SWR1 Begegnungen

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Fast 2000 Jahre mussten die Frauen in der Kirche immer nach oben schauen. Immer waren es die Männer, die von der Kanzel heruntergepredigt haben. Vor 50 Jahren aber wurde das anders. Da hat die evangelische Kirche der Pfalz Frauen als Pfarrerinnen den Männern rechtlich gleichgestellt. Per Ordinationsgesetz.
Renate Hust war eine der ersten ordinierten Pfarrerinnen. Als sie damals von der Speyerer Kirchenleitung nach Ludwigshafen geschickt wurde, sagte der Dekan zu ihr:

Naja, Speyer hat uns eine Frau geschickt, wenigstens etwas, besser als nichts. Und als ich dann da hinging, hat mir die Pfarrfrau aufgemacht, und die sagte wiederum: ich hab zu meinem Mann gesagt: pass auf, die haben euch einen Vikar versprochen wenn de richtig guckst, hat der auch wieder einen Rock an.

Was heute fast selbstverständlich ist, war damals ein Aufreger. Renate Hust aus Speyer hat sich dennoch behauptet.

Teil 1
„Ein Vikar mit Rock“ und wenigstens „besser als nichts“- so wurden vor 50 Jahren Frauen im Pfarramt begrüßt. Da musste man schon seine Frau stehen. Renate Hust hat da nie einen Zweifel aufkommen lassen. Und das sieht man der 79 jährigen resoluten Dame heute noch an: dezent geschminkt, schlank und schick in heller Hose und T-Shirt empfängt sie mich in ihrer Wohnung in Landau. Renate Hust gehört zur ersten Generation der ordinierten Pfarrerinnen. Denn bis zum Ordinationsgesetz galt: Gemeindearbeit ja, verantwortliche Gemeindeleitung nein. Frauen durften als „Vikarinnen“- lediglich den Männern assistieren, mit besonderer Erlaubnis des Vorgesetzten.

Nach dem Studium hat mir mein Vater noch ein Semester genehmigt und dann war ich noch ein Semester in Göttingen und kam zurück und da sagte der damalige Kirchenpräsident: Ach, Sie haben jetzt noch ein Semester studiert, Predigerseminar oder solche praktische Ausbildung brauchen Sie nicht und wir schicken Sie direkt nach Ludwigshafen auf diese Katechetenstelle.

Das hieß: Religionsunterricht. Das war auch die Hauptaufgabe der Frauen im Pfarrdienst.
Allerdings: wenn Not am Mann war, „durfte“ Frau schon mal aushelfen. Und da es viel Not gab nach dem Krieg, war Renate Hust schnell mit Zusatzaufträgen überhäuft.

Vor allen Dingen, wenn der Krankenhauspfarrer sagte, er hat keine Zeit, die Taufen dort zu halten. Und da bin ich etliche Mal ins Krankenhaus geschickt worden, die hatten keine Kapelle, das heißt, da waren in dem Wöchnerinnensaal so 10 Leute da und da sind etliche Kinder getauft worden, und da durfte ich hin.

Seelsorge im Krankenhaus- ein schwieriges Feld. Und doch hatte Renate Hust dazu keinerlei Ausbildung. Dennoch kam der damalige Krankenhauspfarrer kam auf seinen Vorgesetzten zu und sagte:

Ich möchte einmal im Monat einen freien Sonntag. Gut die Vikarin wird einmal im Monat dahin geschickt. Ich brauche, sagte er, in den Ferien Vertretung. Also- Schulferien sind ja bisschen länger als Vikarsferien, also Vikarin geht dorthin. und dann hat er schnell rausgekriegt, dass man der auch ne ganze Station übergeben kann und zwar nicht nur in den Ferien, sondern überhaupt, zu dieser Schulstelle. Dreimal dürfen Sie raten, welche? Auf der Hautklinik! Können Sie sich dann vorstellen, welche ich gekriegt habe, welche Station?

Na klar- eine Frauenstation für Haut- und Geschlechtskrankheiten. Prostituierte, die sich bei den in Kaiserslautern stationierten Amerikanischen Soldaten angesteckt hatten. Und genau da war Renate Hust in ihrem Element. Bei denen, zu denen Jesus uns geschickt hat: die Sünderinnen, wie das damals hieß.

