedenen Rollen. Also das war definitiv sehr gut. Wir hatten sehr viele Gespräche auch geführt, das ist einfach so ein Prozess dann.

 Die Klüsserather Passionsspiele 2010 sind Geschichte, die letzte Aufführung war vergangenen Sonntag. Michael Merten würde auch bei den nächsten Spielen in fünf Jahren wieder die Rolle des Jesus übernehmen, wenn es sich ergibt, sagt er. 

Wobei ich jetzt auch wirklich froh bin, das dieses Thema erst mal abgehakt ist. Weil es ist eine sehr anstrengende Sache. Also jetzt ist man dann auch froh, sagen zu können, es ist vollbracht, und sich dann auch noch mal anderen Dingen zu widmen. 

 Infos zu den Klüsserather Passionsspielen finden sich im Internet unter

http://passionsspiel-kluesserath.de/

https://www.kirche-im-swr.de/?m=8011
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