SWR1 Begegnungen

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Sie ist jung, hübsch und voller Power. Und sie ist mit ihren 36 Jahren die jüngste Diakonisse und Oberin in Deutschland.
Schwester Isabelle Wien. Sie leitet die Schwesternschaft der Diakonissen im Mutterhaus Speyer Mannheim und ist Vorstandsmitglied der dortigen Diakonissenanstalten mit 3 ½ tausend Angestellten.
Wie war das, als sie mit 32 Jahren Schwester Oberin wurde?

Also zunächst mal hatte ich einen großen Vertrauensvorschuss in den Menschen, die mich gewählt haben in unseren Gremien und das hat mir auch Mut gemacht. Und ich denke: Kraft ist da und wirkt.

Teil 1

Sie residiert wie eine Chefin, mit Vorzimmerdame und großem Büro. Das so ist wie sie selbst: hell, freundlich und aufgeräumt. Ihr weißes Häubchen hält perfekt die braunen Haare auf dem Hinterkopf zusammen und unter der grauen Diakonissentracht mit der Silberbrosche vorne erkennt man eine mädchenhaft schlanke Figur. Ihr ebenmäßiges Gesicht hat etwas Leuchtendes, wenn sie erzählt.

Als Oberin bin ich zunächst zuständig für unsere Schwesternschaft, die diakonischen Gemeinschaften, Diakonische Schwestern und Diakonische. Und gleichzeitig bin ich als Oberin hier im Vorstand, wir sind im Dreiergremium zuständig für 3 ½ Tausend Mitarbeiter rechts und linksrheinisch an verschiedenen Orten, soziale Arbeit wird im Schwerpunkt betrieben, Krankenpflege, Erziehungsarbeit, Behindertenarbeit, Hospizausbildungsarbeit.

Also viel Arbeit. Isabelle Wien ist ausgebildete Krankenschwester, Seelsorgerin und Religionspädagogin . Für ihre Arbeit im Vorstand eines mittleren Unternehmens hat sie sich auch betriebwirtschaftlich fortgebildet. Warum?

Ich glaub das ist eine gemeinsame Aufgabe, dass wir lernen, dass Diakonie und Wirtschaftlichkeit sich nicht entgegenstehen müssen. Wir müssen bei knapper werdenden Ressourcen und Situationen schauen, dass wir christliches Profil in unseren Einrichtungen wahren.

Diakonissen- das steht auf dem Logo der Diakonissenanstalten in Speyer Mannheim. Diakonissen, das sind evangelische Nonnen, die auf Ehe, Familie und Gehalt verzichten, um in selbstloser Hingabe ihren Glauben zu leben. Und zwar nicht kontemplativ, sondern höchst aktiv in verschiedenen meist sozialen Berufen. Mit ihren Häubchen und grauen Kutten verkörpern Diakonissen so etwas wie das Wesen evangelischer Diakonie.

Ich glaub es ist ein Leben zwischen Tun und Ruhen. Ich glaub da ist eine gewisse Ausgeglichenheit zu spüren. Der Mensch ist da, präsent, hilfreich für den Nächsten da und gleichzeitig hab ich immer wieder das Empfinden, dass in uns selber ein ruhender Pol ist, dass wir durch das Andachtsleben, durch das innere Leben, Schriftbetrachtung, das Bibellesen, das Gebet, immer wieder vom Dringlichen zum Wesentlichen zurückfinden.

Vom Dringlichen zum Wesentlichen zurückfinden. Gar nicht selbstverständlich. Oft scheint das Dringliche auch das Wesentliche zu sein. Das geistliche Leben schafft Abstand vom Dringlichen, fragt neu nach dem, was wesentlich ist. Und findet in der Bibel oft überraschende Antworten. Wesentlich ist für Isabelle Wien zum Beispiel die geistige Unterstützung ihrer Mitschwestern. Die könnten alle ein Altersheim füllen, die jüngste ist weit über 60. Und doch ist ihre Mithilfe für sie unbezahlbar.

