SWR3 Worte

SWR3 Worte

Ich bin eine alte Frau.
Als Deutschland erwacht war,
wurden die Unterstützungen gekürzt.
Meine Kinder gaben mir ab und zu eine Groschen.
Ich konnte aber fast nichts mehr kaufen.
Die erste Zeit ging ich also seltener in die Läden,
wo ich früher täglich gekauft hatte.
Aber eines Tages dachte ich nach,
und dann ging ich doch wieder täglich zum Bäcker, zur Grünkramhändlerin
als alte Käuferin.
Sorgfältig wählte ich unter den Esswaren.
Griff nicht mehr heraus als früher, doch auch nicht weniger.
Legte die Brötchen zum Brot
und den Lauch zum Kohl
und erst wenn zusammengerechnet wurde,
seufzte ich.
Wühlte mit meinen steifen Fingern in meinem Lederbeutelchen
und gestand kopfschüttelnd, dass mein Geld nicht ausreiche,
das Wenige zu bezahlen
und ich verließ kopfschüttelnd den Laden,
von allen Kunden gesehen.

Ich sagte mir:
Wenn wir alle, die nichts haben nicht mehr erscheinen,
wo das Essen ausliegt,
könnte man meinen, wir brauchten nichts.
Aber wenn wir kommen
und nichts kaufen können
weiß man Bescheid.

Bertold Brecht, Werke. Große kommentierte Berliner und Frankfurter Ausgabe, Band 14, Suhrkamp Verlag Frankfurt/M, 1993
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