SWR3 Worte

SWR3 Worte

Schon als Kind war sie ständig gescheitert, weil sie versucht hatte, sich alles konkret vorzustellen. Am schlimmsten war der Gedanke an die Unendlichkeit gewesen. Der Gedanke an die Unendlichkeit hatte sie krank gemacht. Jeder Teller hatte einen Rand, jedes Fußballfeld eine Torlinie. Alles hörte irgendwo auf, das Zimmer, die Straße. Jeder See hatte ein Ufer, und selbst Ozeane stießen irgendwann an Land. Es war schon schwer genug gewesen, sich damit abzufinden, daß die Erde eine Kugel war. Und dann sollte das Weltall auch noch unendlich sein? Keine Wand, keine Tür? … Und wo war in dieser ganzen Unendlichkeit Gott? ... Heute stellte sie sich Gott vor wie eine Datei im Internet, einen Link, der bei allem, was man suchte, vorhanden war.
Kathrin Aehnlich: Die Frage nach der Unendlichkeit und nach Gott

(in: Kathrin Aehnlich, Alle sterben, auch die Löffelstöre. Piper München Zürich 2008, S. 9/10
https://www.kirche-im-swr.de/?m=6140
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