Ich bin sehr gerne dahin gegangen. Mit denen haben Sie ganz schnell Kontakt gekriegt, die dort waren. Die haben Sie nicht gefragt, sind sie ordiniert oder Vikarin oder Pfarrer, Sie sind von Frau zu Frau sofort ins Gespräch gekommen. Vor allen Dingen hab ich dann einen guten Schülerinnenkreis gehabt, und mit denen hab ich bestimmt viermal Heiligabend da unten gefeiert. Und das war wirklich gut.

Teil 2
Renate Hust gehört zu den ordinierten Pfarrerinnen der ersten Generation, Frauen, die selbständig eine Gemeinde leiten durften. Trotzdem ist sie als Pfarrerin in der Schule geblieben. Weil es dort jede Menge zu tun gab für Mädchen.

In Neustadt kam ein Vater zu mir, der hatte 4 Töchter, hatte ein Holzsägewerk, war stinkereich und wollte unbedingt haben, dass eine der Töchter- naja, der hat mit mir gekämpft und ich habe zu ihm gesagt: Ihre Töchter machen das Abitur! Und das war ein harter Kampf, er hat es im Grunde nie eingesehen. Aber sie haben ihr Abitur gemacht.

Warum ist das bis heute für eine reine Männerorganisation schwer, Frauen in verantwortlicher Position zuzulassen? Ganz klar: weil Frauen anders sind und die Probleme anders lösen. Und was anders ist, ist erstmal ungewohnt, vielleicht sogar bedrohlich.
Obwohl Renate Hust selbst keine Kinder hat, brachte sie in ihre Arbeit zweifelsohne etwas Mütterliches. Zum Beispiel damals vor 50 Jahren, als in ihrem Klassenzimmer plötzlich zwei Polizisten standen.

Und dann sag ich, was ist los? Und dann haben sie mir einen Namen gesagt und wollten einen 6 oder 8 jährigen abholen. Und ich war so schockiert und eh die zu meinem Schulsaal draußen waren, sag ich noch: ach, soll mer denn nicht ein Lied singen? Und dann dreht der kleine Knirps sich um und sagt: Ja! Und dann hab ich gesagt: was denn? Und dann hat er sich gewünscht: weil ich Jesu Schäflein bin mit dem Schluss: meinen guten Hirten, der mich wohl weiß zu bewirten der mich lieb hat, der mich kennt. Und glauben Sie mir, ich habe diese Situation immer und immer wieder vor Augen gehabt, vor allem wenn ich was Schweres machen musste, hab ich immer gesagt: Denkst an ihn!

Frauen nehmen manches anders in den Blick. Und verändern damit die Wahrnehmung der ganzen Kirche. Kirche steht zwar für Tradition, aber sie muss daran arbeiten, Traditionen auch aufzugeben. Weil sie nur so weiterkommen kann.

Und das ist glaub ich ein Merkmal der Kirche überhaupt: dass sie noch nicht am Ende ist, sondern eine Zukunft hat. Und dass man dann manchmal, wie so schön heißt: über Mauern springen muss. Und auch Männer über Mauern springen müssen.

Und natürlich auch Frauen. Die Mauern, über die wir heute springen müssen, sehen anders aus als damals. Vielleicht geht es heute darum, wie Frau ihren Ansprüchen gerecht werden kann. Gegenüber den Kindern, gegenüber der Gemeinde, gegenüber dem Partner. Entscheidend ist die Frage: was macht Menschen froh und lebendig? Was bringt uns Gottes Güte und Liebe näher? Bestimmt nicht der Anspruch, es allen recht machen zu wollen. So sieht das auch Renate Hust- besonders für ihre jungen Kolleginnen im Pfarramt.

Da muss man den Partner haben, der da mitspielt und Zeit für die Kinder muss man haben, es kann nicht auf Kosten der Familie gehen. Und wenn sie das will und Liebe zum Beruf hat, dann schafft sie das auch, meine ich. https://www.kirche-im-swr.de/?m=4745
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