Das ist eine tolle Erfahrung, dass die manchmal Termine wissen, die manchmal Briefterminen vorausgehen, wo ich heute feststelle, das muss du eigentlich morgen machen und die sagen: da hab ich schon für gebetet!

Teil 2

Wir haben dasselbe Gymnasium besucht- eine katholische Mädchenschule in Karlsruhe. Das hat uns geprägt. Aber die Sehnsucht, die uns beide umgetrieben und zu einem geistlichen Beruf geführt hat, war viel früher da.
Bei Isabelle Wien war es eine Diakonisse, bei der sie diese besondere Ausstrahlung gefunden hat. Die hat einmal ihren Großvater gepflegt.

Da war ich wohl so vier, da sind wir zum Großvater gekommen und da hab ich unter der Tür zu ihr gesagt: so eine wie du werd ich auch mal.

16 Jahre später, also mit 20 wurde sie tatsächlich Diakonisse und hat 6 Jahre später ihr Gelübde abgelegt. Verzicht auf Ehe, Familie und das Gehalt, das sie als Krankenschwester verdient hat.

Für mich war der innere Zug, so wie ein inneres Schulterklopfen. Ohne Brief vom Himmel, ohne Vision, in diese Richtung gehen zu sollen. Es war ein Verzicht, den ich in anderer Weise positiv empfunden hab, ich war und bin nämlich frei für die Aufgaben und für alles, was mir hier im Alltag begegnet, frei für die Menschen.

Freiheit- das ist ein großes evangelisches Thema. Bei einer Diakonisse fängt das schon im Kleinen an. Sie muss sich morgens nicht fragen: was zieh ich an für die Sitzung heute? Dafür gibt’s die Kutte. Sie muss sich nicht fragen: Wo wohne ich, wo esse ich? Dafür gibt’s das Mutterhaus. Da ist viel Freiheit. Freiheit wofür?

Das Entscheidende ist für uns die Herzenshaltung. Und ich denke, wir sinds den Menschen schuldig, dass wir ihnen Angebote auch machen und sie mit hinein nehmen in das Wesen der Diakonie.

Und das ist: die Sorge um sich selber abgeben, und frei zu sein für die Sorge um Andere. Als geistliche Begleiterin, Seelsorgerin am Krankenbett, als Organisatorin von Seminaren, als Ausbildungsleiterin für die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und vieles mehr hat Isabelle Wien rund um die Uhr zu tun. Für ein Taschengeld von 200 Euro im Monat. Gemäß dem Wahlspruch der Diakonissen: Mein Lohn ist, dass ich darf.

Wir leben in so ner Art Genossenschaftsprinzip. Das ist bewusster Lohnverzicht und jede Schwester hat das Gleiche wie andere auch. Sodass ich mich nicht hocharbeiten kann um mehr zu verdienen, sondern wir geben alles, was wir haben in einen Topf. Und früher, wenn 600 Schwestern waren, die im Arbeitsbereich waren, dann konnte man natürlich aus diesen vielen Geldern, die in den großen Topf gekommen sind, Institutionen, Einrichtungen bauen, in denen wir uns heute befinden, die alle aus den Rücklagengeldern der Schwestern erwachsen sind.

Früher war Diakonisse sein attraktiv, weil so eine Frau auch unverheiratet „unter der Haube“ und damit ehrbar sein konnte. Heute bietet ein Leben als Diakonisse eine andere große Freiheit. Eine, die alles andere als selbstverständlich ist: und zwar die Freiheit von der Sorge um sich selbst. Hier erlebe ich Isabelle Wien ungemein frei und heiter. Sie kann „dienen ohne Angst um mich selbst.“

Das ist was, was glaub ich kein Mensch ohne Weiteres von sich sagen kann „ohne Angst um mich selbst“. Aber letztendlich ist es das, was ich versucht hab zu beschreiben, frei von sich selber ohne zu viel Sorgen und Gedanken sich um das eigene Ich zu machen, sondern wirklich im Dienst eines Größeren unterwegs sein. https://www.kirche-im-swr.de/?m=4319
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