SWR2 Wort zum Tag

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Auch in extremen Zeiten gibt es keine Auszeit für Anstand und Menschlichkeit. Das ist einer der Leitsätze vom Eberhard Steim. Heute lebt der 88-jährige in der Nähe von Stuttgart, im Zweiten Weltkrieg gehörte er zur deutschen Besatzung in Dänemark. „Es gab damals auf beiden Seiten anständige Menschen. Humanität wurde mit Humanität beantwortet.“ So eine von Steims Erfahrungen.
Ein dänischer Autor hat über die Besatzungszeit in Süddänemark ein Buch mit dem Titel geschrieben: „Der Krieg, der niemals kam.“ Dass die Menschen dort vor den Schrecken des Kriegs weitgehend verschont geblieben sind, ist auch Eberhard Steim zu verdanken. Er kam im Herbst 1944 als Kompaniechef nach Süddänemark. Zu seinen Aufgaben gehörte es, eine Bahnlinie vor Sabotageanschlägen zu schützen. „Niemand soll zu Schaden kommen“, war seine Devise. Auf beiden Seiten sollte Blutvergießen vermieden werden. Später musste er die Unterbringung und Versorgung von über 1.300 Flüchtlingen sicherstellen, die aus Ostpreußen über die Ostsee geflohen waren; ebenso galt es, ein Lazarett mit 1.000 Betten einzurichten. Steim gab den Befehl, keine Privatwohnungen zu beschlagnahmen. Unter Schwierigkeiten sorgte er dafür, dass zwei durch deutsche Polizisten erschossene Aufständische würdig bestattet wurden. Immer mehr erwarb sich der deutsche Offizier das Vertrauen der Einheimischen. Als er im März 1945 vor seiner Kompanie eine Rede zum so genannten „Heldengedenktag“ hielt, beglückwünschte ihn ein dänischer Arzt, der hinter einer Hecke zugehört hatte. „Wie lässt sich diese Rede mit dem Nationalsozialismus vereinbaren?“, fragte er den Leutnant. „Ich komme aus der katholischen Jugend“, war dessen lapidare Antwort. Der Arzt half ihm dann, eine Station für schwangere Flüchtlingsfrauen einzurichten, ebenso eine Isolierstation für Schwerkranke. Die Freundschaft zwischen den beiden Männern und ihren Familien dauert bis heute an. In seiner eigenen Kompanie rettete Steim kurz vor Kriegsende einen jungen Soldaten durch eine geschickte Verteidigung vor dem Todesurteil durch ein Kriegsgericht. Ein Leben lang ging es ihm darum, die Augen nicht zu verschließen. „Die geschlossenen Augen haben das Nazitum legimiert“, sagt er, „und das Wegsehen legitimiert bis heute jede Unterdrückung.“ In Dänemark ist Steim heute eine hoch geachtete Persönlichkeit. Seine persönliche Geschichte will er nicht ins Rampenlicht der Öffentlichkeit stellen. Aber wenn es darum geht, dass auch in extremen Zeiten menschlicher Anstand nötig und möglich ist, dann kann er nicht schweigen.


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