SWR4 Abendgedanken BW

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„Hör dir das mal an.“ Erika liest Erwin aus der Zeitung vor. „Krokodilbabys verständigen sich noch im Ei mit ihren Geschwistern.“
„Nett“, sagt Erwin, der gerade den Sportteil liest.
Erika lässt sich nicht bremsen. „Das ist doch aufregend.“
„Ja“, sagt Erwin, „die Bayern haben schon wieder gewonnen, hätt’ nicht sein müssen.“
„Ach komm, hör doch mal zu. Französische Wissenschaftler haben ungeschlüpften Krokodilbabys, also noch im Ei, die umpf umpf Rufe vorgespielt, von Krokodilbabys aus anderen Eiern.“
„Ja, nett, und dann?“
„Dann sind die kleinen Krokodile alle, also die, denen sie das vorgespielt haben, innerhalb von zehn Minuten aus ihren Eiern geschlüpft.“
„Ach was“, allmählich zeigt Erwin ein bisschen Interesse. „Warum machen die das? Ja, klar, dann kommen mehr von ihnen durch.“
„Ja genau“, sagt Erika, „hier steht: Durch das gleichzeitige Schlüpfen verbessern die Neugeborenen ihre Überlebenschancen.“
„Klar“, sagt Erwin, „dann erwischt ein Krokodilbabyräuber vielleicht nur eins, sonst, also wenn sie in größeren Abständen kommen, können sie schön der Reihe nach gefressen werden.“
„Ach komm“, sagt Erika, „wer frisst denn Krokodilbabys, das ist ja schrecklich.“
„Was heißt da schrecklich“, sagt Erwin. „Fressen und gefressen werden, so ist das halt in der Natur. Und deine Krokodilbabys, wenn sie groß sind, die gehören dann zu den Räubern, die andere Tiere fressen. So ist das.“
„Und da hat die Natur sich diesen Trick ausgedacht“, sagt Erika, „dass die jungen Krokodile sich ein Zeichen geben, ist doch genial, oder? Die sagen umpf, umpf, und zack, alle schlüpfen aus.“
Erwin legt die Zeitung weg.„ Ich will dir mal was sagen. Tiere sagen nicht umpf, umpf. Sie machen halt ein Geräusch, das irgendwie nach Sprache klingt. Und: Krokodilbabys! Wenn ich das schon höre! Tiere haben keine Babys, sondern Junge. Und sie bekommen so viele davon, weil nicht alle überleben können. Du darfst nicht an alles deine menschlichen Maßstäbe anlegen.“
„Meinst du, die Krokodilmutter ist nicht traurig, wenn eins von ihren Jungen weggefressen wird, fragt Erika.
„Jetzt aber“, sagt Erwin, „die kriegt das gar nicht mit. Die Natur ist nicht grausam, sie ist wie sie ist. Ein Kampf ums Überleben, und die Starken kommen durch. Und vermehren sich.“
„Weiß ich ja“, sagt Erika, „aber das lass ich mir nicht nehmen: Staunen darf ich doch, wie das alles so geworden ist. Krokodilbabys, die umpf, umpf machen, und die Geschwister hören es und schlüpfen aus dem Ei! Ist doch genial.“
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